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Herrjeh!« rief Johnny Aasbaas so lustig wie eine Lachmöwe und so laut wie ein Regimentskommandeur, »fliegende Fische! Nu brat mir einer 'n Storch. Ne, lieber lambendige Schollen. Gesche Ketelschraper, wie kann sie auf lebendige Kunstmaler die Räuber des Ozeans loslassen. – Was, ich hätt' die Schuld? Sie sind woll hä, farbenblind oder haben sich in aller Herrgottsfrühe einen angedudelt. – Das täte ich manchmal, sagen Sie, aber nicht Sie? Ja, aber nur, wenn ich 'n Hamburger Beefsteak mitm Bild erschlagen habe. Hamburger Beefsteak? Das verstehn Sie nicht? Na, zum Beispiel dem Herrn Doktor Eck sein Hauswirt: das ist das, was ich 'n Hamburger Beefsteak nenne.«
»Meinen Sü mir, Herr?« rief eine wütende, fette, atemlose Stimme. Ihr Besitzer kam mit einer für seine körperlichen Verhältnisse ganz unglaublichen Geschwindigkeit die Treppe heraufgekeucht und fuhr fort:
»Ich will Sü und düse Pörßon, die mür in mein eigen Haus smierige löbennige Tiere auf mein Kopp schmeiß und andere Leute, die mit ihr Klafier und Süngsang ein Spenktakel machen, daß meine Frau Gemoahlin und andre gebüldte Dams in mein Haus beinah die Krämpfe kriegen, woll ßeigen, was 'n Harke is.«
Damit wies Krischan Bollmann als Beweisstück eine zappelnde Scholle vor, während er sich mit der andern Hand fortwährend über die schleimig schimmernde Glatze wischte.
»Bester Herr, nehmen Sie doch das Taschentuch,« riet Johnny Aasbaas. »Sie haben keins? Se snuben sick woll mit de Fingern, wat? Warten Sie, ich will Ihnen helfen, wenn Sie mir auch natürlich im Leben kein Bild abkaufen. Oder vielleicht doch? Wenn ich zum Beispiel Sie mal malte? Und Ihre Frau Gemoahlin daneben? Tja, einverstanden? Keine Antwort ist auch eine Antwort. Sie mit 'ner lebendigen Scholle als Nachtmütze und Ihre Frau Gemoahlin mit 'ner wirklichen. Oder lieber so, wie mein Freund Dr. Eck Sie in seinem Roman abkonterfeit hat: dicken Bauch in 'ner weißen Weste – macht sich mit Zinkweiß ganz großartig –, mit 'ner pfundschweren goldnen Uhrkette, Glatze, Schusterkugelgesicht, Kömnase und Morgenschuh aus grünem Plüsch – machen sich mit Schweinfurter Grün riesig elegant. – Oder soll ich Sie lieber in Holz schnitzen? Kann ich auch. Und zwar großartig. Ein holländscher Schipper hat heute morgen bei mir 'ne Gallionsfigur bestellt. Dafür paßt Ihr Westeninhalt; – Gallionsfiguren schnitzt man natürlich als Akt – und Ihr Bouillonkopp wie bestellt. Sie reisen auf diese Weise gratis durch alle Ozeane und werden in sämtlichen fünf Weltteilen berühmt.«
Krischan Bollmann konnte auf diese Anzüglichkeiten nicht das geringste erwidern, denn der Maler hatte, während er meinen Hauswirt verhöhnte, gleichzeitig das am Treppengeländer hängen gebliebene Decktuch des Fischkorbes ergriffen und bearbeitete damit Bollmanns Glatze, daß ihm die Funken aus den Augen stoben. Schließlich schob er ihm das Tuch in die Tasche, gab ihm einen Dreh, der ihn in eine malerische sitzende Pose auf der obersten Treppenstufe brachte, und schlug ihm und der sprachlos dastehenden Gesche Ketelschraper die Flurtür vor der Nase zu.
»Hörn Sie mal, Johnny,« rief ich lachend, »es scheint mir aber, als ob Ketelschrapersch mit ihrer Vermutung ganz recht hat. Sie haben tatsächlich ein Bild verkauft. Oder falls nicht, bestelle ich hiermit eins bei Ihnen. Sie sollen mir Krischan Bollmann malen oder schnitzen, als Porträt oder Gallionsfigur für mein künftiges Wohnschiff.«
Heftiges Fluchen, Klingeln und Bollern lenkte unsre Aufmerksamkeit wieder nach außen. Das war natürlich Bollmann, der anscheinend einen kleinen Hausfriedensbruch ins Werk zu setzen beabsichtigte. In seinem eignen Hause mochte er sich dazu berechtigt halten. Jedenfalls wollte er an dem lustigen Maler handgreifliche Rache nehmen. Aber der rief durch das Sprechloch:
»Heftig bollert man am Tor,
Aasbaas der kommt nicht hervor.«
»Bande! Poajatzenvolk! Hungerleiders! Schriftstellerpeubel! Foarbenkladdje! Bryten! Ihr wollt mir abmoalen? Paß auf, ich moal euch ab. Vor Gerüch seh'n wir uns wieder. Un die Treppen laß ich auf Uehre Kossen scheuern.«
»Auf meine?« fragte ich durch das Sprechloch. »Oder auf Herrn Aasbaas' Kosten? Entschuldigen Sie, Herr Bollmann, aber das möcht ich vorher genau festgestellt haben.«
»Und ich erst recht,« rief Johnny mit seiner prachtvollen Aasbaasstimme. »Falls es auf meine Kosten geh'n soll, scheuer ich die Treppe bei diesen schlechten Zeiten selbst. Haben – Sie – mich – verstanden – Herr – Bollmann?«
»Auf – Mieters – Kossen,« bölkte Bollmann wütend zurück. »In unsern Kontrak steht ein: es is die Mietsparteien verboten, Gegenstänne ins Treppenhaus ßu wörfen. Da geht gans klar aus hervor, daß der, der die Treppens veraast, sü auch wüder reinmachen muß.«
»Aber,« telefonierte ich jetzt wieder durch das Guckloch, »in unserm Kontrakt steht auch, daß es den Mietern ohne Genehmigung des Hausherrn verboten ist, lebendige Tiere zu halten. Nicht mal weiße Mäuse, und ausgewachsene Schollen natürlich noch viel weniger. Weil wir also nicht halten durften, haben wir sie fliegen lassen. Danach bestreite ich meine Verpflichtung, die Treppen scheuern zu lassen, verweise Sie vielmehr auf das Pfändungsrecht. Kühe, die zu Schaden gehn, und Fische, die zu Schaden fliegen, kann der geschädigte Grundstückbesitzer laut Bürgerlichem Gesetzbuch Teil 3 § 1485 pfänden lassen, muß jedoch für ordnungsmäßige Einstallung und Fütterung sorgen.«
Statt einer Antwort schoß Bollmann nur das grimme Wort »Polleßei« heraus und entfernte sich darauf mit entsprechendem Nachdruck treppabwärts. Die Zwischenzeit bis zu seinem voraussichtlichen Wiederauftauchen in Begleitung behördlicher Hilfe sei mit einigen Lebensnachrichten über meinen Freund Johnny Aasbaas ausgefüllt.
Unser künstlerisch-literarisches Gegenseitsverhältnis besteht darin, daß Johnny, wenn es ihm in seinen Bilderkram paßt, mich oder meine Frau, da wir beide wertvolle Charakterfiguren sind, als Kopf-, Brust- oder Gewandmodell verwendet. Hierfür honoriert er mit der Ehre, durch seine Gemälde (wollte sie doch nur erst mal eine Galerie oder annehmbarer Privatmann kaufen!) auf die Nachwelt zu kommen. Andererseits erfreut er mich durch Zuwendung gelegentlicher Zeitungsnotizen, wonach er, meistens vor Publikum, das in Theatern nicht die Parkettplätze zu drücken pflegt, »mit frenetischem Beifall« aus meinen plattdeutschen Werken irgend etwas vorgelesen hat. In diesem Fall bildet der »frenetische Beifall« mein Honorar. Nämlich Johnny Aasbaas ist, ich finde kein angemesseneres Wort, »Künstler für alles«. Angefangen hat er mit einer Komptoirfeder. Da sein Vater eine gutgehende Ewerführerei besitzt und Johnny ältester Sohn ist, sollte er in diesen nährschaftigen, wenngleich etwas feuchten Beruf hineingeschoben werden. Doch füllte er als Lehrling die Blätter der Geschäftskladden statt mit der Anzahl der beförderten Kaffee- und Pfeffersäcke lieber mit den Karikaturen seiner Vorgesetzten an. Die Folge war eine Empfangsbestätigung, vollzogen durch Aasbaas sen., auf der Vollmondseite Aasbaas juniors und die Versetzung in den praktischen Teil des Geschäfts. Hier vertauschte Johnny die Feder mit dem Teerquast, die Kladde mit dem Peekhaken und wurde von dem Aasbaasschen Ober-Ewerführer in die praktischen Kniffe der Schutenbeförderung eingeweiht. Aber Aasbaas sen. hatte an seinen und seiner »Kontorknüppel« karikaturistischen Porträts doch eine geheime väterliche Freude empfunden. »Möglicherweise,« sagte er zu seiner Frau, »steckt in den Djung doch Talent in. Wird vielleicht noch mal 'n großen Künstler.« Und schrieb infolgedessen an einen ihm wohlbekannten berühmten Malprofessor – unter Beifügung der bewußten Kladdeproben –: er möchte doch so gut sein und sich den Bengel mal persönlich ansehn, falls in den Zeichnungen Talent steckte. Der berühmte Professor kam zugereist und begab sich in Begleitung Aasbaas seniors in den Arsenalbezirk der Aasbaasschen Schutenflotte. Hier teerte Johnny gerade unter fachmännischer Aufsicht ein Schutenverdeck. Jedoch in dem Augenblick, als der Professor über den Kairand nach ihm ausspähte, fiel er hinunter – und Hals über Kopf in die Elbe. »Hallo!« rief der berühmte Professor den Ewerführer an. »Der junge Aasbaas, der angehende Künstler, soll hier sein. Aber ich sehe ihn nicht.« Der Ewerführer langte über Bord, fischte Johnny aus dem nassen Element heraus, stellte ihn, triefend wie eine Pütze, auf seinen Platz zurück und sagte lakonisch: »Düt is 'e!«
Das war Johnnys Eintritt in die Kunst. Man sieht: seine Anfänge haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Kuno Klexel. Auch die weitere Entwicklung ist von der Kuno Klexelschen jedenfalls nicht grundverschieden. »Viel Leute gibt's, die Bilder malen – doch wenig solche, die es bezahlen«, konnte auch sehr bald Johnny Aasbaas von sich singen. Das führte zu einem Krach zwischen Aasbaas sen. und jun. Denn Aasbaas sen. war nicht nur Vater, sondern auch praktischer Geschäftsmann, der für sein Geld Goldstücke wiederzusehen verlangte. Da aber, wie schon angedeutet, die Galerien und sonstige Mäzene angehender Künstler von Johnnys Farbenräuschen nicht viel wissen wollten, Johnny sich aber inzwischen beweibt und die Welt, außer mit Bildern, auch mit Kindern zu bevölkern angefangen hatte, mußte er vielseitiger werden. Somit entwickelte er sich in ganz kurzer Zeit vom gewöhnlichen Feld-, Wald- und Wiesenmaler zum choreographisch-mimisch-rhetorisch-plastischen Varieté- und sonstigen Darsteller. Mit einem Wort: zum Künstler für alles und alle, der im Atelier, Zirkus, Singspielhalle, Brettl, Luftballon, kurz, in den Bereichen der sämtlichen vier Elemente (auch Feuer und Wasser müssen erwähnt werden, da Johnny, wenn's bei Aasbaasens klamm herging – und das tat's eigentlich immer – weder vor'm Feuerfressen noch Wasserpantomimem zurückschreckte) zu Hause war wie gewöhnliche Leute in ihren Hosen und Jacken. Den Gipfel seiner Berühmtheit in den Druckspalten des »Kometen« Fachschrift der Varietékünstler. und der Lokalberichterstattung hatte er durch seine »Lebenden Darstellungen plastischer Meisterwerke« erworben. Sie bildeten seinerzeit Zierden, Clou- und Renommierstücke, sozusagen das allabendliche Looping the Loop des »Hamburger Doms« Alljährlicher vierwöchentlicher Weihnachtstrubel. – Nummern, die man einfach gesehen haben mußte. Da ich sie nicht nur vor, sondern auch hinter den Kulissen studieren durfte, andererseits aber, wie schon erwähnt, für die von Johnny bei meiner Frau und mir gemachten körperlichen und geistigen Anleihen niemals ein Entgelt in klingender Münze erwarten darf, halte ich eine Schadloshaltung durch Abkonterfeiung Johnnys und seiner Untermodelle in seinen Glanznummern für sittlich erlaubt. Nämlich Johnny hatte für seine »Lebenden Marmorgruppen« einen Kerl engagiert, dem ich sowohl wegen seines Gesichts wie auch Muskulatur nicht für tausend Mark nach neun Uhr abends ein Rendezvous gewährt hätte, ferner zwei »plastische« Frauenzimmer, vom Avers, Revers und auch Gesicht nicht übel anzusehn, mit denen man es schon eher hätte wagen dürfen. Dies künstlerische Unternehmen wurde technisch dermaßen ins Werk gesetzt, daß Johnny, der Kerl und die beiden Weiber sich hinter den Kulissen Gips auf die nackte Epidermis schmierten und in diesem Zustand, in allen möglichen klassischen Posen und Verrenkungen, von Praxiteles und Michelangelo bis zu Klinger und Rodin vor den Kulissen erschienen. Einer weit größeren Kunst als seine Hilfsfiguren und sich selbst »in Stellung« zu bringen, hatte es für Johnny bedurft, erstens die Genehmigung der hohen Polizeibehörde, zweitens die schwierigere seiner Gattin zu erlangen. Letzteres war nur dadurch möglich gewesen, daß Johnny sich eidlich verpflichtet hatte, das An- und Abgipsen des weiblichen Teils seiner Kunstbande niemals selbst vorzunehmen, sondern ausschließlich durch die zarteren Hände seiner Frau. Leider erwies sich auch hier, wie überall, die Theorie sogleich gegenüber der Praxis grau, richtiger weiß, nämlich dadurch, daß gleich bei der ersten Nummer der Gips in großen Klexen von den Unterlagen abfiel, so daß die Hamburger die schönen Praxiteles- und sonstigen Figuren in ihren eigenen Landesfarben – rot und weiß – genießen durften. Die Polizei, alte Tanten und der Vorstand des Vereins zur Hebung der öffentlichen Sittlichkeit – letzterer war vollzählig zur »Urdarstellung« erschienen – riefen wie aus einem Munde: »Pfui! Vorhang runter!« – Der Vorhang fiel. – Die gleichfalls vollzählig anwesenden Mitglieder der Athletenklubs, die jungen Hamburger Kaufleute und sonstige verrohte Gesellen klatschten Bravo und grölten: »Vorhang hoch!« – Der Vorhang ging hoch. – »Vorhang runter!« – »Vorhang hoch!« Und so geschah es, daß sämtliche Lokalkorrespondenten am nächsten Tag von einem beispiellosen durch ein fünfunddreißigmaliges Hochgehn des Vorhangs bescheinigten Erfolge der Aasbaasschen plastischen Meisterwerke berichten konnten. Damit wäre die Nummer zu einer Goldgrube geworden, falls sich nicht die Polizei hineingelegt und die ganze plastische Gipskiste verboten hätte. Jeder andre Künstler wäre verzagt. Nicht so das Genie meines Freundes Johnny. Er erbot sich, den mit Wasser angerührten Gips durch mit Fischleim angerührte Bronze zu ersetzen, die unter Garantie nichts Menschliches durchschimmern lassen würde.
Das nahm die unter ihrem blauen Uniformrock wirklich edler Plastik im Herzen zugeneigte Polizei an, und seitdem traten beinah vier Wochen lang hintereinander Praxiteles und Michelangelo, Klinger und Rodin in Bronzeformen vor ihre Bewunderer hin. Daß ich zu diesen gehörte, brauche ich nicht besonders zu versichern. Johnny Aasbaas hatte mir, in Erwartung eines glänzenden Geschäftsabschlusses, eine für achtundzwanzig Vorstellungen gültige Dauerkarte verehrt. Ich benutzte sie dazu, die Johnnyschen Kunstbronzen bald vom Parkett, bald von der Kulisse aus zu betrachten, und hatte schon die Feder angesetzt, um einen in den brillantesten Brillanten funkelnden Artikel für »Die Kunst fürs Volk« und ähnliche ernste Kunstblätter zu spritzen. Da kam die Katastrophe. In einer so furchtbaren Weise, daß nur die Pinsel eines Nic Carter oder Edgar Allan Poe die Einzelheiten schildern könnten.
Nämlich: die beiden Johnnyschen früheren Gips-, jetzigen Bronzeweiber hatten sich in den Athleten mit dem Verbrechergesicht verliebt. In einer von Johnny in kühner Zurechtmachung vom Parthenongiebel entlehnten Szene kam die Sache zum Klappen. Die eine goldne Dame lächelte den, einen attischen Krieger mit erhobenem Speer darstellenden goldenen Athleten goldig an. Die Eifersucht entflammte. Die andere Kunstmänade entriß ihm den Speer und rammte ihn der Nebenbuhlerin durchs Herz. Tot war sie. Der Vorhang mußte fallen. Er fiel auf die Mörderin. Tot war sie. Im Publikum erhoben sich Schreckensrufe und wüster Tumult. Aus diesem heraus stürzte ein Mann auf die Bühne. Er präsentierte Johnny Aasbaas eine Rechnung über verbrauchte Bronze. Seine Frau warf einen Blick hinauf – sie überstieg die bisherigen Einnahmen ums Vielfache. Sie sank zur Erde – ein Schlagfluß hatte ihr Leben geendigt. Der Athlet wurde, sobald die Katastrophe ins Publikum gedrungen war, als, wenngleich unschuldiger, Urheber der ganzen Mordgeschichte von zwei Hamburger Schauerleuten in den Souffleurkasten geschleudert und brach sich das Genick. Johnny Aasbaas aber stand da, raufte sich, soweit der Bronzeleim es zuließ, erschüttert die Haare und rief verzweifelt: »Nun kann ich wieder von vorn anfangen!« Ich tröstete ihn – und seit dieser Zeit wurde unser Freundschaftsverhältnis noch fester. Es gelang mir, ihn der Welt und sich selbst wiederzugeben. Er zürnt nur dann noch mit seinem Geschick, seinem Gips- und Bronzedebut und mit mir, wenn ich dessen Geschichte mit einigen humoristischen Übertreibungen vortrage. Und seine Frau, wenn ich sie treffe, droht mir immer so 'n klein bißchen mit dem Finger. An dem sitzt immer noch ein kleines bißchen Gold. Auch der Athlet mit dem Verbrechergesicht und seine beiden Mithelferinnen, die ich gelegentlich auf Sankt Pauli treffe – er hat die eine geheiratet, die andre als Büfettmamsell angeworben, und alle drei betreiben zusammen eine von den dreitausend Wirtschaften auf dem liederlichen Hamburger Berg –, lächeln mich immer goldig an. Denn mit Fischleim bronzierten menschlichen Statuen ihre natürliche Hautfarbe wiederzugeben, das ist – jeder, der, wie mein Freund Johnny, einmal in diesem Artikel gearbeitet hat, wird es bestätigen – unmöglich.
Immerhin, eine gewisse Spannung hatte diese Akrobaten- und Bronzezeit zwischen Johnny einerseits, seiner Frau und der Aasbaas-Sippe andererseits doch hinterlassen. Sie äußerte sich besonders dadurch, daß Johnny von Zeit zu Zeit »fahnenflüchtig« wurde, wie wir es nannten. Dann tat er seine Familie in Acht und Bann und trieb sich als »Fahrender« an unbekannten Orten oder auch im engeren Kreise seiner Freunde umher. Hier pflegte er dann, manchmal voll Trübsal, meistens aber voll Humor, die epischen Daten seines Lebens und seiner Heirat zum besten zu geben. Eigentlich hatte er seine jetzige Frau durchaus nicht haben wollen, sondern deren jüngere Schwester. »Und bei der wäre ich,« versicherte er, »besser gefahren als bei meiner jetzigen Alten. Denn die ist viel zu gutmütig, läßt mir viel zu sehr die Zügel schießen. Und wenn ich einmal losgelassen bin, dann komm ich nicht eher wieder zum Stehen, wie vorm Dalles oder 'ner drei Meter dicken Mauer. Aber die Adelgunde, die paßte auf. Die hätte das aus mir gemacht, was unser Freund Quäker-Oats (wir werden gleich seine Bekanntschaft machen) gerne werden möchte und niemals wird: 'n wirklichen strebsamen Künstler. Denn die hatte es noch dicker hinter den Ohren als ich. Leider hatte sie denselben Fehler, an dem Böcklins Frau litt. Sie war modellscheu – notabene nur nach der weiblichen Seite hin. Sie verlangte, als wir uns verlobt hatten, ich dürfe kein weibliches Modell haben neben ihr. Und darauf konnte ich mich natürlich – als bildender Künstler – nicht einlassen. Für 'nen Dichter war sie ein großartiges Weib geworden. Aber das Schicksal hatte gerade nichts Passendes für sie auf Lager. Denn Quäker-Oats – von dem sie sehr viel hielt und der sie auch gern mochte – war damals gerade in Amerika und saß selbst Modell. Da hat sie denn später, und zwar auch in Amerika, 'nen ganz unmenschlich frommen Reverend geheiratet, der dem Himmel so ergeben war, daß er ihn schon drei Monate nach der Hochzeit zu sich genommen hat. Daß sie ihn totgeärgert hat, wie das fromme Blatt in seiner pennsylvanischen Stadt schrieb, ist gelogen. Wie kann eine Frau, und wenn sie selbst die allergünstigste Konstitution dafür hat, einen ausgewachsenen, dreihundert englische Pfund schweren Reverend in die Grube bringen? Aber für Quäker-Oats wär's 'ne passende Hausehre gewesen, ja. Und darum, lieber Freund (folgt der jeweilige Name) schenken Sie mir noch einmal ein. Ich will auf das Wohl meiner ersten und einzigen Liebe trinken.«