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Zwei Tage nach der Straßendemonstration, mit der sich sowohl das republikanische, wie das sozialdemokratische Organ eingehend und leidenschaftlich beschäftigt hatten, erschien der Obersthofmeister Graf Coriolani beim Kronprinzen und trug ihm im Auftrag des Königs einen ausführlichen Plan der befohlenen Jagdexpedition nach Afrika vor, nachdem er noch am Tage der Unterredung mit dem königlichen Vater durch den Generaladjutanten über die Sache selbst, auch über die vorläufige Reise mit der Gemahlin unterrichtet worden war. Der verantwortliche Oberleiter war Graf Mario, ein sehr reicher Aristokrat, der zwar noch nicht in Afrika gewesen war, aber schon größere Jagdzüge in Indien und in den Gebirgen des amerikanischen Nordens unternommen hatte und einen gewissen Ruf als Zoologe genoß. Er hatte seine Bereitwilligkeit von seinem Schlosse aus telephonisch zugesagt. Außer ihm waren noch drei adelige Offiziere, ein Major, ein Rittmeister, ein Oberleutnant und ein Arzt ausersehen. Dazu gesellten sich drei Angestellte des Hofjagddepartements. Der Führer des Trosses dieser Karawane und Organisator aller materiellen Bedingungen sollte Baron Avia, der Neffe der Gräfin Zerpa sein.
Der Kronprinz kannte die adeligen Herren alle. Sie schienen ihm sehr gleichgültig zu sein. Im Bezug auf den Grafen Mario spottete er: »Da werde ich wohl das Ausstopfen von Vogelbälgen als Gefangenenarbeit betreiben müssen.«
Dann fragte er aber interessiert:
»Baron Avia? Das ist doch so ein abenteuerlicher Herr, den ich schon irgendwo getroffen habe? War am Kongo, in Südamerika, hat, glaube ich, mal Chanteuse geheiratet, Jeuratte? Wie kommt denn der in eure Sammlung von Musterknaben? Soll also doch nicht ganz aufs Trockne gesetzt werden?«
Graf Coriolani erwiderte:
»Der Baron wird nur eine Stellung zweiten Ranges einnehmen, wahrscheinlich meist vorausreisen. Es war eben nötig, einen Afrikakenner mitzunehmen.«
»Der geht gleich mit mir in mein vorläufiges Strafquartier. Morgen reise ich ja schon,« sagte der Kronprinz lebhaft. »Sie wissen übrigens vielleicht noch gar nicht, lieber Graf: die Kronprinzessin will mich nicht begleiten, partout nicht. Meine Schwägerin Clara Eugenie vermittelt das heute noch bei Majestät. Die Damen haben sich darüber verständigt.«
»Darüber bin ich allerdings nicht informiert,« sagte der Graf betreten.
»'s ist aber so, und zwar hat Clara Eugenie diese Weigerung souffliert. Merken Sie jetzt etwas, Herr Graf?«
Coriolani entgegnete mit verhaltener Erregung:
»Die Kombinationen Eurer königlichen Hoheit könnten vielleicht doch irrtümlich sein.«
»Sind es nicht, sind es nicht, Verehrtester. Mit einer richtigen Weiberkabale haben wir es zu tun. Das riecht von Tugend und Korrektheit, läßt aber doch nie das Bett aus dem Sinn. Könnte ja inzwischen so was wie Versöhnung geben und ein kleiner Prinz dabei herauskommen. Das ist zu verhüten. Denn wenn ich in Afrika bin, findet man genug Zeit, meine Frau dahin zu bearbeiten, daß sie mir künftighin überhaupt das Schlafzimmer versperrt. Na, alter Hofmann, wie gefällt Ihnen das?«
Der Graf sagte:
»Das – – das wäre ein Verbrechen.«
»Und deshalb ist's also unmöglich! Kennte ich Sie nicht so gut, Graf, Ihre Biederkeit käme mir verdächtig vor. So weiß ich, daß nur die ritterliche Treue gegen unser Haus Sie befangen macht.«
»Königliche Hoheit, ich danke untertänigst für diese Anerkennung meiner Gesinnungen,« sagte jetzt der Graf bewegt. Der Kronprinz fuhr fort:
»Sie sehen, ich kann auch einmal an was Gutem Gefallen finden. Und darum möchte ich gerade Sie gebeten haben, daß Sie den König, meinen Vater, wohl behüten. Es ist Egoismus bei mir dabei, für Sie ist's nur die weitere Konsequenz Ihrer Königstreue. Eine üble Beigabe meines unfreiwilligen Afrikazuges habe ich Ihnen aufgedeckt. Es handelt sich aber noch um eine andere, bedeutsamere. Wir alle wissen, wie prekär meines Vaters Gesundheitszustand ist. Geschieht nun etwas, während ich vielleicht im innersten Afrika Menageriebiester niederknalle, dann führt mein Bruder Roger bis zu meiner Rückkehr die Regentschaft. Das kann ein Weilchen dauern, lange genug, um das Thronkissen mir mit Nadeln zu spicken. So was ist nicht angenehm. Die starken Getränke läßt der alte Herr nicht mehr, aber die Zerpa könnten wir ihm abgewöhnen. Das taugt doch gar nicht mehr für ihn.«
Graf Coriolani sagte jetzt:
»Ich selber bin es gewesen, der Seiner Majestät, die weit schärfer gegen königliche Hoheit vorgehen wollte, die Idee der Jagdreise vorschlug. Ich wollte den künftigen König vor bitterer Erinnerung bewahren.«
»Was hatte denn mein Vater vor?«
»Deutlich sprach es Majestät nicht aus, doch dachten Allerhöchstdieselben wohl an eine Festungshaft oder an die Verbannung auf irgend eines der entlegenen Schlösser.«
Der Kronprinz ließ das Monokel, das er stets, außer vor dem König, zu tragen pflegte, fallen, starrte eine kleine Weile vor sich hin, nahm dann das Glas wieder ins Auge und sprach:
»Für meine ganze Konduite, nicht für diese dumme Geschichte hätte ich so was verdient. Ich räume es ein. Für die gnädige Strafe muß ich mich noch bedanken. Aber ich bereue nichts, und ich verspreche nichts. Auf einen Krieg ist ja gar keine Aussicht, und unsere Armee ist auch nicht reif dafür. Aber, wenn diese Herren Revolutionäre mal losschlügen, dazu reichte es, ihnen zu zeigen, daß man noch zu was anderem taugt.« Er machte wieder eine kleine Pause, dann fuhr er fort:
»Also auf nach Afrika! Wenn mich ein Löwe fräße oder ein Elefant zerstampfte, meines Vaters Untertanen hätten Spaß daran, und alles ginge gut, denn der sanfte Roger würde König. So was kommt natürlich nicht vor. Jetzt wird ihnen vielleicht bange, ich brächte eine schwarze Maitresse mit und ließe sie nackt im bunten Federhut spazieren fahren.«
Die etwas beklommene Miene des Grafen beobachtend, fuhr er fort:
»Ich meine es ganz ernst mit diesen Späßen. Man traut mir das Schlimmste zu, und gute Patrioten wünschen mir ein vorzeitiges Ende. Ist's nicht so, Graf?«
Graf Coriolani sagte jetzt in einem feierlich ernsten Ton:
»Königliche Hoheit, es ist leider so.«
Der Kronprinz stutzte und warf den Kopf auf.
»Sie sind sehr aufrichtig!« sagte er scharf.
»Ich will es sein,« erwiderte der Graf mit Nachdruck. »Die Kraft der Monarchie beruht heute auf der Pietät der Untertanen. Es ist nicht gut, mit dieser zu spielen.«
»Die Kraft der Monarchie, so meine ich, beruht nach wie vor in der Kraft des Monarchen,« antwortete der Kronprinz entschiedenen Tones. »Ich will nicht König sein von Volkes, von Parlamentes Gnaden, ich nicht. Aber ein Kronprinz ist kein König. Was fängt er also mit seiner Kraft an, wenn er eine hat? Wie sich's der brave Untertan denkt, soll man als Kronprinz ein braves Büblein sein, über das jeder Spießer wohlgefällig lächelt, und wenn der Vater begraben ist, soll das Büblein flugs der Mann der Entschlossenheit, der Tatenmensch werden. Ihr schätzt ja den ›guten König‹ gar nicht so sehr. Zwar habt ihr eine Verfassung und betont es oft genug, aber vor dem König, der sich zu ängstlich daran hält, habt ihr keinen Respekt. Herrgott, es ist ein Hundeleben in diesem Königreich, wenn man des Königs und nicht eines Bauern Sohn ist. Der kann doch seine Kräfte brauchen. Vielleicht ist's besser bei den Tieren der Wildnis. Also, lieber Graf, ich nehme die gnädige Strafe an, und Sie, nicht wahr, behüten mir meinen Vater?«
Er streckte Coriolani die Hand entgegen. Dieser verneigte sich, und es fiel ihm sichtlich schwer zu sagen:
»Ich habe mich noch eines allerhöchsten Auftrages zu entledigen. Majestät erlassen es königlicher Hoheit sich abzumelden.«
Die Miene des Kronprinzen wurde ganz starr, er nahm eine militärisch dienstliche Haltung an und neigte leise den Kopf.
Der Graf entfernte sich.
Als der Kronprinz allein war, begab er sich aus dem Empfangsraum in sein Privatkabinett und warf sich dort in einen Klubsessel, die Arme über den Scheitel legend. Das war's ja gar nicht allein, war's gar nicht in erster Linie, was ihm die Afrikareise so zuwider machte, die Möglichkeit, die er dem Grafen vorgeführt hatte. Er wäre schon fertig geworden mit allen Ränken und Fallenstellereien. Um Constanze, das Prachtweib, ging es ihm. Es war ein arges Unternehmen, ein Verbrechen sozusagen. Wieso? Weil es eine Prinzessin war? Nichts anderes war es als bei anderen auch. Nein, es war etwas anderes. Ein Schicksal war es, ein unentrinnbares. Sie gehörte zu ihm. Das war mit den Jahren immer stärker geworden. So oft er sie sah, war es ihm, als müsse er sie an seine Brust reißen. Bei keinem Weib war das Gefühl in ihm so mächtig gewesen. Sie war ihm gut geblieben, das sah er ihr an. Und Fischblut hat so eine schneidige Person auch nicht in den Adern. Eine wilde Sehnsucht nach ihr packte ihn, bluten wollte er um ihretwillen. Sie nahmen sie ihm ja inzwischen, machten sie scheu vor ihm, wie vor einem Ungeheuer. Er zog die Arme vom Scheitel, fuhr aus seinem Sitze auf, rauchte hastig eine Zigarette und stand dann, die Hände in den Hosentaschen, mit gesenktem Kopf vor sich hinstarrend, an einen Tisch gelehnt da. Er pfiff ja auf alle, die ihn verurteilten und verdammten. Aber er schämte sich, schämte sich, daß ihm heiß wurde, bei dem Gedanken, Constanze könne ahnen, wie es eigentlich um ihn stehe.
Als Sechzehnjährigen sah er sich, noch wie ein Knabe gehalten, aber voll unbändiger Lebenskraft, in seinem Übermut und seinen jähen Zornesausbrüchen das Entsetzen seines gestrengen Gouverneurs und zugleich der Liebling der Mutter. Außer dem Reit- und Fechtlehrer war nur einer noch zufrieden mit ihm, von seinen Lehrmeistern – der Professor der Geschichte. Von allen großen Fürsten der Welthistorie hörte er mit Spannung, vor allem aber von den Helden des eigenen Hauses. Von dieses Hauses schwerer Niederlage aber erfuhr er durch bittere Worte seiner Mutter, aus denen der reifende Jüngling glühenden Rachedurst schöpfte.
Ein blutiges Völkerringen, einen Weltenbrand sah er vor Augen, aus dem das Reich seiner Väter in neuer Herrlichkeit aufgehen sollte, indessen der jetzt übermütige Gegner zerschmettert war. Man goß Wasser, sehr viel Wasser in seinen Feuerwein, ja es kam zu strengen Verweisen wegen unbedachter Reden. Er lernte die Dinge sehen, wie sie waren, und tiefe Bitterkeit zog in sein Gemüt. Er begann seinen Haß nicht mehr dem siegreichen Gegner zuzuwenden, sondern seiner nächsten Umgebung, die sich so feig dem angeblich Unabänderlichen beugte und sogar die Versöhnung mit dem Sieger als einen Gewinn betrachtete. Um jene Zeit leuchtete seine Liebe zu Constanze versöhnend in sein Dasein. Kaum, daß sie sich der Umgebung deutlicher erkennbar machte, so wurde ihm auch jede Hoffnung geraubt.
Und so ging es weiter. Ja, freilich, das ist die Kunst des Kronprinzen, mit Anstand goldene Ketten zu tragen. Sonst hat er nichts zu tun, darf er nichts tun – ein notwendiges Gesetz der Monarchie. In Golo lebte aber noch ein anderes Gesetz – so wurde er, wie er war. Wie er so dastand, die Hände in den Hosentaschen, sah er sich wachsen und werden, und zwei Gedankenläufe bildeten den Schluß seiner Selbstbespiegelung. ›Nur die Krone kann ein Wunder an mir tun. Sie ist was Heiliges, das ich doch nicht besudeln möchte!‹ war der eine, und der andere: ›Diese Sünde muß ich tun und stünde die Krone auf dem Spiel!‹
Der Kronprinz war ohne seine Gattin zunächst nach der Riviera abgereist. In den radikalen Blättern wurde bitter darüber gehöhnt, daß eine kostspielige Vergnügungsreise als Strafe für ein schweres Ärgernis gelten solle.
Oder, so fragte man, handelt es sich um eine vorsichtige Flucht vor weiteren Möglichkeiten? Dann wäre es ratsam, hieß es, den Aufenthalt in Afrika ziemlich lang auszudehnen, denn allzu schnell dürfte die Erregung nicht wieder einschlafen. Auf das Phlegma der Volksseele zu rechnen, kann doch zu schweren Täuschungen führen.
Aber auch am Hofe machte sich Unzufriedenheit über das glimpfliche Verfahren gegen den Sünder geltend, und Prinz Roger brachte dies dem König zu Gehör, der sich auf den Grafen Coriolani ausredete. Gegen diesen alten Vertrauten ihres Schwiegervaters hatte Prinzessin Clara Eugenie schon immer eine Antipathie gehegt. Nach ihrer Meinung ›beonkelte‹ er in einer ganz ungehörigen Weise die königliche Familie. In dem gegebenen Falle ging das über das Maß des Erträglichen hinaus. Die Affäre des Kronprinzen hätte unbedingt vor den Familienrat gehört, und der Obersthofmarschall, wie er auch mit dem König stand, hatte bescheiden zurückzutreten und sich jeder Meinung zu enthalten. Es entstand eine verschärfte Stimmung gegen den Grafen. Er war auf einmal zu alt geworden und gerade dem schwachen, bequemen König gegenüber von üblem Einfluß. Aber es gab für Clara Eugenie zunächst noch viel Wichtigeres zu tun, das ganz in ihrer Hand bleiben und wovon selbst ihr Gatte nicht allzu viel merken sollte. Sie war nicht hübsch, eine Mißbildung der Kiefergegend, die ihre Zähne zu sichtbar machte, entstellte sie, aber sie war eine nach allen Richtungen sehr kluge Frau. Sie hatte es verstanden, ein mustergültig glückliches Eheleben zu schaffen, in dem sie auf die Eigenart ihres Gatten von Anfang verständnisvoll einging. Das starke politische Interesse des Prinzen, der jeden Tag Berge von in- und ausländischen Zeitungen las, war ihr ursprünglich ganz fremd gewesen. Sie lebte sich darin aber ein, zunächst nur in dem Triebe, den schönen Gatten, den sie heiß liebte, an sich zu fesseln. Allmählich zog sie, die Umstände überschauend, besonderen Gewinn daraus. Was beim Gatten den Zug der Liebhaberei hatte, wurde bei ihr sehr ernste Sache. Die eigentümliche Lust des Prinzen, sich volkstümlich zu machen, in anscheinendem Widerspruch zu seiner Eleganz und Neigung zu Luxus den demokratischen Prinzen herauszukehren, war ihr auch anfangs etwas nicht nur Fremdes, sondern sogar Unbehagliches, Widerstrebendes. Aber als sie gegen die Töchter der Kronprinzessin Söhne auszuspielen hatte und bemerkte, wie sie dadurch in der öffentlichen Meinung gewann, da zeigte sie sich möglichst viel öffentlich mit ihren Knaben und sah sich wärmer begrüßt als die bildschöne Kronprinzessin. Der Prinz stimmte mit ihren musikalischen Neigungen überein. Man empfing am prinzlichen Hofe sehr gern hervorragende Künstler. Der immer geschäftige Prinz merkte es im übrigen gar nicht, daß er völlig unter dem Einfluß seiner Gattin stand. Er wies es scheinbar ärgerlich ab, wenn sie ihn rühmte als den, der eigentlich zu einem modernen König berufen wäre, nahm aber gleich ihr die Möglichkeit sehr ernst, daß ihrem ältesten Sohn dies zufiele. Aus diesem Grunde leiteten beide vor allem ihr Interesse an einem Familienrat her, vor dem Golo sich entschuldigen und Besserung hätte versprechen müssen. Einen Hinweis Clara Eugeniens darauf, daß der Kronprinzessin ein ehelicher Verkehr nicht weiter zuzumuten sei, hatte ihr Gatte freilich mit einer längeren Erörterung über die Ehe überhaupt und Fürstenehen insbesondere zurückgewiesen. Weiter auf das Thema einzugehen, widerstrebte ihrem Zartgefühl gerade dem eigenen Gatten gegenüber. Etwas ganz anderes war derlei zwischen Frauen untereinander. Sie hatte nun die Kronprinzessin sehr leicht dazu gebracht, die Reise nach der Riviera nicht mitzumachen, indem sie ihr sagte, das wäre ihrer unwürdig, ja geradezu skandalös. Die Kronprinzessin war zwar, da eine Königin fehlte, die erste Dame des Hofes, aber wie sich das geistesarme Püppchen in den Etikettefragen ganz nach dem Rate der Schwägerin richtete, so tat es dies auch in diesem Falle, der ihr auch nur als Etikettefrage erschien. Wie konnte man nun in dieses schwache Köpfchen den Entschluß einer dauernden Weigerung bringen? Es gab zwei theoretische Möglichkeiten. Man führte sie der Bigotterie zu oder besorgte ihr einen Liebhaber. Vor letzterem hatte Clara Eugenie doch Gewissensbedenken, und sie zu ersterem geneigt zu machen, erforderte gewisse Gemütsanlagen, die sich nicht künstlich einhauchen ließen. Überdies war die Kronprinzessin eitel und amüsierte sich sehr gern in Geselligkeiten glänzenden Stiles. Zunächst suchte nun Clara Eugenie viel eifriger als bisher den Umgang mit der Schwägerin, was allgemein auffiel, da man ja immer eine stille Spannung zwischen den beiden Familien zu erkennen geglaubt hatte. Man pries den weiblichen Herzenstakt Clara Eugeniens, und besonders freute sich auch der König über diese Wahrnehmung. Was ihm da Coriolani zugeflüstert hatte, stimmte also doch wohl nicht. Prinz Roger hielt sich absichtlich zurück. Er wollte nicht den Schein erwecken, als ob er die Abwesenheit des Kronprinzen ausnütze, seinen Einfluß zu mehren. Aber die Umstände waren stärker als sein ehrlicher Wille. Die Wahlen zum Parlamente standen in nicht zu ferner Zeit bevor, und die Parteien begannen sich zu rüsten. Da warfen die Radikalen das Wort ›Neutralität‹ als eine der Hauptparolen auf und stellten dadurch eine Frage, die bisher nur theoretisch behandelt worden war, in die breiteste Öffentlichkeit zur Erörterung. Bis weit in das Lager der Liberalen hinein hatte schon seit Jahren der Gedanke Boden gefaßt, das so sehr geschwächte Königreich, das doch nicht mehr die Kraft selbständiger Offensive habe, werde allen auswärtigen Gefahren durch eine Neutralitätserklärung entrückt. In konservativen Kreisen sah man in dieser Anschauung etwas wie Landesverrat, bis eines Tages in einem intimen Kreis auf eine derartige Bemerkung eines Kavaliers Prinz Roger bemerkte:
»Lieber Baron, dann gehöre auch ich zu den Landesverrätern.«
Das Wort, das weithin bekannt geworden war, wurde jetzt von den Radikalen in die Debatte gezogen, zunächst nur in der allgemeinen Behauptung, daß selbst in der Krone nahestehenden Kreisen eine Stimmung für den Neutralitätsgedanken vorhanden sei. Als dann die andere Seite eine solche Behauptung als Klatsch bezeichnete, nannte man den Prinzen beim Namen. Das wurde an höchsten Stellen sehr unangenehm empfunden, und man wollte ein Dementi veröffentlichen. Dem setzte jetzt Prinz Roger ganz entschiedenen Widerspruch entgegen. Er habe das Wort in der Tat gesprochen und sähe keinen Grund ein, warum er es ableugnen oder seine Meinung korrigieren sollte, obwohl ihm der Minister des Auswärtigen dringlich zuredete. Der Minister rief die Hilfe des Grafen Coriolani an, nachdem ihm selber der König auf seine Ausführungen geantwortet hatte:
»Mein Sohn Roger ist nicht König und nicht Kronprinz. Er darf eine eigene Meinung äußern. Wissen Sie denn ganz sicher, wie ich antworten würde, wenn Sie mich zur Sache fragten?«
Zu Coriolani sagte er aber gutmütig:
»Weißt du, Alter, du mußt dich nicht so viel in Dinge mischen, die dich nichts angehen, sondern geduldig abwarten, ob ich dich um Rat angehe.«
Graf Coriolani glaubte zu träumen. Etwas Derartiges war noch nie vorgekommen. Gerade die Gutmütigkeit des Tones war so verletzend geringschätzig gewesen. Um eine bittere Kränkung handelte es sich, und es war wohl ein Grund zum Entlassungsgesuch gegeben, denn das war seine Art nicht, wie ein Hofschranze königliche Unliebenswürdigkeiten hinunterzuschlucken. So war er's nicht gewohnt, und so wäre er nicht ein ganzes Leben lang im Hofdienste geblieben. Es ist die alte Geschichte: sie verlangen Pietät, diese allerhöchsten Herrschaften, selber üben sie keine. Sehr erregt kam er nach Hause. Während des Mittagmahles und namentlich darnach wurde die Angelegenheit sehr lebhaft im Familienkreise erörtert. Der Graf besaß vier Kinder, eine siebenundzwanzigjährige lungenleidende Tochter Isabella und drei Söhne. Cäsar, um drei Jahr älter als die Schwester, war Kammerjunker und für den Hofdienst bestimmt, vorläufig dem Oberststallmeister zugeteilt, Leander war Doktor juris und seit kurzem als Hilfsarbeiter im Ministerium des Innern beschäftigt. Ein Klumpfuß und hohe Schultern brachten ihn in Gegensatz zu den eleganten Kavalierfiguren seiner beiden Brüder, deren jüngster, Carlo, noch an der Universität studierte und seinem Vater, der ihn zum Diplomaten machen wollte, die Einwilligung abzuringen bemüht war, sich der Malerei widmen zu dürfen. An der Erörterung beteiligten sich hauptsächlich die Gräfin und die beiden älteren Söhne. Die Gräfin sprach ganz entschieden gegen ein Entlassungsgesuch. Sie schalt sehr zwanglos auf den König, der eben beginne altersschwach zu werden und in diesem Zustand jedem Einfluß zugänglich werde, der sich mit einigem Nachdruck geltend mache. Schließlich meinte sie:
»Ihr seid beide zu sehr aneinander gewöhnt, und jedem würde die Trennung schlecht bekommen. Er läßt dich ja doch nicht gehen, und ein Entlassungsgesuch gibt den andern nur die Meinung, du fühltest dich selber nicht mehr sicher und seiest bei nächster Gelegenheit ihnen preisgegeben.«
Cäsar, der kein großes Geisteskind war, meinte sehr diplomatisch zu sein, indem er sagte:
»Jetzt ist eben Clara Eugenie en marche, da war es doch unvorsichtig von dir, Papa, Stellung gegen den Prinzen Roger zu nehmen. Das war im jetzigen Augenblick inopportun.«
Barsch antwortete der Graf:
»Dieses en marche der Dame paßt mir eben ganz und gar nicht. Sie ist höchst inopportun.«
»Es hat wirklich den Anschein, als ob die Abwesenheit des Kronprinzen zu einem Intrigenspiel ausgenützt werden sollte. Wenn du aber die sehr richtige Ansicht verfichtst, daß Königstreue die Treue gegen den Kronprinzen in sich schließt, solltest du gerade jetzt ausharren.«
Der alte Graf wurde einen Augenblick nachdenklich, dann sagte er resigniert:
»Was bedeutet Ausharren unter solchen Umständen? Als Puppe daneben stehen und zuschauen!«
»Das kommt doch darauf an. Es kann die rechte Stunde zum Eingreifen für dich kommen,« meinte Leander. »Es ist jedenfalls nicht gut, wenn dem abwesenden Kronprinzen ein Anwalt fehlt.«
»Anwalt des Kronprinzen,« warf jetzt Carlo ein, – »viel Ehre ist dabei nicht zu holen.«
»Was soll das heißen?« fuhr der alte Graf unwirsch auf. »In meinem Hause werden solche Redensarten nicht geführt. Die Ehre ist immer da, wo Treue gegen die Monarchie ist.«
»Ich habe auch nichts gegen die Monarchie sagen wollen,« entgegnete Carlo bescheiden. »Es gibt viele gute Monarchisten, die nur für den Kronprinzen keine Sympathie hegen.«
»Und eben der kommt, wenn es um Treue geht, nächst dem König allein in Frage,« sagte der alte Graf darauf.
»Ich meine doch, heutigentags handelt es sich bei der Frage nicht mehr so sehr um eine Person, als um eine Ordnungsform des Staates, deren Vertreter diese ist.«
»Was sagst du zu dieser juristischen Weisheit?« wendete sich der Vater an Leander.
Dieser wurde sehr ernst.
»Es ist dies eine Kasuistik, die in manchen Köpfen spukt und bei uns nicht so harmlose Theorie ist wie anderwärts. Die Ordnungsform, die Leander meint, ist die Verfassung, und die Verfassung bestimmt genau, wer der rechtmäßige König ist. Diesem hat man treu zu sein. Alles andere wäre selbstverständlich Verrat.«
»Selbstverständlich ist das gar nicht,« entgegnete jetzt Carlo, »sondern nur die sehr fragwürdige Folge eines veralteten Erbrechts. Auch eine Monarchie läßt sich ohne dieses denken.«
»Der König ernennt einen Lieblingssohn zu seinem Nachfolger, so meinst du's? Und das muß natürlich auch der Liebling dieser oder jener Partei sein,« spöttelte Leander. »In unserem Falle also Prinz Roger.«
»So denkt allerdings mancher,« bemerkte Carlo trocken.
»Dann soll er aber auch nicht vergessen, an den Scharfrichter zu denken,« warf der alte Graf ein, »und du, mein lieber Carlo, sei so gut und vergiß überhaupt derartige Gedankenspielereien.«
»Ihr verirrt euch in ganz wilde Sachen,« fiel jetzt die Gräfin ein, »und es handelt sich vor allem doch nur darum, ob Papa auf seinem Posten bleibt oder nicht.«
»Natürlich wird er bleiben,« sagte Cäsar. »Der König gewährt ihm ja die Entlassung gar nicht.«
»Meinst du?« versetzte der Vater. »Mit alten Dienern wird es verschieden gehalten. Oft hängt man mit zäher Gewohnheit an ihnen, ebenso oft hört man aber auch willig auf Stimmen, die da sagen: ›Schaff dir den Alten endlich mal vom Halse. Er taugt nicht mehr.‹ Zwar hab ich's dem Kronprinzen versprochen, über seinen Vater zu wachen. Aber da ist noch etwas zu tun, was mir jetzt unmöglich gemacht ist.«
Er wurde nachdenklich. Man sah ihn fragend an. Er machte eine abweisende Handbewegung und sagte:
»Es wird nötig sein, daß ich gehe. Ich kann meine Pflicht nicht mehr erfüllen.«
Eine weitere Erklärung war von ihm nicht mehr zu erlangen. Etwas später aber, als er mit der Gattin allein war, sprach er ihr von der Gräfin Zerpa.