Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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V.

Ein Reiter ritt in den Hof des Büttnerschen Bauerngutes ein. Das Pferd war ein alter englischer Vollblutgaul, der bessere Tage gesehen haben mochte. Sattel und Zäumung waren armeemäßig. Der Reiter verleugnete in Haltung und Erscheinung den ehemaligen Offizier nicht. Er war ein hagerer Fünfziger. Seinem wettergebräunten Gesichte gab ein langer graublonder Vollbart eine wirksame Umrahmung.

Die Töchter des Büttnerbauern waren im Hofe, mit Mistaufladen beschäftigt. Hochaufgeschürzt, mit bloßen Füßen, die Gabeln in den geröteten Händen, standen sie auf der Düngerstätte, neben der ein halbbeladener Wagen unbespannt hielt.

»Bin ich hier im Büttnerschen Bauerngute?« fragte der Reiter.

»Hier is Büttners!« antwortete Toni, die Ältere.

»Ist der Bauer zu Haus?«

»Der Vater is uf'n Felde mit Karlen. Se thun de Apern igeln.«

»Ich möchte mit Ihrem Vater sprechen, in einer Angelegenheit. Am liebsten allerdings im Hause. Könnten Sie ihn holen?«

Toni stand da mit offenem Munde und gaffte den Fremden an. Sein großer Bart, die roten Lederhandschuh, die Reitgerte mit dem Silberknauf, alles an ihm kam ihr ungewöhnlich vor. Sie empfand eigentlich Lust, zu lachen. Darüber vergaß sie ganz, zu antworten.

An ihrer Stelle übernahm die jüngere Schwester die Vermittelung dem Fremden gegenüber. Ernestine war die Gewecktere und Lebhaftere von den beiden. Mit einigen kaum merklichen Griffen hatte sie es verstanden, ihren allzuhoch aufgeschürzten Rock herabzulassen, so daß wenigstens die von Mist beschmutzten Waden den Blicken des fremden Herrn entzogen waren. Sie sagte – und gab sich dabei Mühe, Hochdeutsch zu sprechen:

»Wenn Sie den Vater sprechen wollen, wir können ihn rufen; sie sein nicht sehre weit.«

Damit sprang sie behende von der Düngerstätte hinab und lief zum oberen Thore. Dort blieb sie stehen, bildete mit beiden Händen ein Schallrohr und rief: »Karle, gieh, sag's ack den Vater, er mechte glei amal rei kimma. 's wäre ener dohie, der mit'n raden wullte. . . . Ich kann ne verstiehn! . . . Ju ju! A Reiter. Mit an Pauer wullt ar raden soit ar.«

Das Mädchen kam von ihrem Posten zurück. »Der Bruder wird's 'n Pauern sagen« erklärte sie, »daß er reinkommen soll.« Darauf nahm sie die Mistgabel wieder zur Hand.

Der Fremde dankte ihr. Er war inzwischen abgestiegen, hatte dem Pferde die Zügel über den Kopf genommen, die Bügel in die Steigriemen hinaufgezogen, und locker gegurtet, mit Handgriffen, denen man die alte Übung und die Liebe für das Tier ansehen konnte. Nun fragte er, ob er irgendwo einstellen könne. Die Mädchen sahen sich eine Weile unschlüssig an, dann erklärte Ernestine, im Kuhstalle sei noch ein Stand frei. Sie lief auch sofort zum Stallgebäude und öffnete die Thür.

Der Fremde folgte ihr, das Pferd am Zügel. Jetzt wo er sich auf ebener Erde bewegte, kam erst die Größe und Schlankheit seiner Figur zur Geltung.

Der Vollblüter scheute vor der niederen Thür und dem Geruche, der aus dem Kuhstall drang. Mit fliegenden Nüstern und gespitzten Ohren stand der Gaul da und schniefte in tiefen langgezogenen Tönen. Durch Klopfen und Zureden brachte sein Herr ihn endlich dazu, die verdächtige Schwelle zu überschreiten. »Das übrige besorge ich mir schon selbst; danke Ihnen!« rief er dann und verschwand, seinem Tiere folgend, in dem engen Pförtchen.

Bald darauf trat der alte Bauer in den Hof. Seine Miene verriet Ärger. Er war schlechter Laune, daß man ihn von der Arbeit abgerufen hatte. Ernestine erklärte ihm, daß ein Herr zu Pferde da sei. Er sähe aus, wie einer vom Rittergute, meinte das Mädchen, welches, wie es schien, seine Augen zu gebrauchen verstand. Die Laune des Alten verbesserte sich durch diese Vermutung nicht. Er fluchte und rief den Töchtern zu, ein andermal sollten sie solche Leute wegschicken.

Inzwischen kam der Fremde aus dem Stalle heraus, in gebückter Haltung, um nicht an den Deckstein anzustoßen. Er begrüßte den Bauern, der die Hände nicht aus den Taschen nahm, mit Hutabnehmen und erklärte, er sei der neue Güterdirektor des Grafen, Hauptmann Schroff.

Der Büttnerbauer sah den Mann mit wenig freundlichem Ausdruck an. Einer von der Herrschaft! Von der Seite war ihm bisher niemals was Gutes gekommen.

Da der Bauer sich, wie es schien, nicht dazu herbeilassen wollte, zu sprechen, fragte Hauptmann Schroff, ob er ins Haus treten dürfe, er habe mit Herrn Büttner ein Wort unter vier Augen zu reden.

Der alte Mann ging, statt zu antworten, auf sein Haus zu. Der Hauptmann folgte.

Im Zimmer trafen sie die Bäuerin. »Frau gieh' naus!« rief ihr der Bauer kurz angebunden zu. Der Fremde unterließ es nicht, sich bei der Frau zu entschuldigen, er habe Wichtiges mit ihrem Eheherrn zu bereden.

Der Büttnerbauer hatte sich in seine Ecke gesetzt, und sah von diesen Verließ aus mit mürrischer Miene, den Dingen entgegen, die da kommen würden. Der Hauptmann holte sich einen Stuhl herbei und setzte sich dem Alten gegenüber. Er schien das ablehnende Wesen des anderen absichtlich übersehen zu wollen.

»Also, Herr Büttner!« begann Hauptmann Schroff, und schlug dabei mit der Reitgerte gegen seine gespornten und gestiefelten Beine, die er lang ausgestreckt hatte, »die Sache ist nämlich folgende: Mein Chef, der Graf, möchte gern Ihren Wald kaufen. Es ist ja darüber bereits früher zwischen Ihnen und meinem Vorgänger verhandelt worden, aber ohne Resultat. Der Herr Graf wünscht nun aber dringend, daß die Sache endlich einmal vorwärts rückt. Der Erwerb Ihrer Waldparzelle ist uns von ziemlicher Wichtigkeit; ich sage Ihnen das ganz offen heraus. Das kleine Stück liegt gerade wie ein Keil zwischen zwei von unseren Hauptrevieren. Eine Verbindung der beiden Reviere ist aus wirtschaftlichen Gründen dringend erwünscht. Uns bedeutet dieser schmale Streifen die Möglichkeit, bei den Holzfuhren viele Kilometer zu ersparen. Ihnen dagegen nützen diese fünfzig oder sechzig Morgen so gut wie gar nichts. Im Gegenteil, der Wald kostet ihnen höchstens etwas. Das bißchen Holz was darauf steht, ist kaum der Rede wert. Der Boden ist entwertet durch die Streunutzung. Und dabei liegen doch Abgaben darauf. Wenn wir es in unsere Regie bekommen, würden wir sofort Kahlschlag machen lassen und neu aufforsten. Dabei werden die Arbeitslöhne natürlich nicht einmal herauskommen, so schlecht ist der jetzige Stand. Sie sehen demnach, Herr Büttner, das Interesse ist eigentlich auf beiden Seiten. Für uns, die Parzelle zu erwerben, für Sie, das Ding loszuwerden. – Also werden wir wohl handelseinig werden, denke ich, diesmal.«

»Ich denk's ne!« sagte der Bauer aus seiner Ecke heraus.

»Aber, ich bitte Sie, bester Herr Büttner!« rief der Hauptmann und kam dem Alten näher auf den Leib, sich mit Hülfe seiner langen Beine auf die Ecke zurückend. »Der Graf will Sie natürlich gut bezahlen, jedenfalls weit über den eigentlichen Wert des Grund und Bodens. Ich habe Vollmacht, Ihnen einen Preis zu bieten, der in dieser Gegend für Waldboden noch nicht bezahlt worden ist.«

»Ich ha 's an Vater vun Grofen schunstens zweemal soin lassen, ich verkefe meenen Busch ne; und dos gilt a heite noch!«

»Aber, bedenken Sie doch nur, Lieber, Sie bekommen dadurch Kapital in die Hand. Ich glaube Ihre Verhältnisse sind derart, daß Sie das ganz gut gebrauchen können.«

»Wie's mir ergieht, oder ne ergieht, das geht niemanden uf der Welt nischt ne an!« rief der Alte; das Zittern seiner Stimme ließ die innere Erregung ahnen.

»Herr Gott! Mißverstehen Sie mich nur nicht! Fällt mir im Traume nicht ein, mich in Ihre Verhältnisse zu mischen. Ich habe nur soviel sagen wollen, daß Sie, wenn Sie erst mal Ihren Wald los sind, alle Kraft auf die Verbesserung der Felder und der Wiesen verwenden können. Ich glaube, da ließe sich noch manches thun. Ich bin neulich mal über ihr Grundstück geritten. Da draußen am Waldesrande liegt ein ganzer Schlag, auf dem wächst nichts als Unkraut.«

Der Bauer rückte in seiner Ecke unruhig hin und her, da jener ihn, ohne es zu ahnen, an der verwundbarsten Stelle traf. Das war ja sein ärgster Kummer, daß er das Büschelgewende schon zum zweiten Male mußte als Brache liegen lassen, weil es ihm an Arbeitskräften fehlte.

Hauptmann Schroff fuhr unbeirrt fort: »Da ließe sich sicher noch vieles bessern. Und vor allem! intensivere Wirtschaft mein Lieber, intensiveres Düngen. Aber dazu ist Bargeld nötig. Ich meine, Sie sollten mit beiden Händen zugreifen, wenn Ihnen ein solches Gebot gemacht wird.« Der Sprecher merkte in seinem Eifer wohl nicht, wie es in dem Gesichte des Alten wetterte und zuckte. Das waren ja alles Dinge, die er nur zu gut wußte, die er sich selbst wie oft gesagt, die aber im Munde des Fremden als beleidigende Vorwürfe wirkten.

»Und nun noch eins!« fuhr der Hauptmann fort »etwas, das auch wieder das gemeinsame Interesse illustriert, welches Sie wie der Graf, an dem Handel haben. Aus dem gräflichen Forste tritt nicht selten das Wild auf die Fluren hinaus, wahrscheinlich auch auf Ihre Felder . . .«

Jetzt riß dem Alten die Geduld. Die Erwähnung des Wildes, das ihm seine Saaten zertrampelte und sein Getreide abäste, wirkte wie ein Peitschenhieb auf sein bereits hinlänglich gereiztes Gemüt. Hochrot im Gesicht fuhr er auf und schrie los: »Wullen Se mich etwan zum Narren halen! Kummen Se und derzahlen mer vun a Wilde! Dos Ungeziefer frißt unsereenen bale ganz uf. Geklogt ha'ch schun, aber hob 'ch denn a Recht gekriegt? Fir uns Pauern giebt's ja keene Gerechtigkeit ne gegen de Grußen.«

Grollend setzte er sich wieder auf seinen Platz, verschränkte die Arme und sah den Fremden mit feindlichen Blicken an.

Der gräfliche Güterdirektor schien mit bäuerlichen Sitten so weit vertraut zu sein, um zu diesem Zornesausbruch lächeln zu können. Er meinte in beschwichtigendem Tone: »Nur nicht gleich so hitzig, mein guter Büttner! Lassen Sie mich Ihnen das mal in Ruhe erklären. Mein Graf will einen Wildzaun anlegen längs der bäuerlichen Grenze, so ein zwanzig Kilometer lang und mehr. Dadurch soll das Übertreten des Wildes ganz verhindert werden. Aber, dazu brauchen wir Ihren Wald, weil sonst eine Lücke entstehen würde in dem Zaun, verstehen Sie! – Also wie stehts, sind wir handelseinig?« Der Hauptmann streckte bei diesen Worten dem Alten die Hand hin. »Wenn es hierbei einen Vorteil giebt, so liegt er ganz unbedingt auf Ihrer Seite, sollte ich denken.« –

Der Büttnerbauer preßte die Lippen auf einander, runzelte die Stirn und blickte starr geradeaus, er vermied den Blick des anderen, wie einer, der sich durch Überredungskünste nicht irre machen lassen will. Gänzlich konnte er sich der Einsicht ja nicht verschließen, daß ihm hier ein günstiges Angebot gemacht wurde; aber das alt eingewurzelte, bei den meisten Bauern tief eingefleischte Mißtrauen gegen alles, was von Seiten der Herrschaft kommt, verhinderte ihn, nüchtern und vorurteilsfrei zu erwägen.

»Sie sollten Ihren Frieden machen mit der Herrschaft,« sagte Hauptmann Schroff, als ahne er, was in der Seele des Alten vorgehe. »Vor allem da Sie es jetzt mit dem jungen Grafen zu thun haben. Der Zwist, den Sie mit dem alten Herrn gehabt, könnte doch füglich mit ihm begraben sein. Ich glaube, es wäre kein Schade für Sie, wenn Sie sich mit uns stellten. Die Interessen von Bauer und Ritterschaft gehen vielfach Hand in Hand. Schließlich sind es doch verwandte Stände: Grundbesitzer. Die Größe des Besitzes bedeutet keinen so enormen Unterschied.«

Dieser Versuch, ihn mit der Gemeinsamkeit der Interessen zu fangen, machte den Bauer nur aufstützig. Der Mann da entwickelte ihm viel zu viel Eifer. Nein, so beschwatzen ließ er sich nicht! Daß der Graf nicht aus Liebe für die Bauern den Wildzaun errichten wollte, war klar. Wozu das Gerede! Nur um so fester wurde der Alte in seiner Ansicht, daß er hier wieder einmal betrogen werden solle.

»Nahmen Se sich ack keene Mihe wetter!« sagte er in mürrischem Tone. »Ich verkefe nischt vom Gutte weg. Een fir allemal, nu ho'ch Se's gefoit!«

Der Hauptmann hatte die ausgestreckte Hand wieder zurückgezogen. Die Sache ging doch nicht so schnell, wie er sich's gedacht hatte, mit diesem starrköpfigen Alten. »Sie werden sich's noch überlegen, Herr Büttner!« meinte er. »Ich kann's ja begreifen, daß Sie an Ihrem Eigentum hängen. Vollständig vermag ich's zu verstehen, glauben Sie mir das nur! Man hängt an der eigenen Scholle, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Und das Herz blutet einem, lieber möchte man sich einen Finger von der Hand hacken lassen, als einen Acker weggeben vom ererbten Grund und Boden.« Hauptmann Schroff hielt einen Augenblick inne. Dem trüben Ausdrucke nach zu schließen, den urplötzlich seine sonst heiteren und offenen Züge annahmen, schien eine düstere Erinnerung durch seine Seele zu ziehen. Er schnipste mit den Fingern, wie um das zu vertreiben und fuhr fort: »Sehen Sie, man kann darin aber auch zu weit gehen, ich meine, in jenem Festhalten. Dann wird eben Starrköpfigkeit und Vernarrtheit daraus. Lieber ein kleines Gut, als ein großes, das man nicht voll bewirtschaften kann. Ich kenne Ihre Lage, Büttner! Ich sage Ihnen soviel, aus meiner eigenen Erfahrung heraus, wenn Sie sich auf Ihren Willen versteifen, wenn Sie auf diesen Vorschlag hier nicht eingehen, werden Sie sich nicht halten können auf Ihrem Gute.«

Jetzt hielt sich der Bauer nicht länger. »Ich ho mich gehalen dreißig Juhre lang, dar Herrschaft zun Trotze! Mich wardt er ne uffrassen, wiet'r ringsrim alles ufgefrassen hoat, mich ne! Wenn der Pauer alle wird, wer is 'n dran schuld, wenn ne die Rittergitter? Auf uns Pauern hackt a alles ei, de Beamten wie der Edelmann. Nu solln mer och noch 's latzte Bissel hergahn, dos mer hoan. Vun Haus und Hof mechten se uns rungertreiba, alles mechten se schlucken, bis mir gar an Bettelstabe sein. Dazumal, als se teelten – regulieren thaten se's heeßen – 's is nu schun an Hardel Jahre har, mei Vater selch hot mer's derzahlt – do hat mei Grußvater an dritten Teel vun Gutte hergahn missen, an's Rittergut. Und hernachen wor's immer no nich genug. Do mußte mei Vater selch no ane Rente abzahlen, wie viele Juhre durch! – Nu sollt ees denka, mer wär' frei gewurn, weil mer an Hofedienst und a Fronde los sen. Aber ne! nu kimmt a Edelmann su vun hinten rim und mechte unsereenem 's Gut abluchsen. Aber, da giebt's nischt! Mir Pauern sein och nich mehr so tumm. Mir sein a nimmer de Unterthanen mih vun an gnädgen Herrn. Wenn mir ne wullen, do brauchen mer ne! Zun verkefen kann mich keener ne zwingen, och der Graf ne!«

Der Hauptmann hatte diesen Ausbruch bäuerlichen Selbstbewußtseins mit Verständnis und Teilnahme angehört. Sowie ihn der alte Mann zu Worte kommen ließ, sagte er: »Ich kann das alles mit Ihnen fühlen, Büttner! Ich habe auch einmal ein Gut besessen, ein schönes großes, vom Vater ererbtes Rittergut. Ich habe den Grund und Boden, auf dem ich geboren war, lieb gehabt, so gut wie Sie Ihr Gut lieben. Genau wie Sie dachte ich damals. Aber die Verhältnisse sind oft stärker, als unser Wille. Was will man machen! Ein paar Mißernten und dann die Hypotheken, mein Lieber! die Hypotheken! Das ist der zehrende Fraß, der den Grundbesitzer vernichtet. Das ist schlimmer als Feuersbrunst, Hagel und alle Ungewitter zusammen. Auf überschuldetem Grunde sitzen, das ist, als ob Dir einer eine Schlinge um den Hals geworfen hätte, und wenn Du die Füße losläßt, hängst Du drinnen. Da giebt es keine Rettung. Der größte Fleiß, die größte Sparsamkeit nützen da nichts, Du bist kein freier Mann mehr, Du hängst von etwas ab, das Du nicht kontrollieren kannst, und das lähmt Dich. – Mit blutendem Herzen habe ich meinen Besitz fahren lassen müssen. Sequestration, Zwangsversteigerung, alles habe ich durchgemacht! Sie sehen, mein guter Büttner, ich kann hier mitreden.«

Der Hauptmann schwieg und strich sich mehrmals erregt den Bart, ihn von oben nach unten durch die hohle Hand gleiten lassend. Er seufzte. »Gott schütze Sie, mein Lieber, vor alle dem!«

Der alte Bauer war stille geworden in seiner Ecke. Die Worte des anderen hatten Eindruck auf ihn gemacht.

Hauptmann Schroff fuhr fort: »Es ist nicht leicht, als älterer Mann, ein Stück hergeben von dem, was man durch ein ganzes Leben sich gewöhnt hat, als sein Eigentum zu betrachten. Sitzt da irgendwo in der Stadt ein Kerl, der hat eine Hypothek auf Deinem Gute erworben. Und dieser Mensch, der mit dem Grund und Boden nicht das geringste zu thun hat, der nicht ackert, pflügt oder säet, der hat nun Gewalt über Dein Gut. Der kann Dich runtertreiben, wenn es ihm paßt. Wie eine Ware kommt Dein Eigentum unter den Hammer. Und das, was Generationen gepflegt und kultiviert und gehütet haben, wie ihren Augapfel, wird nun zerschlagen und zerschlachtet von Fremden. Und draußen sitzen wir! Als älterer Mann mit Familie, muß man sich nach Brot umsehen. Das ist nicht leicht, mein Lieber, das ist nicht leicht!«

Der Hauptmann schwieg und blickte gesenkten Hauptes zu Boden, als sei dort irgend etwas Interessantes zwischen seinen Stiefelspitzen zu erblicken.

Auch der Büttnerbauer sagte kein Wort. Der Mann hatte Recht! so war es, genau so! Wie oft hatte er nicht ebenso empfunden, wenn er mit Angstschweiß die Zinsen für seine Gläubiger aufzubringen sich mühte. Der Mann wußte, wie es zuging, wahrhaftig, der durfte mitreden.

Der Hauptmann riß sich aus seinem Nachdenken. »Nun wollen wir aber mal von unserer Sache reden, Büttner! Ich weiß, wie's mit Ihnen steht. Ich gebe Ihnen den wohlgemeinten Rat: verkaufen Sie Ihren Wald! Das ist das einzige Mittel, das Sie noch retten kann. Zahlen Sie von dem Erlös einen Teil der Grundschulden ab, sonst bricht Ihnen eines Tages die Geschichte über dem Kopfe zusammen. Es geht Ihnen dann wie mir, Sie kommen um alles. Das Angebot, welches Ihnen der Graf machen läßt, ist kein schlechtes. Nehmen Sie's an! Ich spreche nicht etwa nur im Interesse meines Brotherrn, ich spreche zu Ihnen geradezu als ein Leidensgefährte.«

Der Bauer schwieg eine Weile. In seinem Gesichte arbeitete es, als bewegten ihn die widersprechendsten Gefühle. Aber die Feindseligkeit war aus seiner Miene gewichen. Schließlich erklärte er mit gedämpfter Stimme, wenn er auch wolle, die Hypothekengläubiger würden es gar nicht zulassen, daß er das Gut verkleinere.

Auf diesen Einwand war der Hauptmann gefaßt. »Natürlich würden die Gläubiger Einspruch erheben, wenn Sie das Pfandobjekt vermindern wollten, ohne ihre Genehmigung. Mit den Leuten muß selbstverständlich verhandelt werden. Ich denke, wenn man ihnen eine entsprechende Abzahlung zusichert, werden sie sich bereit finden, die Einwilligung zur Dismembration zu erteilen. Es sind ja wohl lauter nahe Verwandte von Ihnen, die Gläubiger? Die werden doch so viel Interesse für die Erhaltung des Gutes beweisen, daß sie sich in diese notwendigen Maßregeln finden.« –

Der Bauer schüttelte mit bitterem Lachen den Kopf. »Han Se ne das Sprichwurt gehert: Blutsverwandte tut mer heeßen, die Dich am erschten werden beeßen.«

»Steht es so bei Ihnen? Ich kenne das Wort! es liegt was Wahres darin. Aber in Ihrem Falle, dächte ich, müßten die Verwandten ein Einsehen haben, wenn nicht aus Familiensinn, so vielleicht aus Egoismus. Die sind doch schließlich auch daran interessiert, daß das Gut in Ihren Händen bleibt. Denn können Sie sich nicht darauf halten, dann sind auch die Hypotheken gefährdet. Auf überschuldetem Besitz arbeitet der Eigentümer thatsächlich nur für die Gläubiger. Sie schinden und plagen sich, damit Ihre Verwandten den Zinsgenuß ungestört haben. So liegt die Sache doch in Wahrheit, mein Bester! Habe ich Recht?«

»Recht han Se! Aber soin Se mal suwos zu an Gleibiger. Die gahn mer de Einwilligung ne, ich glob's ne!«

»Ich will Ihnen mal was sagen, Büttner!« rief der Hauptmann, rückte dem Alten ganz nahe, und legte ihm eine Hand aufs Knie. »Überlassen Sie die ganze Sache mir! Ich will mit den Leuten verhandeln. Erfahrung habe ich mir ja gekauft in dieser Art Sachen. Ich glaube, ich werde die Gesellschaft soweit bringen, daß sie Konsens erteilen. Es ist ja tatsächlich nur eine Formensache. Nennen Sie mir mal Namen und Adresse der sämtlichen Hypothekengläubiger.«

Der Alte kraute sich den Kopf; er wollte sichtlich nicht mit der Sprache heraus. Schließlich gab er aber doch dem Drängen des Hauptmanns nach.

Als der Bauer den Namen »Schönberger« nannte, stutzte der Hauptmann. »Mann! Wie kommen Sie zu so einem?«

Der Büttnerbauer berichtete in umständlicher Weise die ganze Angelegenheit. Die Kündigung der Hypothek von Seiten des Bruders, wie er sich dann umsonst nach Geld umgethan, bis er schließlich in der Stadt das notwendige erhalten habe.

Hauptmann Schroff nahm eine bedenkliche Miene an und schüttelte unwillig den Kopf. »Die Sache will mir nicht gefallen, mein guter Büttner! – Schönberger! – Was mag das für ein Menschenfreund sein?«

Der Büttnerbauer meinte, es habe ihm ja kein anderer Mensch das Geld borgen wollen. Herr Schönberger sei gleich bereit dazu gewesen, und allzu hohe Zinsen habe er auch nicht gefordert. –

»Trotzdem! trotzdem!« meinte der andere. »Oder vielmehr, gerade deshalb! Aus Menschenliebe thut's diese Art gewöhnlich nicht. – Na, das ist nun nicht mehr zu ändern. – Also, mal die übrigen Gläubiger!«

Der Bauer berichtete, was sonst noch auf dem Gute an Schulden stehe.

»Der Hauptgläubiger ist demnach Ihr Schwager Kaschel. Mit einer Hypothek steht er zudem an letzter Stelle. Der wäre also der Wichtigste. Was denken Sie, wenn ich mit dem Manne zuerst Rücksprache nähme? Er wohnt ja hier am Orte; ist Kretschamwirt, wie Sie sagen.«

»Da mechte aber eener Haare uf'n Zähnen han,« meinte der Bauer mit vielsagendem Lächeln, »wer Kaschelernsten kirren wollte. Dos is a Dreimalgenähter. Und a bieser Hund is a Lammel gegen dan, das sag'ch Se glei!«

Der Hauptmann meinte, er sei nicht furchtsam von Natur und er wolle es auf den Versuch ankommen lassen. Er werde gleich einmal nach dem Kretscham hinüberreiten.

Der Büttnerbauer sagte nichts weiter dagegen.

Sie verließen die Stube. Der Hauptmann zog sich selbst sein Pferd aus dem Stalle, brachte die Sattelung in Ordnung und stieg auf.

»Ich bringe Ihnen Nachricht über den Erfolg, Büttner!« rief er im Abreiten.

* * *

Der Büttnerbauer sah dem Reiter eine Weile nach, bis er die Dorfstraße erreicht hatte und dort hinter Häusern seinen Blicken entschwand. Es hatte etwas Tröstliches für den alten Mann, daß dieser vornehme Herr alles das durchgemacht hatte, wovon er soeben erzählt. Er war ihm dadurch näher getreten.

Der Bauer stand da mitten in seinem Hofe, die Hand am Kinn, und simulierte. Was das für eine Welt war! man fand sich bald nicht mehr ein noch aus.

Ein Hufnagel lag am Boden. Er beugte seinen alten steifen Rücken und hob das verrostete Ding auf. Man durfte nichts umkommen lassen. – Er sah sich im Hofe um. Die Holzverschalung am Westgiebel der Scheune war an verschiedenen Stellen brüchig, an einem anderen Flecke fiel der Putz von der Wand. Kostete wieder Geld, das herstellen zu lassen! Die neue Kuh war auch noch nicht voll bezahlt. Zu alledem rückte der Halbjahrstermin heran, wo wiedermal die Zinsen fällig waren. Woher das Geld dazu nehmen! Hafer, Roggen, Stroh, das vorjährige Heu, alles war schon verkauft, Schüttboden und Banse waren leer.

Auf den Feldern standen ja schöne Früchte. Wenn das Wetter weiterhin günstig war, würde er sogar eine ausgezeichnete Ernte machen. – Der Bauer wandte seine Schritte unwillkürlich dem oberen Hofthore zu, von wo aus man die Felder des Gutes in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken konnte.

Er deckte die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen. Im klaren Mittagslichte lagen die Fluren vor ihm. Das Kornfeld wogte wie ein grünlicher See mit silbernen Wogenkämmen. Unabsehbar schien die Menge der Ährenhäupter, die sich da im Winde beugten und hoben in langgezogenen schwellenden und sinkenden Wellen. Und der Hafer, der eben die Schoßhalme treiben wollte, stand in dichten Beeten, eine dunkelgrüne lebendige Matte, von ungezählten schlanken spitzen Hälmchen. Und die Kartoffeln mit saftigem Kraut, kraftstrotzend, in langen geraden Reihen, sorgsam gejätet und angehäufelt, daß es eine wahre Lust war für das Auge des Landmanns.

Das war doch sein Eigentum! Hundertfach hatte er es dazu gemacht, durch die Arbeit. Da war nicht ein Fußbreit Land, den er nicht gepflegt hätte mit seinen Händen. Sein Acker war ihm vertraut, wie ein Freund. Er kannte alle seine Eigenarten, seine Schwächen wie Vorzüge, bis ins Kleinste hinein. Er stand zu diesem Boden, dessen Sohn er war, doch auch wieder wie die Mutter zum Kinde; er hatte ihm von dem seinen gegeben: seine Sorge, seine Liebe, seinen Schweiß.

Und nun drohten sich zwischen ihn und dieses Stück Erde, aus dem er und die Seinen Kraft und Nahrung zogen, nun drohten sich Fremde zwischen ihn und sein Eigentum zu drängen. Seinem schlichten ungeschulten Verstande stellte sich die Gefahr dar, wie eine Verschwörung teuflischer Mächte, gegen ihn und sein gutes Recht. Von der Macht und Bedeutung des mobilen Kapitals, von jenen ehernen Gesetzen, nach denen ganze Stände und Geschlechter dem Untergange verfallen, andere emporhebend durch ihren Sturz, ahnte er nichts. Eines nur hatte er am eigenen Leibe erfahren: er kämpfte und rang durch ein langes Leben gegen eine Last, die auf ihn gelegt war, er wußte nicht von wem. Und je verzweifelter er sich aufbäumte gegen das unsichtbare Joch, desto schwerer und drückender wurde seine Wucht.

Konnte ein Mensch das ahnen, der diese lachenden Fluren ansah?

Gottes Segen schien auf ihnen zu ruhen. Der Acker wollte seinem Pfleger so gerne zurückerstatten mit Zinsen, was er an Liebe auf ihn verwendet. Der Boden wollte dem die Treue halten, der ihm treu gewesen war.

Halm an Halm drängte sich. Konnte der, dem solche Ernte in die Scheuer lachte, nicht guten Mutes sein? Durfte es denn wirklich eine Macht geben auf der Welt, die ihm diesen Erntesegen, den der liebe Gott doch für ihn hatte wachsen lassen, streitig machte?

Es kam wie ein großes dunkles Gespenst über die Felder gehuscht, ohne Beine, und doch schnellfüßig – der Schatten einer treibenden Wolke. Es löschte allen Glanz von den Ährenwellen, es wischte die Farbenpracht der bunten Fluren aus, es legte sich wie ein düsterer Ton über alles. Der Schatten eilte über Haus und Hof, über die Feldmark in ihrer ganzen Breite, dem Walde zu.

Der Bauer ließ die Hand von der Stirn sinken; jetzt brauchte er sie vor den Sonnenstrahlen nicht mehr zu schützen. Er wischte mit dem Ärmel über die Augen hin und schneuzte sich.

Toni kam aus dem Hause und meldete dem Vater, das Essen stehe auf dem Tische. Vom Felde her zog Karl mit den Pferden herein. Der alte Bauer meinte, sie sollten mit dem Essen immer anfangen, ohne ihn, er habe noch mit dem fremden Herrn zu sprechen.

Hauptmann Schroff erschien nach einiger Zeit, er blickte mißmutig drein. »Es war nichts damit!« rief er dem Alten schon von Hofthore entgegen. »Sie haben Recht behalten Büttner. Ihr Schwager Kaschel – nun, ich will nichts weiter sagen. Ich bedaure Sie, Mann! – Aus dem Dismembrationsplane kann nun nichts werden. Da bleibt nur noch eins übrig: mein Graf kauft Ihnen das ganze Gut ab, zahlt die Gläubiger aus, behält sich den Wald und läßt Sie als Pächter Zeitlebens auf Hof und Felder sitzen. Einen anderen Weg sehe ich nicht!«

Da verfärbte sich das Gesicht des Alten. Er richtete sich zu seiner ganzen Höhe auf, und seinen knochigen Arm ausstreckend rief er zornig:

»Sahn Se den Misthaufen durte? Lieber durt druffe verrecken, aber 's Gutt gah' ich nich har!«



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