Karl von Perfall
Der kluge Pitter
Karl von Perfall

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Erstes Kapitel

Tags zuvor war die Industrie- und Kunstausstellung eröffnet worden, die sich hinter dem Düsseldorfer Hofgarten längs dem Rheinufer mit zahlreichen Gebäuden in einem leuchtend weißen Grundton, von buntem Flaggenwerk heiter belebt, dahinzog. Am heutigen Sonntag waren bei dem schönen Wetter die Tausende hinausgeströmt, die nicht zu den »Offiziellen« gehörten, denen schon gestern der Einblick in diese reiche Welt deutschen und insbesondere rheinisch-westfälischen Schaffens gestattet war. In der Hauptstraße, die sich zwischen dem Rheinufer und den langgestreckten Kerngebäuden hinzog, wogte eine dichte Menge von Männlein und Weiblein, die inneren Räume waren überfüllt und auch die zahlreichen, mannigfach und oft sehr niedlich stilisierten Gastwirtschaften aller Art hatten verheißungsvollen Zuspruch. Mit Behagen besahen sich die Mitglieder des Ausstellungsvorstandes dieses Treiben. Das war ein guter Anfang. Gleich ihnen hatten sich viele andere Herren, die gestern bei der Eröffnung beteiligt gewesen waren, heute wieder mit Frauen und Töchtern eingefunden. Wie es nun in Deutschland bei jeder Gelegenheit zu geschehen pflegt, bei der die sozialen Schichten sich zu vermischen drohen, hatte auch hier die »bessere Gesellschaft« ohne besondere Vereinbarung mit geheimnisvollem 2 Klasseninstinkt die Terrasse einer bestimmten Konditorei zum Sammelpunkt ausersehen. Man hatte da einen freien Blick auf den Strom, die Brücke und das jenseitige Ufer mit der weiten grünen Fläche, auf der die Villenanlage von Oberkassel wie ein Spielzeug in heiterer Farbigkeit und sauberer Ordnung der Straßenzeilen lag. Der Münchner Professor Wieland, der zu den Delegierten für die Kunstausstellung gehörte, nahm mit gespanntem Blick das eigenartige Bild in sich auf. Weiträumig war die Sicht, und die Bewegung des weich dahinfließenden Stromes erhielt gerade dadurch etwas Feierliches, ein packendes Pathos. Wie dann die Brücke sich in zwei kühnen Eisenbogen mit einem steinernen Löwen dazwischen hinüberschwang, das hatte etwas lustig Zierliches, aus dem aber die Umrisse des Löwen dann wieder wie ein ernsthaft gebietendes Phantom scharf gegen die freie Luft ragten. Die Düsseldorfer Altstadt dahinter mit ihrem spitzen Kirchturm übersah man fast. Das konnte ja gar nicht Düsseldorf sein, die Stadt, die ein solches Riesenunternehmen bot! Jetzt zog ein Schleppdampfer mit einem Gefolge von Kähnen, mächtige Rauchwolken entsendend, talwärts. Das brachte eine neue Note ins Bild. Holland war nahe, die weite Ebene kündete es ja schon, und dann kam das Meer. Das kündeten weiter die silbrigen Töne, die das Malerauge in der Luft erkannte. »Das ist unser Rhein, der Niederrhein, Herr Professor!« unterbrach den schauenden Maler der Geheime Baurat Kemmerich mit deutlicher Düsseldorfscher Stimmtonlage, und das weinfrohe Gesicht des behäbigen Herrn mit den lustigen grauen Äuglein belebte sich in stolzer Freudigkeit über das Interesse, das der berühmte Künstler an der Landschaft nahm, die so gar nichts gemein hatte 3 mit dem romantischen Bilde, das sich allenthalben an das Wort »Rhein« knüpft.

Professor Wieland antwortete langsam, in nachdenklicher Weise: »In der Ausstellung habe ich ein sehr gutes Bild gesehen, das ein ähnliches Thema des Niederrheines in Abendstimmung behandelt. Ein holländisch klingender Name – aber bei den Düsseldorfern – –«

»Ah, das ist von ten Holten,« rief jemand.

»Das Bild gefällt Ihnen?« fragte ein schlanker Herr mit feinen Zügen und einem sorgfältig gepflegten schneeweißen Vollbart. Es war der Bankier und Kommerzienrat Hagenbach. Der Blick seiner großen blauen Augen heftete sich dabei eindringlich auf den Münchner Meister. Dieser antwortete:

»'s ist eine der besten Arbeiten in den Düsseldorfer Sälen. Der Mann kann was.«

»Das freut mich zu hören,« sagte der Kommerzienrat, der zu den hervorragendsten Kunstfreunden Düsseldorfs zählte. »Ich habe nämlich auch Gefallen daran gefunden und bin geneigt, es zu kaufen.«

Professor Wieland fragte jetzt: »'s ist ein jüngerer Künstler, wie ich vermute?«

»Er ist zwei Jahre von der Akademie weg und wird wohl Ende der Zwanzig sein,« bemerkte einer der Umsitzenden.

»Geborener Düsseldorfer?« fragte der Münchner Professor weiter.

»Nein,« wurde ihm Bescheid. »Er stammt aus der Gegend zwischen Wesel und Emmerich.«

»Da ist's schon halb holländisch und kommen ähnliche Namen häufig vor,« schaltete jemand ein.

4 Der Baurat sagte jetzt: »Das freut mich für das Pitterchen, wenn Sie das Bild kaufen, Herr Kommerzienrat. 's ist ein tüchtiges Kerlchen, und er kann's gebrauchen.« Eine junge Dame, die Tochter des Malers Einhorn, die mit ihrem Vater in der Gesellschaft saß, hatte das Gespräch mit lebhaften Blicken und leisem Lächeln auf den Lippen verfolgt. Der Vater sagte jetzt, seinen graubraunen Spitzbart langsam mit der ganzen Hand streichend, wobei er den Kopf etwas zurücklegte: »Peter ten Holten klingt ganz gut als Name. Man kann dabei an einen alten holländischen Meister denken, solange man seine Bilder nicht sieht.«

Es klang etwas Hämisches aus der Bemerkung. Die Tochter des Malers errötete, und dieser selbst fühlte alsbald, daß der Scherz die Umgebung verstimmte. Gegen den Kommerzienrat Hagenbach gewendet, fuhr er daher fort: »Das Bild da in der Ausstellung ist übrigens eine gute Arbeit.«

Der Münchner Professor sah den Düsseldorfer Kollegen kurz an und wendete sich dann an seinen Nachbar, das Gespräch über den Niederrhein mit den Worten fortsetzend: »Da wird wohl hier im Flachland auch der Menschenschlag ein etwas anderer sein als in der Gegend zwischen Mainz und Koblenz, die ich ja mehrfach besucht habe?«

Man beschied ihn: »Gerade hier in Düsseldorf dürfte die Grenze zu suchen sein für den leichtlebigen Schlag der Rheinländer. Über Krefeld hinaus werden die Menschen schwerblütiger, sind darum aber noch keine Kopfhänger, sondern wissen auch mit dem Leben umzugehen.«

Man scherzte über den Namen »Radschläger«, den die Düsseldorfer ihres heiteren Sinnes wegen in der Umgegend hatten, sprach, die Düsseldorfer unter den 5 Anwesenden neckend, von nichtsnutzigem Volk, diese rühmten sich dagegen eines leichteren, gefälligeren Humors als die plumpen, lärmenden Kölner, auch schönere Mädchen wollte man haben als die altberühmte Nachbarstadt. Dann ging man dazu über, auf die Ausstellung weisend, daß derlei die Kölner nie und nimmer fertig brächten und meinte, die Zeit sei wohl nicht mehr fern, in der Düsseldorf Köln an Bedeutung überholt haben werde. Ein großer, breitschultriger Herr in den Dreißigen trat heran. Seine mächtige Gestalt und der hart modellierte Kopf mit den wasserblanken Augen fielen dem Münchner auf. Nur ein leichtes blondes Schnurrbärtchen saß über der Oberlippe dieses Gesichtes, das, ohne irgendwie schön zu sein, den fesselnden Eindruck einer überaus willensstarken Intelligenz machte. Der wuchtige Körper paßte vortrefflich zu dem Gesamttypus des kultivierten Germanen. Er wurde Professor Wieland als Fabrikant Benthoff vorgestellt, nickte nur ganz kurz mit dem Kopf, wechselte mit einigen Herren kräftige Händedrücke und begrüßte dann Fräulein Einhorn, mit einigen leicht humoristisch gefärbten Wendungen sich nach ihrem Befinden erkundigend und die Erinnerung an einen vergnügten Gesellschaftsabend, an dem er sie zuletzt gesehen, auffrischend. Dabei gab er sich in seiner Sprechweise als echtesten Westfalen zu erkennen. Benthoff mischte sich mit der Bemerkung ein: »Um Düsseldorf handelt es sich gar nicht, das kann man aus der Ausstellung heraussehen. Das ganze weite Industriegebiet von Westfalen herauf bis ans Rheinufer steht in Frage. Das reckt und dehnt sich immer mehr und springt auch bald über den Rhein. Was Amerikanisches steckt da drinnen. Eine ganz wilde Sache wird das noch, ein einziges Riesenwerk 6 mit Millionen Arbeitskräften wächst da mit der Zeit heraus.«

»Und was wird dabei aus der Düsseldorfer Kunst werden?« fragte Professor Wieland.

Der Kommerzienrat Hagenbach gab die Antwort darauf: »Der droht von daher keine Gefahr. Die Industrie ist gar nicht kunstfeindlich, im Gegenteil, unsere Künstler haben ihr viel zu danken. Berlin ist's, das uns künstlerisch erdrücken will mit seinem systematischen Bestreben, das ganze Kulturleben zu zentralisieren und bei uns etwas herauszubilden wie in Frankreich, alles die Hauptstadt und daneben eine geistig verarmte Provinz. Da heißt es sich wehren, und 's ist höchste Zeit dazu. Viel ist hierin schon versäumt worden.«

»Es wird hier nicht schlechter, wohl besser gemalt als in Berlin,« bemerkte der Maler Einhorn.

»Ich habe ja auch gar nichts gegen die Qualität der hiesigen Malerei sagen wollen,« entgegnete der Kommerzienrat in etwas empfindlichem Ton. »Mehr Propaganda muß für die Düsseldorfer Kunst über den Westen hinaus gemacht werden. Die Ausstellung ist ein Anfang dazu. Nur nachher nicht wieder einschlafen. So hab ich's gemeint.«

»Wir haben hier genug Leute, die es ohne Ausstellungen zu einem ganz anständigen Ruf gebracht haben,« versetzte wiederum Einhorn.

»Jetzt haben Sie aber doch auch ausgestellt,« warf der Baumeister ein.

»Warum sollte ich nicht?« antwortete Einhorn gereizt. »Ich bin immer auf großen Ausstellungen vertreten gewesen. Habe noch gar keinen Grund, den jungen Herren zu weichen.«

7 »Davon spricht doch niemand,« sagte jetzt der Baurat. »Die jungen Leute werden es nur leichter haben, in die Höhe zu kommen, wenn von jetzt ab große Ausstellungen im Kunstpalast auch hierher mehr Fremdenbesuch bringen.«

»Wir haben es bisher nicht nötig gehabt,« antwortete Einhorn wieder eigensinnig.

»Ihr Sohn ist ja auch dabei,« warf jemand aus der Runde ein.

»Und keiner von den Schlechtesten,« rief Einhorn in einem Ton, als hätte er einen gegen den Sohn gerichteten Angriff abzuwehren.

»Das ist ja ein furchtbar kratzbürstiger Herr,« wendete sich jetzt Professor Wieland an den neben ihm sitzenden Baurat.

»Ja,« antwortete dieser, »er gehört zu den Mißvergnügten und hat eigentlich keinen Grund dazu. Verdient noch immer ein ordentliches Stück Geld, bildet sich aber ein, man wolle ihn beiseite drängen.«

»Sind denn die Herren hier so eifersüchtig untereinander?« fragte jetzt der Münchener.

Mit heiterem Lachen antwortete der Baurat: »Die alten Herren sehen es eben nicht gern, wenn die jungen was verkaufen, sofern es nicht gerade eigene Söhne sind. Und vielleicht ärgert sie das sogar im stillen. ›Nach uns die Sündflut‹ meinen sie.« Dann richtete er an die Runde die Frage: »Was ist für ein Unterschied zwischen der Maschinenhalle und der Kunstausstellung?«

Einen faulen Witz erwartend, verlangte man mit lächelnder Miene die Antwort von dem Spaßvogel selber. Dieser zögerte auch nicht lange und gab die Lösung des Rätsels mit breitem Behagen: »In der Maschinenhalle 8 sind die Maschinen mit Öl geschmiert, in der Kunstabteilung sind die Bilder mit Öl – gemalt.«

Die Gesellschaft war in heitere Laune versetzt und diese erlitt auch keine Änderung mehr, bis man in rascher Folge hintereinander aufbrach. Man war in den ersten Maitagen, und die Luft begann so nahe am Strom, da es gegen Abend ging, schon wieder kühl zu werden.

Maler Einhorn durchquerte mit seiner Tochter die ganzen im jungen Grün prangenden und Blütenduft ausatmenden Anlagen des Hofgartens, um nach ihrer Wohnung in der Duisburger Straße zu gelangen. Sie gingen eine gute Weile stumm nebeneinander her. Hedwig, die sich davon überzeugt hatte, daß der Vater wieder einmal in reizbarer Stimmung war, sann vergebens nach einem harmlosen Gesprächsstoff. Da begann der Vater selber: »Das wird diesen Sommer einen Rummel auf dieser Ausstellung geben! Na, mich wird man nicht zu oft da sehen.« Nach einer kleinen Pause fuhr er mehr im Selbstgespräch., als an die Tochter gerichtet, fort: »Die alte Düsseldorfer Gemütlichkeit wird mit Gewalt totgeschlagen. Aus ihr ist aber unsere Kunst mit ihrem intimen Charakter herausgewachsen. Fanfarenbläser und Paukenschläger hat es hier nie gegeben. Die werden erst durch solchen Ausstellungsspektakel großgezogen. Dazu ist aber kein Boden hier. Das paßt nach Berlin oder München, nicht hierher. Das Publikum wird nur verwirrt, und unsere solide Eigenart wird von diesen großen Knalleffekten, die eigens für solche Ausstellungen gemacht sind, erdrückt. Unsereins hat auch große Bilder gemacht. Mein ›Festmahl‹ in der Nationalgalerie, meine ›Taufe‹ im Leipziger Museum sind keine kleinen Stücke. Aber man 9 hat nicht die Kunst nach Metern gemessen. Ein intimer Gegenstand kann keine großen Maßstäbe brauchen. Wenn dieser Herr Professor Wieland für einen einzigen Stier eine Leinwand von zwei Meter Höhe braucht, dann ist das Lärmmacherei, weiter nichts.«

Er fuhr fort, an verschiedenen Bildern der Ausstellung, nicht bloß an solchen von besonders großem Maßstabe, zu nörgeln. Hedwig kannte diese Art, über andere Künstler, namentlich jüngere, zu sprechen. Das häusliche Behagen litt schwer unter der fast ständigen Verbitterung des Vaters, die, wie sie meinte, erst seit dem vor drei Jahren erfolgtem Tod der Mutter sich in immer wachsendem Maße geltend machte. Einhorn war einer der beliebtesten Düsseldorfer Maler. Seine fein ausgeführten, historischen Genrestücke, im Stile etwa van der Helsts, hatten sehr viele Anhänger, die über seine intime Behandlung von Atlas und Samt, die peinlich saubere Darstellung von Holzschnitzerei, Ziergeräten und dergleichen, in Entzücken gerieten. Er hatte in früheren Jahren reichlich Geld verdient, und wenn er neuerdings die allmähliche Wandlung des Geschmackes zu fühlen begann, so war dies doch noch nicht ein eigentlicher Niedergang. Die verstorbene Gattin stammte aus angesehener Elberfelder Fabrikantenfamilie und hatte ein hübsches Vermögen ins Haus gebracht. So gehörte Einhorn zwar nicht zu jener kleinen Gruppe von Malern, die im ganz aristokratischen Stile lebten, aber er besaß ein stattlich eingerichtetes Haus mit Garten und galt als sehr wohlhabender Mann, obwohl er als ganz armer Junge vor Jahrzehnten aus dem Braunschweigischen an die Düsseldorfer Akademie gekommen war. Er war immer ein ernster, trockener Mensch gewesen, seine 10 Gemahlin hatte das feierliche, sanft geräuschlose Wesen der Wuppertaler Frauen. Es herrschte immer ein zurückhaltender gedämpfter Ton im Einhornschen Hause, und auf die beiden Söhne und die Tochter war etwas von dem strengen kühlen Wesen übergegangen, das sich gänzlich unterschied von der sonstigen Art in Düsseldorfer Künstlerfamilien. Aber man hatte dabei behaglich in einem schönen Familienverhältnisse gelebt, in dem freilich auf die empfindliche Reizbarkeit des Oberhauptes die strengste Rücksicht genommen werden mußte. Die verstorbene Frau hatte es vortrefflich verstanden, den Gatten zu behandeln, ihm Ärgerliches aus dem Wege zu räumen und üble Launen zu verwischen, gelegentlich auch durch Übersehen zum Versiegen zu bringen. Bei den Kollegen war er nie sonderlich beliebt gewesen, weil er immer ein Nörgler war und sich stets zurückgesetzt oder nicht aufmerksam genug behandelt fühlte; während er selber anderen keineswegs liebenswürdig entgegenkam. Mit dem vor drei Jahren erfolgten Tode der Gattin, an der er wie an dem einzigen vertrauenswerten Menschen hing, hatte er den Stützpunkt seines mißvergnügten Daseins verloren, und da ihn, nach seiner Meinung, niemand mehr so recht zu behandeln wußte, überließ er sich ganz haltlos dem Spiele der Stimmungen und Launen. Eine Verwandte, die er als Leiterin des Haushaltes zu sich genommen hatte, war eine sanfte bescheidene Witwe in reiferen Jahren, die sich von ihm geduldig tyrannisieren ließ, im übrigen aber ihm fremd blieb. Seinen ältesten Sohn, den Maler, der ein ziemlich schlapper Mensch war, behandelte er schlecht, der zweite, der jetzt Assistent an der Leipziger chirurgischen Klinik war, war seit Jahren nur 11 wenig zu Hause gewesen und hatte dann häufig mit ihm Zank gehabt. So suchte er wohl einigen Anschluß an die Tochter Hedwig. Das kluge Mädchen hatte aber ein starkes Selbstbewußtsein und wich seiner Empfindlichkeit und Launenhaftigkeit lieber mit einer ihm ärgerlichen Ruhe aus, als daß sie sich besonders um seine Besänftigung bemüht hätte. Er wollte aber in solchen Fällen wie ein wehleidiger Kranker behandelt sein. So hatte es die Verstorbene gemacht, das empfand er als mitfühlendes Verständnis. Des Übels Grund war maßlosem Ehrgeiz entspringende Eifersucht. Die Stellung, die er sich errungen hatte, genügte ihm nicht; es gab einige Maler in Düsseldorf, die viel berühmter waren als er, von denen man in einem Ton besonderer Hochachtung sprach, das ärgerte ihn; dann waren die Akademieprofessoren da, die sich einbildeten, sie seien allein echte Künstler. Näherte sich ihm jemand in einem etwas vertraulichen Tone, so sah er schon eine Geringschätzung seines Künstlerranges darin. Seit einiger Zeit hatten die Jungen angefangen, lebhafter hervorzutreten, ihre Stimme lauter zu erheben, als dies bisher der Fall gewesen war, und sie fanden damit die Sympathien verschiedener Kreise, die frisches Blut für die Düsseldorfer Schule heilsam fanden. Darin sah er nun geradezu Rebellion und dem Sohne sagte er gelegentlich: »Ihr seid Sozialdemokraten, weiter nichts!«

Dieser Peter ten Holten war einer der näheren Freunde seines Sohnes und schon öfters in seinem Hause gewesen. Er hatte ein gutes Urteil und ihm schon mehrmals Artiges über seine Kunst gesagt, deshalb hatte er ihn auch gelegentlich an seinen Tisch gezogen. Wenn der aber jetzt schon ein Bild in die ersehnte Galerie von 12 Kommerzienrat Hagenbach brachte, so mußte das dem jungen Menschen in den Kopf steigen und zugleich die revolutionäre Strömung der Jungen, bei denen er eine gewisse Führerrolle hatte, wesentlich fördern. Das war aber die ärgste Pein, die sich mit allem Bemühen nicht unterdrücken ließ: was bei den jungen Düsseldorfern gewissermaßen im Keimen war, sich erst schüchtern vorwagte, zeigte sich bei den Münchenern als Fertiges, und dies Fertige zwang die künstlerische Einsicht dazu, Vorzüge, Errungenschaften zu erkennen, die nicht zu übersehen waren. Es war nicht bloß Effekthascherei, grobes Drauflosgehen, was sich da bot. Es steckte ein ernster Sinn in diesen Bestrebungen. Dann kam aber ein neuer Geschmack, eine neue Art zu sehen, und das wetterwendische, modesüchtige Publikum würde die neue Sache mit Begierde aufgreifen. Veraltet war man dann, Althändlerware, was man noch schuf, und doch kein Ding von Wert für die Freunde alter Kunst; bei Lebzeiten wurde man schon begraben oder wenigstens wie ein veraltetes, wertlos gewordenes Möbelstück in den Winkel gestellt. Das war ja ein schaudervolles Los, eine heißringende Lebensarbeit war da zu ganz gemeinem Broterwerb gemacht, der seinen Mann nährte, wie jedes gutgehende Handwerk, jedes leidliche Ladengeschäft! Welch' jämmerliches Alter stand da bevor!

Das Eßzimmer war mit reichgeschnitzten Barockmöbeln aus schwarzem Holz ausgestattet, von der dunkelbraunen, getäfelten Decke hing ein großer Kronleuchter aus Kupfer und Schmiedeeisen, eine Wand schmückte ein Gobelin, an der anderen hing ein großes Stilleben, eine reichbesetzte Tafel, eine Jugendarbeit Einhorns. Auf dem Fußboden 13 war ein wertvoller Teppich gebreitet. Zur Rechten des Hausherrn saß Tante Mila, wie die Verwandte, Frau Emilie Herbert, in der Familie genannt wurde; zu seiner Linken Hedwig. Am unteren Ende hatte August, der Sohn, seinen Platz, ein hagerer, sehr großer Mann, mit einem Anflug dünnen Vollbartes im Gesicht, aus dessen dunklen Augen in tiefen Höhlen unruhig, stets den Ausdruck wechselnd, Blicke bald dahin, bald dorthin zielten. Dunkles Haar hing meist etwas in die Stirn des vorgeneigten Kopfes herein und wurde zeitweilig mit jäher Bewegung eines langen Armes und einer großen Hand zurückgestrichen. Das nicht häßliche Gesicht zeigte das Gepräge geistiger Überanstrengung und vielleicht auch der Ausschweifung.

Der Vater wandte sich gleich, nachdem man sich zu Tisch gesetzt hatte, an ihn mit der Nachricht vom wahrscheinlichen Kaufe des ten Holtenschen Bildes durch Kommerzienrat Hagenbach und fügte die Frage bei: »Kennst du den Preis?«

»Zweitausendvierhundert,« lautete die fast gemurmelte Antwort.

»Das ist Geld genug!« warf Vater Einhorn ein.

»Aber nicht zuviel,« entgegnete August mit einem Klang des trotzig Streitbaren.

Der Vater sah auf, erwiderte aber nichts.

Tante Mila bemerkte nach einer Weile: »Sein Gesicht möchte ich sehen, wenn er das Geld in Empfang nimmt, wie er die Augen zusammenkneift und schmunzelt. Da ist er immer wie ein Komiker. Er hat überhaupt im Äußeren nichts von einem Künstler, als allenfalls die Struwwelhaare«.

14 »Das Pitterchen,« sagte August darauf, »wird die Summe ganz kühl einstreichen als etwas, was ihm gebührt. Er ist stolz auf sein Bild und erwartet den Erfolg.«

»Dein Studienkopf wird auch noch verkauft werden,« meinte Tante Mila jetzt aufmunternd zu August. Dieser hatte eine größere, im Auftrage einer westfälischen Stadt gemalte Historie ausgestellt und daneben den Kopf eines alten Landsknechtes mit wallendem Bart, wozu ihm ein stadtbekannter, verbummelter Maler gesessen hatte.

Er zuckte zu Tante Milas Anmerkung die Achseln.

»Das muß schon ein Käufer von Auswärts sein,« warf jetzt der Vater ein, »hier kennt man das Original zu gut. Den Herrn Bornbeck hängt sich niemand gern in die Stube.«

Hedwig beklagte nun mitfühlend das Los dieses Malers, der als Trunkenbold in den Schenken herumzog und den Spießbürgern, das Original spielend, den Hanswurst machte.

»Die Frau soll viel Schuld daran tragen,« meinte sie schließlich.

Der Vater sagte darauf: »Daß er diese Person heiratete, war schon eine Lumperei. Er hat früher etwas gekonnt, war aber immer ein Taugenichts. Schämen muß man sich, daß so ein Kerl als Künstler hier herumläuft und den ganzen Stand in Mißkredit bringt.«

»Das wird wohl öfters bei Künstlern vorkommen,« meinte jetzt Tante Mila.

»Wie in anderen Ständen auch,« entgegnete Einhorn. »Aber das ist's eben, daß gerade bei Künstlern die Philister dann gleich verallgemeinern und einen Berufstypus in einem solchen Menschen erkennen wollen. Daß 15 ein Künstler ein Lump wird, finden sie ganz natürlich und haben ihren Spaß daran. Dem Schuster verübeln sie's.«

»Malt er eigentlich noch etwas?« fragte er den Sohn.

»Ja,« antwortete dieser, »immer noch so kleine Bildchen aus dem Jahre siebzig, vor allem: Zuaven und Turkos. In allen Kneipen hängen sie zum Verkauf.«

»Der Mensch hat auch noch das Eiserne Kreuz!« versetzte der Vater entrüstet.

 


 


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