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November

 

Herunten leicht Jager d'erfragst
Auf Henna und Has'n und Füx,
Wo drob'n aber 's Edelweiß wachst,
Da taug'n die mehrern nix,
Aber i' bi' dabei,
Denn »wie höcher wie lieber« dees is
Mei Spruch alleweil!

 

Im Gamsgebirg

Warum feiert gerade ihn das Volkslied so begeistert? Warum ist gerade er die heißersehnte Leute des Bergjägers, der lüsterne Traum des zum Manne reifenden Gebirgssohnes, dessen Verwirklichung schon so viel Blut gekostet – der Gemsbock, dem Ziegengeschlecht entstammend, plump, grobknochig, ein Proletarier an Gestalt gegen das zierliche Reh, den edlen Hirsch, als Wildbret verachtet?

Seine Heimat ist es, die ihn verklärt, ihn mit einer unverwüstlichen Romantik umgiebt, die Berge, in »deren reine Lüfte nicht hinaufsteigt der Hauch der Grüfte« und noch etwas – das ritterliche Gewinnen mit Einsetzen zäher Manneskraft und dann und wann auch Mannesmutes. Der Modejäger, dem es nur um mühelos errungene Erfolge und um das knallen zu thun ist, wird den Pfad des Gemsjägers bald enttäuscht verlassen, wenn er ihn je der Neugierde oder der Renommage halber einmal betreten hat, und zurückkehren zu den Kartoffel- und Rübenäckern, wo das schüchterne Häschen und das Rebhuhn ihm mühelos die Zeit vertreibt, zu den gemütlichen Treibjagden mit dem Knödlbogen. Der echt gefärbte Weidgeselle aber wird nimmer vergessen die heimliche Pirsch, das Beschleichen der Höhen im Morgensonnenglanze, das frische Wagen und lustige Wägen, die phantastischen Felsburgen und grünen Matten, und er wird die Sehnsucht danach nicht los werden. –

November – wenn der Winter schon eingezogen in den Bergen, ist die rechte Zeit; da wirbt der Gemsbock in zottigem, schwarzem Hochzeitskleid um seine Braut. Im Schneefelde blüht seine heiße Liebeslust.

In der Holzerstub'n herrscht reges Leben; heute ging zum erstenmal der Schlitten. Die lustige, schneidige Winterarbeit begann; drei Klafter, einen Berg Holz hinter dem Rücken, geht es hinunter auf der Bahn an gähnenden Abgründen vorbei, in scharfen Windungen, auf das sichere Auge, die stählernen Muskeln, den unerschrockenen Mut sich verlassend.

Sie haben sich viel zu erzählen die bärtigen Gesellen. Die Jüngeren renommieren, die Alten lassen nichts gelten, in der Pfanne über dem lodernden Feuer brodeln die Preßknödel im Schmalze. Ein junger Bursche spielt, um alles unbekümmert, auf der Mundharmonika, und das weiße Kätzchen schmiegt sich schnurrend von einem zum andern. – Dann plötzliche Stille, das schweigsame Gelöffel beginnt mit dem tierischen Behagen, das dem Arbeitsmenschen das einfache Wahl so würzt, während wohlige Wärme die Körper durchdringt.

Ich und Jakl der Jäger gehen vor die Hütte und sehen nach dem Wetter. Es ist eine klare, kalte Mondnacht – die beschneiten Schroffen blitzen und funkeln, daß das Firmament hinter ihnen dunkel erscheint; tiefe, kantige Schatten laufen über die weißen Hängen und Gräben, unten im Thal braut der Nebel, schwarze Fichten heben sich da und dort aus seinen Silberwogen.

»Das wird a Jagdtag morg'n, nur a bißl z'laut«, meint der Jakl, in den knarrenden Schnee tretend. »Dös mach'n wir jetzt a so.« Dann kommt der Jagdplan. »Durch'n Dürnbach steig'n ma schön stad 'nauf, könnt' uns ja im G'wänd schon aner bekäma, nachher 'nein in die Breitlaana, ganz schön stad – und hing'setzt so lang ma's d'erleid't – wird schon amol oaner daher wandeln, san ja Gams da – schiaß'n thuan ma alleweil, do fehlt dir nix!«

Jakl kennt mich und steckt sich schmunzelnd eine Zigarre an, die ich ihm anbot zum Lohne für die gute Botschaft.

Drinnen in der Hütte glimmen die Pfeifen. Wärme, gefüllte Magen, Tabak, eine gute Bahn für morgen, – die Glücklichen haben keinen Wunsch mehr. Herbei, ihr unzufriedenen Projektenmacher, Winsler, Himmelsstürmer und Philosophen, und lernt in dieser Waldhütte, wie wenig der Mensch zum Glück braucht!

Jetzt gilt nur den »Gams'n« das Gespräch. Jeder weiß etwas zu erzählen. Der eine war Treiber auf den Herzogsjagden und »hat's mit 'n Stecken außa g'haut aus die Latschen, die Luada!«

Der andere erzählt verschmitzt lächelnd seine eigenen Abenteuer auf der Wildbahn, Lumpereien, Wildererstückeln, die alle mit den Worten beginnen: »Da hab i an kennt.« Im Winkel hinten phantasiert dazu der »Hias« auf der Mundharmonika.

Immer kleiner wird die Zuhörerschaft, einer nach dem andern schleicht fort in das »G'lieg'r« in der Stube nebenan, worin es grad »wachelt« vor Hitz, die dem glühenden Eisenofen entströmt.

In der Ecke ist der Platz des Forstgehilfen, ein rot karriertes Kissen und eine Wolldecke zeichnen ihn aus; heute ist er mein, neben mir schnarchen die Knechte im bleiernen Schlaf.

Auf der Gemsjagd, besonders zu dieser Zeit, hat man's nicht so eilig mit dem Aufstehen. Zuerst noch eine schmalzige Brennsuppe »die halt her«, der Plan wird nochmals erwogen, und dann hinaus in den frischen, klaren Morgen, das Herz voll Hoffnung und Schneid'. Der Dürnbachsteig wird »angepackt«. Leider hat es einen »Harsch«, der obere Teil des Schnees ist gefroren, das Gehen beschwerlich und laut. Der Lärchenunterwuchs um uns her sieht aus wie Glas, mit blitzendem Duft überzogen.

Der Schnee nimmt bedenklich zu mit der Höhe, jeder Schritt kostet Schweiß. Der Steig, anfangs über steile von Gräben durchzogene Graslaner, biegt auf der Höhe plötzlich ein, um durch ein zerklüftetes Gewänd zu führen. Jetzt gilt es Vorsicht.

»A bißl verschnauf'n und nachher fein stad«, flüstert Jakl geheimnisvoll.

Man verschnauft, räuspert sich in den vorgehaltenen Hut, sieht noch einmal nach der Büchse, dann geht es gebückt aufwärts, Jakl voraus. Vorsichtig hebt er den Kopf über den Kamm und zieht ihn rasch wieder zurück, mir zunickend.

Unter uns in einer Schneereise steht ein schwaches Rudel. Der Wind zieht bergauf, sie ahnen nicht unsre Nähe. Kitzgeißen, Jährlinge, »a Graffl«, wie es der Jakl nennt, aber jeden Augenblick könnte ein Werber erscheinen drüben in den Wänden – starke Fährten durchkreuzen den Schnee. – »Abwarten« war die Losung.

Unten im Thale weichen die Nebel vor dem siegreichen Strahl des Tagesgestirnes, das die Ränder der Schneegipfel in feurigen, wallenden Gluten zu schmelzen scheinen. Violetter entlaubter Buchenwald und gelbe Wiesen werden sichtbar, zerstreute Gehöfte. Der Lärm des Lebens dringt herauf, Wagengerassel auf gefrorenem Boden, Gehämmer, Herdengeläute. Unten auf dem Stellplatz bewegen sich mückenhaft die Holzer von gestern Abend.

Das Rudel unter uns tummelt sich gar lustig im Schnee, schlägt mit den Läufen nach Aesung, während ein bedächtiges Muttertier, auf einer Felswand stehend, regungslos in die Tiefe äugt.

Dort geht offenbar etwas sehr Interessantes vor. Dann und wann schlägt das Tier erregt mit den Läufen, reckt den langen Hals, äugt unschlüssig zurück zu den Gefährten. – Plötzlich stößt es den ominösen Pfiff aus und fliegt hinunter von seinem Lugaus durch die Schneereise, ihm nach in schwarzem Gewimmel das »Graffl«, unter uns durch, in den Steinwänden verschwindend.

Wir kümmern uns nicht darum, unsere Augen sind starr auf die Stelle gerichtet, welche die Geiß verlassen.

»Er kommt! Er muß kommen! Und grad da kommt er.« Da steht er schon wie eine Lufterscheinung.

»A guater Bock! Schiaß!« lispelt Jakl, mit seinem Blick ihn verschlingend.

Die Büchse an die Wange! Doch nur mehr ein Schneewölkchen fliegt auf, – als ob er sich geradewegs in den Abgrund gestürzt hätte.

»Sakra! Das war einer!« fluchte Jakl, »grad um 's kenna! Wia 's nur sein mag, der beste Wind! Ja, wenn's net mag! Wenn's net mag!«

Der Steig ist jetzt schwer zu finden, Jakl muß Stufen treten in den gefrorenen Schnee. Oft ist's wie auf einer Leiter, hinauf, hinunter, linker Hand gähnt die bläuliche Tiefe, aus der sich da und dort beschneite Felsburgen, groteske Türme, riesige Mauern heben.

Unter ständigem Kampfe mit dem Schnee biegen wir endlich in die »Breitlaana« ein. Breites, schroffes Gehänge eines trichterförmigen Kessels (Kar), von Reisen, Gräben durchzogen, welche immer von neuem gedeckte Birsch bietet.

Wir wählen einen Platz, der weite Aussicht gewährt. Zahlreiche »goldfrische« Fährten erhöhten die Zuversicht.

»Natürli, i sag 's ja. Da schaun's 'nüber.«

Jakl reicht mir das Perspektiv. Auf den gegenüberliegenden, durch einen breiten, jetzt im Schnee begrabenen Waldboden von uns getrennten felsigen Hänge des Kessels geht es gar lustig zu.

Zwei Böcke jagen sich, vom Schneestaub umwirbelt. Wie schwarze Kobolde tauchen sie bald da, bald dort wieder auf, auf Kanten, die kaum Platz zum Stehen bieten, hinab, hinauf, auf unglaublichen Wegen. Das Weibsvolk, dicht aneinander gedrängt, sieht neugierig dem Wettstreite zu.

Anbirschen durch das Waldthal bei fußhohem, lautem Schnee ist aussichtslos, und jeden Augenblick kann sich auch auf unserer Seite etwas ereignen.

Die kalten Schatten weichen. Alles glitzert, funkelt im grellen Sonnenlichte. Sich lösende Schneemassen rollen brausend in den Kessel, von ihrer Last befreit heben die Fichten ihre Aeste.

Dicht dahinter »blättert« ein Bock – –

Wohliges Träumen umfängt die Sinne. – Und die Kämpfer drüben sind verschwunden. Kein Blatt, kein Bach rauscht – absolute Ruhe, Schlummer ringsumher.

Jakl nickt bedenklich. Die beste Zeit ist jetzt vorüber, erst wenn die Sonne in zwei Stunden wieder hinter der Westkante des Kessels verschwunden, ist Aussicht, zu Schuß zu kommen.

So wird ein bißl »geuntert«.

»Speck auf Schwarzbrot und a Maul voll Schnaps« lautet das Menu.

Jakl wird wieder munter. Er erzählt vom Reserl. Da unten in der Almhütte, die jetzt unter der Schneelast fast verschwindet, trieb sie im Sommer noch ihr lustiges Wesen.

»Koan bess're Almerin weit und breit, für's Vieh net, für die Leut' net, die auffa komma. A ganz a G'schmache, und jetzt haben sie 's verhandelt, d' Eltern, aufg'legt verhandelt an ein' reich'n Bauernsohn, an rechten Hallodri und Nixnutz, den 's sein Lebtag net mög'n hat. Hätt' i 'hn do d'erschoss'n den Tropf, hätt' 'hn so schön g'habt vor an Jahr im Blechgrab'n auf 50 Schritt vor meiner Büchs. Ang'schrien hab i 'hn und was thuat er net?

»Jakl«, sagt er und wirft die Büchs weg, »i bitt' di gar schön, thua ma nix und zeig' mi net an, du bist a armer Teufel und es kommt ma auf an Hunderter net an.«

Da hab' i mi aber herg'macht d'rüber. »Bauernspitzbua«, sag i, verdrahter, einbilderischer! Moanst, all's is feil um's Geld? A mei Jägerehr und mei G'wiss'n?« Und Hab' 'hn schon so verpelzt, bis er mi selb'r dauert hat und jetzt hot er do recht b'halt'n, 's is wirkli all's feil um's Geld, sogar a Kind, a Madl wia a Nußkern – 's Reserl!«

Jakl sprach in einem verdächtigen Eifer und sein Auge ruht mit einem innigen Ausdrucke auf der schneebedeckten Hütte vor uns, als ob gar süße Erinnerungen auftauchten in ihm. Ja, ich weiß bestimmt, daß sie in ihm auftauchten, ich wußte auch, daß der alte Auerbauer sein schönes Reserl dem verhaßten Jäger möglichst rasch aus den Zähnen räumen wollte – – Und plötzlich grünt unten die Alm, die Glocken bimmelen, das Brünnlein plappert und auf der Bank vor der Hütte sitzt das Reserl und der Jakl und träumen von ihrem Glück. – Da tönt ein warnendes »Pst«.

Den Graben unter uns herauf, springt ächzend vor Anstrengung eine starke Muttergemse, das Kitz, sich dicht neben ihr haltend, versinkt bei jedem Sprunge fast spurlos; dicht dahinter »blättert« ein Bock, für uns noch unsichtbar. Das gehetzte Wild sucht ängstlich nach einem Ausweg mit weit hervorhängendem »Aeser«. Da eräugt es uns und stößt den Warnungspfiff aus, – jetzt gilt's!

Jakl ahmt virtuos den Ton des Bockes nach. Da stürmt er schon heraus, achtlos an der warnenden Geis vorbei, voll Kampfeszorn den Gegner suchend. Ein Kapitalbock! Am Rücken »wachelt« der Bart! Welche Lust, wenn sich das Korn auf die zottige schwarze Brust senkt.

Der Schuß rollt durch den Kessel, unzähligemale sich brechend. Der Gemsbock schlägt den schweißgetränkten Schnee mit den Läufen. Geis und Kitz verschwinden nach abwärts in einer Schneewolke.

»Die Kruk'n hoch und dick, grad um's kenna z' eng. Der Bart lang und stark und schön bereift! Ja, die Breitlaana, die laßt halt net aus – grad Summa soll's sein und 's Resei unt'n auf der Alm, die machet jetzt an auf dazua – – A vorbei!«

Jakl stößt wie im Zorne den Knicker in den Bock und öffnet ihn mit einem kräftigen Ruck, daß der dunkle Schweiß über den Schnee hinabschießt wie ein Bächlein.

Die Schatten kriechen allmählich herauf in den Kessel. Ich bin zufrieden für heute, morgen ist auch noch ein Tag. Wir treten den Rückweg an durch den Dürnbach, Jakl voraus mit seiner schweren Last. Hoch über ihn hinaus ragen die stämmigen schwarzen Läufe, und das Geäuge blitzt wie ein Smaragd. Ueber uns ertönt noch wiederholt der Gemspfiff und drüben im Gehänge beginnt wieder die unermüdliche Jagd.

»Man muaß koan Räub'r net sein, und »Zufried'nheit hab'n«, meint mit Recht Jakl.

Das Thal ist verschwunden, ein Nebelmeer brandet an die schwarzen Berge, zieht langsam in dünnen Schwaden in den engen Pässen und Gräben herauf, die Strahlen der scheidenden Sonne durchglühen es da und dort mit Rosalichtern, während die Spitzen und Joche in heller Glut entbrennen.

»Des is noch 's einzige, was man ohne Geld hab'n kann – die Pracht!« sagte Jakl, seine Last auf einen Felsblock aufstützend und mit sinnigem Auge die glühenden Firnen betrachtend, »und auch um alles Geld nimmer erkaufen kann«, füge ich bei, »wenn man's nicht im Herzen fühlt die Pracht!«

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