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IV

Am nächsten Tag, es war ein strahlender Sonntag, brachen wir in Jericho unsere Zelte ab; und mit der Sonne westwärts ziehend, gelangten wir durch das Tal Cherith nach Galiläa.

Aber sei es, daß der tröstliche Quell der Bewunderung in mir versiegt war oder daß meine Seele, die für einen Augenblick zu den Gipfeln der Weltgeschichte entführt und dort von den herben Strahlen der Erregung getroffen worden war, nicht mehr die stillen und einsamen Wege Syriens zu schätzen wußte – ich verspürte immer nur Gleichgültigkeit und Ermüdung, vom Lande Ephraim bis zum Lande Sebulon.

Als wir in jener Nacht in Bethel unser Lager aufschlugen, stieg der Vollmond hinter den schwarzen Bergen von Gilead empor ... Der fröhliche Potte zeigte mir den geheiligten Boden, auf dem Jakob, ein Hirte von Bersabe, einmal, als er auf einem Felsen eingeschlafen war, eine schimmernde Leiter erblickte, die an den Sternen befestigt war und zu seinen Füßen endigte, und schweigende Engel stiegen mit geschlossenen Flügeln zwischen Himmel und Erde auf und ab ... Ich gähnte schrecklich und brummte: »Sehr chic!«

Und brummend und gähnend durchquerte ich das Land der Wunder. Die Anmut der Täler war so langweilig wie die Heiligkeit der Ruinen. Am Jakobsbrunnen, auf dem gleichen Stein, wo Jesus gesessen hatte – ermüdet wie ich von der Hitze der Landstraßen und wie ich aus dem Krug einer Samariterin trinkend – und die neue Art, Gott zu verehren, gelehrt hatte; auf den Höhen des Karmels, in einer Klosterzelle, wo ich nachts die Zedern rauschen hörte, die Elia beschattet hatten, und wo in der Tiefe die Wellen murmelten, die Hiram, dem König von Tyrus, Untertan gewesen waren; mit im Winde wallendem Burnus durch die Ebene Esdrelon galoppierend, gemächlich auf dem See Genezareth rudernd, in Schweigen und Licht gehüllt – immer hatte ich an meiner Seite als treuen Weggefährten den Überdruß, bei jedem Schritt drückte er mich unter seinem grauen Mantel an seine weiche Brust.

Manchmal aber schwellte eine feine, genußreiche Sehnsucht, aus der fernen Vergangenheit kommend, leise meine Seele, wie ein träger Lufthauch einen schweren Vorhang hebt ... Und dann sah ich, vor Zelten rauchend, durch trockene Wildbachbetten trabend, mit Entzücken Bruchstücke dieses Altertums wieder, das mich begeistert hatte – die römische Therme, wo ein wunderbares Geschöpf in gelber Mitra sich feilgeboten hatte, unzüchtig und priesterlich; den schönen Manasse, wie seine Hand das edelsteinbesetzte Schwert hob; die Kaufleute, wie sie im Tempel die Brokate Babyloniens entfalteten; das Urteil gegen den Rabbi in roter Schrift auf einem Steinpfeiler an der Porta Judiciaria; erhellte Straßen, Griechen, die Kallabida tanzten ... Und dann spürte ich eine angstvolle Lust, mich noch einmal in diese unwiederbringliche Welt zu versenken. Lächerlich! Ich, ein Raposo und Doctor juris, im satten Genuß allen Komforts der Zivilisation, hatte Heimweh nach diesem barbarischen Jerusalem, nach der Stadt, in der ich an einem Tag des Nisanmonats gelebt hatte, als Pontius Pilatus Prokurator von Judäa war!

Dann erstarben diese Erinnerungen wie Feuer, dem der Brennstoff fehlt. In meiner Seele blieb nur Asche – und vor den Ruinen auf dem Berge Ebal oder unter den Obsthainen, die duftend das levitische Sichem durchziehen, begann ich wieder zu gähnen.

Als wir nach Nazareth kamen, das in der Öde Palästinas wie ein auf einen Grabstein gelegter Blumenstrauß aussah, interessierten mich nicht einmal die schönen Jüdinnen, bei deren Anblick sich einst das Herz des heiligen Antonius mit überquellender Zärtlichkeit gefüllt hatte. Mit ihren roten Krügen auf den Schultern stiegen sie zwischen den Sykomoren zu der Quelle hinauf, zu der Maria, die Mutter Jesu, jeden Abend zu gehen pflegte, singend wie sie und wie sie weiß gekleidet ... Der fröhliche Potte strich sich den Bart und flüsterte ihnen Komplimente zu; sie lachten, senkten die dichten, weichen Wimpern. Angesichts so holder Bescheidenheit hätte Sankt Antonius, auf seinen Stab gestützt, den langen Bart schüttelnd, geseufzt: »O reine Tugend, Erbe Mariens voll von Gnade!« Ich meinerseits brummte kurz angebunden: »Verdrehte Frauenzimmer!«

Durch kleine Gäßchen, in denen Feigenbaum und Rebe demütige Häuschen beschatten, wie es dem lieben Heimatdorf desjenigen geziemt, der Demut lehrte, gelangten wir auf den Berggipfel von Nazareth, den stets der freie Wind umsaust, der von Idumäa herkommt. Dort zog Topsius die Mütze und begrüßte jene Ebenen, jene Weiten, die gewiß auch Jesus von hier aus betrachtet hatte. Beim Anblick dieses Lichts und dieser Anmut wurde ihm die unvergleichliche Schönheit des Gottesreiches klar ... Der Zeigefinger des gelehrten Geschichtsschreibers wies mir alle religiösen Orte, deren klangvolle Namen mit der Feierlichkeit einer Prophezeiung oder dem Dröhnen einer Schlachttrompete in die Seele dringen: Esdrelon, Endor, Sulem, Tabor ... Ich sah hin und drehte mir eine Zigarette. Über dem Karmel lächelte schneeiges Weiß; die Ebenen Peräas funkelten, überwogt von goldenem Staub. Melancholie bedeckte die Berge Samarias; große Adler kreisten über den Tälern ... Brummend gähnte ich: »Ganz nette Aussicht!«

Eines Morgens endlich begannen wir nach Jerusalem hinabzusteigen. Von Samaria bis Rama wurden wir von jenen riesigen schwarzen Regenwolken Syriens begossen, die auf einmal brüllende Sturzbäche zwischen den Felsen hervorstürzen lassen; dann, in der Nähe des Hügels von Gibeah, wo dereinst in seinem Garten zwischen Lorbeer und Zypressen David die Harfe spielte und auf Zion blickte, war auf einmal wieder alles voll Heiterkeit und blauem Himmel. Und eine Unruhe verfing sich in meiner Seele wie trauriger Wind in einer Ruine ... Ich würde Jerusalem sehen! Aber – welches? Würde es das gleiche sein, das ich eines Tages üppig in der Nisansonne glänzen gesehen hatte, mit den furchterregenden Türmen, dem goldfarbenen und schneefarbenen Tempel, mit Akra, voll von Palästen, und Bethesda an den Gewässern des Enrogel? ...

»El Kurds! El Kurds!« rief der alte Beduine, der eine ragende Lanze trug, und kündigte so unter ihrem muselmanischen Namen die Stadt des Herrn an.

Aufgeregt begann ich zu galoppieren ... Und dann sah ich sie dort unten, bei der Kidronschlucht, düster, vollgepfropft mit Klöstern und in ihre baufälligen Mauern eingezwängt, wie eine verlauste Bettlerin, die sich in einem Winkel in die Fetzen ihres Mantels hüllt, um zu sterben. Bald darauf, nachdem wir das Damaskustor passiert hatten, schlugen die Hufe unserer Pferde auf das Pflaster der Christengasse; nahe der Stadtmauer nahm ein fetter Frater mit einem Brevier und einem wollenen Regenschirm unter dem Arm eine geräuschvolle Prise. Im Hotel »Mittelmeer« stiegen wir vom Pferd; in der langen Halle las unter einem Reklameplakat, das Holloway-Pillen anpries, ein Engländer mit einem viereckigen Glasscherben im Auge, die Füße auf dem Ripssofa, die »Times«. Auf einer offenen Veranda, auf der weiße Unterhosen mit Kaffeeflecken trockneten, brüllte eine heisere Kehle: »C'est le beau Nicolas, holà!« ... Ach, da war es ja, da war es ja, das katholische Jerusalem! ... Später, als wir unser helles, durch die blaugeblümte Zwischenwand verschöntes Zimmer aufgesucht hatten, glänzte noch für einen Augenblick in meinem Gedächtnis ein gewisser Saal auf, mit Goldkandelabern und einer Statue des Augustus, wo ein Mann in der Toga den Arm ausgestreckt und gesagt hatte: »Cäsar kennt mich gut!«

Dann lief ich ans Fenster, um die lebendige Luft des modernen Zion einzuschlürfen. Da war das Kloster mit seinen geschlossenen grünen Fensterläden, und dort waren die Regenrinnen, die an diesem milden, sonnigen Abend stumm blieben ... Zwischen Gartenterrassen schlängelten sich Treppen, auf denen sich Franziskaner in Sandalen und magere Juden mit schmutzigen Ringellocken begegneten ... Und welche Ruhe in diesen kühlen Zellenwänden nach den glühenden Landstraßen Samarias! Ich befühlte das weiche Bett. Ich öffnete den Mahagonieschrank. Ich strich liebkosend über das Paket mit Marys Nachthemd, das da rund und graziös mit seinem roten Bändchen zwischen meinen Socken nistete.

In diesem Augenblick trat der fröhliche Potte ein, um mir das kostbare Paket mit der Dornenkrone zu überbringen, rund und nett mit seinem roten Bändchen; und frohgemut erzählte er mir die Neuigkeiten von Jerusalem. Er hatte sie von dem Barbier in der Via Dolorosa bezogen, und sie waren gewichtig. Von Konstantinopel war ein Firman gekommen, der den griechischen Patriarchen in die Verbannung sandte, einen armen, alten, mit einem Leberleiden behafteten Mann von evangelischer Tugend, der den Armen half. Der Konsul Damiani hatte in dem Reliquiengeschäft in der Armenischen Straße mit dem Fuß aufgestampft und behauptet, daß noch vor dem Dreikönigstage wegen der Schlägerei zwischen den Franziskanern und der Protestantischen Mission Italien die Waffen gegen Deutschland erheben werde. In Bethlehem, in der Geburtskirche, hatte ein lateinischer Pater in einem Streit beim Segnen der Hostie den Kopf eines koptischen Paters mit einer Wachskerze zerbleut ... Und schließlich – höchst bejubelnswerte Neuigkeit! – hatte sich zur Freude Zions unter dem Tor des Herodes, hoch über dem Tale Josaphat, ein Café mit Billards aufgetan, genannt »Café Sinai«!

Sofort wurde alle schmerzliche Sehnsucht nach der Vergangenheit, alle Asche, die mir die Seele bedeckte, von einem frischen Wind der Jugend und Modernität fortgeblasen ... Ich hüpfte über den hallenden Steinboden: »Hoch das schöne Café Sinai! Hin, hin! Auf zum Karambol! Ich sterbe ja schon vor Sehnsucht, mich zu amüsieren! Und Weiber brauche ich! ... Leg das Dornenpaket her, schöner Potte ... Das bedeutet viel Moos, Potte! Jesus, Tantchen wird sich vor Wonne besabbern! ... Leg es auf die Kommode, zwischen die Leuchter ... Und dann, nach dem Essen, mein Pottchen, auf ins Café Sinai!«

Eben trat der weise Topsius atemlos ein; er brachte eine schöne historische Neuigkeit: Während unserer Pilgerfahrt durch Galiläa hatte die »Kommission für biblische Ausgrabungen« unter jahrhundertealtem Schutt eine der Marmortafeln gefunden, die nach Josephus und Philon und dem Talmud im Tempel am Schönen Tor aufgerichtet gewesen waren, mit einer Inschrift, die den Heiden den Eintritt verbot ... Und er drängte, wir sollten nur rasch die Suppe essen und sofort dieses Wunder anstaunen gehen ... Einen Augenblick lang strahlte in meinem Gedächtnis ein Tor, schön, kostbar und triumphierend auf seinen vierzehn Stufen von grünem numidischem Marmor ...

Ich hob protestierend die Arme. »Ich will nicht!« rief ich barsch. »Ich habe es satt! Zum Kuckuck! Und hiermit erkläre ich es Ihnen feierlich, Topsius: Von heute an will ich nicht mehr ein Steinchen, nicht mehr den kleinsten Fleck ansehen, der was mit Religion zu tun hat ... Schluß! Ich habe meine Dosis genommen, und eine starke, eine sehr starke, Doktor!«

Der Weise war wütend und rannte davon; die Rockschöße klebten ihm an den Hinterbacken.

 

In dieser Woche beschäftigte ich mich damit, die geringeren Reliquien zu registrieren und einzupacken, die ich für die Tante Patrocinio bestimmt hatte. Zahlreich waren sie – und selbst in der Schatzkammer der stolzesten Kathedrale hätten sie in frömmstem Glanz gestrahlt!

Außer jenen, die Zion kistenweise aus Marseille einführt – Rosenkränze, Skapuliere, Medaillen –, außer jenen, die am Heiligen Grab die Hausierer liefern – Flaschen voll Jordanwasser, Steinchen von der Via Dolorosa, Olivenkerne vom Ölberg, Muscheln vom See Genezareth –, brachte ich noch andere mit, seltene, fremdartige, ganz außergewöhnliche ... Da war ein von Sankt Josef gehobeltes Brettchen; zwei Strohhalme aus der Krippe, in der der neugeborene Heiland gelegen hatte; ein Scherben von dem Krug, mit dem die Jungfrau zum Brunnen ging; ein Hufeisen des Eselchens, auf dem die Heilige Familie ins Land Ägypten floh, und ein verbogener rostiger Nagel ...

Diese Kostbarkeiten wurden in buntes Papier gewickelt, mit Seidenbändchen umschnürt, mit rührenden Reimen versehen und in einer starken Kiste verstaut, die ich vorsichtig mit Eisenklammern umschließen ließ. Dann trug ich Sorge um die Große Reliquie, die Dornenkrone, diesen Born göttlicher Gnade für Tantchen – und klingender Münze für mich, ihren Ritter und Pilgrim.

Um sie zu verpacken, wünschte ich ein wundervolles und heiliges Holz. Topsius riet mir, die Zeder des Libanons zu nehmen, die so schön ist, daß ihretwegen Salomo mit Hiran, dem König von Tyrus, ein Bündnis schloß. Der fröhliche Potte indessen, minder archäologisch bewandert, erinnerte an schlichtes Fichtenholz, das man vom Patriarchen von Jerusalem segnen lassen könnte. Ich würde Tantchen sagen, daß die Nägel der Kiste zur Arche Noah gehört hätten; ein Eremit habe sie wunderbarerweise auf dem Berg Ararat gefunden! Der Rost, den der Urschlamm auf ihnen hinterlassen, sei, in Weihwasser gelöst, die beste Kur gegen Katarrhe. Wir sprachen beim Bier im Café Sinai über diese wichtige Angelegenheit.

Während dieser arbeitsreichen Woche lag das Paket mit der Dornenkrone auf der Kommode zwischen zwei gläsernen Leuchtern; erst am Tage, bevor wir Jerusalem verließen, legte ich es sorgfältig in die Kiste. Ich schlug das Holz mit blauem Kattun aus, den ich in der Via Dolorosa gekauft hatte; den Boden der Kiste polsterte ich mit einer üppigen Lage Watte, die weißer war als der Schnee des Karmels; und hinein bettete ich, ohne es erst zu öffnen, das wundervolle Paket, so wie Potte es verpackt hatte, in seinem braunen Papier mit dem roten Bändchen – denn sogar dieser Papierbogen, den man in Jericho gefaltet, dieser Bandknoten, den man am Jordan geknüpft hatte, würden für die Senhora Dona Patrocinio ein einzigartiges Aroma von Frömmigkeit besitzen ... Der hagere Topsius sah diesen religiösen Vorbereitungen zu und rauchte dabei seine Weichselrohrpfeife.

»Ah, Topsius, was für Moneten wird mir das einbringen! Aber sagen Sie mir, Freundchen, sagen Sie mir: Sie glauben also, ich kann Tantchen versichern, daß diese Dornenkrone die gleiche ist, die ...«

Der gelehrte Mann ließ, in leichten Rauch gehüllt, eine treffliche Maxime los: »Reliquien, Dom Raposo, haben Wert nicht vor allem durch ihre Echtheit, sondern durch den Glauben, den sie einflößen. Sie können Tantchen sagen, daß es die gleiche ist.«

»Gesegnet seien Sie, Doktor!«

An diesem Nachmittag begleitete der gelehrte Mann die »Kommission der Ausgrabungen« zu den Königsgräbern. Ich ging allein zum Ölgarten Gethsemane, denn in ganz Jerusalem gab es keinen zweiten so schattigen Platz, wo man an klaren Abenden mit Genuß eine Pfeife rauchen konnte.

Ich ging zum Sankt Stephanstor hinaus, trottete über die Kidronbrücke; stieg zwischen hohen Agaven den Pfad empor, bis ich zu der getünchten Mauer kam, die den Garten Gethsemane einschließt. Ich stieß die kleine frischgestrichene grüne Pforte mit ihrem kupfernen Türklopfer auf und trat in den Garten, wo Jesus unter dem Öllaub gekniet und geweint hatte. Dort leben noch jene heiligen Bäume, deren Geäst über seinem von der Welt müde gewordenen Haupt gewogt hat! Es sind acht an der Zahl, schwarz, angefault, verfallen, von Holzpfählen gestützt; sie schlafen, sie haben jene Nacht im Nisan schon vergessen, da lautlos fliegende Engel durch ihre Zweige hindurch der menschlichen Verzweiflung des Gottessohnes lauschten ... In den Spalten ihrer Stämme liegen Beile und Rebmesser verwahrt; an den Spitzen der Zweige zittern spärliche, dünne Blättchen von einem saftlosen Grün; sie leben kaum mehr, sie sind wie das Lächeln eines Sterbenden.

Und ringsum: welch sorgsam bewässertes Gärtchen, mit frommem Sinn gedüngt! Auf den von Hecken eingefaßten Beeten grünt frischer Lattich; auf den Kieswegen liegt nicht ein welkes Blatt, das ihre kirchliche Reinheit beflecken könnte; längs der Mauern, wo in Nischen zwölf tönerne Apostelfiguren schimmern, liegen Beete mit kleinen Zwiebeln, gelben Rüben, von duftendem Lavendel umsäumt ... Warum hatte dieser holde kleine Garten nicht schon zu Jesu Zeiten geblüht? Vielleicht hätte die gefällige Ordnung dieser nützlichen Gemüse den Aufruhr seines Herzens besänftigt!

Ich setzte mich unter den ältesten Ölbaum. Der Frater Guardian, ein vergnügter Heiliger mit endlosem Bart, begoß mit aufgeschürzter Kutte seine Ranunkeltöpfe. Mit melancholischem Glanz brach der Abend herein.

Und ich, die Pfeife stopfend, lächelte meinen Gedanken zu. Ja! Morgen würde ich diese graue Stadt verlassen, die sich dort unten zwischen ihren trübseligen Mauern duckte wie eine Witwe, die sich nicht trösten lassen will ... Eines Morgens würde ich über blaue Wogen hinweg Cintras kühles Gebirge sichten; die Möwen des Vaterlandes würden um die Masten flattern und mir ihren Willkommensruf entgegenschreien; allmählich würde Lissabon aufräumen mit seinen weißen Kalkmauern, dem Gras auf den Dächern, träge, ein süßer Anblick für meine Augen ... Mit dem Ausruf: »O Tantchen, Tantchen!« rannte ich die Steintreppe unseres Hauses zu Sant' Anna empor; und Tantchen, mit Speichelrinnen auf den Wangen, begann vor der Großen Reliquie zu erbeben, die ich ihr in aller Bescheidenheit darbot ... Dann, in Gegenwart himmlischer Zeugen, Sankt Peters, Unserer Lieben Frau, Sankt Casimirs und Sankt Josefs, nannte sie mich ihren Sohn, ihren Erben! Am nächsten Tag begann sie gelb und schwach zu werden, zu wimmern ... O Wonne!

Über der Mauer, zwischen den Geißblattranken, sang fröhlich ein Vogel; und fröhlicher als er sang mir eine Hoffnung im Herzen. Ich sah Tantchen im Bett, mit dem schwarzen Tuch um den Kopf, wie sie angstvoll an den Falten des durchschwitzten Lakens zupfte, röchelnd aus Angst vor dem Teufel ... sah Tantchen im Todeskampf steif werden. An einem linden Maientag legte man sie, schon kalt und übelriechend, in einen gut gezimmerten stabilen Sarg. Vor dem Wagengeleit einher marschierte Dona Patrocinio zu ihrem Grab, zu den Würmern. Dann erbrach man das Siegel des Testaments in dem Damastsalon, wo ich für den Notar Justino Gebäck und Portwein bereitgestellt hatte; trauernd, hinter dem Marmortisch verschanzt, versteckte ich in einem zerknitterten Schnupftuch das skandalöse Leuchten meines Antlitzes; und aus den Blättern des gesiegelten Papiers hörte ich mit einem goldenen Klirren, mit einem Rauschen von Saatfeldern die Hunderttausende des G. Godinho auf mich zu rollen, rollen, rollen ... O Verzückung!

Der heilige Frater hatte die Gießkanne niedergestellt und wandelte mit geöffnetem Brevier einen Pfad zwischen den Myrtenhecken entlang. Was würde ich in meinem Hause am Campo de Sant' Anna tun, sobald sie die stinkende Alte hinausgetragen hatten, in ein Habit der Schwesternschaft Unserer Lieben Frau gehüllt? Ein Werk hoher Gerechtigkeit: zum Oratorium eilen, die Lichter auslöschen, die Blumensträuße entblättern, die Heiligen in der Dunkelheit verschimmeln lassen! Ja, denn ich wollte als ein Raposo und ein Liberaler volle Vergeltung üben dafür, daß ich mich vor ihren gemalten Figuren hatte hinstrecken müssen wie ein schmieriger Sakristan, daß ich mich ihrem Einfluß auf den Kalender empfohlen hatte wie ein leichtgläubiger Sklave! Ich hatte den Heiligen gedient, um Tantchen zu dienen. Aber jetzt, unaussprechliche Wonne, faulte sie in ihrem Grab; in den Augen, aus denen nie eine mitleidige Träne geflossen, wimmelten gefräßig die Würmer herum; unter jenen zu Staub zerfallenen Lippen kamen endlich ihre alten hohlen Zähne zum Vorschein, die nie gelächelt hatten ... Die Hunderttausende des G. Godinho waren mein, und befreit von der widerlichen Dame, schuldete ich ihren Heiligen nicht Bitten noch Blumen! Dann, nach diesem Werk philosophischer Gerechtigkeit, würde ich nach Paris fahren, zu den Weibern!

Der gute Frater lächelte vergnügt über seinem schneeweißen Bart, schlug mir auf die Schulter, nannte mich seinen Sohn, erinnerte mich, daß der Heilige Garten geschlossen würde und daß ihm mein Almosen angenehm wäre ... Ich gab ihm eine große Münze und kehrte erquickt nach Jerusalem zurück, durchs Tal Josaphat, ein frohes Liedchen trällernd.

Am nächsten Nachmittag rief in der Kirche der Geißelung das Glöckchen zur Novene, als unsere Karawane sich am Tor des »Hotels Mittelmeer« formierte, um von Jerusalem aufzubrechen. Die Reliquienkisten lud man zwischen das Gepäck auf das Maultier. Der Beduine, der heute noch stärker verschnupft war, hatte sich in ein grobes Halstuch gewickelt wie ein Sakristan. Topsius saß auf einem ernsten, dicken Pferde. Und ich, der ich mir vor Fröhlichkeit eine rote Rose an die Brust gesteckt hatte, knurrte, als wir zum letztenmal durch die Via Dolorosa kamen, vor mich hin: »Leb wohl, du Schweinestall von einem Zion!«

Schon waren wir am Damaskustor angelangt, als am Ende der Straße, an der Ecke des abessinischen Klosters, der Schrei eines Atemlosen erscholl: »Freund Potte, Herr Doktor, meine Herren! ... Sie haben ein Paket vergessen!«

Es war der Neger aus dem Hotel, barhäuptig; er schwang ein Paket, das ich sofort an dem braunen Packpapier und dem roten Band erkannte. Marys Nachthemd! Und ich erinnerte mich in der Tat, daß ich es beim Einpacken im Schrank nicht in seinem Nestchen von Socken gesehen hatte.

Keuchend erzählte der Diener, daß er nach unserem Aufbruch beim Aufräumen des Zimmers das kleine Paket unter Staub und Spinnweben hinter der Kommode gefunden hätte; er habe es sorgfältig gereinigt, und da es immer sein Bestreben gewesen sei, dem portugiesischen Baron zu dienen, sei er uns nachgelaufen, sogar ohne seine Jacke ...

»Genug!« knurrte ich frostig und finster.

Ich gab ihm die Kupfermünzen, mit denen meine Taschen vollgepfropft waren. Und ich dachte: Wie ist es hinter die Kommode gerollt? Vielleicht hatte der liederliche Neger es beim Aufräumen aus seinem Sockennest genommen ... Aber wäre es doch lieber ewig dort geblieben, zwischen dem Staub und den Spinnweben! Denn wahrhaftig, dieses Paket war mir jetzt ganz unerhört lästig ...

Gewiß: Ich liebte Mary. Die Hoffnung, daß ich demnächst im Lande Ägypten in ihre rundlichen Arme sinken würde, ließ mich noch immer in Wollust erschauern. Aber wenn ich auch treu ihr Bild im Herzen bewahrte, brauchte ich doch nicht ewig ihr Nachthemd in der Satteltasche mitzuführen. Mit welchem Recht also lief dieses Stück Leinwand mir durch Jerusalems Gassen nach, versuchte es sich gewaltsam in mein Gepäck einzudrängen und mich in mein Vaterland zu begleiten?

Diese Idee folterte mich, während wir uns von den Mauern der Heiligen Stadt entfernten ... Wie konnte ich mit diesem zweideutigen Paket jemals in das kirchliche Haus der Tante Patrocinio eindringen? Fortwährend schlich Tantchen in mein Zimmer, mit Nachschlüsseln versehen, mißtrauisch und neugierig, schnüffelte in den Ecken herum, in meinen Papieren und in meinen Unterhosen ... Wie würde sie vor Zorn grün werden, wenn sie eines Abends beim Suchen diese von meinen Lippen befeuchteten, nach Sünde riechenden Spitzen fände, mit der Widmung in Kursivschrift: »Meinem starken Portugieschen!«

»Sollte ich erfahren, daß du dich auf dieser heiligen Reise mit Unterröcken eingelassen hast – ich würde dich hinausjagen wie einen Hund!« So hatte Tantchen am Abend vor meiner Pilgerfahrt gesprochen, in Gegenwart der Kirche und der Justiz. Und sollte ich wegen des sentimentalen Luxus, die Reliquie einer Handschuhverkäuferin aufzubewahren, die so teuer mit Rosenkränzen, Weihwassertropfen und Demütigungen der liberalen Vernunft erkaufte Freundschaft der Alten verlieren? Niemals ... Und wenn ich nicht sofort das Paket in dem Wasser einer Pfütze versenkte, als wir an den Hütten von Kolonieh vorbeiritten, so nur, um dem scharfsinnigen Topsius nicht die Feigheit meiner Seele zu enthüllen. Aber ich beschloß, sobald wir bei Anbruch der Nacht in die Berge von Juda gelangt sein würden, den Schritt des Pferdes zu verlangsamen und fern vom Blick des Geschichtsschreibers, fern von der Dienstwilligkeit Pottes das schreckliche Hemd Marys in einen Abgrund zu schleudern, dies Zeugnis meiner Sünde, diese Gefahr für mein Glück! Daß die Zähne der Schakale es nur recht schnell zerfleischten! Daß die Regen des Herrn es recht schnell verfaulen ließen!

Schon hatten wir in den Felsen von Emmaus das Grabmal Samuels passiert, schon war es für immer entschwunden, als das Pferd des Dr. Topsius beim Anblick einer Quelle, die in einer ausgehöhlten Schlucht neben der Straße floß, die Karawane verließ, die Pflicht vergaß und auf das Wasser zutrottete, frohgemut und unbedacht.

Empört hielt ich an: »Reißen Sie es am Zügel zurück, Doktor! Was für ein unverschämtes Pferd! Eben erst hat es getrunken! Geben Sie ihm nicht nach! Reißen Sie stärker! Klammern Sie sich nicht an, Mensch!«

Aber umsonst riß Topsius, mit abstehenden Ellbogen und gestreckten Beinen, es an Zügel und Mähne. Das Roß ging mit dem Philosophen durch.

Auch ich eilte zur Quelle, um den kostbaren Menschen nicht in dieser Einöde allein zu lassen. Es war ein Strahl trüben Wassers, der aus einer hölzernen Rinne in ein im Felsen ausgehöhltes Becken hineinfloß. Daneben bleichte der bereits zerrissene große Kadaver eines Dromedars. Die Zweige einer einzigen einsamen Mimose waren durch das Lagerfeuer einer Karawane versengt worden. Auf dem schmalen Rücken eines Felsgrats schritt ein Hirt, der sich schwarz vom opalfarbenen Himmel abhob, langsam zwischen seinen Schafen einher, seine Lanze über der Schulter. Und im trüben Schweigen des Alls weinte die Quelle.

Diese Schlucht war so öde, daß ich daran dachte, Marys Paket hier zerfetzen zu lassen wie das Gerippe des Kamels ... Das Pferd des Historikers trank gemächlich ... Und ich suchte weiter hinten ein Wasserloch oder eine Pfütze, da glaubte ich neben der Quelle, und mit ihrem Weinen vermischt, das Weinen eines Menschen zu vernehmen.

Ich bog um einen Felsblock, der stolz vorragte wie der Bug einer Galeere, und entdeckte, hingekauert zwischen Steine und Disteln, eine Frau mit einem Kindchen auf dem Schoß, die laut schluchzte; ihre krausen Haare fielen über Schultern und Arme, die von schwarzen Lumpen kaum bedeckt wurden; und über den kleinen Knaben, der in der Wärme ihrer Brust schlief, rannen ihre Tränen, regelmäßiger und trauriger als das Wasser der Quelle, und als sollten sie nie versiegen.

Ich rief nach dem fröhlichen Potte. Als er auf uns zuritt, den versilberten Kolben seiner Pistole in der Hand, bat ich ihn, die Frau nach dem Grund dieser vielen Tränen zu fragen. Aber sie schien vom Elend verblödet; sie sprach wirr von einer verbrannten Hütte, von türkischen Reitern, die vorbeigekommen waren, von der Milch, die in ihren Brüsten versiegte ... Dann drückte sie das Kind an ihr Gesicht – und unter ihrem zerzausten Haar begann sie wieder unterdrückt zu weinen. Der fröhliche Potte gab ihr eine Silbermünze; Topsius machte sich für einen gewichtigen Vortrag über »Judäa unter muselmanischer Herrschaft« eine Notiz über dieses Unglück. Und ich suchte ergriffen in der Tasche nach meinem Kupfergeld – da fiel mir ein, daß ich eine ganze Handvoll davon dem Neger des »Hotels zum Mittelmeer« gegeben hatte. Aber ich hatte eine nützliche Eingebung. Ich warf ihr das gefährliche Paket mit Marys Nachthemd zu; und auf mein Geheiß erklärte der lachende Potte der Unseligen, daß jede von den Sünderinnen, die am Davidsturm wohnen, die fette Fatmé oder Palmira, die Samariterin, ihr zwei Goldpiaster für dieses Kleidungsstück des Luxus, der Liebe und der Zivilisation geben würde.

Wir trabten zur Straße zurück. Das Weib bedeckte ihr Kind mit Küssen und sandte uns schluchzend alle Segnungen ihres Herzens nach; und unsere Karawane nahm den Marsch wieder auf – während unser Treiber, allen voran, auf dem Gepäck hockend, zu Ehren des aufsteigenden Abendsterns jenes syrische Lied anstimmte, das schmerzlich und gedehnt von der Liebe spricht, von Allah, von einer Schlacht mit Lanzen und von den Rosengärten zu Damaskus.

 

Als wir am Morgen vor dem »Hotel Josaphat« im alten Jaffa aus dem Sattel stiegen, wurde mir die wunderbarste Überraschung zuteil: ich fand den unglücklichen Alpedrinha, wie er nachdenklich mit einem weiten weißen Turban auf dem Hof saß! ... Ich ließ in einer inbrünstigen Umarmung seine Knochen krachen. Und als Topsius und der fröhliche Potte unter dem wollenen Sonnenschirm losgezogen waren, um Nachrichten über das Paketboot einzuholen, das uns ins Land Ägypten bringen sollte, erzählte mir Alpedrinha seine Geschichte, während er meinen Burnus bürstete.

Aus allgemeiner Niedergeschlagenheit hatte er »das liebe Alexandria« verlassen. Das »Hotel zu den Pyramiden«, das Kofferschleppen hatten bereits seine Seele mit unergründlichem Ekel erfüllt, und unsere Einschiffung auf dem »Kaiman« nach Jerusalem hatte ihn mit Sehnsucht nach den Meeren erfüllt, nach Städten voll von Geschichte, nach unbekannten Völkerschaften ... Ein Jude aus Keschan, der in Bagdad ein Hotel mit Billard eröffnen wollte, hatte ihn verlockt, als »Markör« mitzugehen, Und so steckte er die in Ägyptens Bitternissen zusammengesparten Piaster in einen Beutel und stürzte sich in dieses Abenteuer des Fortschritts an den trägen Wassern des Euphrats, im Lande Babylonien. Aber müde vom Tragen fremder Koffer, hatte er zuerst Jerusalem aufgesucht, ohne zu wissen warum, vielleicht wie der Apostel vom Heiligen Geiste geführt, um dort mit unbeschäftigten Händen in einem Winkel der Via Dolorosa auszuruhen ...

»Hat der gnädige Herr vielleicht Zeitungen aus Lissabon bekommen? Ich möchte so gern wissen, was für Albernheiten sie dort wieder treiben ...«

Während er, traurig und turbanumwickelt, dies stammelte, sah ich frohgemut im Geiste das heiße Land Ägypten wieder und die helle Schwesterngasse, die kleine Kapelle zwischen Platanen, die Mohnblumen auf Marys Hut ... Und schärfer stachelte mich wieder die Begierde nach meiner blonden Handschuhverkäuferin. Welch holder Schrei der Leidenschaft würde ihren üppigen Lippen entfliehen, wenn ich eines Abends, verbrannt von der syrischen Sonne und stärker geworden, vor ihrem Ladentisch erschien und die weiße Katze aufscheuchte ... Und das Hemd? ... Ach was! Ich würde ihr erzählen, eines Abends an einer Quelle hätten es mir bewaffnete türkische Reiter geraubt.

»Sagen Sie, Alpedrinha, haben Sie sie gesehen, die Maricoquinhas? Wie geht es ihr, he? Immer noch so ein Dickerchen?«

Er senkte das trübe Gesicht, auf dem sich eine seltsame Röte ausbreitete.

»Sie ist nicht mehr da ... Sie ist nach Theben gefahren!«

»Nach Theben? Wo es diese komischen Ruinen gibt? Aber das ist doch in Oberägypten! Das ist an den nubischen Katarakten! Aber! ... Was macht sie denn dort?«

»Sie belebt die Aussicht«, murmelte Alpedrinha verzweifelt ...

»Belebt die Aussicht?« Ich verstand erst, als der Patrizier mir erzählte, daß die undankbare Rose von York von einem Italiener mit langen Haaren mitgenommen worden war, der nach Theben reiste, um die Ruinen jener Paläste zu photographieren, wo Ramses, der König der Menschen, und Ammon, der König der Götter, einander gegenüber wohnten ... Und Maricoquinhas verschönte »die Aussicht«, erschien im strengen Schatten der priesterlichen Granitbauten in der modernen Anmut ihres Mohnblumenhutes, mit geschlossenem Sonnenschirm.

»Die Schamlose!« rief ich aufgebracht. »Also mit einem Italiener! Und hat sie ihn gern? Oder ist es nur eine Geschäftssache? Wie, sie hat ihn gern?«

»Sie schleckt sich alle Finger ab!« stammelte Alpedrinha.

Und sein Seufzer ließ das »Hotel Josaphat« erdröhnen. Aber dieses »Ach!« voll Qual und Leidenschaft ließ in meiner Seele einen blitzartigen schauderhaften Verdacht aufsteigen.

»Alpedrinha, du hast geseufzt. Da liegt eine Perfidie vor, Alpedrinha!«

Er senkte zerknirscht die Stirn, daß der lose Turban aufs Pflaster fiel. Und bevor er ihn hatte aufheben können, packte ich wie ein Wahnsinniger seinen weichen Arm.

»Alpedrinha, heraus mit der Wahrheit! Die Maricoquinhas – hast du sie auch gekostet?«

Mein bärtiges Gesicht flammte ... Aber Alpedrinha war aus dem Süden, aus unserem schwatzhaften Land des Weins und der Ruhmredigkeit. Die Angst wich der Eitelkeit – und mir das Weiße der Augäpfel zudrehend, sagte er: »Auch ich habe gekostet!«

Ich schüttelte lange seinen Arm, voll Wut und Ärger. Auch sie – mit ihm! Oh, diese Welt, diese Welt! Was ist sie anderes als ein Haufen von Fäulnis, der durch den eitlen Prunk der Gestirne kreist?

»Und sage mir, Alpedrinha, sage mir, hat sie dir auch ein Hemd gegeben?«

»Eine Nachtjacke!«

Ihm auch – Leibwäsche! Bitter lachte ich, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Und höre: hat sie dich auch ›ihr starkes Portugieschen‹ genannt?«

»Da ich bei Türken gedient habe, nannte sie mich ihren ›niedlichen kleinen Mohren‹.«

Ich warf mich auf meinen Diwan, wälzte mich darauf herum, bearbeitete ihn mit den Nägeln und brach in ein nicht enden wollendes Gelächter aus. Verzweifelte Verachtung des Alls erfüllte mich ...

Da erschienen aufgeregt Topsius und der lustige Potte.

»Also?«

Ja, von Smyrna war ein Paketboot angelangt, das heute nachmittag noch den Anker zur Fahrt nach Ägypten lichten würde, und es war unser geliebter »Kaiman«!

»Also gut!« rief ich und stampfte wütend auf die Fliesen. »Also gut, denn ich habe den Orient satt! Fort! Ich habe hier nichts gefunden als Sonnenstiche, Verrat, schreckliche Träume und Tritte in den Hintern! Ich habe es satt!«

So brüllte ich wie ein Wahnwitziger. Aber an diesem Abend am Strande vor der schwarzen Barke, die uns zum »Kaiman« bringen sollte, erfüllte meine Seele eine große Sehnsucht nach Palästina, nach unseren Zelten unter dem Glanz der Sterne und nach der Karawane, die singend zwischen den Ruinen mit den klangvollen Namen einherzog.

Meine Lippen bebten, als mir Potte gerührt seinen Beutel mit Aleppotabak hinhielt: »Dom Raposo, das ist die letzte Zigarette, die Ihnen der lustige Potte gibt!«

Und eine Träne rollte schließlich, als Alpedrinha schweigend die mageren Arme ausstreckte.

Von der Barke aus, auf den Reliquienkisten hockend, sah ich ihn noch vom Strand mit einem traurigen karierten Sacktuch winken – an der Seite Pottes, der mit seinen großen Stiefeln im Wasser stand und uns Kußhände zuwarf. Und als ich schon auf dem »Kaiman« stand, an die Reling gelehnt, sah ich ihn immer noch reglos auf den Quadern der Mole stehen und seinen weiten weißen Turban festhalten, damit ihn die salzige Brise nicht entführte.

Unglücklicher Alpedrinha! Ich allein habe in Wahrheit deine Größe verstanden! Du warst der letzte Lusiade, vom Stamme der Albuquerques, der Castros, der starken Recken, die mit den Armaden nach Indien zogen! Der gleiche göttliche Durst nach dem Unbekannten hatte dich in jenes Morgenland getrieben, wo die Gestirne, die das Licht verbreiten, am Himmel aufsteigen und die Götter, die das Gesetz lehren, zum Himmel fahren. Aber da du nicht mehr wie die alten Lusiaden einen heroischen Glauben hast, der heroische Taten ersinnt, ziehst du nicht wie sie mit einem großen Rosenkranz und einem großen Degen aus, um den fremden Völkern deinen König und deinen Gott aufzuzwingen. Du hast keinen Gott mehr, für den man kämpft, Alpedrinha! Auch keinen König, für den man segelt, Alpedrinha! Deswegen verzettelst du dich unter den Völkern des Morgenlandes in den einzigen Beschäftigungen, die die Religion, das Ideal, den Ruhm der modernen Lusiaden ausmachen: auf dem Rücken liegend ausruhen oder fremdes Gepäck schleppen ...

Die Dampfräder des »Kaiman« schlugen das Wasser. Topsius zog seine seidene Reisemütze. Ernst rief er gegen Jaffa hin, das im fahlen Licht des Abends drüben auf seinen traurigen Felsklippen zwischen schwarzgrünen Obstgärten dunkelte: »Leb wohl, leb wohl für immer, Land Palästina!«

Und auch ich winkte mit dem Korkhelm: »Adieu, empfehle mich, du religiöser Plunder!«

Als ich mich gemächlich von der Reling entfernte, streifte mich der lange Lüstermantel einer Nonne; und aus dem züchtigen Schatten der Kapuze, die sich leicht umwandte, suchten aufblitzende schwarze Augen meinen mächtigen Bart. O Wunder! Es war dieselbe heilige Schwester, die auf ihren keuschen Knien Marys beflecktes Hemd durch die Gewässer der Schrift getragen hatte!

Dieselbe! Warum führte mich das Geschick von neuem auf dem engen Verdeck des »Kaiman« mit dieser Lilie der Kapelle zusammen, der noch geschlossenen und schon verwelkten? Wer kann das wissen! Vielleicht, damit sie in der Wärme meines Verlangens neu ergrünen, aufblühen, nicht für immer unfruchtbar und nutzlos zu den Füßen eines göttlichen Leichnams liegen sollte! ... Und diesmal war sie nicht behütet von jener anderen Nonne, der kleinen Dicken mit der Brille! Das Schicksal lieferte sie mir schutzlos aus, wie ein Täubchen in der Wüste.

Da erwachte in meiner Seele die funkelnde Hoffnung auf eine Nonnenliebe, die stärker war als die Furcht Gottes, auf einen vom Büßerhemd wunden Busen, der zitternd und besiegt in meine starken Arme sinken würde ... Ich beschloß, ihr sofort dieses Geständnis zu machen: »O meine liebe kleine Schwester, ich bin so furchtbar vernarrt in Sie!« Und entflammt, den Schnurrbart zwirbelnd, ging ich auf die holde Nonne zu, die zu einer Bank geflüchtet war und die bleichen Finger über die Perlen ihres Rosenkranzes gleiten ließ.

Aber auf einmal entfloh unter meinen stolz einherschreitenden Füßen der Bretterboden des »Kaiman«. Ich erstarrte und blieb stehen. O Elend, o Demütigung! Das Gewoge reizte zur Übelkeit ... Ich rannte zur Brüstung; gleich darauf beschmutzte ich auf widerliche Weise das Blau des Tyrischen Meeres; dann wankte ich in die Kabine und hob das totenbleiche Antlitz erst von den Kissen, als ich hörte, wie die Ankerketten des »Kaiman« sich in die stillen Gewässer senkten, in denen einst Kleopatras Galeeren auf ihrer Flucht von Aktium die vergoldeten Anker sinken ließen.

Und wieder, betäubt und verwirrt, sah ich dich, flache Gestade von Ägypten, brennend heiß und von der Farbe eines Löwen! Rings um die anmutigen Minarette flogen die heiteren Tauben. Der reiche Palast schlummerte am Ufer des Wassers unter Palmen. Topsius nahm meine Hutschachtel unter den Arm und belästigte mich dabei mit hochgelehrten Aussprüchen über den antiken Pharos. Und die bleiche Nonne hatte den »Kaiman« schon verlassen – ein Täubchen der Wüste, dem Habicht entronnen, weil der Habicht in seinem Flug die Schwingen hatte sinken lassen, da ihm widerlicherweise übel geworden war!

Am gleichen Nachmittag erfuhr ich im »Hotel zu den Pyramiden«, zu meiner lauten Freude, daß ein Viehtransportdampfer, »El Cid Campeador«, am nächsten Morgen frühzeitig nach dem gesegneten Lande Portugal abging! In der mit gestreiftem Kattun ausgeschlagenen Kutsche, allein mit dem gelehrten Topsius, machte ich die letzte Spazierfahrt in den von Wohlgeruch durchzogenen schattigen Hainen am Mahmoudieh. Und ich verbrachte die kurze Nacht in einem entzückenden Gäßchen. O meine Mitbürger, gehet dorthin, wenn ihr Lust habt, die herben Wonnen des Orients kennenzulernen! ... Die Gasflammen ohne Glaskugeln zischen weithin, vom Wind bewegt; die niederen Holzhäuschen sind kaum durch einen weißen Vorhang verschlossen, hinter dem Licht schimmert; alles riecht nach Sandelholz und Knoblauch; und Weiber im Hemd, mit Blumen in den Flechten, sitzen auf Matten und flüstern lieblich: »He, M'sjöh! He, Mylord!« ... Ich ging spät und erschöpft heim. Als ich durch die Schwesterngasse kam, sah ich über der Tür eines geschlossenen Ladens die hölzerne, violett gestrichene Hand, die einst mein Herz gepackt hatte. Ich schlug mit dem Stock auf sie ein. Das war die letzte Tat auf meiner langen Reise.

Am Morgen gab mir der treue und gelehrte Topsius in Galoschen das Geleit bis zur Zollbaracke. Ich umschlang ihn lange mit bebenden Armen.

»Adieu, Gefährte, adieu! Schreiben Sie mir ... Campo de Sant' Anna 47 ...«

Er, an mich gepreßt, murmelte: »Die dreißigtausend Reis schicke ich Ihnen ...«

Großmütig zog ich ihn näher an mich, um diese pekuniäre Auseinandersetzung zu ersticken. Als ich schon mit einem Fuß auf dem Boot war, das mich zum »Cid Campeador« bringen sollte, fragte ich ihn noch: »Also ich kann Tantchen sagen, daß die Dornenkrone die gleiche ist?«

Er hob die Hand, feierlich wie ein Hoherpriester der Wissenschaft: »Sie können ihr in meinem Namen sagen, daß es allerhöchst die gleiche ist. Dorn für Dorn ...«

Er senkte seinen brillengeschmückten Storchschnabel, und wir küßten einander wie zwei Brüder.

Die Neger ruderten. Ich hielt auf meinen Knien die Kiste mit der höchsten Reliquie. Aber als mein Boot, unter Segel, die blaue Flut zerteilte, schoß es an einem anderen langsamen Boot vorbei, das zu dem Palast gerudert wurde, der unter Palmen schlummerte. Und wie in einem Blitz sah ich das schwarze Gewand, die herabgelassene Kapuze ... Ein langer, lechzender Blick suchte zum letztenmal meinen Bart. Ich sprang auf und rief hinüber: »O du Schelm, o mein kleines Mädel!« Aber schon hatte der Wind mich entführt. Sie senkte in ihrem Boot zerknirscht das Gesicht, und auf der zarten Brust, die gewiß zu wogen gewagt hatte, lastete stärker das Kreuz, eifersüchtig und von Eisen.

Verdrossen stand ich da ... Wer weiß? Vielleicht war das auf der ganzen weiten Erde das einzige Herz, an dem ich hätte ausruhen können wie in einem sicheren Asyl ... Ach was! Sie war nur Nonne, ich nur Neffe. Sie fuhr zu ihrem Gott, ich zu meiner Tante ... Und während auf diesen Wogen unsere Herzen einander kreuzten und, ihren Einklang fühlend, stumm füreinander schlugen, fuhr mein Boot mit fröhlichem Segel westwärts, und das Boot, das sie trug, glitt schwarz und langsam unter Ruderschlägen ostwärts ... Ewiges Verfehlen füreinander bestimmter Seelen in dieser Welt der ewigen Mühsal und der ewigen Unzulänglichkeit!


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