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Während die Drachensaat ringsumher in der Familie üppig wucherte, breitete sich der Schimmel der Jahre über die beiden Alten daheim in Enslev aus. Anne-Mette sank zuerst zusammen. An einem stürmischen Herbsttag trugen ihr Mann und ihre Kinder sie auf den Kirchhof hinaus. Der grübelnde Totengräber, der ihre gutgewachsenen Söhne und Töchter um den Sarg stehen sah, rechnete während des Erdaufwerfens aus, daß die kleine Frau eine Nachkommenschaft von siebzehn Ellen mir einem Gesamtgewicht von über eintausend Pfund hinterließ. Tyge Enslev war jetzt der kleinste der Familie.
Kurze Zeit nach dem Begräbnis übergab Sören seinem jüngsten Sohn Haus und Schmiede und zog in ein kleines Altenteilerstübchen. Mit seinem großen grauen Wildmannskopf war er ein Schrecken für die Kinder des Dorfes, wenn sie ihn hinter der Fensterscheibe erblickten, wo er mit einer Messingbrille auf der Nase saß und in den Zeitungen las, die ihm Tyge sandte.
Von dem Unfrieden in der Familie merkte er nichts. Sein Geist war abgestumpft. Ihm blieb bis zuletzt die Erfahrung erspart, daß auch der Satan ein strenger Gläubiger ist, der den Abfall der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied rächt.
Seine alte Schuld an den Teufel verursachte ihm noch hin und wieder Gewissensbisse. Aber das beständige und ungewöhnliche Vorwärtskommen der Kinder in bezug auf Wohlstand und Ansehen machte ihn zuzeiten ganz ängstlich, daß jenes Verhältnis doch nicht endgültig geordnet sei. Als seine jüngste Tochter sich mit dem steinreichen Australier verlobte, machte ihn die Mitteilung davon lange Zeit stumm und mutlos.
Dieselbe Angst hatte ihn veranlaßt, gegen den Einwand aller Kinder einen Begräbnisplatz für Anne-Mette und sich selbst in der Armenecke des Kirchhofs zu wählen. Während seiner letzten Krankheit sprach er in seinen Fieberphantasien oft davon, daß er dem Satan nichts schuldig sei. An dem Abend, als er starb und der Propst kam, um ihm das Abendmahl zu reichen, und während die anwesenden Kinder sein Bett umstanden, fuhr er fort, mit einer ihnen allen unerklärlichen und schließlich unheimlichen Hartnäckigkeit zu versichern, daß er ehrlich von seiner Hände Arbeit gelebt habe und als armer Mann stürbe.
An seinem Begräbnistage, an dem alle Kinder zum letztenmal in dem alten Heim versammelt waren, kam es bei dem Mittagessen nach der Beerdigung zu einem peinlichen Auftritt in derselben Stube, aus der sie soeben den Vater hinausgetragen hatten.
Als Protest gegen Tyges eigenmächtiges Auftreten auf dem Kirchhof führten die andern Geschwister ein vollständiges Schweigen ihm gegenüber durch. Katrine – die Pfarrersfrau –, die neben ihm saß und die eigentliche Anstifterin des Komplottes war, wandte sich ab und schnob höhnisch, sobald er ein Wort zu ihr sagte. Der gutmütige Schullehrer Jörgen war der einzige, der sich außerhalb des Streites hielt. Er machte einen unbeholfenen Versuch, zu vermitteln. Tyge aber erhob sich schließlich mit Heftigkeit vom Tische, und bald darauf ließ er anspannen und fuhr davon, ohne sich zu verabschieden.
Auf dem Wege zum Bahnhof, während er in tiefer Verstimmtheit über die dunkle Moorgegend hinsah, wo er als junger Mensch in unschuldigen Dichterträumen umhergeschwärmt hatte, beneidete er seine Geschwister, weil sie so wenig davon ahnten, was ein Sieg wie der seine kostete. Er hatte sich die Handelsfreiheit seiner Jugend durch eine freudlose Ehe erkauft und wagte aus Furcht vor der Volksstimmung nicht, sich scheiden zu lassen. Ein Liebesverhältnis zu einem jungen Mädchen hatte er aus demselben Grunde verheimlichen müssen, ja, er war gezwungen gewesen, es öffentlich zu verleugnen, als sie sich mitten während eines Wahlkampfes aus Scham das Leben nahm.
Und dies war nicht das erste und würde nicht das letzte Menschenopfer sein, das er mit sorgenbeschwertem Herzen seinem Waffenglück bringen mußte. Politik war eine blutige Hantierung. Jeder Tag war ein Kampf auf Leben und Tod gegen Freund und Feind, gegen den Neid, der dem Politiker in seiner eigenen Partei auf den Fersen folgte, von dem erstenmal an, wo er auf einer Rednertribüne Beifall erntete, gegen den Haß, der auf der Lauer lag, um sich bei dem geringsten Straucheln über ihn zu stürzen, gegen die Gespensterfurcht in seinem eigenen Innern, die Angst vor den unhandgreiflichen Mächten, die ihn würden fällen können, ehe der Sieg gewonnen und das neue Reich gegründet war.
In seinen müden Augenblicken, wenn er sein Leben umdichtete, konnte er zuweilen wünschen, daß er noch unbekannt in einer Dachkammer säße und sich über den unrettbaren Jammer des Lebens erhöbe, indem er Liebeslieder und lustige Satiren schrieb. – Aber für ihn gab es keinen Weg mehr, der zurückführte! – – –
Auf eine so ungemütliche Weise löste sich das alte Schmiedeheim in Enslev auf, das die Eltern mit lebenslänglicher Selbstverleugnung zusammengehalten hatten. Zum letztenmal waren die unverträglichen Geschwister in den kleinen Stuben versammelt gewesen, wo sie einst Seite an Seite unter den Strahlen aus den milden Augen der Mutter aufwuchsen wie Pflanzen in einem Treibbeet. Bald darauf wurde der größte Teil des Mobiliars auf einer Auktion verkauft, sowohl das breite Pfostenbett, in dem sie alle geboren waren, wie auch die Familienwiege, deren Gängeln in den vielen Jahren durch das Haus getönt hatten wie der Herzschlag des Heimes, und die Bettbank, in der sie nach und nach alle zu zweien geschlafen hatten, einer den Arm um den Hals des andern geschlungen, wie vereint für die Ewigkeit.