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Kommerzienrat Hagenbach hatte das Bild ten Holtens gekauft. Die Freunde rieten ihm, sich dem Mäzen, der ihn gar nicht persönlich kannte, vorzustellen, denn wenn es wohl sonst nicht tunlich war, jedem Käufer eines Bildes einen Besuch zu machen, so lagen bei diesem in Kunstangelegenheiten so einflußreichen Mann die Dinge doch besonders geartet. ten Holten mußte erst ein gewisses Unbehagen überwinden, dann folgte er aber dem Rat, den er als zweckmäßig erkannte.
Dem stattlichen, aber in keinem Sinne auffallenden Hagenbachschen Hause sah man von außen nicht an, welche vornehme Pracht es im Innern barg. Das sonst gar nicht schüchterne »Pittchen«, dem das Einhornsche Haus schon als etwas sehr Vornehmes galt, war doch etwas befangen, als ein Livreediener ihn in einen Saal geführt hatte, der, mit den kostbarsten Möbeln ausgestattet, zugleich in der Fülle von Gemälden, Bronzen und Kunstgefäßen eine 33 zunächst ganz verwirrende Schau bot. Der Kommerzienrat erschien alsbald und hieß ihn mit einem heiteren Lächeln herzlich willkommen.
»Ich muß erst sehen, wo ich es unterbringe,« sagte er, vom gekauften Bild sprechend, und ließ einen kurzen Blick über den Raum fliegen. »Na, das hat ja noch bis zum Schluß der Ausstellung Zeit,« fügte er bei.
ten Holten meinte: »Es frißt viel Licht,« und sah auch im Saale, wie nach einem Platz suchend, umher.
Der Kommerzienrat sagte, diesen Blick bemerkend: »Es sind noch andere Räume da.«
Dann machte er ihn auf die Kunstschätze aufmerksam, langsam mit ihm umherwandelnd. Unter den Gemälden waren mehrere Werke, die ten Holten lebhaft interessierten, und seine anerkennenden Äußerungen freuten offenbar den alten Herrn, dessen klare blaue Augen aufleuchteten und den Maler liebkosend ansahen.
»Sie bemerken wohl,« sagte er dann, »daß ich nicht einseitig bin. Düsseldorfer und Münchner, Franzosen und Italiener, ältere und moderne Sachen sehen Sie hier. Mein Vater war auch ein eifriger Sammler, aber, wie es damals hier und in Köln Mode war, hauptsächlich in alten Holländern. Es ist manches recht Zweifelhafte darunter, wie sich herausgestellt hat. Alte Bilder sind eine gefährliche Sache, und man gibt viel Geld aus ohne etwas Nützliches zu tun. Das ist bei modernen Werken doch etwas anderes, sofern man da nicht nur nach Namen kauft. Ich habe die besten Namen und auch ganz namenlose gute Sachen.«
»Da gehört mein Bild auch dazu,« bemerkte ten Holten schmunzelnd und setzte gleich keck dazu: »Vorläufig. In 34 zehn Jahren ist ein ten Holten sein Stück Geld wert. Wollen Sie's glauben?«
Lächelnd antwortete Hagenbach: »Das wollen wir für Sie hoffen, Herr ten Holten!«
Dann führte er ihn in einen zweiten kleineren Saal, der, gegen den Garten gelegen, viel heller war und weitere zahlreiche Gemälde enthielt. ten Holten wies nach kurzem Überblick auf eine Stelle an der Hauptwand mit den Worten: »Da wär'n feiner Platz für mein Bild.«
»Der ist nun leider schon besetzt,« bemerkte der Kommerzienrat. »Es ist ein sehr guter Voltz aus München.«
»Können diese Küh' nicht anderswo grasen?« fragte ten Holten. »Die brauchen nicht so viel Licht wie mein Bild.«
»Wir wollen schon den richtigen Platz dafür finden,« lautete die Antwort.
Die Frau Kommerzienrat erschien. Die stattliche Dame war sehr freundlich, aber in einer etwas herablassenderen Weise, als sich die sonnige Liebenswürdigkeit ihres Gatten bot. Ihre Fragen förderten zu Tage, daß ten Holten in nächster Zeit sich Paris besehen wolle. Da fiel der Kommerzienrat ein: »Das ist recht! Es läßt sich viel lernen von den Franzosen, auch bei einem kürzeren Besuch. Ein längerer Aufenthalt hat seine Gefahren. Da geht oft mehr verloren als gewonnen wird.«
»Oder es war erst nicht viel, was verloren gegangen ist,« meinte ten Holten trocken.
Er sprach dann davon, daß er vor zwei Jahren in Belgien gewesen sei, die einzige Studienreise, die er bisher vom Rhein weg gemacht habe.
»Sind feine Künstler unter den modernen Belgiern,« sagte er. »Aber ich konnt' nicht viel von ihnen lernen. 35 Ich sehe die Natur anders und komm' mit ihnen nicht zusammen. Ich bin freilich noch nicht fertig, das soll man eigentlich nie werden – –, aber ich suche auch etwas ganz anderes.«
Plötzlich schoß er dann auf einen Oswald Achenbach los, sah das Bild mit schiefem Kopf an und sagte: »Und er hat doch was gekonnt!«
Hagenbach beobachtete ihn mit lebhaftem Interesse.
»Sie verstehen wat von der Kunst. Dat sieht man,« sagte ten Holten schließlich, indem er sich verabschiedete.
Die Frau Kommerzienrätin lächelte gütig, ihr Gatte aber schüttelte ten Holten herzlich die Hand und sagte: »Es hat mich sehr gefreut, Ihre persönliche Bekanntschaft gemacht zu haben und ich hoffe, daß wir uns von jetzt ab öfter sehen.«
Peter ten Holten reiste nach Paris und hielt sich dort drei Wochen auf. Herstall hatte ihn an einen sehr netten deutschen Maler empfohlen und dieser, da er sich nicht den ganzen Tag zur Verfügung halten konnte, wieder andere Landsleute aufgeboten, die sich des Düsseldorfer Malers annahmen, so daß er die ganze Zeit wohlgeborgen war. Der Flut der Eindrücke setzte er eine tapfere Geistesgegenwart entgegen, die ihn vor schädigender Verwirrung bewahrte und die Dinge, die auf ihn wirkten, in Ordnung und übersichtiger Ruhe halten ließ. Ziemlich abgespannt war er freilich, als er wieder in seiner Düsseldorfer Behausung landete. Es war etwas Großartiges in Paris, und die französischen Maler waren Kerle, vor denen er den Hut tief abzog. Sie hatten es freilich im Grunde leicht, denn wer so im Vollen saß, von solchen Eindrücken täglich umgeben, der mußte 36 ein jämmerliches Gehirn haben, wenn ihm nicht eine Welt im Inneren wuchs, aus der er verschwenderisch schaffen konnte. Er hatte sich scharf umgesehen und viel Wertvolles erspäht, aber schließlich war er doch zu dem Ergebnis gekommen, daß da auf die Dauer nicht die rechte Luft für ihn gewesen wäre. Da lugte an allen Ecken und Enden etwas heraus, was nicht echte, gesunde Natur war, sondern verzerrt, überreizt, irgendwie künstlich aufgepeitscht. Und sein liebenswürdiger Begleiter, ein kluger Mann, hatte offensichtlich recht, wenn er sagte, sehr vieles sei rein französisch empfunden, und französische Empfindungsweise sei eben etwas anderes als deutsche, weil schon die französische Landschaft ein anderes Gesicht habe als die deutsche. So was einfach in die deutsche Malerei zu übertragen, wäre Unsinn. Aber sich von Zeit zu Zeit darin umzusehen, das hielt er für sehr gesund, und das wollte er auch künftighin tun. Am Tage nach seiner Heimkunft bekam er durch die Post eine Einladung zu einem Gartenfest bei Kommerzienrat Hagenbach. Da kam auch wieder ein Vorteil der Pariser Reise heraus. Jetzt hatte er doch in einer solchen Gesellschaft etwas zu reden. Eine Vorübung machte er im Einhornschen Hause. August hatte er schon unter vier Augen in dessen Atelier klar gemacht, was er versäumt habe, da er auch nach einer zweiten Aufforderung die Teilnahme an der Reise mit ganz faulen Ausreden abgelehnt hatte. Mit dem alten Einhorn war ja nicht viel zu reden. Der hatte nur auf seine Ausführungen über die französische Kunst Bemerkungen, wie: »So klug sind wir auch«, »Das sind Mätzchen« und dergleichen. Zuletzt sagte er spöttisch zu ihm: »Na, jetzt wird also nach französischem Rezept gearbeitet?«
37 Da war er beinahe grob geworden.
»Ich male nach keinem Rezept,« hatte er gesagt. »Aber so gut der eine nach altholländischem Rezept malt, könnte der andere auch nach französischem arbeiten.«
»Soll das ein Stich sein?« hatte darauf Vater Einhorn mit grimmigem Lächeln geantwortet. »Ich habe von den großen holländischen Meistern gelernt, ohne sie zu kopieren. Ihr jungen Herren aber habt die Neigung, französische Windbeuteleien nachzuäffen. Das ist der Unterschied, mein lieber ten Holten.«
Bei den Damen konnte er sich behaglich ausschwatzen. Er hatte sonst gar keinen Umgang mit weiblichen Wesen aus besseren Ständen. Mit gemeinem Weibsvolk gab er sich aber auch nicht ab. Es war ihm stets widerlich gewesen, zuzusehen, wie junge Akademiker besseren Herkommens es mit Modellmädchen niederster Art scherzhaft trieben. Derlei machte der Bauernjunge, der ten Holten hieß, nicht mit, da hätte er sich vor Mutter und Geschwistern schämen müssen. Die kleinbürgerlichen Mädchen in Düsseldorf waren leichtlebiges, lustiges Volk, die hatten Spaß an seinen Schnurren und Späßen, und wenn da einmal eine auf halbem Wege entgegenkam, dann griff er zu und machte eine angenehme Angelegenheit daraus. Aber es waren eben Gelegenheiten und er lief ihnen nicht nach, legte es nicht mit besonderem Bemühen darauf an. Zu Einhorn kam er ja nicht allzuoft ins Haus, aber die Tante sowohl wie Fräulein Hedwig hatten eine Art, mit ihm umzugehen, die ihm behagte. Es war was Feines darin, das zu einer gewissen Haltung zwang und doch auch wieder etwas Vertrauliches, das die Zunge löste. Die Hedwig zumal war ein kluges Ding, das 38 aufmerksam zuhören, teilnehmend fragen konnte, der Rede mit gespanntem Blick folgte und manchmal ein prächtiges ermunterndes Lächeln hatte, das ordentlich erwärmte und die Schwatzlust belebte. So war es auch jetzt, da er von Paris erzählte. Fürs Künstlerische zeigte Hedwig reges Verständnis, und die Tante horchte und fragte neugierig, was die alltäglichen Dinge des Aufenthaltes anging. Hedwig hatte ihm mitgeteilt, daß sie mit Vater und August auch bei Hagenbach eingeladen sei, die Tante hatte abgelehnt, weil sie, wie sie sagte, wohl an kleinen Geselligkeiten teilnahm, aber nicht solchen größeren Veranstaltungen, wie dies offenbar eine sein würde.
Auf sieben Uhr war der Beginn des Festes angesagt, das hauptsächlich dem Vorstande und den verschiedenen Ausschüssen der Ausstellungsunternehmung galt, deren Finanzwirtschaft in den Händen Hagenbachs lag. Das Haus des Kommerzienrats gehörte zu den wenigen im Inneren der Stadt, mit denen noch ein größeres Grundstück verbunden war. So zahlreich war die Gesellschaft, daß außer dem Garten und der großen Glasveranda auch die drei saalartigen Räume des Erdgeschosses voll belebt waren und teilweise etwas wie Gedränge entstand. Peter ten Holten erschien im schwarzen Gehrockanzug mit weißer Binde, das Struwwelhaar hatte er sich schneiden und fein scheiteln lassen. Er bemerkte bald, daß von den näheren Genossen außer ihm nur August Einhorn und Herstall geladen waren. Herstall, elegant im schwarzen Abendjäckchen, weißer Seidenweste nach der neuesten Mode, hellfarbiger Halsbinde und lichtgrauer Hose, Lackschuhen dazu, begrüßte ihn:
»Ei was, Sie auch hier, ten Holten?«
39 ten Holten stand mit ausgebogener Brust, hocherhobenen Hauptes da und erwiderte:
»Ich habe vor meiner Pariser Reise dem Kommerzienrat meinen Besuch gemacht, und da hat er mich eben heute eingeladen. Von unseren Leuten sehe ich außer Ihnen und August Einhorn niemand. Sind Sie schon länger bekannt im Hause?«
Herstall bekannte jetzt zögernd, mit ten Holten scheuprüfender Miene, daß er erst vor einiger Zeit im Hause Besuch gemacht habe. Es war unüberlegt gewesen, daß er ihn so burschikos angesprochen hatte. Jetzt konnte der Mensch glauben, er habe der Ausstellung wegen, auf der er ja auch zwei Bilder hatte, diesen Besuch gemacht. Aber eine Lüge wagte er nicht. Er fürchtete eine gewisse ironische Miene, die er an ten Holten kannte. Dabei war dieser ohne Arg und hatte sich nur dem windigen Kunstgenossen gegenüber behaupten wollen.
»Was ist denn das für ein Kaffer im Bratenrock?« fragte Richard Hagenbach, der älteste Sohn des Kommerzienrats und Geschäftsteilhaber, den jüngeren Bruder, der eben Regierungsassessor geworden war.
»Der Maler ten Holten, von dem Papa in der Ausstellung ein Bild gekauft hat,« antwortete dieser.
»Mein Gott, so was ladet man doch nicht ein!« sagte in gedehntem Ton der hochgewachsene, im Kleiderschnitt und dem glattrasierten Gesicht ganz englisch anmutende Mann.
»Wir sind nun einmal in Düsseldorf, und er ist wirklich ein sehr begabter junger Mann,« antwortete der ebenfalls sehr große, biegsam schlanke Regierungsassessor mit dem blonden Kaiserschnurrbärtchen und dem goldenen Kneifer.
40 Im selben Augenblick kam Vater Hagenbach, ten Holten leicht mit zwei Fingerspitzen am Rockärmel führend, und machte den Maler mit seinen beiden Söhnen bekannt. Herr Richard Hagenbach machte eine kurze Kopfverneigung, sagte »Sehr angenehm!« und wendete sich mit einer völlig harmlos erscheinenden Bewegung an einen Herrn, den er mit lebhaftem Händedruck heiter freundschaftlich begrüßte und im Gespräche festhielt. Der Regierungsassessor hatte ten Holten die Hand gereicht und dann, nach einigen freundlichen Worten über sein Bild, ein weiteres Gespräch über die Kunstausstellung angeknüpft. Indessen war Richard Hagenbach mit jenem Herrn an seine hübsche schwarzhaarige Frau herangetreten, die aus Lüttich stammte und nun mit den beiden Herren in französischer Sprache über ten Holten witzelte, den sie beobachten konnte, wie er, die Hände auf dem Rücken, bei ihrem Schwager stand. Ihre boshafte Laune sah in dem Maler mit dem Bratenrock »Le type le plus pur d'élégance d'Auvergne«, Die Herren wiesen diese Behauptung lustig lachend zurück, und sie spottete unter deren heiterem Beifall weiter über den maître tailleur, der das habit de gala dieses petit maître gebaut habe.
Der Kommerzienrat bemühte sich weiter, ten Holten da und dort mit Herren und Damen bekannt zu machen. Man gewann den Eindruck, daß ihm daran lag, den jungen Maler der Gesellschaft als seinen neuesten Schützling zu empfehlen. So kam ten Holten mit verschiedenen Personen in rege Unterhaltung, und bald verbreitete sich die Meinung, daß man es in ihm mit einem originellen Kauz zu tun habe. Er hatte bei einigen Damen sehr geschickt das Gespräch auf seine Pariser Reise zu lenken 41 gewußt und auf die naheliegende Frage über seine Eindrücke tapfer darauf losgesprochen, wobei im Eifer der Rede der heimatliche Dialekt reichlich zur Geltung kam. Wurde dieses schon als »drollig« mit behaglichem Lächeln aufgenommen, so verbreiteten sich auch schnell Redewendungen von ihm, die in diesem Kreise als höchst humoristisch willkommene Aufnahme fanden. Da hatte er bei der einen Dame über die Pariserinnen das Urteil gefällt: »Jemalt sind sie alle, die in den Ausstellungen und die auf der Straße.«
Zu einer älteren Dame hatte er aber über denselben Gegenstand, vertraulich gegen ihr Ohr geneigt, geäußert: »Wissen S', mein Jeschmack sind sie nicht. Ich mein, mer hätt' bei so einer nichts rechtes in de Händ.«
Dagegen wurde auch die Antwort verbreitet, die er einem jüngeren Herrn auf dessen etwas spöttische Bemerkung, ob er auch bei Paillard gewesen sei, gegeben hatte. Als er erst durch eine Frage den Bescheid hatte gewinnen müssen, daß es sich um das feinste Speisehaus in Paris handle, hatte er ganz trocken bemerkt: »Nein, ich bin nämlich nach Paris jefahren, um was besonderes zu sehen, aber nicht, um etwas besonderes zu essen.«
Er befand sich sehr wohl in dem bunten Treiben der Gesellschaft, durch das zwischen dem Gesurre der Gespräche auch noch ein beständiges Kichern zu gleiten schien. Die Bowle war ausgezeichnet, und in einem der Säle war ein Büfett aufgestellt mit köstlichen Gerichten.
»Schöne Mädchen sind hier,« sagte er gelegentlich zu Herstall mit einem beinahe lebemännischen Lächeln. Es waren in der Tat schöne Mädchen und schöne Frauen zugegen, mit feurig fröhlichen Augen, lachende und schwatzende Rheinlandsblumen, von denen der Duft 42 blühenden Fleisches ausströmte. Zeitweilig stand er allein abseits und beschaute sich das ganze Bild. Da entdeckte er dann in wiederholter Bestätigung, daß doch, wenn auch nicht ein merkbarer Riß, so doch eine zweifellose Teilung durch das Ganze ging. Es bildeten sich deutlich unterschiedene Gruppen von fröhlichen, leichtbeweglichen, manchmal ziemlich laut werdenden Gästen und von sehr gemessenen, ständig im engen Kreise Beharrenden. Das war nicht etwa durch das Lebensalter bedingt. Sehr lustige alte Herren und Damen bemerkte er und junge Herrschaften, die beinahe Miene machten, als ob sie nur kühl betrachtende Zuschauer des Festes seien.
August Einhorn kam plötzlich auf ihn zugestürzt und erzählte ihm in aufgeregter Freude, einer der größten Kohlenmagnaten des Ruhrgebiets sei unter den Gästen, und der habe ihm zugesagt, daß sein Historienbild in ihm den Gedanken geweckt habe, einen Saal seines neuerbauten Schlosses durch ihn ausmalen zu lassen. »Das Nähere will er mir noch schreiben. Das hat gewiß Hagenbach gemacht. Ist doch ein famoser Kerl, der Alte,« schloß er seinen Bericht.
ten Holten beglückwünschte ihn und fragte dann mit einer bestimmten Richtung des Blickes: »Wer ist denn der Herr, der sich eben mit deiner Schwester unterhielt?«
»Das ist der Maschinenfabrikant Benthoff,« lautete die Antwort.
ten Holten hatte diesen Herrn schon vor einiger Zeit bei Hedwig Einhorn in lebhaftem Gespräch stehen sehen, und jetzt kam es auf einmal wie Unwillen über ihn.
»Was hat denn der Mensch bei ihr zu suchen?« fragte es in seinem Inneren, und er besann sich darauf, daß er Ursache habe, gegen Hedwig verstimmt zu sein. Sie hatte 43 ihm vorhin gesagt, er hätte eine andere Halsbinde wählen sollen, eine weiße trage man nicht zum Gehrock. Das war vorlaut von ihr gewesen. Sie war doch nicht befugt, ihn in seiner Toilette zu schulmeistern.
Mit einer kampflustigen Regung ging er auf die beiden los. Er wollte sich den Herrn Fabrikanten näher ansehen. Benthoff drückte ihm, als ihn Hedwig vorstellte, sehr freundlich die Hand und fing, da er auf seine Frage die Heimat ten Holtens erfuhr, mit diesem sogleich ein Gespräch darüber an, daß die dortige Volksart, wenn auch wesentlich fränkischen Stammes, sich doch mehr der westfälischen Art nähere als die Düsseldorfer oder gar Kölner. ten Holten wollte dem widersprechen, er betonte, echter Rheinländer zu sein. Zufällig gesellte sich Regierungsassessor Hagenbach dazu, der das Thema mit einem gewissen Eifer für Landeskunde, aber doch in leichtem Unterhaltungsstil aufgriff. Da kam man dann auf die größere oder geringere Zähigkeit des Rassebewußtseins zu sprechen und Benthoff bemerkte dazu mit Humor:
»Ich bin seit meinem vierzehnten Lebensjahr in Düsseldorf. Damals verlegte mein Vater unsere Firma hierher. Dennoch bin ich vollkommener Kunstbarbar. So sind wir Westfalen. Ich muß das gestehen, Fräulein, eben weil Sie Künstlertochter sind.«
»So schlimm wird es wohl nicht sein,« meinte Hedwig lächelnd.
»Ganz schlimm,« versetzte Benthoff. »Für mich ist Malerei eine Geschicklichkeit, eine sehr große vielleicht, und das respektiere ich auch. Aber wenn so oft von Kunst, wie von etwas Außerordentlichem, sozusagen Überirdischem gesprochen wird, da kann ich nicht mittun.«
44 Zuletzt richtete er seinen Blick auf ten Holten. Auch Hedwig sah auf ihn, als sollte er die Antwort geben.
ten Holten kniff die Augen zusammen, machte eine Kaubewegung seiner ganzen unteren Gesichtspartie und sagte: »Bei manchen Malern ist's auch weiter nichts als Geschicklichkeit, und gerade sowas wird oft am meisten angestaunt. Aber richtige Kunst ist etwas anderes.«
Er hatte ganz vergessen, daß er eben noch etwas wie eine Kampflaune gegen diesen Mann empfunden hatte. Nachdenklich und ein bißchen scheu sah er die drei Personen vor ihm an, schnitt wieder eine Grimasse und sagte dann:
»Der Natur will man auf den Leib rücken, dem Herrgott will man's abgucken und nachmachen – das ist das richtige, und das muß man aus einem Bilde herausfühlen können, wenn man was von Kunst verstehen will.«
Dann stand er ganz verlegen da, und der Mund zuckte unruhig.
»Das haben Sie sehr schön gesagt, Herr ten Holten,« bemerkte Hedwig mit Nachdruck und sah ihn mit einem warmen Blick an.
»Man sagt's eben, wie man's sagen kann. Viel zu quatschen ist darüber nicht. 's hat's einer oder er hat's nicht,« warf ten Holten jetzt mit leichter Gebärde hin, während ihn ein lebhaftes Gefühl innerer Befriedigung erfüllte.
Der Regierungsassessor sah ihn beifällig an. Benthoff aber meinte: »Ich will ja gern zugeben, daß es ein Defekt von mir ist und ich vielleicht gar nicht hierher gehöre.«
Der junge Hagenbach wehrte mit heiterer Gebärde ab.
»Sie heucheln eben nicht, Herr Benthoff, wie es gar viele tun,« sagte Hedwig. »Das gefällt mir von Ihnen.«
45 ten Holten fand diese Belobigung höchst überflüssig. Sie verdarb ihm wieder die Stimmung.
»Sind hier so zuviel, die was von der Kunst verstehen wollen, weil sie beim Schulte ein Abonnement bezahlt haben. Das meinen Sie wohl, Fräulein Hedwig?« warf er spöttisch ein.
»Ich habe keine so boshaften Meinungen, wie Sie,« lautete deren halb heitere, halb verweisend klingende Meinung.
In einem der Säle waren indessen die Teppiche weggeräumt, und es begann ein Tänzchen, zu dem ein Klavierspieler und ein Geiger aufspielten. ten Holten machte zwar eine höchst komische Figur mit seinem Bratenrock und der steifen Weise, mit der er seine Tänzerin weit von sich abhielt, wie es ihm seine Sitte zu sein schien, aber er tanzte dabei sehr flott. Hedwig Einhorn erteilte ihm ein Lob darüber, auf das er erwiderte:
»Wie soll ich dat nit können? Meinen S', ich bin noch nie auf einer Kirmes gewesen? Da wird noch ganz anders herumgefegt wie hier.«
Als endlich die älteren Damen das Zeichen zum Aufbruch gaben, ging der Kommerzienrat eifrig herum und sprach verschiedene Herren an, sie sollten noch bleiben. Man setzte sich auf der Veranda noch zu einem frischen Glase Pilsener zusammen. Das sei sehr bekömmlich. So folgte dann, als die Damen und einige ganz alte Herren verschwunden waren, ein fröhlicher Bierkommers. Der fröhlichsten einer war der Kommerzienrat. ten Holten fühlte sich jetzt, eine feine Zigarre schmauchend, der er dicke Wolken entsandte, erst recht wohl und erging sich in allerlei humoristischen Bemerkungen, die oft lautes 46 Gelächter erweckten. Der Zufall hatte es gefügt, daß Fabrikant Benthoff neben ihm zu sitzen kam. Als dieser mit ihm anstieß und einen sehr kräftigen Zug machte, sagte er: »Von der Kunst verstehen Sie also nix, aber mit dem Supen scheinen Sie Bescheid zu wissen. Das versöhnt mich wieder mit Ihnen, da ist noch wat von Ihnen zu hoffen.«
Benthoff ging auf den Ton ein. Sie tauschten niederrheinisches und westfälisches Platt miteinander aus und unterhielten sich sehr gut.
Acht Tage waren nach diesem Fest vergangen, als August Einhorn von jenem Kohlenmagnaten nach dessen Wohnsitz berufen wurde, über den besprochenen Auftrag in nähere Verhandlung einzutreten. Der Großmillionär hatte einen lange Jahre unbewohnt gebliebenen Adelssitz mit Schloß und Park gekauft und das ziemlich in Verfall geratene, dem Ende des 17. Jahrhunderts entstammende Schloßgebäude zu einer prächtigen Burg gotischen Stiles umwandeln lassen. Die Wandgemälde im großen Saale sollten nun fünf Darstellungen der »Geschichte der Umgegend,« wie er sich ausdrückte, bringen. Das bedeutete soviel, wie aus der Geschichte der beiden Adelsgeschlechter, die im Laufe von Jahrhunderten Herren des Schlosses gewesen waren. Auf dem sechsten Bilde sollte aber er selbst mit seiner Familie dargestellt werden und zwar vom Spazierritte heimkehrend und von den Seinen am Schloßtor begrüßt. Der junge Maler äußerte ein schüchternes Bedenken über die Stilmäßigkeit eines solchen modernen Familienbildes in diesem Raum, wurde aber sehr deutlich darüber belehrt, daß man gerade auf diesen Gegensatz der feudalen Vergangenheit des Schlosses zu 47 dessen gegenwärtiger Eigenschaft als Besitztum eines Großindustriellen Wert lege.
August Einhorn enthüllte dem Freunde seine künstlerischen Gewissensbedenken. Dieser antwortete ihm mit fröhlicher Ironie: »Das müßt ihr euch gefallen lassen, ihr Herren Historienmaler, die ihr auf so einen Landschaftler herabseht, der eurer Meinung nach nur ein halber Künstler oder überhaupt keiner ist. Ihr lebt vom Auftrag und habt daher nur einen sehr bedingten Willen.« Dann setzte er aber gutmütig hinzu: »Den Auftrag deshalb fahren zu lassen, wäre Unsinn. Die alten Meister haben sich derlei auch gefallen lassen müssen. Von seinem Standpunkt aus ist der Mann in seinem Rechte. Er bestellt sich um sein Geld, was ihm Spaß macht. Das will er in guter Arbeit hergestellt, aber um Förderung der Kunst ist's ihm dabei nicht zu tun, nur um den Ausputz leerer Saalwände. Für diese Leute ist die Kunst eben nur eine Geschicklichkeit, wie mir das neulich bei Hagenbach ein biederer Mann ganz treuherzig gesagt hat. Vielleicht ist das auch eine allgemeine Wahrheit und alles übrige nur Phrasenwerk. Was wir bei der Arbeit fühlen, kann uns doch keiner nachfühlen. Sie kümmern sich ja auch nicht um das, was der Musikant fühlt, der ihnen zum Tanz aufspielt. Ja, Freund, für die Geschicklichkeit werden wir bezahlt, nicht für unsere Gefühle. Seit mir's der Mann gesagt, habe ich darüber nachgedacht, und ich glaube, es ist so.«
August Einhorn sagte jetzt: »Weißt du, ich käme schon darüber weg. Alle nehmen ja die dümmsten Aufträge an. Beim Porträt muß man ja auch den gemeinsten Spießerschädel malen. Mir ist's im Grunde nur meines 48 Vaters wegen. Ich hab's ihm deutlich angemerkt, als ich ihm heute sagte, der Auftrag sei fest, daß er verstimmt war. Er sagte nur spöttisch: ›Hast du dich auch hübsch bedankt bei dem Kohlenfritze?‹ Davon, daß ich den Kohlenfritze hoch zu Roß malen soll, habe ich ihm aber noch gar nichts gesagt. Darüber wird er seinen Spott auslassen, wenn er's erfährt. Es kränkt ihn, daß du ein Bild verkauft hast, ich einen Auftrag habe, andere von uns Jüngeren auch schon was verkauft haben und seine beiden Bilder auf der Ausstellung keine Liebhaber finden. Ich sag' dir, Pitterchen, 's ist kein Vergnügen, einen solchen Vater zu haben.«
»Du mußt dich möglichst bald freimachen von ihm,« sagte jetzt ten Holten in entschiedenem Ton. »Der neue Auftrag muß dir das doch möglich machen.«
»Du sagst es also auch!« rief August lebhaft. »Ja, ich werde mich frei machen. Freilich, dann ist Hedwig mit ihm allein. Aber die kann besser mit ihm fertig werden.«
»So?« fragte ten Holten. »Die behandelt er also gut?«
»Sie trumpft auf, und von ihr läßt er sich das gefallen.«
»Sie wird wohl auch mit der Zeit heiraten,« meinte ten Holten weiter.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht,« entgegnete August. »Er verscheucht wohl auch die Freier. Es will ja niemand etwas mit ihm zu tun haben.« 49