Ferdinand Raimund
Die gefesselte Phantasie
Ferdinand Raimund

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Siebenter Auftritt

Vorige. Narr. Dann Distichon, Affriduro, Odi, Volk.

Narr.
Ich muß rekognoszieren, sie trauen sich nicht herein. Nur herein, ihr florianischen Helden, der Feind ist fort, ihr habt gesiegt.

Alles (kömmt gelaufen und stürzt zu Hermionens Füßen).
Heil Hermione! Ewige Treue geloben wir dir.

Distichon.
Nur einen Augenblick hat uns die Furcht besiegt, sie ist vorbei, jetzt bau' auf unsre Kraft.

Hermione.
Ich bau auf sie wie auf die Reize dieser Flur.

Alle (sehen hin).
Ha! was ist das?

Distichon (sieht hin).
Verfluchte Zauberei, die prangende Natur in schmutzigen Schlamm verwandelt!

Hermione.
Ein blühend Bild von eurem Mut. Er ist so treu wie dieser Sumpf, wer auf ihn baut, sinkt ein. Darum will ich nicht länger ihm mein Wohl vertrauen. Ich befolge des Orakels Wink, noch heute abend soll mein Land gerettet sein, ich will noch heute mich vermählen, damit die morgige Sonne der Zauberinnen Ohnmacht schon bescheint. Affriduro eile hin und schmück den Tempel des Apoll, in einer Stunde seid ihr dort versammelt und höret meinen Eid: Dem reich ich heut noch meine Hand, der, bis die siebente Stunde tönt, mir ein Gedicht ersinnt, das an Wert hoch über alle andern steht. Es gelte gleich, welch Land ihn auch gezeugt, ob ihn ein Lorbeer schmückt, ob er den Hirtenstab erwählt. So fordre ich in die Schranken eure Poesie, weil ihr nicht kämpfen könnt um mich durch eurer Sehnen Kraft, so kämpft um mich mit kräftigen Gedanken. Die Phantasie trag euch die Fahne vor, Vernunft steckt auf den Helm, der Witz sei euer Pfeil, die Verse stellt in dichte Reihen, statt der Trompete laßt den Reim erklingen, so rücket vor und kämpfet um den Preis!

Drei Kronen bietet er zugleich:
Mein Herz, den Lorbeer und dies Reich.

(Ab. Affriduro mit den Götzendienern zur entgegengesetzten Seite ebenfalls ab.)

Mehrere.
Ha! jetzt gilts!

Distichon (mit Ekstase, schnell).
Dichtergeister,
Hört den Meister,
Spornt den Gaul,
Seid nicht faul!
Zieht vom Leder
Eure Feder
Schreibt drauf los,
Der Preis ist groß.
Fortunens Blick
Verkündet Glück.

Narr.
Au weh, zwick. Jetzt wirds mir z' dick! Jetzt fangt er in abscheulichen Jamben an. Hahaha!

Distichon.
Was lachst du Schafskopf, Kalb, dem Mond entsprungen?

Narr.
Pfui der Schande, durch ein Gedicht müßt ihr die Hand der Herrscherin erkämpfen, weil ihr so furchtsam seid, daß ihr beim Anblick einer Spinne lauft. O ihr Heroen der Vorzeit! Nehmt euch doch ein Beispiel an dem Theseus von Canova, der halt den Minotaurus schon zehn Jahr beim Schopf und laßt ihn noch nicht aus. Das ist ein Held.

Und ihr Wichte
Schreibt Gedichte
Voll Gewinsel,
O ihr Pinsel
Dieser Insel.

Apoll, du Zechmeister aller Dichter, schlag ihnen deine Leier um den Kopf, ihre Väter schamen sich im Grab.

Distichon.
Mein Vater war ein Held.

Narr.
Der meine auch, er war Hanswurst und hat den Harlekin geschlagen.

Odi.
Wir sind es auch.

Narr (ruft erschrocken).
Die Zauberschwestern!

Alles (will erschrocken davonlaufen).
Hülfe!

Narr.
Haha, probatum est! O ihr Schmucknadeln, zum Zittern seid ihr auf die Welt gekommen. Einen Esel laßt euch bauen, so groß wie das trojansche Pferd, und schliefts mit eurer Tapferkeit hinein.

Distichon.
Nein, das wird zu arg!

Auf, ihr Brüder
Hoher Lieder,
Werft ihn nieder.

(Alle prügeln auf ihn los.)

Narr (indem er fällt).
Jetzt schreiben sie Vers auf meinen Buckel.

Odi.
Triumph, das Ungeheuer ist besiegt.

Distichon.
Ich hab ihm auf das Haupt geschlagen.

Odi (schadenfroh).
Ich gab ihm in die Rippen eins.

Distichon.
Wir lassen uns in Kupfer stechen.

Alle.
Es lebe Distichon, der tapfre Held.

(Alles ab.)

Narr (seinen Rücken reibend).
Das Schlachtfeld ist leer. Ah! Das nenn ich ein Treffen, s hat jeder getroffen, keiner hat gfehlt. Aber – dem Verdienste seine Kränze, einer ist dabei, der kanns. Wann das ein Dichter ist, der hat eine shakespearsche Kraft. (Überdenkend.) O Schicksal eines Narren! Geboren auf Österreichs fetten Triften, studiert bis an den Hals, dann Kammerdiener eines spanischen Lords, vom Schiffbruch ausgespuckt an diesen Strand der Feigheit und der Ochserie. Aus Gnaden haben sie mich zum Hofnarren aufgenommen, mich, der ich mehr Witz in meinem Daumen hab als alle Köpfe dieses Fabellands seit hunderttausend Jahr. Und nun zu euch, ihr giftgen Zauberkröten, denn Frauenzimmer seid ihr nicht. Respekt vor allen andern Frauenzimmern: Ehret die Frauen, sie flechten und weben. Punktum, das andre fällt mir nicht mehr ein – aber das sind keine Frauenzimmer, das sind Töchter des liebenswürdigen Cerberus und der reizenden Hydra. Darum beschwöre ich euch, ihr vier Winde des Himmels, blast mir alle Krankheiten dieses schwindsüchtigen Jahrhunderts auf einen Haufen zusammen und überlaßt sie mir zu meiner Disposition. Herbei, ihr zwölf Monate dieses tiefbeleidigten Jahres, ich will einen Kalender zusammenfluchen und ihnen ein Neujahrsgeschenk damit machen.

Ganz leicht beginnt der Januar
Mit Schnupfen, Halsweh und Katarrh.
Am Abend sanftes Gliederreißen,
Daß sie vor Schmerz die Lippen beißen.
Dann werd, weil beide eitel sind,
Die eine taub, die andre blind,
Und ihre niedlichen Gefriesel
Bedeck ein scharlachroter Riesel.

Dem Februar laß ich die Wahl,
Zu sinnen eine eigne Qual.
Die Gicht ist schön, doch wünscht ich lieber
Die Bleichsucht oder 's gelbe Fieber.
März und April bringt Seitenstechen,
Der Mai muß sich durch Krämpfe rächen.
Im Juni Regen allenfalls,
So habn s' die Wassersucht am Hals.

Im Juli ist die Sommerszeit,
Wo man auf grüner Flur sich freut.
Nur ihnen blüh kein schönes Tal,
Die ganze Welt sei ihr Spital.
August, da werd ihr Hunger heiß,
Doch bleib ihr Magen kalt wie Eis.
Nichts hemme ihrer Eßlust Lauf,
Vielleicht frißt eine d' andre auf.

September streu vergiften Tau,
Der färbe ihre Haare grau.
Oktober ruft das Blatt nach Haus,
Da brechen ihre Zähne aus.
November fällt ihr Namensfest,
Da schick zum Bindband ich die Pest.
Und bis Dezember kommt herbei,
Sind schon in Zügen alle zwei.

Doch noch ist nicht der Spaß verdorben.
Kaum glauben sie, sie sind gestorben,
So speien sie, der Welt zum Graus,
Aufs neu zwei giftge Drachen aus.
So drück auf ihre Qual die Zeit
Das Siegel einer Ewigkeit.
Den Wunsch bringt froh zum neuen Jahr
Mein gutes Herz den Schwestern dar. (Ab.)


Achter Auftritt

Verwandlung

Romantisches Tal. Weiße Lämmer weiden auf den Hügeln. Amphio sitzt auf einem Stein und bläst ein sanftes Lied auf seiner Flöte. Im Vordergrunde befinden sich zwei steinerne Wassernymphen auf Postamenten in Lebensgröße, welche auf Wasserurnen ruhen.

Amphio (allein).
Wo weilst du heute, hohe Phantasie, daß sich dein Bild noch nicht auf blauem Äther malt und mit den bunten Schwingen zu mir niedertaucht? So wie der Arzt den Kranken jeden Tag besucht, so schwebst du jeden Morgen zu mir nieder, zu heilen meinen liebekranken Geist. Durch dich begeistert sang ich jene Lieder, die mir das Herz der Königin errangen, dir verdanke ich die schöne Hoffnung, an Hermionens Hand zu herrschen über dieses Reich. Ihre Liebe nenn ich mein, sie selbst gestand es mir. Nun will ich meinen Rang entdecken, um heimzuführn die königliche Braut. Doch dir muß ichs vorher vertrauen, hohe Phantasie, du hast den wilden Mut in mir gezähmt, zum stillen Hirten mich gemacht, und nur dein Rat soll mich bestimmen, ob ich den Schleier ziehen darf von dieser Täuschung Bild. Doch was seh ich? Eine andre Sonne strahlt mir dort entgegen, Hermione ists, die über jene Hügel eilt. Ists Freude? ist es Angst, die ihre Schritte so beflügelt?


Neunter Auftritt

Voriger. Hermione.

Amphio (eilt ihr entgegen und sinkt zu ihren Füßen).
Gebieterin!

Hermione (spricht die ganze Szene schnell und unruhig).
Heut bin ichs nicht, ich hab die Herrschaft abgetreten an die Zeit, ein Sklave bin ich meiner Eile.

Amphio.
Mir bangt um dich. Was kämpft in dir?

Hermione.
Vertrauen gegen Furcht. Mein Volk, der Zaubernymphen Wut, Apollo selbst befiehlt, daß ich mein Herz noch heute binden muß.

Amphio.
Dein Herz, ist es noch dein?

Hermione (sanft).
Du weißt es ja. Doch meine Hand –

Amphio.
Weh mir!

Hermione.
Sei ruhig, Amphio, ein schöner Sieg winkt deinem Geist. Von dem Gedicht, das du mir gestern überreicht, aufs neue überzeugt, daß du gegen alle Dichter meines Reichs ein Krösus bist an Phantasie, hab ich, dich heute abend noch Gemahl zu nennen, den kühnen Schwur gewagt: Wer bis zur siebenten Stunde mir die schönste Dichtung liefert, erhält noch heute meine Hand und dieses Reich.

Amphio.
Oh, wie beglückst du mich. (Beiseite, schnell.) Ha, Wink der Phantasie, die Dichtkunst soll allein den hohen Preis erringen. Nein, ich entdecke mich noch nicht, das höchste Glück soll durch mich selbst mir werden.

Hermione.
Was vertrauest du den Lüften deine Worte? Bist du verwirrt?

Amphio.
Verzeih, die Freude tanzt mit meinen Sinnen, vertrau' auf mich und meiner Liebe Kraft, mein wird der Sieg, ich kämpfe ja um dich, darum ist das Gefühl der Dichter deines Landes ein Tau gegen das Meer meiner Empfindungen.

Hermione.
Ja, ich vertraue dir, die Hoffnung schwingt die goldne Fahne. Doch jetzt leb wohl, ich eile in den Tempel, um zu bekräftigen den Schwur. Und wenn die Sonne sinket in des Meeres Silberschoß, so sink ich dir, dem Sieger, dankend an die Brust. Doch jetzt verbirg dich schnell, man suchet mich. Dann eile nach dem Tempel hin. Dort wird durch des Orakels Mund des Preisgedichtes Stoff dir kund.

Amphio.
Leb wohl, vertrau auf mich. (Eilt ab.)


Zehnter Auftritt

Vorige. Narr.

Narr.
Verzeih, ich bin vorausgeeilt, dich tiefergebenst abzuholen.

Hermione.
Kömmst du allein?

Narr.
O nein, ein Narr bringt zehn. (Deutet in die Szene.)

Affriduro (tritt auf und verbeugt sich).
Ich bin der zweite – (kleine Pause), der die Nachricht bringt, daß dich Apoll erwartet.

(Odi und acht Inselbewohner treten auf und verbeugen sich.)

Odi.
Wir sind die andern – und erscheinen, dich zu holen.

(Sie stellen sich dann, auf der einen Seite fünf, auf der andern Seite vier, auf, so daß Affriduro der zehnte ist.)

Narr.
Ich halte Wort, die Zahl ist voll.

Hermione.
So folget mir. (Ab.)

(Alles ihr nach.)

Narr.
Ihr Narren geht voraus, der Weise folget nach. (Geht gravitätisch ab, ihnen nach.)


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