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Das Haus des Reinhart war nun, wie er sich ausdrückte, fix und fertig, von außen und innen schön angestrichen, zum Teil sogar bemalt und harrte seiner Bewohner. Aber über seinem Eingange und an den beiden Eckpfeilern des unteren Geschosses hingen noch immer in seltsamem Gegensatze zu dem sonstigen zierlichen Wesen des neu erstandenen Gebäudes und seiner blanken Fenster die rätselhaften Bretter und Leinwandstücke.
Da ließ der Schuster seinen Nachbar Haarwachs auf den kommenden Morgen einladen, wo die Verhüllung feierlich weggenommen und das Dahintersteckende den Augen der Welt erschlossen werden sollte. Auch der Nachbarin Wenkbach hatte er eine Einladung in gleichem Sinne zugehen lassen. Letztere hatte nämlich in neuerer Zeit nicht mehr so unfreundlich zum Fenster herausgesehen. Da nun Reinhart überhaupt kein Freund von Streitigkeiten, am wenigsten aber mit Nachbarn war und gern mit aller Welt in Frieden lebte, so meinte er, die freundlichen Blicke als ein Zeichen der Bereitwilligkeit, den alten Streit gütlich auszugleichen, deuten zu dürfen und der alten Jungfer hierzu eine Brücke bauen zu müssen. Darum seine Einladung.
Der Morgen kam und mit ihm rückte eine Bande Musikanten vor das Haus, die gar liebliche Weisen erschallen ließen und alle Nachbarn sowie eine große Menge anderen Volkes versammelten.
Meister Haarwachs im Sonntagsstaate fand sich ebenfalls ein und Jungfer Wenkbach, die lange nicht mehr so erbost auf den Schuster war, hatte vergeblich sich bemüht, ihrer immer mächtiger werdenden Neugierde zu widerstehen. Ihre Standhaftigkeit unterlag am Ende der höheren Macht, trieb sie sogar in die Kleider und so kam sie ebenfalls mit verbindlichen Knixen und neugierigen Blicken.
Reinhart hatte in dem neuen Hause eine mit kalten Speisen und Wein wohlbesetzte Tafel aufstellen lassen und Mutter Abigail, welcher der Sohn Rudolf helfend zur Seite war, wußte auf gar liebliche unwiderstehliche Weise die geladenen Gäste zum Zugreifen zu nötigen.
Endlich erschien auch Doktor Kratzeisen, den Reinhart sehnlichst erwartet hatte und überreichte ihm ein untersiegeltes Papier.
»Nun, meine Hochzuverehrenden,« rief dieser sofort, »jetzt kann die Feierlichkeit ihren Anfang nehmen!«
Er ging nun vor das Haus und forderte sämtliche Geladenen auf, ihm dahin zu folgen. Nachdem dies geschehen war, gab er bereitstehenden Handwerksgesellen ein Zeichen und diese rissen nun, unter dem Tusche der Musik, die Bretter und Leinwandverhüllungen am Hause herab.
Über der Eingangstür im Schlußsteine des Bogens zeigte sich nun auf einem Wappenschilde ein Römerglas, oben darüber ein Band mit der Inschrift: Zum kleinen Römer, und darunter die Jahreszahl 1720 sowie die Buchstaben P. I. R., unter dem Schild selbst aber ein zweites Spruchband mit der Inschrift: Heraus mit dem Tröpfchen.
Mit lächelndem Erstaunen betrachteten die Anwesenden Wappen und Sinnspruch. Meister Reinhart aber entfaltete das ihm von dem Advokaten Kratzeisen eingehändigte Papier und las den Inhalt laut vor, wonach ihm vom hochedlen Rate verwilligt worden, den Namen seines Hauses Zum Engel in den Zum kleinen Römer umzuwandeln.
»Sieht Er,« sprach er dann zu dem ganz verwirrt dreinschauenden Metzger Haarwachs, »so ist denn mein Haus auch ein Römer und mein Rudolf, wie Er es haben will, ein Mann aus dem Römer und nun denke ich, wird Er mir keine Scherereien mehr machen, indem Sein unüberlegter Eid gewiß nicht so streng gedeutet werden kann und jetzt seine Erfüllung gefunden hat.«
Der Angeredete vermochte kein Wort hervorzubringen und starrte mit vor Verlegenheit verglasten Augen bald das zierlich in Stein gehauene Wappenschild, bald den sich an der Überraschung aller ergötzenden Schuster an.
Dieser näherte sich jetzt in gravitätischem Schritte den Eckpfeilern seines Hauses, wohin ihm die Eingeladenen ebenfalls folgten. Hier zeigte er auf zwei in gedachten Pfeilern eingesetzte durch Steinhauerarbeit ausgezierte Tafeln mit Inschriften.
Neugierig reckten alle die Hälse. Da gebot Reinhart Ruhe und als diese eingetreten war, richtete er stolz den Kopf zu der einen Inschrift empor und las:
»Dorn und Disteln stechen sehr.
Falsche Zungen noch viel mehr.
Doch wil ich lieber durch Distel und Dorn baden,
Als mit falschen Zungen sein beladen.«
Darauf zu dem anderen Eckpfeiler tretend, trug er auch hier die in Stein gehauene Schrift vor:
»Wann der Neid brend wie das Feuer,
So wer das Holz nicht halb so teuer,
Weren der Neider noch so vil,
So geschieht doch, was Gott haben wil.«
Die Zuhörenden blickten einander mit bedeutungsvollem Nicken an und Reinhart sah triumphierend im Kreise umher.
»Selbst gefertigt« rief ihm lächelnd Doktor Kratzeisen zu und »Wie immer!« war die mit stolzem Selbstbewußtsein gegebene Antwort des Schusters.
Die Musik fiel nun mit einem schönen Marsche ein und die Geladenen wollten sich eben in das neue Haus zurückziehen, als unter einem Teile der Anwesenden plötzlich ein Getümmel entstand und die Base Wenkbach, der es unwohl geworden war, durch Rudolf und die rasch herzugeeilte Mutter Abigail in die neue Wohnung geschafft werden mußte.
In diesem Augenblicke trat der zu der Festlichkeit eingeladene junge Doktor Adalbert von Stetten auch in das Haus. Nach einigen mit Rudolf rasch gewechselten Worten bemerkte er, wie Vater Reinhart mit besorgter Miene seiner Frau zu Hilfe eilte, welche die Base in ein Nebenzimmer brachte. Bei dem Durcheinander der übrigen Gäste glaubte er dem Alten vielleicht Beistand leisten zu können und so eilte er ihm nach.
In der Stube, wohin man die Wenkbach geschafft hatte, fand er dieselbe auf einem Sessel weinend und Reinhart mit Frau bemüht, sie zu beruhigen und zu trösten.
»Nein,« jammerte sie, »diesen Schimpf mit Seinen Inschriften hätte ich mir doch von Ihm, nach einer so freundlichen Einladung, nicht träumen lassen. Daß Er damals mir als Nikolaus auf die Stube kam und mich durchprügelte, könnte man noch als einen unüberlegten Scherz ansehen und Ihm dieses, wie ich heute schon den Anfang machte, allmählich verzeihen, vielleicht auch die Geschichte mit dem mir an das Haus gehängten Zettel vergessen; daß Er mir aber jetzt aufs neue mit Seinen beleidigenden Reimereien kommt und solche auch noch in Stein hauen läßt, daß man das Ding nach hundert Jahren noch lesen kann, das – das ist zu arg!«
»Halt,« fiel hier Adalbert ein, indem er mit der Hand wehrte. »Vater Reinhart wird hier Dinge bezichtigt, an denen er durchaus keinen Anteil hat. Zwar ist, ungeachtet seiner Freisprechung vor Gericht, bei Ihr, Jungfer Wenkbach, so eine moralische Überzeugung von Schuld zurückgeblieben. Allein diese Meinung muß bis auf den letzten Rest verschwinden, wenn ich Ihr sage, daß ein ganz anderer als Vater Reinhart den Nikolaus auf Ihrer Stube gespielt und der nämliche auch den Zettel verfertigt und, wie ich selbst gesehen habe, Ihr an die Haustür gehängt hat.«
Die Base richtete sich auf und blickte staunend den fein gekleideten und überzeugend redenden jungen Mann an.
»Und das soll alles wahr sein?« fragte sie nach einigem Schweigen.
»Ich kenne den Täter sehr genau,« antwortete der junge Doktor. »Es ist ihm auch jener Jugendstreich sehr leid und läßt er Sie durch mich um Verzeihung bitten.«
»Wie heißt er denn?« fragte jetzt die Wenkbach neugierig umherblickend.
»Seinen Namen,« entgegnete Adalbert mit galanter Verbeugung, »wird er Ihr später selbst nennen. Einstweilen nur soviel, daß nach meinem Dafürhalten der junge Mann, bewältigt von einer Leidenschaft, die keine Erhörung fand – er sprach von reiferen Schönheiten –«
Jungfer Wenkbach senkte schmachtend das Haupt und hielt geschämig die Hand vor die Augen.
»Ich verstehe,« antwortete sie mit vieler Sanftmut und Güte, »und bin eine viel zu fromme Christin, als daß ich dessen Bitten abhold sein könnte, überhaupt würde ich schon früher –«
»Wenn der Neffe Kanzlist nicht?« fiel Adalbert ein.
Die Gefragte nickte schweigend.
»Ich begreife,« fuhr der junge Doktor lächelnd fort. »Fortwährend in einem Geschwüre wühlen und sogar noch ätzende Essenzen hineingießen, heißt am Ende den Tod des Patienten herbeiführen. – Wenn man jemanden beerben will, muß dieser doch vorerst gestorben sein.«
Schaudernd sprang die alte Jungfer in die Höhe; das war die gefährlichste Seite, die angeschlagen werden konnte. Wenn sie auch gleich von ihren dereinstigen Erben redete, so wollte sie doch von dem Tode durchaus nichts wissen. Mit diesem häßlichen Gesellen konnte man sich ihre höchste Ungnade zuziehen.
»Also darum wurde ich in Prozesse verwickelt,« rief sie entrüstet aus, »und darum mir das Geld aus dem Beutel geluchst? Na warte, sauberer Herr Kanzlist, da soll er sich doch verrechnet haben. Wenn Er, Nachbar Reinhart, nur nicht mit seinen steinernen Versen!«
»Ei, liebe Jungfer Base,« fiel jetzt dieser begütigend ein, »daß ich nur den verwünschten Kanzleischreiber im Auge habe, Dornen und Disteln und bei Ihr lauter Rosen und Veilchen; falsche Jungen und bei Ihr Liebe und Treue, und von Neid ist doch bei Ihr gar keine Rede. Alle diese Benennungen passen aber auf das Haar auf einen langen, spinnenbeinigen, scheelsüchtigen und bösmäuligen Neidhart – wie sollte ich dazu kommen!«
Reinhart hatte mit dem klugen Blicke eines praktischen Mannes auf der Stelle bemerkt, wohin der junge Doktor zielte, und war deshalb gleich in die Tonart eingefallen, worin dieser sein Lied anstimmte. Den beiderseitigen wohlgesetzten Worten, vorzüglich aber einigen gut angebrachten galanten und schmeichelhaften Reden des gewandten Doktors gelang es endlich, allen Groll der reichen Base wegzusingen und dieselbe in eine heilere Laune zu versetzen.
Adalbert bot nun der Versöhnten fein und zierlich den Arm, den diese nach einigen züchtigen Knixen annahm, und führte sie zur übrigen Gesellschaft zurück, Vater Reinhart aber und Frau folgten mit vergnügten Blicken.
Der alte Haarwachs machte ein gar sonderbares, nicht leicht zu beschreibendes Gesicht, als er seine Nachbarin mit den Todfeinden so herzlich vergnügt einherwandeln sah. Er zog den Vater Reinhart auf die Seite, dieser aber kam der Frage zuvor, indem er ihn aufforderte, seine Tochter Kunigunde zur Stelle zu holen, da jetzt die Verlobung gefeiert werden sollte.
Der Metzger schüttelte den Kopf, er hatte eben immer noch seine Bedenken. Als sich aber die beiden Doktoren Kratzeisen und von Stetten an ihn machten, mußte er deren Beredtsamkeit bald unterliegen.
Er ging und in kurzer Zeit stand Kunigunde, die schon unterrichtet war, in der Stube, einfach aber schön gekleidet, das Auge gesenkt, die Wange gerötet, ein anmutreiches Lächeln um den Mund, mit einem Worte, eine liebliche, holde Erscheinung.
Der alte Doktor Kratzeisen, von Vater Reinhart dazu aufgefordert, verkündete nun die feierliche Verlobung Rudolfs mit Kunigunden und beide jungen Leute reichten einander, des Himmels Seligkeit in Blick und Mienen, die Hände, worauf sie die von Vater Reinhart besorgten Ringe wechselten.
Alle Anwesenden waren vergnügt, nur der alte Metzger wollte nicht recht einstimmen, indem die Deutung seines Lides ihm doch immer im Kopfe herumging.
Da trat Adalbert vor, zog ein Papier aus dem Busen und forderte die Anwesenden auf, ihre Gläser zu füllen und ihm zuzuhören.
»Ich bin bei meinem Freunde Rudolf,« sprach er, »noch tief verschuldet. Um nun eines Teiles mich von diesem drückenden Gefühl zu befreien, andernteils aber, um Besorgnisse zu zerstreuen, welche ich immer noch auf gewisser Stirne lese, will ich anmit verkünden, daß es den Bemühungen meines Vaters gelungen ist, dem Herrn Rudolf Reinhart dieses Ratsdekret zu erwirken.«
Er hielt ein gesiegeltes Dekret in die Höhe und alle richteten erstaunt und neugierig den Blick auf das Papier.
»Kraft desselben,« fuhr nun der Sprechende mit verstärkter Stimme fort, »ist mein vielgeliebter Freund Rudolf zum Rechenschreiber ernannt und demnach ein wirklicher Mann aus dem Römer!«
Haarwachs hatte mit weit aufgesperrten Augen dieser Rede zugehört, nachdem sie geendet, stürzte er auf Adalbert zu, riß ihm das Dekret aus den Händen, las es schnell durch und, als er sich von der Richtigkeit desselben überzeugt hatte, fing er an zu zittern und endlich traten ihm Tränen in die Augen.
»Jetzt, jetzt ist es gut,« stammelte er, »jetzt hat meine Einwilligung einen festen Boden!«
Ein Tusch der Musikanten und ein allgemeines Hoch auf das Brautpaar schloß sich an und: »Heraus mit dem Tröpfchen!« rief Vater Reinhart dazu, indem er nicht ruhte, bis alle Gläser auf den Grund ausgetrunken waren.
Erst spät am Abend trennte man sich in der heitersten Laune.
Als die Tante Wenkbach in ihrer Wohnung sich befand, ward der Klopfer an deren Haustür in Bewegung gesetzt und Kanzlist Schwärzlich verlangte, vorsprechen zu dürfen. Seinem Gesuche wurde indessen nicht willfahrt. »Er solle sich sobald nicht wieder bemühen,« mußte ihm die alte Dienstmagd sehr freundlich verkünden.
Es war im Spätsommer desselben Jahres, als der Saal des am Liebfrauenberge wohnenden Speisewirtes Scharff festlich mit Laubwerk und Blumen geschmückt war, und eine große Anzahl mit den besten Feierkleidern angetaner Männer und Frauen, nachdem sie in Kutschen dorthin gefahren, sich allda versammelte. Schuster Reinhart hatte die zahlreichen Anwesenden als seine Gäste an diesen Ort geladen. Große Ehrengelage, bei denen der Bürger seine Wohlhabenheit betätigen wollte, pflegte man nämlich hier, bei der ausgezeichneten Küche dieses »Trakteurs«, wie sich Scharff nannte, und bei dessen vortrefflichen Weinen zu halten und heute sollte es ja hoch hergehen; denn Reinhart feierte die Hochzeit seines Rudolf mit dessen Braut, der anmutreichen Jungfrau Kunigunde.
Die Tafeln bogen sich schier unter der Wucht würziger Speisen und in den Römergläsern perlte der edle Firnewein, während die Musik ihre schönsten Weisen erklingen ließ.
Wie nun die Gäste so recht im Zuge waren und ernste sowie launige Trinksprüche die Zechenden zu immer lauterer Fröhlichkeit anfeuerten, da erhob sich der ebenfalls anwesende Doktor Adalbert von Stetten und brachte ein Hoch aus auf das Haus des Reinhart und den sinnreichen Einfall seines Erbauers, dasselbe Zum kleinen Römer zu nennen.
»Möge dasselbe,« fuhr er dann fort, »in spätere Jahrhunderte hinüber dauern als ein Zeichen unserer jetzigen bürgerlichen Gemütlichkeit und als ein Beweis der Dichtergabe seines rechtschaffenen, allgemein geachteten Erbauers!«
»Hoch! Hoch! Hoch!« schallte es von allen Seiten und die Musik schmetterte kräftig einen Tusch darein. Sämtliche Anwesende aber drängten sich mit dem Glase in der Hand herzu, um mit dem gefeierten Vater Reinhart anzustoßen und ihm einige verbindliche Worte zu sagen.
Der Alte war über diese vielen Beweise von Liebe und Freundschaft so gerührt und verwirrt, daß er sein Glas zwar bis auf den Grund austrank, seinen gewöhnlichen Schlußsatz: »Heraus mit dem Tröpfchen!« aber nicht mehr mit lauter Stimme sagen, sondern nur in abgebrochenen Sätzen leise stammeln konnte.
Das fröhliche Hochzeitsfest ging, wie alles in der Welt, vorüber und die Zeit nahm ebensowohl die heiteren Gäste hinweg als den trauernden Kanzlisten, der in seinen letzten Lebenslagen einsam und verlassen die Pfade wandelte. Alle sind dahin, aber das von dem poetischen Schuster Reinhart erbaute Haus steht noch, und das Wappenschild über seiner Haustür sowie die Inschriften an den beiden Eckpfeilern bekunden, daß der in einem Trinkspruche Adalberts von Stetten niedergelegte Wunsch in Erfüllung gegangen ist.