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König Golo hatte ein Bad genommen und sich neu gekleidet. Die Zeit hatten auch die anderen Herrschaften benutzt, Soupertoilette anzulegen. Mit Unlust bemerkte er, daß namentlich seine Gemahlin prunkvoll gekleidet war und in Brillanten strahlte, als handele es sich um eine Festlichkeit. Er lehnte es entschieden ab, an Stelle des Vaters den Ehrensitz einzunehmen. Zunächst aß und trank er mit großer Hast. Dann überflog er mit einem langen Blicke der kalten grauen Augen die Tafel, sah durch die weitgeöffnete Flügeltür nach der zweiten Tafel, an der die Minister, Generäle und Hofbeamten saßen, und sagte dann laut:
»Das sieht sich wie ein Fest an. Mit Festen wollen wir in der nächsten Zeit sparsam sein, denke ich.«
Man war etwas betroffen. Der alte König wies auf die vielen Personen hin, die versammelt seien und so eine größere Veranstaltung bedingt hätten.
»Majestät verzeihen,« antwortete Golo darauf. »Aber ich habe mich heute so lange unter dem Volke herumgetrieben und bin noch nicht im Hofton.«
Der königliche Vater sah ihn erst groß an und sagte dann beinahe eingeschüchtert:
»Wir werden die Tafel bald aufheben können. Das Menu hat gar nichts Festliches an sich, nur die Pastete, die nachher kommt, Wild und Gänseleber mit Trüffeln und Oliven ist wirklich eine Nummer. Verstehe dich sehr wohl. Keine Zeit zu Festen. Ganz meine Meinung.«
Nach aufgehobener Tafel ging der König sofort auf die Minister zu und verlangte ungeduldig seine Abdankung unterschreiben zu können. Die Minister begaben sich in einen besonderen Raum, und nach kurzer Zeit wurde gemeldet, die Urkunde liege zur Unterschrift bereit. In feierlicher Haltung, rechts und links um sich schauend, wie mit Abschiedsblicken, schritt der König aus dem Salon, in dem die Gesellschaft weilte, ließ sich das Schriftstück stehend vorlesen, nahm langsam in einem Sessel Platz und unterschrieb in raschem Zuge. Dann erhob er sich wieder, schüttelte jedem Minister die Hand und sagte:
»Ich danke Ihnen für Ihre Dienste, meine Herren!«
Zur Hofgesellschaft zurückgekehrt, sagte er laut:
»Es ist geschehen. Ich war einmal ein König!«
Er bemerkte den alten Coriolani, der sich die Tränen aus dem Auge wischte, ging auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und sprach:
»Jetzt wollen wir uns nebeneinander auf die Bank setzen und unser Pfeifchen rauchen, wir zwei alten Invaliden.«
Alle Anwesenden waren tief bewegt. Er sah sich im Kreise um und bemerkte dann:
»Macht nur nicht gleich eine Leichenfeier daraus. Ich lebe ja noch!«
Dann ging er zur Gräfin Zerpa, die auch weinte, und stellte laut die Frage an sie:
»Darf ich noch meinen Tee bei Ihnen trinken, Gräfin?« und zugleich fuhr er fort: »Ich habe jetzt Zeit mich nützlich zu machen. Müssen irgend eine leichte Beschäftigung für mich ersinnen.«
Zuletzt trat er auf den bisherigen Kronprinzen zu und sagte zu ihm, ihm die Hand schüttelnd:
»Gott schenke Eurer Majestät eine gesegnete Regierung. Majestät haben bereits das Wort Gnade ausgesprochen, und darin dürfen wir das Zeichen sehen, daß Eure Majestät die Wunden, die durch Ihre Hand dem Volke auf meinen Befehl geschlagen wurden, aus eigener Weisheit wieder heilen werden. Das begrüßt niemand inniger als ich.«
König Golo antwortete etwas stockend und die Worte suchend:
»Meines allergnädigsten Herrn Vaters Wille ist es, daß ich die Krone aus seinen eigenen Händen vor der Zeit empfange. So werde ich denn unter den Augen Eurer Majestät versuchen, ein Ihnen würdiger Nachfolger auf dem Throne zu sein. Euer Majestät aber möge noch lange Jahre, geliebt und verehrt von allen Gutgesinnten, unter seinem Volke weilen, ihm großherzig vergebend, was es gesündigt hat.«
Jetzt war des alten Herrn Nervenkraft zu Ende, und er sank in einen Sessel, mit weitvorgebeugtem Kopf vor sich hinstarrend.
Die junge Königin trat an ihn heran, da sie alle Blicke erwartungsvoll auf sich gerichtet sah, und beugte sich zu ihm nieder.
Er sah sie an und sagte:
»Eine schöne, eine sehr schöne Königin bist du!«
Dann wendete er sich zu Golo:
»Du hast heute noch viel zu tun und mich dürstet. Ich denke, wir ziehen uns beide zurück.«
König Golo verneigte sich. Der alte König winkte den Grafen Coriolani zu sich und sagte ihm:
»Du mußt mir noch ein bißchen Gesellschaft leisten und – ich weiß genau, du magst die Gräfin nicht recht leiden – aber sie soll auch dabei sein. Jetzt hat doch alles ein anderes Gesicht. Nicht wahr?«
Coriolani bemerkte darauf:
»Wenn Majestät sich zurückgezogen haben werden, werde ich die Gräfin nach den Appartements führen.«
Als der alte König den Salon verlassen hatte, begab sich König Golo mit den Ministern in den Flügel des Schlosses hinüber, in dem seine bisherigen Gemächer gelegen waren, und in seinem Privatkabinett fand eine Beratung über die nächsten amtlichen Schritte statt, nachdem erst der König die durch ihren Kollegen des Auswärtigen ihre Portefeuilles zur allerhöchsten Verfügung stellenden Minister gebeten hatte, die Geschäfte einstweilen fortzuführen. Zunächst handelte es sich um die Feststellung des Textes eines Erlasses des neuen Königs an das Volk, neben der Veröffentlichung der Abdankungsurkunde König Arthurs. König Golo bemerkte dazu:
»Ich habe zwar keine poetischen Neigungen, aber etwas Wärme, etwas Elan scheint mir unter den gegebenen Umständen doch höchst angezeigt. Ich muß sagen, die Abdankung meines allergnädigsten Herrn Vaters ist ein ziemlich trockenes Aktenstück. Ich möchte schon was anderes haben.«
Die Herren Minister waren von dieser Ansprache etwas unliebsam berührt. Der neue Herr sprach ja so zu ihnen, wie sie es gegen ihre Beamten zu tun pflegten. Daß es ihre Sache nicht war, sich als Stilkünstler zu produzieren, verstand sich doch von selbst. Es war aber nicht leicht, sich sogleich auf eine derartige Persönlichkeit zu besinnen, wenn auch glücklicherweise heute wohl jeder Staatsbeamte zu Hause geblieben war, also schnell herbeigeschafft werden konnte. Da war es der Minister des Innern, der sich auf den Assessor Graf Coriolani und seine journalistische Tätigkeit zur Wahlzeit besann. Gern holte er den jungen Mann, den er in den Hintergrund geschoben hatte, jetzt nicht in die unmittelbare Nähe des neuen Herrn heran, um ihm vielleicht zu einer bedeutsamen Wendung seiner Laufbahn behilflich zu sein, aber es mußte rasch gehandelt werden. Sein Vorschlag wurde angenommen und eine Hofequipage ausgeschickt, den Grafen Leander Coriolani zu holen. Das geschah um dieselbe Zeit, als dessen Bruder noch hinten im Gartenatelier mit dem Rebellenführer Simoni saß. Bis der junge Graf dem Befehle folgend erscheinen konnte, wollte man über Art und Maß der Begnadigungen, die nach dem neuerdings betonten Willen des Königs erfolgen sollten, beraten. Darüber war man schnell einig, daß mit Simoni, den man noch während der Nacht zu erwischen hoffte, noch einige bereits gefangene Rädelsführer mit dem Tode bestraft werden sollten. Dann nahm, bezüglich der weiteren Strafabstufungen, der Justizminister das Wort. Aber als er eben zu juristischen Definitionen ausholte, unterbrach ihn der König ungeduldig:
»Meine Herren, Sie haben wohl nicht gehört, was ich vorhin zu meinem königlichen Vater sagte. Ich bitte das, was ich sage, immer ganz wörtlich zu nehmen. Ich habe bereits ein Urteil vollstreckt, ein unerbittlich hartes. Es soll nicht noch mit Paragraphen nachgeholfen werden, und der böse Tag sich noch auf ein Menschenalter in seinen Folgen weiterspinnen. Gnade ist mein, des Königs, Recht und das will ich ganz üben, und lasse es mir von den Herren Juristen nicht in Portionen zuteilen. Ich habe Blut vergossen. Sie wissen nicht, was das ist. Ich habe es vorher auch nicht gewußt.«
Es war, als ob ein Schauer über seinen Körper ginge. Dann fuhr er fort:
»Der Sicherheit des Staates wegen müssen die Rädelsführer verschwinden. Das verwirkte Leben ist ihnen geschenkt, wenn sie ihr schriftliches Ehrenwort geben, das Land zu verlassen und es nie wieder zu betreten. Alle andern, die gegen die Monarchie gekämpft haben, sollen nicht hinter Gefängnismauern in Unwissenheit darüber gehalten werden, was bei uns hier vorgeht. Urteilen sollen sie können über mich nicht bloß nach dem heutigen Tage. Ich habe dieses Volk gezüchtigt, jetzt will ich ihm die Hand reichen.«
Es herrschte allgemeines Schweigen. Der König fragte scharf:
»Habe ich dazu nicht das Recht? Ist das auch ein Staatsstreich? Dann machen Sie ihn gefälligst gerade so mit, wie den andern. Diese weitere Belastung Ihres politischen Gewissens werden Sie auch noch tragen können.«
Zur Gegenäußerung wurde durch Winke der Justizminister vorgeschoben, der begann:
»Wir hätten es in diesem königlichen Akt nicht so sehr mit einer Begnadigung, die ein Urteil voraussetzt, als mit der Niederschlagung eines Verfahrens zu tun. Der Begnadigte bleibt immer ein Verurteilter, seine Tat hat eine richterliche Kennzeichnung als Gesetzesübertretung erfahren, und nur die verhängte Strafe ist ihm ganz oder teilweise erlassen. Im Fall der Niederschlagung des Verfahrens ist aber nicht einmal ein richterliches Urteil erfolgt, die Tat ist aus dem Bereich des Gesetzes gestellt. Auch das ist wohl ein Hoheitsrecht der Majestät, aber doch nicht üblich bei solchen Kapitalverbrechen und nicht ohne Bedenken für die allgemeinen Rechtsanschauungen. Auch ist eine solche Art der Verbannung ins Ausland in unseren Strafgesetzen nicht vorgesehen. Das der allerhöchsten Erwägung anheim zu geben, dürfte doch wohl im gegebenen Falle unsere Pflicht sein.«
»Ich verstehe,« sagte der König, »die Sünder sollen noch nach den Regeln der juristischen Kunst gezwickt und gezwackt werden, sollen gründlich Angst schwitzen und erst im letzten Augenblick, ehe der Arm des Henkers sie faßt, oder vor der Kerkertüre, sollen sie losgelassen werden. Und das soll die allgemeine Rechtsanschauung sein? Nein, meine Herren, da tue ich nicht mit. Ich werfe meinen Feind nieder, ich töte ihn, aber ich schinde ihn nicht. Das Recht gesteht mir der Herr Justizminister ja zu, demnach geschehe so.«
Die Herren Minister verneigten sich.
Leander Coriolani erschien. Ihm war zwar alles, was da vorging, wie ein Traum, der aus den Erregungen des Tages kam, aber als der junge König ihn sehr gnädig begrüßt und seine Wünsche kurz angedeutet hatte, erklärte er mit fester Bescheidenheit:
»Ich hoffe Euer Majestät zufrieden zu stellen.«
Nach einer halben Stunde wurde dem König der Entwurf des Erlasses an das Volk vorgelegt. Er war auf das Höchste befriedigt, ließ den Verfasser noch einmal vor sich kommen und sagte ihm nach warmen Lobsprüchen:
»Meines Vaters treuester Diener war ein Coriolani. Ich hoffe Sie wiederzusehen, Graf!«
Schon früh am anderen Morgen las die mit Angst vor kommenden neuen Schrecken aus unruhigem Schlafe erwachte Bürgerschaft an den öffentlichen Stellen König Arthurs Abdankung und daneben folgenden Erlaß seines Nachfolgers:
›In schwerster Stunde übernehmen wir aus der erhabenen Hand unseres allergnädigsten, allerdurchlauchtigsten Herrn Vaters, der unserm Reiche lange Jahre ein gütiger, weiser und gerechter König war, nach dessen erklärtem Verzicht die königliche Krone mit den ihr zustehenden Gewalten. Fest entschlossen die uns gestellten ernsten Aufgaben tatkräftig zu erfüllen, entbieten wir unseren getreuen Untertanen unseren königlichen Gruß. Wir hoffen zuversichtlich, daß die altbewährte monarchische Gesinnung der Mehrheit unseres Volkes uns helfen werde, die Erschütterungen der Gegenwart zu überwinden und den Frieden und die Wohlfahrt des Landes wieder auf sichere Grundlagen zu stellen. Des Vaterlandes Ehre und Glück sollen hinfort unsere einzige Sorge und unser einziges Bestreben bilden. Wir flehen hiermit Seine Majestät, unseren vielgeliebten, allergnädigsten Herrn Vater an, die erfahrenen schweren Kränkungen seines landesväterlichen Herzens durch ruchlose Aufrührer nicht unserem gesamten Volke zur Last legen zu wollen, aber, nachdem der hochverräterische Versuch, die monarchische Verfassung des Landes umzustürzen, an der Treue und Tapferkeit unserer Armee gescheitert ist, wollen wir unsere Regierung mit der Gesinnung der Gnade antreten und verordnen daher wie folgt.‹
Hier waren die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Bestimmungen des Königs über die gefangenen Revolutionäre zu lesen. Dann hieß es weiter:
›Diese unsere königliche Gnade soll Zeugnis für unseren ernsten Willen geben, Friede und Vertrauen zwischen uns und unserem Volke herzustellen, dessen Heil wir von Gott erflehen.
Golo.‹
Am anderen Morgen hatte König Golo den Baron Avia schon zu früher Stunde zu sich befohlen, ehe die Vorträge und Audienzen, deren eine Fülle angemeldet war, begannen. Er hatte bereits Berichte über die Vorgänge in der Provinz erhalten, nach denen die Nachrichten aus der Hauptstadt noch in der gestrigen Nacht eine Wirkung ausgeübt hatten, die auch dort überall den Zusammenbruch der aufrührerischen Bewegung erkennen ließ. Als Avia eintrat, ging ihm der König lebhaft, mit ausgestreckter Hand entgegen:
»Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Ihnen nach Gebühr zu danken,« sagte er. »Sie sind ja unser eigentlicher Retter! Wenn Sie mich nicht ins Treffen geschickt hätten, wer weiß, wie es jetzt stünde.«
»Die Kühnheit Euer Majestät gab die Entscheidung,« antwortete der Baron. »Mein Vorschlag war das eigentlich nicht gewesen. Mir war recht übel zu Mut angesichts der Verantwortung, die ich durch meine anders gemeinte Anregung auf mich geladen hatte.«
»Ja, ja, was Sie meinten, das war so was, wie ein Operneffekt. Wäre vielleicht auch gelungen. Aber ich habe mir gleich einen anderen Gedanken gemacht, und als die Gesellschaft mit ihren Schießgewehren anrückte, da hat es mich von selber fortgerissen. Wie's fallen mag, aber rasch! war mein Gefühl. Mangel an Disziplin vielleicht, Va banque-Spiel, kein reiner Heldenmut. Später – da war es dann ganz anders.«
König Golo senkte den Kopf und sprach weiter:
»Es war scheußlich. Ich sah, daß ich doch keine Bestie bin, und das war noch so was wie eine Erleichterung. Jetzt fühlte ich aber auch, daß ich eine Aufgabe hatte, die nicht nur mit Kraft, sondern auch mit Würde gelöst werden mußte. Dann war vielleicht auch so was von Heldenmut darin, jedenfalls von allerlei anderen neuen Gefühlen. Es ist sonderbar, aber in diesem blutigen Getümmel bin ich meinem Volke mit meinem Herzen näher gekommen. Ich bin wirklich nicht so böse, wie ich selbst von mir glaubte. Es scheint mir fast, als ob die armen Teufel, die da fielen, nicht gegen mich, sondern in einem gewissen Sinn für mich gekämpft hätten. Zum Kampf wäre es ja auch ohne mich gekommen, und ich habe ihn, glaube ich, nicht grausamer geführt, als ein anderer es getan hätte. Aber Sie, Avia, haben mich hart in die Lehre genommen und mich einen Ritt tun lassen durch ein Fegefeuer.«
»Das wäre so recht ein Beispiel der kleinen Ursachen und der großen Wirkungen,« versetzte Avia. »Wie Majestät selber sagen, war mir ein Theatercoup eingefallen, wie irgend einem Komödianten, und ein Königsdrama ist daraus geworden.«
»Jetzt hören Sie weiter,« fuhr der König fort. »Von Zeit zu Zeit fühlte ich etwas wie eine Betäubung, und ich mußte mich mit einiger Anstrengung darauf besinnen, wo und wer ich war. Ich sah es bei den Leuten, bei den Soldaten wie bei den Rebellen auch, daß sie wie trunken oder sinnverwirrt sich gebärdeten. Aber, was mich immer wieder klar machte, was neue Spannkraft gab, daß ich meiner Herr wurde und die Dinge um mich her beurteilen konnte – – nun ja, Sie werden mich schon verstehen, wenn ich sage, ein Name kam mir immer wieder auf die Lippen, daß ich ihn mir leise vorsprach und am liebsten hinausgeschrieen hätte. Sie müssen Gelegenheit finden, sie zu sprechen und müssen ihr sagen, daß ich jetzt nicht kann, wie ich möchte. Sie hat einen großen, sehr großen Anteil an allem und soll nur ja nicht denken, sie sei mir jetzt zur Nebensache geworden. Sagen Sie es ihr, bitte, lieber Avia, in recht eindringlicher Weise, und morgen – – ja morgen auf jeden Fall. Machen Sie's gut, Avia. Ich habe noch mehr mit Ihnen zu sprechen, wenn ich erst ein bißchen in Ordnung gekommen bin.«
Am andern Tage trafen sich Constanze und Golo. Eine Weile hing Constanze wortlos am Halse des Geliebten, auf den sie mit einem Rufe, der wie ein erstickter Lustschrei klang, zugeflogen war. Dann sagte sie leise:
»Stoß mich nicht von dir, Golo! Du kannst doch ein guter König sein, auch wenn du eine Geliebte hast.«
König Golo küßte sie und sagte:
»Dir sollten sie zu Füßen sinken, durch dich ist Gnade über sie gekommen.«
»Ist's wahr, um meinetwillen hast du so großherzig als Sieger gehandelt?«
»Constanze soll nicht um mich weinen. Das war doch das Wort, das du mir mitgegeben hast.«
»Mein herrlicher König, ich danke dir! Wie wehe hat es getan, daß ich so an mich halten mußte, als du zurückkamst vom schrecklichen Kampfe. Deine Tapferkeit kennen sie jetzt und deine Güte. Wie einen Gott müssen sie dich anbeten.«
»Das werden sie wohl nicht. Ich habe das Blut der eigenen Landeskinder vergossen.«
»Du hast die Hochverräter gezüchtigt.«
»Und hatte sie erst zum Hochverrat gereizt.«
»Mach mir meinen König nicht schlecht! Er hat getan, was die Not gebot und hat es furchtlos getan. Er ist ein starker König, und den braucht das Land!«
Zärtlich sagte der König:
»Und dem König zur Seite steht – –«
Da brach er ab, denn Constanze hatte den Kopf zur Seite gebogen und tief gesenkt. Er riß sie ungestüm an sich und vollendete:
»Zur Seite steht ihm Constanze, sein guter Geist!«
»Ich will es sein, soviel ich kann,« sagte Constanze darauf. »Dann wird mein Unrecht vielleicht kleiner.«
»Laß doch solche Reden, Liebling,« mahnte Golo.
Constanze aber fuhr fort:
»Gerade jetzt, wo du König bist – da fühlst du es selber – –«
»Daß nicht nur uns beiden, sondern auch dem Lande ein übler Streich gespielt worden ist, das fühle ich eben jetzt. Aber weil ich dazu berufen bin auszutilgen, was von Übel ist, darum mußt du auch meine heimliche Königin sein.«
»Golo!« rief Constanze erschrocken.
»Ich hab's gesagt, und dabei bleibt es!« entgegnete König Golo mit fast feierlichem Nachdruck.
Constanze weinte leise.
»Constanze soll ja um mich nicht weinen!« beschwichtigte sie Golo.
Constanze trocknete ihre Augen.
»Sag's nicht wieder!« bat sie. »Nicht sagen! Ich kann ja nicht mehr los von dir. Ich stürbe daran. Mein Held, mein König, mein Gott! Ein Fest möchte ich dir bereiten, ein Krönungsfest. Ich kann aber nichts anderes geben als mich selbst, und du sollst mich haben, wie du mich noch nie gehabt hast.«
Am selben Tage ließ sich Prinz Adolar beim König melden, der, den Zweck wohl ahnend, ihn heiterer Miene empfing. Als der Prinz sein Gesuch vorgetragen hatte, erwiderte er ihm:
»Du bist schnell bei der Hand, aus der Wendung der Dinge dir Gewinn zu holen. Bist ja tapfer mitgeritten und kannst einen Lohn verlangen. Von mir aus magst du also das Fräulein Labana heiraten. Wir machen sie zu einer Frau Baronin, und ihr besinnt euch auf einen wohlklingenden Namen, der sich anhört, wie der eines Geschlechts von ältestem Uradel. Wenn ich aber auch jetzt als König zugleich Oberhaupt der Familie bin, das in derlei Angelegenheiten zu entscheiden hat, so mache ich meine Erlaubnis doch davon abhängig, daß unseres Herrn Vaters Majestät ihren Konsens gibt. Ich werde ein gutes Wort für dich einlegen. Aber dazu ist noch nicht die passende Zeit gekommen. Dem alten Herrn dürfte es schwerer fallen, sich den neuen Verhältnissen zu akkommodieren als dir. Also noch einmal ein Weilchen Geduld. Die Affäre hat dich weiter nicht angegriffen, wie es scheint.«
»Ich war ja leider nicht so mitten drinnen, wie Majestät selbst,« antwortete Adolar.
»Leider, brauchst du gerade nicht zu sagen,« bemerkte der König.
Etwas verschüchtert meinte Adolar:
»Die Leute haben sich ja alles selbst zuzuschreiben.«
»Meinst du? Dann ist es ja gut,« sagte der König darauf und nickte ihm, ihn verabschiedend, zu. –
Die wichtigste Frage war es, welche Stellung jetzt der vergewaltigten Deputiertenkammer gegenüber einzunehmen war. Das Ministerium hatte ein zu schlechtes Gewissen, um Ausgleichsverhandlungen führen zu können, und der König nahm dessen Demission an. Er wollte jüngere Kräfte um sich haben, und das war bestimmend für die Bildung, des neuen Kabinetts, das gar nicht so reaktionär ausfiel, wie man geraunt hatte. Die neuen Minister wußten zu erzählen, daß der König bei dem ersten Empfang ihnen sehr scharf auf den Zahn gefühlt habe. Gleichzeitig mit den Ministerernennungen erfolgte die Berufung des Ministerialassessors Graf Coriolani als Hilfsarbeiter des Kabinettssekretärs. Die neuen Minister brachten schleunigst einen Ausgleich mit der Deputiertenkammer zuwege, demzufolge man über die Ereignisse hinwegsprang, den Neutralitätsantrag in eine Versenkung verschwinden ließ und es so dem König ermöglichte, den Eid auf die Verfassung zu leisten. Da verschiedene Abgeordnete der radikalen Parteien landflüchtig waren oder unter den Begnadigten sich befanden und nun ihr Mandat niederlegten, wurden Ersatzwahlen nötig, die ohne viel Geräusch vor sich gingen. Das Parlament lebte nach der durch die Ereignisse aufgezwungenen Überzeugung ja doch nur noch von dem guten Willen des Königs, und auf diesen guten Willen richtete sich die Spannung des ganzen Landes. Die engeren Hofkreise freilich legten mehr Gewicht als auf die ganze Politik auf zwei Ernennungen im Hofstaate. Baron Avia wurde zum Oberststallmeister ernannt, in Verbindung mit einer hohen Ordensauszeichnung, Graf Cäsar Coriolani zum Oberstzeremonienmeister. Beider Vorgänger hatten ihres Alters wegen ihren Abschied genommen. Über Avias Ernennung wurde gemurrt, wenn sie auch nicht gerade überraschend war, über die Cäsar Coriolanis lächelte man maliziös und meinte, das Geschlecht der Coriolani habe eben nun einmal seine Verdienste um die Dynastie. Das war doch etwas in dieser unangenehmen Zeit, woran man sein Späßchen haben konnte, und daß dies gerade bei einem so gestrengen Herrn möglich war, hatte noch seinen besonderen Kitzel. Es war schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr für guten Ton gehalten worden, von einer so feststehenden Tatsache, wie dem Verhältnis der Kronprinzessin mit Cäsar Coriolani, zu sprechen. Jetzt ging es aber um die neue Königin, und das gab auch der alten Sache wieder eine frische Färbung.