Ferdinand Raimund
Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Ferdinand Raimund

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Vierter Auftritt

Vorige. Rappelkopf stürzt herein.

Sopie (fällt ihm um den Hals).
O mein Bruder, mein geliebter Bruder! (Bleibt an seiner Brust.)

Rappelkopf (für sich).
Entsetzlich! Diese Natter liegt an meiner Brust. Sie kennt mich wirklich nicht. Nimm dich zusammen, Rappelkopf! (Freundlich.) Endlich seh ich dich wieder, liebe Schwester. (Beiseite.) Ich kann s' nicht anschaun. (Wieder freundlich.) Wie gehts dir denn, du liebe Schwester du?

Sopie.
Ach Bruder, mir geht es sehr übel.

Rappelkopf (beiseite).
So? Da gschieht dir recht.

Sopie.
Was sagst du, lieber Bruder?

Rappelkopf.
Daß ich dich recht bedaure, und zwar auf eine ganz besondere Art. Denn ich weiß alles, liebe Schwester, dein Mann ist ein schändlicher Mensch.

Sopie.
Das ist er nicht, lieber Bruder, aber ein unglücklicher Mensch.

Rappelkopf (beiseite).
Viper!

Sopie.
Wenn du wüßtest, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe, um mein Herz vor dir auszuschütten!

Rappelkopf.
So schütt es aus, liebe Schwester! (Beiseite.) Da erfahr ich etwas. Schütts aus!

Sopie.
Aber du wirst ermüdet sein von der Reise?

Rappelkopf.
Nur meine Füß sind müde, meine Ohren nicht.

Sopie.
So setz dich, lieber Bruder. (Sie setzt Stühle.)

Rappelkopf.
Ich dank dir, liebe Schwester. (Setzt sich.) Fatale Situation!

Sopie.
Meine Tochter und ihr künftiger Bräutigam werden sogleich erscheinen.

Rappelkopf (fährt wild auf).
So? (Faßt sich und sagt plötzlich mit freundlichem Lächeln.) Wird mir eine unendliche Ehr sein.

Sopie.
Du bist so sonderbar, lieber Bruder. Was ist dir denn?

Rappelkopf.
Verschiedenes. Die Reise, dein Anblick, es ist alles so ergreifend für mich.

Sopie.
Ich danke dir. Du bist ein Bruder, wie man keinen mehr finden wird.

Rappelkopf (beiseite).
Der Meinung bin ich selbst.

Sopie.
Fünf Jahre bist du abwesend. Die Ursache meines Unglücks wird dir schon aus meinen Briefen bekannt sein.

Rappelkopf.
Ich weiß, du hassest deinen Mann.

Sopie.
Was fällt dir ein! Wo gäb es eine Frau, die ihrem Manne mehr zugetan wäre, als ich dem meinigen!

Rappelkopf.
Wirklich? (Beiseite.) Was man für Neuigkeiten erfährt!

Sopie.
Wenn du nur die Geduld hättest sehen können, mit welcher ich seine Launen ertrug, die Sanftmut, mit der ich ihn behandelte.

Rappelkopf.
Ja, das hätt ich sehen mögen. (Beiseite.) Es ist zum Durchgehn, wie sie lügt, ich bin schon völlig blau auf dieser Seite.

Sopie.
Und alles dies hat seinen ungerechten Menschenhaß nur noch vermehrt.

Rappelkopf.
Aber warum haßt er denn die Menschen, er muß doch eine Ursache haben?

Sopie.
Weil er ein Narr ist, der sie verkennt.

Rappelkopf (beiseite).
Ich bedank mich aufs allerschönste.

Sopie.
Und doch lieb ich ihn so zärtlich –

Rappelkopf.
Diesen Narren? o närrische Lieb! (Beiseite.) Es ist zum Teufelholen!

Sopie.
Und muß die Angst ausstehen, ihn seit gestern zu vermissen.

Rappelkopf.
Ja wo ist er denn?

Sopie.
In einem Anfall von Wahnsinn zerschlug er alle Möbel, glaubte, der Bediente wolle ihn ermorden, und rannte wütend aus dem Hause.

Rappelkopf.
Nun er wird schon wieder zurückkommen.

Sopie.
Nein, das wird er nicht. Was er beschließt, vollführt er auch.

Rappelkopf (beiseite).
Sie kennt mich doch. (Laut.) Aber wie ist er denn auf den Gedanken gekommen, daß man ihn ermorden will?

Sopie.
Auf die unsinnigste Weise von der Welt. Ich befahl meinem einfältigen Bedienten, er sollte nach dem Garten gehen und Zichorien ausstechen, und das Messer in seiner Hand läßt meinen unglückselgen Mann glauben, er wolle ihn ermorden.

Rappelkopf.
Zichorien hat er ausstechen wollen?

Sopie.
Ei freilich.

Rappelkopf (beiseite).
Das ist nicht möglich, oder ich wär der einfältigste Mensch, den die Sonne noch beschienen hat. (In Nachdenken versunken.) Zichorien hat er ausstechen wollen?

Sopie.
Warum ergreift dich das so?

Rappelkopf (gleichgültig).
Weil mir der Kaffee einfällt, den ich im letzten Wirtshaus getrunken hab. Der war auch mit Zichorien vergiftet.

Sopie.
Was soll ich nun beginnen, lieber Bruder?

Rappelkopf.
Laß den Narren laufen!

Sopie.
Das kann dein Ernst nicht sein. Er ist mein Mann, und ich werd ihn nie verlassen.

Rappelkopf (schnell).
Ist das wahr?

Sopie.
Gewiß.

Rappelkopf (unwillkürlich erfreut, beiseite).
Sie ist doch nicht gar so schlecht. (Wieder verändert.) Aber schlecht ist sie doch.

Sopie.
Ach Bruder! (Sinkt an seine Brust.) Wenn mein Mann imstande wäre, sich ein Leid anzutun! (Weinend.) Ich hätte mir nichts vorzuwerfen, aber ich könnte diesen Vorfall nicht überleben.

Rappelkopf.
Das Weib martert mich, ich schwitz schon im ganzen Leib. Und sie weint wirklich, mein ganzes Schapodl ist naß. Aber ich glaub ihr nicht, die Weiber können alles. (Laut.) Beruhige dich nur, liebe Schwester, es kommt jemand.


Fünfter Auftritt

Vorige. August. Malchen.

Malchen.
Ist es wahr, ist der Onkel angekommen? (Sieht ihn.) Ach liebster, bester Onkel! mit welcher Sehnsucht haben wir Sie erwartet.

Rappelkopf.
Die ist so falsch wie ihre Mutter.

Malchen.
August, komm doch her.

Rappelkopf (erschrickt).
Wer?

August (hervortretend).
Bester Herr von Silberkern – (will auf ihn zu.)

Rappelkopf (fährt zurück).
Himmel, wer bringt dies Bild vor meine Augen?

Sopie.
Was ist dir, lieber Bruder?

Malchen.
Aber Onkel!

Rappelkopf (beiseite).
Ich muß mich fassen, damit ich allen auf den Grund komme. (Laut, mit Zwang.) Verzeihen Sie mir, mein Herr, sein Sie mir willkommen.

August.
Erlauben Sie, Herr von Silberkern – (Tritt näher.)

Rappelkopf (fährt wieder auf).
Nein, es ist nicht möglich – Drei Schritt vom Leib! (Beiseite.) Vergiften könnt ich den Verführer!

August.
Was soll ich davon denken?

Malchen.
Onkel!

Sopie (gleichzeitig).
Bruder!

Rappelkopf (faßt sich wieder).
Verzeihen Sie, aber Sie haben eine Ähnlichkeit, eine Ähnlichkeit –

August.
Mit wem?

Rappelkopf.
Mit – mit einem Menschen

August.
Mit was für einem?

Rappelkopf.
Der mich bestohlen hat.

Sopie.
Aber Bruder!

August (lacht).
Herr von Silberkern –

Malchen.
Ach Onkel, er hat nichts gestohlen als mein Herz.

Rappelkopf (auffahrend).
Das ist es eben – (faßt sich) was mich nichts angeht. (Sehr freundlich.) Sind Sie nur nicht so kindisch, ich hab nur einen Spaß gemacht. (Für sich.) Verstellung, steh mir bei! (Laut.) Endlich sind wir alle recht froh beieinander, meine lieben Kinder. (Lacht boshaft.) Das ist ein freudiger Tag heute. (Für sich.) Ich möcht zur Decke hinauffahren.

Sopie.
Wir wollen dich jetzt allein lassen, lieber Bruder. Damit du eine Stunde ausruhen kannst. Du bist zu angegriffen. In diesem Zimmer findest du ein Ruhebett, unterdessen werden wir die Nachforschungen nach meinem armen Mann verdoppeln, denn es gibt keinen ruhigen Augenblick für mich, solange ich in Ungewißheit über sein Schicksal leben muß. (Geht ab.)

Rappelkopf.
Da werd ein anderer klug, ich nicht.

August.
Herr von Silberkern, ich weiß, daß Sie alles über Herrn von Rappelkopf vermögen.

Rappelkopf.
Da haben Sie recht, wenn ich nichts über ihn vermag, dann richtet niemand etwas mit ihm aus.

August.
Oh, dann werden Sie mir Ihren Beistand nicht versagen.

Rappelkopf.
Ihnen? hahaha! Nun, das will ich hoffen.

August.
Wenn meines Malchens Vater sein Haus wieder betritt und es Ihnen gelingt, ihm mildere Gesinnungen gegen die Welt einzuflößen, so vergessen Sie auch meiner nicht! Versichern Sie ihm, daß es keinen jungen Mann auf Erde gäbe, der mit einer so unwandelbaren Treue an seiner liebenswürdigen Tochter und mit einer so innigen Dankbarkeit an ihrem edlen, aber unglücklichen Vater hinge als der von ihm so ungerecht verfolgte August Dorn. (Verbeugt sich und geht ab.)

Rappelkopf.
Das ist mir unbegreiflich.

Malchen (weinend).
Lieber Onkel, wenn Sie meinen Vater sprechen, was ich gewiß nicht darf, so sagen Sie ihm, daß er seine Amalie unendlich gekränkt hat, daß ihn niemand so sehr liebt wie seine Tochter, aber daß ihr auch gewiß das Herz brechen wird, wenn sie ihren August verlieren müßte. (Weint heftig.)

Rappelkopf (sein Vatergefühl bricht los, er schließt Malchen heftig in seine Arme).
Du bist halt doch mein Kind, wenn ich auch jetzt nicht dein Vater bin. (Nimmt sie am Kopf.) Was nützt denn das, das läßt sich nicht verleugnen. Ich muß dich küssen, Malchen.

Malchen.
Ach guter Onkel!

Rappelkopf.
Sag du mir, ist das wahr, liebst du deinen Vater?

Malchen.
Unendlich, lieber Onkel!

Rappelkopf.
Und du lügst nicht?

Malchen.
Bei Gott nicht.

Rappelkopf (freudig überrascht).
Das ist schön von dir, das freut mich. (Legt ihren Kopf an seine Brust.) Sie hat mich lieb! So hab ich doch eine Seele auf der Welt, die mich liebt. Aber jetzt geh hinaus, ich bitt dich um alles in der Welt, geh hinaus.

Malchen.
Sie verstoßen mich doch nicht, lieber Onkel?

Rappelkopf.
Nein, ich verstoß dich nicht, ich will dich noch einmal küssen sogar, aber geh hinaus, sonst muß ich mich vor mir selber schämen, geh hinaus.

Malchen.
So ruhen Sie sanft, bester Onkel. (Ab.)

Rappelkopf (allein).
O Schande! ich bin ein Menschenfeind und komm da in eine Küsserei hinein, die gar kein End nimmt. Das war der einzige vergnügte Augenblick, den ich seit fünf Jahren erlebt hab. Aber wie ist mir denn? bin ich betrunken? Das ist ja keine Möglichkeit. Wenn das alles wahr wäre, was die Leute zusammenreden, so wären sie ja völlige Engel. Das ist Betrug, da muß etwas dahinterstecken. Das ist ein Einverständnis. Mein Weib ist eine Schlange. Zu was braucht sie einen Zichori? wenn so viel Kaffee aufgeht. Aber meine Tochter ist brav. Über die laß ich jetzt nichts mehr kommen. Auch den jungen Menschen trau ich nicht, den haben sies einstudiert. Er wär ohnehin bald steckengeblieben. Ha, da kommt der Habakuk, der große Bandit. Der soll mir Licht geben.


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