Ferdinand Raimund
Die gefesselte Phantasie
Ferdinand Raimund

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Erster Aufzug

Erster Auftritt

Garten in Hermionens Palaste. In der Mitte ein erhabener Thron mit Veilchengirlanden auf Blumenstufen. Affriduro. Odi. Opferdiener. Inselbewohner. Alles in Bestürzung.

Chor.
Götter, schleudert eure Blitze!
Schickt der Eumeniden Schar!
Vom erhabnen Wolkensitze
Straft das freche Zauberpaar.

Affriduro.
Habt Hermionen ihr berichtet, daß wir um ihr Erscheinen bitten?

Odi.
Es ist geschehen.

Affriduro.
Nicht länger dürfen wir die Frechheit dieser Zauberschwestern dulden. Apollo selbst befiehlt es uns.

Odi.
Hier kömmt der Hofpoet.


Zweiter Auftritt

Vorige. Distichon mit einer Menge Gedichte in Rollen.

Alles (ruft).
Willkommen, Distichon.

Distichon (feierlich).
Verderben diesen Zaubernymphen! Die ganze Nacht hat meine Phantasie geraset und den geflügelten Gaul beinahe zuschanden geritten, bis Aurora vierzig Schmähgedichte beleuchtete, die mein schöpferischer Geist in dieser Nacht gebar.

Mehrere.
Hier sind noch mehr. (Zeigen sie vor.)

Distichon.
Ich glaub es euch, an Dichtern fehlt's auf unserer Insel nicht. Flora heißet sie, weil sie die Göttin hat mit Blümlein aller Art bedeckt. Wir kennen keinen Schnee, als wenn uns Zephir weiße Blüten streut, darum begeistert uns der ewige Blumenduft und weihet uns zu Priestern des Apoll. So daß der Schuster selbst mit einer Hand nur seinen Stiefel schafft, und in der andern hält er hoch die goldne Leier.

Sein kühner Geist ist mit Apoll verwandt,
Ist seine Lyra gleich mit Schustergarn bespannt.

Affriduro.
Doch hohe Zeit ists nun, die Leier zu vertauschen mit dem Mut. Die Zauberschwestern müssen fallen.

Distichon.
Ich werfe sie mit Knittelreimen tot.

Affriduro.
Ein Jahr ists nun, daß diese beiden Zauberschwestern auf unsere Insel kamen in einem Wolkenwagen, den zwei weiße Löwen zogen. Wir glaubten schon, die Götter hätten sie gesendet, doch bald erfuhren wir, daß sie der Orkus ausgespien. Denn ihre Zaubermacht erbaute schnell ein Schloß, vor dem die beiden Löwen wachen und jeden töten, der sich naht. Sie zertreten unsere Fluren, und mit vergifteten Pfeilen schießen sie nach den Dienern des Tempels.

Alle.
Wehe, wehe über sie!


Dritter Auftritt

Vorige. Der Narr.

Narr (mit Pathos).
Wehe, wehe über sie! ich weiß zwar nicht über wem, aber ich bin ein Narr, ich muß überall dabei sein. Also weh über euch alle, nur nicht über mich.

Affriduro.
Es freut uns, Narr, daß du so fröhlich bist.

Narr.
Das bin ich immer unter meinesgleichen.

Distichon.
Sprich vernünftig, wird die Beherrscherin erscheinen?

Affriduro.
Wir haben große Dinge vorzutragen.

Narr.
Sie kömmt sogleich. Sie ordnet nur ein allgemeines Fest, wozu diesmal nicht, so wie sonst, nur lauter Dichter eingeladen sind, gemeine Leute auch. Verstanden, Distichon?

Distichon.
Sie wird doch nicht gar Handwerksleute laden?

Narr.
Aha, du fürchtest, daß welche darunter sind, denen du schuldig bist.

Distichon.
Das fürcht ich nicht, das ist mein Stolz, daß einer lebt, der mir noch borgt. Wer borgt denn nicht? Alles ist auf dieser Welt geborgt. Das Leben selbst ist nur geliehene Ware. Die Erd, auf der wir wandeln, ist nicht schuldenfrei. Der Raum, in dem sie schwebt, gehört der Luft, sie wäre blind, wenn ihr die Sonn den Star nicht sticht. Und auch die Sonne, die Verschwenderin, die ein zu glänzend Haus mir führt, bezieht ganz sicherlich ihr leuchtend Gold aus einer Wucherwelt.

Narr.
Du sprichst ja wie ein Sokrates.

Distichon.
Beneid mich nicht um meinen Genius. Ästhetisch Wirken herrscht auf Flora, du gehörst nicht unter uns, wir ringen unermüdet nach Unsterblichkeit.

Narr.
O ihr betriebsamen Florianer, Müßiggang heißt euer Gewerb. Ich will dir ein Mittel sagen, das dich unsterblich macht. Leg du die Zeit, in der du müßig gehst, als Kapital zurück, und wenn dein lumpicht Leben ausgeht, flick' sie hinten dran, dann lebst du fort in alle Ewigkeit.

Affriduro.
Wie kannst dus wagen, Narr, in meiner Gegenwart solch ungeschliffenen Scherz zu treiben?

Narr.
Verzeih, dich hab ich nicht gemeint, dich nehm ich schon ein anders Mal aufs Korn. Er hat ein Spottgedicht auf mich gemacht, drum hetz ich ihn, solang ich Atem hab.

Odi.
Versöhnet euch, ich hab euch etwas zu entdecken.

Narr.
Was? Eine Neuigkeit? Waffenstillstand unterdessen. Vielleicht gibts neuen Stoff zum Schimpfen.

Odi.
So hört denn! Unsere Fürstin ist verliebt.

Distichon.
In wen?

Odi.
Ja seht, das weiß ich nicht.

Narr.
Ich bitte dich, bewahre dein Geheimnis.

Affriduro.
Was sprachst du für ein Wort?

Odi.
Als gestern sie den stillen Hain betrat, wo sie so gerne weilt, schlich ich ihr nach und sah, wie ein Gedicht sie aus dem Busen zog, das sie wohl mehr als zwanzigmal geküßt.

Distichon (seufzend).
Oh, wär ich dies Gedicht gewesen!

Narr.
Dann hätt sies sicher nicht gelesen.

Odi.
Dann rief begeistert sie: Nur ein Genie, das so die Liebe schildern kann, ist meiner Liebe wert.

Distichon (beiseite).
Wars mein Gedicht? bin ich der Glückliche?

Odi.
Doch in dem Augenblick kam Amphio mit ihrer Lilienherde, und ich ward verscheucht.

Affriduro.
Sag mir doch, Odi, wie kommt Amphio, ein Fremdling hier im Lande, zu der Ehre, Hermiones Lieblingslämmer zu bewachen?

Odi.
Das will ich euch erzählen. Dieser Hirt scheint mir nichts Gewöhnliches zu sein. Der Aufseher der fürstlichen Herde ward vor einem Jahr von einer Schlange überfallen, die ihn getötet hätte, wenn nicht ein junger Wanderer aus einem Busche springt und sie erschlägt. Amphio war der kühne Jüngling, er forderte keinen Dank als einen kleinen Dienst in unserm Land. Er wäre ein Waise, sagte er, und suchte unter fremden Völkern nun sein Glück, da ers in seiner Heimat nicht gefunden hätte. Der Aufseher, von Dankbarkeit bewegt, erinnerte sich, daß er einen Stier besäße, welcher goldne Hörner trägt.

Distichon.
Goldene Hörner? Hätt ich diesen Stier, das wär ein Kapital.

Narr.
Mir wär ein Hirsch mit goldnem Gweih viel lieber, der wirft doch alle Jahr Interessen ab. (Macht die Pantomime des Geweihabwerfens.)

Odi.
Nun stellt euch vor, von Dankbarkeit bewegt, ernennt er ihn zum Hüter dieses Stiers.

Narr (weint).
O zartes Wachen, schöne Vormundschaft!

Odi.
Und da er seinen Dienst so treu versah, schwang er sich bald zum Hirten unserer Lilienherde auf. Doch liegt etwas Geheimnisvolles in dem Jungen, und daß zum Hirten er geboren, glaub ich nimmermehr.

Affriduro.
Hermione naht, zieht euch zurück.


Vierter Auftritt

Vorige. Hermione. Gefolge.

Chor.
Heil Hermione!
Glücklich die Zone,
In der sie thront!

Hermione.
Ganz ungewöhnlich ist die Stunde zwar, in der ihr meine Gegenwart verlangt, doch gibt es keine Zeit, in der ich euch nicht angehörte. Stets haben unsere Wünsche freundlich sich begrüßt, daß sie sich heute feindlich trennen werden, hoff ich nicht. Sprecht aus, was ihr begehrt!

Affriduro.
Auf dein Geheiß, o Königin, befragt ich das Orakel des Apoll, wodurch der Übermut der Zauberschwestern sei zu bändigen und was durch sie die dunkle Zukunft unserem Lande droht.

Hermione.
Und des Orakels Spruch

Affriduro.
Verderben, Krieg droht eurem Blumenreich, wenn ihr die Zauberschwestern nicht daraus verjagt.

Alle.
Wehe uns!

Hermione.
Was raten meine Weisen mir?

Distichon (tritt vor).
So höre mich denn, hohe Hermione.

Narr (springt in die Mitte).
Um des Himmels willen, du vergißt dich ja. Die Weisen sollen sprechen. Du hast das Gegenteil verstanden. Bist denn du ein Weiser?

Distichon.
Das bin ich – oder hältst du mich für einen Narren?

Narr (bescheiden protestierend).
Du hast mich eben dieser Müh enthoben.

Distichon.
Wieso?

Narr.
Du glaubst ja fest, daß du ein Weiser bist?

Distichon (unwillig).
Nun ja.

Narr.
Da hältst du dich ja selbst für einen Narren, was brauch denn ichs zu tun? Für naseweis hab ich dich stets gehalten, doch eine andre Weisheit trau ich dir nicht zu.

Distichon.
Das gedenk ich dir, Bastard des Jokus.

Hermione.
Endet euren Streit. Sprich, Affriduro. Kann Gewalt uns retten?

Affriduro.
Gewalt? zum erstenmal hör ich dies Wort von dir. Entsprossen aus dem Stamme deines gütgen Vaters, herrschest du durch Sanftmut stets. Wir kennen hier nur Poesie, Gesang und Tanz, der rauhe Klang der Waffen ist uns unbekannt, nur ein arkadisch Leben führten wir bis jetzt. Von einer Seite schützt des Meeres Wellenschild den blumenreichen Strand, und von der andern trennen steile Berge uns von unserm mächtigen Nachbar, dem König von Athunt. Die Waffen sind uns fremd, wir kennen nur die List.

Narr.
Ich rate auch zur List, sie machen sich zu mausig hier, drum muß man sie wie Mäuse fangen. (Beiseite.) Ich richte eine diamantne Falle auf, und statt dem Speck häng ich zwei türksche Schals hinein.

Affriduro.
Doch höre des Orakels Schluß. Nicht eher wird die Macht der Zauberschwestern sich besiegen lassen, bis Hermione sich vermählt und dem Lande einen Herrscher gibt, der gleich ihr zu herrschen würdig ist. Wenn das geschieht, wird jene Macht verschwinden. Drum hör' die Bitte deines ganzen Reiches und wähle dir den König von Athunt, er strebt nach deiner Hand. Du besitzest Geist, er Mut und Macht. Erwähle ihn, bevor die Zauberschwestern noch in seine Brust des Hasses Samen streun und mit Gewalt er fordert, was du seinem Edelmut verweigert hast. Du wirst dem Schicksal nicht entrinnen, denn die Sterne prophezeien unserm Lande einen Herrscher aus dem Hause von Athunt.

Hermione.
Als vor zwei Jahren der König von Athunt mit seinem Sohn an meinem Hof erschien, für sich um meine Hand zu werben, gestand ich ihm ja frei, daß ich vom Wert der Poesie begeistert im Tempel des Apollo ein Gelübde abgelegt, als Gemahl nur einen Sänger hoher Lieder zu umarmen, sei er der Ärmste meines Volkes auch, wenn er nur reich ist an Gemüt und hohem Geist. Der König von Athunt belächelte den Schwur, gestand, daß er die Verse nur mit blutgem Schwert zu schreiben wüßte. Er zog von meinem Hof, doch hinterließ er das Versprechen mir, daß er den schönen Frieden meines Landes niemals stören wolle. Glaubst du, ich hätte meinen Schwur vergessen? Nur einem Sohn der Musen reich ich meine Hand.

Distichon (stolz).
Mein Vaterland ist der Parnaß.

Narr.
Ich bin vom kahlen Berg zuhaus.

Affriduro.
Erwäge des Orakels Spruch, und wählest du nicht ihn, so wähle doch und rette dadurch deine Treuen.

Hermione (für sich).
Peinliche Verlegenheit. Was beginn ich? – mein Herz ist ja nicht frei.

Alles (kniet).
Wir flehen zu dir, Herrscherin.

Hermione.
Wohlan, so will ich wählen. Wenn wieder uns der Mond die goldne Sichel zeigt, so werd ich meine Hand verschenken.

Alle.
Heil Hermione!

Hermione.
Bis dahin will ich meines Stolzes Panzer mit geschmeidigem Samt der Klugheit überziehen und durch sanfte Worte die Zauberschwestern zu gewinnen suchen. Eilet hin nach ihrem Schloß und ladet sie hieher.

Odi (sieht hinaus und erschrickt).
Götter, seht, dort sind sie schon. Sie streifen durch die Flur und jagen weiße Raben.

Hermione.
So eil hinaus und rufe sie.

Odi (erschrocken).
Ich?

Hermione.
Ja, du!

Odi.
Verzeih, ich wag es nicht.

Affriduro.
So bist du ja ein ganzer Hase?

Narr.
O nein, er ist ein bloßer Hasenfuß.

Hermione.
Beschämet keiner ihn?

Distichon (kühn, für sich).
Mut, Distichon! Du stiehlst ihr Herz. (Laut.) Ich hole sie. (Eilt ab.)

Narr (tut, als hebe er etwas von der Erde auf).
Pst! Pst! (Winkt Distichon zurückzukehren.) Freund!

Hermione.
Was treibst du, Narr?

Narr.
Er hat beim Fortgehen seine Furcht verloren, ich heb ihm s' unterdessen auf. (Tut, als steckte er sie in den Sack.)

Odi.
Er ist schon dort und spricht auf sie, – sie drohen ihm, er läuft davon.

Hermione.
Pfui!

Odi.
Sie senden Pfeile nach. (Schreit.) Er ist getroffen.

Hermione (ängstlich).
Götter!

Odi.
In dem Waden steckt ein Pfeil.

Narr.
Jetzt haben wir doch einen gespickten Hasen auch.

Hermione.
So sinkt er?

Odi.
Nein, er läuft, hier ist er schon.


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