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Siebentes Kapitel

Im häuslichen Kreise des Oberhofmarschalls Coriolani wurden die politischen Vorgänge wenig besprochen. Es liefen sehr ungünstige Nachrichten von dem Zustand der jungen Gräfin ein, die ein Sanatorium hatte aufsuchen müssen und davon wurde das Gemüt des alten Grafen, der an ihr zärtlich hing, schwer berührt. Graf Leander sprach sich nicht gern aus, weil zu viel des Geheimen mit seiner politischen Meinung zusammenhing, und der jüngste Sohn hatte erst recht keine Lust, sich zu offenbaren. Graf Cäsar aber stand den Dingen mit der vollsten Gleichgültigkeit gegenüber. Er war wie nie zuvor der Stern der Hofgesellschaft, so etwas wie die Tenöre und Heldenliebhaber in den Theatern. Die immer deutlicher gewordene Gnade der Kronprinzessin hatte ihm ein besonderes Piedestal errichtet. Aber eine schöne junge Kronprinzessin, die einen schönen Kavalier in Abwesenheit ihres Gatten auszeichnet, das wird schnell ein Motiv, an dem die Herren und Damen des Hofes ihre Phantasie üben.

Eines Tages ließ der alte Coriolani seinen ältesten Sohn zu sich kommen und sagte:

»Es macht sich ein Gerede vernehmlich, das mir sehr unangenehm ist, und zwar umso unangenehmer, als meine eigenen Beobachtungen mich hindern, die Sache leicht zu nehmen. An deiner Miene sehe ich, daß du mich wohl verstehst. Du gibst mir also dein Ehrenwort, daß der Klatsch nicht, wie so mancher Klatsch, doch Wahres birgt, oder du verläßt sofort den Hofdienst.«

»Lieber Papa,« entgegnete Graf Cäsar, »ich muß zunächst bemerken, daß die Form deiner Meinungsäußerung doch nicht meinem Alter angemessen ist.«

»Keine Ausflüchte, wenn ich bitten darf!« rief der alte Coriolani jetzt hochgerötet und mit großen Augen. »Dein Ehrenwort, oder ich, dein Vorgesetzter im Dienst, verlange von Seiner Majestät morgen deine Entlassung. Ich kann einen Menschen, der ein solches Bubenstück begeht, nicht im königlichen Dienste dulden.«

»Aber Papa,« sagte Graf Cäsar gelassen, »wozu denn diese Szene? Ich habe dich doch immer als richtigen Kavalier gekannt. Nenne mir jemanden, der sich eine vorlaute Bemerkung erlaubt hat, und ich rufe ihn vor meine Pistole. Das ist in der Sache zu tun und weiter nichts.«

Der alte Graf wurde noch zorniger: »Freilich habe ich die ganze Zeit meines Lebens darauf gehalten, mich als echten Kavalier zu bewähren,« sagte er, »aber so hab ich das nicht verstanden, daß ich einen Schurkenstreich begangen und ihn dann mit Klopffechterei zugedeckt hätte. Ich weiß also jetzt, wie ich daran bin, und werde meine Pflicht tun.«

»Das kann ja sehr amüsant werden,« höhnte Cäsar. »Ich werde mich nämlich zur Wehr setzen und meine Schuld ist es dann nicht, wenn du dabei zu kurz kommst.«

Sein Vater sah ihn jetzt mit einem Blick voll tiefster Trauer an und sagte:

»Weil du zu nichts anderem taugtest, habe ich dich am Hofe untergebracht. Das war eine Sünde. Ernste Männer gehören in die Umgebung der Könige, Schwachköpfe werden in der Hofluft zu leichten Buben. Pfui! Geh mir aus den Augen!«

Am anderen Morgen erschien zu ungewöhnlich früher Stunde die Kronprinzessin bei Clara Eugenie, die sie erstaunt willkommen hieß und noch erstaunter war, als sie ihr weinend um den Hals fiel. Erst nach einer Weile kam sie dazu, auf Fragen und Beschwichtigungen mit fliegendem Atem zu stammeln:

»Du mußt mich retten, du mußt so schnell als möglich den König sprechen. Eine abscheuliche Lüge haben sie über mich verbreitet, der alte Coriolani will es dem König melden. Es ist nicht wahr, du mußt es dem König sagen, daß es nicht wahr ist!«

Clara Eugeniens Augen hatten rasch aufgeblitzt, dann sagte sie sanft zuredend:

»Aber Liebste, drücke dich deutlicher aus. Was will Graf Coriolani melden, was lügt man?«

»Ach Gott – – es ist ganz schrecklich – – ich – – Cäsar Coriolani – – wir sollen – – unerlaubt – –«

»Wer untersteht sich?« rief jetzt Clara Eugenie hochfahrend entrüstet. Dann fügte sie bei: »Der Obersthofmarschall will das melden?«

»Er will die Entlassung seines Sohnes aus dem Hofdienst bewirken. Das gibt doch erst recht Gerede.«

»Woher weißt du das? Hat er denn das irgendwo ausgesprochen?«

»Es ist mir von einer zuverlässigen Seite zu Ohren gekommen.«

»Vom jungen Coriolani selber,« sagte Clara Eugenie bestimmt.

»Nein – – nein – –,« wehrte die Kronprinzessin mit gesenktem Kopf ab.

Eine größere Pause, von der sich die Kronprinzessin gepeinigt fühlte, trat ein. Clara Eugenie sah nachdenklich vor sich hin, schaute auch einige Augenblicke mit hochgehobenem Kopf zum Fenster hinaus, dann sprach sie lebhaft in rascher Wortfolge:

»Ist dieser alte Mann denn ganz toll geworden? Ich verstehe das gar nicht. Aber beruhige dich nur, ich werde sofort zum König fahren und gründlich meine Meinung über die Frechheit aussprechen, mit der diese Hofschmarotzer sich sogar an die Ehre einer Kronprinzessin heranwagen. Das kann unmöglich geduldet werden.«

»Es ist zu abscheulich!« rief die Kronprinzessin und fing wieder zu weinen an. Clara Eugenie liebkoste sie und sagte:

»Nun mußt du aber auch Vertrauen zu mir haben, und ich muß für alle Fälle wissen, was ist. Daß du den Coriolani gern siehst, habe ich ja auch bemerkt. Was geschehen ist, ist geschehen, und mit dir Ärmsten darf man nicht zu streng ins Gericht gehen. Gerade glückliche Frauen, wie ich eine bin, müssen milde verstehen, was ihnen selber ferne liegt, weil sie doch die Liebe kennen. Du bist nicht schuld, daß es so gekommen ist.«

Nun lockte sie mit leichter Mühe aus der Sünderin eine Beichte heraus, wie sie Frauen nur vor Frauen ablegen können. Dennoch schämte sich die Kronprinzessin sehr, denn Clara Eugenie hatte die zärtliche Stellung aufgegeben und sah sie so streng, so erhaben zürnend an, daß sie bereute, so offenherzig gewesen zu sein. Das war aber von dieser eigentlich gar nicht beabsichtigt. Sie verbarg hinter der Maske nur den Gewissenskampf, in dem sie mit sich selber rang. Dann sprach sie langsam, wie nach dem rechten Ausdruck suchend:

»Ich nehme ja etwas wie eine Mitschuld auf mich, wenn ich dich nach dem, was ich jetzt weiß, herauslüge. Da muß ich denn doch gewisse Bedingungen stellen. Wenn ich dir das Versprechen abnehme, der Sache wenigstens jetzt ein Ende zu machen, so hältst du das ja doch nicht, es wird auch nach der Rückkunft deines Gatten dabei bleiben. Ja, ja – deine abwehrende Miene enthält schon ein Zugeständnis. So mußt du mir also versprechen, daß du Golo von dir fern halten willst. Dann ist's in deinem Interesse gelegen, Umstände zu meiden, die eine Fälschung der Dynastie bedeuten könnten.«

»Das – – das kann ich nicht,« stammelte die Kronprinzessin. »Wenn's ihm beliebt, nimmt er mich mit Gewalt.«

Clara Eugenie machte eine Gebärde des Widerwillens. Dann sagte sie frostig:

»Man kann sich wirklich nicht in deine Affären mischen. Ich werde über das schweigen, was du mir anvertraut hast, aber mehr darfst du von mir nicht verlangen.«

Die Kronprinzessin bat und weinte wieder, bis Clara Eugenie endlich doch sagte:

»Gut, ich will zum König gehen.«

Darauf sah sie aber die Schwägerin, ihr die Hand reichend, mit einem durchdringenden Blicke an, den diese mit der Miene scheuen Gehorsams aufnahm.

Der König machte sich schon seit geraumer Zeit seiner Umgebung durch üble Laune unbequem, und Lakaienscharfsinn wollte herausbekommen haben, daß die Ursache bei der Gräfin Zerpa zu suchen sein dürfte. Seine Besuche bei ihr nahmen viel kürzere Zeit in Anspruch, und die gräfliche Dienerschaft behauptete, Seine Majestät halte sich jetzt immer nur noch im kleinen Teesalon auf.

Als Clara Eugenie, im Namen der in ihrer augenblicklichen Lage schutzbedürftigen Kronprinzessin, lebhafte Beschwerde über die unerträgliche Frechheit des Hofklatsches erhob und um energisches Einschreiten bat, sagte der König:

»So redet man überhaupt einmal von ihr? Na ja, die Weiber sind eben eifersüchtig des jungen Coriolani wegen. Den hast du ja selber hingeschoben. Und ich soll jetzt eine große Staatsaktion aus dieser ambition des chemises machen? Fällt mir ja gar nicht ein!«

»Majestät,« antwortete Clara Eugenie, »es handelt sich um die Kronprinzessin, und alle Prinzessinnen des königlichen Hauses sind mit ihr auf das höchste beleidigt.«

»Dann bist du ja die Nächste dazu, den Klatschbasen zu wissen zu machen, daß die Frau Kronprinzessin nicht einmal zum Ehebruch Talent habe.«

»Majestät, es dürfte sich nicht bloß um Damen dabei handeln, sondern, und zwar auch recht sehr, um Herren. Ich bitte noch einmal im Namen aller Prinzessinnen dringend um allergnädigsten Schutz unserer Ehre.«

Der König holte ein paar Mal geräuschvoll Atem und sagte dann:

»Na, denn also! Am nächsten Dienstag ist der Fastnachtshofball. Da muß ich mich ja nach hergebrachter Sitte etwas witzig gebärden, und da teile ich dann einige Nasenstüber aus. Genügt dir das nicht?«

»Wenn die Nasenstüber sehr deutlich sind,« antwortete Clara Eugenie ein wenig lächelnd.

»Eine königliche Prinzessin, werde ich sagen, ist immer keusch. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Revolutionär und wird verurteilt im Palais des Prinzen Roger Unterricht über die Pflichten eines loyalen Staatsbürgers zu nehmen.«

»Majestät!« rief jetzt die Prinzessin überrascht.

»Ja, ja,« sagte der König, zweimal mit dem Kopf nickend und sie scharf ansehend, »Roger soll sich etwas in acht nehmen, sag ihm das. Guten Morgen, mein Kind!« Er winkte ihr mit der Hand zu, und sie entfernte sich sehr betreten.

Die Bemerkung des Königs war dadurch veranlaßt, daß ihm tags zuvor der Polizeipräsident Rapport über die politische Lage in der Hauptstadt erstattet und dabei in vorsichtigen Wendungen auf die eigentümliche Erscheinung hingewiesen hatte, daß die radikale Presse sich immer deutlicher an den Prinzen Roger hänge, immer auf ihn als den freidenkenden Mann hinweise und sich zu seiner eifrigen Verteidigerin gegen gewisse Anspielungen der offiziösen Presse mache.

Leander Coriolani war in seiner Lust an der publizistischen Tätigkeit kühner geworden und nahm den Prinzen Roger schärfer aufs Korn, nachdem ausspioniert war, daß sich der persönliche Verkehr zwischen ihm und dem radikalen Parteiführer Simoni immer reger gestaltet hatte. Das war aber wiederum die Folge der versteckten Angriffe der offiziösen Presse, die den Prinzen nervös machten. Im ersten Augenblick wollte er sich ganz zurückziehen. Das verhinderte Simoni, indem er ein solches Verhalten sehr freimütig kritisierte und den Prinzen bei seiner Mannesehre packte. Jetzt suchte dieser immer Rat und Hilfe bei ihm. Abgesehen von einem regen Briefwechsel mehrten sich auch die persönlichen Zusammenkünfte an verschiedenen Orten. Der Minister des Innern aber hatte für eine verschärfte Beobachtung beider Männer Sorge getragen.

Clara Eugenie, der sehr unbehaglich zu Mut war, hemmte ihren höfisch raschen Schritt ein wenig, als sie auf dem langen, statuengeschmückten Korridor den Obersthofmarschall auf sich zukommen sah. Dann entschloß sie sich, mit einer ganz förmlichen Kopfneigung an dem Stehenbleibenden und sich tief Verbeugenden vorüberzugehen.

Als Graf Coriolani seinen Rapport vor dem König beendet hatte, fügte er die untertänigste Bitte hinzu, Majestät noch eine eigene Angelegenheit vortragen zu dürfen. Der König sah ihn mit einem mißtrauischen Seitenblick an und machte dann eine leichte Gebärde mit der Rechten, auf die Coriolani das Gesuch vortrug, seinen Sohn aus dem Hofamte zu entlassen und in den diplomatischen Dienst zu versetzen. Die Stirn des Königs zog sich in Falten, und er warf den Kopf zurück.

»Was soll das bedeuten? Was willst du damit?« polterte er, und sein hörbares Atmen kündete, daß er erregt war.

»Wenn ich eben von einer persönlichen Angelegenheit sprach,« antwortete Coriolani, »so war das nicht ganz korrekt. Es handelt sich vielmehr um eine dienstliche Zweckmäßigkeit.«

»So!« machte der König gedehnt, schnaufte schwer und fuhr den Grafen dann zornig an:

»Kommst du mir vielleicht auch mit dem Geschwätze, das mir die Prinzessin Clara Eugenie eben hinterbracht hat? Kein Wort will ich weiter davon hören, verstanden! Dein Sohn bleibt, wo und was er ist!«

»Majestät wollen allergnädigst geruhen, mein Gesuch als dringlich zu betrachten.«

»Das werde ich nicht tun!«

Coriolani zögerte einen Augenblick, dann sagte er, seine Erregung mühsam beherrschend:

»Ich hätte es nie gewagt, Majestät mit einem sogenannten Hofklatsch zu belästigen. Es handelt sich um anderes.«

Über das Gesicht des Königs ging ein Zucken, und auch in die auf der Seitenlehne des Stuhles ruhende Hand kam leise eine Bewegung. Dann sammelte er sich und sagte auf einmal ganz ruhig:

»Ach so, dein Sohn ist also in der Tat verliebt. Das wäre also der Kern des Geschwätzes. Ja, da wird er sich eben sehr in acht nehmen müssen, sonst kann er sich auf Unannehmlichkeiten gefaßt machen. Aber zu einer Änderung ist keine Veranlassung.«

»Noch etwas?« fragte er, als der Graf stehen blieb.

»Majestät,« sagte dieser jetzt, »ich bitte nochmals – –«

»Ich lasse mich doch nicht zwingen!« rief der König jetzt zornig. »Kein Wort will ich mehr von der Sache hören, kein Wort!«

»Dann muß ich um meine Entlassung bitten!« sagte jetzt Coriolani sich tief verneigend.

Der König schlug mit beiden Händen auf die Stuhllehne und rief hochatmend, ganz heiseren Tones:

»Die sollst du haben – – wegen Schwerhörigkeit. Guten Morgen!«

Coriolani verbeugte sich und ging. Es war kaum eine Stunde verflossen, als der Kabinettssekretär des Königs im Hause des Obersthofmarschalls erschien, um persönlich das Handschreiben zu überreichen, in dem dessen mündliches Entlassungsgesuch vom ›dankbaren‹ König unter Anerkennung langjähriger, treuer Dienste genehmigt wurde. Der Kabinettssekretär erzählte noch, der König sei furchtbar erregt gewesen und habe zu ihm geäußert:

»Jetzt läßt er mich noch im Stich, der alte Starrkopf, wo's doch nicht mehr lange gedauert hätte, und will mich nicht mehr verstehen. Ich muß ihn ziehen lassen. Er hätte anders gekonnt, ich kann's nicht.«

Der Kabinettssekretär ließ erkennen, daß er recht gern einen näheren Kommentar zu diesen Worten des Königs bekommen hätte, aber Coriolani meisterte seine Gemütsbewegung und sagte gemessen:

»Ich kann auch nicht anders handeln, als ich getan habe. Das verbot mir meine Ehre.«

Als er allein war, sank er in einen Sessel. Welch häßliche Zusammenhänge waren es, an denen seine lebenslange Königstreue scheiterte!

Dem König war es bequem, daß das Geheimnis der Kronprinzessin nicht näher angerührt wurde, und darum gab er seinen treuesten, einzigen Freund auf. Es gibt keine Treue der Könige, denn sie können die Menschen nicht werten und unterscheiden darum nicht zwischen Diensten aus Liebe und Liebesdienerei; der sich in jede Lage schmiegende Schranze ist ihnen bequemer als die Zuverlässigkeit des aufrechten Mannes. Aber trotz dieser uralten Weisheit des Hoflebens hätte Coriolani doch geglaubt, daß gerade bei diesem König, dessen Vertrauter und Tröster in den schwersten Stunden er gewesen, die Dinge anders lägen. Eine geile Prinzessin und ein hübscher Schranze – eine abgedroschene Geschichte, aus der man nicht viel Aufhebens macht. Aber der Schranze war sein eigener Sohn. Wäre er nun selber der richtige Schranze gewesen, so hätte er heimlich schmunzelnd gedacht, daß Cäsar doch ein verdammter Schwerenöter sei, der sich auf die Wege versteht, die zu einer Karriere führen können. Aber ihm stieg der Widerwille davor in die Kehle. So war es also gekommen, daß der Sohn den Vater stürzte und wieder einmal der Liebesunfug eines Weibchens bitteres Leid schuf, denn wenn er auch Cäsar niemals überschätzt hatte, er war ein guter Familienvater, und der verliert auch einen minderen Sohn nicht ohne Schmerz.

Als Clara Eugenie von der Verabschiedung des alten Coriolani erfuhr, fühlte sie sich, da ihr der Zusammenhang klar war, noch mehr im Gemüte belastet. Es war das eben ein weiterer Beitrag zu alledem, was sich jetzt anhäufte, zu dem unheimlichen Gefühl, in unentrinnbare Schuld verwickelt zu sein, deren Folgen noch nicht zu übersehen waren, und sie fürchtete sich vor Notwendigkeiten, die sie noch weiter auf den Weg des Unrechts treiben würden. Von nervöser Hast waren die Zärtlichkeiten belebt, die sie dem Gatten und namentlich dem ältesten Knaben erwies. Sie sehnte sich schmerzlich nach der Zeit zurück, wo zwar gelegentliche Gedankensünden des Ehrgeizes in ihrem regen Geiste aufgetaucht waren, ihr Leben aber doch des Friedens nicht entbehrt hatte, den sie nun von sich weichen sah.

Auf dem Hofball am Fastnachtsdienstag ließ sich der König sehr laut vor einer größeren Gruppe von Herren und Damen vernehmen:

»Na, jetzt ist auch dieser Karneval gleich vorüber, und es bleiben davon nur einige Verlobungen und einige Klatschgeschichten übrig. Was die letzteren angeht, möchte ich übrigens die Herrschaften sehr gebeten haben, sie auf ihre engeren Kreise zu beschränken und den Hof damit aus dem Spiele zu lassen. Es ist höchst ungehörig, über Mitglieder des Königshauses zu medisieren. Mir ist derlei zu Ohren gekommen, und ich muß mein Mißfallen darüber äußern.«

Wenige Minuten darauf unterhielt er sich längere Zeit mit der Kronprinzessin, und Prinzessin Clara Eugenie konnte hören, wie er ihr zuletzt sagte:

»Ich habe dir meinen besten Freund geopfert. Bitte das wohl zu erwägen.«

Der Obersthofmarschall a. D. und der Vizezeremonienmeister Coriolani waren auf dem Hofball nicht anwesend. Man hörte, daß die junge Gräfin im Sterben liege. Das nahm der Sensation, die des Königs rasch im Saale verbreitete Worte erregten, einige Würze. Niemand zweifelte jetzt mehr daran, daß der Sturz des Obersthofmarschalls mit den Gerüchten über seinen Sohn zusammenhing, wenn man auch diesen Zusammenhang umso weniger zu erraten vermochte, als doch Graf Cäsar im Dienst geblieben war. Der König schien den ganzen Abend hindurch schlechter Laune, unterhielt sich gegen seine Gewohnheit, schöne junge Frauen anzusprechen, nur mit älteren Herren, und man fand ihn auch im Gesichtsausdruck sehr abgefallen. Von der Kronprinzessin, die in ihrer freigebigen Dekolletage wieder bildschön aussah, behauptete man, obwohl sie jede Tour tanzte, sie mache einen gelangweilten Eindruck. –

Der König ließ durch einen Flügeladjutanten zum Tode der Komtesse Coriolani sein Beileid ausdrücken und einen prachtvollen Kranz überreichen. Graf Cäsar schritt mit Vater und Brüdern hinter dem Sarge, aber es hatte sich schon die Familie nach heftigen Auseinandersetzungen, bei denen seine beiden Brüder das Wort führten, von ihm losgesagt. Als sich am Grabe der Vater nicht mehr aufrecht zu halten vermochte, schoben die beiden anderen Söhne Cäsar ganz deutlich beiseite, um den alten Mann zu stützen. In diesen schweren Tagen, in denen zwei Kinder verloren gingen, gewann die Gräfin bei den gegenseitigen Offenbarungen ehelicher Seelengemeinschaft dem Gatten die Einwilligung zur Künstlerlaufbahn des Jüngsten ab.



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