Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Zweiter Band
Wilhelm von Polenz

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VI.

Am nächsten Morgen kam Leo Wernberg in das Schlafzimmer seiner Frau. Er fand sie noch im Bett, mit dunkel umschatteten wachen Augen, die von allem anderen sprachen, als von einer ruhig durchschlafenen Nacht.

197 »Wie geht es dir?« fragte er.

»Nicht gut!« erwiderte sie mit matter Stimme. »Ich bin müde und kann nicht schlafen.«

»Hm!« machte er. »Bleib' nur zu Bett! Soll ich nach Doktor Rink schicken?«

»Auf keinen Fall! Wahrscheinlich ist's nur etwas Schwäche. Wenn ich an die frische Luft komme, wird's besser werden.«

»Ich halte deinen Zustand durchaus nicht für unbedenklich. Du siehst sehr schlecht aus! Ich werde dir den Doktor schicken!«

Dabei blieb es, trotz Theklas Widerspruch.

Nach einer Stunde etwa erschien denn auch Doktor Rink. Er war Thekla noch niemals so unangenehm gewesen wie heute. Sein intimes Lächeln schien sagen zu wollen: ›Ich weiß ja sowieso alles!‹ Er sprach davon, daß sie in der letzten Zeit wohl »seelische Erregungen« gehabt habe. Schließlich verschrieb er etwas die Nerven Beruhigendes und ordnete an, daß die Patientin vorläufig das Bett hüte, bis er erlauben werde, daß sie aufstehe.

Frau Thekla war entschlossen, seine Verordnungen nicht innezuhalten. Nun wußte sie auf einmal, daß ihr nichts fehle, und daß ihr Zustand nur dann besser werden könne, wenn sie sich erhebe.

Sobald Doktor Rink den Rücken gekehrt hatte, klingelte sie nach Hedwig. Das Mädchen erschien mit tragischer Miene, die Augen rot vom Weinen.

Thekla sagte ihr ein paar freundliche Worte: sie solle sich nur beruhigen, es werde nicht so schlimm werden, man werde so nicht auseinandergehen.

Hedwigs Gesicht erhellte sich; sie griff nach der Hand ihrer Herrin und küßte sie. »Ich wäre ins Wasser gegangen!« meinte sie nur, und ging daran, alles zu 198 besorgen wie gewöhnlich. Frau Thekla wußte es ja längst, daß Hedwig nur eine Liebe habe auf der Welt, und diese Liebe war sie. Aber jeder Beweis ihrer Treue rührte die Herrin doch immer wieder auf's neue.

Als Thekla bald darauf in ihrem Zimmer saß, Briefschaften durchsehend, die eingegangen waren, klingelte es draußen. Der Diener trat ein und meldete. »Fräulein von Ziegrist.«

Frau Thekla überlegte nur kurze Zeit, dann sagte sie: »Ich nehme nicht an!«

Der Diener ging. Sie hörte, wie er draußen ihre Worte wiederholte. Sie war mit sich zufrieden, daß sie sich dazu aufgerafft hatte. Einmal mußte es doch klar werden zwischen ihr und Lilly. Unter dieses Verhältnis, das nur noch zum Hohne »Freundschaft« hieß, wollte sie einen Strich machen.

Plötzlich that sich die Thür auf, ein trat Lilly. »Du willst mich rausschmeißen? Das mußt du geschickter anfangen, mein Kind! J'y suis, j'y reste!« Damit ließ sie sich lächelnd auf dem Sofa nieder.

»Was willst du?« fragte Thekla, vor Unwillen errötend. »Ich ließ sagen, daß ich niemanden annehme.«

»Hat mir euer Karl pflichtschuldigst ausgerichtet. Eigentlich siehst du gar nicht so todsterbenskrank aus! Ich dachte dich im Bett zu finden. Dein Mann schilderte gestern abend deinen Zustand ganz gefährlich.«

»Hat Leo gesagt, ich sei krank?«

»Ihr seid eine köstliche Gesellschaft!« rief Lilly und lachte. »Ich habe ihm natürlich kein Wort geglaubt. Aber Niky schien wirklich auf die Räubergeschichte hereinzufallen. Er war den ganzen Abend über nicht bei Laune, obgleich dieser Cecil Duret großartig vortrug. Ein Genie, sage ich dir! un peu cochon, allerdings! – Was ich sagen wollte: 199 Niky schien allen Ernstes besorgt um dich. Nach deines Mannes Worten mußte man auch annehmen, mindestens Nervenfieber sei im Anzuge. Leo blieb nur kurze Zeit, ging, um bei dir zu wachen. Man fand das allgemein sehr rührend von ihm. Welch ein Musterbild ehelicher Zärtlichkeit, hieß es! Und nun liegst du nicht mal zu Bett! Ich würde dir doch raten, den Schein zu wahren, wenigstens für ein paar Tage.«

Thekla verstand jetzt alles. Sie war sprachlos vor Verachtung.

»Höre mal!« fuhr Lilly fort, »das muß ich dir doch sagen: Du hättest deinen Mann da bei einem Haare in eine nette Bredouille hineingebracht! Er war gestern früh drauf und dran, den guten Niky zu fordern. Ich habe alle Mienen der Beredtsamkeit springen lassen müssen, um ihm das auszureden. Bist du denn nicht bei Troste? Niky hat dir einen Antrag gemacht – gut! Stellt man sich deshalb so an? Das ist doch wirklich zu sehr petite bourgeoise! Verzeihe mir, aber du hast dich geradezu lächerlich gemacht! Wenn ich nicht war, hatten wir den schönsten Skandal fertig. Ihr könnt mir dankbar sein!«

»Hör auf!« sagte Thekla. »Hör auf!« –

Es schwoll etwas in ihr empor, das sie seit ihrer Kinderzeit nicht mehr empfunden hatte. Nein, sie wollte sich nicht zum Jähzorn fortreißen lassen! Und sie krampfte die Hände zusammen, die jene hätten abstrafen mögen.

Lilly sah wohl etwas von der Veränderung in Theklas Zügen; es kitzelte sie, die andere noch empfindlicher zu treffen.

»Ich kenne deinen Mann; ich weiß, daß Leo die Nerven nicht so leicht verliert. Aber gestern stand es traurig mit ihm! Weiß Gott, er thut mir leid! Wenn er mein Mann wäre, ich würde ihm solche Aufregungen ersparen. 200 Vielleicht findest du, daß mich alles das nichts angeht; aber ich habe ein Recht dazu. Wir beide, du und ich, kennen einander lange genug . . . . .«

»O ja, wir kennen einander lange genug!« wiederholte Thekla. »Da hast du recht!«

Der Ton, in dem das gesagt wurde, reizte Lilly. Sie wußte, woran die andere dachte. Nun war sie erst recht entschlossen, sich zu rächen.

»Leo thut mir leid, wirklich von Herzen leid! Er ist mir immer sympathisch gewesen; ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Es schmerzt mich, zu sehen, daß er es nicht gut hat. Armer Kerl! Er verdiente wahrlich ein besseres Loos!«

»Sage mal, weißt du eigentlich, in wessen Hause du dich befindest?«

»Um Himmels willen, stecke nur nicht die verheiratete Frau heraus! Das ist in diesem Falle geradezu kindisch! Ich weiß es ja: du hast ihn, er ist mit dir verheiratet, er ist dein Mann!« –

»Was soll das, Lilly?«

»Daß du deinem Manne auf die Nerven gehst! Daß du ihm fürchterlich auf die Nerven gehst!« fuhr es aus Lilly heraus. Sie glich einer fauchenden Katze in diesem Augenblicke. »Daß er verrückt gewesen ist, dich zu heiraten! So, nun weißt du es!«

Frau Thekla erhob sich, Lilly ebenfalls. Die beiden standen eine Weile vor einander und blickten sich in die Augen. Kein Wort ertönte, man hörte das Atmen. Thekla sah durch ihr Gesicht hindurch die ganze Häßlichkeit des inneren Menschen. Sie verstand diese Person vom Wirbel bis zur Zehe, so wie nur eine Frau eine Frau verstehen kann.

Sie wandte sich, ging zum Fenster und blickte hinaus.

201 Hinter ihr Lilly setzte sich und sagte mit einer Stimme, die gefaßt klingen sollte, aber vor Wut zitterte: »Dreh mir nur den Rücken zu, ich kann warten! Du wirst dich schon wieder umdrehen!«

Lillys Geduld sollte auf eine harte Probe gestellt werden. Dort stand Frau Thekla auf ihrem Lieblingsplatze, den Blick nach dem kleinen Haus da drüben gerichtet; nicht zum ersten Male hatte sie sich von hier Fassung des Gemütes geholt in schwerer Stunde.

Wenn Lilly geahnt hätte, welcher Art Theklas Gedanken jetzt waren! Keine Spur von Groll! Thekla bemitleidete die Freundin. Einen Ton hatte sie herausgehört aus Lillys Worten, einen Ton, der ihr das Verhalten der Altersgenossin auf lange zurück blitzartig erhellte.

Armes beklagenswertes Geschöpf! Was mochte sie für Qualen ausgestanden haben, all die Jahre hindurch, des Neides, des verzweifelten Ingrimms, bis heute, wo sich gegen ihren Willen das Geheimnis verraten hatte: Eifersucht.

Konnte man einen Menschen, dem man so in's tiefste Elend seiner Seele geschaut, noch hassen? – Mitgefühl blieb das einzige, da es Hilfe nicht gab!

Lillys Unglück war ja auch das ihre. Sie trugen gemeinsames Leid. Tragisch verquickt waren ihre Geschicke von dem Augenblicke an, wo Thekla dem Manne ihr Jawort gegeben hatte, den Lillys Herz begehrte.

O, warum erkannte man erst so spät und auf so wunderlich gewundenen Pfaden, was einem frommte? Vielleicht, wenn Menschen die Gabe der Voraussicht besäßen, würde es jetzt drei Glückliche gegeben haben: Lilly, Leo und sie selbst! –

Die Irrtümer des Kopfes rächen sich nicht so bitter und nachhaltig, wie die Irrtümer des Herzens.

202 In wehmütiger Stimmung stand Frau Thekla und starrte hinaus. Sie hatte schon ganz vergessen, daß Lilly wartete. Da ertönte Lärm im Nebenzimmer. Ein helles Kinderlachen und das gemütliche Schelten der Wärterin.

Die Gegenwart ihres Jungen gab Theklas Gedanken und Gefühlen eine neue Richtung. Wie konnte man trauern beim Anhören dieses Stimmchens! Sie wandte sich um und sagte zu Lilly: »Gerd ist dadrinnen! Stört es dich, wenn ich ihn hereinbringe?« –

Lilly hielt Theklas freundliche Miene für Verstellung, die Worte schienen ihr höchste Perfidie. Dunkel im Gesicht vor Erregung sprang sie auf. Den Jungen? – Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Hastig ließ sie den Schleier herab, griff nach Muff und Schirm.

Frau Thekla war inzwischen in's Kinderzimmer gegangen, sie nahm den Jungen an der Hand. »Komm Gerd, Tante Lilly Gutenmorgen sagen!«

Als sie in ihr Zimmer trat, war Lilly gegangen. Thekla stand für einen Augenblick befremdet; dann that ihr leid, was sie angerichtet hatte. Wer konnte aber auch immer daran denken, daß Lilly Kinder nicht leiden mochte.

* * *

Ein traurigeres Frühjahr hatte Thekla noch nicht verlebt. Während es draußen grünte und sproßte, fielen ihre Blüten. Das war ein Welken und Absterben, wie im Herbst. Alle Hoffnung lag hinter ihr, wie ein großes, graues Trümmerfeld.

Wie schwer sich Leo auch früher an ihr vergangen haben mochte, sie war doch immer wieder imstande 203 gewesen, zu verzeihen, weil sie zu hoffen vermochte. Sie hatte einstmals einen Glauben gehabt an die Heilkraft der Liebe; von der Liebe erwartete sie Wunder, weil sie in ihr selbst Wunder gewirkt hatte.

Nun mußte sie einsehen, daß ihrer Voraussetzung ein Fehler zu Grunde lag: Leos und ihr Verhältnis verdiente gar nicht den hehren Namen. Mit innerem Erschaudern nur vermochte sie daran zu denken, was seine Gefühle für sie von Anfang an gewesen sein mochten.

Wort für Wort hatte sich an ihr erfüllt, was ihr Tante Wanda einstmals prophezeit hatte: sie sei geboren dazu, getäuscht, ausgenutzt, mißbraucht zu werden.

Ja, mißbraucht war sie worden! So furchtbar das Wort klang, es bezeichnete noch viel furchtbarere Thatsachen. Ihr ganzes Zusammenleben war ein Mißbrauch gewesen, von dem ersten verschämten Kusse an, den sie sich hatte rauben lassen. Mißbrauch hatte er getrieben mit ihrer Unerfahrenheit, ihrer Mädchenthorheit. Zu denken, wie sie sich hingegeben hatte mit welchem Überschwang bräutlicher Gefühle! Zu denken, daß sie ihm alles gelassen hatte: Leib wie Seele! Hatte es nicht Augenblicke gegeben, wo sie, da ihre Jungfrauen-Sprödigkeit überwunden war, aus der Rolle weiblicher Zurückhaltung heraustretend, zur Verlangenden geworden war? –

Errötend stand sie, begriff sich und ihr Thun nicht mehr, jetzt, da all der Duft und Schmelz gewichen war von dem, was bisher ihr süßestes Geheimnis gewesen. Welch heimliche Triumphe mochte er gefeiert haben der befriedigten Selbstsucht, des überlegenen Spottes, daß er mit ihr so leichtes Spiel gehabt hatte.

Nichts hielt mehr Stand vor dem Eifer des empörten in seiner Ehre gekränkten Weibes. Jetzt wußte sie, wie viel sie ihm wert war, wie hoch er sie einschätzte! Die 204 letzten Tage hatten ihr die Augen darüber geöffnet. Vielleicht hatte ihr Gott diese Erlebnisse geschickt, um ihr die verblendeten Augen zu öffnen, ihr zu zeigen, wer der Mann sei, an dessen Seite sie lebte. Unheimlicher noch als der Abgrund der Begierde, in den sie neulich für einen kurzen Augenblick bei einem anderen geschaut hatte, that sich der Abgrund seines Egoismus jetzt vor ihr auf.

Sie blieb nicht stehen bei der Kritik seines Verhaltens; mit veränderten Augen sah sie nun ihr ganzes Zusammenleben. Der Putz war abgefallen und verriet, daß das Gebäude morsches Fachwerk sei. Sollte hier noch mit Flicken, Unterbauen und Stützen nachgeholfen werden? War es da nicht besser, abtragen, was längst zum Einsturz reif war? –

Zwar lebten sie auch jetzt noch unter einem Dache, aßen an einem Tische, nannten sich »du«, hatten viele gemeinsame Angelegenheiten; und trotzdem war das Tafeltuch zerschnitten zwischen ihnen.

Sie achtete ihren Mann nicht mehr. Er konnte ihr dieses oder jenes befehlen, Anordnungen treffen, sie folgte aus Gewohnheit; innerlich stand sie ihm dabei kalt und feindlich gegenüber. Sie beargwöhnte jeden seiner Schritte, traute keinem seiner Worte. Mit Ängstlichkeit verschanzte sie sich dagegen, durch gewinnende Reden, freundliche Blicke sich von neuem fangen zu lassen.

Leo merkte die Veränderung, die im Verhalten seiner Frau vor sich gegangen war, wohl, aber er nahm das zunächst nicht allzu ernst. Er glaubte es mit einer jener vorübergehenden Trübungen zu thun zu haben, wie sie schon öfters den Himmel ihres ehelichen Glückes überzogen hatten.

Ob sie etwa eifersüchtig war auf Lilly, weil er sich in der Angelegenheit mit dem Fürsten von ihr hatte 205 beraten lassen? Offenbar hatten die beiden sich gezankt. Lilly kam nicht mehr, spielte die Beleidigte. Das war sehr unangenehm, denn gerade, wenn er sich mit Thekla verzürnt hatte, war Lilly eine so angenehme Abziehung gewesen. Und nun schmollte diese Freundin auch! Sie behauptete, von Thekla beleidigt zu sein, rückte aber nicht mit der Sprache heraus: wann und wie.

Die Angelegenheit mit dem Fürsten war ja für den Augenblick ausgeglichen. Fürst Nikolaus war am Tage, nachdem der Franzose bei ihm gesungen hatte, nach London abgereist, angeblich um sich dort Muster anzusehen für die Einrichtung von Alexandrinenhof.

So bequem auch dieser maskierte Rückzug des Fürsten für den Gatten schien, die Sache war damit nicht aus der Welt geschafft. Gemerkt war doch etwas worden, und geklatscht wurde sicherlich.

Leo Wernberg hatte lange genug in der Gesellschaft gelebt und kannte ihre Angewohnheiten zu genau, um nicht zu wissen, daß man eine so schöne Gelegenheit zur Ausstreuung boshafter Gerüchte nicht ungenutzt würde vorübergehen lassen. In solchem Falle wurde ja das Unglaublichste am liebsten geglaubt. Wie mochten sich seine Feinde – er wußte, daß er deren hatte – in's Fäustchen lachen! Und dagegen war man ganz machtlos! Wie sollte man ein solches Gerücht fassen?

Ein Gesicht zur Schau tragen, als sei nichts geschehen, war alles, was man thun konnte. Es war das erste Mal, daß Leo Wernberg jene giftigste Waffe der Gesellschaft: die Medisance, von der er selbst so oft Gebrauch gemacht hatte, gegen sich gerichtet fühlte, am eigenen Leibe verspüren mußte, wie die unsichtbaren Geschosse mit den spitzen Widerhaken wirken.

Und dazu der Unfrieden im Hause! Denn, als die 206 Zeit fortschritt, konnte er sich der Einsicht nicht entziehen, daß es sich diesmal um mehr handle bei Thekla, als um bloße Verstimmung, oder Laune. Früher hatte sie niemals lange zürnen können. Und jetzt dieses frostige, feindliche, ja geradezu verächtliche Wesen! Sie war nicht mehr seine sanfte, gutartige Frau, die so leicht zu lenken gewesen.

Leo Wernberg hatte es immer für einen Mangel von Erziehung und Haltung angesehen, wenn Ehepaare nicht gut mit einander auskamen. Das durfte bei anständigen Leuten nicht vorkommen, und wenn es vorkam, durfte wenigstens die Welt nichts davon merken. Es lag nahe für ihn, an den Fall seiner Schwester, der geschiedenen Gräfin Nieden, zu denken. So schlimm war es freilich bei ihnen nicht, und würde es auch nicht werden; aber immerhin war's eine Warnung.

Er fühlte sich beunruhigt. Das Bewußtsein, in dieser Sache etwas versehen zu haben, unvorsichtig gewesen zu sein, verursachte ihm mehr Unbehagen, als er für gewöhnlich in sich aufkommen ließ. Eine nette Geschichte hatte er sich da eingebrockt! Kannte er denn die Frauenzimmer noch nicht? – Jede, selbst die sanfteste, hatte ihre Mucken. Behandelt wollten sie sein, dressiert! Aber wie bei den Pferden mußte man sich in Acht nehmen, sie nicht stätisch zu machen. Die einmal widerspenstig gewordenen zu besänftigen, kostete jedesmal ein schweres Stück Arbeit.

Aber wie er die Frauen kannte, waren sie schließlich doch allemal zu versöhnen. Ein Mittel gab es, dem Widerstand zu leisten, keine imstande war.

Der Blamage, abends ihr Schlafzimmer verriegelt zu finden, wie neulich, zwar wollte er sich nicht wieder aussetzen, schon der Dienstboten wegen nicht. Man mußte es anders anfangen.

Er besuchte seine Frau also eines Morgens, nachdem 207 er aus dem Kommen und Gehen ihrer Jungfer sich vergewissert hatte, daß die Thür offen sei.

Er fand Thekla vor dem Toilettenspiegel, ihm den Rücken zukehrend. »Gieb mir mein Braunes!« sagte sie. – Thekla glaubte, Hedwig sei eingetreten. –

Er lächelte; das paßte ja ausgezeichnet! Vorsichtig schob er den Riegel vor, blieb an der Thür stehen. Er betrachtete sie, während sie sich das Haar aufsteckte. Wie weiß und wohlgeformt ihre Schultern waren!

Als Thekla abermals eine Frage an Hedwig richtete und keine Antwort erhielt, wendete sie sich um. Ihr Ausdruck ging vom Staunen in Unwillen über. »Was willst du hier?«

»Zunächst dir guten Morgen wünschen! Dann mich nach deinem Befinden erkundigen, und – wenn's gestattet ist – dir einen Kuß geben.« Er kam mit schmeichelndem Lächeln auf sie zu.

»Laß mich!« Sie stieß ihn von sich.

»Seh' gar nicht ein, warum! Soviel ich weiß, bin ich im Zimmer meiner Frau! Ich sehe es gern, wenn du dir dein schönes Haar mit deinen schönen Armen aufsteckst!«

Statt aller Antwort eilte sie zum Kleiderschrank, riß einen Umhang heraus, und warf ihn über.

»Schade!« sagte er, ließ sich auf dem Bettrand nieder und kreuzte die Arme, wie einer, der gesonnen ist, das Feld zu behaupten.

Wie sie ihn haßte in diesem Augenblicke! Wollte er sie fühlen lassen, daß sie ihm schutzlos in die Hände gegeben war, daß er ihr Herr sei? Es war unerträglich! Sie stampfte mit dem Fuße auf. »Du hast kein Recht, mich so anzustarren!«

»So – wirklich?«

208 »Das thut kein anständiger Mann!«

»Wir sind einander, glaube ich, nichts schuldig geblieben, mein Kind!« sagte er einlenkend. Ihm lag daran, sie zu beruhigen; die Sache nahm eine Wendung, die für seine Zwecke nicht günstig war. »Daß du dich abends einschließt, ist doch wohl auch nicht ganz normal. Ich muß mich ja geradezu einschleichen, wie ein Dieb, wenn ich mal ein vernünftiges Wort mit dir reden will.«

Sie blickte ihn zweifelnd von der Seite an. Was wollte er? Sie traute seinen Worten nicht!

»Sieh mal, mein Schatz, es kann ja zwischen Eheleuten vorkommen, daß man sich mißversteht, selbst, daß man sich verzürnt – nicht wahr? Kleine Abkühlungen, wie zwischen den Großmächten! der Ton ist dann eine Weile minder vertraulich; aber zu einem Ausbruch des Krieges kommt es nicht; dazu sind wir zu civilisiert!«

»Was soll das?«

»Ich kam her, um mit dir zu reden. Der Frühling ist im vollen Gange, und wir haben noch nicht an die Frühjahrsreinigung gedacht. Deine Sommersachen sind auch zu bestellen. Alles das will bedacht sein! Schließlich schwebt auch die Frage: wo geht man diesen Sommer hin. Was hast du dir für Pläne gemacht?«

Thekla schwieg. War er wirklich so verblendet, nicht zu sehen, daß ganz andere Fragen sie beschäftigten, als Frühjahrsreinigung, Toiletten und Badereise? – Etwas viel Größeres und Wichtigeres, für ihr ganzes Leben Entscheidendes, stand im Vordergrunde ihres Nachdenkens, alle anderen Erwägungen in Schatten stellend.

Von ihm gedrängt um eine Antwort, sagte sie, ohne ihn dabei anzusehen, in geringschätzigem Tone: er möge thun und bestimmen, was er für gut befinde.

Er mißverstand sie. »Das will ich ja eben nicht!« 209 rief er lebhaft. »Diese Dinge gehen dich genau so viel an, wie mich! Wenn ich alles bestimme, dann sieht es schließlich so aus, als wäre ich ein Haustyrann. Daß ich das nicht bin, weißt du sehr gut, Thekla! Komm, sieh mich mal freundlich an! Wir wollen wieder gut sein – was?«

Thekla sah ein, daß sie nun sprechen müsse. So ging es nicht fort. Er durfte nicht länger in dem Wahne bleiben, daß zwischen ihnen Versöhnung denkbar sei. Sie hatte immer gehofft, daß es ihr erspart bleiben werde, als erste das Wort auszusprechen, das Wort, das ihr noch immer ein geheimes Grauen einflößte, trotzdem sie sich fortgesetzt mit seinem Inhalt beschäftigte; dieses Wort hieß: Scheidung.

Sie hatte ja niemals begreifen können, wie andere Frauen in die Auflösung eines Bandes willigen mochten, welches für alle Ewigkeit geschlossen war. Widernatürlich, ja verbrecherisch war ihr ein solches Beginnen erschienen. Wie konnten Menschen so den Geist der ersten Liebe verraten? –

Und nun sollte sie dieses Furchtbarste thun, das Zeichen geben, das alle Geister des Unfriedens entfesseln mußte.

Leo sah, wie sie sich quälte. Er ahnte noch immer nicht, womit sie sich trug. Er streckte den Arm aus, sie zu umfangen. Sie wich vor ihm zurück.

»Unterstehe dich!« rief sie mit blitzenden Augen.

Er maß sie mit staunenden Blicken, verfärbte sich.

Thekla wandte ihm den Rücken zu. Zärtlichkeiten, wo alle tiefere Gemeinschaft zwischen ihnen zerstört war! Glich das nicht der widerlichsten Parodie? –

»Ist dies das Benehmen einer vernünftigen Frau?« fragte er. »Wie ein ungezogenes Kind führst du dich auf!«

210 »Leo, der Mühe, mich zu erziehen, wirst du sehr bald überhoben sein!«

Wernberg schwieg betroffen. Er verstand an diesem Worte, vielleicht noch mehr an dem Tone, in dem es gesagt wurde, endlich, was sie meinte.

»Sprich dich nur ganz offen aus, mein Kind! Der Schlag wird mich nicht auf dem Flecke rühren, selbst wenn du das Äußerste sagen solltest, was zwischen Eheleuten gesagt werden kann.« Seine unruhig hin und her fliegenden Augen straften seine äußere Ruhe Lügen.

Thekla schlug die Hände vor die Augen. Sie konnte nicht, wahrhaftig, sie konnte nicht!

»Scheidung – nicht wahr?« fragte er. Sie sah ihn für einen Augenblick an, scheu, wie bei einem Verbrecher ertappt. Ihr »ja« war kaum vernehmbar.

Eine längere Pause entstand. Dann begann er. »Sage mal, Thekla, wer hat dir das eingegeben?«

Sie blickte ihn fragend an.

»Von dir geht das nicht aus; du kommst doch nicht auf solche Gedanken!«

»Meinst du, daß ich mich darüber mit anderen beraten würde, Leo?«

»Hat vielleicht deine Mutter, oder dein Bruder dir den Gedanken oktroyiert?«

»Du denkst wirklich, ich hätte mich aufhetzen lassen?«

»Hast du einen vernünftigen Grund! Bist du unglücklich verheiratet? Hast du nicht thatsächlich alles, was eine Frau sich wünschen kann! Ich weiß, daß dich manche beneidet! Man würde lachen, hörte man, du dächtest an Scheidung! Ich halte es auch nur für eine Marotte!«

Er verstand sie also doch nicht, würde sie niemals verstehen! Was ihr bitterster Ernst war, hielt er für eine »Marotte«.

211 »Ich will mich selbst nicht rühmen!« fuhr er fort. »Aber blicke doch mal in andere Ehen, mein Kind! Nirgends sind ideale Zustände. Ich glaube nicht, daß du viele Familienväter finden wirst, die so liebevoll sind, wie ich . . . .«

»O ja, du bist sehr liebevoll!« rief sie bitter.

Leo verstummte, musterte sie mit unsicherem Blicke. Sie war heute so ganz anders, als sonst! –

Thekla trat dicht vor ihn hin. »Leo, als ich dich heiratete, war ich eine Person, die wenig vom Leben wußte. Nur weil ich glaubte, daß du mich liebtest, habe ich das aufgegeben, was jedem Mädchen das Kostbarste ist. – Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen bin ich dir entgegengegangen! Wie habe ich in den ersten Jahren mir immer und immer wieder vorgehalten: er liebt dich, trotz allem liebt er dich! Wie habe ich gehofft und gehofft, dein Herz noch zu entdecken! Früher dachte ich, der Fehler liege vielleicht an mir, daß ich nicht die rechte Art hätte. Ich habe gesucht nach dir mit Herzensangst, aber du hast dich nicht finden lassen. Das ist es ja eben: du willst nicht; vielleicht sogar kannst du nicht! Gott allein weiß, wie es in deinem Herzen aussehen mag!«

Als wolle er etwas Unangenehmes von sich abschütteln, antwortete er mit ungeduldiger Gebärde: »Du redest ganz überspanntes Zeug! Man könnte denken, daß du schlechte Romane liest oder dergleichen.« –

»Du brauchtest eine Frau für deinen Haushalt, deinen Salon, überhaupt für dich! Ich schien dir gut genug zu dem Zweck. Dafür wurde ich herausgerissen aus allem, was mir lieb war, was mir angehörte. Wie vieles hast du in mir ertötet, das nie wieder wachsen kann! Was ist nicht alles verwüstet worden in mir, in den paar Jahren.« –

»Hör auf mit dem Unsinn! Die Ehe, dein Mann, 212 dein Haus, das müßten deine Ideale sein, wenn es richtig mit dir bestellt wäre! Herausgerissen soll ich dich haben aus allem, was dir lieb war, aus deiner Familie! Aber wie die Verhältnisse beschaffen waren, in denen ich dich gefunden, das verschweigst du wohlweislich. Was warst du früher? Ein obskures, kleines Fräulein, wie es hunderte giebt. Es ist einfach kindisch, wenn du behaupten willst, daß du durch deine Heirat einen Rückschritt gemacht hättest! Stellung, Rang, Ansehen, alles verdankst du mir! Und wenn du etwa gar dein Vermögen gegen mich ausspielen willst, dann muß ich dir sagen, daß es erstens mal gar nicht so kolossal ist, und außerdem . . . . . .

»Leo! – Solche Erwägungen hast du angestellt, ich nicht! Liebe hoffte ich zu gewinnen, Liebe!«

»Es ist lächerlich, meine Gute, wenn eine Frau, die sieben Jahr verheiratet ist, die zwei Kinder gehabt hat, sich anstellt, als sei sie in dieser Beziehung zu kurz gekommen.«

»O Leo! –« sagte Thekla nur und senkte das Haupt.

»Es wird mir wirklich zu bunt!« rief er. »Die ganze Art und Weise, wie du dich aufführst, ist im höchsten Grade skandalös! Die Ehe ist etwas Heiliges mein Kind! Deine Auffassung grenzt an Frivolität!«

Er ging erregt auf und ab mit verschränkten Armen. Sie folgte ihm mit großen verwunderten Augen. Hörte sie denn recht, verkehrte sich denn heute alles? Er sprach von der Heiligkeit der Ehe! Er! – Ein spöttisches Lächeln flog über ihr Gesicht.

Er bemerkte es, als sein Blick sie streifte. »Ja, lache nur!« rief er. »Das Lachen wird dir vergehen! Du bist sehr naiv; sprichst von Scheidung und hast keine Ahnung, was sie bedeutet! Weißt du vielleicht, daß wir Gesetze haben, die leichtsinnigen Frauen das Weglaufen verbieten? 213 Weißt du, daß es hier zu Lande etwas giebt, das man ›Eherecht‹ nennt? Zur Scheidung muß man Scheidungsgründe haben; was dir wahrscheinlich auch neu ist! Kannst du mir vielleicht einen sagen, der auf uns zuträfe? Weißt du überhaupt, daß diese Art Sachen vor den öffentlichen Gerichten verhandelt werden? Daß dabei entschieden wird, wem die Kinder zufallen? Jawohl, meine Liebe, wem die Kinder zufallen! – Auf alles das weißt du keine Antwort. Zum Scheiden gehören zweie, genau wie zum Heiraten. Weil es dir nicht mehr paßt, mit mir zusammenzuleben, ist noch lange nicht gesagt, daß ich dich ziehen lasse. Vorläufig bist du meine mir durch Staat und Kirche zugesprochene Frau. Du gehörst zu mir, und der Junge ist mein Junge. Ich verspüre nicht die geringste Lust, mir nehmen zu lassen, was mir zukommt. So liegen die Dinge!«

Thekla sagte nichts mehr. Wie Keulenschläge fielen seine Worte auf sie nieder. Fürchterlich kam er ihr vor in diesem Augenblicke. Er war der Mann dazu, sein Wort wahr zu machen. Er hielt sie in seiner Hand, sie war an den Block seines Willens geschmiedet; alle Gewalt, alles Recht, war auf seiner Seite. Unbarmherzig würde er davon Gebrauch machen. Wer war sie gegen ihn in diesem Streite? Mochte sie sich hart machen, soviel sie wollte, eine ungeschützte Stelle würde sie immerdar behalten: ihr Kind!

Dort würde er sie packen, dort sie treffen; das sagte ihr sein harter, triumphierender Blick. 214

 


 


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