Karl von Perfall
Der kluge Pitter
Karl von Perfall

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Achtes Kapitel

Unter Führung Riederauers machte ten Holten alle Gelegenheiten des Münchener Karnevals mit und zeigte sich als lustiger, ausdauernder Kumpan, aber er war 118 dabei gar nicht auf galante Abenteuer erpicht, so sehr sich der Bildhauer bemühte, ihm die Wege dazu zu ebnen. Vielmehr besaß er eine große Gewandtheit darin, nach einem kürzeren oder längeren Zeitvertreib sich weiteren Folgen zu entziehen. Riederauer hatte Spaß an dieser Art, die Weiber an der Nase herumzuführen, schüttelte aber doch den Kopf dazu und meinte, eigentlich sei es eine Niederträchtigkeit, die doch nur so ein »kalter Preiß'« fertig bringe. Übrigens dutzten sie sich jetzt und hielten gute Kameradschaft. Durch den Freund kam ten Holten aber auch in die vornehmen Künstlerkreise und zu deren glänzenden Festen. Ein großer Zug höchster Geschmackskultur trat ihm hier entgegen, der aber einen viel anmutigeren, feineren Stil in sich trug, als die Kostümspielereien, die ein früheres Künstlergeschlecht mit größtem Bemühen pflegte. Aber als die ersten Eindrücke des Auges überwunden waren und seine Beobachtung dem Wesen der Dinge näher kam, bemerkte er zunächst, daß, obwohl das norddeutsche Element zahlreich vertreten war und sich auch sehr deutlich geltend machte, doch die bayerischen und auch die aus Österreich kommenden Teilnehmer die Oberherrschaft behielten, und zwar dadurch, daß sie, trotz zwanglosen Dialektes und bequemer Formen, ein sehr ausgeprägtes Selbstbewußtsein zum Ausdruck brachten, das sich sehr liebenswürdig gab, aber trotzdem mit deutlicher Gebärde der geistreichen Beredsamkeit norddeutscher Art Schranken wies. Es war gar nicht so leicht, wie mancher Norddeutsche im selbstgefälligen Gehaben zu glauben schien, sich hier ernstliche Geltung zu schaffen. Von nicht minderer Bedeutung war für ten Holten eine andere Wahrnehmung. Es gab in diesen Kreise vielen 119 bildschöne Frauen, und diese bildeten den Mittelpunkt. Einige junge Mädchen von ebenbürtiger Schönheit gesellten sich dazu. Diese hatten dann die gleiche herablassend stolze, ihre Liebenswürdigkeit wählerisch verteilende Art der gefeierten Frauen. Andere Mädchen waren ganz in den Hintergrund gedrängt, und man mußte, wollte man ihnen näherkommen, sich selber mit einer Hintergrundstellung begnügen. Die Haltung der Gesellschaft war von höchster Vornehmheit, man war viel zeremonieller, als er es in Düsseldorfer Gesellschaften beobachtet hatte. Das fröhliche Gezwitscher der Jugend war gar nicht zu hören. Statt dessen machte sich eine eigentümlich weiche Schwüle geltend. Die Damen entblößten sich sehr stark, ihre Blicke, ihr Lächeln waren verwegen, und bei mancher nahm man etwas wahr, wie eine heiße Schamlosigkeit kaum gebändigten Begehrens. Trotzdem war nie ein Verstoß gegen die Regeln der guten Gesellschaft wahrzunehmen. Es gab da offenbar eine Geheimsprache, in der sich die Kundigen verständigten. Für ten Holten blieb das alles fesselndes Schauspiel, in dem mitzuwirken er sich unfähig erkannte. Er hatte auch gar keine Neigung dazu, solchen stolzen Schönheiten zu huldigen, die ihm vielleicht ein kleines Lächeln, eine kurze Bemerkung zuwarfen, wenn er im Kreise der Verehrer einmal zu Wort gekommen war. Er war jung und wollte mit jungen Mädchen scherzen. Damit kam man aber hier nicht hoch, das gab keine Stellung. Immerhin war ihm eine gute Lebensschule geboten, und unter den Herren machte er doch manche nützliche Bekanntschaft. Freilich konnte er sich eines Neidgefühles gegen Riederauer nicht erwehren. Das war ja doch auch nur ein Försterssohn vom Lande – 120 geringerer Herkunft als der Sohn des Hauses ten Holten – und dennoch zeigten die schönsten Frauen ein Leuchten in den Augen, ein freudiges Lächeln auf den Lippen, wenn er an sie herantrat. Zum ersten Male besann er sich auf seine kleine, unscheinbare Gestalt. Der Gedanke floß mit der Erinnerung an die Düsseldorfer Beurteilung als »Original« zusammen, und mit bitterem Gefühle erwog er, ob ihm nicht zu dem angestrebten Ziele die Mittel fehlten und es am klügsten wäre, auf die erträumte Rolle des Mannes von gesellschaftlicher Bedeutung verzichtend, sich auf ein ehrenvolles Malerdasein zu beschränken.

Nach den Fastnachtstagen war das Münchener Gesellschaftsleben größeren Stiles zu Ende. ten Holten sah sich, vom Stammtisch abgesehen, auf die Teeabende bei Baron Wehrenburg angewiesen. Er fand sich dort aber mit den kunstbeflissenen Damen bald ganz gut zurecht. Wenn sie auch nicht alle hübsch waren, es waren doch junge Mädel, die als Norddeutsche sich sogar seinem niederrheinischen Platt zugänglich zeigten. Auch mit Ruwer kamen jetzt lebhafte Beziehungen in Gang. Dieser kam wöchentlich einmal in die Stadt und benachrichtigte davon stets ten Holten, der die Nachricht an Riederauer weitergab. Es kam dann immer eine gemütliche Sitzung zu dreien in der Weinstube zustande. Einmal fanden sich auch ten Holten und Riederauer draußen auf der Prinz-Ludwigs-Höhe ein. Riederauer war besonders von Ruwer aufgefordert worden. ten Holten beobachtete bei dieser Gelegenheit Frau Ruwer, die sich so ungünstig über den Bildhauer ausgesprochen hatte. Sie wich gar nicht von ihrem Sitze und lachte höchst belustigt über dessen Späße, die er aber nicht an sie richtete, sondern nur an die 121 beiden Herren. Von ihr nahm er nicht mehr Notiz, als es die Höflichkeit erheischte. Er fing im weiteren sogar ein Kunstgespräch an, das die Herren ziemlich lange in Anspruch nahm. Frau Ruwer wich auch dann noch nicht von ihrem Platze. Im Laufe des Sommers kam man noch öfter zu heiterer Geselligkeit bei Ruwer zusammen. Nach wie vor schien Riederauer sich sehr wenig aus der schönen Frau zu machen. Er ging auch nur immer auf besondere Anregung ten Holtens mit und hielt sich dann fast ausschließlich an Männergespräche, wobei er Ruwers kindlich geartete Scherzlust immer wieder auf ernstere Gebiete ablenkte. Die Hausfrau war nicht zudringlich; sie saß oft lange schweigend da, so daß ten Holten sich verpflichtet fühlte, sich ihrer in besonderem Gespräche anzunehmen, aber sie entfernte sich sichtlich nur ungern auf kurze Augenblicke von der Gesellschaft, um nach den Kindern zu sehen. Was ten Holten dabei noch besonders auffiel, war der Umstand, daß sie gar nichts mehr von dem spitzigen Widerspruchsgeist gegen den Gatten erkennen ließ, den er früher an ihr mißliebig beobachtet hatte. Er war wieder viel auswärts auf Malerfahrten. Als er einmal auf einige Tage aus seinem Standquartier in die Stadt gekommen und mit Riederauer zu Ruwer hinausgefahren war, äußerte dieser den Gedanken, einmal einen Sonntagsausflug nach jenem Marktflecken unternehmen und den Freund »überfallen« zu wollen. Der Vorschlag wurde erörtert. Riederauer machte erst Einwände, erklärte aber seine Beteiligung, als Frau Ruwer ihm zugerufen hatte: »Gehen's zu! Sind's nicht so fad.«

Bei dieser Gelegenheit machte man nach dem fröhlichen Mittagessen einen gemeinsamen Spaziergang. Auf 122 einem schmalen Fußpfade gingen Ruwer und Riederauer voraus, ten Holten folgte mit Frau Ruwer. Als sich zwischen beiden Paaren ein größerer Zwischenraum gebildet hatte, kam ten Holten auf den Einfall, zu seiner Begleiterin zu sagen: »Ohne Ihre Aufforderung wäre Riederauer gar nicht mitgekommen, und früher haben Sie ihn nicht leiden können. So ändert man oft seine Ansichten über einen Menschen.«

Frau Ruwer bekam einen roten Kopf und erwiderte mit einem scharfen Klang der Stimme: »Ich hab' a mal g'sagt, daß er ein wüster Mensch is. Das is er auch. Wenn er's aber nicht zeigt, dann hab' ich keinen Grund, ihm bös zu sein. Was wollen's denn überhaupt mit Ihrer Red'? Meinetwegen kommt er nicht zu uns, und wenn's vielleicht gar sticheln wollen, dann können's von mir was zu hören kriegen. Solche Späßerln sind nicht nach meinem Geschmack.«

ten Holten bemühte sich eifrig, ihr die völlige Harmlosigkeit seiner Bemerkung klar zu machen, obwohl ihn im stillen die Erregung, die diese bei Frau Ruwer erzeugt hatte, nachdenklich machte. Er erreichte zwar eine versöhnliche Stimmung, konnte aber doch im weiteren Verlaufe des Tages wahrnehmen, daß die schöne Frau sehr zurückhaltend gegen ihn geworden war. Das bekam er sogar noch bei einem späteren Besuche zu verspüren. Riederauer glitt immer, wenn er von Frau Ruwer sprach, mit kühler Gleichgültigkeit ab, ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Art, wenn von irgendeinem schönen Weibe zu sprechen war. Da ärgerte er sich zuweilen über ten Holtens gelassene Art, ein lächelndes Wohlgefallen zu äußern und meinte bei solcher Gelegenheit einmal: »Es 123 scheint, ihr Rheinländer habt zwar Lebenslust, aber keine richtige Lebensgier. Ihr seid das Weinglas gewohnt und nicht den hohen Krug.«

Dagegen sprach er sehr gern über Ruwer selbst und dessen kindliche Art der Lebensfreude, die ihn lebhaft anzuziehen schien, und bei solchem Anlaß sagte er plötzlich ganz unwirsch: »Ein altkluges Kind, das ist er, und darum hat ihn die Natur vexiert, als er sich dieses Weib nahm. Das kann ja nicht stimmen.«

ten Holten sah ihn scharf an und sagte: »Er steht wohl arg unter dem Pantoffel, aber im ganzen scheint es doch leidlich zu stimmen.«

»Leidlich!« wiederholte Riederauer spöttelnd. »Das ist eben eine Stümperei, und man soll im Leben so wenig stümpern wie in der Kunst.«

»Leidlich« murmelte er dann vor sich hin und zuckte die Achseln.

*

Der Vater hatte ten Holten geschrieben, er solle doch zur Kirmes nach Hause kommen, da er schon länger als ein Jahr der Heimat fern geblieben sei, und diese väterliche Aufforderung lockte ihn auch mächtig. Nach einiger Überlegung besann er sich, daß er bei dieser Gelegenheit sich auch in Düsseldorf sehen lassen müsse. Dort waren aber in dieser Jahreszeit die meisten seiner Bekannten nicht anwesend. Er vertröstete daher den Vater auf den Spätherbst. Da trat er denn auch die Reise an. So lang war die Zeit seiner Abwesenheit von der Heimat noch nicht, daß sich bei der Wiederkehr besondere Gemütsbewegungen hätten vollziehen sollen, dagegen sah er sich vor einem ganz unerwarteten und unangenehm 124 empfundenen Eindruck. Die Angehörigen wieder zu begrüßen, die heimische Sprache wieder zu hören, das machte große Freude; aber das Dorf, er kam nicht darüber hinweg, sah, zumal der Tag der Ankunft trüb und teilweise regnerisch war, nüchtern, unschön aus, und auch als einige Tage später die Sonne freundlich schien, wurde er noch nicht zufrieden mit dem Heimatsbilde. Die bayerischen Dörfer hatten größeren Reiz. Mit Eifer griff er die Wahrnehmung auf, daß hier noch farbenprächtiger Herbst die Landschaft schmücke, während in der Umgebung Münchens schon die Bäume die kahlen Äste winterlich in die Luft streckten. Es war also die Heimat doch das mildere, das wirtlichere Land. Der Strom redete auch wieder die alte, stolze, feierliche Sprache, und es gab ihm jetzt ein neues Hochgefühl, an seinem Ufer stehend sich als Rheinlandssohn zu fühlen. Das sollte auch so bleiben. Er wurde sich gerade jetzt deutlich des Gewinnes bewußt, den ihm die Fremde gebracht hatte und gewiß noch weiter bringen würde, aber die Heimatliebe, die wollte er sich doch erhalten. Dazu war er fest entschlossen.

Settchen hatte sich mit einem Geschäftsmann in Wesel verlobt. Die Nachricht freute ihn, und er beglückwünschte sie herzlich bei der ersten Begegnung. Sie errötete und sah ihn mit einem schiefen Blick an. Eifrig pflegte er den Verkehr mit allen Dorfbewohnern, und beim Geplauder mit ihnen belebte ihn zuweilen so etwas wie ein Trotz gegen Riederauer und die Freunde von der Pilsener Bierstube in München, als wollte er ihnen aus der Ferne zurufen: »Und hier ist's mir doch behaglicher als bei euch!«

Er fühlte jetzt sehr deutlich, wie fremd er noch in München war und es vielleicht bleiben würde. Zwei 125 Wochen war er zu Hause und malte auch einiges, darunter wieder einmal den Strom und gerade an einem von schweren Wolken bedeckten stürmischen Tag. Der Unbequemlichkeit nicht achtend, die die Witterung bereitete, die Mütze tief in die Stirne gedrückt, den Rock ganz zugeknöpft, achtete er darauf, daß ihm der Wind die schwächliche Staffelei nicht niederriß und freute sich darüber, daß er der Heimat ein noch nicht behandeltes Motiv abrang mit neuen Mitteln, die ihm die Fremde an die Hand gegeben.

Gründlich durchgefegt kam er heim und wippte sich zwei Gläschen Genever hintereinander in die Kehle. In der kleinen Speisekammer, die seit Jahren sein Atelier gewesen war, vollendete er das Bild. In Düsseldorf, wo er sich einige Tage aufzuhalten gedachte, sollte es gerahmt werden und gleich dort bei einem Kunsthändler verbleiben. Noch immer war Düsseldorf vorläufig eine Stütze, die er nicht missen konnte. Zwar hatte er während des Sommers ganz gute Verkäufe in München gemacht. Das war eben die Fremdensaison gewesen, auf die sich dort alles zuspitzte. Die Erfahrungen des vorigen Winters mahnten aber zur Vorsicht. Da war ihm zeitweilig bange geworden, denn der Karneval war nicht billig gewesen in Riederauers Begleitung. Sie blieben wohl zu beachten, die Kunstfreunde von Düsseldorf und der Nachbarschaft. Als er nun dorthin kam, stieg er im vornehmen Breidenbacher Hof ab. Die Freunde und vielleicht auch andere Leute sollten einen Wink bekommen, wie Pitter, der Bauernsohn, das »Original«, sich selber einschätzte.

Die Stadt dünkte ihm jetzt, als er sich in den vertrauten Verkehrsgebieten umsah, ganz nett, aber doch 126 auch ganz provinzmäßig. Es fehlte die große Linie, die, wie er es an München immer neu erlebte, auch wenn man nicht mehr das Bild wie ein Fremder neugierig in sich aufnimmt, unbewußte Wirkungen auf die geistige Schwungkraft ausübt. Aber die Menschen freuten ihn mit ihren stattlichen, gut gekleideten Gestalten. Sie gaben ein Bild der Wohlhabenheit, Sauberkeit und selbstbewußten Haltung, das ja nichts Künstlerisches bedeutete, aber menschlich ein heiteres Behagen erzeugte. Es war keine schlechte Sache, unter solchen Leuten angesehen zu sein, und eine gewisse Unruhe kam über ihn. Von diesem und jenem Freunde wurde er willkommen geheißen. Immer wieder sprach man ihm dabei von August Einhorn, und es wurde ihm ärgerlich, daß dies stets in einem Ton der Verteidigung geschah, gerade als ob man bei ihm ein Mißtrauen beseitigen wolle. Man kam, ohne daß er nach ihm gefragt hatte, mit solchen Mitteilungen an ihn heran. Die schöne Frau wurde gepriesen, betont, daß sie sich tadellos verhalte und ein oder das andere Mal auch angedeutet, daß nur eine gesellschaftliche Minderheit noch die Nasen rümpfe, in der Künstlerschaft aber August Einhorn sich allgemeiner Wertschätzung erfreue, um so mehr, als er sich künstlerisch vorzüglich bewähre. Es war ohnehin ein starker Drang in ihm, den ehemaligen Freund aufzusuchen. Diese Redensarten förderten noch den Entschluß. Man sollte ihm nicht eigensinnige Unduldsamkeit vorwerfen.

August hatte noch sein altes Atelier in der Kunstakademie inne.

Als ten Holten eintraf und mit vorgestreckter Hand ihm zurief: »Guten Tag, August, muß dich doch auch 127 aufsuchen. Wie geht es dir?« schien er zunächst ganz verwirrt.

Vor einer großen Leinwand stehend, ließ er den Pinsel auf die Querleiste des Gestelles hingleiten, und die Palette in der Linken, wendete er sich, auf dem Platze stehen bleibend, gegen den Besucher mit den halblaut gesprochenen Worten: »Du – Peter?«

Dann trat er ihm einige Schritte entgegen, gab ihm die Hand und sagte wieder ganz tonlos: »Was machst du hier?«

ten Holten entgegnete frisch, ihm die Hand schüttelnd: »Wir wollen das Alte ruhen lassen, nicht wahr, August? Ich bin ein paar Tage hier und konnte es doch nicht lassen, dich wiederzusehen.«,.

»Sehr freundlich von dir,« lautete die leerklingende Antwort.

ten Holten warf einen Blick auf das zum Teil schon in Ausführung begriffene, zum Teil nur untermalte Bild, das eine Rokokodame, in einem Park stehend und Schwäne fütternd, in dreiviertel Lebensgröße darstellte.

»Das ist doch deine Frau?« sagte er, das ehemalige Mäxchen erkennend, obwohl die Gesichtszüge erst ganz larvenhaft leblos angelegt waren.

»Ja,« antwortete August wieder ganz tonlos.

Die Lage wurde ten Holten jetzt doch etwas peinlich. Verlegen sah er sich nach anderen Dingen um und gewahrte drei mehr oder minder ausgeführte, auf Staffeleien stehende Bilder, noch einmal das Mäxchen in altspanischer Tracht, eine Reiterszene aus dem dreißigjährigen Krieg und die sehr farbige Skizze irgendeiner historischen Massenszene.

Er besah sich die Dinge mit Aufmerksamkeit und sagte dann: »Du bist sehr fleißig und hast schöne Arbeiten da. 128 Man hat mir auch schon Rühmliches von dir erzählt. Wenn ich mich nicht täusche, bist du noch weiter von der Akademie abgekommen, hast mehr Ton und bewegst dich auch in der Zeichnung leichter.«

Bis zu einem gewissen Grade mochte das ja richtig sein, bedeutete aber doch keine so bedeutende künstlerische Wandlung Augusts. ten Holten war es nur um eine Möglichkeit zu tun, irgendein Gespräch aufrechtzuerhalten. August ging aber zu seiner Überraschung lebhaft darauf ein. Erst zwar kamen die Worte noch zögernd und gedämpft von den Lippen, sehr bald aber wurde er lauter und lebhafter, und aus seinen Blicken war zu lesen, daß er gespannt die Gegenrede erwartete, ohne unmittelbare Fragen zu stellen.

Als sie sich eine gute Weile in solcher Art künstlerisch unterhalten hatten, sagte August, den Mund zu einem schwachen Lächeln verziehend: »Weißt du, ich muß für meinen Jungen arbeiten.«

Auf die scherzhafte Wendung, die ten Holten gebrauchte, antwortete er dann trocken: »Nein, mehr gibt es nicht. Meine Frau will keine Kinder mehr, und meine Schwiegermutter hält es auch für ausreichend.«

Als ten Holten darauf schwieg, sagte er nach einer kleinen Weile: »Schade, daß du nicht mehr hier bist. Man konnte sich doch über manches aussprechen. Damals bist du freilich hart mit mir umgegangen. Aber das wollen wir nicht mehr berühren. Wie geht es eigentlich dir?«

ten Holten sprach sich kurz über seine im ganzen befriedigende Lage aus und führte dabei einen Seitenhieb gegen die Kränkung, die ihm in Düsseldorf widerfahren sei.

129 August meinte, das seien Zwischenträgereien, auf die man nicht zu viel Wert legen dürfe und fragte dann: »Suchst du nicht meine Schwester auf? Wir haben öfter von dir gesprochen und sie würde sich freuen, dich zu sehen. Mit ihr und meinem Schwager stehe ich nämlich sehr gut – ich persönlich.«

Er stockte und fuhr dann fort: »Weißt du, es geht nicht um meine Frau. Die Schwiegereltern sind's. Na ja –. Gehe doch heute abend zwischen fünf und sechs zum Tee zu ihr. Sie wird sich sehr freuen. Ich komme dann auch hin oder wir fahren gleich zusammen hinaus.«

Etwas zögernd willigte ten Holten ein. Es hatte nicht in seiner Absicht gelegen, diesen Besuch zu machen.

»Und dein Schwager?« fragte er dann den Freund.

»Mit dem komme ich auch ganz gut aus,« lautete die Antwort. »Ich weiß wohl, was sie eigentlich möchten. Aber das gibt es nie – nie. Ich habe meine Frau sehr gern, sehr gern.«

August war auf einmal in eine Erregung gekommen, die er jäh wieder unterdrückte. Er verstummte, und erst nach längerer Pause sagte er ruhig: »Weißt du, die Verhältnisse sind ja etwas schwierig. Aber nur durch die Schwiegereltern, nur durch die. Mit der Zeit wird das anders werden. So kann es natürlich nicht fortgehen. Das sehe ich selbst ein. Für meine Frau arbeite ich gern, ich will, daß sie schöne Kleider trägt, daß sie sich pflegt und so weiter. Aber von den Alten lasse ich mich nicht länger ausbeuten. Da habe ich doch recht?«

»Allerdings,« murmelte ten Holten.

»Ich brauche ja viel zu viel Geld,« fuhr August fort. »Wahrhaftig, ich schinde mich und richte mich schließlich als Künstler zugrunde.«

130 »Da würde ich aber rasch handeln,« meinte jetzt ten Holten.

»Das ist leichter gesagt als getan,« antwortete August. »Meine Frau ist völlig abhängig von ihrer Mutter, die den ganzen Tag bei ihr steckt, und wenn ich ein Wort über die Schwiegereltern sage, ist der Teufel los.«

ten Holten schwieg.

Einen Augenblick schien sich August Einhorn zu besinnen. Dann ging er auf den Freund zu, faßte ihn mit beiden Händen an den Schultern und sagte mit bebender Stimme und verdüstertem Blick:

»Mir ist oft so bange um die Zukunft. Ich habe viele Sorgen, das darfst du mir glauben. Aber ich kann nicht bereuen, was ich getan habe. Es ist eben doch eine herrliche Frau, das schönste Weib in ganz Düsseldorf, und sie hat mich auch lieb. Aber sie hängt eben auch an ihrer Mutter, und sogar den Stiefvater hat sie gern, obwohl uns der arge Verdrießlichkeiten macht. Wenn ich sie allein für mich hätte, ginge alles ganz gut. Aber von den Ihrigen wäre sie nicht fortzubringen. Du hast vielleicht schon gehört, daß Herstall nach Berlin zieht. Seiner Frau gefällt es hier nicht. So geht es eben, wenn man verheiratet ist. Aber besser ist's doch, als wenn ich mit meinem alten Herrn hausen müßte. Meinen Jungen solltest du sehen – ein Staatskerl. Aber nun ja – du kannst es meiner Frau nicht verübeln, daß sie nicht sehr zu dir steht.«

»Ich möchte durchaus nicht stören,« sagte jetzt ten Holten mit einiger Schärfe.

»Ich hätte dich eigentlich einmal sehr gern bei mir zu Tisch gehabt, aber die Verhältnisse –«

»Laß nur,« versetzte ten Holten. »Es freut mich, daß du mich hier in deinem Atelier so freundlich aufgenommen hast.«

131 »Ach ja,« sagte August, »es war doch hübsch, wenn wir so miteinander heimgingen und uns über alles Mögliche aussprachen. Du hast es auch zuletzt gut gemeint nach deiner Art. Das sehe ich wohl ein. Aber recht hast du doch nicht gehabt. Es sind Schwierigkeiten zu überwinden, gewiß, aber unglücklich bin ich nicht. Man kann nicht unglücklich sein mit einer solchen Frau. Du weißt ja, ich bin sehr empfindlich; es geht mir jede Unannehmlichkeit gleich an die Nerven. Das kommt von meiner traurigen Jugend daheim. Aber ich habe jetzt das Mittel, mich immer wieder aufzumuntern. Ich weiß jetzt erst, was das Weib ist.«

Mit flackernden Augen sah er ten Holten an. Dieser verabschiedete sich und nahm eine bittere Empfindung mit. Da war keine Rettung mehr zu erhoffen und der Untergang gewiß. An Riederauer und seine Lust am Weibe mußte er denken – der in Lebensübermut jauchzende Kraftmensch, und hier der dekadente, zwischen Begierde und Katzenjammer taumelnde Zeitgenosse.

Frau Hedwig Benthoff empfing den in Gesellschaft ihres Bruders erscheinenden ten Holten mit herzlicher Freude in ihrem nicht prunkvollen, aber behaglich modischen Heim. Mit lebhaftem Interesse fragte sie ihn und machte Scherze, die sich auf Vergangenes bezogen. Auch sie hatte ein Söhnchen, das ten Holten vorgeführt wurde. Dieser beobachtete die junge Frau mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie hatte sich ganz köstlich entwickelt. Auf ihren ein wenig voller gewordenen Zügen lag stets die Heiterkeit des Glückes mit leisem Lächeln und frohem Leuchten der Augen gebreitet; sie sprach viel, mit raschem Temperament, immer zu scherzhafter Wendung geneigt, und es war, als 132 entströmte ihrem Wesen ein besonderer Duft blühender Gesundheit. Als Mädchen war sie viel verhaltener, kühler, trotz gelegentlicher Heiterkeit im ganzen sehr ernst angelegt gewesen, die Ehe hatte sie offenbar verjüngt, gewisse Spuren beginnender Altjüngferlichkeit verwischt. Unter dem Einfluß ihrer Art nahm auch August eine unbefangene, lustige Gesprächigkeit an, so daß sich ein höchst behagliches Teestündchen entwickelte, aus dem ten Holten die Möglichkeit gewann, sein eigenstes Wesen zu zeigen wie seit Jahren nicht, selbst nicht, wie er meinte, zu Hause bei den Seinigen, und er empfand eine große Freude, als ihm Frau Benthoff vergnügt sagte:

»Sie haben sich nicht verändert. Das ist recht.«

Schließlich störte August die freundliche Stimmung. Als ten Holten eine Einladung zum Abendessen angenommen hatte, forderte Frau Benthoff den Bruder zu Gleichem auf. Dieser lehnte aber mit dem eifrigen Bemerken ab, daß er ganz unmöglich länger verweilen könne.

Eine Falte zeigte sich auf der Stirn der Schwester, als sie darauf erwiderte: »Deinem Freunde könntest du doch einen Abend schenken.«

Aber August beharrte, sich bei ten Holten noch besonders entschuldigend, bei seiner Ablehnung, ohne dafür jedoch nähere Gründe anzugeben.

Frau Benthoff machte jetzt eine verdrossene Miene, und das Behagen war zunächst dahin. Herr Benthoff kam von der Fabrik herüber und begrüßte ten Holten mit schlichter, leicht scherzhafter Freundlichkeit. August wechselte einige Worte mit ihm und verschwand dann. Frau Benthoff wendete sich ärgerlich an den Gatten, ihm 133 von ihrer Einladung und deren Ablehnung erzählend. »Da steckt wieder seine Frau dahinter, der er zur Verfügung stehen muß.«

Benthoff zuckte die Achseln und meinte kühl: »Daran ist nun mal nichts zu ändern.«

Während des Abendessens sprach Frau Benthoff zu ten Holten weiter über den Bruder: »Erst wollte er sich ja auch von uns wie vom Vater fernhalten. Ich habe es aber doch fertig gebracht, ihn heranzuziehen. Damit er doch mit geordneten Verhältnissen in Berührung bleibt. Er hat ja kein richtiges Heim, trotz des äußeren Scheines von Vornehmheit, den seine Frau und deren Mutter ganz geschickt um sich zu breiten wissen. So hoffe ich, ihm einen gewissen Halt zu geben, damit er nicht in einen Zustand der Verwahrlosung gerät. Er bleibt doch im Zusammenhang mit den Gewöhnungen, in denen er aufgewachsen ist. Dann findet er vielleicht auch die Kraft zu einem energischen Auftreten, wenn die Dinge zu einer Krisis führen sollten.«

Ihr Gatte schüttelte leise den Kopf und sagte dann: »Ich habe meiner Frau nicht gewehrt, denn es ist nun einmal ihr Bruder, aber ich kann nicht an einen guten Ausgang glauben. Er wird sich zugrunde richten und dann, wenn er nichts mehr zu bieten hat, mißhandelt werden.«

»Das zu verhüten, will ich eben den Einfluß auf ihn behalten,« entgegnete Frau Hedwig.

»Der stärkere Einfluß wird aber immer auf der anderen Seite sein,« bemerkte Benthoff. »Du kennst die Mächte nicht, mit denen du da kämpfen willst.«

Leise Röte stieg in Frau Hedwigs Wangen auf und sie sagte: »August ist gut.«

134 »In diesem Punkt,« entgegnete der Gatte, »kann die Schwester nicht den Bruder kennen, und gerade Gutmütigkeit bedeutet hier Gefahr. Immer sind sogenannte Gutmütige die Opfer solcher Verhältnisse. Nicht Gutmütigkeit ist die Sache eines Mannes, sondern starker Wille zum Guten, und auf die Stärke kommt es an, nicht auf das bloße Wollen. Laß mich mit den sogenannten ›guten Kerlen‹ zufrieden, das sind höchst unsichere Kunden.«

Frau Hedwig sagte jetzt, den Gatten streichelnd: »Du bist ja auch ein guter Kerl!«

»Mit Unterschied aber, möchte ich bitten,« bemerkte dieser.

Frau Hedwig wendete sich an ten Holten und sagte, mit einer Kopfbewegung auf den Gatten weisend: »Er urteilt streng, aber er kann August doch ganz gut leiden.«

»Dir zuliebe bin ich duldsamer, als ich es sonst wäre,« sagte Benthoff darauf. »Du hängst an deinem Bruder, und ich möchte nicht, daß seinetwegen ein Zwiespalt in unsere Ehe käme.«

Wieder zu ten Holten gewendet, sagte Frau Hedwig mit leiser Melancholie: »Es bekümmert mich sehr und trübt mir, was sonst so schön und freundlich mich umgibt.«

Die Klage überhörte ten Holten fast, indem er aus ihr den strahlenden Himmel leuchten sah, dessen Licht diese Ehe verklärte, und ein kurzer, zärtlich ermunternder Seitenblick Benthoffs auf die Gattin erhellte diesen Hintergrund noch mehr. Benthoff war es auch, der jetzt mit einer Frage an den Gast ein Gespräch über Münchner Dinge einleitete, das alsbald eine behagliche Stimmung brachte. Er sagte im Verlaufe: »Ich habe München sehr 135 gern, und es könnte sehr wohl sein, daß wir einmal einen Sommeraufenthalt im Gebirge nähmen. Es könnte uns auch ein anderer Anlaß dorthin führen, den ich aber nicht gerade wünsche. Ich reise nicht viel, denn es steht mir dafür eine sehr tüchtige Kraft zur Verfügung. Aber gewisse Geschäfte muß ich doch persönlich besorgen. Das sind gerade die unangenehmeren, ernste Differenzen, Zahlungsschwierigkeiten und derlei. Da kann man draußen seine üble Laune einsam spazieren führen. Einmal habe ich aber schon die Probe auf ein gutes Mittel dagegen gemacht. Ich nehme meine Frau mit. Zu Zweien wird man des Ärgers Herr. Wenn's also mit meinen süddeutschen Geschäften einmal faul steht, dann erscheinen wir auch zu anderer Zeit in München.«

»Und Herr ten Holten soll mir helfen, die schlechte Laune zu vertreiben,« scherzte Frau Hedwig. »Da sehen Sie den Pascha!«

Mitternacht war es, als ten Holten aufbrach. In gelassener Rede, die bald von der einen, bald von der anderen Seite neue Anregung erhielt, und mannigfach Dinge streifend, die eine würdige Vertraulichkeit erzeugt hatte, war ten Holten die Zeit hingegangen, als hätte er sie nicht in einer allmählich von Zigarrenrauch reichlich erfüllten Stube verbracht, sondern auf einer köstlichen Wanderung in einer eindrucksvoll wechselnden Landschaft. Sein Geist war voll von schönen Regungen und klugen Gedanken, und die beiden prächtigen Menschen waren ihm so nahe gekommen, daß er eine deutliche Wehmut verspürte, als er sich von ihnen verabschiedete. Nachdenklich legte er die Fahrt zum Gasthof zurück. Des Freundes Los war ihm dabei ganz aus dem Sinn gekommen. 136

 


 


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