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Cäsar Coriolani war Bei der Königin in Ungnade gefallen. Das war die pikante Neuigkeit, die man in Salons und in Kaffeehäusern herumtrug. Den Grund, der hinter der Schlafzimmertür zu suchen war, wußte niemand zu nennen. Man brachte ihn aber in Zusammenhang mit den Klagen über das außerordentlich arrogante Wesen des Grafen, die schon seit längerem aus der Umgebung der Königin gekommen waren. Die Tatsache war nicht zu bezweifeln, denn eben aus dieser Umgebung stammten auch die Mitteilungen, wonach die Königin in ihrem Verhalten gegen den bisherigen Liebling ihrer Ungnade ganz deutlich, man konnte sagen absichtlich, Ausdruck gebe. Nun war es weiter bekannt, daß Eudoxia ihre Würde als Königin sehr stark zu betonen liebte und sehr empfindlich gegen die leiseste Abweichung von der Etikette war. Da mochten nun an den Liebhaber Ansprüche gestellt worden sein, die dieser in seinem Übermut nicht erfüllte.
Die Nachricht war schon vierzehn Tage alt, als eines Vormittags Tausende kleiner gedruckter Zettel in der Stadt herumschwirrten, auf denen folgender Text schlecht gedruckt zu lesen war:
»Don Cäsar ward aus Eudoxias Bett verbannt.
Der neue Vizekönig ist noch nicht ernannt.
Doch schläft Eudoxia nicht gern allein,
Wer also will der Nächste sein?«
An allen möglichen Orten fand man diese Blättchen, ja viele Herren entdeckten eines zu ihrer höchsten Überraschung in den eigenen Taschen. Zu ihnen gehörte auch der Oberstallmeister Baron Avia. Die Polizei beeiferte sich dieser Pamphlete habhaft zu werden, und in der Tat schienen sie am Nachmittag aus dem Verkehr verschwunden. Als aber König Golo am nächsten Frühmorgen sein Arbeitszimmer betrat, lag ein unbeschriebener und nicht verschlossener Briefumschlag auf dem Schreibtisch, dem er ein solches entnahm. Er schrie laut auf, starrte eine kleine Weile mit keuchender Brust vor sich hin, dann steckte er das Papier zu sich und stürzte aus dem Zimmer. Die Lakaien, an denen er vorbeieilte, erschraken über seine grimmige Stirn mit den starren Augen, die zusammengebissenen Lippen und das vorgeschobene Kinn. Noch mehr tat dies die Kammerfrau, auf die er in den Gemächern der Königin stieß und die er anherrschte:
»Majestät soll geweckt werden, sogleich.«
Die Person stürzte fort, als sei sie mit dem Tode bedroht. Es dauerte nicht lange, bis die Königin vor ihrem Gemahl erschien mit offen herabfallendem Haar, im zarten Spitzennegligé, über das sich der nackte rechte Arm legte. Schlafverwirrt fragte sie:
»Mein Gott, was gibt es denn?«
»Das hier!« schrie sie der König heiser an und reichte ihr das Papier hin. Und ehe sie noch ganz gelesen haben konnte, packte er sie am Handgelenk, riß sie einige Schritte vor und schrie sie wieder an:
»Ich bitte um Erklärung!«
»Und ich bitte mich nicht zu mißhandeln!« entgegnete die Königin, bestrebt sich loszureißen. »Gegen eine solche Niedrigkeit verlange ich verteidigt zu werden, brauche mich aber nicht selber zu verteidigen.«
»Brauchst nicht? Ich sage dir aber, mach rasch und gesteh! Es ist ja offenbar schon stadtbekannt, wie's die Königin treibt. Coriolani war es also, denn man weiß ja sogar, daß ihr euch entzweit habt. Von dir selber aber will ich's hören.«
Er riß ihren Arm beiseite und packte sie an der Halsöffnung des Negligés mit solcher Gewalt, daß es zerriß. Dann schüttelte er sie hin und her, zerrte sie im Zimmer herum, schlug sie mit den Fäusten auf die bloßgewordenen Schultern. Sie gab keine Antwort auf seine wiederholte Aufforderung zu gestehen, ließ aber auch keinen Klageton laut werden. Weiße Fetzen hingen herab, die sie zusammenraffte, die nackten Brüste zu bedecken. Schließlich stürzte sie mit dem Gesicht auf den Teppich hin. Schnaubend wie ein wütender Stier stand er vor ihr.
Als er ganz verstört, wie man ihn noch nie gesehn, in seine Gemächer zurückgekehrt war, gab er den Befehl, bis auf weiteres wünsche er allein zu sein, und auch die Herren vom Dienst würden nicht empfangen, wohl aber solle Baron Avia möglichst bald vor ihm erscheinen. Als er nach einer längeren Weile Nachfrage hielt, wo denn der Baron so lange bleibe, erhielt er die Meldung, dieser sei schon um sechs Uhr morgens von Hause weggefahren. Das Ziel sei unbekannt. Nach einer weiteren nicht sehr langen Frist meldete sich der Baron zur Stelle. Der König sprach ihn sofort an:
»Lieber Avia, ich habe vor einiger Zeit auf Ihre Eigenschaft als guten Schützen hingedeutet. Es galt die Ehre meines Vaters. Sie haben damals eine andere Lösung als die mit der Waffe gefunden. Jetzt gilt es meine eigene Ehre, und kein anderer Weg bietet sich da, als der Waffengang, den ich selbst nicht machen darf. Graf Cäsar Coriolani muß sterben, Avia. Sind Sie bereit?«
Baron Avia erwiderte:
»Der Graf ist bereits tot, Majestät. Ich wäre auch ohne den besonderen Befehl gekommen, Euer Majestät davon Anzeige zu machen.«
Der König prallte überrascht in die Lehne seines Sessels zurück.
»Coriolani und Sie – ein Duell?« fragte er.
»Und der Grund?«
»Geheimnis auf Ehrenwort, Majestät.«
Der König sah ihn an, suchte an seinem Rocke, besann sich und sagte langsam:
»Ich habe da auf meinem Schreibtisch ein infames Ding, eine Schmähschrift auf die Königin gefunden. Das Zeug war gedruckt und ist also wohl weiter verbreitet worden. Wissen Sie etwas davon?«
»Ja, Majestät,« lautete Avias Antwort.
Jetzt streckte der König dem Baron seine Hand entgegen. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort:
»Ich bin's nicht wert, daß Sie für mich Ihr Leben gewagt haben und jetzt – das ist nicht zu umgehen – auf längere Zeit Ihre Freiheit verlieren.«
Der Baron sah mit großem Erstaunen den König an, der fortfuhr:
»Ich war soeben bei der Königin. Einem Mann in meiner Lage ist vieles zu verzeihen. Nicht wahr? Nun ja, aber was ich getan habe, das ist unverzeihlich. Ich habe meine Schande noch vergrößert, und sie hat trotz allem das Recht bekommen, mich zu verachten. Es ist fertig mit mir.«
Avia sagte jetzt, da der König in sich zusammengesunken schwieg:
»Majestät ist das Schwerste widerfahren, was dem Manne widerfahren kann. Mag's auch um eine Königin gehen, niemand kann es tadeln, daß auch in einem solchen Fall der Mann im Zorne straft und nicht lange zartfühlend erwägt.«
»Wenn's nur das wäre, daß ich sie schlug,« entgegnete er, stand dann auf, ging nahe an den Baron heran, faßte ihn an den Armen und sprach stockend und stammelnd:
»Aus dem Bett war sie gekommen, nur leicht gekleidet, das Zeug war in Fetzen gegangen, sie fiel zu Boden, halb nackt lag sie da, ich riß sie auf. – So muß es zugehen tief, tief da unten in den Verbrecherhöhlen, beim Auswurfe der Menschheit. Verstehen Sie jetzt, Avia?«
»Ja, Majestät,« antwortete der Baron fest. »Man kann alles verstehen im Menschlichen, was um das Weib sich dreht. Majestät tragen keine Schuld daran, daß Sie wieder ins Dunkle gerissen wurden. Jetzt rasch heraus und aufs Neue an das Licht. Ich habe Eurer Majestät zuliebe einen Menschen getötet und muß damit fertig werden. Möchte untertänigst bemerken, daß das nicht so einfach ist. Mein Respekt vor der Krone der Königin, aber dem Grafen Coriolani habe ich weher getan, denn er ist daran gestorben. Ihre Majestät haben wohl keinen weiteren Schaden erlitten und vielleicht –«
Er zuckte die Achseln und schwieg.
»Abgründe, alles Abgründe!« sagte der König mit einer Handbewegung. »Ich bin ein Betrüger, gehöre gar nicht auf die Höhe, auf der ich vor den Menschen stehen wollte. Hab's versucht, mich da oben zu halten, aber es geht nicht, ich muß wieder hinunter. Entartung nennt man das wohl, lieber Freund. Ich leide an dem Übel. Jetzt erkenne ich es klar.«
»Majestät erwähnen da den verderblichsten Aberglauben, den es je gegeben hat. Ich hoffe jetzt auf eine andere, stärkere Kraft, die Eure Majestät aus der Trübnis dieses Augenblickes wieder zum hellen Sonnenlichte führt.«
Heftig entgegnete der König:
»Avia, woran denken Sie! Davon kann jetzt auch nicht mehr die Rede sein. Ich wage ja nicht mehr, ihr unter die Augen zu treten, und muß es froh sein, daß die Umstände ohnehin Begegnungen erschweren. Da bleibt nun gar nichts mehr übrig als ein frecher Frevel, mit dem ich mir stahl, was mir aus gutem Grunde entzogen war.«
Mit schlecht verhehlter Erregung bemerkte Avia:
»Majestät haben eben den Glauben an die Zauberkraft des Kleinods verloren, und darum besinnen Sie sich jetzt darauf, daß es geraubtes Gut ist.«
»Was soll das heißen?« fragte der König scharf.
»Hätten Majestät noch den Glauben gehabt, dann wäre nicht geschehen, was Sie jetzt reut.«
»Was Sie da sagen, ist nicht ganz so,« antwortete der König beunruhigt.
»Ich war überarbeitet, abgelenkt – – das wäre wieder vorüber gegangen. Aber jetzt? Ich kann ihr doch nicht beichten und sie um Verzeihung bitten? Das ist unmöglich. Und ohne ein Geständnis täusche ich sie gerade in dem, was für sie das Wesentliche ist.«
Avia fragte:
»Darf ich ein freies Wort sprechen, Majestät?«
»Ich glaube zwar. Sie haben sich bisher schon keinen Zwang auferlegt,« lautete des Königs Antwort. »Aber meinetwegen sprechen Sie Ihre Meinung aus.«
»Ich habe schon oft die Wahrnehmung gemacht, daß sich die Gewissenhaftigkeit gerade zur rechten Zeit einstellt.«
»Wenn ich Sie recht verstehe, sollte ich also diese Täuschung begehen?«
»Man soll immer das kleinere Übel wählen.«
»Ach, alles hat ja jetzt ein anderes Gesicht und wendet sich gegen mich. Sie kommen auf Festung, ich muß Sie jetzt vom Dienst suspendieren. Den Bruder des Verräters, der mir wertvoll geworden ist, kann ich auch nicht mehr um mich haben, denn mir ist der Name zuwider geworden, auf den ich so viel gehalten habe. Ich bin mir selbst überlassen, und es geht mir schlechter als je.«
Nach einer kurzen Pause fügte der König, wie hingeworfen, bei:
»Sie muß ja mit ihrem Vater Auto fahren.«
Dann reichte er dem Baron die Hand und sagte müde:
»Denken Sie zunächst einmal auch an sich selbst. Es ist doch keine kleine Sache.«
Und leiser setzte er hinzu:
»War er sofort tot?«
»Ins Herz getroffen,« antwortete der Baron.
Der König fragte noch nach den Sekundanten, dann sagte er:
»Jetzt wird mir manches am Alten klar. Er tut mir wirklich leid, aber er hatte einen schlechten Sohn. Das kommt bei den besten Vätern vor.«
Die Audienz war zu Ende.
Die Polizei fahndete eifrig nach der Herkunft jenes Spottgedichtes, mit dem man sofort das aufsehenerregende Duell in Zusammenhang brachte. Es gab auch nicht wenige Leute, die die Ansicht vertraten, Avia, der nun einmal deutlich gezeigt hatte, daß er ein unheimlicher Mensch sei, habe im unmittelbaren Auftrage des Königs den Grafen erschossen. Und zwar neigte zu dieser Meinung auch der alte Graf Coriolani, und er beugte sich dabei wie vor einem gerechten Richterspruche. Sein Ältester, so empfand er es mit bitterem Weh, war gar nicht gefallen im ritterlichen Kampfe, er war gerichtet worden wie ein Verbrecher. Das Leid des alten Mannes wurde dadurch noch erheblich verschärft, daß das Entlassungsgesuch, das sein Sohn Leander sofort eingereicht hatte, nicht nur ebenso umgehend genehmigt worden war, sondern daß man diesen auch, allerdings unter einer Beförderung, in die Provinz versetzte. Das war ein Zeichen, daß der Name Coriolani ausgelöscht werden sollte im ganzen Umkreise des Königsthrones. Nur Carlos blieb also dem Vater zur Seite. Für diesen hatte das Unheil des Hauses eine besondere Gestalt angenommen. Er kannte den Urheber der Geschehnisse. In der Kunstakademie, an die die Polizei nicht im entferntesten dachte, war er zu finden, und mit ihm die helfenden Genossen, ein begabter, luftiger Bursche, in seinem Kreise bekannt als Meister aller möglichen Schnurren und Scherze. Er hatte die Verse im intimen Kneiplokale zum besten gegeben, und die jungen Burschen faßten es als einen lustigen Streich auf, daß sie den Druck besorgten und dann sich daran machten, die Zettel auf allerlei Art unter die Leute zu bringen. Das ein solches Blatt in die Hand des Königs selbst kommen könnte, hätten sie sich nicht träumen lassen, ahnten auch gar nicht, daß es so geschehen war. Ein Schleicher und Wichtigtuer, wie sie überall zu finden sind, hatte Carlo Coriolani den Täter bezeichnet. Er war ihm zwar nie näher gestanden, sie sahen und begrüßten sich aber jeden Tag. Und der junge Graf ließ sich jetzt von einer ähnlichen Empfindung leiten, wie damals, da er dem Republikaner Simoni zur Flucht verhalf. Er grüßte nach wie vor den jungen Mann, der ihm freilich nicht mehr so unbefangen in die Augen sah wie sonst. Wär's doch eine unedle Rache gewesen, einen begabten Menschen, der noch dazu ein armer Teufel war, eines ungewollt verhängnisvollen Mutwillens wegen ins Gefängnis zu bringen und vielleicht eine schöne Künstlerlaufbahn zu zerstören.
»Retten Sie den König!« hatte Baron Avia Constanze in der Reitbahn gesagt, in die er, obwohl vom Dienste suspendiert, nur dieses Wortes wegen gegangen war. Und sie, die sich eines leisen Grauens vor ihm nicht hatte erwehren können, verstand die knappe Rede, die aber nur dazu diente, ihre Not zu mehren. Die Tatsache des Duells war ihr bekannt geworden, aber mehr sprach darüber auch der Vater auf den Fahrten nicht zu ihr, und nur aus abgebrochenen Reden zwischen ihm und der Mutter hatte sie Ahnungen geschöpft, daß es sich nicht bloß um den Streit zweier Kavaliere, sondern um ein Geheimnis des Königshauses handle. Golos Verhalten bei der nächsten Zusammenkunft wies ihr die weitere Spur. Als sie es scheu wagte, das Ereignis leise zu berühren, wehrte er in höchster Erregung ab:
»Ich bitte dich, sprich davon nicht! Das sind Dinge, an die du nicht rühren sollst. Ich bitte sehr darum.«
Sie las es ihm vom Gesicht ab, daß es um – die Königin ging. So reimte es sich ja auch mit ihren sonstigen Beobachtungen zusammen. Da war es nun da, das erkältende, lähmende, immer wieder sich zwischen ihre Zärtlichkeit eindrängende, ungenannte, unnennbare Phantom. Bisher war es so gewesen, daß die elementare Kraft der Leidenschaft, die sie zu einander trieb, das Hemmnis, das eigentlich zwischen ihnen stand, völlig überflutet und unter sich begraben hatte, so daß es gar nicht zu bestehen schien, und wie oft auch Constanze die Königin sah und sprach, sie besann sich nicht auf ein Unrecht, das sie dieser zufügte. Es waren nur die Eltern, mit denen sich gelegentlich ihr Gewissen beschäftigte. Das wurde jetzt ganz anders. Avias Pistolenschuß hatte die weit Entfernte herbeigerufen, und sie wich nicht mehr. Unheimliches, düster Schwüles wälzte sich in dunklen Formen durch Constanzens Gehirn. Sie sah den erschossenen Coriolani liegen, und es war so, als bestände zwischen ihr und diesem Toten ein Zusammenhang, dessen Fäden sie doch nicht entwirren konnte. So viel war sicher, sie spielte mit in einem Drama höchst bedenklichen Inhalts, sie war verstrickt in eine böse Sache. Betrug, Dieberei lag jetzt in allem, was sie tat, sie haßte die Königin jetzt, und höhnische Bosheit mischte sich in die Lust, aus der Sündhaftigkeit der anderen holte sie sich eigene Beschwichtigung. Verzerrt war alles. Das empfand auch König Golo, ohne sich die Veränderung deutlich erklären zu können. Sie vergifteten sich gegenseitig mit ihren Küssen, und eng umschlungen sanken sie in eine Finsternis hinab.
Einige Wochen waren vergangen, da sprach man in den engen Hofkreisen davon, daß die Königin guter Hoffnung sein dürfte, und zwar in dem Sinne, daß doch nie Ruhe werde, denn nach Lage der Verhältnisse mußte daraus ein neues Sensationsereignis werden. Dem König hatte der Leibarzt der Königin die Mitteilung mit zögernder Befangenheit gemacht. Dieser hatte ihn darauf wie ein Wahnwitziger angestarrt ohne ein Wort zu sagen. Dann aber tat er sich Gewalt an, lächelte verzerrt und sagte mit einer Stimme, aus deren Unsicherheit und hartem Klang der Arzt die höchste Erregung erkannte:
»Danke, Geheimrat, für die Nachricht. Hoffen wir das Beste.«
Avia hatte inzwischen seine auf zwei Jahre Festung lautende Strafe bereits in einem nicht sehr weit von der Hauptstadt schön gelegenen Bergneste angetreten. Der König war allein mit dem rasenden Sturm seiner Gefühle, einem Sturm, der ihn schüttelte und würgte tagelang, daß er darunter zu erliegen glaubte. Dieses freudige Ereignis gab ja einen Skandal ohne gleichen! Daß sie bewaffnet vor das Schloß zögen, hatte er ihnen wohl für immer abgewöhnt. Jetzt konnte er aber seine Soldaten aufbieten, die Leute vom Schloßplatz zu jagen, die ihn auslachten. Er, der die Monarchie mit vom Blute des Volkes befleckter Hand hatte retten wollen, richtete sie durch die eigene Lächerlichkeit zugrunde. Und dieses Kind, etwa gar der Thronerbe! Was würde das für ein Geschöpf, das so gezeugt war, in der Mißhandlung seiner Mutter? Constanze – das war natürlich aus. Nichts blieb übrig als ein schmählich um sein Leben betrogenes Weib, das ihn verachtete. Es bäumte sich in seiner Seele etwas Mächtiges auf. Er sah die Sonne leuchten, und in ihrem Glanze einen Adler langsam stolz durch die Luft segeln. Er aber lag auf der Erde und konnte sich nicht erheben, obwohl er auch Flügel hatte und mit dem Adler um die Wette fliegen wollte. Aufbrüllen hätte er mögen in der Wut über seine Ohnmacht, seine Brust wollte springen unter dem Übermaße des aufsteigenden Wehes. Er fluchte dem lockenden Fleische des Weibes, fluchte seiner tierisch entarteten Mannheit und sah mit der Pein eines Verdurstenden vor sich das stolze Ziel, das ihm nunmehr unerreichbar geworden war.
Clara Eugenie sprach bei der Königin vor und sagte zornbebend:
»Was wird hier für ein Spiel getrieben? Ich habe ein Recht zu fragen.«
»Es ist nun einmal so. Ich kann dir nicht helfen,« antwortete die Königin mit spöttischem Trotz.
»Das war ja um die Zeit, als Coriolani im Duell fiel? Ja weiß er denn nicht? –«
»Er weiß nur das eine nicht, daß du es gewesen bist, die mich mit Coriolani zusammenbrachte.«
»Das ist nicht wahr! – Aber wenn er wüßte –«
»Was fragst du so viel? Frag ihn doch selber. Es war zwar wunderlich, aber er ist ein Mann, und ich kam eben aus dem Bade.«
»O du – –«
»Sprich es aus das Wort. Ich hab ein anderes dagegen. Der arme Coriolani hätte nicht zu sterben brauchen, du hast ihn auf dem Gewissen, und du bist die größere Sünderin von uns beiden. Vielleicht wird's wieder eine Prinzessin, dann ist dir wieder für eine Weile geholfen. Ich werde es aber anders machen. Es ist schon oft dagewesen, daß schlechte Ehen sich im Laufe der Zeit gebessert haben.«
»Du Kokottenkönigin!«
»Du Erbschleicherin!«
Clara Eugenie ging.
Prinzessin Constanze war sehr leidend geworden. Die Ärzte verordneten Luftwechsel. Es kam in Erwägung, sie nach Deutschland zur Herzogin Beate zu schicken, und als die Ärzte sich näher über die klimatischen Verhältnisse dieses deutschen Herzogtums unterrichtet hatten, waren sie damit einverstanden. Herzogin Beate erklärte sich mit Vergnügen bereit, die Cousine aufzunehmen. So reiste Constanze, die ganz bleich und abgemagert war, ›in die deutschen Wälder‹, wie man sich bei Hofe ausdrückte. Als König Golo erfuhr, daß sie die Hauptstadt verlassen habe, war es ihm, als habe er sie, um ihr noch mehr Leid zuzufügen, aus der Heimat vertrieben. Und nicht einmal zurückdenken durfte sie, denn seine Gestalt mußte ihr dann in den Sinn kommen und ihr jede Erinnerung vergällen. Und da so furchtbar klar die Erkenntnis war, welche ein Wesen er zugrunde gerichtet hatte, kam quälende Sehnsucht über ihn und das Gefühl trostloser Verlassenheit. Schließlich ertrug er es nicht mehr, so allein mit seiner Schmach im Königsschloß zu sitzen. Er rief ganz plötzlich nach einem Automobil und fuhr nach der Festung, in der Avia gefangen saß.
»So geht es nicht mehr weiter!« sagte er zum Baron. »Ich erschieße mich, wenn Sie mir keinen Rat zu geben wissen, wie dieser entsetzliche Zustand zu ändern wäre.«
Und er gab dem Vertrauten sein inneres Elend preis, kein König, ein verzweifelter, sich verfluchender Mensch.
Lange sprachen sie miteinander.
Schließlich meinte Avia:
»Majestät sind nach wie vor der König. Halten Sie das nur vor sich selber fest, dann schweigen die Nörgler und Lästerer bald. Es würde mancher nicht mehr weiter kommen, wenn er sich nicht eine Maske vors Gesicht nähme und die Leute daran gewöhnte an die Maske zu glauben. Was gehen die geschehenen Dinge denn das Königreich an? Menschliches, höchst Menschliches ist geschehen. Zwar ist ein König auch ein Mensch, aber der tiefere Sinn der Monarchie ist doch der, daß der Monarch über sein gewöhnliches Menschentum hinaus noch eine besondere Qualität besitzt, wär's auch nur aus einer Fiktion, einem Aberglauben heraus. Und der Monarch hat nicht nur das Recht, er hat die Pflicht dieser Qualität Rechnung zu tragen. Dem Menschen in Eurer Majestät ist nicht wohl zu Mut, ich bitte den König diesen Menschen zum Schweigen zu bringen. Er schädigt die Monarchie und ist also staatsgefährlich.«
»Ihre Lehre, Avia, scheint mir höchst bedenklich. Sie rechtfertigt jedes Verbrechen, das ein König begeht.«
»Sie rechtfertigt nicht das Verbrechen, sie behauptet nur: ›Trotzdem König.‹«
»Aber bester Baron, ich bin im Gemüte krank, sterbenskrank. Da hilft mir's doch nicht, wenn ich mir Spitzfindigkeiten vormache.«
»Majestät haben ein schlechtes Gewissen, wollen wir sagen. Das ist eben etwas Menschliches, was den König nichts angeht. Ich bitte neuerdings, Majestät, seien Sie König, seien Sie es mehr als je. Und was die Spitzfindigkeit angeht, so erlaube ich mir untertänigst zu bemerken, daß sie doch der Gemütskrankheit sehr zustatten kommen kann. Es kann der König nämlich gut machen, was der Mensch gefehlt hat. Wenn Majestät als Büßer in ein Kloster gehen, ist dem Königreich gar nicht gedient, wenn Majestät gut regieren, fragt niemand nach dieser oder jener Sünde Ihrer Vergangenheit. Wollen Majestät erwägen, daß ich als Untertan spreche. Ich bin kein Mönch. Es geht um die Politik, Majestät, nicht um die Moral.«
»Sie wollen mich beschwichtigen, wie's Ärzte tun, die einem Kranken Morphium geben, weil sie starke Schmerzen nicht heilen können.«
»Ja, wenn Majestät durchaus moralisieren wollen, dann ist das Geschehene freilich irreparabel. Aber auch das ist Mannesmut, seine Schuld klaglos zu tragen.«
»Irreparabel? Das ist es ja! Und ich soll das, weil ich der König bin, als Bagatelle betrachten?«
»Von einer Bagatelle habe ich keineswegs gesprochen.«
»Ich brauche jemand, der mir zur Seite steht, der mich hebt, und das habe ich nicht mehr. Daran gehe ich zugrunde, denn ich bin kein selbständiger Charakter, ich habe keinen Halt in mir.«
»Majestät fühlen sich vereinsamt, und Einsamkeit will gelernt sein.«
»Und da muß ich auch lernen mit dem Königsmantel frech einher zu gehen, wie sich die Schauspieler für solche Rollen vorbereiten?«
»Warum gerade frech? Man kann vom Schauspieler manches lernen. Wenn er den Geist der Rolle erfaßt, ist er der, der er zu sein scheinen soll, denn er glaubt an sich. Daß er an sich selber glaubt, macht auch den König zum König. ›Und dennoch bin ich der König!‹ muß Eurer Majestät Wahlspruch sein. Andere haben ein solches Stärkungsmittel nicht und dürfen doch auch nicht liegen bleiben, wenn sie gefallen sind.«
König Golo verließ die Festung mit dem Eindruck, daß ihm Avia doch mehr gegeben als über den Augenblick hinwegtäuschende Spitzfindigkeiten. Er war es dem Königtum schuldig, sich herauszureißen aus der Not seines Menschentums. Er mußte seinen Dienst ordentlich tun. So stürzte er sich denn wieder mit Eifer auf die Pläne und Ziele, zu denen ihm einst die heimliche Königin Constanze den Aufschwung gegeben hatte, und er schöpfte die Hoffnung, es könnte diese einmal versöhnen, wenn sie sähe, daß er doch noch die königliche Würde gerettet habe. Aber nur einige Monate konnte er diesen Gedanken pflegen, dann traf ihn, als er eines Morgens mit seinem Adjutanten durch die Königsau ritt, aus einem Busch eine Pistolenkugel. Eine halbe Minute nach dem Knall sagte er:
»Ich bin getroffen,« und drohte aus dem Sattel zu fallen. Der Adjutant stützte ihn, Spaziergänger sammelten sich, man hob ihn vom Pferde und trug ihn nach einer unfernen Ruhebank.
»Es ist gut so, ganz gut so!« sagte der bleichgewordene König, als man ihn dort so bequem als möglich hinlegte. Als sie mit ihm ins Schloß kamen, war er tot.
Den Attentäter hatte man gleich nach der Tat ergriffen. Er war mit so auffälligem Gebaren durch die Parkanlagen geeilt, daß ihn Vorübergehende festhielten, obwohl er anscheinend gerade durch den immerwährenden Ruf: »Der König ist tot«, einen Verdacht von sich ablenken wollte. Es war der Literat Damioni, wie sich auf der Polizei sogleich herausstellte. Auf die Frage des verhörenden Beamten stritt er den Zusammenhang mit einer Verschwörung ab, und obwohl bleich und zitternd, suchte er doch eine Pose zu seiner langen Rede zu gewinnen, aus deren stotternd vorgebrachten Verworrenheiten der Beamte folgenden Kern einer Begründung der Tat entnahm.
König Golo hatte das Zeug in sich, ein großer Fürst zu werden, der trotz allem die Monarchie wieder zu Kraft und Ansehen bringen würde. Hier gefragt, ob er von jenem Pamphlet etwas wisse, wies er dies mit Entrüstung zurück. Solches Spiel mit der Zote sei pöbelhaft und er hasse die gemeine Lust am Geschlechtlichen. Das Weib interessiere ihn nicht, denn dessen Treiben sei immer niederer Art. Wohl aber habe ihm die Schwangerschaft der Königin erst den Gedanken des Attentats eingegeben. Starb der König, einen Thronerben hinterlassend, dann gab es eine langjährige Regentschaft. Das schwächte die Monarchie, und mancherlei konnte geschehen. Daß er nun jetzt schon zur Tat geschritten sei, erkläre sich aus der nervösen Ungeduld, den einmal gefaßten Plan auch auszuführen. Der Zweck, einen Starken zu fällen, sei ja erreicht. Roger, der etwaige Nachfolger, sei kein Starker. Eine wirkliche Freiheit könne es nur geben, wenn keiner stärker ist als der andere. Dann hörten auch die großen Weltlaster des Ehrgeizes, der Habgier, des Neides, Haß, Gewalt und Hinterlist auf. Als ihm der Beamte zu verstehen gab, er habe wohl sein Leben verwirkt, meinte er:
»Prinz Roger, der jetzt Regent wird, ist modern, also ein Gegner der Todesstrafe, rechne ich. Im Zuchthaus warte ich meine Zeit ab, die kommen wird. Ich fürchte mich nicht, glauben Sie das nur nicht. Aber für einen Geistesmenschen, wie mich, ist das eben doch eine aufregende Sache gewesen.«