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Jaques Vaucanson

Seit grauen Zeiten hegt der Mensch den Gedanken, lebende Wesen nachzubilden. Selbst seinen Göttern gibt er immer und überall Menschen- und Tiergestalt. Die Golemlegende, die von einem alten Rabbi erzählt, der einen Menschen aus Lehm gebildet und ihn beseelt habe, ist nichts anderes als der anmaßende und mißglückte Versuch, es Gott gleich zu tun. Hier scheint ein Urtrieb im Spiele zu sein; derselbe Trieb, der das lallende Kind verleitet, sich eine Puppe zu machen, mit der das Kind dann dialogisiert wie mit einem lebendigen Wesen, oder der den Knaben bestimmt, seinen dürren Stecken als Pferdchen zu betrachten, das, zwischen seine Beine geklemmt, wiehert und ausschlägt. Im Grunde ist zwischen dem Versuch, einen Homunkulus zu brauen, und zwischen der Bildung der Puppe aus einem Lappen, der einen Menschen vorstellen soll, kein wesentlicher Unterschied. Wie es in der Genesis heißt: »Und Gott der Herr nahm einen Klumpen Lehm und schuf einen Menschen daraus«, so hat auch der Mensch, der Schöpfer und Bildner der Götter, noch nie den Versuch aufgegeben, lebende Wesen zu bilden und dem Schöpfer aller Dinge ein wenig ins Handwerk zu pfuschen.

Der Eifer, lebende Tiere und Menschen in der Form von Automaten nachzuahmen, schon im Altertum rege, war im achtzehnten Jahrhundert mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften, die eine schnelle Entwicklung der praktischen Künste zur Folge hatten, immer mehr gewachsen. Man schreckte selbst vor den schwierigsten Aufgaben nicht zurück. Während die Techniker und Erfinder unserer Tage praktischen Zielen nachjagen, zerbrachen sich die Mechaniker früherer Jahrhunderte die Köpfe, um ihre wunderbaren Spielereien herzustellen. Es hat den Anschein, als sei die überschüssige geistige Kraft nur für Kindereien verpufft worden; aber in Wahrheit lag der Herstellung der komplizierten Automaten nur das Streben zugrunde, zu zeigen, daß dem menschlichen Geiste schlechthin alles möglich sei. Die Männer dieses Jahrhunderts waren es ja, die Gott abgesetzt hatten; sie hatten die mechanischen Gesetze des menschlichen Räderwerks oberflächlich erkannt, und wenn sie Gott von seinem Throne stießen, war es nur konsequent, daß sie auch dem Menschen seine Gottähnlichkeit nahmen. Der Mensch war eine Maschine. Daß es die Seele war, die die Maschinerie belebte, daß es allein die Seele war und ihr noch bis zur Stunde unenthülltes Mysterium, die einen Homunkulus zu einem lebensfähigen Wesen hätte machen können, war jenen ebenso kühnen wie untiefen Geistern reine Metaphysik. Und Metaphysik war für die führenden Geister des achtzehnten Jahrhunderts das rote Tuch. Ein Metaphysiker war ein Narr und stand nicht höher im Ansehen als heutigentags ein Spiritist. Daran muß man denken, wenn man die rechte Einstellung zu der Bedeutung jener Männer gewinnen will, die meist aus den Kreisen der Mathematiker und der naturwissenschaftlichen Philosophen kamen.

Zu den Mechanikern, die durch die Herstellung solcher vielbewunderten Automaten berühmt wurden, gehört auch Jaques de Vaucanson, der am 24. Februar 1709 in Grenoble das Licht der Welt erblickte.

Er kam jung nach Paris, ward 1741 königlicher Inspektor der Seidenmanufakturen und wurde später ein Pensionär der Akademie der Wissenschaften. Für die Weberei schuf er mancherlei nützliche Neuerungen der Webstühle, durch die er die Jaquardschen Webeversuche wesentlich verbesserte.

Als Vaucanson geboren ward, waren die Erfindungen eigentlich schon gemacht, durch die er später so berühmt werden sollte. Denn die Versuche, menschliche oder tierische Automaten anzufertigen, lassen sich sogar bis in die sagenhafte Vorzeit verfolgen. Vaucanson bewies nur, daß selbst das scheinbar Vollkommene einer noch immer höheren Vollkommenheit zugeführt werden kann.

Schon Homer erzählt von den wandelnden Dreifüßen des Hephästos, von den Androiden und mechanischen Menschen. Von dem Bildhauer Dädalus, der 600 vor Christus lebte, meldet die Überlieferung, daß er Statuen und menschliche Figuren angefertigt habe, die sich selbständig fortbewegten. Mechanische Automaten in Tiergestalt werden öfters erwähnt, während von künstlichen Menschen jahrhundertelang nicht die Rede ist. Etwa 400 vor Christus schuf ein Zeitgenosse Platos, Archytas von Tarent, derselbe, den Horaz in der 28. seiner Oden erwähnt, hölzerne Tauben, die fliegen konnten. Demetrius aus Phaleron, ein Schüler des Theophrast, der 350 vor Christus geboren wurde, hatte eine Schnecke hergestellt, die langsam über den Boden kroch und ihre Fühler ausstreckte. Des Königs Phalaris Bronzestier, der ein furchtbares Gebrüll erhob, wenn in seinem Innern ein gewaltiges Feuer angezündet wurde, ist als Marterwerkzeug bekannt. Phalaris ließ den zum Tode Verurteilten in den Bauch dieses riesenhaften Stieres werfen, und die Todesschreie des bei lebendigem Leibe Verbrannten wurden durch die furchtbaren künstlichen Schreie des Stieres überdröhnt. Der als Hexenmeister verrufene Albertus Magnus arbeitete dreißig Jahre lang an seinem automatischen Menschen, der ihm als Türsteher diente. Er bewegte sich sicher und unauffällig und gab, versehentlich berührt, menschliche Laute von sich. Eines Tages, als Thomas von Aquino, der klassische Denker der römischen Kirche, den als Zauberer verschrienen Bischof zu Regensburg besuchte, war Thomas zu Tode erschreckt über den automatischen Menschen, der ihm an der Tür den Eintritt wehrte, und er zerschlug den künstlichen Mechanismus, den er für ein teuflisches Werk hielt. Notwendigerweise mußte Doctor angelicus an den Teufel glauben, da er an Engel glaubte. Roger Bacon, seinem Rufe als Schwarzkünstler Ehre machend, hatte einen eisernen Kopf konstruiert, der sprechen konnte, und bei dessen Anblick die, die sich ihm nahten, den ihren verloren, vorausgesetzt, daß sie einen zu verlieren hatten. Von den älteren Künstlern, die sich mit der Herstellung von Automaten in Tiergestalt befaßten, ist Regiomontanus am bekanntesten geworden. Er wurde 1436 in dem fränkischen Königshofen geboren und hieß Johannes Müller. Seinen Ruhm verdankt er hauptsächlich der Konstruktion einer eisernen Fliege, die im Zimmer umherflog und die auf die Hand, von der sie aufgeflogen war, wieder zurückkehrte. Auch der eiserne Adler, der Maximilian I. bei seinem Einzug in Nürnberg entgegenflog, wird ihm zugeschrieben. Descartes, nicht nur großer Denker, sondern auch abergläubischer Bastler, Charles Canus (1699–1768), Mentzel u.a. zeichneten sich durch ähnliche Erfindungen aus. Alle diese Vorgänger überflügelt aber Vaucanson durch seine verblüffenden Kunstwerke. Seit seiner frühesten Kindheit beschäftigte er sich mit mechanischen Problemen; so hatte er sich schon als kleiner Junge eine hölzerne, richtiggehende Uhr gebaut. Nach vielen Versuchen stellte er in Lyon eine menschliche Figur her, einen Flötenspieler, der die Flöte blies und die Finger dabei anatomisch richtig bewegte, Vaucansons Diener soll, als der Androide das erstemal funktionierte, vor ihm auf die Knie gefallen sein; er hielt seinen Herrn für ein übermenschliches Wesen. Nach dieser gelungenen Arbeit stellte er einen Tambourinspieler her, ferner eine Ente, die Gras fraß, den Beweis, daß sie es verdaut hatte, nicht schuldig blieb und dann aufflog. Aber diese einzigartigen Kunstwerke sind nicht mehr erhalten; das Pariser Museum besitzt dagegen noch Vaucansons Webstuhl, der von einem Esel getrieben wird. Es hat folgende Bewandtnis damit: Vaucanson, der 1740 einen ehrenvollen Ruf nach Potsdam abgelehnt hatte, wo er den geistreichen Kreis der Tafelrunde durch seine Anwesenheit schmücken sollte, war vom König von Frankreich Louis XV. nach Orleans geschickt worden, um die Seidenweberei zu reformieren. Die Arbeiter, die von dem berühmten Mechaniker neue Erfindungen fürchteten, durch die Menschenkräfte entbehrlich würden, insultierten ihn unterwegs; er aber sagte: »Ihr glaubt, daß nur ihr Muster auf dem Webstuhl hervorbringen könnt? Ich werde euch zeigen, daß ein Esel dasselbe kann.« Und er konstruierte jenen wunderbaren Automaten, den Esel, der einen Webstuhl vollkommen ordnungsmäßig bedient.

Vaucansons letzte Idee war eine Menschenfigur, in der das Blut genau wie beim lebenden Menschen umlaufen sollte. Sie blieb jedoch unausgeführt. Kurz vorher hatte der Mechaniker Friedrich Knauß in Wien die »selbstschreibende Wundermaschine« erfunden, eine menschliche Figur, die automatisch schrieb. In dieser Zeit blühte die Herstellung solcher Kunstwerke ganz besonders. Pierre Jaques Droz und sein Sohn Henri, zwei Pariser Mechaniker, bauten in der Zeit von 1770–1790 verschiedene Automaten, z.B. ein Mädchen, das Klavier spielte und nach Beendigung ihres Spiels, das sie übrigens mit den Augen verfolgte, vom Stuhle aufstand, um den applaudierenden Zuhörern durch eine höfliche Verbeugung zu danken; ferner einen Knaben, der fließend rasch schreiben konnte, und andere. Einen Nachahmer fanden die Droz in Maillardet, der solche Schreibautomaten in London vorführte.

Vaucanson starb nach achtzehnmonatigem Leiden am 21. November 1782. Seine vielbewunderten Automaten endeten in Deutschland. Der Professor Beireis in Helmstedt, eines der berühmtesten Gelehrtenoriginale um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts, hatte sie für seine Kuriositätensammlung angekauft. Dort sah sie auch Goethe, der sie aber bereits nahezu ruiniert vorfand; in der berühmten Ente hatten sich im Federnbauch die Motten festgesetzt, und der Mechanismus wollte nicht mehr recht funktionieren. Beireis nämlich hatte die Marotte, seine Schätze, unter denen solche von höchstem Werte waren, mit ostentativer Achtlosigkeit zu behandeln. Dieser Marotte fielen denn auch die Vaucansonschen Wunderwerke zum Opfer.

Wer die Geschichte des menschlichen Geistes und die Zusammenhänge aller Schaffensgebiete nicht kennt, wird kaum verstehen, wie hochbegabte mechanische Talente die besten Jahre ihres Lebens diesen spielerischen Zwecken opfern konnten; wie sie so viel Zeit, so viel Mühe, so viel geistige Kraft an diese Dinge vergeuden konnten, die heute verschwunden oder zerstört sind oder günstigsten Falles in den Museen einstauben. Hegten diese Mechaniker die Hoffnung, den Geschöpfen ihres Scharfsinns eine Seele mit moralischen Vollkommenheiten einzuhauchen? Zweifellos hofften sie, ihre spielerischen Aufgaben auch im Ernste lösen zu können. Sonst wäre es unbegreiflich, daß sie, um ihre Ideen zu verwirklichen, Hunger und Not ertragen konnten, ein unstätes Leben führten und, wie manche von ihnen, in Armenhäusern verkannt und vergessen elend zugrunde gingen.

Es waren die Automaten Vaucansons, die den Anstoß zu einer mächtigen philosophischen Weltanschauung gaben.

Lamettrie, der Zeitgenosse Vaucansons, sah diese Androiden, und sie allein regten ihn zu seinem berühmten und berüchtigten Werke »L'homme machine« an. Hier ist nicht nur der Titel »Der Mensch eine Maschine« von Vaucanson inspiriert, sondern vor allem auch der Gedanke, der dem Mechanismus zugrunde lag. Denn auszuführen, daß der Mensch nichts anderes als ein kompliziertes Räderwerk sei, dies in allen seinen Einzelheiten auszuführen und zu beweisen, war ein ganz selbstverständliches und naheliegendes Symbol, das wohl jeder Denker der Lamettrieschen Zeit hätte aufgreifen können. Ich habe in meinem Werk über »Lamettrie« gezeigt, welch einen unerhörten Sturm diese von Vaucanson angeregte Schrift Lamettries im Lager der Philosophen hervorgerufen hat, wie mit ihrem Erscheinen die Geburt der französischen Aufklärungsphilosophie verkündet wurde und wie diese Schrift dann die besten Köpfe jener Zeit, die Diderot, Voltaire, Holbach, Marquis d'Argens, d'Alembert und viele andere, beeinflußte, reformierte und zu ausgesprochenen Materialisten machte. Lamettrie steht an der Spitze all dieser großen Materialisten, und es ist historisch einwandfrei festgestellt, wie sehr er seine Stellung in der Philosophie der Idee Vaucansons verdankt. Man hat es ihm verdacht, daß er darauf beharrte, den Menschen mit einer Maschine zu vergleichen. Aber im Grunde hat er ja nichts anderes gesagt als der religiöse Emerson, der sich in seinem Essay über »Die Macht« einmal so äußert: »Der Mensch weiß kaum, wie sehr er eine Maschine ist, als bis er beginnt, Telegraph und Webstuhl, Buchdruckerpresse und Lokomotive nach seinem Ebenbilde zu schaffen. Aber in ihnen muß er all die Torheiten und Hemmungen seines Lebens beiseite lassen, und wenn wir in den Fabriksaal treten, so sehen wir, daß die Maschine sittlicher ist als wir. Ein Mensch soll vor einen Webstuhl treten und es wagen, sich mit ihm zu vergleichen; Maschine steht dann vor Maschine, und wir wollen sehen, wer dabei besser herauskommt.«

Derselbe ethische Gedanke wird von Maeterlinck vertreten und spricht aus Lamettries Werken, und niemand weiß, ob nicht auch Vaucanson durch die Schöpfung seiner wunderbaren Automaten den Menschen eigentlich sagen wollte: Heda, überhebt euch nicht so sehr. Ihr dünkt euch Ebenbilder Gottes oder kleine Götter. Soweit es eure funktionelle Tätigkeit angeht, seid ihr bloße Automaten. Ihr müßt euch schon durch andere Dinge hervortun, wenn ihr mehr sein wollt als meine Maschinen!

Aber seit Vaucanson ist der Gedanke des automatischen Menschen nicht mehr aus der Literatur verschwunden. Wie ihn unser E.Th.A. Hoffmann aufgegriffen und vielfach ausgenützt und zu welch bedeutsamem Werk Villiers de l'Isle-Adam ihn in seinem »Weib der Zukunft« gestaltet hat, muß hier erwähnt werden, um zu zeigen, daß selbst die Spielereien eines hochbegabten Geistes oft von weittragender Bedeutung sind. Fragt man, wer der Vater all der automatischen Betriebe ist, die für unsere Zeit so charakteristisch sind, so wird man Jaques Vaucanson nennen müssen.


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