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So verschieden die Gestalten, die bisher an uns vorüberzogen, auch untereinander waren, sie hatten doch alle ein Gemeinsames: sie waren alle deutlich hervorgewachsen aus dem Glauben an die geheimnisvolle Natur des Menschen, des Lebenden und des Toten. – Bei den Wesen, die uns im folgenden, zweiten Hauptteil beschäftigen sollen, fehlt dieser Zusammenhang zum mindesten für das die Sagen erzählende Volk. Die Zwerge, die Kobolde, die Wald- und Wassergeister, all diese Wesen, mit denen die Volksphantasie die Welt um uns belebt, haben zwar alle mehr oder weniger menschenähnliche Gestalt, und auch was von ihnen erzählt wird, erinnert immer wieder gelegentlich an uns bereits bekannte Sagen; ihr eigentliches, charakteristisches Leben aber, das sie von den Gestalten des ersten Hauptteils und auch untereinander in ihren verschiedenen Gruppen deutlich unterscheidet, das haben sie aus ihrer verschiedenen Umgebung gesogen, aus der Landschaft, in der sie leben und deren Geheimnisse sie verkörpern.
Vom Volk der Zwerge, der Querxe oder Unterirdischen, weiß man vor allem im nördlichen Deutschland zu erzählen; hier sind die reichsten und ausführlichsten Zwergensagen zu Hause. Doch haben auch die Süddeutschen ihre Wichtel, Erdmännle, Norggen usw. und erzählen von ihren bald freundlichen, bald feindlichen Beziehungen zu den Menschen.
Die Vorstellung von den Zwergen ist überall etwa die gleiche: sie sind kleine Wesen, oft nur ellenhoch, oder so groß wie ein dreijähriges Kind, dabei aber meistens alt, mit einem dicken Kopf und faltigem Gesicht; die Männlein haben dazu meistens einen grauen Bart. Ihre Füße sind mißgestaltet und haben oft die Form von Gänse- oder Entenfüßen. Gekleidet sind die Zwerge gern in altmodische Tracht, oft auch nur notdürftig in Lumpen gehüllt oder völlig nackt; fast ausnahmslos aber wird von ihrem spitzen Hütlein berichtet, der »Nebelkappe«, die sie vor den Blicken der Menschen verbirgt. Denn für gewöhnlich sind sie unsichtbar; nur wenn sie irgendein Bedürfnis oder irgendeine boshafte Absicht dazu treibt, erscheinen sie den Menschen. Sie wohnen in der Erde, in Hügeln oder Felshöhlen, unter dem Acker oder auch unter den menschlichen Wohnungen; da drunten haben sie ihr Reich und ihr Leben ganz wie die Menschen, mit Schwangerschaft und Geburt, Kindtaufe, Alter und Tod; zuweilen leben sie sogar in einem geordneten Staat zusammen und ein König steht an ihrer Spitze. Der Charakter der Zwerge ist seltsam aus Gut und Bös gemischt: bald sind es freundliche Wesen, die den Menschen helfen, solange sie sich ihrer Hilfe wert zeigen, und die umgekehrt die ihnen geleisteten Dienste gut belohnen; bald sind sie voller Tücke und Hinterlist, meisterhafte Diebe und, besonders wenn es gilt eine Beleidigung zu rächen, zu jeder Grausamkeit fähig. – Wir wollen im Folgenden versuchen, die einzelnen Züge dieser Zwergenvorstellung, soweit es möglich ist, in ihrem Ursprung und ihrer Entwicklung zu begreifen.
Das unterirdische Zwergenreich, das gerne mit allem Glanz von Gold und Silber ausgestattet wird, entspricht durchaus dem Reich der Toten in ihrem Berg, das wir aus dem dritten Kapitel kennen; die zunächst folgenden Sagen sind am besten als eine gradlinige Weiterentwicklung der dort zuletzt behandelten Motive zu verstehen. Mehrfach begegnen wir bekannten Zügen: die Wöchnerin, die vor ihrem ersten Kirchgang aus dem Haus geht, ist dem Toten-, hier dem Zwergenreich verfallen. Die Speisenbeschränkung kehrt als Abneigung gegen alle irdische Speise wieder; der Besucher bringt einen Goldschatz aus dem Zwergenreich zurück; drei Tage unter den Zwergen sind nach menschlicher Zeitrechnung dreihundert Jahre.
Die Sgönaunken. Im Hüggel, einem Berge zwei Stunden von Osnabrück, zwischen Ohrbeck und Hagen, haben vor Alters Zwerge gewohnt; die nannte man Sgönaunken oder Sgönunken. Einmal kam eine Frau in Sterlebrink in die Wochen und ging aus, ehe sie ihren Kirchgang getan hatte. Da ist sie plötzlich in die Höhle im Hüggel geführt worden und hat dort Rüden säugen müssen und davon sind ihre Brüste so lang geworden: wie sie wieder herauskam, hat sie sie über die Schultern schlagen können. Bald darnach sind auch die Sgönaunken zu ihr gekommen und haben zwei Tonnen Butter von ihr verlangt und gesagt: wenn sie die nicht kriegten, so müßte sie täglich wieder in den Hüggel und Rüden säugen. Da hat sie eilig die Butter zur Höhle getragen, um nur von der furchtbaren Strafe los zu kommen.
Die Frau bei den Unterirdischen. In Sülsdorf an der Schönberg-Lübecker Chaussee war vor vielen Jahren ein Bauer, dessen Frau verschwand plötzlich, und es ging das Gerücht, die Unterirdischen hätten sie in ihre Berge geschleppt. Nach Jahren fuhr der Bauer einmal nach Lübeck. Und als er abends zurückkam, sah er seine Frau an einem Berge sitzen mit einem unterirdischen Kinde auf dem Schoß. Er hörte sie mit ihrer klaren schönen Stimme singen, wie sie so oft seine Kinder in Schlaf gesungen hatte, und daran erkannte er sie. Da rief er: »Moder, büst du hier?« und ging näher heran. Da sagte sie: »Vader, lat mi nu man hierbliwen, ik bün nu doch die Spis bi juch nich mir went!« Trotzdem zwang er sie, mit ihm zu kommen; aber sie ist bald darauf gestorben.
Die goldenen Äpfel. War einmal ein Mädchen in der Gegend von Barneize an der Aller, zu dem kam ein Unterirdischer und lud sie zu Gevatter und bestimmte ihr auch gleich Tag und Stunde, wo er sie abholen wollte. Das Mädchen wußte aber nicht, was es tun sollte, und ging darum zum Pastor. Der sagte ihr, sie solle nur erst zum Abendmahl gehn, dann könnte sie der Einladung ruhig folgen. Sie tat das auch, und als dann der bestimmte Tag da war, kam auch der Unterirdische und führte sie auf den Hof. Dort ging es dicht unter einem Apfelbaum hinab, und zwar war da eine schöne breite Treppe, auf der stiegen sie hinunter. Als sie aber unten ankamen, traten sie in einen schönen großen Garten, und da schien die Sonne fast noch schöner als hier oben und die Bäume blühten und daneben standen andere, die hingen voller Früchte, daß es nur so glitzerte. Da fragte der Unterirdische das Mädchen, ob es ihr hier gefiele, und sagte ihr, sie solle sich nur die Schürze von den Äpfeln vollfüllen. Das tat sie denn auch, und als sie dann Gevatter gestanden hatte und wieder hinaufkam ans Tageslicht, da waren die Äpfel von lauterem Golde. Von der Höhle unter dem Apfelbaum war aber nichts mehr zu sehen, und so oft sie auch später wieder hingegangen ist, nie hat sie sie wiedergefunden.
Das Mädchen im Zwergenberg. Am Schalksberg in Braunschweig fand einmal eine Dienstmagd beim Auskehren in ihrer Schaufel einen feinen Brief, in dem stand, sie solle doch morgen bei einem Zwergenkinde Gevatter stehn; es solle ihr Schade nicht sein. Sie wollte es nicht gerne tun; aber die Herrschaft sagte, sie dürfe es nicht abschlagen, denn sonst würde es ihr nicht gut gehn. So ging sie also in der Nacht, wie sie bestellt war, an den Schalksberg. Schlag zwölf tat er sich auf und sie ging hinein. Da war drinnen alles prächtig und glänzte von Gold und alle waren freundlich und gefällig gegen sie. Als sie dem Kinde einen Namen gegeben hatten, legten sie es in eine goldene Wiege und die Spielleute mußten so lange blasen, bis es wieder eingeschlafen war. Dann wurde gegessen und getrunken und auf einer großen Wiese bis zum nächsten Morgen gesungen und getanzt. Dann wollte das Mädchen wieder nach Hause; aber die Zwerge baten sie so lange, noch drei Tage da zu bleiben, bis sie einwilligte, und alle drei Tage war lauter Lust und Freude. Als sie endlich heimging, beschenkten die Zwerge sie reichlich und sagten, die goldene Wiege solle ihr für ewige Zeiten aufbewahrt bleiben. Dann öffneten sie den Berg und ließen sie hinaus und die Magd ging nach Hause. Aber wie sie dort ankam, war das Haus und alles ganz anders geworden während der drei Tage, und auch als die Menschen kamen, kannte sie keinen und alle staunten sie an. Nur ein alter Schäfer lebte noch in Gilde, der selber nicht wußte, wie alt er war, und kein Mensch wußte es. Der hörte von dem Mädchen und kam herüber und sagte, sein Großvater habe ihm erzählt: als dessen Vater klein war, sei ein Mädchen zu den Zwergen gegangen und nicht wieder gekommen; »es müssen etwa dreihundert Jahre sein«. In dem Augenblick war das Mädchen ein steinaltes Mütterchen geworden und fiel um und war tot. – Der Schalksberg ist jetzt fast ganz zerstört und die Zwerge sind fortgezogen; aber die Wiege haben sie mit Gold gefüllt zurückgelassen. Schon viele haben nach ihr gesucht und gegraben, aber keiner hat sie gefunden. Einst jedoch wird ein Schweinehirt, der letzte Verwandte der Magd, mit seiner Herde des Weges treiben; dann wird eine Sau die Wiege auswühlen und der Hirt wird für einen Teil des Goldes in Ettenbüttel eine Kirche bauen lassen mit einem Turm, der wird größer sein als der Andreasturm in Braunschweig, nämlich gerade so hoch als der Schalksberg früher gewesen ist. Die goldene Wiege wird er dem König schenken und mit dem übrigen Gelde gemächlich leben bis an seinen Tod.
Wie die Wöchnerin vor ihrer Aussegnung, so ist auch das Neugeborene so lange den Nachstellungen der Unterirdischen ausgesetzt, bis die Kirche es durch den Taufsegen in ihren Schutz nimmt. Die Zwerge trachten nämlich, so erklärt das Volk, nach den schönen großen Kindern der Menschen, um mit ihnen ihre eigene kleine Rasse aufzubessern. Sie stehlen sie nachts aus der Wiege und legen dafür einen der ihrigen als häßlichen »Wechselbalg« an ihre Stelle. Solche Sagen von Kinder stehlenden und vertauschenden Zwergen sind über ganz Nordeuropa verbreitet; sie geben immer wieder die oft sehr seltsamen Mittel an, mit denen man die Diebe zwang, das Gestohlene wiederzubringen. Auch von diesen Wechselbalgsagen hat Laistner es wahrscheinlich gemacht, daß sie auf ein Traumerlebnis zurückgehen, auf einen leicht erklärlichen Angsttraum der Wöchnerin, die ihr Kind gestohlen oder in einen häßlichen kleinen Unhold umgetauscht glaubt, bis sie es endlich beim Aufwachen glückselig wiederfindet. Genährt wurde der Glaube an solche Wechselbälge immer wieder durch allerlei Mißgeburten, rachitische Kinder, Wasserköpfe oder Kretins, von denen die unglücklichen Mütter nicht glauben mochten, daß sie ihre richtigen Kinder seien.
Ein Spukerlebnis. In Lanken bei Parchim lag mal eine Bäurin nachts mit ihrem kleinen Kind, das noch nicht getauft war, im Bett. Da der Mond schien, löschte sie das Licht aus. Da sah sie mit einem Mal, wie neben dem Glockengehäuse an der Tür eine ganz kleine Frau stand. Die kam ans Bett und faßte den Jungen und wollte ihn ihr wegnehmen. Die Bäurin hielt so fest sie konnte, aber die Kleine zog beinahe stärker als sie. Da rief die Bäurin ihren Mann, und als der Licht gemacht hatte, war die kleine Frau verschwunden.
Wechselbalgsagen. 1. Im Gemeinholz bei Scharzfeld am Harz, auf der sogenannten Sleie, ist die Zwerghöhle; da haben früher die Querge gewohnt. Sie stahlen Kinder, die von den Arbeitsleuten auf dem Feld in die Kiepe gesetzt waren, und setzten kleine Zwerge dafür hinein. Wenn dann die Mütter nachher zu ihren Kiepen gingen, um zu sehen, was ihre Kinder machten, so erblickten sie statt ihrer Zwergkinder. Wenn dann die Mütter laut schrien, so brachten die Zwerge die Kinder wieder und nahmen ihre Zwergkinder wieder mit.
2. Einer Frau in Jägerup bei Hadersleben war ihr Kind von den Unterirdischen vertauscht, die dort in den alten Gräbern wohnen. Da riet ihr eine kluge Nachbarin, den Backofen zu heizen und den Wechselbalg hineinzuschieben. Das tat die Frau auch, und als sie das Kind gerade auf das Backbrett setzte und in den heißen Ofen schieben wollte, da brachte eine Unterirdische das gestohlene Kind wieder und verlangte ihres dafür zurück: so schlecht hätte sie der Frau ihr Kind nicht gehalten.
3. Solange die Kinder noch nicht getauft sind, haben die »Ünnereerschen« Macht über sie und können sie vertauschen, wenn nicht Tag und Nacht Licht im Zimmer brennt. Das tun hier in Niederselk bei Schleswig noch viele Leute. Die Ünnereerschen tauschen das Kind um, wenn die Mutter eingeschlafen ist; dagegen hilft aber, wenn sie ein Stück Zeug von ihrem Mann an hat. – Nun war das aber doch mal so gekommen, daß die Ünnereerschen ein Kind umgetauscht hatten. Die Frau quälte sich mit dem Kind sieben Jahre lang: es wollte nicht wachsen und wollte nicht gehen, es lernte nicht sprechen und hatte einen großen dicken Kopf und lange Arme und war entsetzlich häßlich. Im siebten Jahre aber kam eine Gevatterin zu der Frau und gab ihr den Rat, sie solle ein Gänseei nehmen und darin überm Licht Bier brauen; dann würde sie sehen, ob es ein Ünnereerschen wäre oder nicht. Die Frau tat das: sie braute über einem Licht Bier in einem Gänseei, und wie das Kind das sah, das noch immer in der Wiege lag, sagte es:
Ick bün so olt
As Bernholt (Brennholz)
In den Wolt
Un heff nümmer so wat seen!
Da sagte die Mutter: »büst du so olt as Bernholt in den Wolt, so büst du nümmer min Kind nich«. Und damit ergriff sie ein Stück Holz und wollte den Wechselbalg schlagen. Da kam der alte Ünnereersche angelaufen und nahm das Kind aus der Wiege, und sagte: so wollte er sein Kind nicht mißhandeln lassen. Und da hat er ein großes, schönes Kind dafür hingebracht.
Das Verlangen der Zwerge nach menschlichen Frauen und Kindern äußert sich auch in regelrechter Liebschaft und Brautwerbung: ein Mädchen wird von einem Zwerg umworben und bedrängt, bis es ihr auf irgendeine listige oder glückliche Weise gelingt, den sorgfältig verschwiegenen Namen ihres Freiers zu erfahren. Dies Wissen gibt ihr dann auch über den Zwerg selber Gewalt: er muß von ihr ablassen und verschwindet. So erzählen es manche Märchen, wie das bekannte vom »Rumpelstilzchen«, aber auch als Sage findet sich dies Motiv hie und da in Deutschland:
Zwerg Doppeltürk. Ein vornehmer Zwerg aus der Greifswalder Gegend hatte sich einst in ein schönes Mädchen der Stadt verliebt und wollte sie durchaus zur Frau haben. Das Mädchen hatte aber einen großen Widerwillen gegen ihn, weil er so klein und garstig war. Da steckte er sich hinter ihren Vater und versprach ihm viel Geld und da mußte sie ihm zuletzt ihre Hand zusagen. Aber es wurde dabei ausgemacht: wenn es ihr gelinge, seinen Namen zu erfahren, so solle sie ihrer Zusage ledig sein und er von ihr abstehen müssen. – Lange Zeit kundschaftete das Mädchen vergebens; zuletzt half ihr der Zufall. Es fuhr nämlich in einer Nacht ein Fischhändler die Straße nach Greifswald und da sah er an einer Stelle viele Zwerge im Mondschein tanzen und springen. Da hielt er verwundert an und nun hörte er auf einmal, wie einer von den Zwergen in seiner Freude laut rief: »Wenn meine Braut wüßt, daß ich Doppeltürk heiße, sie nähme mich nicht!« Das erzählte der Fischhändler am andern Tag in Greifswald im Wirtshaus, und von der Wirtstochter hörte es die Braut. Die dachte sich gleich, das müsse ihr Liebhaber gewesen sein, und wie er wieder zu ihr kam, da nannte sie ihn Doppeltürk. Da verschwand der Zwerg in großem Ärger und die Liebschaft hatte ein Ende.
Das verliebte Pechmannl. In einem Dorfe Tirols hatte einst eine Magd eine Liebschaft mit einem kleinen Kerlchen, das kam immer abends zu ihr in den Stall, wenn sie das Vieh besorgte. Sie hatte auch nichts dagegen, wenn er ihr von Heiraten und Hochzeit sprach; nur wollte sie gerne wissen, wer er denn eigentlich sei und woher er komme. Aber das wollte er ihr durchaus nicht sagen. Da nahm sie einmal einen Knäuel Zwirn und steckte ihm den heimlich in den Sack, und wie er dann fortging, behielt sie das Ende des Fadens in der Hand und folgte ihm so. Sie brauchte aber nicht lange zu laufen, da hörte sie, wie der Kleine, der sich wohl ganz sicher fühlte, anfing zu singen:
Güngele spinn,
Haspele wind,
Ist guat, daß mein Braut nit weiß,
Daß i Klein Waldkügele heiß.
Als sie das gehört hatte, ging sie schnell heim und hatte nun keine Lust mehr zur Heirat; denn aus dem Lied hatte sie ihn als ein Pechmannl erkannt.
Was vom gewöhnlichen Tun und Treiben der Zwerge in ihrer unterirdischen Behausung erzählt wird, beruht vor allem auf der mythischen Erklärung bestimmter Naturvorgänge: wenn aus der frisch vom Pflug gebrochenen Ackerkrume der feuchte Nebelduft aufstieg, so war das Rauch aus der Küche der Zwerge, die unter dem Acker beim Backen oder Brauen waren; und das führte weiter zu Sagen vom Brot und Bier der Zwerge, mit dem sie die Menschen bei der Feldarbeit erquicken.
Das Zwergenfrühstück. Am Gallberge bei Plau in Mecklenburg pflügten zwei Knechte nebeneinander. Da sagte der eine: »Mir ist es, als röche es hier nach frischem Brot und Bier?« und der andere sagte: »Ja, mir kommts auch so vor; gewiß backen und brauen die Unterirdischen.« Da sagte der eine wieder: »Wenn sie uns nur etwas abgäben; ich hab solchen Hunger und solchen Durst!« Damit waren sie am Ende des Ackers angekommen, und wie sie eben umwenden wollen, sehen sie auf dem Rasen zwei blanke Krüge mit Bier stehen und zwei Stück Brot daneben. Erst erschraken sie wohl, aber dann langten sie zu und ließen sichs schmecken. Nachher füllte der erste Knecht zum Dank die leere Kanne mit Unrat; der andre schalt ihn deshalb und legte einen blanken Groschen in seine Kanne. Der eine ist dann auch gleich krank geworden und bald darnach gestorben.
Die Zwergenküche. In dem Küchenfelsen bei Oberbeuren in Baden hatten ehemals schöne Erdweiblein ihre Wohnung und Küche. Die lud einmal die Frau des Hauses, zu dem der Felsen gehörte, zum Essen ein, indem sie sagte:
Kommet her ihr Armen,
Esset auch von dem Warmen!
Da kamen die Erdweiblein zu ihr und ließen sich den frischen Zwiebelkuchen trefflich schmecken. Von nun an blieben sie mit den Leuten dieses Hauses in freundschaftlichem Verkehr. Wenn die Leute abends einen Teig einlegten, buken sie ihnen in der Nacht das Brot daraus und zur Arbeit auf dem Acker brachten sie ihnen aus ihrer eigenen Küche Essen. Die silbernen Geschirre und die silbernen Bestecke mußten die Leute immer wieder auf den Acker stellen, dann holten die Weiblein sie wieder zurück. Einmal aber behielt der Knecht eine von den Gabeln, und seitdem ließen sich die Weiblein nicht mehr blicken. Doch sah man noch manchmal den Rauch aus ihrer Küche aufsteigen.
Der Zwergenbecher. Ein Schäfer hütete in der Nähe der Rothenkirchener Berge auf Rügen. Er hatte schon oft von den Zwergen gehört, die in den Bergen wohnen sollten, und hätte schon lange gern einmal ihre Bekanntschaft gemacht. Da kam er eines Tages von ungefähr an einen Hügel, aus dem duftete ihm ein köstlicher Bratengeruch entgegen. Er war gerade sehr hungrig, und wie nun ein kleines Männchen kam und ihn einlud, mit hinunter zu kommen, ging er gerne mit. Da kam er in ein Zimmer, dessen Wände waren aus lauter Kristall und auf dem Tische stand ein großer Braten. Um den Tisch herum saßen lauter kleine Zwerge und ließen sichs gut schmecken. Sie luden ihn ein, auch mit zu essen; und als er satt war, reichte ihm einer der Zwerge einen wundervollen Becher mit Wein. Kaum hatte der Schäfer den in der Hand, da sprang er auf und lief mit ihm, was er laufen konnte. Aber ein Zwerg, der nur ein Bein hatte, lief hinter ihm her, um ihm den Becher wieder abzujagen, und die ganze übrige Schar der Zwerge rief:
Twebeen loop!
Eenbeen krigt di!
oder wie andere wollen:
Holl di in dat weeke Sand!
Eenbeen krigt di!
So jagten die beiden, bis der Schäfer schon gar nicht mehr weiter konnte. Da sah er zu seinem Glück einen hohen Zaun, über den schwang er sich gerade noch und damit war er gerettet. Denn über den Zaun konnte der Zwerg nicht hinüber. Der Becher wird bis auf den heutigen Tag in der Rambiner Kirche aufbewahrt.
In diesen Sagen hört der einsam pflügende Knecht mehrmals zunächst nur ein unterirdisches Geräusch; es klingt ihm wie das Auskratzen einer Backmulde oder wie der Lärm von Hieb und Schlag und diese seltsamen Laute versetzen ihn in die erwartungsvolle Stimmung, die das Sagenerlebnis vorbereitet. Noch deutlicher sind derartige Geräusche der Anlaß zu der Vorstellung gewesen, daß die Zwerge schmieden. Als Unterirdische und damit als Herren der metallischen Schätze, die in der Erde ruhen, mußten sie überdies zu einem solchen Handwerk besonders geeignet erscheinen.
Die unterirdischen Schmiede. 1. Im Gute Dollrott in Angeln ist ein Hügel, wenn man sich auf dem schlafen legt, hört man drunten die Geister arbeiten. Ebenso kann mans in dem großen Struckberg bei Heiligenhafen zu gewissen Zeiten, wenn man das Ohr darauf legt, hämmern und pochen hören wie in einer Schmiede.
2. Ein Mann ritt eines Morgens bei den Dreibergen am Wege von Apenrade nach Jordkirch vorbei. Da hörte er in einem der Berge schmieden. Er rief laut, man möchte ihm doch ein Häckerlingsmesser machen und ritt weiter. Abends als er wieder zurückkam, fand er außen am Hügel wirklich ein nagelneues Messer liegen. Nun legte er soviel Geld dafür hin, als der gewöhnliche Preis ist, und nahm das Messer mit. Da zeigte es sich, daß es von ganz vorzüglicher Schärfe und Tauglichkeit war. Aber die Wunden, die damit geschnitten wurden, waren unheilbar.
3. Von den Sgönaunken im Hüggel erzählt man auch, daß sie den Bewohnern der Umgegend allerhand Geräte geschmiedet hätten. Dabei blieben sie aber immer unsichtbar, und wer etwas von ihnen wollte, hat seine Bestellung auf einen Zettel schreiben und den Zettel auf einen Tisch legen müssen, der gerade vor ihrer Höhle stand. Ist er dann am andern Tage wiedergekommen, so hat das bestellte Gerät dagelegen und dabei ein Zettel mit dem Preis, den die Sgönaunken dafür verlangten. Das Geld, hat der Besteller dann daneben legen müssen. – So hat vor langen Jahren einmal der Hüggelmeier bei den Sgönaunken ein Pflugeisen bestellt, und wie er nun am andern Tag hinkommt, und es fertig findet, und auch den Zettel mit dem Preis dabei, da setzt er sich in seinem Übermut auf den Tisch und »maket sin behoves« darauf statt der Bezahlung. Darnach machte er sich eilig mit dem Pferd davon und das war sein Glück. Denn nun kam es in der Gestalt eines glühenden Rades oder wie andre sagen, als ein glühendes Pflugeisen hinter ihm her. Er erreichte nur gerade noch seinen Hof und war eben unter Dach, da schoß das glühende Eisen in den Torpfosten, so daß die Stelle noch lange sichtbar blieb, wo es das Holz versengt hatte. Als er aber drinnen war, hat eine Stimme geschrien: das solle der neunte Hüggelmeier noch entgelten! Und so ists auch gekommen; ein Unglück nach dem andern hat die Wirtschaft des Hüggelmeier und seiner Nachkommen befallen. Aber jetzt müssen sie wohl über den neunten hinaus sein; denn jetzt geht es ihnen wieder gut.
Die schmiedekundigen Zwerge haben in ihrer Wohnung allerlei vortreffliches Geschirr, Kessel und Pfannen, das leihen sie den Menschen, so oft sie darum gebeten werden; aber auch das Umgekehrte wird erzählt: daß sie sich in den Dörfern die Gerätschaften borgen, deren sie bedürfen, so daß ein regelrechter Leih- und Tauschverkehr entsteht. Bei andern wechselseitigen kleinen Diensten gibt es geregelte Bezahlung; auch Geld leihen die Zwerge gelegentlich den Menschen aus ihrer reichen unterirdischen Schatzkammer.
Vom Leihverkehr zwischen Menschen und Zwergen. 1. Die Unterirdischen im Berg bei Teschow in Mecklenburg hatten einen großen Kessel, und wenn die Teschower den nötig hatten, dann gingen sie hin und riefen: »Unnererdske, leent mi jugen Ketel!« Dann ging der Mensch ein wenig weg, und wenn er dann wieder kam, so stand der große Kessel da. Und wenn er ihn gebraucht hatte, brachte er ihn wieder und setzte ihn mit einem kleinen Geschenk an die Stelle hin, wo er ihn weggenommen hatte, und rief: »Unnererdske, ick bring juch jugen Ketel wedder un dank ok« und dann ging er seinen Weg.
2. Auch in Stralendörp bei Parchim wohnten früher die Unterirdischen. Sie liehen sich oft was von den Bauern, namentlich den Backeltrog und brachten ihn nach ein paar Tagen wieder, mit einem Brote drin, das war viel schöner, als es die Bäcker im Dorfe backen.
Zwerg Anton. Bei Alverdissen im Lippeschen liegt ein kleiner Busch, der hieß früher die Helle, aber jetzt heißt er der Küsterbusch; in dem haben früher unter einem Stein Zwerge gewohnt. Da ist auch einmal ein Mann gewesen, der sollte 200 Taler bezahlen, die er sich geliehen hatte, und konnte es nicht. Da ist er traurig hinausgegangen, und wie er so geht, steht auf einmal ein Zwerg vor ihm, der fragt, was ihm denn fehlt. Da erzählt er ihm alles und der Zwerg sagt, er solle nur mitkommen. Darauf sind sie zum Stein in der Helle gegangen, und der Zwerg ist darin verschwunden, aber bald nachher ist er mit 200 Talern wieder herausgekommen; die hat er dem Mann gegeben und hat gesagt: »Ich leihe sie dir; aber übers Jahr auf Tag und Stunde muß ich sie wieder haben. Dann komm nur her und rufe: Anton! so komme ich und nehme sie dir ab.« Der Mann ist vergnügt nach Hause gegangen und hat sich nach Jahresfrist auch zur rechten Zeit wieder eingefunden, aber eine ganze Zeit hat er vergeblich gerufen. Endlich ist ein anderer Zwerg aus dem Stein gekommen, der hat ihm gesagt: »Anton ist tot. Geh nur ruhig heim und behalte das Geld.«
Noch enger wird der Verkehr zwischen Mensch und Zwerg, wenn der einzelne Zwerg beim Bauern dauernd in Dienst tritt. Er hilft ihm in der Küche, beim Kochen und Backen, oder auch im Stall und in der Werkstatt bei den verschiedenen Hantierungen und erscheint dann fast wie ein Kobold; vor allem aber hütet er ihm das Vieh und führt es auf die besten Weideplätze. Doch kann ein solcher Zwergenknecht es durchaus nicht vertragen, für seine Dienste belohnt zu werden; und da sein Dienstherr jedesmal zuletzt auf den unglücklichen Gedanken kommt, ihm für sein arg zerlumptes Kleid ein neues machen zu lassen, und es an bestimmter Stelle heimlich für ihn hinzulegen, so ist die Herrlichkeit stets eines schönen Tages plötzlich zu Ende: der Zwerg verschwindet und kommt nicht wieder. Warum ihn die Belohnung vertreibt, wird in den Sagen sehr verschieden angegeben: das eine Mal bricht der Zwerg in bittere Klagen aus, er fühlt sich ausgelohnt und sieht in dem Geschenk einen Wink, man brauche seine Dienste nicht länger; oder es gefällt ihm irgend etwas an dem neuen Kleide nicht, die rote Farbe oder daß die Knöpfe daran fehlen; in andern Sagen wieder ist der Zwerg in seinem neuen Röcklein zu stolz, um noch länger im Menschendienst zu arbeiten; oder es heißt auch, der Zwerg sei eigentlich eine verdammte Seele, und wenn es ihm gelänge, irgendwo ein ganzes Jahr ohne Lohn zu dienen, so sei er erlöst. Ursprünglich handelt es sich wohl um ein altes Abwehropfer, das den unheimlichen Gast vertreibt; doch ist diese Auffassung aus unsern Sagen nicht mehr zu belegen.
Ein Erdmännle will keinen Lohn. Nach Mittelstadt am Neckar kam lange Zeit ein Erdmännle in ein Haus und tat mancherlei Arbeit für die Hausbewohner. Insbesondere backte es regelmäßig das Brot. Man brauchte nur abends das Mehl in die Backmulde zu schütten, so fand man gewiß am andern Morgen die Brote fertig. Da meinte der Hausherr endlich, er könne die Arbeit von dem Erdmännle nicht mehr so umsonst hinnehmen und fragte es deshalb, was er ihm schuldig sei. Da sprach das Erdmännle: »Hinnen fitsch und hinnen fätsch – das ist mein Lohn!« und kam nie wieder.
Von ausgelohnten Zwergen. 1. Hinter dem Buchwald, dreiviertel Stunden von Dornhan in Württemberg, liegt der Spaltberg, der hat seinen Namen von einer Felsspalte, die den Eingang zur Wohnung der »Erdemännle« bildet. Die Erdemännle, die hier hausten, waren ganz kleine Leute, etwa zwei bis drittehalb Schuh hoch, und waren verheiratet mit ebenso kleinen Erdweiblein und hatten auch Kinder miteinander. Des Nachts gingen sie zu den Menschen in die Häuser und kehrten die Stuben aus und fütterten und melkten das Vieh; besonders gern kamen sie, wenn man backen wollte, und machten die Brotlaibe. Zu Dornhan kamen sie regelmäßig in das Haus des Breitebauern und schafften bei Nacht alles fertig, was zu tun war. Weil sie aber immer ganz zerlumpt daher kamen, ließ der Breitebauer ihnen einmal neue Kleider machen und hängte die zum Fenster hinaus. Da nahmen sie die Kleider und weinten und sprachen: »wenn man jemand auszahlt, so muß er gehen«. Und seitdem sind sie nicht wieder gekommen.
2. Imest heißt eine Alm in Pfelders, die den Pillern gehört. Dort hütete ein Mann aus Pill seine Kühe. Da kam öfters ein Nörglein, das war nur drei Spannen hoch; es molk die Kühe und trug den Mist aus, reinigte das Vieh und trieb es auf die Weide; besonders trieb es die Schweine mit großer Leichtigkeit den steilen Berg hinan. Wenn es dann zurückkam, aß es mit so großer Lust das Rahmmus, daß ihm das Schmalz von beiden Seiten des Mundes herabrann. Das Männlein war aber sehr schlecht angezogen und mußte sich, wenn Leute kamen, zusammenkauern, um seine Blöße zu verdecken. Deshalb versprachen ihm die Bauern ein neues Gewand und darüber zeigte es sich sehr erfreut. Sie ließen ihm auch wirklich ein Röcklein machen, und zwar ein ganz rotes, denn sie meinten, das würde ihm am besten gefallen. Aber als das Nörglein das rote Gewand sah, wurde es ganz traurig und sprach:
I soll nur haben grün und graues Gwand,
Das rote macht mi wandern über Land!
und damit eilte es den Berg hinan und ist nie wieder gesehen worden.
3. Bei Iserlohn siedelte sich einst ein sehr zerlumpt aussehendes Erdmännchen in einem Schleifkotten an und schliff dort allnächtlich Messer oder was es sonst gerade zu schleifen gab. Der Besitzer des Kottens belauerte es einmal um Mitternacht und sah ihm zu, und weil ihn das Männlein in seinem lumpigen Anzug dauert, läßt er ihm einen hübschen grauen Anzug machen, hängt ihn in den Kotten und legt sich abermals zum Lauern auf den Balken. Um 12 Uhr kommt das Männchen und findet den Anzug und bewundert ihn eine Zeitlang. Dann zieht er ihn an, und wie er ihm richtig paßt, tanzt er durch den Kotten und ruft: »Hm, soll der Junker schleifen?« Bald nachher ist er abgezogen und hat sich nie wieder sehen lassen.
Wie die Zwerge zu ihren Enten- und Gänsefüßen kommen, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Jedenfalls ist es eine alte und auch über Deutschlands Grenzen hinaus verbreitete Vorstellung, daß übernatürliche Wesen irgendwie häßliche Füße haben, die ihre Natur verraten. Vielleicht kommt der platte breite Fuß ursprünglich dem Alp zu, der des Nachts den Schläfer vertritt; wenigstens nennt man noch heute in Schwaben Steine, auf denen eine Figur wie eine ausgespreizte Hand zu sehen ist, »Schrettelesfüße« und auch der oben besprochene fünf-, sechs- oder siebeneckige Trudenfuß weist auf die gleiche Vorstellung.
Vo de Härdmändele uf der Ramsflue. Hinder der Ärlisbacher Egg, zwüschenem Dörfle Hard und dem alte Lorenzekapällele, stoht im ene Täle so ganz eleigge e grüsle verträite Flue. Se sägere d'Ramsflue. Uf der hindere Site isch se hohl, und d'Höhle het numme e chline Igang. Do sind denn emol, me weiß nid äxact i welle Johrgänge, so rarige Mändle gsi, die sind i, die Höhle us und i gange, hand ganz e so es eiges Läbe gfüert, und en apartige Hushaltig, und sind ganz bsundrig derhär cho, so wärklich gstaltet, und mit eim Wort, es isch halt kei Mönsch usene cho, wer se denn au seige, wohär se cho seige und was se tribe. – Amenim Winter, wenn alles Stei und Bei gfore gsi isch, sind die Mändle is oberst Hus cho z'Ärlisbach: se händs halt gar guet chönne mit dene Lüte, wo dert gwohnt händ, und sind ame durt d'Nacht ufem Ofe gläge, und am Morge vor Tag händ se se wieder drus gmacht. Was aber gar gspässig gsi isch, sie händ ere Füeßli nie vüre glo, händ es scharlachrots Mäntele träit, vom Hals bis ufe Bode nabe. – Jetzt hets im Dorf so gwunderige Meitle und Buebe gha, die sind einisch z'Nacht vor das Hus go gen Äsche streue, daß se gsäche, was de Härdmändle für Füeßle hebe. Und was hend se gfunde? 'S isch frile wunderle: Änte- und Geißfüeß sind in der Asche abdrückt gsi. Aber vo sälber Stund a isch keis Mandle meh cho und se sind au nümme uf der Ramsflue blibe; i d'Kräche händ se se verschloffe, tief i d' Geißflue hindere, und händ leis Zeiche meh von ene ge, und chöme nümme, solang d'Lüt eso boshaft sind.
König Volmar. Auf dem Hardenstein an der Ruhr hat sich in alter Zeit ein Zwergenkönig namens Volmar aufgehalten; das war damals, als dort ein Neveling Hardenberg wohnte. Der Volmar soll in einer Kammer gewohnt haben, die noch lange nachher Volmarskammer geheißen hat. Man erzählt auch, daß er um Nevelings Schwester gefreit habe und er sei immer unsichtbar gewesen. Man habe wohl seine Stimme und seine Tritte gehört, aber ihn nie gesehen. Nun ist einmal ein neugieriger Küchenjunge auf dem Schloß gewesen, der hat gern Volmars Spur sehen wollen und hat darum Asche gestreut. Aber das ist ihm übel bekommen. Denn als der Koch am andern Morgen in die Küche gekommen ist, hat er ihn mit umgedrehtem Genick am Bratspieß steckend gefunden.
Von den Nebelkappen, mit denen sich die Zwerge unsichtbar machen, verrät schon der Name, woher sie stammen. Er erzählt uns sogar noch mehr. »Kappe« bedeutet nämlich in der älteren deutschen Sprache nicht die Kopfbedeckung, sondern einen Kapuzenmantel, der den ganzen Menschen umhüllt. Die älteste Vorstellung von der Nebel-, Hehl- oder Tarnkappe war also, daß die Zwerge, wenn sie aus ihrer unterirdischen Wohnung herauskommen, sich ganz in einen Mantel von Nebel hüllen, der sie vom Kopf bis zu den Zehen verschwinden läßt. Als das Wort Kappe dann seine heutige Bedeutung bekam, wurde auch die Nebelkappe der Zwerge zu einer bloßen Kopfbedeckung, die nun auch als Hut, Wünschelhut oder Zwerghütel bezeichnet wurde. Dieser Kappen bedienen sich die Zwerge gern, um ungesehen an den Festen der Menschen teilnehmen zu können, auch leihen sie sie zu dem gleichen Zweck gelegentlich einem Menschen, der dadurch ebenfalls unsichtbar wird; vor allem aber dienen sie ihnen, wenn sie sich in den Speisekammern der Menschen oder in ihren Scheunen und Feldern gütlich tun. Gelingt es nun dem Bestohlenen, einem von ihnen die Kappe abzuschlagen, so steht der Zwerg plötzlich sichtbar da und muß seine Dieberei mit hohem Lösegeld büßen.
Die Zwerge auf der Hochzeit. Mal ist wo eine Hochzeit, da wird Essen aufgetragen in Hülle und Fülle; aber kaum ists aufgetragen, so ists auch immer schon wieder fort. Braut und Bräutigam sehn sich verwundert an und stecken die Köpfe zusammen, aber sie beschließen, den Gästen vorzusetzen, solange sie nur irgend etwas haben; denn es darf doch niemand mit hungrigem Magen davongehen. So tun sie denn auch und setzen vor, was sie haben. – Als es dann aber zur Gifte geht, da nahmen die Zwerge ihre Hüte ab und da zeigte sichs wohl, warum das Essen immer so schnell verschwunden war; denn die ganze Stube war voll von Zwergen. Aber hatten sie essen helfen, so halfen sie nun auch giften: jeder von ihnen legte ein Goldstück in den Korb und der Korb war kaum groß genug, den Reichtum zu fassen.
Das verbotene Lachen. Einmal waren mehrere Holzhacker beisammen. Von denen bekam der eine Durst und ging zur nächsten Quelle trinken. Da kam ein Venusmännchen zu ihm und bat ihn um einen Trunk. Der Holzhacker gab ihm, und das Venusmännchen trank und sagte dann zu ihm: »Wie soll ich dich dafür belohnen? Komm mit mir zur Ponsdorfer Hochzeit.« Der Mann erwiderte: »Wie soll ich da hingehen; ich bin ja doch ganz fremd.« Das Venusmännchen sagte: »Dafür laß mich sorgen. Nimm diese Kappe, damit kannst du dich unsichtbar machen, aber sieh dich vor, daß du dabei nicht lachst.« Dann gingen sie zusammen ins Hochzeitshaus und stellten sich unsichtbar an die Stubentür, und von jeder Speise, die an ihnen vorbeigetragen wurde, nahmen sie sich etwas und atzen, so daß die Gäste zuletzt anfingen stutzig zu werden, weil alle Schüsseln halb leer auf den Tisch kamen. Als der Holzhacker ihr Erstaunen sah, entfuhr ihm ein Lachen. Da stand er auf einmal sichtbar da; das Venusmännchen hatte ihm die Kappe vom Kopf gerissen. Und weil er noch etwas von dem gestohlenen Essen in der Hand hielt, mußte er sich eine tüchtige Tracht Prügel gefallen lassen.
Die Erbsendiebe. 1. Auf Schweckhausen in Westfalen haben einmal zwei Drescher in der Scheune Erbsen gedroschen. Wie sie nun die Erbsen auf den Wurfhaufen gebracht hatten, und mit Werfen bald fertig gewesen sind, haben sie doch noch immer keine Erbsen auf der Scheune gehabt. »Nein,« sagte der eine, »das geht nicht mit rechten Dingen zu,« und wirft ganz verdrießlich seine Wurfschaufel auf die Scheune hinauf. In demselben Augenblick sieht er da auch einen Zwerg stehen, der hat einen Sack neben sich und sammelt alle Erbsen darein. Da hatte der Drescher dem Zwerg seine Nebelkappe abgeworfen und davon war er sichtbar geworden. Nun ist der Knecht schnell hingelaufen und hat die Nebelkappe aufgenommen. Da hat sich der Zwerg geschwind davon machen müssen und hat den Sack und die Erbsen müssen stehen lassen. Der Knecht hat die Nebelkappe dem Herrn auf Schweckhausen gebracht und da wird sie noch heute gut aufbewahrt.
2. Vor langer Zeit wohnte im Hütteberg bei Dorste im Hannöverschen, in dem man noch die Zwerghöhlen sehen kann, ein Zwergkönig mit seinem Volk. Das waren aber von den bösen Zwergen, die die Menschen ängstigen und ihnen schaden. Sie raubten junge Mädchen oder kleine Kinder und besonders in den Feldern richteten sie großen Schaden an. Nun hatte ein Bauer nahe dem Hütteberg ein schönes Erbsenfeld; in dem fand er immer wieder die Schoten ausgeschält und die Halme zertreten, und so sehr er sich auch Mühe gab, konnte er doch nie die Täter ertappen. Da klagte er einem alten Bauern sein Leid und der gab ihm auch einen guten Rat. Er sagte nämlich, er solle nur einmal mit seinen Knechten nach dem Erbsenacker gehen und dann mit langen Ruten darüber hin und her schlagen. Da wären sicher die Zwerge drauf und die hätten Wünschelhüte auf, darum könnte man sie nicht sehen; mit den Ruten würde er aber sicher einem von ihnen den Hut abschlagen und dann könnte er ihn fangen. – Der Bauer kam also leise mit seinen Leuten bei dem Acker angeschlichen. Er hörte es zwischen den Erbsenstauden rauschen, wie wenn ein Tier darin wirtschaftete. Da fing er nun mit seinen Knechten an und schlug mit den Ruten über die Erbsen hin und her; und es dauerte auch nicht lange, so stand ein Zwerg sichtbar da. Den fingen sie und nun flehte er den Bauern an, er sollte ihn wieder loslassen, er wolle ihm auch einen ganzen Wagen voll Gold geben; nur müsse der Bauer dazu vor Sonnenaufgang vor seine Höhle kommen. Der Bauer ließ sich erbitten und gab den Zwerg frei, nachdem er sich von ihm noch hatte sagen lassen, wo seine Höhle wäre. Um jedoch vor Betrug ganz sicher zu sein, erkundigte er sich vorher noch, wann denn die Sonne bei den Zwergen aufgehe, und erfuhr: mit dem Glockenschlage zwölf. Da spannte er seinen Wagen an und fuhr vor Mitternacht vor die Höhle. Da hörte er sie drinnen singen:
Dat is gaut,
Dat is gaut,
Dat de Buerken dat nich weit,
Dat de Sunne ümm twölf up zeit!
Aber der Bauer meldete sich, und nun zeigten ihm die Zwerge ein abgehäutetes Pferd, das solle er nur mitnehmen; weiter könnten sie ihm nichts geben. Darüber wurde der Bauer sehr ärgerlich; aber er wollte doch wenigstens für seine Hunde ein Stück Fleisch mitnehmen und hieb sich darum von dem Pferd tüchtig was ab und band es auf den Wagen. Und als er damit nach Hause kam, da war alles gediegenes Gold. Da fuhr er gleich noch einmal hin, um den Rest nachzuholen, aber Pferd und Höhle waren verschwunden.
Daß hier die ganze Zwergenhöhle verschwindet, erinnert an die Sagen vom Totenberg, dessen Eingang bei einem zweiten Besuch auch nirgends mehr zu finden ist; und ganz ähnlich wie dort manchmal ein plötzlicher Feuerschein den Besucher zum Umschauen oder zum Aufschrei veranlaßt und damit das ganze Sagenerlebnis endet, so haben auch die Zwerge die Macht, im Augenblick der Gefahr ihrem Feinde irgendein Trugbild vorzuzaubern. Der Mensch, der sie bedrohte, läuft erschreckt fort oder er schaut sich um, und damit ist der Zwerg gerettet.
Die Önnerbänkissen auf Amrum. Die Önnerbänkissen auf Amrum haben besonders in Fögedshoog bei den Dünen ihr Wesen. Da hat man sie abends im Mondenschein rings herum tanzen und bei Tage ihre Wäsche darauf ausbreiten sehen. Auf dem Wasser Merum haben sie im Winter auch Schlittschuh gelaufen. Einmal wollte einer im Übermut ihre Wohnung zerstören. Er grub tief in den Hügel hinein und glaubte schon die Kammern der Önnerbänkissen gefunden zu haben, da sah er zu seinem Schrecken, daß sein eigenes Haus in Flammen stand. Schnell warf er Spaten und Hacke fort und lief dem Dorfe zu. Da fand er, daß es nur eine Täuschung war. Doch den Schrecken ließ er sich zur Lehre dienen, und niemand hat seit der Zeit die Önnerbänkissen im Fögedshoog wieder beunruhigt.
Zwergenlist. Bei Holtensen in der Gegend von Pyrmont gibts auch Zwerge. Da kommt mal einer an einem solchen Zwergloch vorbei und sieht da einen Zwerg stehen; der hat eine große Mulde mit Gold und das worfelt er, als wenns Getreide wäre, das er von der Spreu säubert. Da tritt er an den Zwerg heran und grüßt ihn und sagt: »Das ist hübsche Arbeit, die möchte ich auch tun.« Der Zwerg, der bis dahin nicht aufgeblickt und ihn noch gar nicht gesehen hat, schrickt zusammen; aber er faßt sich schnell wieder und schreit: »Sieh da, Holtensen brennt ja!« Erschrocken sieht der Mann sich um, aber es ist weder Rauch noch Flamme zu sehen. Und wie er sich wieder umkehrt, ist das Gold und der Zwerg verschwunden gewesen.
Der Zwergschuh. Einstmals schliefen irgendwo aus Rügen mehrere Leute beisammen in einem Zimmer. Da merkten sie, wie jemand sie, während sie schliefen, an den Ohren und an den Haaren zupfte; manchmal fühlten sie auch einen Fußtritt, aber nur ganz leicht, wie von einem Kinde. Einer der Schläfer wachte davon auf und als er um sich blickte, sah er einen kleinen schwarzen Gesellen auf seiner Brust stehen. Er griff nach ihm und faßte ihn bei einem Fuß. Der Zwerg sträubte sich und entkam, aber den Schuh behielt der Mann in seiner Hand und war entschlossen, ihn nicht so leicht wieder herzugeben. Denn er hatte gehört, wenn man etwas in die Hand bekomme, was den Zwergen gehöre, so könne man damit ein reicher Mann werden. Besonders aber könne man die Zwerge damit kurz vor Sonnenaufgang zu allen möglichen Versprechungen zwingen. Der Zwerg bat und bat immer kläglicher um seinen Schuh, aber der Mann gab ihn nicht her. Schon stand der Aufgang der Sonne nahe bevor, da sagte der Zwerg, er solle sich den Schuh doch einmal genauer besehen. Der Mann tat es auch. Da fand er, daß der Schuh ganz voller Eiter war. Entsetzt warf er ihn weit von sich, und der Zwerg ergriff ihn und verschwand hohnlachend damit unter der Erde. In demselben Augenblick fielen die ersten Sonnenstrahlen auf das Land. – Hätte der Mann den Schuh noch einen Augenblick länger behalten, so hätte er ein reicher Mann werden können.
Oft haben die Zwerge, ohne daß die Menschen es wissen, ihre Behausung ganz nah an den Bauernhöfen oder gar unter dem Stall, und eine so nahe Nachbarschaft führt zu allerlei Unzuträglichkeiten: die Unterirdischen haben unter der herabrinnenden Jauche des Stallviehs zu leiden und rächen sich dafür, indem sie es kränkeln oder sterben lassen. Sind aber die Menschen freundlich gegen sie und verlegen den Stall, so sind auch die Zwerge gleich wieder zum Helfen bereit.
Die Zwerge unterm Pferdestall. Bei dem Hauptmeier in der Nähe von Bergkirchen in Westfalen war eine Zeitlang viel Unglück in der Wirtschaft; besonders fielen ihm die Pferde und kein Mensch wußte, wie das zuging. Da stand einmal seine Frau am Herd und buk einen Pfannkuchen. Auf einmal trat ein kleines Männchen auf sie zu und sagte ihr, all das Unglück komme nur daher, daß der Pferdestall grade über der Wohnung der Unterirdischen sei; wenn sie den verlegten, würde alles wieder gut gehen. Da hat der Häuptmeier die Pferde schnell wo anders hingebracht und zum Dank haben ihn die Unterirdischen zum Gevatter geladen. Als er nun zu ihnen hinunter kam, haben sie ihm die Stelle gezeigt, wo die Jauche aus dem Stall ihnen immer auf den Tisch geträufelt war und haben ihm gedankt, daß er es nun geändert hatte. Zum Abschied haben sie ihm ein paar Hände voll Kehricht gegeben, die sind nachher oben pures Gold gewesen.
Allerlei von den kleinen Leuten in Westfalen. Die kleinen Leute haben früher hier zu Lande viel Verkehr mit den Menschen gehabt. In Overbeck bei Rehme kamen sie zu den Bauern und baten um ihre Backgerätschaften. Aber wenn sie buken, durfte niemand zusehen. Nachher gaben sie den Bauern von ihren Broten und die hielten länger vor als irgendein anderes Brot. Einmal versteckte sich ein Neugieriger unter einem großen Trog, während die kleinen Leute buken. Aber er konnte sich nicht ruhig halten und der Trog fing an zu wackeln. Da rief das kleine Weiblein, das gerade den Teig knetete: »Männeken, kann Wänneken gehn?« »Nein!« ruft der kleine Mann und husch waren beide verschwunden. Seit der Zeit erschienen sie seltener. Und als an verschiedenen Orten über ihren Wohnungen Pferdeställe angelegt wurden, so daß der Mist ihnen auf die Köpfe fiel, sind sie über die Werra davongezogen. Zwei Tage lang dauerte ihr Auszug und der Schiffer hatte schwer überzusetzen.
Wie hier schließen die Berichte von den Zwergen fast überall mit der Angabe, heute gäbe es keine mehr. Sie sind fortgezogen, die Treulosigkeit der Menschen, die schlechten Zeiten, das Pochen und Hämmern in den Bergwerken und vor allem das Glockengeläute hat sie vertrieben. Wohin sie gegangen sind, weiß man nicht; nur daß sie sich zuletzt von einem Fährmann über einen Fluß setzen ließen und ihn dafür gut bezahlten. – Das Glockengeläute können die Zwerge nicht leiden, weil sie Heiden sind und vom ganzen Christentum nichts wissen wollen, heißt es in den Sagen. Wir denken dabei lieber an die geisterschreckende Macht des Glockengeläuts: der Ton der Morgenglocke endet das nächtliche Sagenerlebnis.
Warum die Unterirdschen von Dobbin fortzogen. In Dobbin bei Krakow haben früher die Unterirdischen gehaust und sich oft von den Leuten Kessel und Grapen (dreibeinige Kochtöpfe) geliehen und sie immer blank gescheuert wieder zurückgebracht. Einmal ist ein Botengänger von Güstrow nach Dobbin gegangen. Da begegnet er spät abends bei Serrahn einem großen Trupp von Unterirdischen. Er fragte sie, wohin sie denn wollten; da sagten sie: »Wi kam'n von Dobbin un will'n nu annerwegt hen. In Dobbin gefüllt uns dat nich mir; dor wart uns dat Evangelium tau straff.«
Der alte Fritz vertreibt die Zwerge. Im Kuckucksberg bei Westerhausen und im Steinberg bei Börneke am Harz haben vor diesem viel Querge gewohnt. Es sind kleine dickköpfige Leute gewesen mit einem schwarzen Gesicht und einem dreieckigen Hut auf dem Kopf. Und sie haben den Menschen bald Gutes getan, bald Böses. Aber als der alte Fritz zur Regierung gekommen ist, hat er sie nicht länger in seinen Landen leiden wollen und hat sie übers Schwarze Meer verwiesen. Da sind sie denn alle ausgewandert und seit der Zeit hat man nichts mehr von ihnen gehört.
Des kleinen Volkes Überfahrt. In den Hüttener Bergen in Holstein wohnten vor Zeiten eine große Menge Unterirdische. Im Kindelberg hat man sie besonders häufig gehört, wie sie butterten, und im Plätenberg bei Wittensee, wie sie miteinander sprachen. Aber als die Glocken aufkamen, sind sie alle miteinander fortgezogen. Da zogen sie nach der Marsch zu und kamen in der Nacht an die Hohner Fähre und wollten sich übersetzen lassen. Sie weckten den Fährmann; aber als der herauskam und niemand sah, ging er wieder ins Haus und wollte zu Bett. Da klopften sie noch einmal und zum drittenmal an, und als der Fährmann nun wieder herauskam, sah er, wie es vor dem Hause grimmelte und wimmelte von lauter kleinen grauen Leuten. Da war einer unter ihnen mit einem langen Bart, der sagte zum Fährmann, er sollte sie über die Eider setzen; sie könnten die Glocken und den Kirchengesang nicht länger vertragen und wollten anderswohin. Der Fährmann machte die Fähre los und stellte seinen Hut ans Ufer, wie der mit dem Bart es ihm sagte. Und nun kamen sie alle in den Prahm hinein, Männer und Weiber und Kinder, und zwar so viele, daß sie sich drängten und der Prahm zum Sinken voll wurde. So ging es jedesmal, wenn der Fährmann wieder zurück kam, und er hatte die ganze Nacht nichts anderes zu tun, als hin und her zu fahren, und immer war die Fähre gleich voll. Als er endlich die letzten hinüber gebracht hatte, sah er, wie das ganze Feld auf der andern Seite von vielen Lichtern flimmerte, die immer durcheinander hüpften. Da hatten sie alle kleine Laternen angesteckt. Am Ufer aber vor seinem Hause fand er seinen Hut ganz aufgehäuft voll von kleinen Goldpfennigen. Denn jeder hatte beim Einsteigen einen hineingeworfen. Dadurch ward der Fährmann Zeit seines Lebens ein steinreicher Mann.
Jakob Grimm sagt in der »Mythologie« einmal in seiner vorsichtigen und zurückhaltenden Weise: die vor dem Menschengeschlecht zurückweichenden Zwerge machten den Eindruck eines unterdrückten, bedrängten Volksstammes, der im Begriff stehe, die alte Heimat den neuen mächtigeren Ankömmlingen zu überlassen; und diese Deutung der Zwerge ist seitdem sehr beliebt geworden. In den Sagen von ihrer Kunstfertigkeit, besonders im Schmieden, von ihren Diebstählen, ihrem ganzen scheuen und heimtückischen Wesen und von ihrem endlichen Abzug sollen sich halbgeschichtliche Erinnerungen erhalten haben an die kleinen Urbewohner des Landes, die sich vor den andringenden Indogermanen scheu in die Berge und Höhlen zurückzogen, dort ihr Handwerk trieben, und mit heimlichen Raubzügen ein kümmerliches Leben fristeten, wenn sie es nicht vorzogen, den fremden Herren als Sklaven zu dienen; zuletzt aber seien sie in Scharen abgezogen und irgendwo verschollen. – Soviel Bestechendes eine solche Deutung auch für manchen haben mag, dem die deutschen Volkssagen durch derartige uralte geschichtliche Erinnerungen an Wert zu gewinnen scheinen, so kann doch wohl ernstlich davon nicht die Rede sein. Gewiß bleibt noch manche Einzelheit in den Berichten vom Treiben der Zwerge unerklärt, ihrem ganzen Wesen nach sind sie aber doch nichts anderes als Gestalten des allgemeinen Seelen- und Geisterglaubens; ihre Sagen haben sich zum Teil aus Traumerlebnissen weitergebildet (man beachte z. B. auch die typische Alptraumsituation in der Sage vom Zwergenschuh, wo das kleine schwarze Männchen dem Schläfer auf die Brust tritt und dabei von ihm festgehalten wird), zum Teil gehen sie auf mythische Naturausdeutungen zurück, zum Teil sind sie Fortbildungen der alten Sagen vom Totenvolk, das im Berge haust und dem man wie den abziehenden Zwergen gelegentlich auch draußen begegnen kann.