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Und wenn es nichts um's Jagen wär'
Als frei im Holz zu streifen,
Zu lauschen wie der Kukuk ruft
Und wie die Finken pfeifen,
Zu athmen frischen Tannenduft
Und taugekühlte Morgenluft,
Es wär' genug der Luft dabei
Zum Lob der Jägerei.
Weithin überragt das Schloß die Landschaft. Von der Terrasse aus blickt man über saftig grüne Thäler, von weiden- und erlenbewachsenen Bächen in zierlichen Windungen durchströmt, über Kornfelder auf sanft gewellten Hügeln dahinrieselnd, Waldinseln, zerstreute Dörfer, Gehöfte. Die weißen Straßenbänder flattern lustig und sorglos dazwischen hinein, wie um die Brust eines jungen Mädchens. Im Hintergrunde blitzt ein köstlicher Diamantreif – der See, aus welchem sich bald in kristallener Klarheit, bald in duftige Schleier gehüllt, die Alpen erheben.
Es war der letzte Maienabend, mild, windstill, nur aus der Tiefe des zu unsern Fußen verdämmernden Parkes zog ein kühles Lüftchen, der köstliche Duft frischen Eichenlaubes, jungen Harzes. Die Wiesennebel lagen regungslos, die Kornfelder wie aus Blei gegossen, Glockentöne schwebten über die Wälder, die Thäler – fromme Grüße!
Der alte Max räumte das Souper ab. Gräfin Ida sprach über alles Erdenkliche, Politik, Litteratur, Theater, die neuesten Verlobungen in der Residenz; unermüdlich war sie bestrebt, die Unterhaltung in Fluß zu halten. »Den wievielten haben wir denn heute?« fragte sie plötzlich.
»Der erste Juni ist morgen, Frau Gräfin!« erklärte das Faktotum, der alte Max. »Das wird ein Pürschwetter!«
»Der erste Juni! Ja, dann begreife ich und da lassen mich die Herren ruhig über dergleichen nichtige Dinge sprechen! Also bitte, genieren Sie sich nicht, schießen Sie los, ich bin den Pulvergeruch schon gewöhnt. – Na, Ernst! Wie ich auf den Buchenschlag hinauskomme, steht ein Kapitalbock vor mir auf zehn Schritt – ich fahre auf –« Die Gräfin macht die Bewegung des Zielens und drückt schelmisch das linke Auge zu. »Bum! da lag er!« Das heißt in das Menschliche übersetzt, der Mord war vollbracht.
»Aber Ida – Mord!« entgegnete der Graf. »Auf großen Treibjagden, wo einem das Wild vor den Lauf gehetzt wird, ja, das ist wirklich so etwas wie Mord. Mag ich selbst nicht und kein ordentlicher Weidmann – aber auf der Pürsch – das ist Krieg! Die Partie steht ja nicht so ungleich. Das Wild besitzt den unsern weit überlegene Sinne, Geruch – Gehör – wir die Vernunft.«
»Das heißt in dem Fall Pulver und Zerstörungssinn! Das ist ja reizend! Der Herr der Schöpfung rivalisiert mit einem Rehbock!«
Die Gräfin lachte.
»Rivalisiert! Du bewegst Dich in Paradoxen«, erwiderte ärgerlich der Graf.
»Also lassen wir es beim Krieg! Krieg und Jagd sind der fortschreitenden Menschheit aber unwürdig – die Waffen nieder!«
»Von Bertha von Suttner!« ergänzte der Graf. »Natürlich, das imponiert Euch.«
»Und Dir auch«, bemerkte ich, der ich bisher schweigend dieser Unterhaltung zugehört. »Erst gestern noch sprachst Du mit der größten Verehrung von dieser unbedingt bedeutenden Frau.«
»Ja, ich verehre sie auch, aber ich kann mich nicht erinnern, daß die Suttner auch die Jagd verdammt.«
»Die Jagd selbst vielleicht nicht«, bemerkte die Gräfin, »da wir einmal Raubtiere sind, und, wenn auch noch so gezähmt, bleiben werden, aber den Kultus, der mit ihr getrieben wird, muß sie und mit ihr jeder denkende Mensch verdammen. Daß die Ausbildung dazu als eine edle Beschäftigung bevorzugter Stände betrachtet wird, die höchste Ehre in der höchsten Kraft der Vernichtung liegt, gerade in diesem aus den tierischen Uranfängen der Menschheit überkommenen Begriff wurzelt das Uebel. Ja, wir sind sogar roher als unsere Urahnen! Was diesen zwingende Notwendigkeit war, der Kampf um die Existenz, sei es gegen die Bestien des Urwaldes, oder den feindlichen Nachbarn, ist uns jetzt zum Sport geworden, zur Lust. Der Wilde, den der Hunger auf die Jagd treibt, der sein Leben verteidigt gegen die Tatzen irgend eines Raubtieres, der Urmensch, der in jähem Aufwallen irgend einer ungezähmten Leidenschaft seinen Bruder erschlägt, ist doch entschuldbarer als der moderne Jäger, der nach einem guten Frühstück ein Dutzend Hühner herunterknallt zum Zeitvertreib, oder der Fürst, der nach reiflicher Erwägung eines eingebildeten Vorteiles halber, zur Befriedigung eines momentanen Ehrgeizes seine Heere aussendet, um nach strengem Ehrenkodex zu sengen und zu morden. Jagd und Krieg müssen zugleich fallen.«
Die Gräfin hetzte nach Art vieler geistreicher Frauen derartige Philosopheme mit bewunderungswürdiger Energie zu Tode.
»Da sehen Sie, was für Unglück solche Schriftstellerinnen anrichten können!« bemerkte der Graf.
»Nun, das Unglück ist nicht so groß«, erwiderte ich beschwichtigend. »Die Frau Gräfin hat ja im Grunde ganz recht.«
»Was? Du auch? Na höre, das geht über die Galanterie.«
»Na, so lasse mich doch ausreden –«
»Kommt da heraus, um ein Dutzend Böcke zu schießen –«
»Willst Du mich ausreden lassen! – Der Fehler liegt meiner Ansicht nach ganz anderswo, – in dem kindischen Glauben, daß wir unendlich erhaben sind über diesen Urmenschen mit seinen ungezügelten Trieben. Wir haben ihm eben nur ein kleines, drolliges Mäntelchen umgehängt und bei jeder Wendung gucken seine plumpen Glieder heraus! Es nützt alles nichts, alle Reden, alle Bücher, aller Fortschritt, alle Kultur und Gelehrsamkeit, wir bleiben immer dieselben, wie dieser rauschende Bach da unten, dieser flüsternde Wald, diese ewigen Berge, der Sternenhimmel über uns! Und das Drolligste in der Menschenkomödie ist eben dieses ewige aus der Haut fahren wollen, in der doch am Ende jedem am wohlsten ist. – Homo sum, das ist die einzig vernünftige, aber auch vollgiltige Entschuldigung für Krieg und Jagd.«
»Die auch jeder Verbrecher für sich in Anspruch nehmen kann«, erwiderte unerbittlich die Gräfin. Darauf war schwer in Kürze zu antworten – sie hatte ja wieder im Prinzip nicht unrecht.
»Da kannst Du sehen, wie weit man mit Konzessionen kommt!« bemerkte der Graf. »Wie kommt es denn, meine Ida, daß Du einen solchen garstigen Urmenschen, Krieger und Jäger, zum Mann genommen hast? He, sag' einmal!«
Mein stattlicher Freund beugte sich vor und ergriff schmunzelnd die kleine weiße Hand der Gattin. Die unerbittliche Philosophin lächelte gar lieblich, der kalte Ernst entwich aus den edlen Zügen, sie warf ihm einen Blick zu, gegen den alle Weisheit der Welt nichts war.
»Warum? komische Frage. Weil ich ihn liebte, den Urmenschen!«
»Und vielleicht gerade als Urmensch, das heißt, als vollen gesunden Menschen«, setzte ich hinzu.
Sie hörten mich nicht mehr, ihre Lippen begegneten sich in einem innigen Kusse. Wenn alle philosophischen Debatten so enden würden, wie schön wäre es doch auf der Welt! Und ich nahm die Sache so ernst – ich – –!
Falter flatterten um die Lampe, die Max unterdes gebracht, leuchtende Pünktchen zogen feierlich heraus aus der Finsternis und fielen als häßliche schwarze Käfer auf das weiße Tischtuch. Ein ernstes feierliches Rauschen schien vor uns herzuziehen eine sanfte Brise, als säßen wir auf dem Verdeck eines Schiffes, dessen Kiel das Weltmeer durchfurcht; und am Ende war es auch so und das Schiff hieß: Seiner Majestät Gottes Schlachtschiff »Erde«.
Max erlöste mich um drei Uhr aus der Umklammerung eines Kannibalen. »Der Herr Graf läßt sich entschuldigen, er befindet sich nicht ganz wohl. Er läßt Herrn Baron Weidmannsheil wünschen.«
»Nicht ganz wohl!« Ich sprach es in einem spöttischen Tone, der mich dem Diener gegenüber sofort reute, aber ich war innerlich empört. Die erste Pürsch sich abschwatzen lassen! Ein Jäger wie Erni, die erste Pürsch in seiner Ehe – er heiratete im März – o die Weiber!
Der alte Max zuckte mit den Achseln und blinzelte mich verschmitzt an, ehe er ging.
Jetzt kam mir erst der Unmut, wahrscheinlich hat sie ihm noch eine philosophische Gardinenpredigt gehalten, die Waffen nieder! Natürlich, daß alle Männlichkeit verloren geht, nichts als küssen, kosen, lieben, darauf soll's hinaus! armer schwacher Erni!
Ich gab mir keine Mühe, meinen schweren Schritt zu dämpfen die breite Treppe hinab, er soll mich nur hören, der Sybarit, und mich um meine Freiheit beneiden, vor der Thüre des gräflichen Schlafzimmers gab ich sogar meinem guten alten Peccas einen Klaps, daß der an eine solche Behandlung nicht Gewohnte ein entsetzliches Geheul ausstieß. Was schnupperte er auch so albern in der Luft herum! Ich mußte sie geweckt haben – ich horchte einen Augenblick. – Ein leises Flüstern – Kichern. Sein Neid schien nicht groß.
Ich übergab den Hund Max, ich wollte allein sein, ganz allein und der Erfolg war auch sicherer, – er war noch jung und unruhig. Die schweren Thorflügel schlossen sich hinter mir und ich atmete freier auf.
O diese köstliche stärkende Luft, dieses Aroma der erwachenden Pflanzen – das ist doch etwas anderes, als – Ich sah zurück, in ernster Ruhe lag das Schloß mit seinen Erkern und Türmchen, die sich silhouettenhaft von dem einen milchigen Ton annehmenden Nachthimmel abhoben, nur ein hohes gotisches Fenster glühte in sanftem rötlichen, durch weiße Damastvorhänge gedämpften Lichte, – ich beschloß meinen Gedanken nicht und eilte fort.
Das Dorf erwacht eben. In den niederen Hütten blitzen da und dort Fünkchen auf, aus den geöffneten Stallthüren dringt üppiger warmer Dunst.
Das Geräusch verschiedener Bereitung erhebt sich in den Scheunen und Winkeln, beherrscht von dem silbernen Ton des Dengelns.
Verschlafene Knechte ziehen Wagen aus der Scheune, in den noch finsteren Ställen summen derbe Mägde, vom fahlen Schein einer Laterne getroffen, ein Lied und schütten duftige Kräuter in die Barren; Ketten rasseln, eine schwere, warme Luft dringt heraus. In den Wohnstuben werden Vorhänge beiseite geschoben, zerzauste Köpfe blicken mir nach. Mäher gehen wankenden Schrittes den Gründen zu, in den blanken Sensen spielen rote Lichter.
In unendlichem Grün liegt die ganze Landschaft, deren Schattierungen – vom hellen Saatfeld, den dunkleren Wiesen den silbernen Weiden dem Bach entlang, den jugendlichen Buchen, bis zum bläulich schwarzen Tannenwald – jetzt erst allmählich sich trennend – kein anderer Ton als Grün und darüber die von flockigen, lichtdurstigen Wölkchen durchzogene, sich allmählich erhellende Bläue.
Hasen tummeln sich im feuchten Gras dessen vom Gewitter niedergedrückte Halme sich heben, machen Männchen, eilen, ewig ängstlich, silhouettenhaft dem Walde zu. Ein Fuchs schleicht durch die Ackerkurve, und dort am Saum – ein Reh! Es äst, die langen Halme verbergen den Kopf und noch liegen tiefe Schatten. Wenn es ein guter Bock wäre! Jetzt hebt es den Kopf und – alles leer zwischen den Lusern, die sich scharf gegen das Licht abheben, unendlich lang erscheinend.
Eine Geis schießen! – Gemeinheit! Der Kulturjäger mordet nicht wie der Wilde, planlos, ohne Gefühl; er macht sich Mordgesetze, veredelt so die blutige That und erhebt sie zum Sport. Eine Geis! – Jetzt ist Zeit und Gelegenheit, seinen ästhetischen Gefühlsbrunnen springen zu lassen: diese edlen, zierlichen Formen, die Stimmung, die es der Landschaft giebt! – Ein Bock – puff! Da liegt die ganze Pracht, das ganze strotzende Leben, das schöne Licht bricht unbewundert, und eine Freude steigt auf in der Brust über die Heldenthat, die mich oft erröten machte. Sonderbares Geheimnis! – Bin sonst nicht grausam, weiche der Schnecke aus am Wege und setze den in mein Zimmer verirrten Käfer auf sein heimatliches Blatt, fühle alles tiefe Leid und hasse den, der Leid bereitet; – aber diese rätselhafte Freude habe ich schon unzähligemale empfunden, auf den Felsgraten meiner lieben Heimat, auf dämmerigen Waldwiesen, glühenden Stoppelfeldern, in den endlosen Prärien des Westens, in den fiebergeschwängerten Sümpfen des Mississipi und in den gewaltigen Schluchten der Sierra Nevada – und nimmer möchte ich sie missen. Ist es das prickelnde Gefühl der Herrschaft über Leben und Tod eines Geschöpfes? – Dann müßte zumal auch der Despotenreiz der Gnade sich geltend machen. Ist es der gegenseitige Wettkampf der List, der höheren Verschlagenheit? Der Mensch, das Ebenbild Gottes, mißt sich mit dem Tier – wo bleibt sein Stolz?! Ist es das Wagnis, das Einsetzen ganzen Mannesmutes, Abenteuerlust – ein Hasentreiben, eine Rehpürsche?
Ich weiß nur eines: der erste Mensch empfand diese Freude vor seiner ersten Beute, die seine Keule traf – und wir sind seine Erben.
In hohen Fluchten entschwindet das Reh im Walde, dessen Dämmerlicht mich gleich danach aufnimmt.
Feierliche Halle – säulengetragener Tempel nordischer Götter – Tannenwald!! Wer schildert deinen strengen Reiz im mystischen Zwielicht, das die skeptischen Sonnenstrahlen nie ganz besiegen? Unter jeder Wurzel flüstert es, regt es sich, hebt es sich – Waldmännchen ruht nimmer; um die narbigen, bemosten Stämme, die dunklen, träumerischen Wedel webt die Waldfrau ihre duftigen Schleier; in tief verborgenen Tümpeln unter dem Silbergeflüster der Erlen heben schneeige Schultern den grünlichen Schleim; es kichert und seufzt und gurgelt aus rätselhaften Tiefen! Nimmer zerrinnt dein Märchen, Tannenwald, nimmer der Schauer gewaltiger Urzeit unseres Volkes, der dich durchweht, des »lug- und truglosen«! Schwerter klirren, wilder Schlachtruf ertönt, die mächtigen Stämme sind bespritzt mit Römerblut. Ein Zug heiliger Frauen in weißen Gewändern wallt der alten, weithin sich breitenden Eiche zu, und auf hoher Warte blickt die Seherin über deine schwankenden Wipfel, die Götter befragend. Heult der Sturm im Geäst, reitet Wodan aus, der Einäugige, auf weißem Pferd und schwingt seinen Speer »Gungnir« mit Hallo! Huhu! Hoto! gefolgt von Walhallagenossen und Walküren. »Der Wode jagt!«
Ein Reh schmält im Hochwald – das kommt vom Träumen – weg mit Göttern, Asen und höllischem Zauber! Auf jede Tannennudel, auf jeden Ast aufgepaßt unter der Sohle, das ist gescheiter.
Das verdammte Zwielicht! Wie soll man da zum Schuß kommen, und da schwärmt man noch für Urwaldzeit! Endlich ein Schlag – Dank der Kultur – und Licht!
Vorsicht und auf den Wind aufgepaßt! Noch immer sind die Umrisse der Gegenstände nicht klar; ein Baumstumpf, ein rötlich verdorrter Zweig wird zum Reh, nur die Bewegung bringt Klarheit.
Da ist aber eines, dort am Rand der Dickung – ein starkes Stück. Feldstecher heraus! Eine Mutter – diese verdammten Weibs–!« Was? Dieses rührende Bild, umgossen von den ersten Strahlen des soeben mit allem Pomp heraufziehenden Phöbus!
Ja, es ist wahr: rührend – nur ein Barbar ... Donnerwetter, weiter rückwärts – ein Bock! Ich seh's genau. Die Büchse herunter und noch einmal hingesehen mit dem Fernrohr. – »Daß S' mir kan Gabler daherbringen!« warnte gestern der Förster.
Bei Gott, ein Gabler! Wie es nur sein mag! Ich glaube, die dritte Sprosse entdecken zu müssen – umsonst! Er zeigt nur eine Gabel und bei der Jugend eine solche Gleichgültigkeit gegen sein Familienglück, er wirft keinen Blick darauf; eigentlich gehörte ihm ... Ich nehme ihn aufs Korn, ich genieße wirklich einen Augenblick den Reiz der Willkür – dann übe ich Großmut. »Dein Leben war in meiner Hand, zieh hin!«
Weiter – schon taucht sich alles in goldene Glut, die Kühle des Morgens weicht, Schnaken beginnen schon ein Morgentänzchen; da beginnt die schlechteste Zeit – die Siesta nach dem Frühstück. Ich suche wieder die Schatten des Hochholzes auf, ein schmales Geräumt durchschneidet es, das einer tiefer liegenden Waldwiese zuführt. Am Saume desselben, von den Stämmen gedeckt, auf weichem Grasboden pürsche ich lautlos.
Ein Rudel Wild zieht herauf, träge, wohlgesättigt, sehnsüchtige Blicke schweifen zurück auf den saftigen Weidegrund, von dem sie die Sonne zu früh vertrieben; jetzt verschwinden auch hier die Schatten, und die Schar sucht die Dickung auf.
Ich komme wohl zu spät. Kühl weht es herauf vom feuchten Grund, leise Nebel ziehen über die rotgesprenkelte Wiese, die Fährten des Wildes sind weithin sichtbar im silbernen Reif.
Schon will ich achtlos heraustreten, da drückt es mich auf die Kniee. Eine kleine Fichte der jungen Anpflanzung am Rande schwankt heftig hin und her, und kein Lüftchen regt sich; ein roter Rücken wird sichtbar im Riedgras.
Ein Bock fegt sein Gehörn. Jetzt hebt er den Kopf. Hoch über den Lusern ragen die dunkelbraunen Stangen. Er äugt zu mir herüber, er reckt den Hals, er schlägt mit dem hinteren Lauf die Erde. Es ist höchste Zeit, der Verdacht ist rege und wird nimmer ruhen. »Hundertunddreißig Schritte etwa! Nur kalt – und nicht überschießen!« ermahne ich mich selbst.
Langsam führe ich die Büchse an die Wange, daß kein Lichtblitz im Laufe ihn verscheuche – wie gebannt blickt er in das Todesrohr.
Der Schuß rollt durch den Wald, der Rauch schlägt sich zu Boden, im Riedgras schlägt der Bock mit den Läufen, die Halme triefen von schaumigem Schweiß. Der Rachechor der Waldessänger rings umher über den tückischen Mord ihres trauten Freundes dünkt mir jetzt lieblicher Lobgesang auf den Schöpfer all des Erdenglückes.
Das geperlte dunkelbraune »Gewichtl«, das ich prüfend wende und drehe, hilft mir über eine leichte Anwandlung von Mißbehagen beim Anblick des brechenden Lichtes rasch hinweg. Meine Schädelstätte zu Hause ist ja von neuem bereichert, bald kann der König von Dahomey sich mit mir nicht messen.
Nach blutiger Arbeit, wobei eingehende Studien über die Verheerung des Geschosses angestellt werden, befindet sich das Stückchen Erdenglück weidmännisch geordnet in meinem Rucksack.
Die Sonne sticht, die Bremsen werden immer boshafter, die Pürsch ist aus, und ich glaube in meiner Jägermoral ein gutes Frühstück verdient zu haben.
Der Waldzauber ist jetzt verschwunden, nüchternes Plein-air, boshafte Eichkätzchen glucksen in dem Geäste, der Nußhäher kreischt prosaisch, im grünen Tümpel ruft die häßliche Kröte.
Axthieb ertönt, das Kreischen der Säge – eine neue Bresche wird geschlagen in die deutsche Urwaldsherrlichkeit. »Licht!« ist die Losung. Waldmännchen muß geblendet fliehen, Nixchen sich schämen, Wodans Heer darf nicht mehr Wipfel knicken; öde, recht öde wird es im deutschen Wald – nur wenn der Abend herab sich senkt, die heilige Nacht, dann kehren sie zurück, die Verbannten, und treiben ihr altes Wesen an den alten geweihten Stätten und spotten des kalten, glücklosen Lichtes, das sie gestorben wähnt.
Vom Waldsaum herein, dem ich mich nähere, tönt das Wetzen einer Sense, aromatischer Duft frisch geschnittenen Grases steigt auf, durch die Lücken der Stämme erblicke ich die Mäher – Männer und Frauen, rote und blaue Röcke leuchten in sattem Farbenspiel aus dem Grün. Ich trete heraus. Die rhythmische Bewegung, das monotone Geräusch der geschnittenen Halme, der schwere Duft wirken einschläfernd.
Traumverloren blicke ich auf die unter der Sense sinkenden Blumen, rot und gelb und blau, klein und groß; den aufdringlichen giftigen Schierling, das schüchterne Veilchen – alles mäht die kalte Sense ... Blumenleben!
Die Sonne sticht jetzt mit aller Kraft, vom Dorfe herüber schwingen sich Glockentöne – zur Wandlung. Die Schnitter halten inne, beugen die Kniee und bekreuzigen die schweißbedeckte braune Brust, dann stellen sie die Sensen beiseite und lagern sich im Schatten der Buche, wo ein Fäßchen mit Wasser, irdene Krüge und Brot liegen. Erdenbrot! – Das Himmelsbrot, das sie eben angebetet, brachte sie wohl darauf.
Ein blondlockiges Kind, auf einem abgelegten Kittel sitzend, streckt seine Aermchen der kommenden gebräunten Mutter entgegen, die es mit seligem Lächeln in den arbeitsharten Zügen auf den Arm nimmt. Es deutet lallend auf die frischen Blumen, die es sich in das Goldhaar gesteckt. Ein brauner Bursche greift lachend darnach und reicht es der jugendlichen Gefährtin, welche, die nackten kräftigen Arme in die Seite gestemmt unter der Buche steht. Sie steckt den Strauß mit einem schelmischen Blick an die volle Brust, er bestand aus Maßliebchen und Vergißmeinnicht – es giebt doch eine Vergeltung nach dem Blumentode!
Mich dürstete, der Bock drückte meine ungewohnten Schultern, und der kühle Schatten unter der Buche lockte mich.
»Guten Morgen, Leut'!«
Sie nicken kauend und rücken zusammen.
Der junge Bursche betrachtet neugierig das Gehörn, während der Blondkopf mit kleinen Fingern das glänzende Licht betupft. Das Rätsel des Todes beunruhigt das kleine Gehirn.
»Arm's Tier'l!« sagt mitleidig die Frau.
Das Kind drückt seine rote Wange liebkosend an die weiche Decke und streichelt es zärtlich.
»Nimmer davonlaufen?« fragt es die Mutter.
»Kann nimmer, Reserl, ist ja tot, der Mann hat's erschossen.«
Reserl wirft einen scheuen Blick auf mich und birgt sein Gesichtchen ängstlich an der Mutterbrust.
»Warum denn?« fragt es weinerlich.
Alle lachen und sehen mich an, und ich kann nicht antworten auf dieses kindliche »Warum?«
Ich frage nach dem Viehstand, der Ernte. Die Antworten des Alten sind kurz, er kaut das harte Brot und blickt stillzufrieden auf die geleistete Arbeit des Morgens; hinter uns scherzt das junge Paar, sie bewerfen sich gegenseitig mit Gras, das in dem aufgelösten Haar der Dirne hängt.
»Schämt's Euch net vor an Fremden?« ruft ärgerlich die Mutter.
»Warum denn?« fragt wieder der Kindermund.
Man erhebt sich wieder zur Arbeit. Ich nehme den Bock auf und gehe durch die grünen Felder dem Schlosse zu, dessen Fenster im Frührotschein lohen. Hinter mir saust wiederum die Sense.
Im Garten war er noch nicht, der Erni. Ich ging die Treppe hinauf, die Thüre zum Speisesaal, auf einen geräumigen Korridor mündend, stand offen. – Da saß er in einer behäbigen Morgenjacke, fein geschniegelt und gekämmt, den Schnurrbart ausgedreht, wie in seiner Lieutenantszeit, den Arm um Idas schneeweißen Nacken, die in einen weißen duftigen Spitzenschlafrock gehüllt mit ihren Elfenfingern ein Honigbrot zurecht richtete – dem armen Kranken!
Die Frühsonne spielte in ihren goldenen, nachlässig aufgebundenen Locken. Keine Spur von Reue in seinem glückstrahlenden Antlitz. – Mich schüttelte der Frost, ich war bis auf die Haut naß und der Rücken schmerzte mich von der Last. Ich trat selbstbewußt vor.
»Da ist der Bock vom Erlengrund.« Damit legte ich die Beute vor das Paar.
»Na, das freut mich, Alter. Auf der ersten Pürsch – Respekt!« sagte er, das Gehörn prüfend.
»Freut Dich? Dein Bock! den Du Dir ausgesucht? das wird ja immer besser! Er hätte ihn nämlich geschossen, wenn er hinausgegangen wäre«, wandte ich mich an die Gräfin.
»Habe ich Dir es nicht gesagt, Erni, Dich gebeten, den schönen Morgen zu benutzen. Sprich, sprich, sonst heißt es gleich, ich bin schuld daran. – Habe ich nicht gesagt –« Ida lächelte verschmitzt.
»Ja, ja, alles hast Du gesagt, aber es paßte mir einfach nicht – ich hatte keine Lust dazu«, erwiderte Erni fast erregt.
»Keine Lust zur ersten Pürsch? Du? kannst Du das auch entschuldigen?« eiferte ich.
Da lächelte er und preßte die duftige Frauengestalt innig in seine Arme! » Homo sum!« Ich schwieg, zur Thüre herein stürmte mein guter Peccas, winselnd, wedelnd.
Ich drückte ihn an mich, küßte und herzte ihn – ich mußte es thun, es zwang mich dazu.
An der Wand vor mir hängt das »Gewichtl« vom Erlengrund. 1. Juni 1879. Schloß G...
Und so oft mein Blick darauf fällt, denke ich dieses ersten Pürschganges, des lieblichen Bildes im Frühsonnenstrahl, der glückerfüllten Worte meines Freundes – » homo sum«.