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April

 

Der Auerhahn, der Auerhahn
Der lockt mich nach den Höhen.

 

Auerhahnfalz

Frühling im Bergwald! Wildes, stürmisches Leben, im tragischen Kampf um die Sonne, nicht schmachtendes, lieblich holdes lyrisches Erblühen, wie draußen in der Ebene. Da saust's und braust's durch die Waldnacht! Das Alte, Morsche splittert und kracht im Falle, dem neu nachdrängenden Leben Platz zu machen. – Hundertjährige, weißbärtige Wetterkämpen stürzen über einander auf längst vermoderte Genossen, aus denen sich neue Keime emporringen zum eindringenden Lichte.

Unter dem Schwall der schmelzenden Schneemassen wälzt sich brüllend das vom Frost gesprengte Gestein die Höhen herab, dort neue Schluchten, Gerinne wühlend, hier in rastloser Arbeit ein Thal ausfüllend in phantastischer Willkür.

Und kaum berührt der erste Sonnenstrahl die schneebefreite, dampfende Erde, da hat es Eile, die verlorene Zeit einzuholen. Ein wollüstiges befruchten, Verschlingen und Wachsen hebt an. – Der, eine dicke, kostbare Schichte bildenden, dahin gesunkenen Pflanzenwelt eines Jahrtausend, entringen sich Millionen Keime. Dichte, hohe, um ihre Existenz ringende Gräser und Beerensträucher schießen in wenig Wochen in die Höhe, dem Forstmanne zum Verdrusse, dem das schnelllebige Lumpengesindel Licht und Luft raubt für die langsam und bedächtig zu ernstem Berufe heranwachsende Baumpflanze. Das Nadelholz reckt in geschäftiger, ängstlicher Eile – ach, die Zeit des Blühens ist ja so kurz – die saftigen, hellgrünen Triebe, in den Buchen nestelt es, knistert es von springenden Knospen.

Jakl, der Jäger, drängt schon seit einer Woche.

»Das ewige Verloos'n macht's net besser und ganz das Recht' hat's eh' schon nimma!«

Ich kenne den Schlaumeier. Wenn ich meinen Abschuß beendet, hofft er noch, vom Forstmeister einen Grenzhahn zu erlisten.

Wozu auch noch warten? –

Das Dorf ist schon ganz versunken in weißen Blütenballen, der Stall duftet vom ersten Grünfutter und schon schwillt der zarte köstliche Schimmer die roten Buchengelände hinauf, dem griesgrämigen Winter kaum Zeit gönnend zur hastigen Flucht nach den Höhen.

»Der Breitenberghahn falzt wie eing'mauert«, versichert Jakl.

Neun seiner Ahnen sind mir bereits zur Beute gefallen innerhalb eines Terrains von kaum einem Tagwerk, so zähe hält das edle Geschlecht seinen Stammsitz fest. Er liegt zwei Stunden vom Dorfe entfernt, auf waldiger Höhe, in die kaum noch eine Axt gedrungen.

So ziehe ich es vor, in der Winterstube zu nächtigen, die kaum eine halbe Stunde vom Falzplatz im Waldgraben liegt.

Man erhebt sich leichter vom Heulager, als vom weichlichen Federbett – das Durchkneipen liegt hinter mir. Dann die Winterstubenpoesie, die Gesellschaft, welche mich dort erwartet.

Das ist ja der Reiz des Jägerlebens, diese Rückkehr zur Natur, zum erfrischenden Quell alles Seins, nach dem die ganze Menschheit sich sehnt, in dem wachsenden Unbehagen der Ueberkultur.

Zuvor wird, auf Anraten Jakl's, noch eine frischt Maß mitgenommen auf der Post, wo der Förster bereits seinen Abendtarok begonnen.

»Na da könnt's euch wund derzähln, das glaub i amal net, daß so a dumm's Viech gibt, das aus lauta Liab 's G'hör und 's G'sicht verliert, dem g'hörat wirkli' net mehr, als daß ma's d'erschiaßt«, sagt Mari, die Posthalterstochter, mit einem überlegenen Lächeln.

»Wenn's aber der Herr Förster sagt«, bemerkte ein junger, schmucker Bursch, der, die muskulösen nackten Arme über die Brust gekreuzt, an dem Ofen lehnt, der Metzgerbursche mit dem aufgerollten Schurze und dem blitzenden Wetzstab.

»Nach'er soll i's glei' glaub'n – o mei Sepp! An Dir haben's freili den Richtinga zum Anplausch'n, die Herrn«, erwiderte Mari spöttisch.

»Mari, man muß nix verred'n in solche Sach'n«, bemerkte ich.

»Und d'erschiass'n thätst 'hn a net glei' lass'n, wenn's grad auftreffat, daß deinatweg'n einer zum Auerhahn wirat!« ergänzte der Förster und ließ dem Scherz eine schmetternde Lache und einen tiefen Trunk folgen.

»War kei Schad' d'rum, Herr Förster; grad' umkehrt, mein' i, war's; d' Liab macht scharf Aug'n und feine Ohr'n.«

Mari legte ihren vollen Arm um den breiten Nacken des Försters und sah ihm schelmisch lachend in das männlich gebräunte Antlitz.

»Damit man all das Schöne und Guate was bringt, recht g'nau hör'n und seh'n kann«, sagte sie in einem weichen Tone.

Der Alte nahm schmunzelnd die Pfeife aus dem Munde, ein Schimmer der Jugend huschte über die derben, verwitterten Züge.

»O Du Hauptkalfakter«, sagte er gutmütig drohend, »aber 's gibt halt do so damische Viecher auf der Welt.«

Mari raffte mit behendem Griffe die leeren Gläser zusammen; ich machte Jakl, dem Jäger, ein Zeichen, daß es Zeit sei, aufzubrechen.

»Eine leid's schon no«, meinte Mari.

Jakl kniff die Wehrlose – sie trug sechs Krüg'l und die Reste einer gewaltigen Kalbshaxe – in die Backen und blinzelte ihr seine Zustimmung zu. Da ist nichts zu machen.

Der Förster sah auf die Uhr: »In zwei Stund' seid's auf der Hütt'n, da pressiert's do net so. Weil wir grad' von die Hahn red'n, da hab' i a mal an Forstg'hilf'n g'habt, den Ennhuber Max'l, wenn's vielleicht von ihm g'hört haben.«

Eine allgemeine Bewegung entstand: Der Sepp zog sich gähnend in die Küche zurück, der Posthalter fuhr bei dem bekannten Namen aus seinem Halbschlummer auf, schob die Mütze auf die andere Seite und blinzelte verschmitzt auf den Jakl hinüber, der eine möglichst bequeme Stellung einnahm, um die endlose, längst bekannte Geschichte in Ruhe über sich ergehen zu lassen. Der Förster war noch nicht über den alten Ennhuber, seinen Spez'l und Weidgenossen hinaus, und der Max'l noch gar nicht geboren, als ich Jakl, den Jäger, energisch zum Aufbruch ermunterte.

»Bringen's fein so an dalgart'n Wasch'l, i möcht gern an ausg'stopft hab'n in meiner Kammer«, sagte kichernd Mari, und der Förster versprach mir die G'schicht vom Max'l für morgen Abend.

Der Weg führt durchs Dorf, mitten durch den jungen blütenschweren Lenz, ewig jung bleibt sein Reiz.

Das zarte Rosa der Kirsche mischt dem jungfräulichen Weiß des Apfels, jenes köstliche unnachahmliche Lebensinkarnat bei, das auch dem Menschenfrühling eigen. In den Gärten mäht man schon das saftige Grün, dessen erster aromatischer Duft wie Wein zu Gehirn steigt.

Auf dem Dache seines Rindenhäuschens, von Blütenballen umgeben, zetert der Staar, in unsäglicher Wonne sein schillerndes Gefieder im warmen Lichte badend, sein endloses Lied.

Jeder Sinn erweitert sich und schlürft in vollen Zügen diese Wonne des jungen erdfrischen Lebens.

Dann geht's dem See entlang, in dessen klaren Fluten all der Segen sich verdoppelt, an stattlichen Gehöften vorbei dem Breitenberg zu.

Ein enges Waldthal nimmt uns auf, in dem der Winter sich hartnäckig verschanzt. Nur das Gurgeln und Rieseln der Wasser unter der Schnee- und Eisdecke erinnert, daß der Geselle innerlich morsch gebrochen, sein Grimm entkräftet. Dann geht's auf dem Ziehweg sacht hinauf, durch mächtigen Urwaldbestand, in dem jetzt erste Bresche geschlagen werden soll.

Von oben herab klingt immer noch Axthieb, das Knirschen der Säge.

»Und da fragt der Forstner noch alleweil, warum d' Hahn denn net mehra werd'n«, bemerkte Jakl verschnaufend. »Wenn d' Sach nirgends mehr an Ruah hat, überall außiteufelt wird.«

Meine Versuche, ihm die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Ausnützung, gegen welche einige Hähne mehr oder weniger nicht in das Gewicht fallen können, zu erklären, sind ziemlich fruchtlos.

»Wenn unser Herrgott das wollen hätt', hätt' er a kein Auerhahn net g'macht, grad Rebhehndeln und solches G'lump« war sein Schluß. »Grad das weiß i, schöner wird's net für unser Ein auf der Welt!«

Und wie wir plötzlich vor der Hiebfläche stehen, die entrindeten Waldriesen in Reih und Glied, wie nackte verstümmelte Leichen uns entgegenleuchten, eben eine mächtige Tanne ihren Wipfel beugt und dröhnend das Echo weithin weckend, hinstürzt im Falle, da denke ich wie er, trotz aller Nationalökonomie und Forstwirtschaft.

Um die Holzerstube aus rohen Baumstämmen webt die Abendsonne ihren Märchenzauber. Hier wohnt die Waldfrau oder ein Zwergengeschlecht oder gar ein verwunschenes Königskind, das zu erlösen ich berufen.

Auf goldenen Säulen ruht das Dach, aus dem zart durchglühter Rauch dringt, die kleinen Fenster sind aus geschliffenem Kristall, ringsum blüht und grünt es zwischen krausem Wurzelwerk und bemoosten Steinen. Schwarze riesige Tannen senken ehrfurchtsvoll ihre Wedel über das heimliche Wunder des Waldes. Und wie wir die niedere Thür öffnen, sitzt wirklich so ein Wurzelmännchen oder dergleichen vor dem lodernden Feuer, mit struppigem weißen Bart, über eine brodelnde Pfanne gebeugt, grau in grau, faltig und gekrümmt. Nur der Duft, der unsere Nase kitzelt, ist sehr real, – Brennsuppe! ganz profane Brennsuppe! und der sie kocht, ist der Pusterer Toni, der Patriarch der Holzknechte.

Er blinzelt unter seinen buschigen, grauen Brauen hervor auf unsere Flinten und murmelt etwas wie Willkomm', dann nimmt er eilig die Pfanne vom Feuer und humpelt mit den eckigen, von der Arbeit gekrümmten Gliedern in die Stube nebenan.

»A grantiger Teufel!« meint Jakl. Die anderen Knechte kommen, charakteristische Gestalten. Der eine das windige Hüt'l mit der weißen Gokelfeder kokett auf dem schwarzen Lockenkopf, schlank und geschmeidig, – der Tyroler. Der andere mit mächtigen Gliedern, knorrig, plump, einen schweren Filzhut mit breiter Krempe schwunglos auf den Kopf gedrückt – der Bayer. Köpfe, wie man sie auf alten Kupfern sieht, scharf geschnitten, mit rotblonden Vollbärten, den Ernst der Arbeit und die Ruhe des Waldes im Antlitz; jugendfrische, bartlose Gesichter mit großen Kinderaugen, Illustrationen zu Geßners Idyllen.

Bald prasseln die Feuer auf dem länglichen Herde, die Hütte mit beißendem Rauch füllend. Jeder kocht für sich, nach eigenem Geschmack. Brennsuppen, Preßknödel, Schmarrn, schwarzer Kaffee mit einem tüchtigen Brocken Butter ist das Menu, wobei es sich lediglich um das gehörige Fettquantum handelt.

Tek – Tek – Telek!
Originalzeichnung von C. Kröner.

Erst nach der schweigend mit sichtlichem Behagen eingenommenen Mahlzeit wird das Volk gesprächig. Die Guturallaute Tyrols mischen sich mit dem harten Oberbayerischen; die Reden fallen kurz, abgehackt wie Beilhieb.

Die Jagd bildet, uns zu Ehren, den Stoff, weiß doch fast jeder der Anwesenden aus eigener Erfahrung, wie es zugeht auf der Wildbahn – alles Wildererblut, mehr oder minder. Selbst der alte Pusterer kommt aus der Stube, wohl angelockt von dem lauten Gespräch, und die grauen Augen blitzen verdächtig auf, wie der Jakl ein Stückl nach dem andern zum besten giebt, bis er selber beginnt.

»Ja, zu meiner Zeit, wia noch der Sachenbacher Förster war – a was red' i denn, es versteht's mi ja doch net. Gams ganze Pack und die Hirsch! Da is noch was ganga – da birsch i a mal die Hochgred 'nauf« – Lautlose Stille, nur die Pfeifen qualmen und glossen. Der Pusterer kommt von einem auf das andere. Neue Jugend belebt die morschen Glieder. Gamsrudeln sausen durch's Gewänd, und am Königsstand schnallt's, daß ihm das Herz im Leib lacht, der Hirschschrei grollt durch die Oktobernacht, Kugeln pfeifen, die nicht für das Wild bestimmt sind, und im Teufelsgraben liegt der arme Loisl, mit der Todeswunde auf der Brust.

Ja, der Loisl, den konnte er nicht vergessen, die einen meinten, es war sein bester Freund, – die andern anders – ganz anders – »G'wachs'n wie a Röhr'l und das G'schau und an kohlschwarz'n Bart bis auf der Brust – und a Jaga – kannst 'as suach'n heut' z' Tag. So a recht's Weiberfress'n – das war's a – nur das! Was willst denn mach'n, wenns Dir gar kein Ruah geb'n, und jung bist und g'flaxt. Da is glei aus mit der Treu. Die hat 'hn freili' net arg plag t und da hat er's halt auch mit andere Leut' der ihren net gar heikli g'nomma – und des war's, des kunnt i glei' b'schwör'n, das allein. Kein Schütz hätt' dem Loisl was anthan. Er hat schon mit sich red'n lassen und von die gar Scharffen war er net amal. Aber schau', da is er halt amal an den Unrecht'n komma, mit sein Umanandjagern auf die Dirnd'l. – Wart', Loisl, hat der si' denkt – was thuat denn der Mensch net aus Haß und Eifersucht. – Machen's die Herrischen anders? – A Duell nennas sie's da, und kein g'schieht z' weh, wenn er dem andern eins aufapelzt – bei unser ein heißt's a Mord – 10 Jahrl z'mindesten komma raus. – Also was thuat er – der – no, der den der Loisl zum Narr'n g'habt hat – Schütz wird er! Wird schon amal zur Abrechnung komma – denkt er. Es vergeht a Zeit und no' a Zeit, – grad mag's net – eines Tags aber mag's – der Loisl kommt daher – er d'erbarmt eam vielleicht –, er will kein Mord begeh'n, er druckt sich, da dersicht 'hn der Loisl mit sein' Falkenaug', ruaft 'hn an:

»Büchs' weg, oder i'schiaß' di z'samm!«

Ja, wenn der Haß net war, wenn des Madl net vor eam stand, das 'hn betrog'n, dem Jaga z'liab, vielleicht thät er's – aber so – a Schnall – und der Loisl liegt unter die Stoana im Teufelsgrab'n. – So hab' i mir's ausdenkt – kann ja anders g'west sein.«

»Und das glaube ich, daß es anders war«, entgegnete ich. Mich ärgerte die Beschönigung des schändlichen Mordes, von dem ich viel gehört.

»Ein gewissenloser Lump, ein feiger, gemeiner Mörder hat ihn aus dem Hinterhalt erschossen. Hört mir auf mit Eurer Lieb' und Treue, Ihr habt es damit nie so genau genommen.«

»Meinst?« In den Augen des Alten lodert es sonderbar auf. »No, Du wirst as ja besser wissen.«

Dann bricht er plötzlich ab. »A was, dumm's Zeug, was kümmert's mi noch!« Er wischt sich mit dem Rücken der schwieligen Hand die Augen, und humpelt in die Stube. »Zeit is zum Schlafengeh'n«, polterte er dann noch einmal zurück.

Das ist ein Befehl für die Leute. Die Pfeifen werden ausgeklopft, die Glut mit Asche bedeckt.

Auch ich und Jakl kriechen in das Gelieger. In einigen Minuten beginnt die Holzknechtsymphonie um mich her, – Sägen, Pfeifen, Rasseln, dazu speit der Ofen eine Gluthitze aus.

Doch das ändert alles nichts an dem Umstand, daß ich erst erwache, wie der Wecker auf der Bank vor mir wie besessen rasselt und springt.

3 Uhr! Frische, sternenhelle Nacht draußen, im Thale brauen die Nebel, und die Hauptsache, kein Lüftchen regt sich, in tiefem Schweigen ruhet der Wald.

Wir gehen steil aufwärts durch den Hochwald. Das rote Licht der Laterne in Jackls Hand hüpft von Stamm zu Stamm, von Ast zu Ast.

Da treibt die Phantasie ihr Spiel!

Die abenteuerlichen Knorren und Wurzeln und Felsen, über die der Lichtschein huscht – – was sich da alles heraussehen läßt! – Kriechende, unzählige Arme reckende Fabeltiere, drohende Mannesgestalten, fratzenhafte Larven, dazu das geheimnisvolle Knistern und Rascheln am Boden und Flügelschlägen in den Wipfeln, – das zwischen den weißen Stämmen brütende Dunkel.

Das ist das Waldmärchen, alles wird glaublich!

Weiter traue ich nicht, bei dem ruhigen Wetter ist der Hahn leicht »vergangen«. Wir setzen uns auf einen Baumstrunk, löschen das Licht und lauschen; nicken ein, fahren auf, von Traumbildern gequält. – Das Sickern des Schneewassers wird zum Falzgesang. Die Sterne blinken matter, die Stämme lösen sich schon aus dem Dunkel, ein kalter Wind fegt herauf.

Jetzt ist es Zeit. Jakl beugt sich immer weiter vor, das erste »Sakra« ist schon zwischen den Zähnen zerdrückt.

Wie aus Erz gegossen steht die dunkle Silhouette.

Tek – Tek – Telek! – Das ist der ersehnte Silberton, der sich nur so oft ins Ohr geschlichen während des langen Winters, Frühjahrsmorgen zaubernd. Aber dem Tone nach ist der Hahn ganz oben auf der Schneid, und man muß steil aufwärts springen, eine mißliche Sache!

»Ja, das kann ja do net – das ist ja do – der Herrgottshahn! grad da drunt' war er gestern«, knirschte zornig Jakl.

Tek – Tek! Nur zwei Schnakler, gerade vor uns auf der anderen Seite des Schlages, und damit wir uns nicht täuschen können, giebt auch der andere oben an.

Ich werfe einen ängstlichen Blick nach dem Osten. Was ich eben sehnsüchtig erwartete, fürchte ich jetzt, das wallende Erglühen der Kanten; und jetzt schlägt schon die erste Drossel.

Tek – Tek – Telek!

Vorwärts über einen Windwurf hinüber! halt, das Wetzen verstummt. Ich bringe den linken Fuß nicht mehr vom Boden. Jetzt beginnt es wieder, aber das »Tek« will nicht enden, das »Telek«, der Anlauf zum Hauptschlag, nicht kommen. Endlich! Zwei krachende Sprünge durch Brombeerstauden, mehr wag' ich nicht! Er muß dicht am Rande des Gehölzes sitzen, zehn Sprünge berechne ich noch über den Schlag, hinüber. Jakl bleibt zurück. Der Hahn falzt fleißig. Ich springe, stürze, rutsche über Wurzelwerk, peitschende Stauden.

Tek! – so, jetzt ist's aus, kein Laut mehr. Der obenauf der Schneid falzt lustig weiter, wie zum Hohne. Immer purpurner zieht's herauf zwischen dem schwarzen Geäst der Buchen, den Wipfeln der Tannen; der Drossel hat sich schon ein ganzer Chor angeschlossen. Nur noch einmal, dann muß ich ihn sehen. Da! Tek – Tek – Telek telek tek ganz dicht vor mir, ja wo denn, wo denn? Ich stehe ja noch auf dem Schlag. Zwanzig Schritt vor mir steht ein struppiger Fichtenbuschen, vom Schneedruck, der den Wipfel knickte, zu einem horstartigen Gebilde zusammengedrückt, der ist wohl im Wege. Ich mache noch einen Sprung zur Seite. »Stehen bleiben!« schreit Jakl. Der Hahn verstummt. Esel! Das war von ihm doch dem »dummen Vieh« zu viel zugemutet! Da regt sich der ganze Buschen, wie in einem Nest sitzt mein Hahn darin, dreht den Kopf, und jetzt – o weh! schlägt mit den Flügeln! »Tek!« Ich sehe den gebogenen Schnabel sich öffnen, den Hals nach vorwärts sinken, den Stoß sich aufstellen. Telek! süßer Weidmannsschauer! Hoffen, Fürchten! Ein Zittern geht durch das edle Tier, ein Wonnerausch, die klare Silberstimme verwirrt sich, wird zum wahnsinnigen Zischen und Lallen. Der Finger schleicht um den Drücker. Ich bin schußbereit. Der Hahn drückt sich zu sehr in das Nadelwerk – wenn er sich erhebt aus seinem Wahn.

Jetzt! Ein Blitz! In schwerem Fall sinkt er herab, der glühende Werber. Das letzte Echo verhallt, wie ich ihn triumphierend an den »Füßen« Jakl entgegenhalte.

Triumphierend! Worüber? Daß ich den Waldesfrieden gebrochen? Mitten in das strotzende Leben ringsum, das ich mit allen Sinnen einschlürfe, rief ich erbarmungslos den Tod! Jakl kennt die Reflexion nicht. »I gratulier', a sakrischer Hahn, der alle Tropf is guat weg.« Ich muß lachen. Das ist praktische Philosophie. Der alte Tropf muß weg – Platz!

Er schmettert einen Juchschrei in den goldigen Morgen.

»Der Anfang war net schlecht und glei am erst'n Gang! Werden's seh'n, heuer geht was!«

Ein Strahlenmeer bricht siegreich herein, überflutet Berg und Thal, Wald und Feld, es brandet an den bemoosten Stämmen empor, bespült siegesgewiß die tiefsten Schatten. Wir gehen dem Dorfe zu. In den bunten Wiesen vor den Gehöften saust schon die erste Sense, herrlicher Duft steigt auf. Auch hier fließt frischer Lebenssaft. Platz für Neues ist die Losung.

»Die Mari wird schau'n, jetzt wird's do dran glaub'n müss'n«, meint Jakl.

Er schrenkt den Hahn und trägt ihn am geschulterten Bergstock über dem Rücken. – Das läßt er sich nicht nehmen. Alles frohlockt, jubiliert! Unten im Thale zerreißen die Nebel. Ein blauer Bergsee blitzt herauf, und der Wind bringt das Frühgeläut vom heimatlichen Dorfe. – Ostermorgen!

Glück! Friede! Frühlingszauber im Thal und auf den Bergen.

Wir nähern uns der Post auf einem zwischen blühenden Obstbäumen sich windenden Fußweg. Jakl bleibt plötzlich stehen: »da schauen's!« Er deutet auf eine liebliche Gruppe. Ein junger Mann in blauem Leinenkittel hält ein Mädchen im Arme, das üppige Gras reicht ihr bis an die Brust, von oben senken sich, sie fast verbergend, duftige weiße Schleier – Apfelblüten. »Die Mari und der Toni«, flüstert Jakl, dann lacht er verschmitzt, »i bitt', bleiben's grad' a bisl steh.« Er pürscht sich sorgfältig von Baum zu Baum auf das liebliche Wild an. Sie hören nicht, sie sehen nicht im zärtlichen Kosen. Auf fünf Schritt schleicht er heran, die Büchse unter dem Arm. Mir wird ordentlich bang, doch keine Cavalleria rusticana? Sie küssen sich! »Soll i'n jetzt d'rschiaß'n«, ruft er dann plötzlich, hinter dem Baume hervortretend. Mari schreit auf und tritt schützend vor den Burschen. »Verflixter Jaga«, sagt sie dann, als sie Jakl erkennt, die Faust gegen ihn ballend, »nu wart' nur!« Als sie aber mich erblickt, entflieht sie ins Haus. Toni verzieht sich grollend. –

Eine Viertelstunde darauf bringt mir Mari den Morgenkaffee, über mir an der Wand bei der Büchse hängt der Hahn. Sie ist wie mit Blut übergossen und wünscht mir in einem schüchternen Tone, der gar nicht an den gestrigen erinnerte, einen guten Morgen; dann zupft sie verlegen an der Schürze und beginnt: »Schaun's, i will ja gern alles glaub'n, was die Herrn d'rzählt hab'n gestern von dem Vogel da oben, und g'wiß nimmer so rechthaberisch sein, aber net wahr, dem Vater sagen's nix und dem Förster a net, i schamet mi z'todt, der Jakl hat mir's scho versproch'n in d'Hand nei.« – Ich that gern wie der Jakl und habe mein Wort getreulich gehalten bis heute. Heute aber ist der Toni schon längst Posthalter, die schöne Mari sein Weib, und dem Jakl wird's nimmer gelingen, sich so fein anzupürschen an die zwei. An den Auerhahn aber auch nicht, – wenn die Falzzeit vorbei. –


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