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Die Baltevilles.

Wenn die Knaben ihren oft wilden und gefährlichen Vergnügungen nachgingen, dann geschah es wohl, daß ein kleiner, schmächtiger Knabe ihnen aus einiger Entfernung halb sehnsüchtig, halb ängstlich zusah und sich wohl gar mit der Bitte, an ihren Spielen auch theilnehmen zu dürfen, an seinen eleganten Gouverneur wandte, obgleich er im Voraus wußte, daß er die Erlaubniß dazu nimmermehr erhalten würde. Dieser Knabe war Horace de Balteville. Mitunter, wenn auch nur sehr selten, kam er mit seinem Franzosen ins Pastorat hinüber, und die Jungen hatten den höflichen, mädchenhaften Knaben nicht ungern, wenn sie ihn gleich mehr wie ein Spielzeug als wie einen Spielkameraden behandelten. Mitunter gingen denn auch die Bewohner des Pastorates hinüber in den Edelhof, aber diese Besuche machten den Kindern wenig Freude, denn die Frau von Balteville mit ihrem steifen, ungemüthlichen Wesen und ihrem steten: » Mais taisez-vous donc, mes enfants!« und das ganze Corps von Aufsehern, das aus Bonne, Gouvernante, Diener und Gouverneur bestand und den Kindern auf Schritt und Tritt folgte, machte diesen den Aufenthalt zur Qual. Dazu hatten sie in dem höchst elegant eingerichteten, parquetirten Hause immer das Gefühl, als schritten sie auf Glas und müßten durch jede freie Bewegung Unheil anrichten. So gingen sie denn jeder Veranlassung, Parkhof zu besuchen, gern aus dem Wege, obgleich es dort etwas gab, was unter andern Umständen nicht verfehlt haben würde, eine Anziehungskraft auf sie auszuüben. Dieses Etwas war die kleine Madeleine, Horacens Zwillingsschwester, die ihm so glich, wie ein Ei dem andern, und die so hübsche braune Augen, einen so rosigen kleinen Mund und einen so zierlichen Wuchs hatte, wie er. Nur der Ausdruck des Gesichtes war ein anderer, war energischer. Sie schaute immer so keck und lachlustig drein, daß die Knaben meinten, sie habe mehr Muth im Leibe, als der Bruder. Aber sie vermutheten es nur, denn Madeleine wurde vor ihnen gehütet, wie Eis vor Sonnenschein, ja es kam nie vor, daß sie mit einem von ihnen auch nur ein Wort gesprochen hätte. Alle diese Umstände und der spöttelnde Ton, der im Pastorate angeschlagen wurde, sobald die Rede auf die Baltevilles kam, verhinderten, daß Madeleine in den jungen Herzen der Vettern Unheil anrichtete.

Ueber den Ursprung, die Herkunft und die Bedeutung der Herren von Balteville gab es im Lande zwei ganz verschiedene Versionen. Nach der unter ihnen selbst cursirenden Tradition stammten sie aus dem altehrwürdigen, in der Auvergne ansässigen Geschlechte der Balteville du Lys, und hatten einen so schmucken und interessanten Stammbaum aufzuweisen, wie nur eines der altadeligen, loyalen Geschlechter Frankreichs. Und loyal waren sie immer gewesen, von den Tagen Ludwigs des Heiligen an bis zum Schreckensjahre 1789. Einer von ihnen war die rechte Hand des Kardinals von Lothringen; ein Anderer fiel vor Rochelle, sein Bruder bei Ivry, ein Dritter zeichnete sich im Kriege der Fronde aus und fiel von der Hand Condé's. In späterer Zeit trugen mehr die Frauen zum Glanze der Familie bei. Marie de Balteville war die Maitresse des Herzogs-Regenten, ihre schöne Nichte Ninon gar die des vielgeliebten Königs.

Beim Ausbruche der Revolution gingen auch die Schlösser der Baltevilles in Flammen auf, und wer von ihnen nicht von den ergrimmten Bauern erschlagen wurde, starb durch die Guillotine. Nur einem von ihnen, dem noch sehr jungen Henri de Balteville, gelang es, zu entkommen und in russischen Kriegsdiensten Ehre und Reichthum zu erlangen. Nachdem er in hohem Alter eine Polin geheirathet, kaufte er Parkhof, und sein Enkel, der Sohn seines Jules, war eben unser Horace. So erzählten die Baltevilles und gelegentlich zeigten sie auch wohl dem Hausfreunde Stammbaum und Adelsbrief, so daß auch das schärfste Auge des Heraldikers und Genealogen an dem Adelsbeweise der Herren von Balteville weder Stäubchen noch Flecken entdecken konnte.

Eine völlig andere Version über Herkunft und Stammbaum der Baltevilles cursirte aber im Lande und obgleich sie sich auf keinerlei Beweise stützte, wurde sie doch allgemein weiter erzählt und geglaubt. Diese Version aber lautete so: Henri de Balteville war allerdings der letzte Erbe des Namens und der Titel der uralten Baltevilles du Lys, auch war er wirklich nach Rußland gereist, um dort in die Armee einzutreten, doch war ihm dies nicht gelungen, und zwar aus dem Grunde nicht, weil er in einer stürmischen Novembernacht in einem Kruge am Nervenfieber erkrankte und nach wenigen Wochen starb. Freilich erschien er ein Jahr darauf wieder in einem russischen Linienregimente. Damit sollte es folgende Bewandtniß gehabt haben. Der N'sche Krüger Jurre Balteville (zu deutsch: weiße Wolle) hatte einen Taugenichts von Sohn, Namens Indrik, der sich eben damals bei seinem Vater aufhielt. Dieser Indrik nun, ein unternehmender Bursche, streifte den bäurischen, lettischen und lutherischen Indrik ab und wurde der altadelige, französische und katholische Henri de Balteville, und als er in hohem Alter als Besitzer von Parkhof und als voller General starb, war sein Geheimniß zwar in aller Leute Mund, aber Niemand wollte oder konnte ihm seine ungewöhnliche Metamorphose nachweisen. Wie dem auch sei, die Baltevilles waren reiche Leute und stattliche Herren, und hätte Jules de Balteville anders geheirathet, so hätte die Familie schließlich wohl noch im Lande heimisch werden können.

Mit Jules' Heirath aber war es folgendermaßen zugegangen: Jules war als Kind in eines der Cadettencorps Rußlands gesteckt worden, war dann in die Garde eingetreten und hätte ohne Zweifel eine glänzende Carrière gemacht, wenn er nicht so schön gewesen wäre und über etwas mehr Energie hätte verfügen können. So aber hatten es ihm die Frauen angethan, und seine hohe Begabung wie sein wirklich liebenswürdiges und gutes Temperament gingen in zahllosen Liebschaften und im elendesten Geckenthum unter.

Als der tadellose Gentleman und alternde Adonis Obrist geworden war, machte er die unangenehme Entdeckung, daß er mit dem väterlichen Vermögen so ziemlich fertig war und ihm von Parkhof fast nichts mehr gehörte. Verschiedene günstige Heirathsaussichten zerschlugen sich, und er befand sich in einer recht fatalen Lage, als er auch keinen einigermaßen annehmbaren Käufer für Parkhof finden konnte. Er eilte nun selbst nach Hause, um seine Verhältnisse einmal genau zu übersehen. Innerlich und äußerlich dem Lande vollständig fremd, sah er sich nach einem geschäftskundigen Berather um und fand den in dem Kaufmann Knochenhauer, den der alte Balteville seinerzeit vielfach mit Geld unterstützt hatte und der noch von jener Zeit her eine warme Anhänglichkeit für den Sohn seines Wohlthäters empfand. Knochenhauer hatte sich durch den Kleinhandel mit Häringen, Getreide, Flachs u. s. w. ein bedeutendes Vermögen erworben und war ein sehr ungebildeter, aber kreuzbraver Mann, der in der Regel Kopf und Herz auf dem rechten Flecke hatte.

Beides war freilich arg verschoben, als er den Plan faßte, seine einzige Tochter und Erbin Amanda an den Herrn von Balteville zu verheirathen; aber ein unseliger Zug zu Vornehmheit und die Aussicht auf die Möglichkeit, einen Baron zum Schwiegersohne zu bekommen, ließen den sonst so praktischen, nüchternen Mann nicht sehen, in welches Elend er seine Tochter stürzte.

Was für ein Glück konnte Jules de Balteville, der tadelloseste Gentleman und Lion der Residenz, Amanda Knochenhauer bereiten? Sie war ein gutes Mädchen, diese Amanda, sie war pflichttreu, fleißig und brav, aber nicht nur hatte sie von dem, was man savoir vivre nennt, auch nicht den entferntesten Begriff, sondern es fehlte ihr auch eigentliche höhere Bildung. So ließ denn ihre Eitelkeit sie leidenschaftlich auf die Pläne ihres Vaters eingehen, und das um so mehr, als Jules nicht mit Unrecht der schöne Jules hieß.

Amanda hatte ihr Lebelang für Vornehmheit geschwärmt, jetzt raubte ihr die Möglichkeit, Frau von Balteville zu werden, allen Verstand.

Als Balteville merkte, wo die Anspielungen seines Geschäftsfreundes aus der Heringsbude hinaus wollten, entsetzte er sich in tiefster Seele, und Amandas gemein klingendes Deutsch, sowie ihre starkknochige Gestalt, die breiten Backenknochen ihres Gesichtes und ihre rothen Hände ließen ihn nicht weniger eine Verbindung mit ihr verabscheuen, als ihre plebejische Herkunft. Bald hatte er jedoch die Ueberraschung zu bemerken, daß ihm eine Heirath mit ihr nicht mehr so völlig unmöglich erschien, und das Ende vom Liede war, daß er nach mehrmaliger Flucht nach Petersburg, zum Entsetzen seiner dortigen Freunde und Freundinnen, die ihn zärtlich liebende Amanda nach dem nunmehr ihr gehörigen Parkhof als seine Gattin heimführte. Die Arme! Nur zu kurzem Glücke zog sie in den Edelhof, denn so sehr sie ihren Mann liebte und so stolz sie auf ihn war, so abscheulich fand er sie und so sehr schämte er sich ihrer. Nach dreimonatlicher Ehe kam er zu der Ueberzeugung, daß ihm nur die Wahl blieb, sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen, oder seine Frau zu verlassen und jene Kreise wieder aufzusuchen, in denen er nicht nur allein glücklich sein, sondern überhaupt nur bestehen und leben konnte.

Er wählte das Letztere, nicht ohne das Weib zu bedauern, das er so leichtsinnig an sich gefesselt. In einer Nacht schlich er davon, indem er seiner Frau einen Brief zurückließ, in welchem er ihr offen bekannte, daß ein ferneres Zusammenleben mit ihr ihm unerträglich sei. Er bekannte ferner, daß er ihr gegenüber sehr unrecht gehandelt habe, stellte ihr frei, sich von ihm auch kirchlich scheiden zu lassen und versprach ihr, falls sie es wünsche, Alles zu thun, um ihr die Scheidung zu erleichtern. In Petersburg nahmen seine Freunde und Freundinnen den Flüchtling mit offenen Armen wieder auf und verbreiteten mit Erfolg das Gerücht, daß an der Nachricht von seiner Verheirathung nichts wahr sei, daß es vielmehr nur ein Liebeshandel mit einer Gräfin gewesen, der ihn in die Provinz gerufen. Der schöne Jules ließ sie stillschweigend gewähren, und da es ihm nach und nach gelang, sich Geldmittel zu verschaffen, so war er nur bemüht, die Parkhöfer Episode möglichst rasch zu vergessen. Das wurde ihm in sofern leicht gemacht, als Amanda nur selten etwas von sich hören ließ.

Das erste Mal schrieb sie gleich nach seiner Flucht, verzichtete auf eine kirchliche Scheidung und stellte ihm ihre Kasse nach wie vor zur Verfügung. Das zweite Mal theilte sie ihm mit, daß sie ihm Zwillinge geboren habe und daß sie denselben, wenn er nichts dagegen habe, in der Taufe die Namen Horace und Madeleine geben werde. Der schöne Jules antwortete auf keines dieser Schreiben und war wieder ganz der alte Elegant.

So kam es denn, daß bald nur noch sehr wenige wußten, daß dieses Musterexemplar eines Gentleman, dieser graziöseste aller Junggesellen, der schöne, ewig junge Don Juan, der mustergültige Elegant daheim ein Weib hatte, ein unschönes, nicht repräsentables und sehr unglückliches Weib. Wie überrascht war man daher, als, nachdem der schöne Jules nach einigen Jahren muthig und mit Anstand gestorben war, plötzlich dieses Weib in Petersburg erschien und nun den als Todten mit sich nahm, nach dem als Lebenden sie sich so heiß, so feurig gesehnt hatte. Da hielten ihm seine Petersburger Freundinnen folgende Grabrede:

» Savez-vous, chère Lise, que la femme du colonel était à St. Petersbourg?«

» Mais non!«

» Mais oui! Cette provinciale est horriblement laide.«

Und seine Petersburger Freunde sprachen durch den Mund des Fürsten P.:

» Le colonel de Balteville était un chevalier sans peur et sans reproche, un gentilhomme tout à fait comme il faut. C'était un homme d'esprit, de talent, de courage et de sang froid.«

Damit war er denn für Petersburg auch wirklich und ganz und gar todt. Sein Weib aber, sein unschönes Weib sprach zu sich, als es die Leiche in Parkhof unter Blumen bestattete: »Schlummere sanft, Du lieber, theurer Mann! Es mag unrecht gewesen sein von mir, der einfachen, so unendlich hinter Dir zurückstehenden Frau, daß ich Dein begehrte; aber da ich es that, da hoffte ich, Du würdest mich trotzdem allmälig liebgewinnen, Du würdest mich zu Dir hinaufziehen und mich zu einer wahrhaft vornehmen Frau heranbilden. Ach, es kam anders! Aber darum will ich Dein Andenken doch in Ehren halten und was in meinen schwachen Kräften steht, will ich thun, damit, wenn Dein unsterblicher Geist aus dem Jenseits auf uns hernieder schaut, er sich meiner nicht zu schämen brauche und auf die Kinder Segen herabsende!«

Man sieht, daß Eitelkeit und Liebe hier dazu verschmolzen, etwas sehr Vornehmes zu Stande zu bringen, und wirklich wurde Frau von Balteville seit jenem Tage gewaltig vornehm und die Nachbarn hatten lustige Tage. Es wollte sich mit der Vornehmheit durchaus nicht recht fördern, und so stattlich sich auch das Sechsgespann, die Kalesche, die Livreen der Diener und diese selbst ausnahmen, so elegant und comfortabel auch Haus und Hof, Garten und Park des Gutes waren, so gemessen, würdig und steif sich auch die Hausfrau zeigte – den rechten Chic hatte es nicht, und der selige Jules de Balteville wäre aus dem jetzigen Parkhof und vor seiner Besitzerin ebenso geflohen, wie vor dem früheren Parkhof. Diese sprach jetzt fast nur französisch, obgleich sie, da sie kein Sprachtalent hatte, es darin nicht eben weit brachte. So wurde denn Balteville'sches Französisch bald in der ganzen Hauptmannschaft sprüchwörtlich, und die Dienerschaft hieß auf den Gütern allgemein nur noch die Diligence, weil Frau von Balteville einmal gesagt haben sollte: » Mais il faut donc, qu'on ait des appartements pour les diligences,« und damit ihre Dienerschaft gemeint haben sollte.

Sonst aber war die »Parkhöf'sche Frau,« diese angenehme Bezeichnung wurde Amanda jetzt zu Theil, eine praktische, thätige Frau, die Gut und Gesinde in Ordnung hielt und trotz alles Repräsentirens jährlich ein hübsches Stück Geld bei Seite legte. Darin wurde sie von dem einzigen Freunde, den sie hatte, dem Herrn von Schweinsberg, einem benachbarten Gutsbesitzer und liebenswürdigen Manne, nach Kräften unterstützt. Sorgte Amanda so für das materielle Fortkommen ihrer Familie, so sollten alle die Franzosen und Französinnen in ihrem Hause die Kinder mit dem nöthigen vornehmen Schliff ausstatten, damit sie einmal im Stande wären, des Baltevilleschen Stammbaumes würdig aufzutreten.


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