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Der Großbauer Traugott Büttner ging mit seinen zwei Söhnen zur Kirche.
Die drei Männer konnten sich sehen lassen. Der Büttnerbauer selbst war ein Sechziger, groß, hager, bartlos, rotbraun im Gesicht, mit graugelbem Haupthaar, das er nach altmodischer Weise lang ins Genick hinab wachsen ließ. Breitspurig und wuchtig trat er mit schwerem Stiefel auf, wie es ihm, dem Besitzer des größten Gutes im Dorfe, zukam. Seine starken, etwas eckigen Gliedmaßen, die sich ausnahmen wie knorrige Eichenäste, waren in einen Rock von dunkelblauer Farbe, mit langen Schößen, gezwängt. Die engen Ärmel behinderten ihn offenbar in der Freiheit der Bewegung. Dafür war das auch der nämliche Rock, in welchem der Büttnerbauer vor mehr als dreißig Jahren getraut worden war. Daß der Rock inzwischen etwas knapp geworden in den Schultern und über die Brust, störte den Alten nicht, im Gegenteil! diese Gebundenheit und enge Verschnürung des Leibes stimmte so recht zu der Weihe und feierlichen Gemessenheit, die nun einmal zum Sonntagmorgen gehört. – Auf dem langen straffen Haar trug er einen Cylinder, den das Alter nicht glatter, sondern recht widerhaarig gemacht hatte.
Der Bauer schritt zwischen seinen beiden Söhnen: Karl und Gustav.
Karl, der ältere, war in gleicher Größe mit dem Vater, aber beleibter und fleischiger, als dieser. Auch er rasierte sich, nach guter Bauernweise, den ganzen Bart. Seine großen, etwas verschlafenen Augen und die vollen roten Wangen gaben ihm das Aussehen eines großen gutgearteten Jungen. Aber, wer sich die Fäuste des Mannes näher betrachtete, dem verging wohl die Lust, mit solchem Burschen anzubinden. Heute trug er, wie der Alte, ein dickleibiges Gesangbuch in der Hand. Auch er war in einen langschößigen Kirchenrock gekleidet, und trug einen breitkrämpigen Cylinder auf dem runden Kopfe. Im ganzen war Karl Büttner die wohlgenährtere und um dreißig Jahre jüngere Ausgabe von Traugott Büttner.
Verschieden von den beiden zeigte sich der jüngere Sohn, Gustav, Unteroffizier in einem Kürassierregiment. Vielleicht war es die schmucke Uniform, die seine Figur hob, ihm etwas Gewandtes und Nettes gab, daß er sich von den beiden plumpen Bauerngestalten vorteilhaft abhob. Er war etwas kleiner, als Vater und Bruder, sehnig, gut gewachsen, mit offenem einnehmendem Gesichtsausdruck. Gustav wiegte seinen schlanken Oberkörper ersichtlich in dem Bewußtsein, ein hübscher Kerl zu sein, auf den heute die Augen der gesamten Kirchfahrt von Halbenau gerichtet waren. Nicht selten fuhr seine behandschuhte Rechte nach dem blonden Schnurrbart, wie um sich zu vergewissern, daß diese wichtigste aller Manneszierden noch an ihrem Platze sei. Im Heimatdorfe hatte man ihn noch nicht mit den Tressen gesehen. Zum heurigen Osterurlaub zeigte er sich der Gemeinde zum erstenmale in der Unteroffizierswürde.
Gesprochen wurde so gut wie nichts während des Kirchganges. Hin und wieder grüßte mal ein Bekannter durch Kopfnicken. Zum Ostersonntage war ganz Halbenau auf den Beinen. In den kleinen Vorgärten rechts und links der Dorfstraße blühten die ersten Primeln, Narzissen und Leberblümchen.
In der Kirche nahm der Büttnerbauer mit den Söhnen die der Familie angestammten Kirchenplätze ein, auf der ersten Empore, nahe der Kanzel. Die Büttners gehörten zu der alteingesessenen Bauernschaft von Halbenau.
Gustav sah sich während des Gesanges, der mit seinem ausgiebigen Zwischenspiel der Beschaulichkeit reichlichen Spielraum gab, in der kleinen Kirche um. Die Gesichter waren ihm alle bekannt. Hie und da vermißte er unter den älteren Leuten einen oder den anderen, den der Tod wohl abgerufen haben mochte.
Sein Blick schweifte auch gelegentlich nach dem Schiffe hinab, wo die Frauen saßen. Die bunten Kopftücher, Hauben und Hüte erschwerten es, das einzelne Gesicht sofort herauszuerkennen. Unter den Mädchen und jungen Frauen war manch eine, mit der er zur Schule gegangen, andere kannte er vom Tanzboden her.
Gustav Büttner hatte es bisher geflissentlich vermieden, nach einer bestimmten Stelle im Schiffe zu blicken. Er wußte, daß dort eine saß, die, wenn sie überhaupt in der Kirche war, ihn jetzt ganz sicher beobachtete. Und er wollte sich doch um keinen Preis den Anschein geben, als kümmere ihn das nur im geringsten. – Wenn er dorthin blicken wollte, wo sie ihren Kirchenstand hatte, mußte er den Kopf scharf nach links wenden, denn sie saß seitlings von ihm, beinahe unter der Empore. Bis zum Kanzelvers that er sich Zwang an, dann aber hielt er es doch nicht länger aus, er mußte wissen, ob Katschners Pauline da sei.
Er beugte sich ein wenig vor, so unauffällig wie möglich. Richtig, dort saß sie! Und natürlich hatte sie gerade auch nach ihm hinaufblicken müssen.
Gustav war errötet. Das ärgerte ihn erst recht. Zu einfältig! Warum mußte er sich auch um das Mädel kümmern! Was ging die ihn jetzt noch an! Wenn man sich um jedes Frauenzimmer kümmern wollte, mit dem man mal was gehabt, da konnte man weit kommen. Überhaupt, Katschners Pauline! – In der Stadt konnte man sich mit so einer gar nicht sehen lassen. In der Kaserne würden sie ihn schön auslachen, wenn er mit der angezogen käme. Nicht viel besser, als eine Magd war sie! wochentags womöglich barfuß und mit kurzen Röcken! –
Er nahm eine hochmütige Miene an, im Geiste die ehemalige Geliebte mit den »Fräuleins« vergleichend, deren Bekanntschaft er in den Kneipen und Promenaden der Provinzialhauptstadt gemacht hatte. In der Stadt hatte, weiß Gott, das einfachste Dienstmädel mehr Lebensart, als hier draußen auf dem Dorfe die Frauenzimmer allezusammen. Er verachtete Katschners Pauline so recht aus Herzensgrunde.
Und einstmals war die dort unten doch sein Einundalles gewesen! –
Auf einmal zog durch seinen Kopf die Erinnerung an das Abschiednehmen damals, als er mit den Rekruten weggezogen in die Garnison. Da hatten sie gedacht, das Herz müsse ihnen brechen beim letzten Kusse. Und dann, als er wiederkam, zum ersten Urlaub, nach einjähriger Trennung. – Was er da angestellt hatte vor Glückseligkeit! Und das Mädel! Sie waren ja wie verrückt gewesen, beide. Was er ihr da alles versprochen und zugesagt hatte!
Er versuchte die Gedanken daran zu verscheuchen. Damals war er ja so dumm gewesen, so fürchterlich dumm! Was er da versprochen hatte, konnte gar nicht gelten. Und außerdem hatte sie ihm ja selbst auch nicht die Treue gehalten. – Was ging ihn der Junge an! Überhaupt, wer stand ihm denn dafür, daß das sein Kind sei! Er war ja so lange weg gewesen.
Na, mit der war er fertig! Mochten die Leute sagen, was sie wollten! Mochte sie selbst sich beklagen, und Briefe schreiben und ihm zu seinem Geburtstage und zu Neujahr Glückwunschkarten schicken – das sollte ihn alles nicht rühren. So dumm! Er hatte ganz andere Damen in der Stadt, feine Damen, die gebildet sprachen und »Hochwalzer« tanzen konnten. Was ging ihn Katschners Pauline an, deren Vater armseliger Stellenbesitzer gewesen war.
Inzwischen hatte der Pastor zu predigen begonnen. Gustav versuchte nun, seine Gedanken auf das Gotteswort zu richten. Er war in der Garnison noch nicht gänzlich verdorben worden. Immer hatte er eine rühmliche Ausnahme vor den Kameraden gemacht, welche das Kirchenkommando meist zu Schlaf, oder allerhand Unfug benutzten. Er war vom Elternhause her an gute Zucht gewöhnt, auch in diesen Dingen. Der alte Bauer ging den Seinen mit gutem Beispiele voran; er fehlte kaum einen Sonntag auf seinem Platze und verpaßte kein Wort der Predigt. Auch im Singen stand er noch seinen Mann; freilich mit einer Stimme, die durch das Alter etwas krähend geworden. Karl allerdings, der etwas zur Trägheit neigte, war von einem Kirchenschläfchen nicht abzuhalten. Bald nach dem ersten der drei angekündigten Teile der Predigt, sah ihn Gustav bereits sanft vor sich hin nicken.
Nachdem der Gottesdienst vorüber, stand man noch eine geraume Weile vor der Kirchthür. Der Büttnerbauer sah mit Behagen, daß sein Gustav der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit war. Alte und junge Männer umstanden den Unteroffizier. Der Anblick der Uniform erweckte die Erinnerung an die eigene Dienstzeit, oder auch bei den Älteren, an die Kriegsjahre. Der Büttnerbauer selbst führte die Denkmünzen der beiden letzten Feldzüge. Auch Karl Büttner hatte seine drei Jahre »weggemacht«, aber, bis zur »Charge« hatte es bisher noch kein Büttner gebracht.
Gustav mußte auf viele Fragen Rede und Antwort stehen. Ob er's nicht bald dicke habe, und wann er nach Halbenau zurückkehre, fragte man ihn. Der junge Mann meinte mit dem Selbstbewußtsein, das die Uniform den gewöhnlichen Leuten giebt, vorläufig gefalle es ihm noch so gut bei der Truppe, daß er nicht daran denke, den Pallasch mit der Mistgabel zu vertauschen.
Zwei Frauen kamen auf die Männer zu, eine Ältere, im bunten Kopftuch und eine Jüngere, mit einem schwarzen Hut, auf dem rosa Blumen leuchteten. Gustav hatte den Hut schon von der Empore aus wiedererkannt. Vor Jahren, als er noch mit Pauline Katschner gut war, hatte er ihr den Hut in der Garnison gekauft und, als er auf Urlaub nach Hause ging, mitgebracht. – Die ältere Frau war die Witwe Katschner, Paulinens Mutter.
»Gutentag och, Gustav!« sagte Frau Katschner. »Gutentag!« erwiederte er stirnrunzelnd, ohne ihr die Hand zu geben. Das Mädchen hatte den Kopf gesenkt und blickte errötend auf ihr Gesangbuch. »No, bist De och wiedermal in Halbenau, Gustav!« meinte die Witwe und lachte dabei, um ihre Verlegenheit zu verbergen. »Ja!« sagte Gustav kühl, und fragte einen der jungen Männer irgend etwas Gleichgültiges.
Die Frauen zögerten noch eine Weile, wohl eine Anrede von ihm erwartend. Dann zog das Mädchen, dem das Weinen nahe schien, die Mutter am Rocke, »Kumm ack Mutter, mir wollen gihn!« – Darauf entfernten sich die beiden Frauen.
»Die kennst Du wohl garnich mehr Gustav?« fragte einer der jungen Leute mit spöttischem Lächeln den Unteroffizier. Der zuckte die Achseln, wiegte sich in den Hüften, und gab sich Mühe, so gleichgültig auszusehen, wie nur möglich.
Nun setzte man sich langsam in Bewegung, ein Trupp von zehn, zwölf jungen Männern, meist Schulkameraden Gustavs. Im Kretscham wurde ein Stehbier getrunken, und die Cigarren in Brand gesetzt. Dann gings wieder auf die Dorfstraße hinaus. Einer nach dem anderen suchte nun sein Haus auf, denn die Mittagsstunde war herangekommen. Abends wollte man sich auf dem Tanzboden wieder treffen.
Das Büttnersche Bauerngut lag am obersten Ende des Dorfes. Der Bauer und Karl waren bereits vorausgegangen. Gustav wollte in einen Feldweg einbiegen, der ihn in kürzester Frist nach Haus geführt hätte, da hörte er seinen Namen rufen.
Er wandte sich. Katschners Pauline war nur wenige Schritte hinter ihm. Sie keuchte, beinahe atemlos vom schnellen Laufen.
Er nahm eine finstere Miene an, und fragte in barschem Tone, was sie von ihm wolle. »Gustav!« rief sie, und streckte ihm die Hand entgegen. »Bis doch nicht so! Du thust ja gerade, als kennt'st De mich am Ende garnich.«
»Ich hab' keine Zeit!« sagte er, wandte sich und wollte an ihr vorbei.
Aber, sie vertrat ihm den Weg. »Ne Gustav! Aber, Gustav, bis doch nicht so mit mir!« Sie stand da mit fliegendem Busen und sah ihm voll in die Augen. Er hielt ihren Blick nicht aus, mußte wegsehen.
Sie griff nach seiner Hand und meinte: »Ene Hand hätt'st De mir immer geben kennen, Gustav!«
Das sei gar keine Manier, ihm so nachzulaufen und ihn am hellen lichten Tage anzureden, sagte er, und sie solle sich wegscheren. Er gab sich alle Mühe, entrüstet zu erscheinen.
Pauline schien keine Furcht vor ihm zu haben. Sie stand dicht vor ihm. Eine Bewegung seines Armes hätte genügt, sie bei Seite zu schieben. Aber, er hob die Hand nicht.
»Iber Johr und Tog is es nu schon, Gustav, daß mer uns niche gesehn haben! Und geontwortet hast Du och nich, suviel ich Dir och geschrieben habe. Du thust doch gerade, als wär'ch a schlechtes Madel, Gustav!« – die Augen standen ihr auf einmal ganz voll Thränen.
Heulen! das hatte grade noch gefehlt! Weiberthränen waren für ihn etwas Entsetzliches. Er war ja sowieso schon halb gewonnen durch ihren bloßen Anblick, durch den vertrauten Klang ihrer Stimme. Was für Erinnerungen rief ihm dieses Gesicht zurück! Er hatte so glücklich mit ihr gelebt, wie noch mit keiner anderen. Sie war doch seine Erste gewesen. Es lag in dem Gefühle so etwas ganz Besonderes, so etwas wie Heimweh, wie Dankbarkeit für ihre Güte gegen ihn. – Daß sie jetzt weinte, war schlimm! Er kam sich schlecht vor und grausam. Das verdroß ihn. Nun würde er das Mädel schwer wieder los werden, fürchtete er.
Sie wischte sich die Thränen mit einer Ecke ihrer schwarzen Schürze ab, und fragte: »Was hast De denn egentlich gegen mich Gustav? Sag mersch nur a enzigstes mal, was De hast, daß De so bist! –«
Er kaute an seinem Schnurrbarte mit verdüsterter Miene. Es wäre ein leichtes gewesen, ihr auf den Kopf zuzusagen, sie habe es inzwischen mit einem anderen getrieben. Aber, in diesem Augenblick, unter den Blicken ihrer treuen Augen, fühlte er mit einemmale, auf wie schwachen Füßen dieser Verdacht eigentlich stehe. Er hatte ja die ganze Geschichte, die ihm von anderen hinterbracht worden war, nie recht geglaubt. Das war ja nur ein willkommener Vorwand für ihn gewesen, auf gute Art von ihr los zu kommen.
Als sie nun jetzt so vor ihm stand, einen Kopf kleiner als er, frisch und gesund, wie ein Apfel, mit ihren guten großen Augen, und den leuchtenden Zähnchen, da befand er sich wieder ganz unter ihrem Banne.
»Ich habe mich su ärgern missen über Dich!« sagte sie leise, und schluchzte auf einmal auf. Die Thränen saßen sehr locker bei ihr. Zwischen dem Weinen durch konnte sie so lieb und schmeichelnd dreinblicken, wie eine zahme Taube. Niemand hatte dem Mädchen diese Künste gelehrt, aber, die raffinierteste Kokette hatte keine wirksameren Mittel, das Herz eines Mannes zu bestricken, als dieses schlichte Naturkind.
Plötzlich senkte sie den Kopf, errötend und noch leiser als vorher, meinte sie: »Willst De Dir nich Deinen Jungen ansehn, Gustav? Er is nu bald een Jahr!« –
Der junge Mann stand unschlüssig, im Innersten bestürzt. Er fühlte sehr deutlich, daß dieser Augenblick für ihn die Entscheidung bedeute. Wenn er ihr jetzt den Willen that, mit ihr ging und sich den Jungen ansah, dann bekannte er sich zur Vaterschaft. Bisher hatte er das Kind nicht als das seine anerkannt, sich hinter der Ausflucht verschanzend, daß man ja gar nicht wissen könne, von wem es sei.
Pauline hatte den Kopf wieder aufgerichtet und bat ihn mit den Augen. Dann mit ihrer weichen Mädchenstimme: »Ich ha' dem Jungen nu schun su viel vun Dir vorderzahlt. Er kann noch ne raden. Aber ›Papa!‹ das kann er duch schun sagen. – Komm ack, Gustav, sieh der'n wen'gstens a mal an! –«
Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn nach der Richtung, wohin sie ihn haben wollte. »Komm ack, Gustav, komm ack mitte!« so ermunterte sie den immer noch Zaudernden.
Er folgte ihr schließlich. Dabei ärgerte er sich über sich selbst, daß er so nachgiebig war. Er verstand sich darin selbst nicht. Es gab in der ganzen Unteroffiziersabteilung keinen schneidigeren Reiter als ihn. »Remonte dressieren« das war seine Lust. Und dabei konnte er so weich sein, daß ihn der Wachtmeister schon mal einen »nassen Waschlappen« genannt hatte. Das war damals gewesen, als seine Charge die »Kastanie« den Spat bekommen und zum Roßschlächter gemußt. Da hatte er geweint wie ein kleines Kind.
Pauline schien sich darauf zu verstehen, ihm beizukommen. Sie konnte, wenn sie wollte, sowas recht »Bethuliches« haben. Sie that, als habe es niemals eine Abkühlung zwischen ihnen gegeben. Kein weiteres Wort des Vorwurfes kam über ihre Lippen. Um keinen Preis wollte sie ihn in schlechte Laune versetzen. Ihr Bestreben war, ihn gar nicht erst zur Besinnung kommen zu lassen. Sie erzählte von der Mutter, von ihrem Jungen, allerhand Lustiges und Gutes, brachte ihn so mit kleinen Listen, deren sie sich kaum bewußt wurde, bis vor ihre Thür.
Pauline wohnte mit ihrer Mutter, der Witfrau Katschner, in einer strohgedeckten Fachwerkhütte, einem der kleinsten und unansehnlichsten Anwesen des Ortes. Es war nur eine Gartennahrung, nicht genug zum Leben und zuviel zum Sterben. Die beiden Frauen verdienten sich etwas durch Handweberei. Früher war Pauline zur Arbeit auf das Rittergut gegangen, aber in letzter Zeit hatte sie das aufgegeben.
Pauline hatte ihr eigenes Stübchen nach hinten hinaus. In Gustav rief hier jeder Schritt, den er that, Erinnerungen wach. Durch dieses niedere Thürchen, das er nur gebückt durchschreiten konnte, war er getreten, als sie ihn in einer warmen Julinacht zum erstenmale in ihre Kammer eingelassen. Und wie oft war er seitdem hier aus und ein gegangen! Zu Tag- und Nachtzeiten, ehe er zu den Soldaten ging und auch nachher, wenn er auf Urlaub daheim gewesen war.
In dem kleinen Raume hatte sich wenig verändert, während des letzten Jahres. Sauberkeit und peinlichste Ordnung herrschten hier. Er kannte genau den Platz eines jeden Stückes. Dort stand ihr Bett, da das Spind, daneben die Lade. Der Spiegel mit dem Sprung in der Ecke unten links, über den eine Neujahrskarte gesteckt war, hing auch an seinem alten Platze.
Unwillkürlich suchte Gustavs Blick das Zimmer spürend ab. Aber er fand nicht, was er suchte. Pauline folgte seinen Augen und lächelte. Sie wußte schon, wonach er sich umsah. –
Sie ging auf das Bett zu und drückte die bauschigen Kissen etwas nieder. Ganz am oberen Ende, tief versenkt in den Betten, lag etwas Rundliches, Dunkles.
Sie gab ihm ein Zeichen mit den Augen, daß er herantreten solle. Er begriff, daß der Junge schlafe und bemühte sich infolgedessen leise aufzutreten, den Pallasch sorgsam hochhaltend. »Das is er!« flüsterte sie und zupfte glückselig lächelnd an dem Kissen, auf dem der Kopf des Kleinen lag.
Der junge Mann stand mit verlegener Miene vor seinem Jungen. Der Anblick benahm ihn ganz; nicht einmal den Helm abzusetzen, hatte er Zeit gefunden. Hinzublicken wagte er kaum. Das sollte sein Sohn sein! Er hatte ein Kind! – Der Gedanke hatte etwas eigentümlich Bedrückendes, etwas Dumpfes und Beengendes legte sich auf ihn, wie eine große noch unübersehbare Verantwortung.
Sie half ihm, nahm ihm zunächst den Helm ab, rückte das Kind etwas aus den Betten heraus, daß er es besser sehen solle, führte selbst seine große Hand, daß er sein eigenes Fleisch und Blut betasten möchte. Dann fragte sie, sich an ihn schmiegend, wie es ihm gefalle.
Er erwiederte nichts, stand immer noch ratlos, bestürzt vor seinem Sprößling.
Jetzt ging ein Lächeln über die Züge des Kleinen, er bewegte im Schlafe ein paar Finger des winzigen Händchens. Nun erst begriff der Vater, daß es wirklich ein lebendiges Wesen sei, was da lag. Der Gedanke rührte ihn auf einmal in tiefster Seele. – So ein kleines Ding, mit solch winzigen Gliedmaßen, und das lebte doch und war ein zukünftiger Mensch, würde ein Mann sein – sein Sohn! Pauline und er hatten es hervorgebracht; aus seinem und ihrem Gebein stammte dieses neue Wesen. Das ewige Wunder des Werdens trat vor ihn in seiner ganzen unheimlichen Größe. –
Gustav merkte, wie ihm die Thränen in die Augen traten, es würgte ihn im Halse, es kitzelte ihn an der Nase. Er biß die Zähne fest aufeinander und schluckte die Rührung hinunter; weinen wollte er um keinen Preis.
Pauline eilte derweilen geschäftig auf und ab im Zimmer. Sie hatte den schwarzen Hut mit den rosa Blumen abgelegt, die Ärmel ihres Kleides aufgeknüpft und bis an die Ellenbogen zurückgeschlagen und eine weiße Schürze vorgesteckt. Ohne Hut sah sie noch hübscher aus. Ihr blondes Haar, von selten schöner Färbung, kam jetzt erst zur Geltung, sie trug es nach Art der Landmädchen, schlicht in der Mitte gescheitelt und hinten zu einem Nest von vielen kleinen Flechten verschlungen. Das schwarze Kleid war ihr Konfirmationskleid. Nur durch Auslassen und Ansetzen hatte sie es zu Wege gebracht, daß es ihre frauenhaft entwickelte Fülle auch jetzt noch faßte.
Jetzt eilte sie wieder an das Bett. Sie meinte, der Junge habe nun genug geschlafen, er müsse die Flasche bekommen. Sie weckte den Kleinen, indem sie ihn sanft aus den Kissen hob und ihn auf die Stirn küßte. Das Kind schlug ein Paar große dunkle Augen auf, sah sich verwundert um, und begann sofort zu schreien. Der Vater, der an solche Töne noch nicht gewöhnt war, machte ein ziemlich verdutztes Gesicht hierzu.
Pauline meinte, das sei nicht so schlimm, das Kind habe nur Hunger. Sie nahm eine Blechkanne aus der Röhre. Das Zimmerchen hatte keinen eigenen Ofen, sondern nur eine Kachelwand, mit einer Röhre, die vom Nebenzimmer aus erwärmt wurde. In der Blechkanne befand sich ein Fläschchen Milch. Pauline, auf dem einen Arm das Kind, führte die Flasche zum Munde, kostete schnell, stülpte einen Gummizulp über den Flaschenhals. Dann legte sie den Kleinen wieder aufs Bett dessen Blicke und Hände begierig nach der wohlbekannten Flasche strebten. Nun endlich steckte sie dem Schreihals den Zulp zwischen die Lippen. Sofort verstummte das Gezeter und machte behaglich glucksenden Lauten Platz.
Gustav atmete erleichtert auf. Der ganze Vorgang hatte etwas Beklemmendes für ihn gehabt. Während Pauline voll Wonne und Stolz war, konnte er sich einer gewissen Gedrücktheit nicht erwehren. Mit dem Ausdrucke einer Zärtlichkeit, wie sie nur eine Mutter hat, beugte sich das Mädchen über das kleine Wesen, dessen ganze Kraft und Aufmerksamkeit jetzt auf den Nahrungsquell gerichtet war, und richtete ihm die Kissen.
Erst nachdem der Kleine völlig glücklich zu sein schien, kam Gustav wieder an die Reihe für Pauline. Sie wischte ihm einen Stuhl ab mit ihrer Schürze und bat ihn, sich zu setzen. Er hatte noch immer kein Wort über den Jungen geäußert; jetzt nötigte sie ihn geradezu, sich auszusprechen.
Er meinte, das Kind sehe ja soweit ganz gesund und kräftig aus. Aber das genügte ihrem mütterlichen Stolze nicht. Sie begann, ihrerseits das Lob des Jungen zu singen, wie wohlgebildet er sei und stark. Ja, sie behauptete sogar, er sei ein Wunder an Klugheit, und führte dafür einige seiner kleinen Streiche an. Groß sei er für sein Alter, wie kein anderes Kind, schon bei der Geburt sei er solch ein Riese gewesen. Und sehr viel Not habe er ihr gemacht, beim Kommen, setzte sie etwas leiser mit gesenktem Blicke hinzu. Dann erzählte sie, daß sie ihn bis zum sechsten Monate selbst genährt habe.
Er hörte diesem Berichte von Dingen, die für sie von größter Bedeutung und Wichtigkeit waren, nur mit halbem Ohre zu. Er hatte seine eignen Gedanken bei alledem. Was sollte nun eigentlich werden, fragte er sich. Er hatte sich zu diesem Kinde bekannt. Als anständiger Mensch mußte er nun auch dafür sorgen. Burschen, die ein Kind in die Welt setzen, und dann Mädel und Kind im Stiche ließen, hatte er immer für Lumpe gehalten. Einstmals hatte er Paulinen ja auch die Ehe versprochen. Und wenn er sie so ansah, wie sie hier schaltete und waltete, sauber und nett, geschickt, sorgsam und dabei immer freundlich und voll guten Mutes, da konnte ihm der Gedanke einer Heirat schon gefallen. Daß sie ein durch und durch braves Mädel sei, das wußte er ja.
Aber, überhaupt heiraten! Er dachte an das Elend der meisten Unteroffiziersehen. Da hätte man sich ja schütteln mögen bei dem bloßen Gedanken.
Und dann gab es da noch eins: er hätte mit verschiedenen Frauenzimmern in der Garnison brechen müssen. – Das alles machte ihm den Kopf schwer. –
Pauline fing jetzt an, von ihren eigenen Angelegenheiten zu sprechen, sie erzählte, wie einsam und traurig der letzte Winter für sie gewesen sei, die Mutter wochenlang bettlägerig, dazu kein Geld im Hause, kein Mann in der Nähe, der ihnen geholfen hätte. Sie selbst durch die Pflege des Kindes abgehalten, viel zu schaffen. Und zu alledem habe er nichts mehr von sich hören lassen. Was er denn eigentlich gehabt habe gegen sie, verlangte das Mädchen von neuem zu wissen. Er wich der Antwort aus, fragte seinerseits, warum sie denn gar nicht mehr aufs Rittergut zur Arbeit gegangen sei.
Das habe seinen guten Grund, erklärte sie, und sprach auf einmal mit gedämpfter Stimme, als fürchte sie, das Kind könne etwas verstehen. Der Eleve dort, habe sich Unanständigkeiten gegen sie erlaubt, deshalb sei sie lieber aus der Arbeit fortgeblieben, obgleich sie den Verdienst schwer vermißt hätte.
Gustav horchte auf. Das war ja gerade die Geschichte, über die er gern etwas Genaueres erfahren hätte. Mit diesen Eleven nämlich hatte man ihm das Mädchen verdächtigt. Er forschte weiter: Was hatte sie mit dem Menschen gehabt, wie weit war er gegangen?
Pauline zeigte sich im Innersten erregt, als diese Dinge zur Sprache kamen. Sie sprach in den schärfsten Ausdrücken über den jungen Herrn, der seine Stellung ausgenutzt hatte, ihr in zudringlicher Weise Anträge zu machen. Mehr noch als ihre Worte, sagten es ihm ihre Mienen, und die ganze Art, in der sie sich äußerte, daß sie ihm treu geblieben sei.
Gustav ließ ihr seine Befriedigung durchblicken, daß nichts an dem Gerede sei. Nun erfuhr sie erst, daß er darum gewußt habe. Deshalb also hatte er mit ihr gegrollt! Wer hatte sie denn nur ihm gegenüber so angeschwärzt?
Er sagte ihr nur, daß er's gehört hätte von »den Leuten«. Daß die Verdächtigung aus seiner eigenen Familie gekommen, welche sein Verhältnis mit Pauline niemals gern gesehen hatte, verschwieg er.
Pauline nahm die Sache ernst. Daß er sie in solch einem Verdachte gehabt und noch dazu so lange und ohne ihr ein Wort davon zu sagen, das kränkte sie. Das Mädchen wurde auf einmal ganz still. Sie empfand die Ungerechtigkeit und Erniedrigung, die in seiner Auffassung lag, wie Frauen solche Dinge empfinden, jäh und leidenschaftlich. Sie machte sich im Hintergrunde des Zimmers zu schaffen, ohne ihn anzusehen.
Ihm war nicht wohl dabei zu Mute. Er wußte zu gut, wieviel er sich ihr gegenüber vorzuwerfen hatte. – Er blickte verlegen auf seine Stiefelspitzen.
Es entstand eine Pause, während der man nur die leichten Atemzüge des Kindes, das inzwischen mit seiner Flasche fertig geworden war, vernahm.
Plötzlich ging Pauline nach dem Bette. Sie nahm den Kleinen aus den Kissen. »Du hast den Jungen noch gar niche uf'n Arm gehat, Gustav!« sagte sie, unter Thränen lächelnd, und hielt ihm den Kleinen hin.
Er nahm das Kind in Empfang, wie man ein Paket nimmt. Der Junge blickte mit dem starren leeren Blicke der kleinen Kinder auf die blanken Tressen am Halse des Vaters.
»Getoft is er och schon,« sagte Pauline. »Ich ha dersch ja damals geschrieben, aber Du hast nischt geschickt dazu. Der Paster war erscht böse und hat tichtig gebissen uf mich, daß mer sowas passiert wor.«
Gustav war inzwischen ins Reine mit sich gekommen, daß er Kind und Mutter anerkennen wolle.
Der Junge streckte die kleine Hand nach dem Schnurrbart des Vaters, Pauline wehrte dem Händchen sanft. »Se sprechen alle, daß er Dir su ähnlich säke, Gustav! Wie aus'n Gesichte geschnitten, sprechen de Leite.« –
Der junge Vater lächelte zum erstenmale sein Ebenbild an. Pauline hatte sich bei ihm eingehängt, ihre Blicke gingen liebend von Gustav zu dem Kleinen. Der Bengel hatte endlich den Schnurrbart des Vaters erwischt und stieß einen schrillen Freudenschrei aus.
So gewährten sie das Bild einer glücklichen Familie.