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Wieder saß der Herr des Hauses am Schloßberge in seiner Bücherei und sah über die Stadt ins offene Land hinaus. Die ersten Schneeflocken des Jahres trieben sich in der grauen Luft um. Es waren ungefähr drei Wochen seit dem Tage vergangen, an welchem Doktor H. Weyland den Papa Wunnigel und Fräulein Anselma Wunnigel auf dem Riedhorn kennengelernt hatte, und die Welt war für ihn seitdem doch so ganz nach und nach eine merkwürdig andere geworden. Nicht aber bloß für den Herrn des Hauses am Schloßberge, sondern für das ganze Haus.
Aus dem Nebenzimmer ertönt dann und wann ein eigentümliches Getöse. Es summt, brummt und poltert da. Von Zeit zu Zeit fällt wohl auch etwas zu Boden und wird mit laut kundgegebenem Verdruß aufgehoben. Gerät wird hin und her gerückt. Zuweilen unterhält sich der Urheber all dieses Geräusches durch schönen, wenngleich etwas heiseren Gesang; zum Exempel eben, wo er mit dumpf-behaglichem Klagelaut singt:
»Der Landesfürst ist uns gestorben,
Es steht ein Thron in Deutschland leer.
Viel Achtung hat er sich erworben;
Reicht schnell ein frisches Sacktuch her!
Des Volkes Tränen fließen,
Den Edlen zu begießen;
Die ganze Garnison
Weiß auch das Unglück schon!«
Auf welches landesherrliche höchstselige Abscheiden sich diese Nänie bezog, können wir leider nicht sagen; aber in einer Beziehung war freilich das Unglück da, und auch bereits Stadtgespräch: der junge Arzt vom Schloßberge, Dr. Heinrich Weyland, hatte den Papa Wunnigel im Hause! – – – Unten im Hause aber sprach Kalmüsel zur Jungfer Männe:
»Kommt es Ihnen nicht auch so vor, Jungfer, als ob unser Herr schon vorm Jahr begraben worden wäre, Jungfer?«
Und die Jungfer Männe erwiderte tückisch-grimmig:
»Nur stille! Acht Tage lang müssen wir es der Schande halber noch ruhig ansehen; aber dann – tue ich den Mund auf, Kalmüsel! Verlasse Er sich drauf, Kalmüsel.«
Für den jungen Mann im Fenster hatte der Verlauf der Dinge durchaus nichts Außergewöhnliches – konnte dergleichen eigentlich aber auch gar nicht an sich haben. Nachdem er dem Regierungsrat nun auch bei dem Rottmeister begegnet war, war es doch das natürlichste, daß er den quecksilbrigen Antiquitätenfanatiker aufforderte, sich bei Gelegenheit doch einmal sein Haus und dessen Inhalt anzusehen; und das alte Herrchen am Untertor hatte ebenso naturgemäß gemeint:
»Ei freilich, mein lieber Herr, dieses wäre in der Tat etwas für Sie. Besuchen Sie doch ja einmal den Herrn Doktor; Sie werden da Ihr blaues Wunder zu sehen kriegen.«
Blaue Wunder zu sehen und andere Leute sie sehen zu lassen, dazu war der Königliche Regierungsrat Wunnigel einzig und allein auf die Welt gekommen.
»Nennen Sie mich ein altes Kind, lachen Sie über mich, ärgern Sie sich über mich, mir einerlei, ich bin einmal so!« sagte der Papa Wunnigel schmeichelnd, als er an einem der nächstfolgenden Tage Arm in Arm mit dem Arzt die steilen Pfade des Schloßberges hinanstieg. »Eine Tugend aber habe ich«, setzte er hinzu, ich kenne meine Schwächen und wünsche die Leute davor zu warnen: nämlich ich pflege nur allzu gern den Teller mit herunterzufressen, wenn ich einmal an mein Leibgericht angeleckt habe, – – o, alle Wetter!«
Der letzte Ausruf galt den beiden Partisanenträgern, der lächelnden Medusa und der Jahreszahl neben und über der Pforte des Hauses Weyland. Der Papa Wunnigel hatte unbedingt in diesem Moment bereits angeleckt; uns aber ermangelt wahrlich die Kraft und Fähigkeit, mit allen Farben zu schildern, wie er dann in der vollen Bedeutung des Wortes sich zu Tische setzte oder vielmehr auf diesem noch vollständig unabgegraseten Felde sich aufs Futter stürzte! Der Eigentümer dieses Feldes konnte fürs erste nur lächelnd mit Hm und Ha, und dazu durch die überwältigende Verzückung des Gastes selber aufgeregt, hinter ihm drein schreiten, stillstehen, wenn jener auf den Knien lag, die Leiter halten, wenn er an der steilen Wand hinauflaufen wollte.
»Mensch! Engel! Gottessohn!« schrie der Regierungsrat endlich, nachdem das Haus vom Keller bis zum Boden durchwandert und durchkrochen war, in einer Fensternische der Bücherei, den Eigentümer an den Schultern packend. »Gesegnetster der Sterblichen, sagen Sie jetzt mal, wie lange werden Sie noch an meiner Tochter kurieren?«
Das war nun auch eine Frage, die der Arzt in diesem Moment sich selber noch einmal langsam wiederholen mußte, ehe er beginnen konnte, sie zu beantworten. Aber schon im Anfangen riß ihm der Papa Wunnigel das Wort wieder vom Munde.
»Vor vier Wochen kann das Kind nicht reisen«, schrie er. »Unter keinen Umständen! Verzeihen Sie meinen Vaterängsten, die mich in betreff der armen Kleinen stets viel nervöser machen, als die Erkältung oder der verdorbene Magen der jungen Person Ihnen, dem Manne der Wissenschaft, vielleicht zu erfordern scheinen. Aber es ist so! Ich versichere Sie, es ist so, Weyland, und ich kenne das! Auf der nächsten Station legt sich das Mädchen von neuem auf die Nase, wenn Sie morgen oder übermorgen das Verdikt ›Genesen!‹ abgeben, und ich sitze abermals mit ihr da. Auf dem Riedhorn hat sich das arme Ding jetzt ziemlich behaglich eingesponnen; – gönnen wir ihm Zeit, gönnen wir ihm Zeit! Lassen wir es ruhig sich vollständig wieder erholen. Ich würde es nicht verantworten können, es jetzt in den beginnenden Winter hinauszureißen, also – Weyland, lieber, guter Weyland, wie hart es mir ankommt, aber – da haben Sie meine Hand darauf: vier Wochen gebe ich Ihnen noch Zeit, um Ihre treffliche Kur an meiner Anselma zu vollenden.«
Der Doktor nahm die Hand, die ihm mit zuckendem Eifer hingehalten, aufgedrängt wurde, und er drückte sie sogar auch ein wenig, aber wieso, warum, wozu, weshalb, das hätte er in diesem Augenblicke wahrlich nicht anzugeben gewußt. Es war jedenfalls viel Mechanisches dabei, wie denn überhaupt viel Mechanisches in vielen Dingen steckt, wo es gefühlvolle Seelen und zarte, überschwellende Herzen, gutmütige Gemüter und begeisterte Thyrsosträger jeglicher Art nur mit den Gefühlen von Heiligtumsschändern zu vermuten wagen.
Drei Wochen von den vier waren nunmehr bereits hingegangen: der junge Doktor blickte von dem Fenster des Spinozisten in die ersten Schneeflocken des Jahres hinaus, und – im Zimmer nebenan wirtschaftete Wunnigel, in unbestimmte Träume verloren der eine, selig der andere.
Ja, der Doktor hatte einen seligen Menschen im Hause, und dieser Selige war nicht er selber mit seinen süßen Träumen, sondern natürlich Wunnigel inmitten seines höchst realen Gerümpels. Nicht der Mann der Zukunft, der verdrießlich auf die Veilchen, Gelbveigelein, Lilien und Rosen des nächsten Jahres paßte, sondern das alte Kind, das da in dem Staub, dem Wurmmehl und dem Spinneweb der Vergangenheit schwelgte.
Daß er eine Tochter besitze, schien dem Regierungsrat gänzlich entgangen zu sein; kam ihm aber doch einmal die Erinnerung daran, so war ihm die Tatsache nur insofern von Bedeutung, als er daraufhin wieder einmal seinen freundlichen Wirt nach dem Riedhorn und dem Mädchen hinausschicken konnte.
»Tun Sie sich um Gotteswillen meinetwegen keinen Zwang an, Weyland. Sie wissen, wie gern und vergnüglich ich allein mich zurechtzufinden weiß.«
Allein in und mit dem Hause am Schloßberge! Kalmüsel und die Jungfer Männe mit zum Hause gezählt! – Man müßte selber ein Mann, ein Mensch, ein »Ekel« wie der Regierungsrat außer Dienst Wunnigel sein, um die Seligkeit ganz zu fassen.
Die Sache aber hatte sich folgendermaßen gemacht. Dem ersten Besuche des antiquarischen Fanatikers war am folgenden Tage ein zweiter gefolgt, diesem am dritten ein dritter, am vierten ein vierter und so fort, bis am späten Abend des achten Tages der tägliche Gast seinen Wirt zärtlichst in die Arme zog und erklärte:
»Kind Gottes, da schlägt es zehn, und der Regen klatscht selbst mir zu arg ans Fenster. Und der Wind –
›Horch, der Wind erwacht am Strand,
Und die Nordsee donnert ferne‹;
wissen Sie was, Weyland? Ich laufe heute abend mal nicht durch das Unwetter und die Finsternis nach dem Riedhorn zurück. Ich bleibe hier – ich bleibe bei Ihnen. Wir lassen die Jungfer Männe noch für etwas kochend Wasser sorgen, rücken gemütlich zusammen, Sie erzählen mir von sich, ich erzähle Ihnen von mir, und nachher krieche ich behaglich in jedes Bett, das mir Ihre Gastfreundlichkeit anweisen wird. Es wird mir ein wahrer Genuß sein, eine Nacht unter diesem Ihrem wunderbaren Dache zu – verträumen.«
»Aber – aber Fräulein Tochter?« hatte der Doktor sich erlaubt zu stottern.
»Ach was! Fräulein Tochter! Fräulein Tochter weiß aus mehrfacher Erfahrung, daß ihr Papa ihr nicht verlorengeht, wenn er mal über Nacht vom Hause wegbleibt. Kalmüsel, ich bleibe diese Nacht hier.«
Kalmüsel sah mit einem unbeschreiblichen Blicke seinen Herrn an; aber was konnte dieser anders tun, als lächelnd nicken, und Kalmüsel drehte sich stumm, zog die Stubentür leise hinter sich zu, hielt sich draußen giftig drohend die Faust vor die Stirn, seufzte und stieg schwer die Treppe hinunter zur Jungfer Männe, um ihr zu verkünden, was soeben da oben ausgemacht worden war.
Die Jungfer Männe stieß die Spicknadel wie ein Stilett in den unglücklichen Hasen, den sie gerade zur richtigen Stunde auf dem Küchentische kunstgerecht für morgen zurichtete, und sie stöhnte:
»Das ist das Letzte; aber keiner soll mir kommen und sagen, daß ich es nicht habe kommen sehen! Da sollte man sich aber doch wahrhaftig mit Tränen nach einer Kammer mit Wanzen im Hause sehnen!« – – –
»Die ganze Garnison
Weiß auch das Unglück schon!«
tönte es immer wiederholt, refrainartig, aus dem Nebengemach der Bücherei. Ja, wenn man Wanzen oder ähnliches Ungeziefer herbei- oder wegsehnen könnte! Freilich wäre Wunnigel wahrscheinlich auch wanzenfest gewesen. Jedenfalls blieb er die Nacht über im Hause am Schloßberge, und nicht bloß diese eine Nacht. Und er suchte sich sogar sein Schlafgemach auch selber aus, und nachdem er es gewählt hatte, sprach er mit einem Grunzen der Behaglichkeit:
»So! – Ahm!« – – –
»Des Volkes Tränen fließen,
Den Edlen zu begießen;
Die ganze Garnison
Weiß auch das Unglück schon!«
tönt es fort und fort dumpfsummend aus dem Nebengemach, und – krach! da scheint ein ganz Brett voll Kuriositäten von der Wand niederzustürzen. Der Träumer am Fenster fährt zusammen; aber in der Tür der Bücherei erscheint der Urheber alles dieses Getöses und sagt:
»Diesmal war's noch nichts. Ich selber war's. Das alte Rohrgeflecht von 1780 gab nach, als ich eben auf den Stuhl stieg, um die Meißener Porzellangruppen neben dem Ofen von den Wandkonsolen herabzulangen. Aber wie sitzen Sie denn nur, Weyland? Versauern Sie mir nur nicht ganz über Ihrer Wissenschaft. Sie sollten doch wirklich heute mal wieder meiner Tochter Gesellschaft leisten. Stellen Sie sich nur immer recht deutlich vor, wie verlassen sie da draußen unter den Bauern und den Stammgästen des Riedhorns sitzt. Und es ist doch so ein gutes Mädchen und eigentlich von Natur auch ganz heiteren Temperaments und für geselligen Verkehr durchaus nicht unbegabt. Schade darum! Ich tue wohl mein möglichstes, der armen jungen Kreatur ihren Lebensweg zu erheitern; aber ich frage Sie: was kann denn solch ein alter Bursche und Murrkopf wie ich in dieser Hinsicht leisten?«
Daß solch ein Wort je auf einen unfruchtbaren Boden fallen könnte, wäre gänzlich gegen die Natur.
Es ist ein lustiger Tanz der Schneeflocken da draußen. In der Stadt verlangen keine Patienten nach dem Doktor vom Schloßberge. Und über die Dächer und Türme der Stadt hinweg liegt da winterlich, aber nicht unbehaglich verschleiert, das weite offene Land, und die Pappelallee nach dem Riedhorn ist deutlich zu erkennen, den Flocken und dem grauen Dunst zum Trotz. Die Dohlen sind ungemein lustig in der Luft und um die Türme; manchmal streicht eine von ihnen dicht vor dem Fenster des Spinozisten her mit munterem, frechem Gekrächz. Und der Daus verdient auch seinen Hafer im Stall mit Sünden; – eine Viertelstunde später sind wir im Einspänner auf dem Wege zum Riedhorn; und Wunnigel, der Papa Wunnigel, ist allein mit dem Hause am Schloßberge.
Allein zu sein mit dem, woran man sein Herz gehängt hat!
»Die ganze Garnison
Weiß auch das Unglück schon!«
summt der Doktor Heinrich Weyland, bereits in der Pappelallee mit Daus und Kalmüsel hinrasselnd, und fügt hinzu:
»Das alte Monstrum kann einen wahrhaftig verrückt machen, wenn's so sich einen ganzen Tag lang an solchem abgeschmackten Singsang mit seiner verruchten Grölstimme festklemmt!
›Viel Achtung hat er sich erworben,
Reicht rasch ein frisches Sacktuch her‹; –
es war weiß Gott nicht länger auszuhalten, und ich will nur hoffen, daß er mich bei der Heimkunft nicht immer noch mit derselben Melodie empfängt. Imstande ist er dazu. Festklemmen! Gütiger Himmel, der Kerl ist doch der reine Kannibale und imstande, dem edelsten Weibe, der zartesten deutschen Jungfrau gegenüber schmatzend sich zu fragen: Gott, wie könnte die gebraten schmecken? – Wenn mir nur seine Tochter da auf dem Riedhorn nicht so unendlich leid täte!«
Da auf dem Riedhorn! Wir haben schon gesagt, daß man das Haus in der schnurgeraden Allee von Anfang derselben an als weißen Punkt vor sich hat. Der Doktor Weyland fährt darauf zu und hält es um Kalmüsels Buckel herum fest im Auge. Es wächst. Aus dem Punkt wird ein heller Fleck mit schwarzen Augen. Es wächst, wie der Daus vorwärts stapelt, in allen seinen Einzelheiten, und der Doktor Weyland lernt es immer besser auswendig kennen. Aus den schwarzen Augen werden die Fenster – da ist rechts über der großen Einfahrt die Stelle, wo der Kalkbewurf von der Wand gefallen ist und das Fachwerk und die Ziegel zutage treten. – Nordwind verkündigt ein Teil der Wetterfahnen auf den Giebeln, Südwind ein anderer. Da sind die beiden Fenster der Honoratiorenstube, und da sind hinter den trübangehauchten Scheiben die beiden Gesichter jener zwei Stammgäste, welche die Fensterplätze die ihrigen nennen.
Die beiden Philister sehen dich auch kommen, denkt der junge Mann im Einspänner und fühlt sich fähig, besagten zwei würdigen Herren und sehr guten Bekannten eine Grobheit zu sagen; jedoch fähig, sie zu ohrfeigen, wird er, als er beim Absteigen inne wird, daß sie ihm beide verständnisvoll heiter zunicken. Er weiß nur allzu genau, was sie den übrigen Herren schlau mitteilen, während er in das Haus tritt und die Begrüßung Noltes erwidert.
Ach, dummes Zeug! Was kümmert uns die Honoratiorenstube und ihr Geschwätz! Haben wir uns etwa nach den holden Augen Herrn Müllers gesehnt? Haben wir die ganze Pappelallee entlang und um Kalmüsels breiten Rücken und Mantelkragen herum nur nach Kommissionsrat Schmidts Gruße ausgelugt?
Keineswegs! – Vorbei mit einem Achselzucken an der Pforte des städtischen Klubzimmers; – langsam, Schritt für Schritt die Treppe wieder weiter hinauf! Wahrlich, die Welt bietet nicht solch ein Übermaß von Genüssen, daß man sie in Sprüngen überfliegen dürfte.
Und ist nicht jede Stufe, die man augenblicklich aufwärtssteigend betritt, ein Glück? Und ist nicht der Treppenabsatz, auf dem man einen Moment stillhält und sich nochmals faßt und alles zusammenfaßt, eine Seligkeit?
Welch ein Behagen ist auf diesem Treppenabsatz die Vorstellung, daß man Wunnigel, den Herrn Regierungsrat außerdienst Wunnigel, den Papa Wunnigel, ruhig mehr denn eine Meile Weges im Nebengemach der Bücherei zwischen Staub, Wurmmehl, altem Porzellan und aller sonstigen Breccie und Nagelfluhe der Vergangenheit – in Sicherheit hat! Welch ein wonniges Genügen blüht auf über diesem Treppenabsatz aus dem Gedanken, daß er – der Vater Anselma Wunnigels – nicht »Herein!« rufen kann, wenn man fünf Sekunden später schüchternst sich die Freiheit nehmen wird, an eine andere Tür als die der Honoratiorenstube leise anzupochen!
Von Geschnarr kann nicht die Rede sein in betreff des Stimmchens, das jetzt hier »Herein!« ruft. Im Gegenteil, ganz leise und schüchtern melodisch sagt das Stimmchen dann:
»Ich sah Sie schon von ferne, Herr Doktor. Auch bei diesem Wetter haben Sie sich herausgewagt? Aber der erste Schnee ist immer hübsch und behaglich, nicht wahr? O, mir geht es viel besser!«
Wahrlich, der Doktor Heinrich Weyland hatte sich auch bei solcher Witterung nach dem Riedhorn hinausgewagt. Was man so gewöhnlich Heldenmut nennt, gehörte nicht zu dem Wagnis; höchstens vielleicht jener Heroismus der süßesten Sorte, welcher dann und wann erforderlich ist, die altjüngferliche Feindin lieblichsten Behagens, die Blödigkeit, zu überwinden.
Nun hat der Papa Wunnigel in dem Hause am Schloßberge freilich gute Weile und freie Hand, wie sehr sich auch die Jungfer Männe darob erbosen mag. Aber der junge Arzt auf dem Riedhorn hat ebenfalls freie Hand und gute Weile, und beides ist ihm nicht für alle Raritäten in der Welt, nicht für Herkulanum, Pompeji und Stabiae feil.
Ei, wie ist das eine günstige Gelegenheit, ganz andere begrabene, unbekannte, ungeahnte Schätze aus der Tiefe hervorzuwühlen, was auch die alten Herren, guten Freunde und Stammgäste da unten im Riedhorn dazu sagen mögen!