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Phantasien im fünften Stock

Wie soll es heißen?« fragte meine Frau, nachdem wir einigermaßen wieder auf der terra firma, will sagen: im fünften Stock, gelandet waren.

»Der Mensch soll dankbar sein,« erwiderte ich. »Wir wollen es Krischan Bollmann nennen.«

»Pfui!« rief sie. »Ich denke Atlantis oder Lady of the Lake. Es muß ein poetisch-literarischer Name sein.«

»Unsinn,« erwiderte ich. »Jedem Vogel gebühren seine eignen Federn. Außerdem ist Scott längst veraltet. Meine Romane sind viel schöner, unbedingt aber moderner. Ich mache einen Vermittlungsvorschlag. Taufen wir es auf den Namen meines letzten Romans: Die Scholle. Dadurch schlagen wir drei Fliegen mit einer Klappe. Wir genügen der Dankbarkeitspflicht gegen Bollmann: in der Scholle ist er ja abgemalt. Wir erhalten das geistige Band zwischen unsrer alten und neuen Daseinsform, denn Scholle bedeutet ebensogut etwas Trocknes wie Nasses. Schließlich prägen wir mit sicherem Stilgefühl unserer künftigen Wohnschute das einzig richtige Etikett auf. Etwas andres als ein geramschter Finkenwärder Fischerewer, vornehmstenfalls Fischerkutter, wird's kaum werden.«

»Allerdings,« bestätigte meine Frau, »Scholle ist ein prachtvoller amphibiärer Name. Mit ›Scholle‹ bin ich völlig einverstanden.«

Ich hatte schon längst einen Foliobogen vor mir ausgebreitet. Er sollte sozusagen den Spantenriß unsres zukünftigen Glücks in sich aufnehmen. Ich malte mit schönen Frakturbuchstaben, wie ich sie noch in der Schule meines Großvaters erlernt habe, das Wort SCHOLLE hinauf und sagte:

»Hiermit stelle ich die Frage des Wohnschiffstyps zur näheren Debatte.«

Meine Frau erwiderte, daß sie mir die Auswahl des Schiffstyps völlig überlasse. Daran tat sie wohl. Denn ich kenne als geborne Waterkantratte und in allen Ozeanen besegelter Mann sämtliche Schiffstypen der Welt, als ob ich sie selbst erfunden hätte: vom Kanu der Fidschiinsulaner bis zum sechsmastigen amerikanischen Küstenschoner, und von der Hamburger Plattgattjolle bis zu den modernen Mammutdampfern. Sie machte nur einen Vorbehalt. Das Schiff müsse unbedingt einen doppelten Boden haben, damit, falls es mit dem unteren auf eine Klippe stieße, wenigstens der obere dicht bliebe. Ich erwiderte lakonisch »zugestanden« (denn es galt, sie, wie im Märchen der fromme Johannes die Königstochter, zunächst auf das Schiff hinüberzubringen) und notierte als zweites Stichwort: doppelter Boden.

Nun kam die sehr wichtige Kajütsfrage dran. Meine Frau bestand, wie Ehefrauen, deren Geist mit neuen Wohnungs- und Einräumungsgedanken schwanger geht, dies lieben, auf möglichst vielen Räumlichkeiten: einem Salon, einer gewöhnlichen Wohnkajüte, einer Arbeitskajüte als Geburtsstätte für die künftigen Romane, einer Schlafkabine, einer Kambüsenküche mit gut ziehendem Ofen – und den Räumen für die Dienerschaft.«

»Donnerwetter,« rief ich, »du gehst aber gefährlich ins Zeug. Dienerschaft?«

Sie meinte ganz naiv: für das Geld, das wir durch das Wohnschiff sparten, könne man sich das Leben in anderer Weise versüßen. Auch brächte eine dauernde Anbordexistenz den Verzicht auf mancherlei Annehmlichkeiten mit sich. (Erster ausgerissener Schmetterlingsflügel.) Bisher habe sie nur ein Dienstmädchen gehalten. Jetzt müsse eine Gesellschafterin, mindestens aber eine sogenannte Stütze hinzukommen. Denn infolge unsrer Übersiedlung vom Parkett (Krischan Bollmann tat es selbst in seinen fünften Stockwerken nicht mehr ohne Parkett: »Man muscha mit die Sseit gehn, Kalline,« sagte er zu seiner Frau, »un wi hebbt et ja«) auf Schiffsplanken würde der Hausverkehr, besonders von Freundinnen mit Kindern, auf ein Nichts zuammenschrumpfen. Nun, das sei ja weiter kein Schaden; man würde immer blanke Planken haben und keinen Ärger mehr über abgedrehte Sofaquasten und zu Klumpen zersessene Antimakassars, auch keine entzweigetrommelten Pianinosaiten.

»Beiläufig,« unterbrach sich hier meine Frau hastig, »wo soll das Piano stehn? Der Salon muß mindestens so groß sein, daß –«

»Beim Auktionator,« erwiderte ich in einem Ton, der jede weitere Erörterung ausschloß. »Wir werden die süß-melancholischen Murmelmelodien der Wellen am Bug und unterm Kiel haben, die von Windfingern gegriffenen Harfenakkorde in den Wanten – und außerdem läßt sich in einem Fischerewer überhaupt kein Piano unterbringen, es sei denn in der ›Bünn‹ Der in der Mitte der Seefischerfahrzeuge eingebaute große Behälter für die Fische.

Zweiter ausgerissener Flügel. (Genauer: halber Flügel, da hinsichtlich Kostenpunkts, Ausdehnung und Spektakels ein Flügel = zwei Pianos.) Merklich herabgestimmt, ließ meine Frau die Ohren hängen.

»Und«, fuhr ich fort, auf Grund meiner genauen Kenntnis der für uns in Frage kommenden Schiffsgefäße, »ein Dienstmädchen kann ich dir für die Zukunft ebensowenig bewilligen wie einen Salon, eine Schlafkabine und ›Räume‹ für die Dienerschaft. Ein Finkenwärder Fischerkutter ist kein Astoriahotel«.

»Aber wer soll ihn denn schruppen?«

»Der Knecht,« sagte ich, »oder, schiffstechnisch ausgedrückt: der Bestmann. Die oberste nautische und sonstige Leitung werde natürlich ich selbst übernehmen. Aber alle Pösel-, Putz- und Schmierarbeit, unter Deck, über Deck und in der Takelage ist seine Sache. Ich werde schon einen geeigneten Mann anheuern, habe nicht umsonst achtzehn Jahre im Hamburger Heuerbaasviertel zugebracht. Der kriegt seine Kabine und Koje achtern, wir unsere vorn, die Kambüse errichten wir, weil ich beim Romanschreiben keinen Steinkohlen- und Fettgestank in der Nase vertrage, über Deck, und die Bünn wird zum Wohn- und Empfangszimmer ausgebaut.«

»Aber das Fräulein?« fragte meine Frau gespannt. »Ein Fräulein muß ich haben.«

»Bekommt ihre Unterkunft in der Kabelgatsluke.«

Hier schrie meine Frau auf. Und das mit Recht. Denn Kabelgatsluken sind als Schiffswohnräume bislang nur für Kakerlaken und blinde Passagiere üblich. Ich hatte es auch nur so gesagt. Als ich merkte, daß es sich hier um eine Kabinettsfrage handelte, durchwandelte ich im Geist nochmals meine künftige literarische Werkstatt von vorn bis achtern und kam schließlich zu der Möglichkeit, daß man zu Steuerbord oder Backbord zwischen Bünnwand und Schiffswand eine Koje einbauen könne. Für die Stütze bißchen eng. Bißchen mulstrig voraussichtlich. Aber sonst geradezu fürstlich. Jedenfalls für eine »Stütze«, falls sie nur halbwegs wasserromantisch veranlagt war, gut genug.

Somit fingen wir also an zu bauen. Und dies war ein entschieden glücklicher Gedanke. Denn, wie meine Frau begonnen hatte: mit der Einrichtung – das war ja ungefähr, als wenn man bei einer Kirche mit dem Turm anfangen wollte oder einen Roman mit dem Schlußkapitel. Dadurch bekam ich das Unternehmen Gott sei Dank wieder völlig in meine Gewalt. Denn wo der Herr nicht das Haus bauet – das haben schon die alten Juden erkannt –, kann aus der Sache nichts werden. Bald sah der Spantenrißbogen so phantasievoll und schrecklich aus wie die Tapete, mit der der Geschmack Krischan Bollmanns unser Wohnzimmer (in der »besten Stube« war sie noch viel gräßlicher) verziert hatte. Nur ein Schriftsteller, der wie ich drei Jahre lang in einem theosophisch-okkultistisch-kabbalistischen Verlag Korrektordienste getan hat, konnte hindurchfinden. Und ich fand hindurch. Die Perlenschnur der Eintragungen sah zum Schlusse etwa so aus:

»Scholle, doppelter Boden, Stütze in die Bünn, Blitzableiter, Kambüse an Deck, desgleichen Sommerhütte, Werg zum Kalfatern, Plakat mit Aufschrift: »Unbefugten ist der Zutritt verboten«, drei bis vier Rattenfallen, Kambüse unter Deck, kleiner Salon auf dem Achterdeck (von der Hand meiner Frau hinzugefügt, im Augenblick einer notwendigen Abwesenheit meinerseits), einige Tintenklexe und Zickzacklinien, Feuerversicherung, Arbeitszimmer in der Bünn, Stütze raus (schläft über Sommer in der Deckshütte), Kambüse aufs Achterdeck, Kambüse vorn (dann läßt sich Kabelgatsluke als Speisezimmer verwenden), deutsche Flagge, Hausflagge, Schwimmunterricht für die Frau, Rettungsringe, die besten Piassavaschrubber hat Neumann in der Fischerstraße, Kambüse ... (Tintenklexe, bösartige Zickzackstriche, doch läßt sich die urprüngliche Fassung: Kambüse auf dem Großmast, deutlich erkennen), eisernes Emailgeschirr, Bibliothek in die Bünn, Wohnzimmer des Sommers in der Hütte über Deck, Stütze in die Kabelgats ... Klexe, ein Dreieck im Papier, Knecht schläft Jolle oder an Land, Stütze in die Achterkabine, Kambüse in die Achterkabine, Sand, Soda, Schmierseife, Teerquäste, alles bei Neumann, Blumenkästen, Spiritus für Kompaß, Kakerlakentod, Bibliothek und Arbeitszimmer in der Hütte, im Winter durch Dauerbrenner zu heizen, Zentralheizung, Lebensversicherung, Schraube mit Petroleummotor, Kambüse in der Jolle, Stütze schläft Jolle oder an Land, Laufplanke mit Geländer, Stütze schläft bei Frau, Mann beim Knecht, Kammerjägerakkord, Wanzentod, Oelfarbe, Stütze schläft ... Tintenklexe wie oben; die Konjekturalkritik liefert die Ergänzung: in Taucherglocke, Wohnzimmer endgültig vorn, statt Fischerkutter holländische Kuff oder Oberländer kaufen, auch soll Slomandampfer, 4000 Tons, für alten Eisenwert zu ramschen sein, wo sollen die Gäste schlafen? Hängematten im Bünndeck, Stütze schläft Hängematte Bünndeck, Kambüse an Land, Kambüse gestrichen, Kochkiste, Spritkocher, Konserven, Kartoffeln halten sich auf See nicht, Kartoffelanlage, Gemüse-, Salat-, Pilz-, Erdbeerplantagen (in kleinstem Maßstabe!) an Deck? Bünn? Eine Ziege? Bünn? Oder Deck? Ein Schwein? Bünn? Hühner, Küken, Enten? Wer melkt das Schwein? (Tintenklexe, Schwein durch Ziege ersetzt). Natürlich der Knecht. Jagdflinte. (Hohnbemerkung der Frau: Um die Küken zu erlegen? Ich: nein, die Wildenten.) Angeln, Netze, Fußabkratzer, Positionslaternen, Bünn durchgeschoren, vorn Stütze, achtern Knecht, in der Mitte Kambüse, Kunstschloß, Sprachrohr, Kohlenraum, Anbau an Bünn, Pässe, Speibaggen, Notraketen, Sextant, Seekarten, Wachthund, Schiffskatze, Lenzpumpe, italienische Nacht, Einweihungsfeier – so ungefähr sah der Bogen und damit die Schale unseres künftigen Glücks aus.


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