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Taucher Flint, Hannis Ketelschraper und der Himmel hatten gute Wache neben, auf und über meinem Kutter gehalten. Kein ruchloser Zentrumsbohrer hatte sich wieder in seinen gut geflickten Bauch gewagt – wahrscheinlich infolge meiner in der Finkenwärder Zeitung veröffentlichten Anzeige:
»Gemeine Mörderhände haben, dem feigen Bohrwurm gleich, der arglosem Seefahrer meuchlings die heilige Planke durchnullt, neulich zur Nacht der im heimischen Hafen schlummernden ›Scholle‹ mit schneidendem Drehstahl die Todesrunen geritzt. Mit ihr wäre, hätten's die Schicksalsfrauen nicht anders gezwirnt, ein edler Mann und der größten einer, dessen Bild alle fünf Weltteile in Ehrfurcht nennen, wie seine Werke das heilige arbeitende Volk, um ein Zimmermannshaar mit auf den Grund gegangen. Das schreit Rache. Ein gutes Werk wirkt, wer den feigen Morddreher so namentlich nennt, daß die Neidingstat thingreif wird.« (Und so weiter.)
Wenn ich diese Anzeige »meine« nenne, so tu ich's nur insofern, als die zum Schluß ausgelobten hundert Mark aus meinem Beutel gehn mußten. Ihr Text stammte aber nicht von mir, sondern von Johnny Aasbaas, der damit Freund Quäker-Oats für die durch fünfstündiges Stehen im Schmutzwasser des Finkenwärder Lochs erworbenen kalten Füße eine kleine moralische Wärmflasche zugedacht hatte. Quäker-Oats ging infolgedessen drei Tage lang in den gehobensten Gefühlen umher und sah mindestens noch zehn Zentimeter länger aus als gewöhnlich. Natürlich war er, da seine Siebensachen sich längst auf der »Scholle« befunden hatten (sie allerdings waren mit auf den Grund gegangen, aber um sie, besonders die Druckwerke und Manuskripte, war es kein großer Schade), an Bord verblieben und beschäftigte sich damit, die dort auf das Inserat einlaufenden Anzeigen zu »bearbeiten«. Sie waren sehr interessant. Nach ihnen hatten den Kutter angebohrt: der Kaiser von China, der Lordmayor von London, der Herr Innehmer Barkenbusch, der Mann im Mond, der Kutterbesitzer selbst, eins der Elbkrokodile, und so weiter. Aber sie trugen keine Namen, außer solchen, die in keinem Adreßbuch und auch nicht in einem Lexikon der guten Sitten zu finden waren. Auch enthielten sie Begleittexte, die meistens mit der Freveltat in nur sehr losem Zusammenhang standen, dagegen in bezug auf Schimpfworte, Drohungen und Verhonepiepelungen einen gewissen literarischen Wert hatten. Daher behandelte sie auch Quäker-Oats mit Sorgfalt und nähte sie sogar mit Zwirn zu einem Heftchen zusammen: aus ihnen würde er, wie er mir sagte, allerlei Ausdrücke für seine ja gleichfalls auf den menschlichen Schattenseiten beruhenden künftigen modernpsychologischen Kriminalromane schöpfen können.
Und nun waren wir wirklich segelfertig. Die Einladungsbriefe waren mit geänderten Daten abgesandt, die Delikateßwarengeschäfte unseres Viertels von meiner Frau leergekauft, die mit Lichten und Lampions handelnden von mir, die pyrotechnischen Anstalten von Johnny Aasbaas, die Buchbinderläden und sonstige literarische Hilfsanstalten, soweit sie Werke führten, wie »Der kleine Toastredner« und ähnliche, von unserm Freund Timotheus. Den Wein hatte der Verleger meines Romans »Die Scholle« gestiftet, den Grogrum mein Freund, der Herr Einnehmer Barkenbusch, das echte Münchener die Elbschloßbrauerei geliefert: nun konnte die Sache losgehn.
Heute das Fest. Morgen in See. Hipp hipp hipp hurra!
Selbst im Finkenwärder Loch ist ein Maiabend schön, wenn er so ist, wie dieser war. Der Himmel glühte in seinen verliebtesten Farben, die Erde atmete seine Küsse zurück, die Pappeln wisperten, die Eschen rauschten, die Weiden bedeckten ihre neuen blumengestickten Teppiche langsam mit den langen, schlangengrauen, rollenden Schutzsamtdecken des Nebels, das Schilf stach mit spitziggrünen Drachenzähnen in die Luft, die Kühe buöööhten, die Frösche quarrten, der Schlamm murrte, die aufsteigende Elbtide sang und klang, gurrte und gluckte unter den Kielen und Böden. Es war ein Abend, der, wie er selbst lieb, schön, hold und gut und poetisch war, auch die Geschöpfe für ein paar heilige Stunden so umschuf. Es war, als ob die Natur mit sich selbst, und so auch die Menschen untereinander, einen kurzen, seligen Waffenstillstand geschlossen hätte. Es war eine Stimmung in den Lüften und den Gewässern, Himmel und Erde wie in einem Dornröschenmärchen, fünf Minuten oder hundert Jahre, bevor der Prinz küßt. Der Storch schluckte nicht weiter an dem Frosch, sondern spie ihn aus und trug ihn mit weichem Flügelschlag wieder zu seiner Frau in den Sumpf zurück. Der Iltis legte das Ei, das er auszusaufen im Begriff war, mit sanften Pfoten wieder in das Nest, der Marder küßte das Huhn, der Fuchs das Gössel, dem er gerade den Hals abbeißen wollte, auf das Schnäblein, der Swinegel strich der Maus väterlich mit seinem sanftesten Stachel über das Fell und sprach: Lop na Hus, lüttje Mus. In keiner Wirtschaft sah man an diesem Abend einen Familienvater, am Deich keinen Besoffenen, kein Mann prügelte seine Frau, kein Kaufmann betrog seinen Kunden (allerdings war es nach Geschäftsschluß), kein Mädchen brach ihrem Liebsten die Treue, kein Jungkerl einer Jungdeern ins Fenster. Und ein Raubmörder, der halb verhungert und noch mehr dürstend unter einem Busch mit tausend knospenden wilden Rosen am Wege lag – und die Dornen zerstachen sein Fleisch –, ein Raubmörder flüsterte unter dem Zwange dieses Maiabends vor sich hin: »Nicht für zwanzig Mark könnt' ich in dieser Stunde einen Menschen umbringen.«
Aber auch auf meinem Kutter »Scholle« sollte es eine Maiennacht werden, wie keiner der Festteilnehmer sie erlebt hatte – im doppelsinnigsten Sinne des Wortes.
Meine Gäste saßen unten im Raum, in dem die Tafel hergerichtet war. Meine Frau machte die Honneurs und führte die Unterhaltung. Soweit man sich nicht selbst bediente, tat es Trina. Sie war für den heutigen Abend zu diesem Zweck angeworben. Denn die »Stütze« hatte im letzten Augenblick abgeschrieben. Auf ein Schiff, das bereits einmal untergegangen sei, setze sie ihren Fuß nicht für tausend Mark. (Im Vertrauen: ich als jüngeres weibliches Wesen hätte es auch nicht getan, besonders wenn ich, wie die »Stütze« es zweifellos war, hellsichtig gewesen wäre.)
Ich stand an Deck, freute mich an den Lampions, die sich gleich Perlenschnüren phantastischer Kugelfische vom Bugsprit bis zum Flaggenstock spannten, an dem blänkernden Deck, den sauber geschrapten Masten, den tadellos wie auf einem Marineschulschiff untergeschlagenen Segeln, dem sauber aufgeschossenen Tauwerk, dem rotweißen Wimpel, der wie ein neckischer kleiner Kobold an seiner Nadel über dem Großmast hin und her sprang – und zuletzt nicht am wenigsten über mich selbst. Denn wenn die Idee des Wohnschiffes auch meiner Frau entsprossen war, das Fleisch und Blut darum, die eigentliche Geburt hatte ich besorgt. Ja, der Kutter »Scholle« war im wahrsten Sinne des Wortes unser beider Kind – nur daß meine Frau sozusagen den Vater und ich die Mutter abgegeben hatte.
Und mochte Hannis Ketelschraper auch in anderen weltlichen Dingen ein Döskopp sein, auf nautische und kutterliche Sachen verstand er sich. Seine Mutter hatte nicht allzusehr übertrieben (wenigstens glaubte ich es in dieser Stunde noch).
»Schöner Abend, dieser Abend, Hannis«, rief ich, im Begriff, die Kajütstreppe hinunterzuklettern, ihm übers Deck zu.
Hannis stand hinterm Besan vor der Kompaßrose, neben der das Aneroid angebracht war, prüfte es bedächtig, sah sich dann, wie der Tiger in »Schillers« Handschuh, stumm ringsum, mit einem Blick, als wollte er Löcher in die Kimmung bohren, spuckte dann auf seinen Finger, hielt ihn ein paar Augenblicke in die Luft und grunzte vielsagend:
»Hmmm!!«
»Wie? Meinst du nicht? Es ist ja kein Wölkchen am Himmel.«
»Am Himmel woll nich«, sagte Hannis, zu mir herüberkommend. »Aber an die Kimm, da in die Süd-Ost, is die Luff mit einmal bannig smierig geworden.«
»Unsinn, Hannis«, rief ich ärgerlich. »Der Schmier das ist der Schmook von den Wilhelmsburger Fabrikschornsteinen.«
»Ne ne«, beharrte Hannis. »Können Sie die fümf, seks kleinen rot und grünen Klexen nich sehen? Das sünd Windgallens. Und morgen früh, vielleich schon heute Nach, hoaben wir 'ne steife Südostbrise.«
»Das ist ja glänzend, Hannis«, rief ich erfreut. »Das ist ja gerade das, was wir brauchen.«
»Allright, Herr Koptain. Aber –« – Hannis kratzte sich hinter den Ohren – »wenn da man keinen deftigen Süd-Ossen-Sturm von wird. Den Brometer is ganz gefährlich gefallen, und als ich heute nahmiddag mein Mudder adjüs sagte, da sagte sie: ›Hannis, letzte Nach hat mich von unsen Herrn Pastohren seine swarze Söge (Sau) geträumt, und den gansen Nahmiddag hab' ich mich mit den Stricksticken den Puckel kratzen müssen – und denn hat allemal andersein was in die Lotterie gewonnen, oder es is sonst en Mallör passiert. Und ich hab' Jud Immerglück, der grad ans Fenster vorbeiging, angerufen, aber auf Finkwarder hat diesmal keineiner was gewonnen.‹ Gott sei Dank, sagt ich, Immerglück, aber denn giß ich auf was anners. Wahrscheinlich wird's 'n großen Sturm. Und«, schloß Hannis seine Unkenbotschaft, »Herr Koptain, da giß ich auch auf. Denn so alte Weibers, die verstehn männichmal mehr von die Naturgeheimnisse wie Dokter un Pastohr zusammen.«
»Daß du dich nicht unterstehst, Hannis«, drohte ich, »und tust unten vor den Herrschaften von eurem Pastoren seiner schwarzen Sau und deinen Windgallen den Mund auf. Sonst bückeln sie mir aus, und unser Fest ist im Buddel.«
»Da kann Herr Koptain sich auf verließen, daß ich das nich tu«, schwor Hannis. »Denn dann ging meine Braut ja all die schönen Trinkgelders quitt.«
Wegen Hannis war ich also beruhigt, wenn auch nicht wegen des Sturms. Die roten und grünen Klexe gehörten tatsächlich nicht an eine saubere Schönwetterkimmung. Na, dachte ich, laß kommen, was kommt. Après nous le déluge. Sinkt der Kutter vielleicht heute nacht zum zweitenmal auf den Grund des Finkwärder Lochs, möglicherweise mit Mann und Maus – das durfte ich sagen, denn die Mäuse waren durchaus nicht mit ersoffen, oder eine anonyme Hand hatte für Ersatz gesorgt –, so haben wir diese Gauner- und Schwindelwelt doch wenigstens mit einem harmonischen Schlußakkord verlassen.
Wie gesagt: unten tafelte man bereits kräftig. Meine Gäste: Einnehmer Barkenbusch, Aasbaas sen., Redaktör Giftnudel, Verlagsbuchhändler Schmidtgold, Strompolizeiinspektor Fünfmark, Obergrenzkontrollör Watermann, Fischmeister Aalborn und Gerichtsvollzieher Klemmfinger, riefen mir entgegen:
»Wir haben eben Ihren Kutter hochleben lassen. Er ist tatsächlich über alle Kritik erhaben.«
»Was auch neidische oder bösartige Zeitungsfedern über ihn und Sie schreiben mögen«, fügte Redakteur Giftnudel hinzu. »Ein paar Kritiken hab' ich Ihnen mitgebracht. Aber nur bessere. Sie sollen sich heute nicht ärgern.« Er zog einige Zeitungsblätter aus der Tasche und überreichte sie mir schmunzelnd. Und auch ich schmunzelte, als ich den ersten rot angestrichenen Bericht las. Er lautete:
»Ein bekannter Waterkantpoet, der Verherrlicher unseres weit über die Gestade der Elbe hinaus bekannt gewordenen hochverehrten Mitbürgers, des Herrn pensionierten Zolleinnehmers Barkenbusch, hat sich ein hochoriginelles Eigenheim zugelegt. Wie die Zukunft seiner Werke und Deutschlands auf dem Wasser liegt, so auch seine künftige Wohnung. Wir hatten Gelegenheit, sie unter der liebenswürdigen Führung seines Genossen in Apoll, des unlängst durch eine himmlische Fügung, man kann auch sagen, durch seine eigene sittliche und sonstige Größe dem nassen Tode entronnenen Dichters und Schriftstellers Herrn Timotheus Greulich, vom Steven bis zum Ruder, vom Topp bis zum Kiel kennenzulernen, leider noch nicht die übrigen Insassen, die aus der Gattin unseres Poeten, seinem Freunde, einem bekannten malerisch-plastisch-akrobatischen Varieté- und sonstigen talentvollen Künstler, einem Schiffshund, Schiffskatze, Schwein, Ziege und sonstigen eßbaren oder eierlegenden Haustieren besteht oder bestehen werden. Über ihre Seetüchtigkeit getrauen wir uns allerdings kein Urteil abzugeben, doch wird sie zweifellos eine außerordentliche sein, da das brave Schiff, wie wir an authentischer Stelle in Erfahrung gebracht, einem unserer tüchtigsten Finkenwärder Seefischer mehrere Mandel von Jahren als Erwerbsstütze gedient hat. Daß sich die Finkenwärder Fischerkasse geweigert hat, den glänzend angestrichenen Kutter in ihrer Versicherungskasse weiterzuführen, beruht darauf, daß sie statutengemäß nur Fischer-, keine Schriftstellerfahrzeuge versichert. Gerüchte: auch andere derartige Anstalten, zum Beispiel der Norddeutsche Lloyd, hätten sich nach dieser Richtung ablehnend verhalten, sind aus der Luft gegriffen. Wie wir aus bester Quelle erfahren, hat der Besitzer der ›Scholle‹ dort einen derartigen Antrag überhaupt nicht eingereicht. Zweifellos wird die neue originelle Idee unseres Barkenbuschverherrlichers bald zahlreiche Nachahmer finden, was zwar nicht im Interesse gewisser gieriger Miethaus-Haifische liegt – einer davon ist in dem neuesten Roman unseres Poeten glänzend und typisch geschildert –, wohl aber dem einer befriedigenden Lösung der immer brennenderen Wohnungsfrage der Großstädte. Ferner dürfte sie sich auch als ein lukratives geschäftliches Unternehmen erweisen. Der Besitzer und seine Gattin gedenken aus dem Wohnschiff eine Art Akademie für angehende Künstler (im Bünnraum) und zugleich ein Bildungsinstitut für junge Damen besserer Stände (in der Vorderkajüte) zu schaffen. Es sollen Bildungs- und Vergnügungsreisen nach England, Schottland, Holland, Dänemark, Norwegen, Schweden unternommen werden, zu welchem Zweck der Besitzer, selbst ein tüchtiger Seemann, einen unserer bewährtesten Handelskapitäne als nautischen Leiter verpflichtet hat.«
In diesem Stiefel ging es noch drei Spalten weiter. Es mußte dem Verfasser mindestens dreißig Mark eingebracht haben.
»Diesen Schwefel haben doch unbedingt Sie geschrieben, Giftnudel!« rief ich lachend. »Künstler- und Backfisch-Kutter! Junge, Junge, das ist tatsächlich 'ne glänzende Idee. – Es ist nur gut«, wandte ich mich an meine Frau, »daß er das von der Versicherung hinzugelogen hat, sonst würden wir uns vor angehenden Künstlern und Pensionsmädeln nicht retten können.«
Aber Giftnudel lächelte vielsagend und verschmitzt. Es konnte ebensogut nein wie ja bedeuten.
Beim zweiten Zeitungsblatt schmunzelte ich aber nicht mehr. Darin hieß es:
»Ein leider über Verdienst bekannter Afterschriftsteller gesellt zu seinen plumpen Mätzchen, mit denen er bisher Publikum, noch dümmer als er selbst (und das will viel sagen), an seinen mit bezahltem Reklameschmalz geschmierten sogenannten Humoreskenwagen gespannt hat, das neueste, plumpste. Einer unserer ehrenwertesten Mitbürger (der ihn übrigens auch noch wegen Beleidigung vor Gericht zitieren wird) warf den arroganten Gesellen aus seinem sonst nur von anständigen Parteien bewohnten Etagenhaus auf die Straße (leider nicht vom fünften Stockwerk aus); er erschwindelte sich darauf von einem schon etwas altersschwachen, vertrauensseligen alten Seebären unserer Nachbarinsel unter lügenhaften Angaben einen Kutter, was ihm die gerechte Rache und ungeteilte Verachtung der übrigen Inselbewohner eintrug. Diesen Kutter hatte er dem Vernehmen nach zu einem Wohnschiff ausgebaut, um auf diesem Wege den erblassenden Stern seines Schwindelrenommees mit neuem wässerigen Glanz anzustreichen. Möge er nebst Frau, Freunden, Kakerlaken, Ratten, vor allem aber mit seinen Büchern und Manuskripten möglichst bald in diesem Wanzeninstitut ersaufen, damit die durch diesen Böotier geschändete edle Waterkantliteratur ... und so weiter und so weiter.«
»«Wenn Sie den ersten Artikel nicht geschrieben haben, Giftnudel«, rief ich, »dann diesen zweiten. Einen haben Sie unbedingt auf dem Gewissen.«
Giftnudel sah mich einige Augenblicke mit einem Gesichtsausdruck an, der unzweifelhaft »du Schaf« hieß. Dann sagte er lakonisch: »Ich habe sie alle beide geschrieben.«
»Und dann wagen Sie es«, rief meine Frau gellend und entrüstet, »unsrer Einladung Folge zu leisten. An Bord eines Schiffes, das Sie wie seinen Herrn mit Dreck und Spott bewerfen, Gastfreundschaft zu genießen, meinen Hummersalat zu schlingen, seinen Wein auszutrinken. Wissen Sie nicht, daß wir einen Knecht für alles, also auch Hausknecht, mit zwölfzölligen Händen an Bord haben? Giftnudel, das sollen Sie am Kreuze bereuen.«
»Beruhige dich«, sagte ich nachdenklich. »Er lügt wie immer, und hat wahrscheinlich keinen von beiden geschrieben. Wenn ich mir's überlege, ist's immerhin besser: es wird überhaupt über einen Schriftsteller losgezogen, als daß man ihn totschweigt. Denn das ist für ihn dasselbe wie für andere Menschen Verurteilung zu Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust: bürgerlicher Tod.«
Giftnudel nickte sachverständig, und alle übrigen Teilnehmer pflichteten ihm und mir bei und ließen mich, indem sie zwischendurch die bösartigsten Witze auf meine Kosten machten, nacheinander hochleben.
Ich stieß mit allen an. Aber ein kleiner Stachel war mir doch im Herzen zurückgeblieben. Und fast wünschte ich: Hannis Ketelschrapers mütterliche Prophezeiung möchte in Erfüllung gehen. Und zwar bald. Damit Gäste, die sich in solcher Weise über mich und meine Bestrebungen lustig machten, die gerechte Rache ereile.
Ich forderte zum kräftigen Trinken auf und ließ Hannis, der das Amt des Botteliers versah, gehörig einschenken. Meine Gäste sollten den letzten Dampfer verpassen und dadurch gezwungen werden, an Bord der »Scholle« zu übernachten. Wenn sie auch im Finkenwärder Loch zu Anker lag: gemütlich genug konnte es doch werden, falls die Windgallen ihre Prophezeiung wahr machten. Giftnudel würde sicher seekrank werden – er wurde es schon, wenn er bei schönem Wetter auf der Binnenalster spazieren fuhr.
Johnny Aasbaas und Quäker-Oats, die sich gleichfalls geärgert hatten, verstanden mich und hieben in meine Kerbe. Auch mein alter Freund Barkenbusch erriet meine Absicht und gab eine seiner unsterblichen Geschichten zum besten. Die dauerten niemals weniger als eine Stunde. Alles lauschte. Dazwischen wurde fleißig gepichelt – nach aufgehobener Tafel Barkenbuschs Lieblingsgetränk: alter Demarara-Rum, in mehr oder weniger durch heißes Wasser verdünntem Zustande. (Barkenbusch selbst trank ihn seiner Gesundheit wegen ganz rein.)
Da diese Schiffergeschichte auf Finkenwärder spielte, war auch Hannis Ketelschraper ganz Ohr. Dem Kutter konnte ja nichts passieren. Er war gut verankert, und außerdem hatte Hannis den Finkenwärder Buttjes fürchterliche Vergeltung mit der Handspakenmaschine angedroht, falls sie das Fest durch Herüberwerfen von Roßäpfeln oder toten Fröschen auf das blank gescheuerte Verdeck stören würden.
Aber plötzlich sprang er auf, wurde kreidebleich, kam an meinen Stuhl und tuschelte mir ins Ohr:
»Ich glöw – wi driwt, Herr!«
Damit verschwand er nach oben. Nach kurzer Zeit war er wieder da und tuschelte mir zu, diesmal mit einem Gesicht, als sei er oben dem Klabautermann begegnet:
»Wir treiben wiß und warraftig, Herr Koptain. Diese Spitzbubenbande haben das Anker ausgeschäkelt, und wir treiben schon beim Schweinssand. Und in die Ost sieht das aus: das sünd schon keine Wolken mehr, das sünd Kantoffelsäcke. Wir kriegen Südoßsturm, Herr Koptain, un das binnen eine Stunde.«
»Allmächtiger!« dachte ich. »Was nun?« Ließ mir aber nichts merken. Und ging mit Hannis an Deck, um mir selbst Kimmung, Schiffsort und sonstiges – was man eben in solcher Lage besieht – zu besehn.
»Huuuu–iiiiiihhhhü!« pfiff der erste Windstoß durchs Takelwerk. Der Kutter, der quer zur Windrichtung trieb, legte sich wie ein sterbender Walfisch fünfundvierzig Grad nach Lee über. Aus dem Bünnraum gab ein gewaltiges Klingeln, Krachen, Fluchen und Angstgeschrei Nachricht, daß man auch dort den ersten Faustschlag des Sturmgottes spürte.
Was von meinen Gästen nicht unter den Tisch gefallen oder auf Anhieb bereits seekrank geworden war, kam heraufgestürzt und rief angstvoll:
»Bester Herr Doktor, wo sind wir?«
»Unterwegs nach der Nordsee«, antwortete ich lakonisch.
»Ja. Da gaht wi Fisch mit'nanner hin«, bekräftigte Hannis sententiös meine Worte.