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Spiegelfechtereien

An einem der nächsten Tage, als die Wintersonne hinter Wolken schon dem Westen zuneigte, sah man die Jungfer Wenkbach in gewähltem, aber wie gewöhnlich überladenem und nicht mehr ganz modischen Winterstaate ihr Haus verlassen und sich in die nebenan befindliche Wohnung des Haarwachs begeben. Sie hatte aus ihrem Fenster wahrgenommen, daß von diesem der gewöhnliche Nachmittagsgang an die Schirne gemacht worden und darum, weil Haarwachs bis zum Abend dort zu bleiben pflegte, diesen Zeitabschnitt gewählt, um ungestört gegen die allein zu Hause weilende Kunigunde Operationen vornehmen zu können.

Die Jungfrau erschrak, als sie die Base, die diesmal mit soviel Sicherheit in Gang und Gebärden auftrat, in ihre Stube kommen sah. Die Wenkbach grüßte, herzte, küßte, wodurch indessen die bösen Ahnungen der Heimgesuchten sich nur vermehrten und zwar gar bald bei ihrem Lieblingskapitel, der Verheiratung Kunigundens mit dem ihr so lieben Kanzlisten.

Kunigunde wollte ausweichen, allein die geschwätzige Base hielt sie wie mit Krebsscheren fest. Wenn aber die Besuchende früher dem Nachbarkinde hinsichtlich der Herzensneigung widersprach und ihm andere Ansichten aufdrängen wollte, so änderte sie jetzt plötzlich das Benehmen, indem sie die – wie sie es nannte – vorgefaßte Meinung zu Rudolf als eine unklare Zuneigung zwar billigte, dabei aber bedauerte, daß ihr Bäschen falsche Steine für echte und gewöhnliche Blechstücke für gediegenes Gold gehalten habe, wonach denn deren reines, unschuldvolles Vertrauen so schlecht gelohnt worden sei.

»Was wollen diese Reden bedeuten?« fragte Kunigunde, indem sie argwöhnisch und mißtrauisch die Base ins Auge faßte.

»Daß ich auch einmal jung gewesen bin,« versetzte diese, herzvoll die Fragende in die Arme schließend, »daß ich gefühlt habe wie du und dein Leid begreifen und beurteilen, deinen Schmerz würdigen kann.«

»Base,« rief jetzt die Angeredete mit Grausen in dem Blicke, »Sie bringt mich zur Verzweiflung.«

Die Wenkbach schüttelte lächelnd den Kopf.

»Wie?« bemerkte sie verwundert. »So solltest du in der Tat nicht wissen, daß dein geliebter Schusterssohn im Begriffe steht, nach Holland und dann weiter nach einer sehr entfernten Stadt Batavia zu reisen?«

Die Jungfrau erblaßte. »So schnell?« stammelte sie endlich.

»Eine schöne Seite,« fuhr die Base fort, indem ihr Gesicht den Ausdruck der bewundernden Genehmigung annahm, »hat zwar seine sonst so rücksichtslose Verfahrungsweise. Er hat das Geld, das ihm von dem Amsterdamer Handlungshause vorausbezahlt war, seinem durch den Brand ganz verarmten Vater zum Wiederaufbau des Hauses gegeben. Er ist sonach ein Muster von Kindesliebe und würde alle Bewunderung, alle Hochachtung verdienen, wenn er in Rücksicht der sonstigen Liebe und Treue –«

»O, rede Sie nicht weiter,« unterbrach sie die Zuhörende, indem plötzlich Begeisterung ihr Angesicht verklärte, »Rudolf besitzt ein warm und treu schlagendes Herz und ist so wenig der Täuschung als eines Meineides fähig. Wenn er wirklich hinausgeht in die weite Welt, so hat er im Kampf zwischen Liebe zu mir und seinen Eltern sich für letztere entschieden; er hat sein Herz zum Opfer gebracht und niemand, am wenigsten aber die Jungfrau, welche ihn kennt und seine Größe zu messen versteht, wird ihn darum verdammen.«

Betreten zog sich die Wenkbach zurück. Der Streich ging fehl; sie mußte anders ausholen, doch auch für diesen Fall war sie unterrichtet. Schnell suchte sie sich daher zu fassen.

»Wenn alles sich so verhielte,« entgegnete sie, indem sie ihrem Gesichte eine mitleidsvolle Miene aufnötigte, »wie du dir so schön träumst, dann wäre freilich deine Begeisterung ganz am rechten Flecke. Allein –«

Sie schwieg, indem ihr das weitere doch nicht so recht glatt vom Munde abrollen wollte. Aber gerade dieses Schweigen war für die Zuhörende von der entsetzlichsten Wirkung. Für Kunigunde war es ein Wermutstropfen, der sich ätzend in ihr seitheriges festes Vertrauen einfraß.

»Allein?« wiederholte sie mit bebenden Lippen und steigender Angst.

»Ach, laß mich schweigen,« versetzte die Base ablenkend. »Nichtwissen ist oft am besten für ein leidendes Herz.«

»Base, um Gotteswillen, rede Sie!« drängte die Geängstete, indem sie die Angeredete krampfhaft umschlang.

»Nun, nun,« war die jetzt wieder Teilnahme aussprechende Antwort, »wenn du mir versprichst, ruhig zu bleiben und nur mit Seelengröße und mit einer gewissen Verachtung dem Inhalte meiner Mitteilung zu begegnen, so mag es drum sein. So höre denn.« Die Redende atmete noch einmal tief aus, die Fortsetzung schien ihr wirklich Überwindung zu kosten, dann sprach sie weiter:

»Der Makler, der die Anstellung des jungen Reinhart vermittelte, teilte mir im Vertrauen mit, daß die ganze Geschichte eigentlich ein Werk der Liebe sei.«

Kunigunde sank erschüttert auf einen Sessel und die Erzählende fuhr erschreckt zurück. Die Geschichte fing nachgerade an, ihr bedenklich, ja unheimlich zu werden. Gerne hätte sie wieder umgelenkt, allein sie war einmal so weit gegangen, daß sie nur mehr vorwärts konnte, und so nahm sie sich zusammen und drückte die fast Vernichtete teilnehmend an ihr Herz, dann fuhr sie mit unsicherer Stimme, nach mancherlei ihre Verlegenheit verbergenden Verbrämungen also fort:

»Der Amsterdamer Kaufherr war mit seiner Tochter, einem bildschönen achtzehnjährigen Mägdlein hier in Frankfurt. Beide wohnten auf der Zeil in dem Gasthause Zur goldenen Gans, wohin Rudolf öfters zu kommen pflegte und mit der Niederländer Jungfrau bekannt ward. Diese entbrannte aber so in Liebe zu deinem Rudolf, daß sie in der Heimat in Krankheit und Trübsinn verfiel und der Vater sein geliebtes Kind nur dadurch vom Tode erretten konnte, daß er ihm versprach, den Geliebten ihm schaffen zu wollen. So ergingen denn an Rudolf verblümte Andeutungen und als dieser die vorteilhafte Sache nicht von der Hand zu weisen schien, wurden ihm endlich klare Anerbietungen gemacht.«

»Und er hat sie angenommen?« stammelte die Jungfrau. Die Base schluckte einigemale, dann stotterte sie, sich zu ernstem und gewichtigem Nicken zwingend: »Hat er.«

»Und wenn ich alles bezweifle?« sprach Kunigunde, indem sie voll ängstlicher Spannung die Redende anstierte.

Als Lügnerin dürfte die Wenkbach doch nicht dastehen.

Jetzt galt es. Sie nahm daher alle Kraft zusammen und legte ihr Gesicht in spöttische Falten.

»Tausend Reichstaler,« entgegnete sie, »die er auf Abschlag des Vermögens empfing, sind Beweises genug.«

»Das weiß Sie ganz genau?« fragte die Jungfrau immer noch zweifelnd.

»Ich habe das Geld selbst gesehen,« war die Antwort, »und bestätige dir es – hierbei sperrte sie einige Augenblicke den Mund auf und sah ängstlich an der Zimmerdecke umher – »mit einem« – sie wollte Eide sagen, konnte aber das Wort nicht herausbringen und murmelte daher, indem sie die Hand in die Höhe hob, einige unverständliche Laute.

Kunigunde, die so erschüttert war, daß sie die letzten Worte nicht mehr genau hörte, sank jetzt in den Sessel zurück und verhüllte mit beiden Händen ihr Gesicht, indem der Seelenschmerz sie zuckend hin und wieder warf. Nach einer Weile perlten heiße Tränen über ihre Wangen und sie ward ruhiger.

»Lohne seine Treulosigkeit mit Verachtung,« flüsterte ihr jetzt die Base ins Ohr, »und« – setzte sie nach einer Weile hinzu – »lasse dich wenigstens vor der Welt nicht durch seine erheuchelte Seelengröße beschämen. Um seinen Vater vom Verderben zu retten, werden die Leute sagen, opferte er seine Liebe und sie, die verblendete Jungfrau, will fest auf dem beharren, was ihrem Vater Angst, Not und Sorge macht und den rechtschaffenen Mann vor der Zeit ins Grab bringen.«

»Ja, ja,« nickte die gebeugte Jungfrau, »Sie hat recht. Traum war alles, ich bin erwacht – ich will – eine gehorsame Tochter sein.«

Die Base überlief ein kalter Schauer. Um diesen zu beseitigen und sich selbst wieder Mut einzuflößen, sprach sie daher viel von Mut und Standhaftigkeit, und wie dieses Opfer der kindlichen Liebe nicht nur allseitige Anerkennung, sondern auch den Segen des Himmels finden müßte.

Kunigunde vermochte zu allem nur schweigend zu nicken. Die Trösterin aber trieb es jetzt hinweg; denn die Metzgerwohnung lastete zu schwer auf ihr. Sie konnte sich des errungenen Sieges nicht recht freuen, der – sie fühlte es nur zu sehr – zu viel Anstrengung und zu große Opfer von ihrer Seite gekostet hatte. Um diesem erdrückenden Gefühle zu entgehen und in der Hoffnung, Erleichterung für ihre Brust zu finden, wenn sie dem Neffen die für ihn günstige Wendung der Dinge und seinen Triumph mitteilte, schloß sie daher nochmals die beinahe vernichtete Jungfrau in ihre Arme und eilte dann zur Stube hinaus.

In der anstoßenden Küche saß die Dienstmagd. Als diese die Lampe ergriff, um bei der bereits eingebrochenen Dunkelheit der Fortgehenden zu leuchten, fielen deren Blicke auf die matt erhellte Bodenstiege, und sogleich malten sich Angst und Entsetzen auf ihrem Gesichte.

Die Dienstmagd, die dies bemerkte, wollte sie durch die Versicherung beruhigen, daß das Gespenst lange nichts von sich habe hören lassen. Leise begann sie daher:

»Das Gespenst hat –«

Doch war kaum das Wort »Gespenst« ihren Lippen entwichen, als auch die Wenkbach ein panischer Schrecken ergriff. Es mochte ihr wohl so etwas von einem rächenden und strafenden Spukgeiste vorschweben, der sie jetzt auf frischer Tat zur Verantwortung ziehen könnte.

»Alle guten Geister!« unterbrach sie daher die Redende und eilte über Kopf die Treppe hinunter und zum Hause hinaus.


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