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Während bisher alle vom Deutschen National-Komitee veranstalteten Konferenzen, sowohl am Vorabend, als auch in der Hauptversammlung hervorragend gut besucht waren, zeigte die Breslauer Konferenz infolge des Zusammentreffens anderer Feste und Versammlungen und durch verschiedene unglückliche und unvorhergesehene Zufälligkeiten einen derartigen Mangel an Teilnehmern, daß jemand, der die Verhältnisse nicht kennt, an eine beginnende Gleichgiltigkeit des Publikums gegenüber unsern Bestrebungen hätte glauben können. Dies ist jedoch, wie wir zu unserer Freude berichten können, glücklicherweise nicht der Fall. Im Gegenteil hoffen wir, daß der Bericht über unsere Verhandlungen, die diesmal ganz besonders interessant waren, uns recht viel neue Freunde gewinnen und uns dies kleine Mißgeschick recht bald vergessen lassen wird.
Wie der Bericht lehrt, ist diesmal zum ersten Mal von amtlicher Seite die absolute Schädlichkeit der Bordelle unumwunden zugestanden, zum ersten Mal von Vertretern der juristischen Theorie und Praxis die Mangelhaftigkeit unserer Strafgesetzgebung anerkannt, zum ersten Mal endlich von einem in hoher Stellung befindlichen Juristen bestätigt worden,Erst im Jahre 1907 erklärte das Deutsche Nationalkomitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels das Bordell als Käufer als Ursache des Mädchenhandels und als solche zu bekämpfen. Dieser Wechsel des Standpunktes, der im Staat gesetzlich festgeschrieben war, hatte zur Folge, daß die Frauenvereine sich dem Deutschen Nationalkomitee anschlossen, wie Bertha Pappenheim mit dem Jüdischen Frauenbund daß ein internationaler Mädchenhandel in Deutschland besteht, wenn auch in der Hauptsache im Transitverkehr, und daß er einen Umfang besitzt, der die größten Anstrengungen zu seiner Beseitigung rechtfertigt und die Arbeiten des National-Komitees nicht nur für wünschenswert sondern für notwendig erscheinen läßt.
Wie gewöhnlich ging auch diesmal der eigentlichen Konferenz, über welche der stenographische Bericht folgt, eine Vorbesprechung voraus, die folgenden Verlauf nahm:
Zunächst stattete Fräulein Pappenheim, welche seit Jahren in Galizien an der Verbesserung der dortigen traurigen, sozialen Zustände arbeitet, über ihre umfassende Tätigkeit folgenden Bericht ab:
»Seitdem die gesamte Kulturwelt sich in dem ethisch bedeutsamen Vorgehen zusammengeschlossen hat, das als ›Bekämpfung des Mädchenhandels‹ einen ganzen Komplex von Wollen und Streben bedeutet, sind in den verschiedenen Konferenzen und Kongressen Stimmen aus aller Welt hörbar geworden. Ein Vergleich der Delegierten- und Redner-Listen dieser Kongresse und Konferenzen können als sehr interessante Belege dafür gelten, wie die Nationen und Staaten sich erst langsam nach und nach von dem Gedanken bezwingen ließen, daß der Handel mit Menschen, einerlei ob er aus freier Hand oder von Bordell zu Bordell geschehe, eine Schmach sei, eine offiziöse und offizielle Gewissenlosigkeit, auch dann, wenn der Handel durch öffentliche Gedankenlosigkeit eine Art von Gewohnheitsrecht erworben hat. Ferner sehen wir aus einem Vergleich der Listen der Kongreßmitglieder, wie nicht nur die Zahl der sich für die Frage interessierenden Staaten allmählich gewachsen ist, sondern auch wie sich nach und nach die Verhältniszahlen der Kongreßmitglieder zwischen Männern und Frauen veränderten. Während bei den ersten, bei den internationalen Besprechungen, nur wenige Frauen mittagten, ist die Zahl der Frauen, die heute für die Befreiung ihrer Geschlechtsgenossinnen aus der denkbar furchtbarsten Hörigkeit, des Zwanges zur Prostitution, kämpfen, ganz bedeutend angewachsen.
Wir hören und sehen aber auch, wie innerhalb der Nationen und Staaten die Religionsgemeinschaften zum Schutze der Mädchen zusammentreten, denn von vornherein war die richtige und wichtige Parole ausgegeben worden: So wie das Verbrechen international und interkonfessionell ist, so muß auch die Bekämpfung international und interkonfessionell sein. Wir treffen darum jetzt auf allen Kongressen Vertreter und Vertreterinnen sowohl der evangelischen wie der katholischen Mädchenschutzvereine, die sich zu segensreichen Organisationen zusammengefunden haben, um durch Bahnhofsmission, Heime und Asyle den schutzlosen jungen Reisenden und stellesuchenden Mädchen in allen Nöten geistiger und materieller Art liebevoll entgegenzukommen. Von jüdischer Seite ist bisher noch nicht viel gesagt worden, und gar die jüdischen Frauen haben sich bisher noch nicht zum Wort gemeldet.
Niemandem ist das schmerzvoller zum Bewußtsein gekommen als Manchem von uns selbst, denn wir wissen heute, daß wir nicht nur als Menschen mit allen Menschen, als Frauen mit allen Frauen, sondern auch speziell innerhalb unserer Religionsgemeinschaft reichlich Veranlassung haben, unseren Blick aufmerksam auf die tatsächlichen Verhältnisse besonders aber nach den östlichen Ländern zu richten und uns mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln an der Bekämpfung des Mädchenhandels zu beteiligen.
Ich lege aber nachdrücklich den Ton auf das Heute, denn wir jüdischen Frauen und vielfach auch die Männer der westlichen Kultur wissen noch nicht lange von der Schmach, der viele unserer Schwestern vom Osten her zugeführt werden. Die Anregung, die W. CooteWilliam Alexander Coote reiste 1898 nach Berlin, um die Begründung des Deutschen Nationalkomitees zur Bekämpfung des Mädchenhandels nach englischem Vorbild zu bewirken. der Welt gegeben hat, sich mit der Bekämpfung des Mädchenhandels zu beschäftigen, hat uns Juden des Westens nicht taub und blind gefunden. Wir sind seither – manchmal sogar in tendenziös unfreundlicher Weise – auf eine Statistik aufmerksam gemacht worden, die uns alle zu reger Mitarbeit verpflichtet.
Aber selbst heute ist die Kenntnis der Tatsachen noch nicht in alle Kreise gedrungen. Heute noch wird das vom Standpunkt der jüdischen Ethik und der jüdischen Religionsvorschrift Unfaßliche von vielen als unmöglich zurückgewiesen. Zudem herrscht allgemein noch eine große Unkenntnis der Verhältnisse, die allein für das verantwortlich zu machen sind, was uns heute an moralischer Verelendung mancher unserer Glaubensgenossen in bedauerlicher Form entgegentritt.
Als Anfang der Bekämpfung des Mädchenhandels muß gelten, daß ‹man› von den Tatsachen Kenntnis bekomme und Kenntnis nehme.
Das Solidaritätsgefühl, das die Angehörigen aller Religionsgemeinschaften untereinander verbindet und verbündet, hat sich im Laufe der Jahrhunderte auch für die jüdische Religionsgemeinschaft bewährt. Aber über dieselbe hinaus, auf politische und soziale Verhältnisse hat sie keinen Einfluß, und hier liegt die Grenze der tatsächlichen konkreten Verantwortlichkeit gegenüber der Grenzenlosigkeit des abstrakten Interesses. Mit anderen einfachen, dürren Worten gesagt: wir westlichen Juden wissen seit einigen Jahren, daß vorwiegend in Galizien, Rußland und Rumänien eine namhafte Anzahl jüdischer Mädchen durch den Mädchenhandel der Prostitution verfallen und Ware für den Weltmarkt bildet. Die Kenntnis dieser Tatsache brennt in unserer Seele, wir verheimlichen sie nicht.
Aber liegt es denn auch in unserer Macht, die Zustände zu ändern? Es bedarf keines tiefgründigen Einblickes in den Zusammenhang der Dinge, daß mangelnde Seßhaftigkeit, Unwissenheit, Arbeitslosigkeit und Armut teils Urheber, teils Schutzpatrone der Prostitution sind, und wenn wir unsere Augen nach den Quellgebieten richten, aus denen der Strom kommt, für den wir oft und oft verantwortlich gemacht werden, was sehen wir? Die rumänischen Juden, Fremde in ihrer Heimat, müssen jeden Augenblick gewärtig sein, über die Grenze geschoben zu werden; Schulen, die sie mit ihren Mitteln gründen, dürfen ihre Kinder nur bis zu 10% der Schülerzahl besuchen. Landarbeit und Industriearbeit ist ihnen versagt, höhere Berufe verschlossen, aber in den Hotels, in den Bordellen, Bädern und Varietés, da duldet man die jüdischen Mädchen als Prostituierte, und die jüdischen Mädchenhändler duldet man, wo ein ehrlicher und anständiger Jude mit seiner Familie niemals geduldet würde.
Man hat mich oft gefragt, ob das jüdische Zweigkomitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels, dem der Frauenbund, den ich vertrete, auch angehört, nicht die jüdischen Mädchen in Rumänien schützen wolle, ob ich nicht ein Schutzkomitee dort gründen wolle usw. Wie kann ich, wie können wir? Ist es doch sehr zweifelhaft, ob ich für mich selbst eine kurzfristige Aufenthaltskarte im Lande bekäme. Mein kühner Plan zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Rumänien ist, die Dichterin Carmen Sylva, deren Lieder von Frauenwürde und Menschenliebe die Welt durchzittern, durch eine Petition oder durch einen Brief zu bitten, sich der doppelt Entrechteten in ihrem Lande anzunehmen. Ob ein Brief sie erreichen, ob eine Petition den erwünschten Erfolg haben wird, ob sie nicht erneutes Unheil heraufbeschwören würden, das sind schwerwiegende Fragen, die in unseren Beratungen zur Bekämpfung des Mädchenhandels einen breiten Raum werden einnehmen müssen.
Wir jüdischen Frauen, denen die Bekämpfung des Mädchenhandels Herzens- und Ehrensache ist, wissen auch, daß russische Jüdinnen alljährlich zu Hunderten unrettbar der Prostitution und dem Mädchenhandel verfallen. Und wenn wir fragen und prüfen: dort dasselbe Bild von Armut und Rechtlosigkeit. Es ist eine bekannte Tatsache, daß ein russisch-jüdisches Mädchen außerhalb des übervölkerten Ansiedlungsrayons in Rußland nur dann ein Wohnrecht erlangen kann, wenn sie sich auf die Polizeiliste der öffentlichen Dirnen stellen läßt. So soll z.B. ein Mädchen, das in Petersburg das Konservatorium besuchen wollte, diesen Schritt getan haben, und sie wurde des Landes verwiesen, weil sie nicht nachweisen konnte, daß sie als Prostituierte lebte! Und noch eine andere illustrierende Tatsache: Ein Herr Wroblewsky, Mitbegründer einer ethischen Gesellschaft und eines Vereines für Jugendschutz, erzählte mir aus seiner eigenen Beobachtung: in dem Hospital einer russischen Stadt kommen auf die Abteilung für Hautkrankheiten während der Besuchsstunden Mädchenhändler und Zuhälter, um dort Ware auszusuchen und Abschlüsse und Vereinbarungen zu treffen. Viele jüdische Mädchen und Händler seien dabei. Ich fragte, ob es keinen Weg gebe, diese Händler dem Zuchthaus auszuliefern? Mein Gewährsmann zuckte mit den Achseln und sagte: ‹man› braucht sie!
Was sollen wir nun tun, was können wir tun, wenn einerseits in einer schwachen rechtlosen Minorität verbrecherische Vorgänge protegiert und gut geheißen werden, die man andererseits derselben Minorität als furchtbare Anklage und Vorwurf entgegenhält? Und was soll schließlich diese Minorität in Rumänien und Rußland tun, der der Wille zum Leben als Individuum wie als Volk ebenso eigen ist, wie allen anderen Lebewesen? Der Trieb der Selbsterhaltung führt sie zu einer moralischen Mimicri, zu einer Anpassung an die Umgebung, die gerade durch ihre Furchtbarkeit erklärlich und bis zu einem gewissen Grade verzeihlich wird.
Wenden wir uns nun der jüdischen Bevölkerung von Galizien zu. Dieses Land, das auch in der Statistik des Mädchenhandels eine bedeutsame Rolle spielt, ist unseren Bestrebungen relativ am zugänglichsten. Ich selbst war wiederholt dort und habe Versuche angeregt, um sowohl in der jüdischen wie in der christlichen Bevölkerung Verständnis und Interesse für unsere Bestrebungen zu erwecken. Die Aufgabe ist eine sehr schwierige und komplizierte. In Galizien tritt an die Stelle der offiziellen Rechtlosigkeit der Juden eine stille selbstverständliche Feindseligkeit, die nur zu Zeiten der Wahlen von den Großgrundbesitzern durch eine gewisse werbende Zärtlichkeit übertüncht wird. Aber das politische Moment scheint mir weniger verderblich zu wirken, als die furchtbare Arbeitslosigkeit unter den Juden. Gewisse philantropische Organisationen haben mit großen Geldopfern den Versuch gemacht, Hausindustrien einzuführen, aber auch sie ergeben für die Mädchen Tagelöhne von 20–30 Kreuzern als Durchschnitt, und das Schreckliche ist, daß Hunderte von Mädchen überhaupt nichts zu tun haben, nicht in der Landwirtschaft, nicht in Fabriken, (das Land hat keine Industrie) nicht im elterlichen Haushalt, nicht im Kleinhandel. Intelligent, oft sehr schön, unselbständig in orientalischer Abhängigkeit, vom Manne vorwiegend als Geschlechtswesen erzogen, ohne Kenntnisse und berufliche Ausbildung, führen diese polnischen Jüdinnen ein Leben der Untätigkeit. Da ist es denn gar nicht verwunderlich, wenn sie jede Gelegenheit, jede Möglichkeit erfassen, ihr elendes Dorf zu verlassen, und sei der Vorwand dazu noch so unwahrscheinlich, so märchenhaft, so unsinnig, wie Agenten und Mädchenhändler sie nur erfinden.
Viele wissen nicht, wohin sie steuern, viele wissen es, aber den ganzen Umfang der moralischen und physischen Vernichtung, der sie entgegengehen, ahnt keine. Sie will hinaus aus dem engen Stübchen, das sie mit 10 und mehr Personen teilt, hinaus aus dem bleiernen Einerlei der Dorfstraße. Ein Zeitungsblatt, ein Brief aus Amerika, die Erzählung einer Freundin aus drittem und viertem Munde, der Umstand, daß sie überflüssig ist, der Trieb zu leben und nicht zu vegetieren jagt sie hinaus. Und an dieser Stelle sei es gesagt als Entgegnung für Alle, die behaupten, die Mädchen, die sich der Prostitution ausliefern, christliche und jüdische, wollen ihr Schicksal.
Der Anfang mag im Wollen sein, oder doch der Schein eines solchen. Denn wenn der Druck der Verhältnisse, Unkenntnis der Folgen einer Handlung das Wollen erzeugt, dann ist es kein Wille im Sinne einer freien Entschließung und Selbstbestimmung. Auch wissen diese Mädchen – christliche wie jüdische, deutsche, polnische, französische, englische usw. – nicht, daß, wenn sie einmal ‹gewollt›, sie nicht mehr aufhören können, das zu ‹wollen›, was sie vernichtet, daß die innere Kraft und die äußere Möglichkeit, gesittet und rechtlich zu leben, bald in ihnen erloschen ist.
Handlungen, die in solcher sozialen, physischen und moralischen Unfreiheit begangen werden, darf man nicht mehr ‹wollen› nennen, ohne sich einer großen Ungerechtigkeit schuldig zu machen. Auch der Trinker will Alkohol, der Morphinist will Morphium.
Ich sehe die Hauptaufgabe der Frauen in der Bekämpfung des Mädchenhandels darin, vorsorgend und fürsorglich dahin zu wirken, daß in der breiten Masse der Völker der Wille zum Guten gestählt und geweckt werde. Was nun in Galizien den Mädchenhandel besonders fördert und seine Bekämpfung erschwert, sind die Anschauungen der Männerwelt über alle Fragen sexueller Ethik und Frauenrecht, die Unwissenheit und Laxheit in den Fragen der Volksmoral und der Volkshygiene und aller Zusammenhänge, die die Fragen untereinander verbinden.
Das Recht auf Weiber ist in der männlichen und weiblichen Bevölkerung des Landes eine wenig widersprochene Anschauung,Dazu auch Anatol aus Arthur Schnitzlers Liebelei: »Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern angenehm! Erholen! Das ist der Sinn! Zum Erholen sind sie da!« Die Uraufführung erfolgte im Wiener Burgtheater 1895. und der geistige Tief- resp. Bildungsstand des Heeres, die Skrupellosigkeit des Adels, die Unnatur vieler zölibatärer Anforderungen – viele Ausnahmen gern zugegeben – bringen im Lande selbst eine kolossale Nachfrage nach ‹Weibern›, daß es nicht verwunderlich ist, daß alle Kategorien Kuppler und Mädchenhändler gute Geschäfte machen und eine ganze Atmosphäre von Korruption um sich verbreiten.
Die Polizei ist meist wissend, Beamte sind vielfach interessiert, und wo es sich gar nur um Judenmädchen handelt, werden die Dinge nicht tragisch genommen.
Die geheime Prostitution ist sehr verbreitet und ist der Boden, in dem der eigentliche Mädchenhandel seine Opfer vorbereitet findet.
Dies, meine Herren und Damen, sind in knappen Zügen die Eindrücke und Erfahrungen, die ich in Galizien machte. Wenn man zu diesen noch die bekannten nationalen Feindseligkeiten zwischen Ruthenen und Polen, Polen und Deutschen in Betracht zieht, dann begreift man, was eine Bekämpfung des Mädchenhandels in Galizien bedeutet, denn sie muß international und interkonfessionell sein, wenn sie überhaupt sein soll.
Für mich, die ich z. Zt. den großen jüdisch-philantropischen Organisationen Vorschläge zur Bekämpfung des Mädchenhandels machte, war es von vornherein klar, daß Bemühungen in Galizien von zwei Punkten auszugehen haben. Einerseits durch Gründung kleiner Kulturzentren, die der mittelalterlichen Rückständigkeit der verbreiteten jüdischen Sekte der Chassidim ein Licht entgegenhalten sollte, und andererseits durch Gründung von Komitees, die sich mit der Bekämpfung des Mädchenhandels als solchem zu beschäftigen haben.
Der erste Teil der Aufgabe ist der in gewissem Sinne schwierigere; große Geldmittel sind erforderlich, um sie auszuführen und vor allem aufopfernde Menschen. Erfolge sind, wie bei allen Erziehungswerken, erst etwa nach einem Menschenalter zu erwarten und nachzuweisen.
Dennoch ist es gelungen, in drei Städten Galiziens Kindergärten zu gründen, in einer Stadt ein Waisenhaus mustergiltig einzurichten, und drei jüdische Krankenpflegerinnen walten in hingebungsvollster Weise im Lande als Missionarinnen moderner Hygiene.
Was nun die Komitees zur Bekämpfung des Mädchenhandels betrifft, so war es mir im Jahre 1907 auf einer Agitationsreise möglich gewesen, an 8 Orten Galiziens international und interkonfessionell zusammengesetzte Komitees zusammenzubringen, die sich bereit erklärten, reisenden und stellesuchenden Mädchen beizustehen. Die Komitees hatten sich konstituiert, sie hatten den Text einer Warnung für Affichen und Flugblätter, den ich ihnen vorgelegt, angenommen, ebenso das bekannte Plakat des Deutschen National-Komitees. Ich darf es wohl sagen, es war mir an vielen Orten, und besonders in Frauenkreisen gelungen, für die Idee des Mädchenschutzes und verwandte Gebiete Verständnis und teilweise sogar Begeisterung zu erwecken. Ich hatte angeregt, daß sich die Komitees untereinander verbinden, sich in bestimmten Fällen verständigen und unterstützen sollten, um so ein schützendes Netz über das Land zu breiten. Leider kam es anders. Ich ging im Anschluß an meine Reise nach Wien, um behördlicherseits die Bestätigung und offizielle Förderung der Komitees zu erbitten – sie blieb aus! Sechs Komitees zerfielen, und heute sind es nur noch zwei, in Lemberg und in Czernowitz in der Bukowina, die auf sachlicher Basis und mit Erfolg arbeiten. In Lemberg hat der Magistrat ein Lokal gegeben, und eine städtische Subvention wird wohl bald den Kosten des Betriebs entgegenkommen, die die Mitglieder der Liga nicht allein aufbringen können. Zu meinem Bedauern habe ich noch keinen ausführlichen deutschen Bericht über die Anzahl und den Verlauf der Fälle von Mädchen- und Frauenschutz in Lemberg. Von Czernowitz dagegen kann ich mehr und Erfreuliches berichten.
Der Bürgermeister der Stadt, Baron Fürth, hat der Arbeit das größte Interesse und Verständnis entgegengebracht. Seiner Intervention wird es zu danken sein, wenn in Czernowitz bald ein Asyl für durchreisende und obdachlose Frauen und Mädchen bereit sein wird. Den Hauptteil der täglichen und praktischen Arbeit leistet aber Kaiserl. Rat Schex gemeinsam mit einem Damenkomitee. Sein Bericht weist ganz typische Fälle von Mädchenhandel und Verschleppung auf und gibt die Bestätigung, wie nötig es wäre, wenn in der ganzen Bukowina und in Galizien, besonders an den Grenzen von Rußland und Rumänien solche Wachtposten eingerichtet wären.
Herr Kaiserl. Rat Schex hat auch den Vorschlag gemacht, da eine ständige Bahnhofsmission dort nicht einzurichten sei, Prämien an solche Personen zu geben, die effektive Fälle von Mädchenhandel zur Anzeige bringen. Eine weitere sehr gute Idee dieses eifrigen tüchtigen Mannes ist auch, auf der Strecke die Vertreter der Bahnhofsbuchhandlungen zu veranlassen, auffallende und verdächtige Beobachtungen telephonisch dem Komitee mitzuteilen. Die Organisation der Czernowitzer Liga ist so klug durchdacht, daß ich mich freue, Herrn Kaiserl. Rat Schex und seinem Damenkomitee an dieser Stelle herzlichen Dank sagen zu können, ebenso der Czernowitzer Presse, die ihren Anteil an diesem Teil sozialer Arbeit voll erfaßt hat und der Liga jederzeit zur Verfügung steht. Ein Teil der nötigen Geldmittel ist dem Komitee durch einen Frankfurter Frauenverein Weibl. Fürsorge,Finanziert von dem Frankfurter Verein Weibliche Fürsorge wurden die drei »Sendbotinnen« Sophie Rosenthal, Helene Krämer und Johanna Stahl für den Aufbau von Kindergärten sowie einem Krankenhaus. Helene Krämer wurde nach ihrer Rückkehr nach Frankfurt (bedingt durch den I. Weltkrieg) Heimleiterin des Isenburger Heims. die sich die Bekämpfung des Mädchenhandels mit zur Aufgabe gemacht hat, zugegangen.
In diesem Jahre habe ich es versucht in Prag, in Pest und in Triest im Sinne unserer Aufgabe zu wirken. Vorerst habe ich trotz meiner Bemühungen dort noch recht wenig erreicht. Als einzige Frucht meiner Einblicke in die Verhältnisse von Triest wird Ihnen morgen ein Antrag zur Besprechung vorgelegt.
Sie werden nun, da ich schließe, vielleicht sagen, die jüdischen Frauen haben wenig erreicht; aber wenn es nur gelungen ist, Ihnen die Schwierigkeiten zu zeigen, unter denen wir arbeiten, dann hoffe ich, daß Sie nicht mehr an unserem guten ehrlichen Willen, unsere Schuldigkeit zu tun, zweifeln.«