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Das rätselhafte Erlebnis von Schlaf und Traum scheint es gewesen zu sein, das den Menschen die Vorstellung von seiner ›Seele‹ finden ließ, von jenem wunderlichen Wesen, das nicht zu fassen war, und das doch so deutlich sein Eigenleben in ihm führte, und ohne das er aufhörte, Mensch zu sein. Noch stärker aber und eindringlicher muß den Menschen von jeher das Erlebnis des Todes beschäftigt und beunruhigt haben. Übertraf doch seine grelle, unwiderrufliche Tatsache jedes noch so quälende Traumerlebnis an rätselvoller Wirklichkeit: der Mann, der gestern noch rüstig umhergegangen war, das Kind, das eben vor der Hütte spielte – plötzlich lagen sie da, leblos, schliefen am hellen Tag, und ihr Schlaf wollte kein Ende nehmen; die Veränderungen des Todes traten ein, zuletzt wurde der Tote begraben – was war da geschehen? was geschah weiter?
Volkstümlicher Glaube von heute beantwortet die Frage nach dem Wesen des Todes zunächst mit ähnlichen Vorstellungen wie die nach dem Wesen des Traums: die ›Seele‹ ist wieder einmal fortgegangen, aber diesmal nicht auf kurze Traumfahrt; die Rückkehr in den Leib ist ihr versagt, nun irrt sie draußen umher, in ruhelosem und unheimlichem Dasein. Und so lieb der Mensch seinen Angehörigen als Lebender war, seine Seele möchten sie nicht gern in ihrer Nähe haben. Darum reißt man in vielen Gegenden Deutschlands, sobald der Sterbende mit dem letzten Atemzug seine Seele ›ausgehaucht‹ hat, Fenster und Türen des Sterbezimmers auf, man stürzt die Stühle und alle Gefäße im Zimmer um, man hält die Uhr an – alles damit die Seele nur nirgends hängen bleibt, sondern ungehemmt und ohne Anstoß ins Freie eilen kann. Als man zu Wohlau in Schlesien bei einem Todesfall einmal vergessen hatte, gleich die Fenster zu öffnen, hat man am andern Morgen ein Rauchwölklein in der Stube gefunden: das war des Toten Seele.
Das Seelenglas. Als mein Mann damals starb, da war mein Schwiegervater da, und der hats doch nicht anders getan, er ist gleich, so wie er tot war, hinübergelaufen zum Krämer und hat sich da ein Glas ausgesucht, ein ganz bestimmtes mußte es sein. Da hat er Wasser hineingegossen und hats auf einen Tisch ganz nah ans Fenster gestellt, daß die Seele sich waschen kann. Und dann hat er daneben so ein Nägele in die Wand geschlagen und hat ein Stückle weißes Leinen dran gehängt, daß die Seele sich abtrocknen kann. Bei all meinem Schmerz hab ich doch lachen müssen; aber ich hab nix sagen dürfen, weil er so fest dran geglaubt hat. – Die erste Zeit nachher hab ich das Glas so gern gehabt, daß ichs alleweil auf meinem Waschtisch stehn gehabt hab. Aber das ist jetzt schon vorbei. Jetzt trink ich halt meine Limonade draus, und ich nenns noch immer das Seelenglas. – Na so ein spaßiger Glaube, daß die Seele sich wascht und abtrocknet! Aber so fest wie ers geglaubt hat!
Freilich finden wir die Seelenvorstellung nicht immer so rein wie in diesem Beispiel. In unsern Sagen mischt sie sich oft mit einer Anschauungsweise, die entschieden noch ursprünglicher ist und mit ihren Wurzeln in eine urälteste Schicht menschlichen Erlebens hinabreicht: der Tote selber, seine Leiche, ist gar nicht einfach ›tot‹ im Sinne des folgerichtigen Seelenglaubens, sondern der Leichnam lebt weiter, er haust in seinem Grab und hat dort ein Leben, das in vielem dem gleicht, das der Mensch vor seinem Tode im Licht der Sonne führte.
Die Toten haben im wesentlichen noch dieselben Bedürfnisse wie die Lebendigen. Darum gab man schon in der ältesten Zeit, zu der die Erinnerung der Menschheit zurückreicht, und darum gibt man noch heute dem Toten Dinge mit ins Grab, von denen man meint, daß er sie darin nötig haben wird, oder an denen er sich freuen soll, als wenn er noch lebte. – Und nicht nur um der Toten willen tut man das: wo der Verstorbene nicht erhält, was er bedarf und was er nach der Landessitte verlangen kann, oder wo ihn sonst irgendein unbefriedigter Wunsch noch quält, da ist Gefahr, daß er zu den Lebenden zurückkehrt und sich holt was ihm fehlt. Denn er ist nicht schlechthin ins Grab gebannt: als Toter hat er geheimnisvolle Eigenschaften und Fähigkeiten gewonnen, vor denen die Schranken von Raum und Zeit verschwinden. Bald recht eigentlich körperhaft, bald als hüllenhaftes Gespenst, immer aber in seiner vollen menschlichen Gestalt und Größe »wankt« oder »spukt« er auch außerhalb des Grabes. – Diese primitivste Totenvorstellung erscheint in den heutigen Volkssagen vom wiederlehrenden Toten oft so unlöslich mit dem Seelenglauben verquickt, daß es nicht immer zu entscheiden ist, wie weit einer Sage die ältere oder die jüngere Vorstellungsschicht zugrunde liegt.
Die Wöchnerin und ihr Kind. In alter Zeit starb in Flohingen in Baden eine Wöchnerin mit ihrem neugebornen Kind, und das Kind wurde zu ihr in den Sarg gelegt. Da erschien sie die beiden folgenden Nächte ihrer Mutter und bat, sie möge ihr doch Faden, Nadel, Schere, Fingerhut, Wachs und Seife ins Grab legen. Denn sie müsse drüben für ihr Kind noch nähen und waschen. Die Mutter erfüllte ihr die Bitte und der Geist ließ sich nicht mehr sehen. – Seitdem ist es zu Flohingen Sitte, daß man den Wöchnerinnen, die mit ihrem neugeborenen Kinde sterben und begraben werden, die Dinge in den Sarg mitgibt, um die jene Frau damals gebeten hat.
Wie eine tote Mutter ihr Kind stillte. Zur Franzosenzeit lebte in Mellen ein Mädchen, das lief mit ihrem Liebhaber, einem französischen Soldaten, bis nach Stettin. Bald darauf kehrte sie nach Mellen zurück und kam mit einem Knaben nieder, aber sie starb bei der Geburt. Als die Mutter der Verstorbenen nun einmal abends bei der Wiege des Kindes saß, merkte sie, wie die Wiege plötzlich ganz schwer wurde, auch hörte sie ein Geräusch, wie wenn das Kind sauge. Da wußte sie, daß die verstorbene Mutter wieder zurückgekehrt war, um ihr Kind zu stillen.
Mutter und Stiefmutter. Im Dorfe Meesiger, Kreis Demmin, lebte einst ein Mann, der war wegen seiner vielen unerzogenen Kinder eine zweite Ehe eingegangen. Aber die neue Mutter war gegen ihre Stiefkinder hart und schlug sie oft für die kleinsten Vergehen. Eines Abends wollte sie die Kleinen wieder schlagen, da erschien plötzlich die rechte Mutter und gab ihr eine Ohrfeige, daß ihr Hören und Sehen verging. Dann verschwand sie. Seit der Zeit hat sich die Stiefmutter der Kinder besser angenommen und der Geist der rechten Mutter ist deshalb auch nie wieder erschienen.
Die Gerippe warten. Am Zwergackerl im Matzenerwald (Marchfeld) liegt ein niederer Erdhügel. Darin sollen französische Soldaten begraben liegen, die ein Bauer heimlich im Schlaf getötet und dort verscharrt hat. Die Tat des Bauern wurde bekannt und er sollte enthauptet werden. Man legte ihm einen eisernen Ring um den Hals und band ihn geknebelt an die Martersäule; aber auf irgendeine hinterlistige Weise entkam der Bauer und floh aus dem Lande. Als die Kriegszeit längst vorüber war, kehrte er wieder zurück und weil er den Grabhügel just bei seinem Fruchtgrund nicht alle Tage vor Augen haben mochte, wollte er ihn flach schaufeln. Er tat den ersten Spatenstich, da stiegen aus der Grube drei häßliche Totengerippe empor, die schlugen aus ihn los, und tags daraus ward der Arme, am ganzen Leib mit Wunden überdeckt, tot aufgefunden. Den Verbrecherring trug er noch immer am Hals.
Die Rache der Toten. Zwischen Inning und Seefeld südwestlich von München liegt der Wörthsee, der auch Maussee heißt; aber den Namen hört die Herrschaft nicht gerne. Denn es hat einmal ein Graf von Seefeld bei einer großen Hungersnot die armen Leute in einen Stadel zusammengesperrt und dann befohlen, ihn anzuzünden. Und als sie darin jämmerlich schrieen, hat er lachend gefragt: »Hört ihr die Ratten und Mäuse pfeifen?« Darauf sind eine Unmenge Mäuse zum Vorschein gekommen und haben ihn überallhin verfolgt. Zuletzt flüchtete er sich auf die Insel im Wörthsee, aber auch dahin sind sie ihm zu Tausenden nachgefolgt und haben ihn zuletzt aufgefressen, obgleich er sein Bett in eisernen Ketten aufhängen ließ.
Die letzte Sage ist in deutlichem Gegensatz zu der vorletzten nur aus den Vorstellungen des Seelenglaubens zu verstehen: die Mäuse sind die durch den Tod freigewordenen Seelentiere der Verbrannten. – Dagegen sieht das alte deutsche Recht in dem erschlagenen Toten durchaus den noch lebenden Leichnam und erwartet von ihm, er werde seinen Mörder verraten: kann er nicht mehr sprechen und sich nicht mehr regen, so erkennt er doch seinen Feind, und dessen Anblick macht ihm die Wunden aufs neue fließen.
Das Bahrrecht. Vor nicht langer Zeit hat sich in Bulkesch in Siebenbürgen folgendes zugetragen: Ein Mann hatte seine Frau erstochen und war dann aufs Feld gegangen. Als er heimkehrte und zur Toten hintrat, die von zahlreichen Leidtragenden umgeben war, fing die Wunde zu bluten an. Wie er hinausging, stockte das Blut, und wenn er eintrat, floß es wieder. Als die Frau schon begraben war, und das seltsame Bluten allenthalben im Dorf herum erzählt wurde, ließ der Richter den Mann gefangen nehmen und verhörte ihn. Gegen das starke Blutzeugnis wagte er nicht zu leugnen; aber ehe noch der Spruch gefällt war, erhängte er sich im Gefängnis.
Der blutende Knochen. Einst wurde zwischen den Dörfern Gontenschwil und Zetzwil im Aargau ein toter Mann auf der Straße gefunden, der alle Spuren eines gewaltsamen Todes an sich trug. Der Mörder war auf keine Weise zu entdecken. Da kam man auf den Einfall, der Leiche einen Knochen auszubrechen, und dieser Knochen wurde an den Zug der Schloßglocke zu Lenzburg gehängt, wo jeder läuten muß, der beim Landvogt Recht oder Almosen sucht. Lange Jahre war der Knochen schon so angebunden gewesen, da zog einmal ein bettelnder Greis die Schelle und wurde dabei plötzlich mit Blut überspritzt. Er wurde verhaftet und gestand, in seiner Jugend den Mann angefallen und ermordet zu haben.
Die Toten kehren wieder, weil die Liebe zu den Ihrigen oder der Haß gegen ihre Feinde sie nicht ruhen läßt. Umgekehrt kann auch die übergroße Liebe der Lebenden sie zurückzwingen. Darum darf man dem toten Kinde nicht übers Grab nachweinen. Man darf sich nicht einmal dem so natürlichen Wunsche hingeben: wenn ich den Toten doch noch einmal wiedersähe! Denn der Wunsch möchte in Erfüllung gehn, und eine solche Begegnung ist für den Lebenden keine Freude.
Die Tränen der Mutter. Jede Träne, die um einen Begrabenen geweint wird, fällt in dessen Leichentuch und macht es naß. – Meiner Großmutter starb ein Kind, nach dessen Tode konnte sie gar kein Ende finden mit Klagen und Weinen. Da erschien ihr das Kind des Nachts und sagte: »Mutter, höre doch auf, über mich zu weinen! In meinem Leichentuch ist nur eine Stelle wie ein Taler groß noch trocken; wenn die auch naß ist, dann habe ich keine Ruhe im Grabe mehr.«
Das Geisterschiff. Es war um die Zeit, da alle Schiffe auflegten und alle Schiffer heimkehrten; aber einer Dirne wollte der Bräutigam noch immer nicht kommen, und als alle anderen schon daheim waren, war er noch immer nicht da. Da wollte sich ihr Herz gar nicht zufrieden geben und nachts saß sie am Wasser und jammerte und schrie nach ihrem Liebsten. Da kam eines Nachts das Schiff, das mit ihrem Bräutigam verunglückt war; das nahm sie auf und niemand hat sie wieder gesehen.
Ein Mann trägt seine verstorbene Frau. Ein Mann aus Wellmitz im Kreise Crossen ging einmal nach Jähnsdorf in die Ölmühle. Als er mit Ölschlagen fertig war und nach Hause ging, wählte er einen Fußweg, der über den Kirchhof führte; seine Frau war gestorben und ihr Grab lag dicht am Steige. Als er daran vorbei ging, sagte er: »Meine liebe Annliese, wenn ich dich heute mitnehmen könnte!« Kaum hatte er das gesagt, so sprang ihm jemand von hinten auf den Rücken, und die Haare des Hinaufgesprungenen hingen ihm in das Gesicht. So mußte er noch drei Viertelstunden weit gehen. Als er an das Schloß zu Wendisch-Wellmitz kam, liefen ihm die Hunde bellend entgegen. Da wurde es ihm auf einmal leicht und das auf seinem Rücken war er los. Er sah sich jetzt zwar um, aber es war nichts zu sehen. Der Schweiß rann an ihm herunter. Als er zu Hause ankam, sagten seine Kinder zu ihm: »Vater, Ihr seht ja ganz weiß aus!« Er sagte aber nichts. Sie gaben ihm zu essen, aber er aß nichts. Am andern Morgen erzählte er ihnen, daß er ihre Mutter bis an das Schloß getragen hätte. Er ist noch an demselben Tag gestorben.
Der Totenritt. Ein Mädchen hatte einen Geliebten, der war Soldat und ist dann beim Heer gestorben. Jetzt hat sich das Mädchen gar so viel gesehnt nach ihm und hat oft bitterlich geweint. Da kam in der Nacht ein Reiter auf schneeweißem Schimmel vor ihr Fenster geritten, das war ihr Geliebter. Er klopfte an und sagte: »Annamirl steh auf und geh mit mir!« Sie stand gleich auf und ging hinaus. Da sagte er, sie soll sich aufsetzen; das tat sie und dann ritten sie fort. Der Mond schien sehr hell. Auf einmal fängt ihr Liebster an:
»Wie scheint der Mond so hell,
Wie reiten die Toten so schnell!
Annamirl, fürchst dich nit?«
Sie aber sprach: »Was soll ich mich denn fürchten; bist du ja bei mir!« Sie reiten eine Weile, da spricht er wieder:
»Wie scheint der Mond so hell,
Wie reiten die Toten so schnell!
Annamirl, fürchst dich nit?«
Sie gab wieder die gleiche Antwort; und ganz ebenso ging es ein drittes Mal. – Währenddem waren sie zum Haus des Schulmeisters gekommen, da war der Freithof nimmer weit. Da kam ihr die Furcht. Und als sie vor Schulmeisters Schupfen vorbei kamen, sprang sie schnell ab und lief hinein in den Schupfen; denn ihre Angst war schon groß und unter den »Dachtropfen« wußte sie sich sicher. Da rief ihr Geliebter ihr zu: »Dein Glück ists, daß du herabgesprungen und da hinein bist; sonst hätte ich dich auf tausend Fetzen zerrissen! Ich wäre schon bald erlöst gewesen, und hab' wieder so weit herkommen müssen!« Und dann warnte er sie noch, ja keinen Verstorbenen mehr zu sich zu verlangen, und verschwand.
In den weitaus meisten Fällen ist es die eigene Schuld des Toten, die ihn im Grabe keine Ruhe finden läßt. Der Grenzsteinverrücker, der Dieb, der Meineidige, der Mörder, alle müssen sie nach ihrem Tode umgehen, bis ihr Verbrechen auf irgendeine Weise gesühnt ist. Die Vorstellung, daß besonders bösartige Tote im Grabe nicht Ruhe halten, sondern die Lebenden draußen erschrecken und quälen, gehörte schon zum Glauben unserer heidnischen Vorfahren; ihre Umbildung zum Glauben an eine Strafzeit der bösen Toten und ihre fast unbegrenzt weite Verbreitung geschah erst durch das Christentum mit seiner Lehre vom Reinigungsbrand der Seelen, dem Fegefeuer. Heute ist der Abergläubische geneigt, alles Unheimliche und allen Spuk damit zu erklären; überall sieht er leidende Seelen: in den mancherlei Lichterscheinungen, die ihm auf nächtlicher Wanderung die ängstlich gespannten Sinne erschrecken, im Spiel der Nebel, die den Berghang hinauf und herunter rollen, in dem leisen Seufzen und »Niesen«, mit dem das fließende Wasser unter der Brücke gleitet, in all den seltsam schaurigen Lauten der Nacht. Er fühlt sich umgeben von einer Welt gequälter Geister, und in der Einsamkeit, im wachen Traumzustande der einsamen Wanderung, wird ihm das Gefühl zum Erlebnis: der Ängstliche möchte dem Spuk entlaufen, aber da kommts hinter ihm drein und die grausige Angst legt sich ihm lastend auf die Schultern; der Betrunkene ruft dem Spuk ein höhnisches Wort zu, und wenn er dann am Morgen mit wüstem Kopf im Straßengraben oder auf freiem Feld erwacht, glaubt er sich von dem verspotteten Spuk bestraft; der Freundliche und Fromme aber hat Mitleid mit den friedlosen Seelen, er möchte sie gern erlösen und redet sie an, und wenn dann mit dem gesprochenen Wort das Grausen plötzlich schwindet, so weiß er, daß ihm die Erlösung gelungen ist; der Geistliche geht dem Gespenst mit kräftigen Segenssprüchen zu Leib und zwingt es so zur Ruhe.
Die Strafe der armen Seelen steht oft in enger Beziehung zu ihrem einstigen Verbrechen: der Grenzfrevler wandert die Grenze auf und ab und trägt den Markstein auf seiner Schulter, der unachtsame Hirt schleppt als ein zweiter Sisyphus die verfallene Kuh den steilen Berg hinauf, bis sie ihm von droben wieder hinunterrollt, der Mörder schreit in alle Ewigkeit den gellenden Todesschrei seines Opfers. Oft fehlt diese Beziehung aber auch: der büßende Geist geht einfach »spuken«, er springt dem Wanderer von hinten auf den Nacken und drückt ihn wie ein Alp, er poltert und wirft mit Steinen, oder er müht sich mit unlösbaren Aufgaben. Gelegentlich weiß man überhaupt nichts von einem Frevel und seiner Strafe, sondern nur: dort spukts, eine arme Seele geht um und macht sich bemerkbar, damit sie jemand erlöse.
Der Scheidegänger. Bei einer Grenzstreitigkeit zwischen Liepen und Hallalit in Mecklenburg erbot sich der Statthalter von Hallalit, die alte Grenze zu beschwören. Er hatte vorher seine Schuhe mit Erde vom Acker seines Herrn gefüllt und ging nun vorauf und sagte: »Ik ga up min Herrn sin Grund un Boddn.« Als er seine Schuh nachher wieder auszog, waren sie statt mit Erde mit Blut gefüllt. Da traf ihn der Schlag und er starb kurz darauf. Nach dem Tode aber wanderte er an der Grenze und rief: »Hir geit de richtig Scheid!«
Der Schöpfer. Zwischen zwei Gemeinden im Kanton Wallis gab es einmal Streit über die Weidegrenze, und da man sich anders nicht einigen konnte, mußte der alte Vorsteher der einen Gemeinde die Grenze beschwören. Da tat er sich Erde aus seinem Garten in die Schuhe und steckte einen Suppenschöpfer verborgen in seinen Hut. So stellte er sich im Angesicht der Richter auf den streitigen Boden und schwur: »So wahr ich den Schöpfer über meinem Haupte habe, stehe ich hier auf meiner Erde.« Die Richter nahmen den Schwur an und urteilten zugunsten seiner Gemeinde. Aber nach dem Tode des Meineidigen ging ein Gespenst voll Feuer auf dem Grenzlande hin und wider und noch vor wenigen Jahren soll es, besonders an den Seelentagen und zur Quatemberzeit, in seiner Feuergestalt gesehen worden sein.
Der Untergänger. Bei Bühl im Neckartale hörte man sonst oft in der Nacht einen Untergänger oder Feldrichter schreien. Er trug einen Markstein auf der Schulter und rief beständig: »Wo soll ich ihn hintun? Wo soll ich ihn hintun?« Einmal hat ihm einer zugerufen: »Narr, wo du ihn genommen hast!« Da sprach er: »Nun gottlob, jetzt bin ich erlöst,« und trug seinen Stein fort und seitdem hat man ihn nicht mehr gesehen noch gehört.
Der spukende Tabend. Auf dem Wege zwischen Neuenkirchen und Staven bei Neubrandenburg wanderte alle Abend von Neuenkirchen bis zum Kreuzweg bei Staven der Geist eines Mannes, der bei Lebzeiten vornehm und stolz war und statt »Guten Abend« immer nur »Tabend« gesagt hat. Deshalb mußte er auch nach seinem Tode jedem, der vorüberging, sein »Tabend« zurufen. Endlich hat ein Bauer aus Roga bei Friedland den Geist dadurch erlöst, daß er ihm auf seinen Gruß freundlich erwiderte: »Einen guten Abend beschert uns der liebe Gott.«
Das Niesen. 1. Unter einem Brücklein zwischen Baden und Scheuern hatten die Leute beim Drübergehen oftmals niesen gehört. Als es nun einmal ein Betrunkener, der von Scheuern kam, auch wieder hörte, rief er: »Helf Gott!« Da stand gleich eine schöne, glänzend weiße Frau vor ihm, die dankte ihm, er habe sie durch sein Helf Gott! erlöst, und darauf habe sie nun schon viele Jahre vergeblich gewartet. Dann bat sie ihn, seine Hand mit seinem Schnupftuche darin ihr herzureichen. Und als er das tat, legte die Frau ihre Hand auf das Tuch und verschwand. Wo ihre Hand gelegen hatte, war das Abbild einer Hand schwarz in das Tuch eingebrannt. Da konnte man sehen, daß die armen Seelen unaufhörlich wie Feuer brennen.
2. Drei Männer aus Krozingen in Baden gingen einst nachts von Staufen nach Haus. Im Hohlweg hörten sie zweimal stark niesen und jedesmal sagte der eine von ihnen: »Helf Gott!« Als es aber zum drittenmal nieste, sagte er: »Wenn dir Gott nicht hilft, so helf dir der Teufel!« Da rief eine klägliche Stimme: »Hättest du noch einmal Helf Gott gesagt, so wäre ich jetzt erlöst; nun aber bin ich ewig verdammt.«
Der Spuk bei Bargenstorf. Ein Bauer in der Gegend von Stargard fuhr eines Abends noch in die Stargarder Mühle und ließ Korn mahlen. Auf dem Heimwege singt er sein Abendlied: »Nun ruhen alle Wälder«. Bei der Stelle:
Mein Augen stehn verdrossen,
Im Hui sind sie geschlossen,
ist er gerade bei der Grenzbrücke vor der Bargenstorfer Mühle angekommen. Da singt eine Stimme dicht dabei weiter:
Wo bleibt dann Leib und Seel?
und dann ist es wieder still. Den Bauern überfällt eine namenlose Angst, er macht, daß er nach Hause kommt, und erzählt dem Pastor in Stargard, was er erlebt hat. Der gab ihm den Rat: wenn er wieder einmal des Weges fahre, solle er dieselben Worte singen, und wenn dann die Stimme wieder einfalle, ruhig das Lied zu Ende singen. – Bald darauf fuhr der Bauer wieder dort vorbei und sang sein Lied, und richtig fiel die Stimme wieder ein. Da sang der Bauer weiter:
Nimm sie zu deinen Gnaden,
Sei gut vor allem Schaden,
Du Aug und Wächter Israel.
Kaum hatte er geendet, da rief die Stimme: »Nun bin ich erlöst!« Seitdem hat man dort nie wieder etwas gehört.
Der Landmesser. In schwülen Sommernächten, besonders kurz vor Tagesanbruch, aber auch im Herbst am Abend, sieht man um Hohnstedt an der Leine oft ein gespenstiges Feuerwesen ruhlos durch die Feldmarken gehen; es trägt eine glühende Stange oder es wirft mit einer glühenden Kette. Das ist der glühende Mann oder »Landmesser«, den fast jeder schon einmal gesehen hat. Man hält ihn für einen Mann, der während seines Lebens falsch gemessen hat, die Grenzsteine verrückt, die Grenze falsch beschworen, Land abgepflügt oder sonst betrogen hat. – Eines Nachts begegnete er einem etwas angetrunkenen Bauern, das war unter dem Helgenholt am Hohnstedter Berg. Dem Bauern war gerade die Pfeife ausgegangen. Er bat also den feurigen Mann um etwas Feuer. Der Landmesser gab ihm auch Feuer. Da aber die Pfeife nicht gleich brennen wollte, fing der betrunkene Bauer an zu fluchen; in demselben Augenblick erhielt er aber eine so gewaltige Ohrfeige, daß er taumelte. Dann mußte er noch die ganze Nacht durch bis zum Morgen umherirren. Und als es Tag wurde, war er dicht vor dem Dorf.
Das Hoawief. Das Hoawief war eine alte, sehr böse Wirtschafterin auf dem Domänenhof Brüssow in der Uckermark. Sie erschlug einmal ein armes Mädchen, das sie beim Naschen ertappt hatte, mit ihrem Schlüsselbund. Dafür wurde sie gehangen und spukte nun nach ihrem Tode. Einmal waren im Brüssower Amtshaus zu einem Feste viele Gäste eingeladen, und weil am Abend das Wetter sehr unfreundlich war, mußten sie alle dort über Nacht bleiben. Betten waren nicht genug vorhanden; darum machte man eine große Streu. Als nun die Leute um Mitternacht auf der Streu lagen, kam das Hoawief, ergriff einen nach dem andern bei den Beinen und zog sämtliche Füße in eine Linie. Dann visierte sie die Linie hinunter und sagte: »Liek lank!« – Nun machte sie mit den Köpfen der Leute dasselbe, und weil da die Füße natürlich wieder aus der Richtung gekommen waren, mußte sie mit ihrer Arbeit wieder von vorne anfangen. Das trieb sie, bis ihre Zeit um war.
Das schreiende Ding in Oldenburg. Vor längerer Zeit kamen einmal zwei Strumpfhändler nach Holle. Der eine logierte in Schmers Hause (jetzt Brands Haus), der andere nebenan in Jan Klas Haus (jetzt Harm Hayes Haus). Als nun der in Schmers Haus sich zur Ruhe begeben hatte, schlich sich sein böser Wirt zu ihm und goß ihm geschmolzenes Blei in den Hals. Als sein Kamerad ihn am nächsten Morgen aufsuchte, fand er ihn tot. Man hatte Schmers sofort im Verdacht, er aber wollte nichts davon wissen und fluchte: »Wenn ich den Mord begangen habe, so will ich schreien bis an den jüngsten Tag.« Als Schmers kurz darauf starb, ging er alsbald wieder und zwar als »schreiend Ding«. Das schrie nun bald hier, bald dort, in Schmers Hause, auf der Landstraße, auf dem Fußweg, auf dem Rockenmoor, in der Heide, und oft so laut, daß die Bleifenster des Hauses klirrten, vor dem es gerade schrie. Es erschien als ein kleines Männchen mit grauer Jacke, einen Dreitimpen auf dem Kopf, an dem einen Fuß einen Holzschuh, an dem andern einen ledernen. – Eines Tages kam es mit einem Jäger auf dem Achterndiek zusammen und ging immer neben ihm her. Der Jäger wurde des widrigen Geschreies bald überdrüssig und schoß nach dem Ding; aber die Flinte versagte und nun trat es ganz nahe an ihn heran und schrie noch viel lauter und furchtbarer. Mehrere andere Leute in Holle und Oberhausen, die man zum Teil noch mit Namen zu nennen weiß, haben es ebenfalls gesehen und schreien hören, z. B. Hinrich Suhr in Oberhausen, der zur französischen Zeit sechzig bis siebzig Jahre alt gewesen sein soll. Der hat einmal in seinen jungen Jahren abends die Hirsche von seinem Rockenmoor verscheuchen wollen, die damals dort nicht selten die Felder heimsuchten, und hat dazu auf dem Moor ein Feuer angezündet. Da sah er das schreiende Ding deutlich neben sich hergehen und hörte es gleich darauf schreien. (»Dat hett he mi sülwst vertellt, un dat wull de ole Suhr woll nicht lögen.«) – Das Geschrei ist stets so eigentümlicher Art gewesen, daß es niemand und nichts hat nachmachen können, und deshalb ist ein Zweifel über den Ursprung des Geschreies nicht wohl möglich. – Im Schmersschen Hause trieb es neben seinem Schreien noch allerhand Unfug, so daß man zuletzt einen lutherischen Prediger aufforderte, es fortzuschaffen; aber der konnte es nicht. Da holte man einen katholischen Priester, und der bekam es durch Bannsprüche und geheime Künste in seine Gewalt. Er wollte es nun auf einem Wagen mit zwei Pferden in die Heide fahren lassen, aber die beiden Pferde blieben damit stecken. Da ließ er vier Pferde anspannen und die brachten den Wagen nur mit knapper Not vorwärts. Der Pater fuhr selbst mit; er befahl den Fuhrleuten aber, sich ja nicht umzusehen, sonst behalte er das Ding nicht in seiner Gewalt. Erst als sie eine Strecke weit gefahren waren, sagte der Pater: »Jetzt seht euch mal um.« Das taten die Fuhrleute, da brannte das schreiende Ding lichterloh, brannte zur Strafe wie ein Bund Stroh brennt, wenn man es anzündet. In der Heide setzte der Pater es ab und befahl ihm, die Heide hier zu zählen. Aber damit war es so schnell fertig, daß der Pater es bei seiner Rückfahrt auf Schmers Straße schon wieder fand, und zwar mit ausgespannten Beinen über die ganze Straße, von einem Weidenstamme bis zu dem gegenüber. Da brachte er es zum zweitenmal weg, und zwar nach der Sager Heide und gab ihm auf, die Heide dort zu zählen und immer wieder von vorne anzufangen, so oft es fertig sei. Seitdem ist es noch nicht wiedergekommen; aber es heißt: mit jedem Jahre komme es einen Hahnentritt näher an Sage heran, und wenn es dort ankomme, dann hätten wir den jüngsten Tag.
Der geistende Hirt. Auf dem Einödberge unweit der Mädelegabel stand einst ein Hirt im Dienst, der war sehr lässig und unachtsam, so daß ihm eines Tages eine Kuh verfiel. Anstatt sich nun dadurch warnen zu lassen, lachte der Hirt hell auf, als er die Kuh den steilen Abhang hinunterbocken und sich einmal ums andere überschlagen sah. Dafür hat er aber auch nach seinem Tode keine Ruhe gehabt und mußte als Geist die Kuh den steilen hohen Bergabhang mit unbeschreiblicher Anstrengung hinauf tragen und schleppen. Sobald er aber oben war, kam sie ihm aus und kollerte wieder hinab, und dann mußte er darob fürchterlich lachen, daß es weithin schallte. Dann sprang er wieder den Berg hinab, um die Kuh von neuem hinaufzuschleppen. So ging es in einem fort, und weil nun darob eine große Unruhe in die Alpe gebracht wurde, so wollte zuletzt kein Hirt mehr oben bleiben. Auch fing es in der Hütte an zu geisten, und darum ließ man endlich einen Kapuziner aus Immenstadt kommen, daß er den Geist verbanne. Nach langem Lesen und Benedizieren gelang es dem Pater auch, den Geist zu beschwören, der aber verlangte nun seinerseits, bevor man ihn verbanne, nach dem »Fürwitz«. Da überließ man ihm statt dessen eine alte Geiß, die hat er sogleich in Fetzen zerrissen. Darauf beschwor ihn der Kapuziner auf die wilden und unzugänglichen Schrofen der Trettachspitze. – Wer dieser »Fürwitz« eigentlich gewesen ist, nach dem der Geist verlangte, weiß man nicht. Aber einige meinen, das sei jedenfalls »Hatscherles Kaschpa« gewesen, denn der habe bei der Beschwörung verstohlen zugeschaut und sei auch sonst immer so siebengescheit gewesen, daß man ihn oft den »Fürwitz« geheißen habe.
Viele Tote sind auch verdammt, daß sie in Tiergestalt umgehn müssen. Das sind dann aber meistens nicht die kleinen Seelentiere des vorigen Kapitels, sondern allerlei große Gestalten in undeutlichen Umrissen, wie sie der Nacht und ihrer Nebelfinsternis enttauchen: ein kopfloses Pferd, ein dreibeiniger Hund mit tellergroßen Feueraugen, ein Riesenkalb, oder ein weißschimmerndes Lämmchen. Fast jedes deutsche Dorf hat so ein »Dorftier«, das dem Wanderer nachts am Weiher, im Hohlweg, am Waldrand oder im offenen Feld und Moor begegnet. Gerade bei diesen Tiergespenstern bleibt die Frage nach ihrer Vorgeschichte oft unbeantwortet: es wird schon irgend etwas dahinter sein, irgendein Mord oder sonst eine Freveltat; die Alten haben noch davon erzählt – heute sind die alten Geschichten vergessen.
Der Schuß in den Himmel. Der Herr von Reibold auf Polenz hat einmal bei einer lang anhaltenden Dürre mit seinem Jagdgewehr nach dem Himmel geschossen, um Gott zu bedrohen. Zur Strafe dafür ist er irrsinnig geworden und hat im Grabe selbst keine Ruhe. Nun geht er nächtlicherweile auf dem alten Gottesacker zu Neustadt im Meißener Hochland in Gestalt eines schwarzen Katers um und schreckt die Vorübergehenden.
Luxemburger Tiergespenster. 1. Am Brakenberg, auf der Strecke vom Greneschbirnbaum bis zum Kreuzweg unter Godendorf spukte früher ein kleiner weißer dreibeiniger Hund, das Brakenhündchen oder Eselshündchen. Sein Hauptaufenthalt war der Eselsborn. Er erschien anfangs als kleiner niedlicher Pudel, wurde aber allmählich immer größer, zuletzt so groß wie ein Pferd. Wer es ruhig neben sich herlaufen ließ, kam ungeschoren davon; wer es aber lockte oder reizte, dem sprang es auf den Rücken und ließ sich von ihm tragen und wurde dabei immer schwerer, so daß der Geplagte zuletzt kaum mehr weiter kam. – Ein Mann aus Edingen wollte nicht an das Eselshündchen glauben. »Pah!« sagte er, »dummes Weibergeschwätz! Ich bin schon zu jeder Nachtstunde am Eselsborn vorbeigegangen und noch ist mir kein Hündchen begegnet.« Aber einmal kam er in später Nacht von Ralingen her auf dem Brakenwege heim und hatte sich in Ralingen einen Rausch angetrunken. Als er am Eselsborn angekommen war, rief er übermütig: »Nun, wenn es einen Eselshund gibt, so mag er kommen!« Da näherte sich dem Mann auf einmal ein weißer Pudel, der wurde immer größer und größer und sprang ihm auf den Rücken und ließ sich von ihm tragen. Es war eine Last, daß der Mann bald in Schweiß gebadet war und kaum mehr fort konnte; und dabei nahm es mit jedem Schritt an Schwere zu. So mußte er ihn tragen bis an den Godendorfer Mühlenbach. Dort wurde er plötzlich mit furchtbarer Gewalt gerüttelt und durch die Hecken ins Wasser geschleudert; darauf erst verließ ihn das Gespenst: Von dem Schrecken war der Mann gleich, als er das Hündchen sah, wieder nüchtern geworden. Seit der Nacht wagte er es nicht mehr, in der Dunkelheit am Eselsborn vorbeizugehen.
2. Auf dem Marktplatz zu Remich war drei bis vier Jahre lang immer ein weißes Kaninchen zu sehen. Um das bildeten oft Männer, Frauen und Knaben einen großen Kreis, damit es ihnen nicht entgehen könne. Aber sobald jemand nach ihm griff, hielt er einen weißen Stein in den Händen. Einer ließ sich, als das Tier eben wieder sichtbar war, darauf fallen, um einen sicheren Fang zu tun. Da lag er auf einem dicken Stein.
Pölterken. In Siddinghausen bei Bühren ist ein Spukgeist, der heißt »dat stumpe Ding« oder auch »Pölterken«. Er erscheint nachts in Gestalt eines Esels mit tellergroßen Augen. Manchmal hält ihn jemand für einen wirklichen Esel und versucht ihn zu reiten; aber zu seinem großen Entsetzen fällt er hindurch, als wäre gar nichts da.
Das Gespensterroß. In der Stadt Sitten trieb sich einst allmitternächtlich ein dreibeiniges Roß unter klappernden Hufschlägen die Gassen auf und ab. Es hatte nur ein großes Auge mitten auf der Stirn. Eines Nachts wagte sich ein Bursche in tollem Übermut an das Roß heran und schwang sich darauf, um zu sehen, ob es nicht zum Reiten tauge. Eine Zeitlang ritt er ohne Not und triumphierend durch die Gassen, dann aber wurde das unheimliche Tier zusehends größer und höher, und plötzlich lenkte es mit seinem Reiter in die Kirchgasse ein und drückte den Burschen dort gegen den oberen Bogen. Am anderen Morgen haben sie ihn dort gefunden: zerquetscht und wie eine Bettdecke ausgespreitet. Das dreibeinige Roß ist seitdem nicht mehr erschienen.
Die Sagen von feurigen Spukerscheinungen entstammen von der einen Seite dem Glauben ans brennende Fegefeuer, von der anderen aber auch wirklichen Erlebnissen. Wer öfters nachts gewandert ist, der kennt den plötzlichen Schrecken, daß seitab neben dem Weg ein hohes stilles Feuer zu brennen scheint; es flackert nicht, es leuchtet nur still und weiß, aber es scheint sich mit den Schritten des Wanderers fortzubewegen: es geht scheinbar weit in der Ferne neben ihm her, aber wenn er dann darauf zugeht, so wird es mit jedem Schritt erschreckend größer, als komme es in Eile auf ihn zugerannt. Faßt er endlich herzhaft hinein, so steht er plötzlich still und ist ein modernder Pfahl von einem zerfallenen Weidegatter. Oft aber läßt es auch den Wanderer gar nicht erst an sich heran: er liegt schon vorher im Straßengraben.
Lichtspuk. 1. Im Schatzwäldchen bei Ettlingen in Baden zeigten sich öfters nachts einzelne Flammen und ein blaues Licht. Als ein Mann dies Licht von der Landstraße aus gesehen hatte, sagte er laut: »Wenn du doch da hüben wärest und mir leuchtetest.« Augenblicklich war das Licht bei ihm, faßte ihn an der Seite und warf ihn in den Straßengraben.
2. Ein Bauer von Langensteinbach in Baden, der nachts um zwei Uhr aus der Dietenhauser Mühle heimging, sah vom Dreieichenbuckel aus im fernen Felde jemand mit einem Lichte wandeln. Da dachte er: wenn doch der mit der Laterne bei mir wäre! und im Nu stand das Gespenst neben ihm und sprach: »Da bin ich, ich will dir leuchten.« Das tat es auch, führte den Bauern dabei aber so in der Irre umher, daß sie erst morgens um fünf Uhr an sein Haus kamen. Dort forderte der Geist für sein Leuchten ein Trinkgeld. Der Bauer gab ihm einen Groschen, und als er seine Hand dabei mit dem Finger berührte, zischte der augenblicklich in Rauch auf.
Der Welthund. Vor dem Tore von Alversdorf bei Schöningen in Braunschweig saß der Welthund auf einem Stein. Er lief auch in den Gassen des Dorfes umher und hatte Augen so groß wie eine Butterschwarbe. Auch auf dem Weg von Räbke nach Warberg bei Schöningen zeigte er sich, tat aber niemandem was, wenn man ihn nur zufrieden ließ. Eines Abends ging ein Mann dort in der Dunkelheit und wollte sich gerade eine Pfeife anstecken. Er hatte den Pinkeschwamm schon hergekriegt, da sah er am Boden Feuer. Da wollte er sich davon schnell was aufnehmen, aber er griff in die feurigen Augen eines großen Hundes, der ihm sofort an die Kehle sprang. Von dem Schrecken wurde der Mann so krank, daß er bald starb.
Alles was dem Wanderer des Nachts an Lichterscheinungen begegnen kann, faßt das Volk auch als eine eigene Geistergruppe zusammen: das sind die Irrlichter, Irrwische, Dickepoten oder wie sie sonst da und dort heißen. In dem als Knochen gefangenen Irrlicht haben wir deutlich das Phosphorlicht der Fäulnis; wenn aber die Irrlichter in Scharen die Luft durchschwirren, so sind es wohl die schwärmenden Johanniswürmchen der Sommernacht, oder es hüpfen wohl auch über dem Moor Flämmchen von leuchtendem Sumpfgas, oder elektrische Feuerzungen, dem Elmsfeuer verwandt, zeigen sich über Ried und Rohr. Die Naturwissenschaft ist über die Natur der »Irrlichter« noch nicht restlos klar; dem Volke sind sie die Seelen ungetaufter Kinder, die der Erlösung harren. Da aber die anerkannte Bosheit der Irrlichter, die den Menschen in Sumpf und Moor verlocken, mit dieser Erklärung nicht recht zusammenstimmen will, so gelten sie daneben auch für boshafte Kobolde, die keinen anderen Wunsch haben, als den Menschen zu necken, und die es sich deshalb gefallen lassen müssen, wenn sie ein Listigerer nun seinerseits verspottet.
Wie die Irrlichter einem Pfarrer leuchteten. Ein Pfarrer aus der Umgegend von Rauen bei Fürstenwalde fuhr einmal mit seinem Knecht spät abends nach Hause, und wie sie so eine Weile gefahren sind, wird's ganz lebendig um sie her von kleinen Lichtern, die tanzen lustig um den Wagen her. Da rief der Pfarrer: »Geht nur vorne vor die Pferde und leuchtet, ihr sollt auch ein Trinkgeld haben!« Da waren alle auf einmal vor dem Wagen und haben den beiden ihren Weg bis zum Dorfe gezeigt. Aber der Pfarrer hat auch sein Wort gehalten und ihnen ein Trinkgeld vom Wagen geworfen. Dann sind sie verschwunden.
Die Lüchtemännchen. Es war einmal ein Kuhhirt zu Ferchesar bei Rathenow. Der hatte mit seiner Herde in der Heide umhergetrieben und hatte auf dem Heimweg in der Dunkelheit eine Kuh verloren. Als er nun nach Hause kam, bemerkte er es und machte sich sofort auf die Suche. Er ging wieder in den Wald und suchte überall; aber er konnte sie nicht finden. Da setzte er sich endlich müde auf einen alten Baumstumpf und wollte sich eine Pfeife anzünden. Wie er nun da so sitzt, kommt auf einmal ein großes Heer von Lüchtemännchen, die tanzen wild um ihn herum, daß ihm ordentlich hätte bange werden können. Aber er war ein dreister Bursche: er blieb ruhig sitzen und stopfte sich seine Pfeife. Als er sie aber dann anzünden wollte, und Feuerstahl und Stein und Schwammbüchse hervorzog, da flogen sie ihm um den Kopf herum, daß er jeden Augenblick dachte, sie würden ihm die Haare versengen. Deshalb nahm er seinen Stock und schlug gewaltig um sich; aber je mehr er zuschlug, desto mehr Lüchtemännchen kamen, so daß er endlich zugriff, um einen zu fassen. Und da hatte er auf einmal einen Knochen in der Hand. Das mochte den anderen Haufen erschreckt haben, jedenfalls flogen sie weg. Der Kuhhirt steckte sich den Knochen in die Tasche, brannte seine Pfeife an und ging nach Hause. – Am anderen Morgen trieb er mit der Herde wieder hinaus und fand auch seine Kuh wieder. Als er aber abends nach Hause kam und es schon dunkel geworden war, da sah er ein paar Lichtchen vor seinem Fenster. Er glaubte, es wäre sein Nachbar mit der Laterne, deshalb machte er das Fenster auf und sah nun die ganze Dorfstraße voll Lüchtemännchen. Die kamen in gewaltigen Haufen dahergehüpft, wirbelten unruhig durcheinander und riesen: »Gibst du uns unsern Kameraden nicht heraus, so stecken wir dirs Haus an!« Da fiel ihm erst der Knochen wieder ein und er sagte: »Ach, so macht doch kein dumm Zeug, der Knochen kann doch euer Kamerad nicht sein!« Aber sie riefen nur immer lauter: »Gibst du unsern Kameraden nicht heraus, so stecken wir dirs Haus an!« Da dachte er, es könnte doch wohl Ernst werden, nahm den Knochen, legte ihn sich in die flache Hand und hielt ihn zum Fenster hinaus. Da war er gleich wieder ein hellflackerndes Lüchtemännchen und hüpfte davon und die andern alle umringten es wie im Jubel und hüpften und sprangen lustig mit ihm zum Dorf hinaus.
Das Irrlicht bei Wecker. Einem Schuster aus Biwer in Luxemburg, der den Tag über in Wecker arbeitete, begegnete jeden Abend auf dem Heimweg an der gleichen Stelle ein Irrlicht und suchte ihn in die Syr zu locken. Einmal nahm der Schuster einen schweren Stein mit; und als er eben über die Brücke gehen sollte und das Irrlicht wieder über dem Flusse schwebte, warf er den Stein hinunter ins Wasser. Das Irrlicht glaubte, da sei der Mann ins Wasser gefallen und klatschte vor Freude in die Hände. Der Schuster aber lachte es aus und ging seinen Weg.
Fluchen vertreibt die Irrlichter. 1. Die Irrlichter sind die Seelen der ungetauften Kinder, die nicht hinauf in den Himmel können. Betet der Mensch, wenn er sie sieht, so kommen sie ganz nahe heran; flucht er, so gehen sie fort. Als einmal ein Mensch von einem Irrlichte schon lange Zeit hin- und hergeführt war, verlor er endlich die Geduld und rief: »Donnerwetter, was bist du für ein dummes Ding!« Da war das Irrlicht gleich verschwunden.
2. Ein Schäfer ist einmal draußen in der Hürde, und wie er so in seinem Karren liegt, sieht er plötzlich einen Dickepot unter seiner Herde. Da fängt er in seiner Angst an zu beten, und je mehr er betet, desto näher kommt der Dickepot und zuletzt hüpft er gar aus den Karren hinauf. Da wird's dem Schäfer doch zu toll. Er fängt gewaltig an zu fluchen und augenblicklich ist der Dickepot verschwunden.
Irrwischtaufe. Auch in den Niederlanden gelten die Irrwische für die Seelen ungetaufter Kinder, die nicht in den Himmel kommen können und deshalb am Tage in Wäldern oder düsteren Öden verborgen ihr Los betrauern. Sehen sie abends jemanden, dann laufen sie auf ihn zu und wieder vor ihm her und möchten ihm den Weg zu irgendeinem Wassertümpel zeigen, damit er sie daraus taufe. Und das soll man auch nie versäumen. Denn die armen Tierchen müssen so lang in der Vorstadt des Paradieses sitzen, bis sich einer über sie erbarmt, und da haben sie keine Freude, und nichts, gar nichts. – Ein Mann kam einmal abends spät noch über Feld; er wollte von Molenbeek nach Gandeshoym zurück. Da kamen ihm auf einmal drei Stalligten (Irrlichter) zugelaufen, und weil er immer gewohnt war, solche Stalligten zu taufen, so sprach er hier, um in einemmal gleich alle drei zu erlösen: »Ich taufe euch im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.« Aber das bekam ihm übel. Denn im selben Augenblick sah er sich von mehr als tausend Irrlichtern umringt, die alle getauft sein wollten. Er taufte schon immerzu, aber der Zulauf nahm kein Ende und hörte nicht eher auf, als bis der Hahn krähte, so daß der Mann die ganze Nacht auf dem Felde bleiben mußte.
Diese letzten Geschichten von den Irrlichtern, die sich erlösungsbedürftig an den Betenden und zur Taufe drängen, sind ganz und gar aus christlichem Denken geboren: alle armen Seelen, die noch die Pein des Fegefeuers leiden, nicht nur die der ungetauften Kleinen, sind auf die Gebete der mitleidigen Lebenden angewiesen.
In die Kappe beten. Einem Hirtenbübl war es einsam auf den Höhen. Da haben ihm andere Hirten geraten, nur recht fleißig zu beten. Es hat sich kleine Hölzl gemacht, und allemal wenn es sein Vaterunser gebetet hat, warf es ein Hölzl in seine Kappe, die es neben sich gelegt hatte. Nachher schüttete es die Hölzl aus, um die Vaterunser zu zählen; da sind aber gleich die armen Seelen gekommen, haben die Vaterunser aufgeklaubt und sich schleunig mit durchgemacht. Ein Kapuziner ging vorüber, erfuhr davon und schenkte dem Bübl einen Betten (Rosenkranz). Jetzt nahm es den zum Beten, aber da blieben die armen Seelen weg. Nachher hat das Bübl den Rosenkranz verworfen und wieder in die Kappe gebetet, weil er das lieber mochte, wenn die armen Seelen kamen.
Damit sind wir vom Schicksal der einzelnen Seele, das sich je nach ihrem Vorleben individuell gestaltet, schon an die Frage herangekommen: was wird aus den Seelen der Toten in ihrer Gesamtheit oder wie die Frage heute meistens lautet:
Wo haben die armen Seelen ihr Fegfeuer?
1. Wenn an Winterabenden die Familie gemütlich in der warmen Stube zusammen sitzt, so läßt sich nicht selten ein jämmerliches Weinen, ein wunderliches Heulen oder Pfeifen hören. Eine alte unverheiratete Tante oder auch die Großmutter weiß die Sache zu deuten: »Das ist ein armes Seelchen, das dorthin gebannt ist und auf Erlösung harrt.« Alles schaut mißtrauisch nach dem Ofen oder woher sonst die Töne kommen. Wenn drei Vaterunser nicht genügen, werden sechs, neun usw. gebetet, bis das Geräusch aufhört. Dann ist die Seele erlöst. (Luxemburg.)
2. Ein Strohseil soll man nie unter das Vieh streuen, ohne den Knoten zu lösen, denn es gibt arme Seelen, die in dem Knoten ihr Fegefeuer haben. Einmal hat ein Mann in Oberanwen ein Strohseil, das ihm unter den Füßen lag, ausgehoben und den Knoten gelöst. Da schwebte eine arme Seele empor und sagte: »Gott sei Dank! Darauf habe ich schon lange gewartet. Nun bin ich erlöst.« (Luxemburg.)
3. Nach dem Kinderglauben ist das Knarren und Pfeifen großer Türen, besonders der Scheunentore, nichts anderes als das Ächzen und Stöhnen von armen Seelen, die da ihr Fegefeuer haben. Man soll sich also nicht auf solchen kreischenden Toren schaukeln. (Luxemburg.)
4. In Neustadt in der Oberpfalz blieb einmal eine Bäurin unter dem Gottesdienst zu Hause beim Kochen. Da warf es mit Schwefelhölzchen auf sie. Aber weil ihre Mutter unlängst gestorben war, nahm sie sich ein Herz und rief: »Wenn du meine Mutter bist, wirf noch einmal her!« Und gleich kam noch ein Hölzchen. Nun sprach sie die arme Seele an, und die sagte, sie sei ihre Mutter. Jetzt könne sie zwar noch nicht erlöst werden, aber die Hoffnung auf Erlösung habe sie. Sie leide gar vieles, besonders auf der Wagengeleise, wenn der Wagen stark beladen sei, und in den Türangeln, wenn der Bauer die Tür so arg zuschlage.
Der Schalbetgletscher. In der Schweiz heißt es, die armen Seelen hausten im Eis der Gletscher und hätten dort die grimmigste Kälte zu leiden. In Schalbetten zeigt man noch die Stelle, bis wo man den Gletscher einst schon zurückgebannt hatte. Aber da mußten die Gottesmänner von ihrem Werk ablassen, denn der Gletscher ist ganz voll armer Seelen, die darin ihre Abbüßung machen müssen, und wenn er noch kleiner geworden wäre, so hätten die armen Seelen darin nicht mehr Platz gehabt.
Solche Abbüßungen armer Seelen in Gletschern weiß die Sage überall im Oberwallis zu berichten und im Anschluß daran erzählen fromme Mütter dort ihren Kindern gern eine Geschichte, die in anderem Zusammenhang durch ganz Deutschland zu finden ist:
Vom Freudengesang einer armen Seele. Mitten in den wilden Bergen drinnen hörte einmal ein Gemsjäger einen wunderschönen Gesang. Er eilte den Klängen nach und fand eine arme Seele in großen Qualen. Da fragte er sie verwundert, warum sie in all ihrer Qual so fröhlich sei. Und die Seele antwortete: »Da muß ich wohl singen und mich herzlich freuen; mein Schutzengel hat mir soeben offenbart, ein liebes Vögelein hätte heute beim Aufpicken eines Tannenzapfen ein Samenkörnlein auf die Erde fallen lassen, das wird nun sprießen und zu einem Baum erwachsen. Aus dem Holz des Baumes aber wird man ein Särglein machen für ein unschuldiges Kind. Und wenn dies Kindlein stirbt,« so schloß sie singend, »dann werde ich, von allen Qualen frei, in den Himmel kommen.«