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Die Verlobung des Dr. Hinrichsen mit Marie Kindler, die zum Osterfeste angezeigt wurde, brachte ten Holten keine besondere Überraschung. Als er seine Glückwünsche anbrachte, wurde ihm eine Einladung zu der für den Monat Juli anberaumten Hochzeit in Aussicht gestellt. Zugleich erfuhr er, daß diese am Chiemsee stattfinden sollte, wo die Familie seit langen Jahren ein Landhäuschen besaß. Der Professor hatte diesen Wunsch geltend gemacht, denn er schwärmte, wie nur irgendein Münchener, für die bäuerlichen Sitten des Hochlandes. So etwas wie eine Bauernhochzeit sollte es nach seiner Absicht werden.
»Das wird fidel!« sagte Julie zu ten Holten.
Eine ernste Nachdenklichkeit blieb bei diesem zurück. Die neue Begebenheit floß mit Riederauers Heirat und 238 mit der Verlobung der Orster zusammen zu Betrachtungen über Ereignisse, die sich als Abschlüsse einer Lebensphase und Entwicklungen zu neuen Daseinsbedingungen darstellten. Ein Gefühl des Unfertigen, im Unklaren Schwebenden kam über ihn, etwas wie Sehnsucht darnach, auch einen solchen Markstein sich an den Lebensweg zu setzen. Da mußte er wieder einmal eine Berliner Zeitung in die Hand bekommen mit einem Berichte über die Frühjahrsausstellung der dortigen Sezession. Darin waren zwei Bilder Herstalls nahezu verhimmelt und eine ganz tiefsinnige Abhandlung über die besondere »Note« in den neuen Werken dieses, aus der Grenzstadt Aachen stammenden und daher zweifellos von gallischem Esprit inspirierten, eminent bravourösen und dabei doch mit artistisch vornehmen Mitteln geradezu suggestiv auf den Beschauer wirkenden Künstlers von pikant nervöser Rasse.
»Blödsinn!« brummte ten Holten, aber in Gedanken setzte er hinzu: »So muß es gemacht werden, und so soll's auch mit mir gemacht werden!«
In München geschah nicht das Richtige für die Künstler, man hatte die Mache nicht los.
Er begann wieder seine Studienausflüge, steuerte dabei nach der seiner Eigenart gutgelegenen Umgebung von Wasserburg zu und erschien eines Tages in dem verträumten alten Innstädtchen und in dem kleinen Hause, das man ihm als die Wohnung des Malers Ruwer gewiesen hatte. Er fand einen schon äußerlich veränderten Mann vor. Haar und Bart waren nicht gerade verwildert, aber er trug beides viel länger als früher, das Gesicht war hager geworden, und ein Augenpaar von ganz neuem, heißem Ausdrucke leuchtete aus dem 239 haarumwallten Kopfe hervor. Zwar legte sich bei der Begrüßung ten Holtens ein Lächeln auf die Lippen, aber die kindliche Heiterkeit, die so bezeichnend für die Wirkung seiner ganzen Erscheinung gewesen war, sprach nicht mehr liebenswürdig anziehend aus diesem Manne, der die deutliche Prägung eines weltfernen Sonderlings an sich trug. Er wohnte in einem einfachen Hause ohne besonderen Ausdruck, als den einer leichten Freundlichkeit in dem rosafarbenen Anstrich und den hellgrünen Fensterläden, zwischen denen Blumenstöcke mit verschiedenfarbigen Hyazinthen gereiht standen. In dem schon älteren, nicht ganz kleinen Garten, dessen Buschwerk das erste Grün und weiße Blüten zeigte, war, mit einer Schmalseite an das Haus gelehnt, das Atelier aus Holz gebaut. Mit flüchtigem Blick hatte ten Holten das erfaßt, als Ruwer ihn durch den schmalen Hausgang nach dem vom Garten aus zu betretenden Atelier führte. In dessen Innerem fesselte ihn sofort ein großes Bild. Es stellte die vom Gatten vertriebene Genoveva mit ihrem Söhnchen Schmerzensreich und der Hirschkuh, mitten im Fichtenwalde, dar. Das romantische Motiv war nicht mit jener süßlichen Weichheit behandelt, mit der die alten Düsseldorfer an einen solchen Gegenstand herangetreten wären und hatte auch keinen Anklang an die Volkstümlichkeit beabsichtigende Art Thomas. Von der herben Süße der primitiven Madonnenbilder lag etwas darin, und dazu kam die Leuchtkraft der Farben, die aus dem Dunkel des Fichtenwaldes und seiner geheimnisvollen Raumwirkung die lichten Gestalten der blonden, halbentblößten Genoveva und des völlig nackten Knäbleins mit seiner Wirkung heraustreten ließ.
240 Lange stand ten Holten schweigend davor, bis er sagte: »Das ist eine große Nummer.«
Ruwer machte einige Bemerkungen über noch zu verarbeitende Einzelheiten und zeigte ihm die Untermalung einiger mittelalterlich gekleideter Kinder, die einem vor seiner Klause sitzenden Einsiedler Liebesgaben brachten.
»Meine eigenen und einige Wasserburger Eingeborene dazu,« sagte er. »Auf die Kinder kommt es jetzt hinaus mit meiner Kunst, wie sie auch meine einzigen Lebensgefährten sind. Es liegt viel im Kinde, wenn man ihm ganz nahe kommt, viel vom großen Geheimnis des Zusammenhanges zwischen Geist und Natur. Da gibt es etwas für die Kunst zu holen. Von Natur ohne Geist kann sie meiner Meinung nach nur unzulänglich leben, und will sie sich zu einseitig an den Geist halten, dann wird sie marklos, blutarm. Im Kinde ist die feine Mischung. Das Kind hat nämlich Geist, mehr als mancher Erwachsene, und zwar ist's gerade der Geist, den die Kunst braucht. In dem Kinde schlummert ein Künstler. Das verflüchtigt sich nur bei den meisten Menschen später. Künstlerschaft ist etwas Urmenschliches, sitzt von Anfang an in der Seele, und man wird nur ein wirklicher Künstler, wenn dieses Ursprüngliche möglichst rein erhalten bleibt. Jeder rechte Künstler ist so etwas wie ein primitiver Mensch.«
Er hatte ja immer einen beschaulichen Zug in seinen Gesprächen gehabt. Jetzt aber empfand ten Holten die Lehrhaftigkeit als die Art einsamer Menschen, die umständlich redselig werden, wenn sie einmal Gelegenheit finden, sich auszusprechen. Er lud ihn zu einer Flasche Wein ein und bemerkte: »Meinen Mosel habe ich 241 beibehalten. Ich bin ja auch kein Asket geworden. Das hätte keinen Zweck. Nicht wahr? Umgang habe ich gar keinen, obwohl noch andere Maler ständig hier wohnen. Ich schließe nicht mehr gerne neue Bekanntschaften. Man betupft sich ja doch nur gegenseitig an der Oberfläche, und da kommt immer Heuchelei heraus. Es geht auch so ganz gut. Das Bedürfnis nach Geselligkeit ist nur Gewohnheit. Ich langweile mich nie. Von den Kindern ganz abgesehen, tritt in der Einsamkeit uns der Reichtum der Welt viel näher als beim Wirtshausgerede. Allerlei unterhaltsame Gäste kommen da. Man sollte es nicht glauben, was einem alles einfällt, was das geistige Auge zu sehen bekommt.«
Beim Wein sprach ten Holten von den künstlerischen Dingen in München, namentlich von der bevorstehenden Eröffnung der Frühjahrsausstellungen.
Ruwer bemerkte darauf, er habe kein Werk eingesandt, und fügte hinzu: »Ich werde wohl überhaupt keine Ausstellungen mehr beschicken. Es ist das nicht die rechte Art, ein Kunstwerk zur Wirkung zu bringen. Was tut meine Genoveva in solchem Bildergedränge, in dem ein Eindruck den anderen beiseite schiebt und kein Beschauer auch nur zu kurzer Sammlung kommt?«
ten Holten sprach länger über die Notwendigkeiten des öffentlichen Lebens, die sich eben auch im Kunstbetriebe geltend machten, und flocht dabei seine Absicht, nach Berlin überzusiedeln, ein.
Ruwer erwiderte darauf: »Da gehen unsere Wege freilich weit auseinander. Berlin – wie fern das klingt!«
»Und doch,« versetzte ten Holten, »ist die Möglichkeit wohl gegeben, daß Ihre Genoveva hier oder ein anderes 242 prächtiges Werk Ihrer Hand einmal dort in der Nationalgalerie hängt und zu Kunstfreunden redet.«
»Das ist was anderes,« sagte Ruwer darauf. »Da drängt sich nicht eine neugierige Menge, wird man nicht an einen Markt erinnert und tritt die Person des Künstlers ganz in den Hintergrund. Es sind stille weihevolle Hallen, die Beschaulichkeit, Vertiefung möglich machen. Ich habe nichts gegen Museen. Bei Berlin, wissen Sie, da schwebt mir so etwas vor, nach dem, was man gehört hat, von persönlichem Hervortreten, Sichgeltendmachen, Ellbogenbewegung.«
»Und das ist's eben, was mich reizt und wozu in München nicht die ausreichende Gelegenheit ist,« erwiderte ten Holten mit einer deutlichen Lust am Widerspruch. »Ich habe ein starkes Bedürfnis, eine Stellung unter den Menschen einzunehmen, die Anerkennung meiner Kunst sozusagen persönlich in Empfang zu nehmen. Ich bin ein moderner Mensch und will auch äußerlich in die Höhe kommen, habe gar keine Neigung zu philosophischer Selbstgenügsamkeit.«
Ruwer sah ihn mit einem großen und ernsten Blick an und sagte dann: »Wie ich Sie kenne, sind Sie ein klug überlegender Mann und erhitzen sich einmal in Gedanken, erwägen aber die Tat. Sie werden nicht eines angenehmen Augenblickes wegen den Ast absägen, auf dem Sie sitzen. Ich meine, Sie werden nie den tieferen Wert Ihrer Begabung vergeuden, um einen äußeren Erfolg einzuheimsen. Mit Naturen wie mir wäre ja wohl der notwendigen Weiterentwicklung der Kunst nicht gedient. Ich wünsche Ihnen von Herzen glückliche Künstlerfahrt auf bewegtem Weltstadtmeere. Mein Schifflein schaukelt 243 auf einem See, der freilich auch nicht immer stille war, sondern sein Sturmwetter gehabt hat.«
Etwas von Ärger gegen den Mann, über den doch keine spöttische Meinung möglich war, lebte in ten Holten, als er von Ruwer geschieden war. Er konnte ihm doch nicht zumuten, seine Sinnesart zu teilen, den Weg in seine Spuren einzuschlagen. Es war da wohl etwas vorhanden, was nicht vom Alltage kam, etwas, was zur Ehrfurcht zwang. Wohin führte aber diese Abkehr vom Leben? Es war noch lange nicht ausgemacht, daß daraus bedeutsame Tiefe kommen müsse. Schnurrige Eigenbrödelei, ergrübelte Absonderlichkeit, verbohrte Manier konnte herauskommen. Er konnte ihm nichts mehr geben, dieser Ruwer, die Gegensätze wären nur immer deutlicher in Erscheinung getreten. Aber der Abschied fiel nicht ganz leicht. Man traf nicht alle Tage einen solchen Menschen, der so ganz im Reinen, treuherzig Hochgesinnten lebte. Es war etwas von Schönheit darin, die das Gemüt bewegte. Mit Riederauer war auch nicht mehr viel los. Er schwärmte jetzt von seinem Söhnchen, dessen Gewohnheiten und Kinderreden, und sprach sehr viel vom Essen, wobei zeitweilig das Wort »meine Frau« mit einem Nachdrucke in Anwendung kam, aus dem die Absicht herausklang, dieser eine etwa bestrittene Geltung zu sichern. Offenbar fand er sich mit seinen neuen Lebensbedingungen sehr gut ab. Das war ja erfreulich für ihn, für den Unbeteiligten aber verlor der Verkehr erheblich an Reiz und Gehalt. Seiner Kunst mochte es ja nicht schaden, es konnte vielmehr sein, daß sich jetzt seine weniger zersplitterte innere Lebensfülle erst recht im Schaffen auslebte.
244 Kurz vor dem in Aussicht stehenden Hochzeitsfeste am Chiemsee erhielt ten Holten von August Einhorn die Meldung seines baldigen Eintreffens mit der Familie Benthoff in München. Die vorjährige Tegernseer Sommerfrische sollte wiederholt werden. Das war ihm eine sehr erfreuliche Nachricht, und in froher Erwartung sah er schönen Tagen entgegen.
*
Das Kindlersche Landhaus lag etwas abseits vom Dorfe auf einem Wiesenhang und bot einen prächtigen Blick auf den weiten See mit den beiden Inseln, deren eine den langgestreckten Bau des neuen Schlosses Ludwigs II., die andere das altberühmte Nonnenkloster trug. Die Alpenkette schloß das im Sonnenglanz majestätisch feierlichen Gottesfrieden kündende Bild ab. Das Haus war im Landesstil mit steinernem Erdgeschoß und einem holzverschalten Oberstock, über den sich der ganzen Länge nach ein Balkon erstreckte, gebaut. Ein Balkon lag auch vor dem Giebelstübchen. An den Balkonen und an den Fenstern standen Reihen feurig roter Gebirgsnelken, die sich von dem tiefbraunen Holzwerk und den grünen Fensterläden leuchtend bunt abhoben. Die Räume waren beengt, und schon am Abend vorher aus München angekommene, in die beiden Gasthöfe des Ortes und auch in einige Privatquartiere verteilte Gäste warteten zum größeren Teile dort den Brautzug ab. ten Holten aber hatte sich mit den anderen jungen Leuten herausbegeben, das Brautpaar im Zuge zu geleiten. Durch die beiden Stuben drängte man sich mühsam, dem Paare und der Familie die Hand zu drücken. Dann stand man wartend 245 auf den schmalen Kieswegen des Gärtchens, bis endlich die Musikkapelle anmarschiert kam mit dem Hochzeitslader an der Spitze, der den von einem Rosenstrauß bekrönten weißen Stab im Takte auf und nieder senkte. Die Musik stellte sich auf und empfing das Hochzeitspaar mit einem schmetternden Tusch. Die Braut sah bildschön, wenn auch etwas blaß vor Aufregung aus. Noch hübscher war nach ten Holtens Meinung aber Julie im weißen Kleide, mit einem Kranze echter Rosen im dunklen Haar. Sie hatte keinen Grund zur Aufregung, ihre Wangen blühten, und die Augen leuchteten von Festesfreude. Der Bräutigam war in der Uniform eines Reserveleutnants der preußischen Infanterie erschienen, was sich im Bilde noch seltsamer ausnahm, als die Fräcke und Zylinderhüte der anderen Herren. Ganz ländlich ließ sich die Sache eben doch nicht machen. Aber immerhin hatte Professor Kindler für eine Inszenierung gesorgt, die das Fest von einer städtischen Hochzeit erheblich unterschied. Man marschierte den Abhang hinunter unter dem Gekrache von Böllern, die Glocken begannen zu läuten, als man das Dorf betrat, das Landvolk stand in Festtracht da und begrüßte den Zug mit Zurufen und Juchhe-Schreien. Nach der kirchlichen Handlung – Hinrichsen war Protestant, hatte aber in eine katholische Trauung gewilligt – begab sich die eigentliche Hochzeitsgesellschaft in den besten Gasthof zum Festmahle. Für die bäuerlichen Gäste war es in einer anderen großen Wirtschaft bereitet. Aber der ländliche Hochzeitslader erschien während des Mahles vor der Tafel der Städter und sagte dort den üblichen Spruch, der in neckenden Knittelreimen die Hauptpersonen kennzeichnete. So sprach er den Brautvater an: 246
»D' Maler haben d' Bauern gern,
Woll'n aber do keine Bauern wern,
Sie tuan halt Bauernschädel malen,
Weil's in der Stadt viel dafür zahlen.«
Vom Bräutigam aber hieß es:
»Der Herr Bräutigam, der is aus Preißen,
Der derf in den schönen Apfel beißen,
So a sauberes boarisches Bluat
Is für an Preißen eigentli z' guat.
Mir Bayern, mir san aber net so,
An glücklichen Ehstand wüsch mer iam do.«
Nach dem reichlichen Mahle, bei dem es trotz der bayerischen Speisenkarte nicht an Edelweinen und Sekt fehlte, begab man sich in die Bauernwirtschaft, wo schon der Tanz begonnen hatte. Die Braut und auch der Bräutigam in seiner preußischen Uniform machten gewisse Ehrentänze ab. Julie tanzte mit städtischen und ländlichen Gästen, wie sie an sie herantraten. Da klang auf einmal der Ruf nach dem »Schuhplattler«. Einige des Tanzes besonders kundige Paare traten an, und ein bekannter Meistertänzer lud Julie mit feierlich gelüftetem Hut ein. Sie trat sofort in die Reihe. Der Meistertänzer machte um sie herum seine Künste mit Händeklatschen auf Knie und Fußsohlen, und sie drehte sich auf dem Platze, daß die wehenden Röcke sie in der Gestalt eines Rades umschwebten. Die Hände hatte sie an die Hüften gestemmt, und unter den wehenden Röcken wurden die zierlichen Waden in den weißen Seidenstrümpfen, die die rosige Haut durchschimmern ließen, sichtbar. ten Holten, der bisher fleißig, auch mit den Bauernmädeln, getanzt hatte, stand im Hintergrunde als Zuschauer und wendete kein Auge von ihr. Gleich nach 247 diesem Schuhplattler holte er sie sich zu einem Walzer, und dabei widerstand er nur mühsam dem Gelüste, sie fester an sich zu drücken, als es nach dem Gesetze vornehmer Tanzweise statthaft war. Es wurde ihm im weiteren Verlaufe des Festes noch reichliche Gelegenheit, ihr in der zwanglosen Weise nahe zu kommen, die durch den ganzen Charakter des Festes mit seinem ländlichen Rahmen und der landschaftlichen Stimmung eines prächtigen Sommerabends angesichts des Sees und der Berge bedingt war. Er geriet von einer Bezauberung in die andere und erinnerte sich nicht, jeweils von einem solchen Hochgefühl der Daseinsfreude beseelt gewesen zu sein. Kurz ehe sich das Brautpaar, das nach Salzburg zu fahren beabsichtigte, verabschiedete, hatte er noch eine kurze Unterhaltung mit Hinrichsen. Dieser bemerkte dabei: »Wenn ich nicht in die katholische Trauung gewilligt hätte, wäre das Fest nicht möglich gewesen. Da hätte ich meinem Schwiegervater eine große Freude weggenommen. Die Sache kommt ihm beinahe teurer als eine elegante Hochzeit in der Stadt, denn das ganze Dorf ist ja eingeladen, und nicht wenige aus der Umgegend haben sich eingepfuscht.«
»Und deshalb –« antwortete ten Holten etwas verwundert.
»Deshalb habe ich mich nicht gerade katholisch trauen lassen,« unterbrach ihn Hinrichsen, »aber ich habe allerdings in Rechnung gezogen, daß hier die Konfession mit dem Gesamtinhalt des Heimatbewußtseins eng zusammenhängt und daß ich von meiner kleinen Frau ein schweres Opfer begehren würde, wollte ich sie bei ihrer Hochzeit ganz loslösen von diesen Gefühlen und in eine ihr fremde 248 Form drängen. In Gefühlssachen muß man die Frauen schonend behandeln. Der Frau mögen auch die Kinder zugehören in dem, was Gefühlsdinge angeht. Für Kinder ist, wie für Frauen, der Katholizismus viel reizvoller, als unsere bild- und schmucklose Lehre.«
ten Holten fiel dabei ein, daß Julie, die sich ganz nahe befand, recht katholisch aussehe in ihrem jungfräulichen Ausdruck des ganzen Wesens. Das mochte ein unsinniger Einfall sein, aber er fand Spaß daran und auch an dem sich daran knüpfenden Gedanken, daß er selber katholisch war, es also für ihn eine Beziehung zu ihr gab, die Hinrichsen nicht zu seiner Braut gehabt hatte, weshalb er zu Erwägungen hatte kommen müssen, die vielleicht doch nicht ganz einwandsfrei waren, deren aber er, ten Holten, nicht bedurft hätte.
Ganz erfüllt von einer entschiedenen Verliebtheit, aus der Zukunftsbilder hervorwuchsen, so lieblich und so leuchtend, wie der Spiegel des Chiemsees im Sonnenglanz, trat er den Düsseldorfer Freunden entgegen, als sie wenige Tage darauf in München eintrafen. Da kam ihm August Einhorn gleich nach der ersten Begrüßung mit neuen Mitteilungen über seine unselige Ehe entgegen. Die Frau, die jetzt in Köln wohnte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, sondern quälte ihn, sicherlich von der Mutter angestiftet, mit immer neuen kleinlichen Mißhelligkeiten und boshaften Ränken. Der saubere Herr Stiefvater tauchte immer wieder in Düsseldorfer Kneipen auf und machte Streiche, die für Einhorn lästige Folgen hatten. So sehr dieser an der Heimatstadt hing, wurden ihm diese Verhältnisse so unerträglich, daß er, wie auch Frau Benthoff bestätigte, in einen Zustand schwerer Nervosität 249 zu geraten drohte. Vater Einhorn war sehr kränklich geworden, leber- und nierenleidend, wie es sich aus alten Anlagen herausgebildet haben mochte. Die Ärzte gaben ihm keine lange Lebensdauer mehr. So war August zu dem Entschlusse gekommen, nach dem Ableben des Vaters, den er durch eine Trennung nicht neuerdings kränken wollte, nach Berlin überzusiedeln, wo er als Historienmaler schon gewisse Fühlung mit maßgebenden Kreisen der staatlichen Kunstpflege hatte. ten Holten brachte diesmal für des Freundes Eheleid nicht die rechte Stimmung auf. Im Gegenteil verknüpfte er diese Erfahrung mit den anderen, die er an Riederauer und an Ruwer gemacht hatte und kam nur zu dem selbstgefälligen Ergebnis, daß er das Lebensproblem von Liebe und Ehe auf bessere Weise zu lösen wissen werde. Er sah auch nicht mehr mit einer ehrfürchtigen Bewunderung auf die Benthoffsche Ehe, sondern auch da machte sich ein gehobenes Selbstgefühl geltend. Solchem Zauber sah er sich selber jetzt ganz nahe gerückt mit dem überlegenen Gefühl, daß Julie unvergleichlich schöner war als Frau Hedwig. Das Wort »Berlin« hob sich mit einem besonderen Klang aus diesen vom Freunde abschweifenden Gedankenbahnen heraus und stellte sich mit aufdringlichem Gewichte neben den Namen »Julie.«
Der Jugendfreund auch in Berlin – Riederauer und Ruwer waren verloren – es stand ihm niemand näher in München. Julie freilich war ein starker Magnet, gegen den die Anziehungskraft der Freundschaft nicht aufkam. Der alte Einhorn war noch nicht tot, der Freund noch nicht in Berlin, eilig war die Sache nicht, und man konnte noch eine Weile sich in süßer 250 Gebundenheit das Münchener Leben gefallen lassen. Und warum sollte Julie nicht als junge Frau in Berlin leben wollen? Sollten die Eltern aus ihrem Bayerntum heraus Schwierigkeiten machen? Das war doch, wenn sonst alles stimmte, nicht wahrscheinlich. Wenn sich das alles zusammenfügte, ein schönes, fröhliches Frauchen, eine angesehene gesellschaftliche Stellung in der Reichshauptstadt, dann war das Dasein auf eine Gipfelhöhe gebracht. Warum sollte das ein gar zu kühner Traum sein? Ein Unternehmen war es, zu dem Selbstvertrauen gehörte, dessen Gelingen aber doch nicht gerade ein Mirakel war. Als er die Düsseldorfer in ihrer Sommerfrische aufsuchte, trieb es ihn, Frau Benthoff Andeutungen von einem reizenden Mädchen aus bester Familie und von Zukunftsmöglichkeiten zu machen. Er tat es mit einer Miene, die sagen wollte: »Ich erlaube mir das, ich, der niederrheinische Bauernjunge. Was sagst du dazu?«
Frau Benthoff sah ihn mit tiefen, erwägenden Blicken an und sprach dann gelassen: »Sie sind ein kluger Mann, der wichtige Schritte wohl überlegt. So glaube ich Sie zu kennen.«
Als ihr dann ten Holten noch vorschwärmte von der Schönheit und der anmutigen Heiterkeit der Angebeteten, meinte sie mit einem leisen Lächeln: »Das muß ja ein Engel sein.« Dann fügte sie ernsthaft hinzu: »Aber Engelsflügel sind etwas sehr Zartes, lieber Freund, das sorgsam behandelt sein will. Ein Engel mit beschädigten Flügeln ist ärmer als ein gewöhnliches Erdenkind.«
»Sie glauben wohl, ich würde ein Rauhbein werden?« entgegnete ten Holten halb scherzend, halb empfindlich. »Wir bei mir zu Hause gehen auch nicht gröber mit den Frauen um als andere Leute.«
251 »So habe ich es ganz und gar nicht gemeint,« wehrte Frau Benthoff ab. »Von Rauheit ist keine Rede, aber offen gestanden halte ich Sie für einen Egoisten. Nehmen Sie es mir nicht übel.«
ten Holten sah sie mit listigen Augen an und erwiderte schmunzelnd: »'s ist nicht so schlimm damit bei mir. Aber wer vorwärts kommen will im Leben, braucht so ein Stückchen Egoismus.«
Frau Hedwig sah ihn wieder scharf an und bemerkte kurz: »Vorwärts werden Sie kommen. Daran habe ich nie gezweifelt.«
Im Laufe des November erhielt ten Holten die Nachricht vom Tode des alten Einhorn. In der Antwort auf sein Beileidschreiben teilte ihm August mit, daß er nach Regelung der Verlassenschaftsangelegenheiten die Übersiedelung nach Berlin bewerkstelligen werde. Er wiederholte dabei, daß er mit Unlust, durch die Verhältnisse gezwungen, an dieses Unternehmen gehe, und meinte, wenn der Freund zu dem gleichen Entschlusse käme, erhielte die Sache eine ganz andere Wendung.
ten Holten nahm eine Gelegenheit war, im Kindlerschen Kreise seinen möglichen Ortswechsel anzudeuten. Man sah ihn verwundert an, das Bedauern, das von dem einen oder anderen ausgesprochen wurde, klang aber ziemlich kühl. Nur Julie meinte in übermütigem Ton: »Sie gehen ja doch nicht nach Berlin! Es gefällt Ihnen ganz gut hier, und Sie passen auch besser hierher als zu den Gardeleutnants und zu den Damen, die es ›zu komisch‹ finden, wenn man nur einen lieben Gott und nicht einen ›lieben Jott‹ kennt oder ›Semmel‹ statt ›Brödchen‹ sagt.«
252 Frau Kindler meinte kühl: »Ich weiß zwar wenig von Berlin, aber ich glaube nicht, daß Künstler dort eine so angenehme Stellung haben wie hier.«
Da widersprach ten Holten und behauptete das Gegenteil, daß gerade dort der Künstler eine ganz andere gesellschaftliche Stellung einnehmen könne als in München.
Die Art, wie er diese Behauptung rechtfertigte, ließ Frau Kindler mit einem ironischen Lächeln antworten: »Ach so! Unsere gesellige Weise ist Ihnen zu kleinbürgerlich, Herr ten Holten.«
Zwar suchte ten Holten den üblen Eindruck, den seine unvorsichtige Rede gemacht hatte, wieder zu beseitigen. Aber es gelang ihm nicht, vielmehr spürte er eine weitere Nachwirkung, sogar bei Julie, die ihm in der nächsten Zeit viel förmlicher begegnete, als er es gewohnt war. Der Verlauf des Karnevals schaffte diese Verstimmung wieder aus der Welt, und es kam ihm vor, als fühle sich dadurch Julie von einem Zwang befreit, der eine Weile auf ihr gelegen hatte. Auf einem Ballfeste, als sie sich wieder einmal zu einer mutwillig scherzenden Unterhaltung zusammengefunden hatten, neckte sie ihn: »Ich sollte eigentlich gar nicht so lustig sein mit Ihnen, denn ich bin ja leider keine Berlinerin, also ist meine Unterhaltung doch nur von minderem Wert für Sie.«
Aus der Neckerei hörte ten Holten deutlich einen Unterton von Reizbarkeit heraus. In lebhafter Erregung erwiderte er: »Aber, Fräulein Julie, Sie werden mir doch nicht ernstlich jene Äußerung nachtragen, die ich im Hinblick auf die bayerische Empfindlichkeit allerdings besser unterlassen hätte. Man hat mich ganz mißverstanden. Ich konnte doch wahrhaftig nicht daran 253 denken, gerade einen Kreis zu kränken, dem ich so viel zu danken habe.«
»Als Rheinländer sind Sie ja Preuße, also ist Ihr Interesse für Berlin begreiflich,« entgegnete Julie, »aber deshalb brauchten Sie nicht einen verletzenden Vergleich zu ziehen. Sie reisen wohl jetzt nach dem Karneval, wenn Sie sich mit uns Münchnerinnen gründlich ausgetanzt haben?«
»Aber, Fräulein Julie, wenn Sie wüßten, wie unrecht Sie mir tun!« klagte jetzt ten Holten.
»Unrecht? Nicht, daß ich wüßte. Sie werden nicht in Abrede stellen wollen, was Sie damals gesagt haben,« entgegnete Julie hartnäckig. »Ich habe Ihnen den Schnitzer ja auch schon wieder verziehen und wollte Ihnen nur noch meine offene Meinung darüber sagen, ehe Sie uns den Rücken kehren. Hübsch war es nicht.«
ten Holten würgte mit einer nicht gerade schönen Grimasse die Silben zu einem richtig geformten Satze und sagte endlich: »Ich will ja nur unter einer Bedingung nach Berlin.«
Julie sah ihn verwundert an.
Er fuhr sogleich fort: »Wenn Sie als meine liebe kleine Frau mitkommen.« Hastig hatte er dies hervorgestoßen.
Julie senkte den Blick und erwiderte hocherrötend mit schwacher Stimme: »Herr ten Holten – das hab' ich nicht erwartet. Ich mag' Sie ja ganz gut leiden. Aber – an so was habe ich nicht gedacht.«
»Darf ich mit Ihrem Herrn Vater sprechen?« bedrängte ten Holten das Mädchen.
Sie warf einen scheuen Blick auf ihn und stammelte: »Vor soviel Leuten – kann ich doch nicht. Und gleich – 254 gleich –« Dann schlug sie die Augen auf, warf kurze Blicke nach rechts und links, sah ihn treuherzig an und meinte geheimnisvoll flüsternd: »Kommen Sie Sonntag wieder zu uns. Sie werden es dann schon merken.«
Als ten Holten vom Ballfeste nach Hause kam, war er einigermaßen verwundert über die Art, wie die Dinge, komischerweise von Julie selbst ahnungslos hervorgerufen, wirksame Gestalt angenommen hatten.
Die Übersiedlung nach Berlin, meinte er zunächst, könnte allenfalls zurückgestellt werden, wenn dagegen vielleicht Einwände gemacht würden. Bis zum Sonntag hatte er aber weiter überlegt, daraus eine grundsätzliche Frage zu machen. Im anderen Falle mochten Fesseln entstehen, die später peinlich drücken würden. Juliens Gesinnung konnte sich da zeigen. War ihr um die Gewöhnung an die Heimat so viel zu tun, daß sie sich weigerte, ihm in die Fremde zu folgen, dann war auch ihre Neigung nicht stark genug für eine rechte Ehe. Er aber durfte sich einen Weg zur Erfüllung seiner Lebensziele nicht selbst verschütten. So darf ein Mann nicht handeln, nur im Einklang mit seinem Wirken hat die Liebe ein Recht. Hart wäre es, auf Julie verzichten zu müssen, aber es wäre das mindere Opfer. Mit solcher Meinung und mit etwas lebhafter schlagenden Pulsen begab er sich am Sonntag in das Kindlersche Haus. Er war erstaunt, bei seinem Eintritt in das Empfangszimmer schon den Professor vorzufinden, der sonst nur im Laufe des Abends auf kurze Weile bei der jungen Gesellschaft sich sehen ließ. Aus Juliens Blicken erkannte er, daß sie die Eltern unterrichtet hatte; aber 255 ihre Befangenheit kündete eher Ungünstiges als Hoffnungsvolles. Auch Frau Kindler trug eine Mißtrauen erweckende kühle Feierlichkeit an Stelle ihrer sonstigen herzhaft gemütlichen Art zur Schau. Nur der Professor selber zeigte unbefangen die leicht joviale Art. Er fand ein Gespräch, das ihm einen dünnen Vorwand bot, ten Holten trotz der bereits eingetretenen Dunkelheit ins Atelier hinüberzubitten. Dort begann er gleich, ten Holten freundschaftlich auf die Schulter klopfend: »So, jetzt sprechen Sie sich aus. Julie hat uns natürlich Ihr kürzliches Ballgespräch erzählt. Da ist es sehr überflüssig, daß ihr erst noch miteinander tuschelt, ehe Sie als Freier antreten. Sagen Sie Ihren Spruch auf, ich habe mir die Antwort auch schon einstudiert.«
Das klang ja sehr vertrauenswürdig. ten Holten sprach kurz von seiner bescheidenen, aber immerhin bürgerlich achtbaren Herkunft und von den Aussichten seiner Künstlerlaufbahn, die nach dem bisher Erreichten mehr bedeuteten als optimistische Träume, und betonte seine ernste Lebensauffassung, die ihn zu einem gewissenhaften Ehemann machen würde.
Professor Kindler hörte der wohlgesetzten Rede aufmerksam zu. Dann erwiderte er: »Ich schätze Sie als Künstler sehr hoch, lieber ten Holten, und halte Sie auch für einen Ehrenmann von gediegenen Grundsätzen. Wenn ich nicht zugleich Ihren vortrefflichen Humor kennte, mit dem Sie sich mein Kind anscheinend gewonnen haben, wären Sie mir sogar beinahe zu korrekt verständig. Sie werden gerade bei solcher Verständigkeit recht wohl erkannt haben, daß Julie wirklich noch ein Kind im vollsten Sinne des Wortes ist. Sie hat sich immer mit Ihnen sehr gut 256 unterhalten, aber ich bezweifle lebhaft, daß ihre Gefühle weiter gehen als die gegen einen lieben Spielkameraden. Es mag ja ein Fehler von uns gewesen sein, daß wir die Mädel solange kindlich gehalten haben. Maria war von Natur ernster veranlagt und ist daher wohl reifer für die Ehe gewesen, sie ist ja auch um zwei Jahre älter. Julie aber hat keine Ahnung von der eigentlichen Bedeutung einer Ehe. Sie meint wahrscheinlich nur, daß das Zusammenleben mit Ihnen eine sehr lustige Sache werden würde. Da ließe sich nun leichter reden, wenn sie als junge Frau hier in unmittelbarer Nähe der Eltern bliebe. Sie wollen sie aber nach Berlin entführen, in ganz fremde Verhältnisse, die auch einem reiferen Charakter gewisse Anfangsschwierigkeiten bereiten würden, und noch dazu werden Sie selbst mit solchen Anfängen zu kämpfen haben. Das, lieber Freund, ist mir doch zu gefährlich für mein Kind. Ich rede ja gar nicht darüber, ob Sie richtig denken, wenn Sie in Berlin gar so großes Heil für Ihre Zukunft erwarten, daß Sie München drangeben müssen. Das werden Sie sich wohl überlegt haben. Sie sind ja Preuße, und so liegt Ihnen der Gedanke natürlich näher als einem Süddeutschen. Ich habe gar nichts gegen Berlin, aber ich halte München geeigneter zum Aufenthalt für einen Künstler. Um also auf den Kern der Frage zu kommen: Zu einer sofortigen Verlobung kann ich meine Einwilligung nicht geben. Meine Tochter wird gerade durch Ihren Antrag wohl aus ihrer kindlichen Harmlosigkeit herauskommen und sich das Leben jetzt mit ernsteren Augen ansehen. Sie soll Zeit haben, sich zu prüfen, und Sie gewinnen dadurch Zeit, sich in Berlin den rechten Boden für einen Hausstand vorzubereiten. Dann kommen 257 Sie wieder, wenn Ihre Gefühle Sie dazu treiben. Einstweilen sollen keinerlei Verbindlichkeiten zwischen euch beiden bestehen. Ich weiß nicht, wann Sie München zu verlassen gedenken, bis dahin bitte ich Sie, in unserem Hause wie bisher zu verkehren, und setze das Vertrauen in Sie, daß Sie das Kind nicht verwirren. Das wär's, was ich Ihnen zu sagen habe, und ich hoffe, daß Sie mir meine Sorgen um das Wohl meines Kindes nicht verübeln.«
Damit streckte er ten Holten die Hand entgegen. Dieser sagte im Tone der Enttäuschung: »Ich glaube doch, Herr Professor, daß Sie sich bezüglich der geistigen Reife Fräulein Juliens täuschen. Es ist auch wohl nur meine Absicht, nach Berlin zu gehen, aus der mir Schwierigkeiten erwachsen.«
»Ich habe ja gesagt, daß sich leichter über die Sache reden ließe, wenn Sie hier blieben,« antwortete Kindler.
»Ein Mann kann doch nicht auf ernste Zukunftspläne verzichten,« entgegnete ten Holten. »Damit wird kein Glück begründet. Aber ich muß Ihre Meinung respektieren und werde geduldig auf die Zeit harren, wo ich wieder um Fräulein Julie werben darf. Es ist mir doch erlaubt, über die für uns beide so wichtige Angelegenheit noch einmal mit ihr zu sprechen?«
»Gewiß. Sie hat sich übrigens der Meinung ihrer Eltern willig gefügt,« lautete Kindlers Bescheid.
»Ich will sie auch nur fragen, ob sie mir ihre Zuneigung bewahren will, bis ich komme, sie mir zu holen,« versetzte ten Holten.
Der Professor besann sich, bis er antwortete: »Aber Sie dürfen ihr kein bindendes Versprechen abnehmen. Dagegen müßte ich sofort einschreiten.«
258 »Ich füge mich ganz Ihren Absichten,« lautete ten Holtens Erwiderung.
Es sah so aus, als wolle der Professor nur das gerade »Nein« vermeiden, für das er keine triftigen Gründe aufzubringen vermochte, und er hoffe von dem Aufschub eine leichtere Vereitelung der ihm unbequemen Absichten ten Holtens. Dieser rüstete sich innerlich mit trotzigem Entschluß, das schöne Mädchen sich geradeso zu erobern wie die glänzende Reichshauptstadt.
Als er mit Julie sprach, fragte diese zunächst ganz schüchtern: »Müssen Sie denn durchaus nach Berlin?« und fügte ganz ergeben bei: »Die Eltern lassen mich eben so ungern fort.«
Als er ihr dann lange erklärte, was er von Berlin erhoffe, sagte sie schließlich: »Das ist ja erfreulich wichtig für Sie, und meinetwegen dürfen Sie das nicht aufgeben. Wenn Sie mich dort nun im Sinn behalten –« Sie vollendete ihre Rede nicht, sondern reichte ihm nur die Hand und sah ihn mit ihren braunen Augen tief an. »Solange Sie noch hier sind, kommen Sie oft, recht oft zu uns, nicht wahr?« sagte sie dann mit lebhaftem Eifer.