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Der Marquis fand sich pünctlich ein. La Motte empfing ihn am Thore, allein er wollte nicht herein gehen, sondern sagte, ein Spaziergang im Walde wäre ihm lieber, und La Motte begleitete ihn also dahin. Nach einigem allgemeinen Gespräch fing der Marquis an:
»Nun La Motte, haben Sie überlegt, was ich Ihnen sagte, und sind Sie bereit, sich zu entscheiden.«
»Ich habe es, gnädiger Herr, und werde mich schnell entscheiden, wenn Sie sich näher erklären; eher aber kann ich keinen Entschluß fassen.«
Der Marquis schien unzufrieden und schwieg einen Augenblick.
»Sie verstanden mich also würklich nicht!« sagte er endlich. »Ich muß diese Unwissenheit für erkünstelt halten. La Motte, ich erwarte Offenheit. Sagen Sie mir also, ist es nöthig daß ich mich näher erkläre?«
»Ja, gnädiger Herr, es ist nöthig. Wenn Sie Bedenken tragen sich mir frey anzuvertrauen, wie kann ich denn Ihre Absicht erfüllen?«
»Ehe ich weiter rede, lassen Sie sich einen Eid vorlegen, der Sie zum Geheimniß verbindet: doch dieß ist kaum nothwendig: denn selbst, wenn ich an Ihrem Ehrenwort zweifeln könnte; so müßte die Erinnerung an eine gewisse Begebenheit Ihnen sagen, wie nothwendig es für Sie ist, eben so stumm zu bleiben, als Sie mich wünschen müssen.«
Es entstand eine Stille, während welcher sowohl der Marquis als La Motte einige Verlegenheit verriethen.
»Ich denke, La Motte,« fing der erste wieder an, »ich habe Ihnen hinlängliche Beweise gegeben, daß ich dankbar seyn kann: die Dienste, welche Sie mir bereits bey Adelinen geleistet haben, sind nicht unbelohnt geblieben.«
»Ich werde das stets anerkennen, gnädiger Herr, und beklage nur, daß es nicht in meiner Macht gewesen ist, Ihnen wirksamer zu dienen. Ich bin bereit, Ihre fernern Absichten mit ihr aus besten Kräften zu befördern.«
»Ich danke Ihnen: – Adeline –«
Der Marquis stockte.
»Adeline« wiederhohlte La Motte, begierig, seinen Wünschen zuvor zu eilen, »Adeline besitzt Schönheit, die Ihrer Bemühung würdig ist. Sie hat Ihnen eine Leidenschaft eingeflößt, auf die sie stolz seyn sollte, und was es auch koste, sie muß die Ihrige werden. Ihre Reize verdienen« –
»Ja, ja,« unterbrach der Marquis, »aber –«
Er schwieg.
»Aber sie haben Ihnen zu viel gekostet,« sagte La Motte, »und ich muß es selbst gestehen: aber dieß alles ist jetzt überstanden, und Sie können sie nunmehr ungehindert als Ihr Eigentum betrachten.«
»Das wollte ich auch« sagte der Marquis, und heftete einen durchdringenden Blick auf La Motte; » das wollte ich auch.«
»Nennen Sie nur die Stunde, gnädiger Herr; Sie sollen nicht gestört werden; solche Schönheit, als Adeline besitzt –«
»Bewachen Sie sie scharf,«, unterbrach der Marquis,, und lassen sie auf keinen Fall aus ihrem Zimmer gehn. Wo ist sie jetzt?«
»In ihr Zimmer gesperrt.«
»Recht gut, aber ich bin ungeduldig.«
»Bestimmen Sie nur Ihre Zeit, gnädiger Herr – morgen Nacht? –«
» Morgen Nacht – ja, morgen Nacht,« sagte der Marquis langsam und feyerlich. »Verstehen Sie mich nun?«
»Vollkommen, gnädiger Herr; diese Nacht wenn Sie es wünschen. Aber war es nicht besser, Sie schickten Ihren Bedienten fort, und blieben selbst im Walde. Sie wissen die Thüre, die auf den westlichen Thurm stößt. Kommen Sie um zwölfe dahin – ich will Sie alsdann in Adelinens Zimmer führen. Diese Nacht also –«
» Stirbt Adeline!« fiel der Marquis mit dumpfer, kaum menschlicher Stimme ein. »Verstehn Sie mich nun?«
La Motte fuhr bleich zurück –
»Gnädiger Herr!«
»La Motte!« – sagte der Marquis. –
Es entstand, eine Stille von einigen Minuten, während welcher La Motte sich zu fassen suchte.
»Erlauben Sie mir, gnädiger Herr, zu fragen, was dieß bedeutet,« sagte er, sobald er wieder Luft schöpfen konnte; »wie können Sie Adelinens Tod wünschen? den Tod der Adeline, die Sie noch vor kurzem so heiß liebten?«
»Fragen Sie nicht weiter,« sagte der Marquis mit furchtbar finsterm Blick – »fragen Sie nicht nach meinen Ursachen, aber es ist so gewiß als ich lebe, daß sie, die Sie eben nannten, sterben muß. Dieß ist genug!«
La Mottens Erstaunen glich seinem Entsetzen.
»Die Mittel sind mancherley,« fuhr der Marquis fort; »es wär mir lieber gewesen, kein Blut fließen zu lassen; es gibt Tränke, deren Wirkung schnell und sicher ist, allein sie lassen sich nicht so bald, oder heimlich genug herbeyschaffen, und ich wünschte, daß es geschehen wäre – es muß schnell geschehen – diese Nacht!« –
» Diese Nacht? gnädiger Herr!«
»Ja, La Motte, diese Nacht« – er faßte ihn fest bey der Hand, und sah ihm starr ins Auge – »diese Nacht! Haben Sie keinen bequemen Trank bey der Hand?«
»Keinen, gnädiger Herr?«
»Ich möchte mich nicht gern einem Dritten anvertrauen, sonst hätte ich dafür gesorgt. Da es nun einmahl nicht anders ist, so nehmen Sie diesen Dolch. Brauchen Sie ihn, wie die Gelegenheit es mit sich bringt, aber seyn Sie entschlossen.«
La Motte nahm mit zitternder Hand den Dolch und starrte ihn eine Weile an, ohne zu wissen wie ihm geschah.
»Stecken Sie ihn bey,« sagte der Marquis, »und seyn Sie ein Mann!«
La Motte that es, blieb aber in tiefsinnigem Schweigen.
Er sah sich in dem Netze gefangen, welches seine eigenen Verbrechen geflochten hatten. Er war einmahl in der Hand des Marquis, und wußte, daß er entweder in eine That, vor der er, Trotz aller seiner Versunkenheit, zurückschauderte, einwilligen, oder Glück, Freyheit, ja wahrscheinlich das Leben selbst aufopfern mußte. Er war durch langsame Stuffen von Thorheit zu Lastern fortgeschritten, bis er nun einen Abgrund der Schuld vor sich sah, vor welchem selbst sein so lange eingeschlummertes Gewissen zurück schrack. Der Rückweg war verzweifelt – das Fortschreiten war es ebenfalls.
Wenn er an Adelinens Unschuld und Hülflosigkeit, an ihren verwaisten Zustand, an ihr vormahliges zärtliches Betragen, ihr Vertrauen auf seinen Schutz dachte, so zerfloß sein Herz in Mitleid wegen des Leidens, das er bereits über sie gebracht hatte, und schauderte mit Entsetzen vor der That, die von ihm gefordert ward. Wenn er aber von der andern Seite bedachte, daß die Rache des Marquis ihm gewisses Verderben drohte, und dagegen die Vortheile der ihm angebornen Gunst, Freyheit und Reichthum abwog, so siegte die Versuchung über das Flehen der Menschlichkeit, und brachte die Stimme des Gewissens zum Schweigen.
In diesem Zustande tumultuarischen Hin- und Herschwankens blieb er lange stumm, bis die Stimme des Marquis ihn zur Überzeugung aufschreckte, wie nothwendig es sey, wenigstens zum Schein in seine Absichten zu willigen.
»Sind Sie unschlüßig? –« sagte der Marquis.
»Nein, gnädiger Herr, mein Entschluß ist gefaßt – ich will Ihnen gehorchen. Doch dünkt mich, es wäre besser, Blutvergiessen zu vermeiden. Seltsame Geheimnisse sind dadurch an den Tag –«
»Aber wie sollen wir es vermeiden?« fiel der Marquis hastig ein. »Gift mag ich nicht wagen herbeyzuschaffen. Ich habe Ihnen ein sicheres Werkzeug des Todes gegeben. Sie werden es ebenfalls gefährlich finden, nach einem Tranke zu fragen.«
La Motte begriff, daß er kein Gift kaufen könnte, ohne sich einer weit gefährlichern Entdeckung auszusetzen, als er zu vermeiden wünschte.
»Sie haben Recht, gnädiger Herr,« sagte er, »und ich will Ihren Befehlen unbedingt folgen.«
Der Marquis fuhr nun in abgebrochenen Reden fort, ihm fernere Anweisung wegen des schrecklichen Plans zu geben.
»In ihrem Schlafe,« sagte er, »um Mitternacht: die Familie wird alsdann zur Ruhe seyn.«
Nachher ersannen sie eine Geschichte, zur Erklärung ihres Verschwindens, nach welcher es scheinen sollte, als wäre sie aus Furcht vor den Anträgen des Marquis entflohen. Die Thüren des westlichen Thurms und ihre Zimmer sollten offen gelassen werden, um ihre Flucht wahrscheinlich zu machen und noch viele andere Umstände wurden zur Bestätigung des Verdachts ersonnen. Sie gingen nun weiter zu Rathe, auf welche Art der Marquis Nachricht von dem Ausgange erhalten könnte, und es wurde ausgemacht, daß er wie gewöhnlich den folgenden Tag nach der Abtey kommen sollte.
»Diese Nacht also,« sagte der Marquis – »kann ich mich auf Ihre Entschlossenheit verlassen?«
»Sie können es sicher, gnädiger Herr!«
»So leben Sie wohl! Wenn wir uns wieder sehn –«
»Wird es vollbracht seyn –« fiel ihm La Motte ins Wort.
Er begleitete den Marquis nach der Abtey und, so bald er ihn aufs Pferd hatte steigen sehn, wünschte er ihm gute Nacht und begab sich auf sein Zimmer, wo er sich einschloß.
Adeline gab indessen in der Einsamkeit ihres Gefängnisses der Verzweiflung ihrer Lage Raum. Sie suchte ihre Gedanken zu ordnen, um sich in eine Art von Ergebung hinein zu vernünfteln; allein die Betrachtung, die das Vergangne, die Vernunft, die das Zukünftige ihr vorstellte, brachten nur das volle Gemählde ihres Unglücks vor ihre Seele, und sie versank in Trostlosigkeit. An Theodor, der durch den höchsten Edelmuth seine Liebe bewiesen, und sich ins Verderben gestürzt hatte, dachte sich mit einem Schmerz, der ihr Innres zu zerreissen drohte.
Das gerade die Handlung, welche alle ihre Dankbarkeit verdiente, und ihre ganze Zärtlichkeit erweckte, die Ursache seines Unterganges seyn mußte, überstieg so sehr alles, was sonst Elend genannt wird, daß ihre Fassung davor erlag. Das Bild des leidenden – des für sie sterbenden Theodors, stand unabläßig vor ihrer Seele, und verbannte oft so ganz alle Gedanken an ihre eigne Gefahr, daß sie nur die seinige fühlte.
Zu Zeiten dämmerte die Hoffnung, die er ihr gegeben hatte, daß er im Stande seyn würde, sein Betragen zu rechtfertigen, oder wenigstes sich Begnadigung zu verschaffen, in ihr auf; allein sie glich dem schwachen Strahl einer Aprilssonne, der vorübergeht, ohne zu erquicken. Sie wußte, daß der Marquis, von Eifersucht erhitzt, nach Rache dürstend, ihn mit unabläßiger Bosheit verfolgen würde.
Was vermochte Theodor gegen einen solchen Feind? Das Bewußtseyn seiner Rechtschaffenheit konnte ihm den Streich nicht ablenken helfen, den verschmähete Leidenschaft und mächtiger Stolz auf ihn abzielte. Ihr Elend wurde um ein großes durch die Betrachtung erhöht, daß keine Nachricht von ihm auf der Abtey zu ihr gelangen konnte, und daß sie über sein Schicksal, wer wußte wie lange, in der schrecklichsten Ungewißheit bleiben mußte.
Sie sah keine Möglichkeit von der Abtey zu entwischen. Sie war eine Gefangne in einem Zimmer, zu welchem alle Zugänge verschlossen waren; sie hatte keine Gelegenheit, mit irgend jemand zu sprechen, wo sie nur eine Möglichkeit, Linderung zu finden, hoffen konnte, und sah sich verurtheilt, in duldendem Schweigen, das über ihr schwebende Geschick zu erwarten, das ihrer Einbildungskraft tausendmahl schrecklicher war, als der Tod selbst.
In einem solchen Zustande ließ sie dem Druck ihres Unglücks freyen Raum, und saß oftmahl ganze Stunden bewegungslos und in Gedanken verloren.
»Theodor!« rief sie oft, »du kannst meine Stimme nicht hören, kannst mir nicht zu Hülfe eilen; du bist selbst gefangen und in Ketten!«
Das Bild war zu schrecklich. Die schwellende Angst ihres Herzens erstickte ihre Stimme, Thränen benetzten ihre Wangen, und sie ward fühllos gegen alles, ausser gegen sein Elend.
Diesen Abend war ihre Seele ungewöhnlich ruhig gewesen; so wie sie von ihrem Fenster mit stillem, wehmüthigem Genuß die untergehende Sonne, den erlöschenden Glanz des westlichen Horizonts, die allmählige Annäherung der Dämmerung betrachtete, trugen ihre Gedanken sie in die Zeit zurück, wo sie in beglückterer Lage dieses Schauspiel erwartete.
Sie erinnerte sich des Abends vor ihrer kurzen Flucht von der Abtey, wo sie aus dem nähmlichen Fenster die herabsinkende Sonne ansah – wie ängstlich sie den Schatten der Dämmerung erwartete, – wie sie voraus blickte in die künftigen Ereignisse ihres Lebens – mit welcher bangen Furcht sie den Thurm hinunter ging, und sich in den Wald wagte. Diese Betrachtungen führten andere mit sich, die ihr Herz mit Wehmuth, und ihr Augen mit Thränen füllten.
In dieser schwermüthigen Träumerey versunken, sah sie den Marquis aufs Pferd steigen und aus den Thoren reiten. Sein Anblick erweckte in aller Kraft das Gefühl des Elends, das er über ihren geliebten Theodor gebracht hatte, und das Bewußtseyn der Übel, die unmittelbarer ihr selbst drohten. Mit bangen Thränen ging sie vom Fenster, bis sie endlich erschöpft vom Weinen sich früh zur Ruhe legte.
La Motte blieb in seinem Zimmer, bis ihn das Abendessen herunter rief. Sein wildes, zerstörtes Gesicht, das trotz aller Gewalt die Erschütterung seiner Seele verrieth, seine langen und häufigen Anfälle von Geistesabwesenheit befremdeten und erschreckten seine Frau. So bald Peter hinaus war, fragte sie zärtlich, was ihn beunruhigt hätte, und er versuchte mit verzerrtem Lächeln den Lustigen zu spielen; allein die Rolle war über seine Kunst, und bald fiel er in stummen Tiefsinn zurück; oder wenn seine Frau sprach und er die Abwesenheit seiner Gedanken zu verbergen strebte, so antwortete er so gänzlich verkehrt, daß seine Zerstreuung nur noch merklicher wurde.
Frau von La Motte that endlich, als merkte sie die Verstörung seines Gemüths nicht, und sie blieben in ununterbrochnem Schweigen bis zur Stunde des Schlafengehns sitzen, wo sie sich in ihr Schlafzimmer verfügten.
La Motte warf sich eine Zeitlang schlaflos umher, und seine Bewegungen weckten seine Frau auf; unterdessen schlief, sie durch eine unbedeutende Entschuldigung von ihm befriedigt, bald wieder ein. Diese Unruhe dauerte bis gegen Mitternacht, wo er sich besann, daß die Zeit, welche zu wichtigen Zwecken bestimmt war, in unnützen Betrachtungen verstrich, und leise aus dem Bette stieg. Er warf seinen Schlafrock um, nahm die Nachtlampe von Tisch und schlich die Wendeltreppe hinauf. Oft sah er sich um, und oft fuhr er auf, und horchte nach dem hohlen Seufzen des Windes.
Seine Hand zitterte so heftig, als er Adelinens Thüre aufschließen wollte, daß er die Lampe an die Erde setzen, und beyde Hände zu Hülfe nehmen mußte. Er glaubte, sie würde von dem Geräusch mit dem Schlüssel erwacht seyn, allein als er die Thüre öfnete, und tiefe Stille durchs ganze Zimmer herrschte, wurde er überzeugt, daß sie schlief.
So wie er sich in der rechten den Dolch und in der linken Hand die Lampe haltend dem Bette näherte, hörte er sie leise athmen und bald nachher seufzen – er stand still; als sie aber still ward, ging er wieder vorwärts, und hörte sie im Schlafe singen. Er horchte aufmerksam, und unterschied einige Töne eines schwermüthigen kleinen Liedes, das sie in ihren glücklichern Tagen ihm oft gesungen hatte. Der tiefe, klagende Ton, worin sie jetzt es lallte, verrieth nur zu deutlich die Stimmung ihrer Seele.
La Motte schritt nunmehr eilends zum Bette, als sie nach einem tiefen Seufzer wieder still ward. Er schlug den Vorhang auf und sah sie in tiefem Schlaf liegen, ihre Wange, noch naß von Thränen auf ihren Arm gelehnt. Er starrte sie einen Augenblick an, und indem er ihr unschuldiges liebliches Gesicht, blaß von Kummer, betrachtete, weckte das Licht, das ihr gerade in die Augen schien, sie auf, und da sie einen Mann sah, that sie einen Schrey.
Als ihre Besinnung zurückkehrte, erkannte sie La Motten, und in der Meinung, daß der Marquis nicht weit wäre, richtete sie sich im Bette auf, und bat ihn flehentlich um Schutz und Mitleid. La Motte stand da und sah sie starr an, antwortete aber nicht.
Seine wilden Blicke und finstres Schweigen vermehrten ihre Angst, und mit Thränen des Schreckens erneute sie ihr Flehen.
»Sie retteten mich einst vom Verderben,« rief sie, »o retten Sie mich auch jetzt! Haben Sie Mitleid mit mir: ich habe keinen Beschützer als Sie!«
»Was fürchten Sie denn?« sagte La Motte mit kaum hörbarer Stimme. –
»O retten, retten Sie mich vor dem Marquis!«
»So stehn Sie denn auf und kleiden sich schnell an. – Ich werde in wenig Minuten wieder kommen.«
Er zündete ein Licht an, das auf dem Tisch stand, und ging aus dem Zimmer. Adeline stand eilends auf und wollte sich anziehn: aber ihre Gedanken waren so verwildert, das sie kaum wußte was sie that, und ihr ganzer Körper zitterte so heftig, daß sie sich kaum einer Ohnmacht erwehren konnte. Sie warf sich so geschwind als möglich in ihre Kleider, und setzte sich nieder, um La Mottens Rückkunft zu erwarten.
Eine lange Zeit verstrich, ohne daß er erschien, und nachdem sie sich vergebens zu faßen gesucht hatte, wurde ihr die Pein des Wartens endlich so unerträglich, daß sie die Thüre ihres Zimmers öfnete, und an die Treppe gieng, um zu horchen. Sie glaubte unten Stimmen zu hören; da sie aber bedachte, daß, wenn der Marquis da wäre, ihre Erscheinung nur ihre Gefahr vergrößern müßte, hielt sie den Fuß zurück, den sie beynahe unwillkührlich schon auf die Treppe gesetzt hatte. Immer noch horchte sie, und immer glaubte sie, Stimmen zu vernehmen: bald darauf hörte sie eine Thüre zumachen, und dann Fußtritte – und eilte in ihr Zimmer zurück.
Beynahe eine Viertelstunde verstrich, und La Motte erschien noch nicht. Sie glaubte wieder Stimmen unten murmeln zu hören, und hin und her gehen dazu, und weil ihre Ängstlichkeit ihr nicht zuließ, in Zimmer zu bleiben, schlich sie sich leise durch den Gang, der auf die Wendeltreppe stieß, aber alles war wieder still. Doch schien nach wenig Augenblicken ein Licht vom Vorsaal herauf, und sie sah La Motten an der Thüre des gewölbten Zimmers. Er sah herauf, und da er sie erblickte, winkte er ihr, herunter zu kommen.
Sie zögerte, und sah sich nach ihrem Zimmer um; allein La Motte kam die Treppe herauf und sie ging ihm mit wankenden Schritten entgegen.
»Ich fürchte, der Marquis wird mich sehn,« sagte sie leise, »Wo ist er?«
La Motte faßte sie bey der Hand und führte sie fort, indem er ihr versicherte, daß sie nichts vom Marquis zu fürchten hätte. Doch schien die Wildheit seines Gesichts, und das Zittern seiner Hand dieser Versicherung zu widersprechen, und sie fragte, wohin er sie führte.
»In den Wald, damit Sie von der Abtey entfliehen können, ein Pferd wartet aussen auf Sie – ich kann Sie auf keine andre Weise retten.«
Ein neues Schrecken ergriff sie. Kaum konnte sie glauben, daß La Motte, der bisher mit dem Marquis einverstanden handelte, und sie in strengem Verhaft hielt, jetzt ihre Flucht selbst befördern wollte, und sie fühlte in diesem Augenblick eine bange Ahndung, die sie sich selbst nicht erklären konnte, daß er sie in den Wald lockte, um sie zu ermorden. Sie fuhr wieder zurück, und flehte um Barmherzigkeit. Er versicherte, daß er nur sie zu retten gesonnen sey, und bat sie, keine Zeit zu verderben.
Es lag etwas in seinem Wesen, welches Aufrichtigkeit sprach, und sie ließ sich von ihm zu einer Nebenthüre führen, die in den Wald ging, wo sie durch die Dunkelheit nur eben einen Mann zu Pferde unterschied. Dieses brachte ihr die Nacht ins Gedächtniß, wo sie im falschen Vertrauen auf den Mann, der am Grabe erschien, sich nach des Marquis Villa entführen ließ. La Motte rief, und Peter antwortete ihm, dessen Stimme Adelinen einigermaßen wieder aufrichtete.
La Motte sagte ihr nun, der Marquis würde morgen früh wieder nach der Abtey kommen, und dieß wäre die einzige Möglichkeit, seinen Anschlägen zu entfliehen. Sie könnte sich auf sein Wort verlassen, daß Peter Befehl hätte, sie zu bringen, wohin sie wollte; doch riethe er ihr, da der Marquis unermüdet sie aufsuchen würde, auf jeden Fall das Königreich zu verlassen, und mit Petern nach Savoyen zu flüchten, wo er eine Schwester hatte. Dort möchte sie bleiben, bis er selbst, für den jetzt kein längeres Verweilen in Frankreich mehr seyn würde, ihr nachkäme. Er bat sie, was ihr auch zustieße, nie der Vorfälle auf der Abtey zu erwähnen.
»Um Sie zu retten, Adeline,« sagte er, »habe ich mein Leben gewagt: vermehren Sie nicht durch unnöthige Entdeckung meine und Ihre Gefahr. Vielleicht sehn wir uns nie wieder, aber ich hoffe, Sie werden glücklich seyn;, und wenn Sie an mich denken, so erinnern Sie sich, daß ich nicht ganz so schlimm war, als man mich machen wollte.«
Mit diesen Worten gab er ihr etwas Geld, daß sie zu Bestreitung ihrer Reise bedürfen würde. Adeline konnte nun nicht länger an seiner Ehrlichkeit zweifeln, und die heftigen Regungen ihrer Freude und Dankbarkeit ließen sie kaum Worte finden. Sie hätte gern der Frau von La Motte Lebewohl gesagt, und bat wirklich darum; allein er wiederhohlte nochmahls, daß sie keine Zeit zu verlieren hätte, wickelte sie in einen großen Mantel und hob sie aufs Pferd. Sie sagte ihm mit Thränen der Dankbarkeit Adieu, und Peter sprengte so schnell, als die Dunkelheit es zuließ, mit ihr davon.
Als sie eine Strecke zurück gelegt hatten, fing er an:
»Ich freue mich von ganzem Herzen, Sie wieder zu sehn, Fräulein. Wer hätte denken rollen, daß nach allen diesem mein Herr selbst mir befehlen würde, Sie fortzubringen! – Nun, es bleibt einmahl gewiß, daß seltsame Dinge in der Welt vorgehen; allein ich hoffe, wir werden dießmahl besseres Glück haben.«
Adeline mochte ihm keine Vorwürfe über seine vorige vermeinte Verrätherey machen, sondern dankte ihm für seine guten Wünsche, und sagte, daß sie ebenfalls hoffte, sie würden dießmahl glücklicher seyn; Peter aber fuhr mit seiner gewöhnlichen Beredsamkeit fort, sie aus ihrem Irrthum zu reissen, und ihr jeden Umstand zu erzählen, den sein Gedächtniß – und gewiß hatte ihm die Natur ein sehr starkes gegeben – nur hergab.
Er äußerte eine so kunstlose Theilnahme an ihrem Wohlergehn, und solche Bekümmernis über alle ihre Kränkung, daß sie nicht länger an seiner Treue zweifeln konnte; und diese Überzeugung stärkte nicht nur ihr Vertrauen auf das gegenwärtige Unternehmen, sondern ließ sie auch mit Güte und Vergnügen auf sein Gespräch hören.
»Ich würde nimmermehr so lange auf der Abtey geblieben seyn,« sagte er, »wenn ich hatte fortkommen können: allein mein Herr setzte mich in solche Furcht vor dem Marquis, und ich hatte auch so wenig Geld, um in mein Land zu kommen, daß ich wohl bleiben mußte. Es ist recht gut, daß wir jetzt einige solide Louisd'or haben; denn ich zweifle sehr, Fräulein, ob die Leute unterwegs die Sächelchens, wovon Sie ehmals sprachen, statt Geldes, würden genommen haben.«
»Vielleicht wohl nicht,« sagte Adeline; »ich weiß es dem Herrn von La Motte Dank, daß er uns mit zuverläßigern Mitteln versehn hat. Welchen Weg müssen wir denn nehmen, Peter, wenn wir aus dem Walde kommen?«
Peter gab sehr genau einen großen Theil des Wegs nach Lyon an.
»Und von da,« sagte er, »können wir leicht zu meiner Schwester nach Savoyen kommen, das ist nur ein Sprung. Meine Schwester, Gott behüte sie, lebt hoffentlich noch, ich habe sie seit vielen Jahre nicht gesehen; allein sollte sie ja nicht mehr leben, so werden alle Leute sich freuen, mich wieder zu sehn, und Sie werden leicht ein Unterkommen finden, und alles was Sie brauchen dazu.«
Adeline beschloß, mit ihm nach Savoyen zu gehn. La Motte, der den Charakter und die Absichten des Marquis kannte, hatte ihr gerathen, das Königreich zu verlassen, und ihr gesagt, was ihre Furcht ihr ohnehin würde eingegeben haben, daß der Marquis sie unermüdet aufsuchen würde. Sein Bewegungsgrund zu diesem Rathe konnte nur der Wunsch seyn, ihr zu dienen; warum hätte er sonst, da sie in seiner Macht war, sie nach einem andern Orte geschaft, und ihr sogar Geld zur Bestreitung der Reisekosten gegeben?
Zu Leloncourt, wo Peter gut bekannt zu seyn sagte, konnte sie Schutz und Fortkommen hoffen, selbst wenn seine Schwester nicht mehr leben sollte; und die Entfernung und einsame Lage des Orts waren ganz nach ihrem Sinn. Diese Betrachtungen würden sie vermocht haben, nach Savoyen zu gehn, wenn sie auch in Frankreich nicht so ganz zufluchtslos gewesen wäre: in ihren jetzigen Umständen blieb ihr kein andrer Ausweg.
Sie erkundigte sich noch weiter nach dem Wege, den sie nehmen müßten, und ob auch Peter hinlänglich Bescheid wüßte?
»Wenn ich erst bis Tiers gekommen bin, so weiß ich mich wohl zu finden,« sagte Peter, »denn ich bin als Kind wohl hundertmahl den Weg gegangen, und jedermann weiß ihn zu sagen.«
Sie ritten nun einige Stunden in Stille und Dunkelheit fort, und erst als sie aus dem Walde kamen, sah Adeline das Morgenlicht die östlichen Wolken bestreichen. Der Anblick erquickte und erheiterte sie, und so wie sie schweigend dahin ritt, verweilte ihre Seele bey den Begebenheiten der vorigen Nacht, und sann auf Entwürfe der Zukunft. La Mottens letzte Freundschaft schien ihr von seinem vorhergehenden Betragen so sehr abzuweichen, daß es sie in Erstaunen und Verwirrung setzte, und sie konnte es nur durch eine der plötzlichen Anwandlungen von Menschlichkeit erklären, die zuweilen selbst auf das verworfenste Herz wirken.
Wenn sie sich aber seiner vorigen Worte erinnerte, »daß er nicht Herr über sich selbst wäre«, so konnte sie kaum glauben, daß bloßes Mitleid ihn sollte bewegt haben, die Bande zu brechen, die ihn bisher so stark fesselten; und wenn sie das veränderte Betragen des Marquis dazu nahm, so war sie geneigt zu glauben, daß sie ihre Freyheit einer Veränderung in dieses letztern Gesinnungen gegen sie verdankte: doch schien der Rath, den La Motte ihr gegeben hatte, das Königreich zu verlassen, und das Geld, womit er sie zu diesem Ende versah, dieser Meinung zu widersprechen, und verwickelte sie aufs neue in Zweifel.
Peter ließ sich nunmehr nach Tiers zurecht weisen; und sie erreichten ohne Unfall diesen Ort, wo sie still hielten, um ein wenig auszuruhn. Sobald Peter glaubte; daß das Pferd sich hinlänglich geruht hätte, machten sie sich wieder auf, und zum ersten Mahle sah Adeline von den reichen lyonnesischen Ebnen den Anblick der fernen Alpen, deren majestätische Häupter das Gewölbe des Himmels zu stützen schienen, und ihre Seele mit erhabenen Regungen erfüllten.
Nach wenig Stunden erreichten sie die Ebne, auf welcher Lyon, erbaut ist, dessen schöne Lage an zwey schiffbaren Flüssen, deren Ufer mit Lusthäusern geschmückt sind, Adelinen von der schwermüthigen Betrachtung ihrer eigenen Umstände und ihrer noch peinlichern Angst für Theodor abzog.
Sobald sie diese geschäftige Stadt erreichten, ließ sie ihr erstes seyn, sich nach einer Überfahrt über die Rhone zu erkundigen: doch fand sie es nicht rathsam, im Wirthshause darnach zu fragen, weil der Marquis ihr vielleicht bis dahin nachspüren, und auf solche Art ihren Weg erfahren konnte. Sie schickte also Petern ans Ufer um ein Boot zu miethen, während sie selbst nur eine leichte Mahlzeit zu sich nahm, um sogleich sich einschiffen zu können.
Peter kam bald zurück, und hatte ein Boot mit Leuten ausgemacht, die sie die Rhone hinauf nach der nächsten Küste von Savoyen bringen sollten, von wo sie zu Lande nach dem Dorfe Leloncourt gehen wollten.
Sobald sie ihre kleine Rechnung berichtigt hatte, ließ sie sich von ihm zu Schiffe führen, wo sich ein neues hinreissendes Schauspiel ihr darboth. Mit angenehmen Staunen sah Adeline den Fluß mit Schiffen besetzt, und den Landeplatz voll geschäftiger Gesichter, und fühlte den Abstand zwischen den fröhlichen Gegenständen rings um sie, und ihr selbst, einer verlaßnen hülflosen Waise, die vor Verfolgung und Vaterland floh. Sie sprach mit dem Schiffsherrn, und nachdem Peter das Pferd aus dem Wirthshause gehohlt hatte, (das La Motte ihm für rückständigen Lohn überließ) schifften sie sich ein.
So wie sie langsam die Rhone hinauf fuhren, deren steile, mit Gebürgen gekrönte Ufer den mannigfaltigsten wilden und romantischen Anblick darstellten, saß Adeline in stilles Träumen versunken. Die Neuheit der Scene, durch welche sie hin schwamm, die bald in schauerlicher Größe sich wölkte, bald in Fruchtbarkeit lächelte, belebt durch Dörfer und Städte, wiegte ihre Seele ein, und ihr Kummer sänftigte sich nach und nach in eine sanfte, nicht unangenehme Schwermuth. Sie hatte ich vorn ans Boot gesetzt, wo sie dessen Rand den schnellen Strom spalten sah, und dem Schlagen der Ruder zuhörte.
Das Boot fuhr einige Stunden langsam gegen den Strom an, und endlich hüllte der Schleyer des Abends die Landschaft ein. Die Luft war milde, und ohne den herabfallenden Thau zu achten, blieb Adeline im Freyen, sah die Gegenstande rings umher sich verdunkeln, die fröhlichen Farben des Horizonts schwinden, und allmählig die Sterne hervorkommen, die auf dem hellen Spiegel des Wassers zitterten.
Die Gegend war jetzt in tiefen Schatten gesunken, und die Stille des Abends wurde nur vom abgemeßnen Schlagen der Ruder, und zu Zeiten durch Peters Stimme, der mit den Schiffern sprach, unterbrochen. Adeline saß in Gedanken verloren: Das Verlaßne ihres Zustandes stellte sich im erhöhten Licht ihrer Einbildungskraft dar.
Sie sah sich von der Dunkelheit und Stille der Nacht umgeben, an einem fremden Orte, fern von allen Freunden, ging ohne zu wissen wohin, unter der Leitung von Fremden und vielleicht von einem gehäßigen Feinde verfolgt! Sie mahlte sich die Wuth des Marquis, wie er jetzt ihre Flucht entdeckt hätte, und wiewohl sie es sehr unwahrscheinlich fand, daß er ihr zu Wasser folgen würde, zitterte sie doch bey dem Gemählde, das ihre Fantasie entwarf. –
Dann wanderten wieder ihre Gedanken zu dem Plan ihres Lebens in Savoyen; und so sehr auch ihre Erfahrung sie gegen die Sitten eines Klosters eingenommen hatte, sah sie doch keinen schicklichern Zufluchtsort. Endlich begab sie sich in die kleine Cajütte, um einige Stunden zu ruhn.
Als Adeline die Abtey verließ, blieb La Motte eine Weile vor dem Thore stehn, um auf die Tritte ihres Pferdes zu horchen, bis der Schall der Hufe sich in der Ferne verlor, und kehrte dann mit einer Leichtigkeit des Herzens, die er lange nicht empfunden hatte, nach der Abtey zurück. Die Freude, sie, wie er hoffte, von den Absichten des Marquis errettet zu haben, überwog auf einige Zeit alles Gefühl der Gefahr, worein dieser Schritt ihn stürzen mußte.
Als er aber deutlich wieder an seine Lage. zurückdachte, traf das Schrecken vor des Marquis Rache wiederum mit voller Gewalt auf seine schuldige Seele, und er überlegte, wie er ihr am besten entgehn könnte.
Es war Mitternacht vorbey – der Marquis wollte in aller Frühe des folgenden Tages kommen, und in dieser Zwischenzeit glaubte er anfangs am sichersten aus dem Walde entfliehen zu können. Aber er hatte nur ein Pferd, und überlegte, ob es zuträglicher wäre, sich unverzüglich nach Auboine aufzumachen, wo er sich einen Wagen verschaffen konnte, um seine Familie und Sachen von der Abtey fortzubringen, oder ruhig des Marquis Ankunft abzuwarten, und zu versuchen, ob er ihn durch eine falsche Geschichte von Adelinens Flucht täuschen konnte.
Die Zeit, die darauf hingehn mußte, bis ein Wagen von Auboine nach der Abtey kam, würde ihm kaum noch so viel übrig gelassen haben, um aus dem Walde zu entwischen; das wenige Geld, was ihm von des Marquis Güte übrig blieb, konnte ihn nicht weit bringen; und wenn es ausgegeben war, sah er kein Mittel zum Fortkommen vor sich, im Fall er bis dahin noch unentdeckt seyn würde.
Wenn er auf der Abtey blieb, so gab er sich das Ansehen, als wäre er sich nicht bewußt, den Unwillen des Marquis zu verdienen, und wiewohl er nicht hoffen durfte, ihn glauben zu machen, daß seine Befehle vollzogen wären, konnte er doch vorgeben, daß nur Peter zu ihrer Flucht geholfen hatte, welches um so wahrscheinlicher war, da er ihn schon einmahl bey einem Anschlage ertappt hatte. Auch entging ihm nicht, daß er, im Fall der Marquis, ihm drohte, ihn in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern, sich durch die Drohung retten könnte, das Verbrechen ebenfalls zu entdecken, dessen Begehung der Marquis ihm aufgetragen hatte.
Diese Gründe bestimmten ihn, auf der Abtey zu bleiben und den Ausgang von des Marquis Verdruß abzuwarten.
Als der Marquis wirklich erschien, und Adelinens Flucht hörte, schreckten und beunruhigten die starken Bewegungen seiner Seele, die auf seinem Gesichte erschienen, La Motten über alle Beschreibung. Er verfluchte sich selbst und sie in so rauhen, heftigen Ausdrücken, daß La Motte erstaunte, dieß von einem Manne zu hören, dessen Sitten und äußres Betragen bey aller Heftigkeit und Sträflichkeit seiner Leidenschaften stets gefällig und einnehmend waren. Diese Ausdrücke zu ersinnen und auszutoben schien ihm Lindrung, ja Freude zu seyn. Doch schien er tiefer getroffen durch den Umstand ihrer Flucht, als aufgebracht über La Mottens Nachlässigkeit, endlich besann er sich, daß er nur Zeit verlöre, und verließ die Abtey, um, wie er sagte, seine Leute auf verschiednen Wegen hinter ihr her zu schicken.
Sobald er fort war, empfand La Motte, in der Meinung, daß es ihm gelungen sey, den Marquis durch seine Geschichte zu hintergehen, wiederum das reine Vergnügen, seine Pflicht gethan zu haben, und hoffte, daß Adeline jetzt vor aller Nachstellung sicher wäre. Diese Freude war von kurzer Dauer. In wenig Stunden. kam der Marquis, von Gerichtsdienern begleitet zurück. Der erschrockene La Motte wollte sich verstecken, als er ihn heran kommen sah, wurde aber ergriffen, und vor den Marquis gebracht, der ihn bey Seite zog.
»Man hintergeht mich nicht so leicht durch ein übel ersonnenes Mährchen,« fing er an; »Sie wissen, daß Ihr Leben in meinen Händen ist; sagen Sie mir ohne Umstände, wo Sie Adelinen verborgen haben, oder ich will Sie öffentlich des Verbrechens, das Sie gegen mich begingen, anklagen. Wenn Sie mir aber den Ort ihres Aufenthalts anzeigen, will ich die Gerichtsdiener fortschicken, und wenn Sie es wünschen, Ihnen behülflich seyn, das Königreich zu verlassen. Sie haben keine Zeit sich zu besinnen, und konnten wissen, daß ich nicht mit mir spielen lassen will.«
La Motte versuchte den Marquis zu beruhigen, und behauptete wirklich, nicht zu wissen wohin Adeline geflohen sey.
»Sie werden nicht vergessen, gnädiger Herr, daß Ihre Ehre ebenfalls in meiner Hand ist, und daß, wenn Sie es aufs äusserste kommen lassen, Sie mich zwingen werden, im Angesicht des Tags zu entdecken, daß Sie mich zum Mörder machen wollten.«
»Und wer wird Ihnen glauben? Die Verbrechen, welche Sie aus der Gesellschaft verbannten, werden nicht für Ihre Wahrhaftigkeit zeugen, und das, womit ich jetzt gegen Sie auftrete, wird einen hinlänglichen Beweis mit sich führen, daß Ihre Anklage boshaft ist. – Gerichtsdiener thut eure Schuldigkeit.«
Sie traten herein und ergriffen La Motten, dem der Schrecken jetzt alle Kraft zum Widerstande raubte, hätte auch Widerstand ihm helfen können, und der in seiner Angst und Bestürzung dem Marquis sagte, daß Adeline den Weg nach Lyon genommen hätte. Diese Eröffnung kam jetzt zu spät, um ihm zu nützen; der Marquis benutzte den Vortheil, den sie ihm gab, allein der Schritt war geschehen, und mit dem Schmerz, Adelinen ausgesetzt zu haben, ohne sich dadurch zu nützen, unterwarf sich La Motte schweigend seinem Schicksal.
Die Gerichtsdiener ließen ihm kaum Zeit, seine wenigen Sachen zusammen zu packen, und führten ihn von der Abtey, doch ließ der Marquis aus Rücksicht auf der Frau von La Motte äussersten Jammer einen seiner Bedienten von Auboine einen Wagen herbey schaffen, damit sie ihrem Manne folgen konnte.
Indessen schickte der Marquis, erfreut, Adelinens Weg zu wissen, seinen treuen Kammerdiener hinter ihr her, mit dem Befehl, sobald er sich aufgespürt und gesichert hätte, nach der Villa zurück zu kommen.
Der Verzweiflung Preis gegeben, verließen La Motte und seine Frau den Fontaneiller Wald, der so viele Monathe ihnen eine Zuflucht verschafft hatte, und schifften sich noch einmahl ein in die stürmische Welt, wo die Gerechtigkeit in Gestalt des Verderbens auf La Motten wartete. Als Vertriebene, durch La Mottens Vergehungen, waren sie in den Wald eingegangen, und fanden eine zeitlang die gesuchte Sicherheit; andere Verbrechen aber – denn selbst in diesem abgeschiedenen Aufenthalt fehlte es nicht an Versuchung, folgten bald, und sein Leben, bereits durch die Strafe des Lasters gestämpelt, both ihm jetzt einen neuen Beweis der Wahrheit dar, daß wo Schuld ist, Friede niemahls wohnen kann.