Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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III.

Kaschelernst war in die Stadt gefahren. Der Hauptzweck seiner Fahrt war, Besorgungen und Bestellungen für die Gastwirtschaft zu machen. Da er bei dieser Gelegenheit hauptsächlich mit Bierbrauern, Cigarren-, Wein- und Likörhändlern zu thun hatte, die bei Geschäftsabschlüssen gern etwas springen lassen, befand er sich bereits am frühen Nachmittage in stark angeheiterter Stimmung. Kaschelernst pflegte sich jedoch nie bis zu voller Besinnungslosigkeit zu betrinken. Auch heute schwankte er zwar bedenklich auf seinen kurzen Beinen, und sein Rattengesicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, aber im übrigen hatte er seine fünf Sinne völlig beisammen, und vor allem war seine Durchtriebenheit nicht im geringsten geschwächt, durch die selige Stimmung.

In solcher Laune machte er sich auf, seinem Geschäftsfreunde Sam einen Besuch abzustatten.

Herr Kaschel aus Halbenau war ein gern gesehener Gast in der Getreidehandlung von Samuel Harrassowitz. Wenn er angemeldet wurde, ließ ihn Sam stets ohne weiteres in das kleine Hinterzimmer führen. Der Kretschamwirt pflegte meist wichtige Nachrichten vom Lande zu bringen.

Auch hier wieder bekam Kaschelernst sein Gläschen vorgesetzt. Man sprach von diesem und jenem. Der Kretschamwirt hatte schon mancherlei Interessantes ausgekramt. In seiner Stellung, als Wirt eines vielbesuchten Gasthauses, erfuhr er vielerlei, was anderen verborgen blieb. Heute hatte er sich etwas Besonderes bis zuletzt aufgespart. Eine Nachricht, die, wie er mit verschmitztem Augenzwinkern sagte, sie beide angehe: der Saländer Graf wolle dem Büttnerbauer auf die Beine helfen.

Der Händler schnellte von seinem Sitze empor. »Das wäre doch ein starkes Stück!«

»Es is genau su, wie ich's sage!« meinte Kaschelernst. »Der Graf will mich auszahlen. Büttnertraugott soll drinne bleiben im Gute. Su is es!«

Harrassowitz stieß eine Verwünschung aus. Dann fragte er, ob Kaschel das genau wisse; es beruhe vielleicht auf einem falschen Gerüchte. Der Gastwirt erklärte dagegen, der Graf lasse mit ihm unterhandeln, wegen Übernahme seiner Hypothek. »Mir kann's ja schließlich recht sein,« meinte Kaschelernst mit pfiffiger Miene. »Mir kann's schon ganz recht sein, wenn der Graf mich auszahlt; auf die Weise komme ich doch zu Gelde.«

»Sie wären auch ohnedem zu Ihrem Gelde gekommen, wenn wir das Geschäft zusammen gemacht hätten!« rief der Händler wütend. »Und was Schönes zu verdienen hätte ich Ihnen außerdem gegeben, Kaschel! Das wissen Sie ganz gut! Das hier ist vollständig gegen die Verabredung. Nun kommt der Bauer wieder auf die Füße. Verfluchte Gauner, die Aristokraten. Überall müssen sie sich einmischen. Wie kommt der Graf dazu, sich um dergleichen zu bekümmern! Verdirbt ehrlichen Leute die Preise!«

Harrassowitz war in diesem Augenblicke ehrlich entrüstet. Er empfand die Hülfe, die der Graf leisten wollte, als ein persönliches Unrecht, als unerlaubtes Eingreifen eines Unbefugten in seine Domäne.

Kaschelernst lächelte stillvergnügt und rieb sich die Hände. Er freute sich an Sams Ärger. Dann trank er sein Glas aus und meinte: »Ja, da wird's am Ende diesmal doch nischt! werden.« Damit erhob er sich zum Gehen.

Sam blieb in ärgerlichster Stimmung zurück. Der Gedanke, daß ihm das Büttnersche Bauerngut entgehen sollte, war äußerst schmerzlich. Er hatte im Geiste bereits über dieses Gut verfügt, als sei es sein Eigentum. Unter anderem waren Unterhandlungen angeknüpft, wegen einer Dampfziegelei, welche er auf dem neuen Besitz anzulegen gedachte. Ferner hatte er sich überlegt, welche Stücke er abtrennen und veräußern und welche er behalten wolle. Das Hauptgeschäft aber hatte er mit dem Walde vor. Den sollte ihm die Herrschaft Saland für teueres Geld abnehmen. Alle diese bereits eingefädelten Pläne drohten nun in Nichts zu zerfallen, durch das, was er soeben von Kaschelernst erfahren hatte. Denn wenn der Graf wirklich für die Schulden des Bauern eintrat, dann wurde nichts mit der Subhastation, auf die es der Händler in erster Linie abgesehen hatte. Er hatte schon eine Menge Arbeit in diese Sache gesteckt und nun sollte alles das auf einmal verloren sein. Das war sehr ärgerlich!

Aber, Sam pflegte sich niemals lange zu ärgern. Ärger kostete Zeit, und ›Zeit ist Geld‹. Er schätzte das Geld viel zu hoch, um es auf etwas Verlorenes zu setzen. Lieber strengte er seinen Verstand an, überlegte, ob sich hier nicht doch noch etwas machen lasse, und bald hatte er das Richtige gefunden.

Wozu war denn Edmund Schmeiß da! Von der Gewandtheit und dem Schneid dieses jungen Mannes hatte er mehr als eine Probe erhalten. Edmund Schmeiß war auch hierfür der richtige Mann.

Der Plan des Händlers war folgender: Der Besitzer der Herrschaft Saland war Rittmeister und stand in Berlin. Sam kannte den jungen Grafen zwar nicht persönlich, aber er wußte, daß er ein vornehmer Herr sei, der sich nicht sonderlich viel um die Gutsangelegenheiten kümmerte. Im Sommer und Herbst lebte der Graf ein paar Wochen mit seiner jungen Frau auf der Herrschaft, die übrige Zeit hielten ihn Dienst und Geselligkeit in der Reichshauptstadt fest. Mit den Einzelheiten der Landwirtschaft seines großen Besitzes konnte der junge Herr sich wohl kaum befassen; dazu waren die Beamten da. Ihm war jedenfalls die Rente die Hauptsache, und er war schon zufrieden, wenn er nur möglichst wenig Arbeit und Sorgen durch den Besitz hatte. Es war ferner anzunehmen, daß der Graf über die Verhältnisse bei den kleinen Leuten und Bauern, mit denen er grenzte, nur sehr unvollkommen unterrichtet sei. Was er etwa darüber wußte, wurde ihm jedenfalls durch seine Leute zugetragen. Überhaupt sah er alle Verhältnisse wahrscheinlich durch die Augen der Angestellten. Was konnte er eigentlich für ein Interesse an dem Büttnerbauer haben? Dem Grafen irgendwelche Teilnahme an der Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes zuzutrauen, so naiv war Samuel Harassowitz nicht. Er kannte doch die Kavaliere! Wahrscheinlich spekulierte der Graf auf den Wald des Bauerngutes, der Jagd wegen. Jedenfalls war hier irgend ein ganz realer, egoistischer Zweck im Hintergrunde, welcher diesen großen Herrn veranlaßte, dem Bauern anscheinend hülfreich unter die Arme zu greifen.

Wie nun den Grafen daran verhindern? Die Sache war äußerst brenzlich, und mußte mit größter Vorsicht angefaßt werden.

Solche Aristokraten waren hochfahrend, stark von sich eingenommen, und liebten nicht, daß man sich ihnen aufdränge. Auf der anderen Seite waren sie leichtlebig und rasch in ihren Entschließungen; ließen sich leicht bereden und fortreißen. Vor allem aber kam es ihnen bei jedem Geschäfte darauf an, daß es sich in netter gefälliger Form darbot, daß die Etikette gewahrt wurde.

Sam besaß soviel Selbsterkenntnis, um sich zu sagen, daß, wenn er selbst nach Berlin führe, um mit dem Grafen zu verhandeln, dabei schwerlich etwas herauskommen werde. Er hielt sich zwar durchaus nicht für unfein; aber, er wußte, daß Leute wie der Graf, besonders, wenn sie Offiziere sind, einen schwierigen Geschmack haben; kurz und gut, es schien ihm besser, seine Person im Hintergrunde zu halten. Edmund Schmeiß – das war ganz etwas anderes! Das war ein ›proper‹ aussehender junger Mann, immer ›patent‹ angezogen, und mit ›noblen‹ Manieren, überhaupt ›prima!‹ Sam hatte immer seine geheime Freude gehabt an dem forschen Auftreten seines Günstlings. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß der Kommissionär auch das Wohlgefallen des Grafen, schon durch seine Erscheinung, gewinnen werde.

Edmund Schmeiß wurde also ausersehen, nach Berlin zu reisen. Zuvor natürlich einigte man sich über die Provision, wie das unter vorsichtigen Geschäftsleuten üblich ist.

Sam vereinigte immer gern mehrere Geschäfte, wenn es sich machen ließ. Da er sich nun einmal in die Kosten gestürzt hatte, seinen Kommissionär nach Berlin zu schicken, gab er diesem gleich noch ein paar andere Aufträge mit. Man hatte Geschäftsverbindungen mit Berlin. Schmeiß bekam Order, verschiedene Freunde von der Produktenbörse aufzusuchen, und ein wenig auszuhorchen, über dieses und jenes. Überhaupt hätte Sam gern etwas über die Stimmung im Kreise der Eingeweihten erfahren. Besonders für Weizen interessierte sich der Händler gegenwärtig lebhaft. Die Berliner Berichte lauteten seit etwa acht Tagen stehend: »Weizen ruhig, bei ziemlich behauptetem Preise.« Aber, Sam traute nicht. Das war wohl nur die Stille vor dem Sturm. Der Markt litt nicht unter starkem Angebot, und trotzdem kein Anziehen der Preise! Roggen litt unter Glattstellungen, Gerste war still. Wahrscheinlich dachte eine Anzahl großer Firmen, im Trüben fischen zu können; etwa die niedrigen Notierungen zu benutzen, um im Stillen Deckungen auszuführen, und dann mit einem Male, wenn sie genug hatten, die Preise zu schnellen. Es wäre recht interessant gewesen, hinter die eigentlichen Absichten der maßgebenden Leute im Weizengeschäft zu kommen. Wenn man das Ziel des Manövers rechtzeitig erfuhr, konnte man sich in seinen Manipulationen danach richten.

* * *

Edmund Schmeiß reiste also nach Berlin ab.

Zunächst versah er sich in einem Modemagazin mit einem neuen Cylinder, rotbraunen Handschuhen und einer Kravatte von prächtiger Farbe. Er meldete sich nicht an; denn da riskierte man eine Ablehnung. Er wollte überraschen, wenn es sein mußte, überrumpeln! Die Mittagsstunde schien ihm die beste Zeit für seinen Besuch. Er nahm eine Droschke erster Klasse, der Kutscher sollte vor der Thür auf ihn warten – man durfte nichts versäumen, was guten Eindruck machen konnte – und fuhr nach »den Zelten«, wo, wie er durch das Adreßbuch ersehen hatte, der Graf seine Wohnung hatte.

Fast gleichzeitig mit ihm fuhr ein Coupé vor. Der Diener sprang vom Bock und öffnete den Schlag. Ein Ulanenoffizier stieg aus und eine Dame. Der Herr gab dem Kutscher noch Weisungen und schritt dann der Dame nach, in's Haus.

Edmund Schmeiß hatte die Szene mit Neugier verfolgt und sich die Physiognomien genau eingeprägt. Er trat an den Wagen heran, nahm den Hut ab und fragte den Kutscher, wer das gewesen sei. Der Kutscher nannte den Namen seiner Herrschaft.

Der Kommissionär war zufrieden, nun wußte er doch, daß der Graf zu Haus sei. Er sah sich noch einmal Wagen und Pferde an. Die Geschirre, die Livreen, bis herab auf die Bockdecke und die Handschuhe von Kutscher und Diener, alles vom Besten, geschmackvoll und gediegen.

Edmund Schmeiß ließ ein paar Minuten verstreichen, während der er auf dem Trottoir auf und ab ging, und begab sich dann in's Haus. Ein Kammerdiener öffnete auf sein Klingeln. Der Kommissionär hatte eine gleichgültig überlegene Miene vorbereitet, von der er annahm, sie müsse auf einen Bediensteten Eindruck machen. Der Diener, ein großer bartloser Graukopf, mit der gemessenen Haltung eines Lords, warf einen einzigen prüfenden Blick auf den Fremden, und erklärte darauf, der Herr Graf seien nicht zu Haus. Damit wollte er die Thür schließen, aber der Kommissionär, fix im Auffassen, wie im Handeln, hatte sich zwischen Thür und Angel gestellt, so daß jener nicht zumachen konnte. »Sagen Sie dem Herrn Grafen,« rief er mit einer Stimme, die berechnet war, auch in den Zimmern gehört zu werden, »ich hätte dem Herrn Grafen wichtige Nachrichten von der Herrschaft Saland zu bringen. Hier ist meine Karte.«

Der Kammerdiener las die Karte, betrachtete sich den Mann noch einmal, zuckte die Achseln und verschwand darauf.

Nachdem man den Agenten eine geraume Zeit hatte warten lassen, erschien der alte Diener wieder. Sein Benehmen hatte an Geringschätzung zugenommen. Die Herrschaften wären jetzt beim Luncheon, erklärte er, der Graf ließe dem Herrn aber sagen, wenn er mit ihm sprechen wolle, möchte er in einiger Zeit wiederkommen.

Edmund Schmeiß überlegte. Sollte er gehn und in einer Stunde wiederkommen? Vielleicht war man da wieder nicht zu Haus für ihn. Das war wohl nur eine Finte, um ihn auf gute Manier los zu werden! Nein, er blieb! Nun hatte er sich einmal den Eintritt erzwungen in das Quartier; diesen Vorteil wollte er nicht wieder fahren lassen.

Er erklärte dem Kammerdiener, daß er hier warten wolle, bis das Luncheon vorüber sei. Der Diener maß ihn mit einem verächtlichen Blicke. »Wenn Sie wollen – hier, bitte!« Er öffnete eine Thür. »Hier können Sie warten.«

Der Kommissionär sah sich in einem schmalen, einfenstrigen Zimmer, einer Art Garderobe. Es hingen Pelzmäntel und andere Kleidungsstücke an einem Rechen, unter einem Regal stand Schuhwerk. Ein Schlafsofa war aufgestellt, an den Wänden hingen Bilder und Photographien, die offenbar ausgemustert waren. Geheizt war der Raum nicht.

Obgleich das Ehrgefühl bei Edmund Schmeiß nicht sonderlich entwickelt war, fühlte er sich doch für den Augenblick nicht angenehm berührt, als er bemerkte, wohin man ihn gewiesen hatte. Seine Eitelkeit war gekränkt. Trotz des neuen Cylinders und des pickfeinen Aufzuges hatte ihn dieser großbrodige Schuft von einem Kammerdiener nicht für voll angesehen. Er besah sich in einem Stehspiegel, der in einer Ecke des Zimmers stand, und wohl eines Sprunges wegen hierher verbannt worden war. Seiner Ansicht nach war alles ›prima‹ an ihm. Er hätte ebensogut ein Offizier in Civil, ein Baron, ein Graf sein können. Was solche Lakaien doch für eine Witterung haben mußten! –

Aber, Schmeiß war nicht der Mann, der sich durch peinliche Empfindungen für längere Zeit niederdrücken ließ. Die Behandlung, die ihm zu Teil geworden, war sicher nicht freundlich zu nennen, aber, das mußte man schließlich aufs Geschäft schlagen; er sah auf das Resultat, und da war der unzweifelhafte Erfolg zu verzeichnen, daß es ihm gelungen war, in die Nähe des Grafen zu gelangen, der ihn nun doch nicht mehr abweisen lassen konnte. Den Leuten auf den Leib rücken, das war beim Geschäfte immer das Schwierigste und das Wichtigste. Nun er einmal hier war, schien ihm der Erfolg so gut wie sicher.

Er hatte sich auf das Schlafsofa gesetzt, und sah sich im Zimmer um. Dort auf dem Tische standen verschiedene Lampen von Bronce, Majolika, ein paar von Berliner Porzellan, Prachtstücke aus der Königlichen Manufaktur. So ein Winter in Berlin mußte dem Grafen eine Menge Geld kosten, mit Familie, Dienerschaft, Equipage und dazu erste Etage in »den Zelten.« Schmeiß machte einen Überschlag.

Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, durch Geräusche aus dem Nebenzimmer. Er hörte Tellerklappern und Stimmendurcheinander. Aha, das Eßzimmer! Er konnte weibliche Stimmen unterscheiden. Man schien sich gut zu unterhalten, es wurde viel gelacht. Der Kommissionär wechselte den Platz, um besser zu hören. Mit Grafen und Komtessen hatte er noch niemals zu Tische gesessen; es interessierte ihn doch, etwas davon aufzuschnappen, wie diese Art sich eigentlich unterhalten mochte, wenn sie unter sich war.

Schmeiß hatte ein scharfes Gehör, trotzdem konnte er anfangs kaum mehr verstehen, als einzelne Worte und Sätze, die aus dem Zusammenhange gerissen, keinen Sinn ergaben. Man schien abgespeist zu haben, er hörte wenigstens kein Tellerklappern mehr. Die Unterhaltung wurde in lebhaftester Weise geführt. Er konnte jetzt einzelnes verstehen, weil er inzwischen gelernt hatte, die Stimmen zu unterscheiden.

Es schienen recht gleichgiltige Dinge, von denen sie sprachen. Ein paar Namen hatte der Lauscher auch schon herausgehört. Eine »Wanda« schien da zu sein und eine »Ida«; jedenfalls also der Graf mit seinen nächsten Angehörigen.

Jetzt rückte man mit den Stühlen, man erhob sich. Es klang dem Kommissionär fast, als würde ein Tischgebet gesprochen, worüber er sich nicht wenig wunderte. Gleich darauf hörte er eine männliche Stimme sagen: »Herr Graf, der Herr ist auch noch da!« – »Welcher Herr!« fragte jemand. Darauf hörte der Kommissionär seinen eignen Namen nennen. »Was will der Mensch nur!« hieß es. Gleichzeitig ertönte übermütiges Frauenlachen. »›Schmeiß‹! hast Du gehört? ›Schmeiß‹ heißt der Mensch!« Ein Kichern und dann: »Möchtest Du Frau Schmeiß heißen, Ida?« – Das übrige verlor sich in Gelächter.

Edmund Schmeiß war errötet, was ihm selten begegnete. Die Kränkung hatte gesessen. Er knirschte mit den Zähnen. Wer ihn jetzt gesehen hätte, würde haben ahnen können, wessen dieser Mensch fähig, wenn er beleidigt war.

Die Thür vom Korridor wurde gleich darauf geöffnet, der grauköpfige Kammerdiener trat ein und teilte mit, der Herr Graf wolle Herrn Schmeiß jetzt annehmen. Der Kommissionär fuhr sich schnell noch einmal mit der Hand über den Schnurrbart zog die Manschetten unter den Ärmeln vor und folgte dem Diener.

Der Graf empfing ihn in seinem Zimmer. Er war ein großer, schlanker Herr. Sein Kopf schien älter, als seine Figur. Das blonde Haar lichtete sich bereits stark. Die Nase war lang und etwas zu spitz, um schön zu sein. Die Augen leuchteten groß und freundlich; sie waren das einzig Lebhafte in dem bleichen etwas verlebten Gesichte, dem auch der Schnurrbart nichts martialisches gab. Der Graf trug den Interimsrock.

Edmund Schmeiß hatte zunächst das unangenehme, ihn bedrückende Gefühl niederzukämpfen, einem vornehmen Manne gegenüber zu stehen. Aber das war nur vorübergehend, er beschloß, sich durch nichts imponieren zu lassen. Vornehmheit, gut! die wollte er jenem lassen; aber ob der Mann so klug sei, wie er, das würde sich erst noch ausweisen.

Der Graf erwiederte die tiefe Verbeugung des Fremden mit einem Kopfnicken, wies auf einen Stuhl, zum Zeichen, daß er Platz nehmen möge, und setzte sich selbst. »Nun, also Herr« . . . Der Graf dehnte das »Herr«, nach dem Namen suchend. »Schmeiß ist mein Name,« ergänzte der Kommissionär. »Ganz recht, Herr Schmeiß! also was führt Sie zu mir?«

Edmund Schmeiß hatte einen Fuß vorgesetzt und stemmte den Cylinder auf das Knie. Dann begann er mit Manieren, die zwischen Unterwürfigkeit, schnüffelnder Neugier und dreister Zudringlichkeit unausgesetzt wechselten, den Zweck seines Kommens in seichter, dabei glatt fließender Rede, wie sie den Handlungsreisenden eigen ist, auseinanderzusetzen.

Der Graf hörte ihm eine Weile mit gelangweilter Miene zu; er feilte inzwischen an seinen Fingernägeln. Als er mit allen zehn Fingern durch war, blickte er auf und meinte, in leicht näselndem Tone: »Ja, mein Bester – ich weiß nicht – Sie haben behauptet, Sie brächten mir Nachrichten von Saland – unter dieser Voraussetzung allein habe ich Sie angenommen. Ich sehe wirklich nicht ein, was das hier eigentlich soll!«

»Doch Herr Graf! der Herr Graf wollen mir nur gütigst gestatten, auszureden. Ich meine nämlich, daß die Interessen der Herrschaft Saland mit meinem Vorschlage sehr eng verknüpft sind. Der Wald des Büttnerschen Bauerngutes grenzt mit dem der Herrschaft, liegt wie ein Keil in dem Forst des Herrn Grafen eingesprengt . . .«

»Das weiß ich selbst, wahrscheinlich genauer als Sie!« meinte der Graf, welcher ungeduldig zu werden anfing. »Um diesen Wald handle ich schon seit Jahren. Ich werde wohl nun endlich mal dazu kommen. Um lumpige fünfzig oder sechzig Morgen handelt es sich, glaube ich.«

»Der Herr Graf werden aber viel zu hoch bezahlen. Wir würden dem Herrn Grafen den Wald billiger verschaffen.«

Der Graf musterte den Sprecher mit erstaunter Miene. Erst jetzt sah er sich den Menschen richtig an, der sich mit solcher Unverfrorenheit an ihn herandrängte. Das schien ja ein possierlicher Bursche zu sein! Der Graf lachte. »Wer sind Sie denn eigentlich, Verehrter! Ich wollte Ihnen blos bemerken, daß ich keine Zwischenhändler brauche, wenn ich mit einem meiner Bauern handeln will.«

»Herr Graf! Ich komme nicht im eignen Namen, das würde ich mir nicht erlauben. Ich bin Kommissionär. Ich komme im Auftrage der Firma Samuel Harrassowitz. Der Name ist Ihnen gewiß bekannt Herr Graf. Eine große Getreidehandlung, der Inhaber ist ein feiner und durch und durch reeller Geschäftsmann.«

Bei Nennung des Namens »Harrassowitz« stutzte der Graf. Er war aufgestanden und suchte etwas auf der Schreibtischplatte. »Mir schreibt hier mein Güterdirektor« . . . Er wühlte in einem Berge von Papieren, die einen etwas ungeordneten Eindruck machten. »Ich kann den Brief gerade nicht finden.« Den Späheraugen des Kommissionärs entging die Nachlässigkeit, mit der der Graf in den Papieren stöberte, nicht. »Na, egal! Hauptmann Schroff schreibt mir, daß dieser – dieser . . . den Sie eben nannten . . .«

»Harrassowitz!« beeilte sich Schmeiß zu ergänzen, der schon bemerkt hatte, daß das Namensgedächtnis des Grafen ziemlich mangelhaft war.

»Ganz recht! Dieser Harassowitz soll sich ja mit Güterschlächterei befassen.«

Jetzt hielt es Edmund Schmeiß für zeitgemäß, einen Trumpf auszuspielen. Er erhob sich mit gekränkter Miene, und sagte: »Ich bedaure, daß der Herr Graf so falsch berichtet sind. Harrassowitz ist ein Ehrenmann durch und durch. Er ist mein Freund!« Er knöpfte seinen Rock zu, wie er es auf dem Theater von beleidigten Helden gesehen hatte, und machte ernsthaft Miene, zu gehen. Menschenkenntnis war gerade nicht die starke Seite des Grafen. Er war arglos und gutmütig von Natur. Der Gedanke, jemanden gekränkt zu haben, war ihm peinlich. Er meinte in beschwichtigendem Tone: »Na, bleiben Sie nur, bleiben Sie! Die Sache wird wohl nicht so gefährlich sein.«

»Ja, aber ›Güterschlächterei‹ ist ein schwerwiegendes Wort, Herr Graf! Wenn ich mir meinen Freund Harrassowitz dazu denke. – Ich will ihm die Bemerkung des Herrn Grafen lieber nicht hinterbringen.«

Der Graf merkte die versteckte Drohung nicht, die in diesen Worten liegen sollte. Völlig arglos sagte er: »Die Sache ist nun gut! Setzen Sie sich wieder, und echauffieren Sie sich nicht unnötig!«

»Wollen der Herr Graf mich weiter anhören?« fragte Schmeiß, mit gut geheuchelter Miene eines Verletzten, der sich zur Versöhnung bereit finden lassen will. Im Innern triumphierte er.

»Ja, bitte, fahren Sie fort! Was wollen Sie denn eigentlich, oder was will Ihr Harrassowitz von mir? Das verstehe ich immer noch nicht. Da ist dieser Bauer, dieser . . . dieser . . . in Halbenau.«

»Büttner! meinen der Herr Graf, jedenfalls.«

»Jawohl, Büttner! Ein alter, ehrlicher Kerl, wie mir scheint, dem die Zwangsversteigerung droht, wie Hauptmann Schroff schreibt. Der Mann soll mit ein paar tausend Mark zu retten sein.«

»Gestatten der Herr Graf, daß ich hier unterbreche! Die Erfahrungen, die wir mit dem alten Büttner gemacht haben, sind etwas anders geartet. Wir sind der Ansicht, daß der Herr Graf verlockt werden sollen, einen Unwürdigen zu unterstützen. Der Herr Graf sollen Ihr gutes Geld hergeben für eine Sache, die, gelinde ausgedrückt, sehr zweifelhaft ist. Das ist der Plan, hinter den wir gekommen sind. Und um das zu verhindern, Herr Graf, bin ich nach Berlin gereist.«

Schmeiß beobachtete, während er mit der Miene des moralisch entrüsteten Biedermannes sprach, die Züge des Grafen mit einer Aufmerksamkeit, der nichts entging. Wenn dem Herrn das hier glatt einging, dann konnte er noch eine ganze Portion mehr vertragen. Der Graf ließ seine Augen mit dem Ausdrucke höchster Überraschung auf dem Sprecher ruhen, er hatte den Mund halb offen, und sah in diesem Augenblicke nicht besonders geistreich aus. »Kennen Sie denn diesen – diesen Büttner so genau?« fragte er nach einigem Besinnen.

»Wir haben genügende Erfahrung mit dem Manne, ich kann sagen, mit der ganzen Familie gemacht, um erklären zu dürfen, wir kennen die Sippschaft gründlich.«

»Mein Güterdirektor lobt mir die Leute in seinem Briefe.«

»Das Urteil des Herrn Hauptmann Schroff scheint mir – nun, ich will nichts gesagt haben, weil der Herr Graf etwas auf den Herrn zu halten scheinen. Aber, nachdem er über meinen Freund Harrassowitz derartig geurteilt hat, kann mir sein Urteil nichts mehr gelten! Der Herr Graf werden das verstehen!«

»Der alte Bauer soll durch Familienunglück in Bedrängnis geraten sein, glaube ich.«

»Durch schlechte Wirtschaft und weiter nichts, Herr Graf! Der alte Mann ist ein liederlicher Wirt und leider auch ein Trinker. Die Söhne sind noch schlimmer, und bei den Töchtern jagt ein uneheliches Kind das andere. Wollen sich der Herr Graf nur erkundigen, dann werden Sie schon erfahren, daß ich nicht übertreibe. Ich bin selbst in dem Hause gewesen, ich kenne die Leute. Auf diese Weise ist die Wirtschaft natürlich immer tiefer heruntergekommen. Jetzt sitzt der Mann in Schulden bis über die Ohren. Harrassowitz ist er Geld schuldig, auch ich habe an ihn verloren. Wir sind mit dem Manne gründlich betrogen worden, weil wir ihn für reell hielten. Wir werden unser Geld einbüßen. Und so geht es verschiedenen ehrlichen Geschäftsleuten. Auch mit seiner eigenen Familie hat er sich überworfen. Der eigene Schwager hat ihn ausgeklagt. Der Herr Graf wollen nur mal nachfragen lassen. Die ganze Sache ist oberfaul!«

Der Graf schüttelte den Kopf. »Wenn das so ist – dann läge die Sache ja in der That etwas anders. Aber, warum ist mir denn das so dargestellt worden?«

»Die bekannte Großmut des Herrn Grafen soll ausgenutzt werden. Man denkt vielleicht: der Herr Graf ist weit weg, in Berlin, und auf ein Paar tausend Mark kommt's ihm nicht an. Man rechnet mit der Menschenfreundlichkeit des Herrn Grafen. Aber, hier wäre Generosität, so schön sie auch sonst ist, nicht am Platze. Gesetzt den Fall, der Herr Graf reißen den Mann jetzt heraus – übrigens ist das mit ein paar tausend Mark keineswegs gethan; ich weiß, daß der alte Büttner namhafte Posten schuldet, bei Leuten, die sich noch gar nicht gemeldet haben – also, wenn der Herr Graf jetzt auch bezahlen, werden immer noch Forderungen nachkommen. Das ist wie ein Sieb, wo das Wasser, das man hereingießt, durchläuft. Und wenn der Bauer jetzt auch noch soviel verspricht, in Jahresfrist ist doch wieder alles beim Alten. Dann ist neuer Bankerott da. Der Herr Graf werden nichts als Ärger und Verdruß gehabt haben und Ihr Geld einbüßen.«

»Das ist doch wirklich traurig!« sagte der Graf, und dem Tone, in welchem er das sagte, war abzuhören, daß es ihm von Herzen kam.

»Ja, es ist tieftraurig!« echote Schmeiß.

»Solchen Menschen ist dann allerdings nicht zu helfen.«

»Ganz sicher ist solchen Leuten nicht zu helfen, Herr Graf,« sagte Edmund Schmeiß mit wichtiger Miene und ernsten Blicken. »Ganz sicher nicht! Da wird soviel geschrieben in den Blättern über die traurige Lage des Bauernstandes. Besonders die Blätter einer freieren Richtung, die demokratischen Organe, sind da immer schnell bereit, dem Großgrundbesitz die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die Magnaten werden angeklagt, den Bauern zu ruinieren, ›aufsaugen,‹ wie es da heißt. Von ›Bauernlegen‹ wird gesprochen. Aber, daß die Bauern meistens selbst an ihrem Untergange Schuld sind, das sagt niemand. Die Leute treiben's danach! Der Bauernstand geht an sich selbst zu Grunde, Herr Graf, nicht durch den Großgrundbesitz. Hier an dem alten Büttnerbauern haben wir einen schlagenden Beleg dafür!«

Edmund Schmeiß hatte die letzten Sätze mit einer gewissen Feierlichkeit in Ton und Gebärde gesprochen, als decke er seine innerste Gesinnung auf. Bei dem Grafen waren solche Worte nicht verloren. Auch an ihn waren Klagen und Forderungen, welche die Neuzeit gegen den Großgrundbesitz erhebt, herangeklungen, und hatten ihn verdrossen. Diese Verteidigung der Magnaten klang ihm angenehm in den Ohren.

»Was diese demokratischen Blätter sagen, ist alles Gewäsch!« erklärte er. »Was verstehen denn diese Leute von der Bauernfrage! Die mögen nur erst mal auf's Land hinausgehen und sehen, wie's dort zugeht, ehe sie ihre roten Artikel schreiben. Ja, wirklich solche Leute, Redakteure und überhaupt Zeitungsschreiber, die müßten alle mal zur Strafe ein paar Wochen das Feld bestellen – was? Die Art Leute hinter dem Pfluge, oder beim Düngerladen, wie denken Sie sich das?«

Der Graf geruhte zu lachen über seine eigene heitere Bemerkung, und Edmund Schmeiß verfehlte nicht, mitzulachen; auch er fand den Gedanken hochkomisch. Die Unterhaltung hatte entschieden einen wärmeren Ton angenommen, und der Graf war nicht mehr so unnahbar und von oben herab, wie zu Anfang.

»Nicht wahr? Da kann einem doch niemand einen Vorwurf daraus machen, wenn man solch einen Mann seinem wohlverdienten Schicksale überläßt?« fragte der Graf schließlich.

»Im Gegenteil, Herr Graf!« rief der Kommissionär. »Ich meine, es wäre unverantwortlich, wenn man hier einen Finger zur Hilfe rühren wollte. Diesen Leuten ist eben nicht zu helfen, und kein vernünftiger Mensch wird wagen, dies von dem Herrn Grafen zu verlangen.«

Schmeiß hatte nun keine große Mühe weiter, den Grafen zu überreden. Leute von geringem Urteil, und großer Gutmütigkeit, wie der Graf, sind leicht zur Härte zu verführen. Der Graf ärgerte sich bereits, daß seine Güte wieder mal hatte mißbraucht werden sollen, und er gedachte, seinem Güterdirektor diesen Versuch nicht zu vergessen.

Der Kommissionär ging von ihm, mit dem Bewußtsein, seine Aufgabe in glänzender Weise gelöst zu haben. Und außerdem kam noch die angenehme Genugthuung befriedigter Eitelkeit hinzu. Der Graf hatte ihn schließlich gar nicht mehr schlecht behandelt. Sogar eine Cigarre war ihm vor dem Weggehen angeboten worden.

Mit gehobenem Selbstgefühl verließ Edmund Schmeiß das Haus, und dem prickelnden Gedanken, daß diese Aristokraten zwar äußerlich recht vornehm, im Grunde aber doch fürchterlich dumm seien.



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