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Fünftes Kapitel.

Mit dem Bauunternehmer kam Bertram wohl noch in Berührung, aber er sprach nie mehr mit ihm über seine Liebesangelegenheit, und auch dieser stellte keine neugierigen Fragen. Dagegen machte er Lilienfelder zu seinem Vertrauten, besprach mit ihm die Angelegenheit sehr gern und nahm seine Ratschläge zur Befolgung entgegen. Karoline hatte sich nicht nur nicht über Mangel an Aufmerksamkeit zu beklagen, sondern Bertram bot alles auf, dem bisher so zurückgezogen lebenden Mädchen Anregungen und Erheiterungen zu verschaffen. Man machte Ausflüge an den Starnberger See, man besuchte die Sommerkeller besserer Art oder die Gartenrestaurationen, in denen Konzerte stattfanden. Jeden Abend genoß Karoline in des Geliebten Begleitung eine jener echt münchenerischen Vergnügungen, die ihr bisher fremd geblieben waren. Herr Lilienfelder war immer bei der Partie und zeigte sich sehr galant gegen Karoline, die ihn duldete, ohne ein besonderes Gefallen an ihm zu finden.

»Ich habe ja nichts gegen ihn«, meinte sie, »aber ich kann eben einmal die Juden nicht leiden.«

Außer mit Lilienfelder kam sie auch mit andern Freunden Bertrams in Berührung, die ihr alle sehr wohlwollend begegneten. Sie fand sich in dem Kreise der Männer bald zurecht, schwatzte lustig und lächelte errötend, aber duldsam, zu kleinen Neckereien, die nicht immer gerade fein waren. Seelenvergnügt diese im Grunde anspruchslosen, aber doch auffrischenden Freuden genießend, zeigte sie dem Geliebten die heiterste Miene und dankte ihm mit innigsten Zärtlichkeiten, ohne die Heiratsangelegenheit weiter zu berühren.

Dieser war dessen wohl zufrieden, und nur Lilienfelders stete Mahnungen veranlaßten ihn zu weiteren Maßnahmen.

Lilienfelder ließ nicht ab, seinen Einfluß geltend zu machen, und faßte ihn bei seiner vermeintlichen Manneswürde. Erst lehnte er solche Redensarten bald scherzend, bald unwirsch ab, allmählich aber gewannen sie eine gewisse Macht über ihn. Er begann sich seiner zähen Anhänglichkeit an Karoline zu schämen und es als eine Art Heldentum, als eine Kraftleistung von besonderem Werte anzusehen, wenn er es fertig brächte, die Ketten, die ihn an das Mädchen knüpften, zu zerbrechen. Zwar fühlte er sich für diese Heldenthat noch lange nicht reif, sie schien ihm noch in einem höchst unbehaglichen Lichte, aber Lilienfelder hatte recht, es schickte sich nicht für ihn, ein solcher Knecht des Unterrockes zu werden, er mußte seine freie Manneswürde wiedergewinnen. Lilienfelder hatte ein für Karoline ganz angemessenes Geschäft ausgekundschaftet, einen kleinen Laden in der Theresienstraße mit einem wohl ausgestatteten Lager von Schreibmaterialien, Cartonnagen und damit in Bezug stehenden Artikeln, wie Briefbeschwerer, Tintenzeuge und dergl. Die Lage in einem Viertel, das bessere Beamten- und Offiziersfamilien bewohnten, war günstig. Außer mehreren Schulen war die Universität in der Nähe, und in der Straße verkehrten vielfach Studenten. Das Geschäft war auch bisher von einer Dame betrieben worden.

Mit einiger Befangenheit brachte Bertram Karoline eines Tages die Nachricht, daß dasselbe um den geringen Preis von sechstausend Mark zu erwerben und dabei außer dem Laden eine freundliche Parterrewohnung, bestehend aus zwei Zimmern und einer Mägdekammer zu mieten sei. Er wünsche, daß Karoline sich an das geschäftliche Leben gewöhne und die notwendigsten Handelskenntnisse sich erwerbe. Dazu böte dieses ohne Anstrengung führbare Geschäft die beste Gelegenheit.

Das arglose Mädchen ging auf den Vorschlag freudig ein. Erkannte sie doch darin nach der Wendung Bertrams nichts anderes, als einen Vorbereitungskursus für die Verhältnisse der späteren Ehe. Geschäftig ging sie an den Umzug, nachdem sie mit ihm erst den neuen Erwerb besichtigt und unter dessen Unterstützung die mit dem Ankaufe verknüpften Abrechnungen und Übergaben besorgt hatte. Sie empfand eine Art kindischen Spaßes daran, sich als eine Ladenbesitzerin zu fühlen, und die ihr nun gehörenden Warenvorräte, die großen neuen Geschäftsbücher besah sie sich mit der naiven Neugierde, mit welcher eine junge Frau ihre Einrichtung mustert. Mit Spannung sah sie dem Augenblicke entgegen, der ihr den ersten Käufer zuführen würde. Bertram gab ihr eingehende Ratschläge und Anweisungen und führte für sie die sofort nach dem Ankaufe nötigen ersten Korrespondenzen. Wohl bereitete es ihr ein wehmütiges Gefühl, als die altvertrauten Möbel von der gewohnten Stelle genommen wurden, und die Räume, in denen sie an der Seite der Mutter so lange gelebt hatte, leerer und leerer wurden, und Bilder der Vergangenheit stiegen vor ihrem Geiste auf, die Thränen ihr ins Auge lockten. Der Abschied von dem alten Heim wurde aber dadurch wesentlich erleichtert, daß sie froh war, scheelsüchtigen Hausgenossen zu entrinnen. Als die Wohnung geräumt war, übergab Karoline die Schlüssel der Hausfrau, von der sie sich kalt verabschiedete. Ihrer neuen Wohnung zuschreitend, ging sie durch die Hildegardstraße, einer stillen Parallelstraße der Maximiliansstraße. Es war des Nachmittags um vier Uhr. Da gewahrte sie von weitem vor einem Hause eine Menschengruppe, die sich bis zu ihrer Annäherung in jäher Steigerung vermehrte. In den umgebenden Häusern sahen die Inwohner aus den Fenstern. Ein Gendarm suchte erst die wachsende Volksmenge zu zerstreuen, und begnügte sich dann, sie in Ordnung zu halten. In den sich bildenden Gruppen sah man teils leise flüsternde Schwatzhaftigkeit, teils lebhaft gestikulierende Behauptung, endlich bei den meisten eine stumme Erwartung, die den Blick mit wenig geistreichem Ausdruck nach dem ersten Stockwerke des Hauses richtete. Ein Doktorwagen kam rasch herangefahren, der demselben entsteigende ältliche Herr verschwand hastig in der Hausthür. Gleich darauf rasselte eine Droschke heran, deren Insassen, zwei höhere Offiziere und ein Lieutenant von den schweren Reitern, ebenfalls sehr schnell dem Innern des Hauses zueilten. Karoline war an die Menge herangetreten, und nachdem die Ersten, die sie fragte, die geistreiche Antwort gegeben hatten, daß sie selbst nicht wüßten, um was es sich handle, erfuhr sie nach weiterer Frage, der Lieutenant Graf Etterschlag, der da wohne, habe sich soeben erschossen.

Karoline war betroffen. »Die arme Rieder!« dachte sie mit gutmütigem Mitleid. Allmählich verlief sich die Menge, nachdem man sich überzeugt hatte, daß die Neugierde keine weitere Befriedigung erfahren würde. Da hörte man plötzlich laute Ausrufe. Eine Anzahl Leute umringten einen jungen Mann, der, schreckensbleich und mit Thränen kämpfend, erklärte, er sei bestohlen. Es war der Commis eines Wechselgeschäfts, der eine in Couvert befindliche Summe von 600 Mark einem Kunden hatte bringen sollen. Das Couvert hatte er in die Außentasche seines jaquettartigen Rockes gesteckt und war unter der neugierigen Menschenmenge, selber neugierig, stehen geblieben. Zwar meinten einige Männer: »Wie kann man nur so leichtsinnig sein!« »Der hat Anlagen zum Geschäftsmann!« »Das Bürschchen kann sich freuen!« Es fanden sich aber auch gemütvollere Seelen, welche die Straße vergebens absuchten, ob der Geldbrief nicht etwa zu Boden gefallen sei und den verzweifelten jungen Mann, der einen jammervollen Anblick bot, zu trösten suchten, bis er wankenden Schrittes, aber eilfertig davonstürzte.

Am Abend desselben Tages befand sich Karoline mit Bertram und dessen gewohntem Freundeskreise, darunter auch Lilienfelder, im Café Victoria am Ende der Maximiliansstraße bei dem Konzerte einer Tirolersängergesellschaft. Man sprach endlich auch von dem Selbstmorde des Grafen Etterschlag, der, wie indessen bekannt geworden war, in einer Ehrenschuld, die der Graf nicht einlösen konnte, seine Ursache hatte. Dabei war auch von seiner Geliebten die Rede.

»Du kennst sie ja!« sagte Bertram zu Karoline.

»Sie hat neben mir gewohnt, und ich habe sie gesehen; das ist die ganze Bekanntschaft«, erwiderte diese etwas gereizt, als sei sie ärgerlich über Bertrams Bemerkung.

»Ich bin in diese Etterschlagsche Geschichte auf ganz merkwürdige Weise verwickelt«, sagte jetzt Lilienfelder. »Ich hatte einen jungen Mann mit einem Geldbrief in die Stadt geschickt. Der Bursche stellte sich vor das Haus – –«

»Ach Gott!« fiel Karoline dazwischen. »Das war ein Commis von Ihnen? Ich kam vorbei und sah sein Jammern! Was haben Sie mit dem Ärmsten gemacht?«

»Entlassen habe ich ihn auf der Stelle!«

»Der arme junge Mann!« sagte Karoline mitleidsvoll. Die Anwesenden aber gaben dem Banquier recht, daß er einen so unzuverlässigen Menschen davongejagt habe, und knüpften daran abfällige Bemerkungen über die derzeitige kaufmännische Jugend.

»Glücklicherweise habe ich keinen besonderen Schaden davon!« erzählte Lilienfelder weiter. »Der Bruder des jungen Mannes, der bei der Hypotheken- und Wechselbank angestellt ist, ist sofort bei mir erschienen, hat zweihundert Mark bar auf den Tisch gezählt und will das übrige monatweise abzahlen.«

Karoline besann sich bei diesen Worten darauf, daß Herr Nöttle einen Bruder habe, der Commis sei.

»Wie heißt der junge Mann?« fragte sie.

»Nöttle!« war die etwas verwunderte Antwort.

»Ach!« sagte sie. »Diesen Bruder, der für ihn zahlte, kenne ich. Er ist der Mann meiner – – einer – – sehr guten Bekannten von mir. Die Leute leben in bescheidenen Verhältnissen. Es wird sie schwer treffen.

»Was kann ich dafür, liebes Fräulein!« erwiderte Lilienfelder. »Ich habe auch kein Geld zu verschenken. Bin übrigens kein Barbar, und wenn der Mann nicht pünktlich ist mit seinen Raten, drücke ich auch ein oder das andere Mal ein Auge zu.«

»Ist das etwa jene Freundin, welche – –« fragte Bertram Karoline leise.

»Ja!« erwiderte diese.

»Nun, dann hast Du keinen Grund zu vielem Bedauern«, meinte er.

Bei dem lustigen Jodeln der Tiroler, in dem buntbewegten Treiben des dichtbesetzten, hell erleuchteten Gartens konnte Karoline nicht mehr recht froh werden. Sie dachte an die Freundin und deren Kummer. Es regte sich der Wunsch in ihr, Hülfe schaffen zu können. Sie hatte ja Geld. Mußte es auch, wie Bertram sagte, vorsichtig zusammengehalten werden, um dem neuen Geschäft Aufschwung geben zu können, auf einige hundert Mark mehr oder weniger wäre es nicht angekommen. Aber Herr Nöttle, dessen war sie sicher, würde von ihr kein Geld angenommen haben, konnte es ja auch nicht wohl. Ihr kam der Gedanke, mit Lilienfelder die Sache geheim abzumachen. Aber dieser war zu eng befreundet mit Bertram, er würde das Geheimnis nicht gewahrt haben. Indessen gab ihr das neue Geschäft in den nächsten Tagen so viel zu thun, daß das Schicksal der Freundin in den Hintergrund trat, um so mehr, als sie keinen Weg fand, dieser zu helfen. Die Kundschaft der früheren Besitzerin blieb dem Geschäfte treu, und mit kindischer Freude zählte Karoline schon am ersten Tage dreißig Kunden mit einer Tageseinnahme von fünfzehn Mark und etlichen Pfennigen. Es waren meist Schulkinder, doch auch einige Studenten und ältere Leute darunter.

Die an den Laden anstoßenden kleinen Wohnräume hatte sie mit dem ererbten Hausrat recht gefällig einrichten können. Die gute Stube nahm sich recht vorteilhaft aus, da sie nicht so groß war, wie die in der Klenzestraße, und so sich leichter füllen ließ. Bertram hatte ihr zu deren Verschönerung einen kleinen Blumentisch mit einem Goldfischglase geschenkt, das erste Geschenk, das sie überhaupt von ihm erhalten hatte. In der Schlafstube war über dem Bette ein Baldachin von blumig gemustertem Stoffe errichtet worden, und für den Waschtisch hatte sie schönes Geschirr von himmelblauem Glase mit Goldrändern gekauft. Küche führte sie nicht. Eine ältliche Aufwartefrau besorgte die Reinigung der Wohnung und holte auch das Mittagessen in einem wenige Schritte entfernten Gasthause. Den Kaffee machte sie sich selbst in einer Wiener Maschine, und des Abends ging sie mit Bertram aus, der tagsüber sehr selten, aber um acht Uhr, um welche Zeit das Geschäft geschlossen wurde, alltäglich kam. Man verblieb noch ein halbes Stündchen, wohl auch eine Stunde in der guten Stube, ehe man an einen Vergnügungsplatz oder in ein besseres Gasthaus ging. Gegen zwölf Uhr begleitete sie der Geliebte nach Hause, und nicht immer nahm er an der Thür Abschied. Seine Wohnung betrat sie nie mehr. Bertram hatte seine Freude an dem Eifer, mit dem sie sich dem Geschäfte widmete, das oft den Stoff eingehender Unterhaltungen am Abend bildete. Er war zu sehr Kaufmann, als daß der neue Vorzug, den Karoline entwickelte, ihn nicht ganz besonders hätte bestechen sollen. Lilienfelder, dem er freudig davon Mitteilung machte, mußte sich eine barsche Zurückweisung gefallen lassen, als er das alte Thema von der Notwendigkeit einer Trennung anregte. Aber dieser ließ sich dadurch nicht abhalten, immer wieder darauf zurückzukommen und den Freund zu mahnen, seiner Schwachheit Herr zu werden, ehe es zu spät sei. Bertram wurde durch diesen Widerstreit der eigenen Neigung und der Einflüsterungen des Freundes, die ihn immer wieder bestachen, mißgelaunt, verstimmt. Karoline bemerkte dies bald und stellte ihn sanft zur Rede. Es war am Abend auf dem Wege nach einem Sommerkeller. Die beiden gingen durch die Maximiliansstraße, die bunt belebt war von lustwandelnden Gestalten in lichten, freundlich das Auge erfrischenden Sommerkleidern von allerlei Gestalt und Farbe. Bertram, der Karolinens Frage nicht zu beantworten wußte, sagte, während er ihre Gestalt mit prüfendem Blicke streifte: »Deine schwarzen Kleider verstimmen einen mitten in dieser Buntfarbigkeit. Schwarz steht Dir auch gar nicht besonders!«

»Nimm mir's nicht übel!« sagte er, als Karoline eine Weile schwieg, »'s ist ja nicht zu ändern, und es fiel mir auch nur eben ein!«

Karoline aber versetzte: »Warum hast Du mir das nicht früher gesagt? Ich will Dir nicht mißfallen.«

»Aber, so war's ja nicht gemeint!« entgegnete er.

»Laß nur, mein Schatz«, fuhr sie fort, »Du bist im Rechte! Ich habe nur Dich, und Dir soll ich, will ich gefallen! Was ist es denn auch mit dieser äußerlichen Trauer? Zu meinen Bekannten, in mein altes Viertel komme ich nicht mehr; wo ich jetzt wohne, kümmert sich niemand um mich, kennt mich niemand. Meine tote Mutter habe ich deshalb nicht mehr und nicht weniger lieb im Gedächtnisse, ob ich schwarze oder helle Kleider trage. Ich werde – –«

»Du wolltest wirklich?« rief Bertram erfreut. Er hatte zwar die schwarze Kleidung nur als Vorwand einer Antwort benutzt, sie war ihm aber schon länger unangenehm gewesen, ohne daß er es hatte sagen wollen, weil er in seiner jetzigen Stimmung eine förmliche Furcht empfand, Karoline zu kränken, als könnte sie in seiner Seele lesen und die Kränkung als schnöde Absicht deuten. Er empfand eine aufrichtige Freude darüber, daß sie so leicht auf die Änderung einging. Die schwarzen Kleider standen ihr wirklich nicht vorteilhaft. Sie gaben ihrem Teint ein unreines, graues Gepräge und ließen den Mangel an Jugendfrische in dem sonst schönen Gesicht zu sehr hervortreten. Daher war es auch gekommen, daß die Freunde bei der Bekanntschaft Karolinens nicht jene Bewunderung gezeigt hatten, die Bertram erwartet hatte.

»Ich werde künftig helle Kleider tragen!« sagte Karoline, ihn mit verliebtem Lächeln ansehend.

»O, dann erlaubst Du mir, daß ich Dir ein schönes Kleid kaufe. Ich verstehe ja nichts davon, aber Du sollst es auswählen«; rief Bertram.

»Ich werde mir das selbst besorgen.«

»Aber – – –«

»Rede mir nicht mehr davon. Ich will nicht, daß Du mir derartige Geschenke giebst – – –«

»Das ist doch sonderbar. Warum denn nicht?«

»Weil – – – weil – – – nun, weil ich dessen nicht bedarf.«

»Nicht bedarf! Eine Aufmerksamkeit – – –«

»Laß gut sein, mein Lieber. Ich will es einmal nicht.«

Damit hatte das Gespräch ein Ende.

Des andern Tages aber befestigte Karoline an das Auslagefenster ihres Ladens einen Zettel, laut welchem das Geschäft von zwölf bis zwei Uhr geschlossen war. Sie ging mit wohlausgestatteter Geldbörse nach der Stadt. Als am selben Abend Bertram sie abzuholen kam, trat sie ihm in einem Sommerkleide von lichtem Stoffe mit buntem Muster, modisch, ohne auffallend zu sein, entgegen. Ihr schlanker Wuchs, die Schönheit ihrer Formen traten in dieser gefälligen Gewandung viel vorteilhafter hervor. Bertram war entzückt. Er gewahrte auch, daß sie ihr Gesicht leicht mit rosigem Puder bestäubt hatte. Seine Schmeicheleien und Zärtlichkeiten nahm sie mit lächelnder Freude entgegen, ihm versichernd, daß sie ein noch viel schöneres Kleid bestellt habe.

»Du sollst Freude an mir haben!« sagte sie, sich sanft aus seiner Umarmung windend, mit einem verheißenden Blicke. Bei einer koketten Wendung, mit der sie einer erneuerten Bewegung seiner Arme auswich, gewahrte er einen reich gestickten Unterrock, der leise knisterte, zierliche Lackschuhe mit großen Metallschnallen und schwarze Strümpfe mit himmelblauen Zieraten. Er war nicht der Mann, der ein besonders feines Auge für Toilettenkünste hatte, aber der Gegensatz zu der bisherigen wohlanständigen, jedoch bürgerlich schlichten Kleidungsweise Karolinens fiel ihm doch auf und ließ ihn denselben prickelnden Reiz empfinden, der sich verwöhnterer Naturen beim Anblicke einer raffiniert gekleideten Modedame bemächtigt. Karoline ließ ihm nicht Zeit, seine Gefühle zu äußern. Mit befriedigter Miene setzte sie vor dem Spiegel ein kleines Capothütchen mit reichem Blumenschmuck und dunkelroten Bändern auf. Es paßte allerliebst zu den blonden Haaren und dem durch den Puder frisch belebten anmutigen Gesicht, gab ihr auch zugleich ein wahrhaft vornehmes Gepräge. Bertram selbst empfand es, daß sie einer schönen jungen Frau aus den besten Ständen glich.

»Wahrhaftig, Schätzchen!« sagte er. So reizend habe ich Dich noch nie gesehen!« und er freute sich schon, die Geliebte in so vorteilhafter Veränderung den Freunden zeigen zu können.

Karoline aber strahlte von Lebenslust und Selbstbefriedigung.

»Du sollst mich nicht wieder mahnen, daß mich etwas nicht kleidet!« sagte sie neckend und legte ihren Arm in den seinen.

»Da habe ich was Gutes angerichtet!« scherzte Bertram. »Wirst am Ende gar ein Modepüppchen!«

»Dazu hat es noch lange Wege! Bin ich doch, selber noch ganz unerfahren in den Toilettekünsten. Als ich heute mittag einkaufte, mußte ich mich von den Ladenmamsellen erst belehren lassen darüber, was mich kleide und was nicht. Was habe ich bisher von Putz gewußt und wozu hätte ich mich geputzt? Jetzt aber weiß ich wohl, wozu ich's thue, und nichts übertreibend, werde ich auch nichts versäumen, Dir zu gefallen. Ahnungslos, wie ich war, hätte es mir ja begegnen können, daß um eines schwarzen Kleides willen Du meiner müde geworden wärst.«

Bertram bemerkte es wohl, daß manche Leute der schönen, jungen »Frau« an seinem Arme nachsahen, und er freute sich dessen nicht wenig. Sie aber, ihres Reizes sich bewußt, ging hoch aufgerichtet, und sich fest auf des Geliebten Arm lehnend, fing sie die Blicke der Vorübergehenden mit ruhigem Behagen auf. Als sie durch die Isaranlagen schritten, bog Bertram in einen Seitenweg ein. Die Dämmerung lagerte über der vieltürmigen Stadt, in deren Straßen und Häusern die Lichter langsam hier und dort aufzutauchen anfingen, die Isar rauschte und brauste die Kunstgefälle hinab, von fernher klang das Geräusch der Wagen, in den Büschen zwitscherten verspätete Vögel, und ein feiner Pflanzenduft mengte sich mit dem reinen Lufthauche des Abendwindes. Sie waren allein in dem gewundenen Seitenpfade. Die anderen Leute, die im regen Strome nach den Kellern wandelten, gingen auf anderen Wegen; nur, wo das Buschwerk eine Lücke ließ, sah man ihre Gestalten auftauchen. Bertram zog seinen Arm zurück, legte ihn um Karolinens Taille und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuß. Mit weiblicher Feinfühligkeit gewahrte sie in diesem Kusse eine Sprache, die ihr nicht ganz verständlich war, die aber doch noch etwas ganz anderes enthielt als die gewohnte Zärtlichkeit oder die Gluthitze aufwallender Begierde. Der Kuß sollte Worte ersetzen. Aber was für Worte? Wie damals, als sie nach jener ersten Nacht Nöttles besucht hatte, auf dem Heimwege, so empfand sie auch jetzt jenes wundersame Rauschen sehnsuchtsvoller Wollust ihren Körper durchschauern, aber die Wollust war gemischt mit höchster Bangigkeit, mit einer seltsamen Angst. Sie wandte sich dem Freunde inniger zu, er fühlte das kurze Beben ihres Busens an seiner Brust.

»Otto, Otto, nicht wahr, Du verläßt mich nicht?« kam es innig bittend mit einem flehentlichen Blicke von ihren Lippen.

»Uns trennt niemand mehr, mein Liebchen!« entgegnete Bertram mit kraftvollem Nachdrucke.

Nach einigem Suchen unter der Menge, deren vielhundertstimmiges Geplauder wie das Surren eines riesigen Ameisenhaufens in die Abendluft hinausklang, fanden sie die Freunde. Man sagte Karoline Artigkeiten, und Bertram sah wohl, daß sie ernst gemeint waren. Er war heute besonders gesprächig und guter Laune, und während er sonst bei solchen Zusammenkünften sich gerne an die Freunde hielt, die Unterhaltung der Geliebten einem andern überlassend, neckte er sich heute mit ihr und machte ihr den Hof. Die Gesellschaft trat den Heimweg gemeinsam an, und erst am Hoftheater trennte man sich. Karoline war die Einzige, die in dem nördlichen Stadtteile wohnte. Das volle Mondlicht ergoß sich über den weiten Platz vor der Feldherrnhalle, bestrahlte den Königsbau, der seine Steinmassen wuchtig entfaltete, und die Einfahrt zu den Arkaden mit ihren antiken Trophäen, trieb ein spukhaftes Spiel mit den phantastischen Türmen der Theatinerkirche und badete die langgestreckte Ludwigsstraße mit ihren Palästen in leuchtendes Silber. Am äußersten Ende ragte in greller Weiße das Siegesthor zum dunkelblauen Himmel auf. Das Paar, das den Platz überschritt, hatte anderes zu thun, als diesem zauberhaften, die Wunder des Südens nachschaffenden Städtebilde besondere Aufmerksamkeit zu. widmen. Aber der Zauber wirkte, ohne daß sie sich dessen bewußt wurden. Der Mond, dessen Strahlen stärker auf das Blut der Menschen wirken als die Gluthitze der Mittagssonne, ließ in ihren Adern ein heißes Feuer sich entfalten, das sie nährten, lautlos nebeneinander über den menschenleeren Platz und die lange Straße hinab schreitend. Karoline schmiegte sieh dichter an den Geliebten, daß sein Arm die weiche Rundung des Busens spürte, und zuweilen begegneten sich die Blicke, Bertrams Brust atmete tiefer, wenn er das Lächeln der geschlossenen Lippen und den funkelnden Diamant in den weitgeöffneten Augen sah, die zu ihm aufblickten. In die Theresienstraße einbiegend, hatten sie das Haus, das Karoline bewohnte, bald erreicht. Wenige Schritte davon drückte diese den Arm des Geliebten heftiger. »Komm mit!« sagte sie halblaut in einem Tone heißer Sehnsucht, und er folgte dem Lockrufe. Ihm war es zu Mute, als habe er sie neu gewonnen, einer Gefahr entrissen und müßte sie festhalten mit der Begierde, mit der man gerettete Kostbarkeit, aufatmend, daß die Gefahr vorüber, an sich zieht. Sein Blut raste, und seine Seele atmete, befreit von einer schweren Last, in entzückter Freude auf. Von ihm aus aber wob sich im Wechselspiele der Seelen in Karolinens Gemüt die traumhafte Ahnung einer überstandenen Not, und die nachwirkende Bangigkeit beflügelte ihre Leidenschaft. In der Glut ihrer Küsse, in den wilden Umklammerungen ihrer Arme, in trunkenem Liebesstammeln und in dem fessellosen Taumel aller Lebensgeister, die sie in sich barg, offenbarte sie dem Geliebten, wie teuer ihr sein Besitz war und zugleich, aus welchen Zauber er verzichtete, wenn er von ihr ließe. Aber es war nicht bloß der Rausch einer heißen Liebesnacht, der Bertram wieder fester an Karoline zwang. Die Stimmung blieb eine nachhaltige. Was wußte dieser Lilienfelder, der ihm immer die Freude vergällte mit seinen Warnungen, immer die alte Junggesellenfurcht vor dem Weiberjoche in ihm wachrief, davon, wodurch, warum Karoline ihm so lieb, so teuer war? Eben durch das, was er wahrscheinlich ebensowenig kannte, wie er es früher gekannt hatte, durch die Tiefe und Echtheit der Empfindung, mit der sie ihm Liebe, wirkliche Liebe an Stelle leichtfertiger Verliebtheit bot. Eine so oberflächliche Natur, wie er, konnte auch solche Vorzüge zeitweilig vergessen, und dann war es leicht, Einflüsse, wie die Lilienfelders geltend zu machen. Ein äußerer Anstoß, der dienlich war, der Leidenschaft neue Nahrung zu geben, hatte ihn auch dazu gebracht, sich jener edleren Reize der Geliebten wieder zu erinnern. Der Wandel in Karolinens äußerer Erscheinung aus den sie ältermachenden, düsteren Trauerkleidern in die reizvolle modische Sommertoilette war ein ziemlich kräftiger, das sinnliche Behagen an ihrer Schönheit lebhaft erweckender Anstoß. Bertram überblickte sein Leben, das sich ziemlich glimpflich, abgewickelt hatte, ohne besondere Kampfe, aber auch ohne tiefere Freuden. Er sah in die Zukunft, eine Zukunft ohne Karoline, und gelangte zu dem Endergebnisse, daß ein Dasein, das in guten Wirtstafeln, heiterer Kneipgesellschaft und dem gelegentlichen Spiele mit leichtfertigen Dirnen gipfelte, doch nichts bot, was die eigenartige Beglückung durch ein mit ganzer Seele sich hingebendes Weib ersetzen konnte. Bei aller Seichtheit der Empfindung sprachen die reiferen Jahre ein kräftiges Wort, und es kam ihm die Ahnung, daß in nicht gar zu langer Zeit der Augenblick kommen könnte, in dem er einem solchen Schatze sehnsüchtig nachtrauern würde. Lilienfelder bemerkte den Umschlag der Stimmung wohl, begnügte sich aber mit einem gelegentlichen spöttischen Lächeln oder einem hingeworfenen ironischen Worte.

Caroline fuhr fort, ihr Äußeres mit größter Sorgfalt zu pflegen. Auch im Geschäfte war sie niedlich gekleidet, elegant frisiert, mit gepudertem Gesichte. Bald wurde der Laden mit seiner schönen Besitzerin im Viertel bekannt. Studenten und Offiziere kauften dort gerne ein und sagten der Inhaberin Artiges, das mit zwangloser Heiterkeit angenommen wurde; der eine oder der andere hielt sich wohl auch etliche Minuten plaudernd auf, und nie fehlte ein Sträußchen an ihrem Busen, das ihr von einem galanten Kunden geschenkt war. Sie ahnte nicht, daß die Umwandlung, die sie in ihrem Äußeren vollzogen hatte im Vereine mit Manieren, wie sie ihr unwillkürlich in dem Wirtshausverkehre mit Bertrams Freunden zu eigen geworden waren, ihr ein Gepräge gaben, das sie in ein zweideutiges Licht setzte. Ihr Blick, das Lächeln des gepuderten Gesichtes, ihre Bewegungen, sie zeigten jene bedenkliche Mischung einer Zurückhaltung, an die man nicht recht glaubte, mit einem verräterisch dazwischen hervorblitzenden lockenden Feuer, das die Kunden sofort auffingen und in ihrem Sinne auslegten. Sie wollte nur anmutig und freundlich sein; aber jene Geheimzeichen, die sich bei jedem weiblichen Wesen auch gegen dessen Willen offenbaren und dem Kenner sofort zeigen, ob er es mit einem Mädchen, mit einer jungen Frau oder einer Dame in fragwürdigen Verhältnissen zu thun hat, sie traten zu Tage, sobald der Ernst der Trauerkleidung in Wegfall kam. Sie hatte das sichere Selbstgefühl, den freien Blick der Frau; aber jene unnahbare Würde, welche nur mit dem Bewußtsein der von der Gesellschaft geheiligten Frauenrechte sich geltend machen kann, fehlte ihr. Hier und da wagte einer der Kunden einmal ein freieres Wort, und ihre dem Ungeschicke entspringende lächelnde Duldung fand eine andere Auslegung. Im Hause selbst begegnete sie Blicken der Dienstmädchen, die ihr unbequem waren, ihre Aufwartefrau schlug einen Ton an, der bei ihr offenbar eine Neigung zu schlüpfrigen Vertraulichkeiten voraussetzte. Die Alte glaubte durch die bedenklichsten Unterhaltungsstoffe das »Fräulein« zu ergötzen und sich dadurch in Gunst zu setzen. Allmählich wurden ihr diese Dinge unbehaglich. Die ängstliche Frage: »Für was hält man mich?« kam ihr öfter in den Sinn, und jenes Fräuleins Rieder gedenkend, erschrak sie über die Befürchtung, sie trage ähnliche Anzeichen an sich, wie sie ihr bei jener ausgefallen waren. Der Aufwartefrau verbot sie mit strengen Worten ihre lockeren Redensarten. Sie sah die heitere Miene nicht, mit der diese Verwarnung hingenommen wurde. Endlich fragte sie Bertram in ernster Besorgnis, ob an ihr denn etwas Auffälliges, allzu Freies wahrnehmbar sei, daß die Einkäufe machenden Herren sich so sonderbar lächelnd und Blicke werfend benähmen. Dieser lachte und meinte: »Ei natürlich! Nicht in jedem Geschäft giebt es eine so schöne Verkäuferin, wie in dem Deinen, und daß da mancher nicht bloß der Ware, sondern auch der Verkäuferin wegen kommt, ist wohl natürlich! Du kommst dabei auf Deine Rechnung, und im weiteren brauchst Du Dich doch nicht darüber zu ärgern, daß man Dich nicht für eine Nonne hält! Mich freut es, daß mein Geschmack von andern gebilligt wird.«

Er konnte es nicht unterlassen, Lilienfelder zu erzählen, wie dem »Prachtweibchen« vor der eigenen Schönheit bange geworden sei.

»Ist das nicht reizend von dem lieben Ding?« fragte er.

Lilienfelder lächelte höhnisch und sagte dann: »Natürlich, was könnte an Ihrer Geliebten nicht reizend sein? Sie hat Sie ja endlich ganz und gar unter ihr süßes Pantöffelchen gebracht. Wenn ich jetzt auch sagte, was Ihnen da als köstliche Naivetät erscheint, dünke mir die feinste weibliche Schlauheit, so würden Sie mich höchstens beschuldigen, ich hätte einen wilden Haß gegen die Dame, obwohl ich wüßte, weshalb!«

»Allerdings hassen Sie nicht gerade Karoline,« erwiderte Bertram, »aber Sie haben eine sichtliche Abneigung gegen anständige Verhältnisse.«

»Da haben Sie in gewissem Sinne nicht unrecht!« lautete die Antwort. »Diese sogenannten »anständigen« Verhältnisse sind eben die gefährlichsten. Irgend einem kleinen Mädchen, das besondere Ansprüche darauf macht, als »anständiges Verhältnis« zu gelten, fällt es nicht bei, Netze auszulegen, in denen sich ein Mann unentrinnbar fängt. Sie versucht möglichst viel aus dem Portemonnaie des Liebhabers zu ziehen, wenn er Gimpel genug dazu ist, und damit basta. Zur rechten Zeit sie loszuwerden, kostet wenig Mühe.«

»Und sie gewonnen zu haben, ist auch nicht der Mühe wert!« versetzte Bertram. Im Lause der Jahre bekommt man derartige Scherze gründlich satt!«

»Das sagen Sie in Ihrer jetzigen Stimmung. Ich bin anderer Ansicht. Es handelt sich denn um eine gute Partie. Weil aber eben die Dame, von der wir reden, keine gute Partie für Sie ist, thut's mir leid zu sehen, wie Sie sich immer fester verstricken, beim ich sehe das Ende voraus.«

»Sie halten eben das treffliche, herzensgute Mädchen, das vom Leben keine Ahnung bisher gehabt hat, für eine raffinierte Kokette!«

»Das nicht! Ich halte sie nur für sehr klug und würde ihr recht geben, wäre ich ihr Freund und nicht der ihres Geliebten. Sie handelt geschickt in ihrem Interesse, das Verhältnis immer fester zu fügen. Erst, da sie merkt, daß Ihre Neigung sich etwas abkühlt, legt sie die Trauerkleidung ab und verwandelt sich mit gutem Anstande in eine zierliche Modedame, die Öl in die etwas schwächer gewordene Glut gießt. Dann reizt sie durch die Erzählung harmloser Courmachereien Ihre Eifersucht. Bald wird sie eine Steigerung eintreten lassen und diese Eifersucht schüren durch etwas kräftigere Schilderungen von den Versuchungen, die ihre Treue erleidet, weiter wird irgend einer von den Courmachern herausgeholt, den gefährlichen Nebenbuhler zu spielen etc. etc. Das ist noch nicht raffinierte Koketterie, das ist weibliche Klugheit, welche mich die Unerfahrendste schnell lernt, 's ist die alte Geschichte, der klügste Mann wird sogar von einem jüngeren Dingelchen, als Ihre Geliebte ist, in deren Jahren ein Weib recht wohl zu berechnen weiß, an schlauer Überlegung übertroffen, und gerade solche Leute, wie Sie, die in höheren Jahren sich 's mit der Liebe bequem machen, aber doch nicht gebunden sein möchten, das sind die besten Opfer.«

»Und wenn ich »Opfer« sein wollte, wenn ich es satt hätte, so frei, aber auch so einsam zu leben, und froh wäre, einmal ein mir anhängliches Wesen zu haben – –«

»Dann dürfen Sie sich auch nicht beklagen, wenn diese Anhänglichkeit binnen Jahr und Tag Ihnen so lästig wird, wie etwa ein Winterüberzieher im Juli. Aber darum handelt es sich auch gar nicht. Sie machen sich diese sentimentalen Gemütsbedürfnisse selber vor, weil die Reize der schönen Dame Ihnen noch immer zu sehr gefallen, um sich davon losreißen zu können, und diese Schwäche, die mit dem Gemüte nicht soviel zu thun hat, als Sie sieh selbst vortäuschen, ist die Schlinge, die sich immer enger um Sie legt. Wären Sie nicht neuerdings wieder so toll verliebt, so würde gerade die Klugheit Fräulein Karolinens sie selber klug machen können. Sie sitzt in einem hübschen Geschäfte, hat Courmacher genug, aus deren Zahl sich leicht ein Ersatzmann für Sie finden wird, so daß nicht einmal von einem besonderen Schmerze die Rede ist den Sie ihr bereiten. Sie aber haben die Handhabe, den Eifersüchtigen zu spielen und das Verhältnis in einer Form zu lösen, daß die Schuld des Bruches nicht einmal auf Ihrer Seite liegt.«

»Wahrhaftig, Lilienfelder!« sagte jetzt Bertram. »Ich bin auch kein Heiliger, aber, was Sie mir da sagen, das heißt denn doch an einem Mädel niederträchtig handeln!«

Lilienfelder zuckte die Achseln, und das Gespräch war beendet. Bertram hatte neuerdings die Bestätigung einer schon längst gehegten Ansicht gewonnen, daß Lilienfelder, sonst ein ganz umgänglicher Junge, im Punkte der Liebe nichts weiter war als einer jener gefühlsstumpfen Cyniker, wie sie die Großstadt zu Hunderten erzieht und ernährt. Mit Beschämung gestand er sich ein, daß er früher nicht besser gewesen war.

Karoline war durch die scherzende und schmeichlerische Antwort, welche sie von Bertram auf ihre Frage, was an ihr Auffälliges, Herausforderndes sei, erhalten hatte, beruhigt worden. Sie gewöhnte sich an die kleinen Huldigungen ihrer Kunden und bemerkte es nicht ungern, daß mancher deutlich erkennen ließ, er mache nur zum Vorwand einen geringfügigen Einkauf, um mit der schönen Ladenbesitzerin einige Worte wechseln zu können. Davon hatte sie keine Ahnung, daß der rege Verkehr junger Herren in ihrem Geschäfte, die Art und Weise, wie diese, vor dem kleinen Auslagefenster stehen bleibend, durch die Scheiben mit ihr liebäugelten, sehr scharf beobachtet und in einer Weise besprochen wurde, über die sie sich entsetzt haben würde. Der Dienstbotenklatsch hatte sich ihrer bemächtigt und die gegebenen Anhaltspunkte zur verwegensten Sagenbildung ausgebeutet. Vor allem war es die alte Aufwartefrau, die, geärgert darüber, daß ihre Gebieterin »so scheinheilig thue,« den Mägden des Hauses und der Nachbarschaft geeigneten Stoff lieferte. Sie hatte Gelegenheit genug wahrzunehmen, daß Karoline nicht nur äußerlich in ihrer Kleidung sehr elegant war, sondern sich auch in den intimeren Teilen ihrer Toilette eine große Zierlichkeit ungeeignet hatte. Sie trug Strümpfe in den modernsten Farben, mit den reizendsten Blumenmustern, ihre Wäsche war reich gestickt, mit Spitzchen und farbigen Schleifchen besetzt, und von einer Art des Schnitts, die von der hausbackenen Gewohnheit der Bürgersfrauen wesentlich abwich. Die Alte und die Mägde, deren Damen meist dem bescheidenen Beamtenstande angehörten, waren einig, daß ein solcher Luxus in vertraulichen Toilettegegenständen seine besondere Bedeutung habe, und da man einig darüber war, daß das »feste Verhältnis« Karolinens, ein simpler Handelsagent, nicht so anspruchsvoll und verwöhnt sein dürfte, um solchen Aufwand von Koketterie zu begehren, so schloß man kurzweg, daß das »Fräulein« es mit der Treue eben nicht allzu genau nehme, und des weiteren entwickelte sich der Schluß, daß der Handel mit Briefpapier und Stahlfedern nur ein Aushängeschild für ganz andere Zwecke sei. Die Flur- und Straßengespräche der Dienstboten fanden auch hier und dort ihren Weg in die Stuben der Herrschaften. Vor allem war dies der Fall bei der Regierungsrätin von Steinhagen, die den von Karoline durch den Flur getrennten Teil des Erdgeschosses bewohnte.

Die Regierungsrätin war eine allerliebste kleine junge Frau, voll, zierlich, etwas kokett in ihren Bewegungen, mit feurigen, dunklen Augen in dem zart geschnittenen brünetten Gesichtchen, über welchem ein dichtes Geringel schwarzer Löckchen die Stirn verdeckte. Der Flurklatsch hatte auch über sie allerlei zu reden. Mit ihrem Herrn Gemahl, einem trotz seiner Jugend immer etwas gebeugt einhergehenden, bebrillten Herrn mit schlichtem blonden Haar und blondem Vollbart, lebte sie nicht im besten Einvernehmen, obwohl die Ehe, die mit einem jetzt drei Jahre alten Töchterchen gesegnet war, wenigstens von der Seite des Regierungsrates auf einer Herzensneigung beruhte. Frau von Steinhagen war nicht nur sehr vergnügungs- und putzsüchtig, wodurch allerlei Schwierigkeiten mit ungeduldigen Geschäftsleuten entstanden, sondern der Herr Gemahl war auch sehr eifersüchtig, und zwar, wie man behauptete, nicht ohne Grund. Das Dienstmädchen schwieg sich zwar über diesen Punkt völlig aus, deutete aber mit stummen Gebärden eben genug an, um den Mutmaßungen freies Spiel zu lassen.

Karoline sah die Dame oft in zufälliger Begegnung. Die Aufwartefrau hatte ihr von den wirklichen und angeblichen Verhältnissen gelegentlich erzählt und sie hatte sich darüber ihre besonderen Gedanken gemacht. Eine tiefe Entrüstung war es, was sie gegen die Dame empfand, indem sie sich mit ihr verglich. Sie nannte sich selber eine Sünderin, wußte sich ausgeschieden von dem Kreise ehrbarer Frauen, ließ jene beschämende, lächelnde Duldung der Männer über sich ergehen, hatte nur Angst, mit solchen Geschöpfen gleichgestellt zu werden, die tiefer in der Sünde gesunken waren, als sie, die ihr Gemüt vergiftet, verkauft hatten, und lebte nur in der einen Hoffnung, daß Bertram im Laufe der Zeit doch einmal ihre Sünde tilgen werde durch die Ehe. Jene aber, die den ehrlichen Namen einer Frau, nach dem sie sich so heiß sehnte, trug und mit dessen Hülfe in der ehrbaren Gesellschaft ihren Platz einnehmen und dabei doch die Liebe des Mannes genießen durfte, betrog die Gesellschaft, begnügte sich nicht mit rechtlichem Genusse und sündigte, mit Füßen tretend, was ihr als Gegenstand höchster Sehnsucht galt.

Eines Tages trat die Regierungsrätin in den Laden und begehrte einen Carton moderner Briefbogen. Während sie ihre Wahl unter den vorgelegten Sorten traf, sah sie, so schien es dieser wenigstens, mehrmals auf Karoline. Endlich hatte sie Passendes gefunden. Während sie aus dem Portemonnaie von Krokodilleder das Geld mühsam mit den hellbeschuhten Fingern langte, fragte sie: »Machen Sie gute Geschäfte, Fräulein? Sie sind doch Fräulein, oder …?«

»Ich bin unverheiratet«, erwiderte Karoline. »Das Geschäft geht gut, gnädige Frau.«

»Ja, Ja! Eine hübsche Verkäuferin zieht die Kunden an«, scherzte jene. »Ich habe schon gehört, daß die jungen Herren in unserm Viertel viel fleißiger schreiben, seit Sie das Geschäft haben.«

Karoline lächelte.

»Guten Tag, Fräulein! Auf Wiedersehen!« sagte die Regierungsrätin dann und nickte ihr, die Hand an der Thürklinke, nochmals vertraulich lächelnd, mit dem lieblichen Köpfchen zu.

Des andern Tages kam sie wieder mit dem Bemerken, sie habe sich entschlossen, noch eine andere Sorte Briefpapier zu nehmen, an welcher ihr die niedlichen schwarzen Zierfigürchen so gefallen hätten. Karoline reichte ihr die begehrte Ware. Die Regierungsrätin bezahlte, blieb aber am Ladentische stehen, die dort in Glasschränkchen aufbewahrten Dinge, Gratulationskarten, Ansichten von München und dergleichen prüfend.

»Womit kann ich Ihnen noch dienen?« fragte Karoline.

Da hob die Dame das Köpfchen und sagte heiter: »Wohl hätte ich noch einen Wunsch, aber das ist nicht so leicht gesagt.« Dann besann sie sich eine kurze Weile, bis sie fragte: »Sie haben einen Liebhaber, Fräulein Pauer, nicht wahr?«

Karoline errötete.

»Gnädige Frau!« stammelte sie abwehrend.

»Ei, warum sollte eine so hübsche junge Dame auch keinen Liebhaber haben!« scherzte die Regierungsrätin. »Ich habe auch nur gefragt, ob Sie einen haben. Oder soll ich am Ende glauben. Sie hätten mehrere?« Dem letzten Satze ließ sie ein lustiges Gelächter folgen. »Was ginge es auch andere Leute an, wenn dem so wäre!« fuhr sie fort. »Nicht wahr? Sie sind jung, schön und dazu frei, warum sollten Sie nicht das Leben genießen?«

»Gnädige Frau wünschten noch etwas?« sagte Karoline, peinlich berührt von der sonderbaren Art der Regierungsrätin.

»Ja, ja! Das kommt schon noch!« antwortete diese. »Erst aber muß ich's aus Ihrem eigenen Munde wissen. – – Sie haben ein Verhältnis mit einem Kaufmann?«

»Ich verstehe wirklich nicht, was dies hier zu thun haben sollte, und wie gnädige Frau daran Interesse nehmen können.«

»Doch, doch! Sie lieben ihn wohl recht sehr?«

Karoline sah die Regierungsrätin verwundert an. Dann sagte sie: »Allerdings liebe ich ihn, sonst würde ich doch kein Verhältnis mit ihm unterhalten. Aber …«

»Aber? Ei, ei! Aber trotz aller Liebe lasse ich mir doch auch von anderen den Hof machen! Und wohl auch ein bißchen mehr? Ja, ja! Diese schönen blauen Augen sind keine Taubenaugen!« Bei diesen Worten drohte die Regierungsrätin scherzend mit dem. Finger. Dabei lag in dem Blick, in dem Lächeln der Dame ein Zug, der den schlüpfrigen Eindruck ihrer Worte noch erhöhte.

»Nicht wahr, meine Liebe, wir verstehen uns!« sagte sie dann, ihre Hand auf Karolinens Arm legend und sah sie, ihren Gesichtsausdruck ändernd, mit einem tiefen, von unten nach oben sich richtenden Blick ihrer funkelnden schwarzen Augen an. Sich über die Ladentheke weit vorbeugend, fuhr sie im Flüstertone fort: »Mein Mann ist furchtbar eifersüchtig, und ich glaube, er hat mein Mädchen zur Spionin bestellt! Sie müssen mir helfen! Überlassen Sie mir an einem Tage, den ich noch bestimme, nur auf ein Stündchen, von sieben bis acht Uhr des Abends, eine ihrer Stuben. Ich selber werde von der Straße in den Laden hereinkommen und etwas vor oder nach mir ein Artillerieoffizier.« Sich aus ihrer vorgebeugten Lage aufrichtend sagte sie dann lauter: »Sie wissen ja selber, was es um die Liebe ist, und werden mir diese Bitte nicht abschlagen!«

»Sie leben nicht glücklich mit Ihrem Herrn Gemahl?« fragte Karoline.

Die Regierungsrätin zuckte die Achseln und sagte in einen: wegwerfenden Tone: »Nicht glücklich! Ich habe mich nicht zu beklagen, daß ich unglücklich wäre; aber mein Mann – – – nun ja – – – 's ist eben mein Mann – – – wie die Männer einmal sind, wenn sie ein paar Jahre verheiratet sind. Und«, setzte sie mit einem koketten Lächeln hinzu, »– – er – – das heißt der andere – – er macht mir den Hof, er betet mich an, und 's ist ein so schöner, so liebenswürdiger Mann! Ich bin rasend in ihn verliebt.«

Es entstand eine Pause.

»Sie schlagen mir die Bitte doch nicht ab?« fragte die Regierungsrätin endlich.

»Sie thun großes Unrecht, gnädige Frau, und ich mochte nicht die Hand dazu bieten!« erwiderte Karoline.

Die Regierungsrätin sah erst verwundert aus, dann sagte sie mit einem heiteren Lächeln: »Aber Fräulein! Stellen Sie sich doch nicht so! Ich wäre doch nicht zu Ihnen gekommen, wenn ich nicht wüßte, mit wem ich es zu thun habe. Sie glauben mir gegenüber noch den Schein wahren zu müssen, obwohl ich selber offenherzig war. Wozu das?«

»Ich weiß nicht, was man Ihnen von mir gesagt hat!« erwiderte jetzt Karoline in leise erregtem, aber an sich haltendem Tone. »Die Wahrheit ist, daß ich ein Liebesverhältnis mit einem Manne habe, dessen Frau ich einst zu werden hoffe. Ich muß mir üble Nachrede gefallen lassen. Deshalb bin ich aber noch kein verworfenes Mädchen und denke so wenig an eine Lebensweise, die Sie bei mir erwartet zu haben scheinen, daß ich es für ein schweres Unrecht hielte, meinem Geliebten die Treue zu brechen, an den mich doch kein feierliches Versprechen bindet. Sie sind durch ein solches Versprechen gebunden, und Ihre Sünde ist ein Frevel, dessen Gehülfin zu sein ich mich schämen würde. Ich bin keine Klatschbase, und Ihr Geheimnis ist in sicheren Händen, aber eine Gelegenheitsmacherin bin ich auch nicht.«

Karoline hatte so ehrlich mit bescheidenem Ernste gesprochen, daß die Regierungsrätin in tiefe Beschämung geriet. Purpurrot im Gesichte, mit verlegen suchenden Blicken murmelte sie: »Ich – – ich – – wollte Sie ja nicht beleidigen, Fräulein. Es war nur – – eine Frage – – ich glaubte, daß Sie vielleicht – – aus Gefälligkeit – – Ein Mißverständnis – – Sie entschuldigen!«

Rasch verließ sie den Laden. Karoline aber sank auf einen Stuhl, und den Kopf in die Hand stützend, gab sie sich schmerzlichen Gedanken hin. Diese leichtfertige, mit dem kampflosen Mutwillen flatterhafter Begehrlichkeit sündigende Dame hatte in ihrem Gesuche und in den schlüpfrigen Vertraulichkeiten, mit denen sie dasselbe einleitete, ihr eine Enthüllung gemacht, die sie aufs tiefste erschütterte. Sie sah daraus die wahrhafte Antwort auf jene Frage, die Bertram mit schmeichelndem Scherze beantwortet hatte. Wie die Regierungsrätin, so hielten sie jene galanten Herren, die ihr Geschäft so einträglich machten, so hielt sie auch die Aufwartefrau mit ihrer unanständigen Schwatzhaftigkeit, so hielten sie die Hausinwohner, alle, alle für ein sittenloses, jedem zugängliches Geschöpf.

Ein jäher Schreck durchbebte sie. Mit grausamer Gewißheit stand es vor ihr, daß die Menschen wirklich nicht anders dachten, als daß ein Mädchen, das eben einmal nicht mehr zu den tugendhaften zählte, auch in, der Sünde nicht mehr allzu vorsichtig unterscheide und wo es dem einen gewährt habe, auch anderen nicht allzu spröde sich erweise. Über die strengen Tugendrichter, die unterschiedslos jeder Übertretung des Sittengesetzes das Brandmal aufdrücken, hatte sie sich nicht ohne Kampf in ihrem Gewissen hinweggesetzt. Gegen solches Urteil aber, das sie in die Gemeinschaft mit Wesen warf, von denen bei aller Sünde sich zu unterscheiden ihr ganzes Streben und Ringen gewesen war, dagegen vermochte sie nichts, dagegen hatte sie statt der Gründe nur Thränen.


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