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Die Geschichte vom kleinen Kahn.

Heinz war in lichter Verzweiflung aus der Schule zurückgekehrt. Er war unterwegs mit Knaben, welche eine andere Schule besuchten, in Streit gerathen, und da ihrer drei gegen einen waren, hatte er unterliegen müssen. Er war laut weinend zur Mutter gekommen, hatte ihr unter heftigem Schluchzen sein Mißgeschick geklagt und wiederholt versichert, daß er sich jedenfalls rächen werde; daß er seine Gegner schon noch einmal finden wolle, Mann gegen Mann, und daß es nicht an ihm liegen würde, wenn die Unglücklichen mit dem Leben davon kämen. Frau Agnes hatte ihn ruhig angehört, hatte ihn sich tüchtig austoben lassen, und dann nach der Veranlassung des Haders gefragt. Als sich nun dabei erwies, daß Heinz den Streit veranlaßt, hatte sie ihm sein Unrecht deutlich zu machen gesucht, und es war ihr das denn auch so ziemlich gelungen. Heinz war nun dadurch aber keineswegs besser gestimmt worden, sondern ging recht verdrießlich auf den Hof hinaus. Spielen mochte er nicht, da kam ihm der Gedanke, zu Lelia hinüber zu gehen; aber das war leichter beschlossen, als gethan, denn er war in letzter Zeit so häufig drüben gewesen, daß es mehr als zweifelhaft erschien, ob die Mutter in die heutige Excursion willigen würde. Allein er konnte ja auch zu Lelia gehen, ohne die Mutter um Erlaubniß zu bitten! Es wäre das freilich das erste Mal gewesen, daß er ohne ihr Wissen das Haus verließ, und durch das Thor und über die Straße konnte es nicht geschehen, weil Heinz dann von den Dienstboten bemerkt worden wäre; es gab jedoch noch einen anderen Weg. Über den Kanal waren ja die dicken Stangen gelegt; über die mußte man gehen können! Freilich, der Kanal war ein unheimliches Gewässer, das nicht nur unergründlich tief sein sollte, sondern das, wie Weinthal versicherte, noch allerlei gewaltig große Fische enthielt, ja in dem sich selbst todte kleine Kinder befinden, sollten.

Heinz ging an den Kanal und schaute nach dem Rechberg'schen Garten hinüber. In dem befand sich zwar Niemand, aber aller Wahrscheinlichkeit nach war Lelia im Hofe, den Heinz nicht sehen konnte. Heinz sah sich um nach dem Hofe des väterlichen Hauses; dort war Niemand sichtbar; er schaute wieder hinüber nach dem Garten, und seine Sehnsucht wuchs mit jedem Augenblicke. Er blickte hinab in den Kanal. Er konnte sich an der Einfassung hinablassen, so daß seine Füße die Querstangen berührten, und er sah, daß er auch auf der andern Seite würde hinaufklettern können. Er sah aber auch das schwarze, unheimliche Wasser und sagte sich, daß er sich im Betretungsfalle eine harte Strafe zuziehen würde, denn nichts war ihm so streng verboten, als allein auch nur den Rand des Kanals zu betreten.

Lange kämpften Furcht und Verlangen in ihm, endlich siegte das letztere. Er ließ sich von der Brüstung hinab, balancirte, als er festen Boden unter den Füßen hatte, rasch über das schmale Gebälk, und kletterte dann, froh über das gelungene Wagniß, an der andern Seite wieder empor. Wie wird Lelia erschrecken, dachte er, wenn sie hört, daß ich über den Kanal gekommen bin, wie wird sie staunen!

Er fand sie im Hofe auf der Bank sitzend, wie gewöhnlich von Hühnern und Tauben umgeben, den kleinen Japanesen im Schooße. Als sie Heinz gewahr wurde, stieß sie wirklich einen Schrei des Schreckens aus. »Wo kommst Du her, Heinzchen?« rief sie.

»Ueber den Kanal,« sagte Heinz kühl, und erwartete nun Bewunderung, gemischt mit zärtlicher Besorgniß.

Es kam aber anders. Lelia sprang auf, machte ihm die lebhaftesten Vorwürfe über seinen Leichtsinn, schalt auf seinen Ungehorsam, verlangte, er solle sogleich auf dem gewöhnlichen Wege nach Hause zurückkehren, und erklärte, indem sie den Hahn, den sie im Aufstehen hatte fallen lassen, wieder auf den Schooß nahm und sich setzte, daß sie jetzt auf keinen Fall mit ihm spielen würde. Das verdroß Heinz.

»Ich will doch einmal sehen, ob Du nicht mit mir spielen wirst,« sagte er trotzig und setzte sich neben sie auf die Bank.

»Nein,« erwiderte sie.

»Heinz, dem noch der Aerger über das früher Erlebte in allen Gliedern steckte, stieg das Blut zu Kopf.

»Wirf den Hahn weg,« herrschte er sie an.

»Was fällt Dir ein, Heinzchen?« fragte Lelia.

»Wirf die Bestie weg,« schrie Heinz außer sich, indem er aufsprang und mit dem Fuße stampfte. »Nenne, mich nicht Heinzchen; ich bin für Dich kein Heinzchen; Heinz heiße ich, Heinz! Wenn Du nicht mit mir spielen willst, so sollst Du mich auch nicht Heinzchen nennen!«

Lelia sprang erschrocken auf und ließ den Hahn fallen. Sie war ganz bleich geworden und zitterte heftig. Sie hatte noch nie einen Menschen so recht in Wuth gesehen und fürchtete sich vor Heinz. Voll Angst kehrte sie ihm den Rücken und eilte dem Hause zu. Heinz folgte ihr nicht, aber sein Zorn sah sich nach einem Opfer um, und sein Auge fiel unglücklicherweise auf den kleinen Hahn, der ganz keck vor ihm stehen geblieben war. »Wenn Du nicht mit mir spielen willst,« knirschte Heinz, »so sollst Du wenigstens an mich denken!« ergriff den Hahn und preßte ihn zwischen seine Knie. Der Hahn sträubte sich und schrie laut. Heinz wurde nur noch wüthender. In blinder Wuth drückte er den Hals des Thieres, bis es leblos zu Boden sank.

Kaum war die That geschehen, so faßte Heinz eben so eisiges Entsetzen, wie vorher heiße Wuth; eine furchtbare Angst ergriff ihn, mit einigen Sprüngen war er am Kanal und in wenigen Augenblicken hatte er ihn überschritten. Als er auf der anderen Seite emporkletterte, starrte ihm Weinthals erschrecktes Gesicht entgegen.

Weinthal wurde kaum weniger bleich, als Heinz es war. Erschreckt ließ er das kleine Ding fallen, das er in der Hand hatte. Endlich fand er die Sprache.

»Jungherrchen sind rein toll!« rief er. »Jungherrchen haben verdient, ordentlich ausgepeitscht zu werden! Jungherrchen werden im Kanal ertrinken! Jungherrchen werden gleich bei gnädigem Herrn kommen! Nicht geraisonnirt, Jungherrchen, gehorcht und geschwiegen! So'n Jungherrchen! Das ist doch keine Art nicht, daß Jungherrchen sich ertränken thun will, und wo soll die gnädige Frau ein anderes Jungherrchen herkriegen thun? Nicht geraisonnirt, gehorcht und geschwiegen! Zu Vater kommen und ausgepeitscht werden!«

Die Gefahr gab Heinz seine Besinnung wieder. »Lieber, guter Weinthal,« bat er, »sagen Sie Vater nichts davon. Ich bin ja nicht ertrunken.«

»Wie, nicht ertrunken? Ist denn das kein Ertrinken nicht, wenn so ein kleines Jungherrchen geht allein bei Wasser?«

»Lieber Weinthal!«

»Ich bin kein lieber Weinthal nicht, ich bin dem gnädigen Herrn sein Weinthal. Jungherrchen geht bei Wasser und Weinthal geht bei gnädigen Herrn. Der gnädige Herr werden es schon Jungherrchen zeigen und gnädiger Herr werden ihn schon trocknen!«

Heinz bat nur noch flehentlicher, und obgleich Weinthal lange widerstand, ließ er sich endlich doch erbitten, und versprach zu schweigen, wenn Heinz ihm seinerseits gelobe, nie wieder an den Kanal zu gehen.

Weinthal hob nun den kleinen Gegenstand, der ihm vorhin vor Schreck entfallen war, und der bisher auf der Erde hingekrochen und bisweilen jämmerlich gequiekt hatte, wieder auf und sprach: »So, nun wollen wir die Katz' aufsuchen, und ihr ihr Kindchen geben.«

Während Weinthal die Katze suchte, um ihr das verlaufene Junge zu bringen, brach Heinz in stürmisches Weinen aus. Weinthal wandte sich sogleich von der Katze ab und Heinz zu; aber vergeblich drang er in das Kind, ihm die Ursache seines Schmerzes mitzutheilen, vergeblich liebkoste er Heinz, wie die Katze ihr Junges, er brachte nichts aus ihm heraus, als heftiges Schluchzen. »Ich kann es nicht sagen, ach ich bin so schlecht! Ich kann es nicht sagen!« stieß Heinz endlich, halb erstickt, hervor.

Weinthal schaute eine Weile nachdenklich vor sich nieder, dann sagte er mitleidig: »Jungherrchen können es nicht sagen, wo der alte Weinthal sieht Jungherrchen. Jungherrchen werden es sagen können, wenn Weinthal und Jungherrchen sind im Dunkeln. Wir wollen auf den Boden gehen! Ja? Sollen wir?«

Heinz sah Weinthal nicht an, aber er nickte. Sie stiegen nun Beide auf den Boden, auf dem es ziemlich dunkel war.

Weinthal setzte sich auf einen umgestürzten Zuber, und nahm Heinz, der sich Hilfe suchend an ihn schmiegte, auf seinen Schooß. Er legte nun seinen Mund dicht an Heinzens Ohr, daß seine Nase des Knaben Wange berührte, und flüsterte so leise, als wären sie von Spähern umstanden: »Was haben Jungherrchen gethan?«

»Ach, Weinthal, ich kann es nicht sagen!«

»I, wo werden Jungherrchen es nicht sagen können, wenn Jungherrchen es haben thun können!«

»Ach, ich bin so schlecht gewesen!«

»I, wo werden Jungherrchen so schlecht gewesen sein!«

Es trat eine Pause ein.

»Weinthal!«

»Nu, Jungherrchen!«

»Sie werden sehr böse sein, Weinthal!«

»I, wo wird denn der alte Weinthal auf sein Jungherrchen sehr böse sein! Was können denn Jungherrchen bei gnädigem Herrn sein Schwager Böses gethan haben! Jungherrchen werden doch Keinen nicht umgebracht haben!«

»Ja, Weinthal!«

Weinthal fuhr zurück.

»Jungherrchen werden doch nicht das kleine Fräulein umgebracht haben?«

»Nein, Weinthal, nicht sie, sondern ihn!«

»Wen? Den gnädigen Herrn seinen Schwager?«

Heinz mußte trotz seines Kummers lachen.

»Nein, Weinthal, den Hahn!«

»Was für einen Hahn?«

»Lelia's Hahn!«

»I, wie werden denn Jungherrchen dem kleinen Fräuleinchen ihren Hahn umgebracht haben!«

»Ach Gott, ja!«

Heinz erzählte nun, wie Alles gekommen war, und obgleich sein Bericht von den heftigsten Selbstanklagen unterbrochen wurde und sich daher nicht eben durch Klarheit auszeichnete, errieth Weinthal doch ungefähr den Zusammenhang der Sache. Er schalt nun Heinz tüchtig aus, schloß aber mit der Bemerkung, daß jedenfalls noch vor Sonnenuntergang ein neuer Hahn herbeigeschafft werden müsse, und daß es wohl gelingen werde, Lelia dadurch zu versöhnen. Allein sein Trost machte Heinz nur noch unglücklicher.

»Ich habe keinen Kopeken Geld!« jammerte er, »wie soll ich da einen Hahn kaufen!« – Wie ward ihm aber, als Weinthal erwiderte: »I, wo haben denn Jungherrchen kein Geld nicht! Wenn der alte Weinthal Geld haben thut, thut Jungherrchen auch Geld haben!« – Heinz fiel ein Stein vom Herzen und er dankte Weinthal mit tausend Küssen. Sie gingen nun Beide in den Hof hinab. Weinthal verfügte sich zu der Doctorin und bat sie um die Erlaubniß, Heinz mitnehmen zu dürfen, wenn er zum Bäcker nach Brod gehe. Diese wurde, wie gewöhnlich, ertheilt, und Weinthal und Heinz liefen nun in der Stadt umher, bis sie endlich von einer Jüdin einen Hahn erstanden, der Beiden sehr viel hübscher erschien, als der kleine Japanese. Trotzdem sagte Heinzen eine Ahnung, daß Weinthals Einkauf keineswegs den Ermordeten würde ersetzen können, und als sie nun ihre Schritte nach der Schmiedestraße lenkten, blieb Heinz mehrmals ganz verzweifelt stehen und konnte nur durch Weinthals energisches Zureden dazu bewogen werden, weiter zu gehen. Heinz wußte sehr wohl, warum ihm so untröstlich zu Muthe war; er wußte sehr gut, daß es nicht auf den Hahn ankam, er fühlte, daß die rasche That Lelia tödtlich gekränkt habe, und er wußte und ahnte voraus, daß sie nun immer Furcht vor ihm haben würde. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, daß sich unsere Thaten oft nicht wieder gut machen lassen, daß das Geschehene – geschehen ist, und alle Reue die Folgen unserer Handlungen nicht aufheben kann.

Der Notar öffnete den Beiden, die das Hofthor verschlossen gefunden hatten, die Thür. Er wußte um das Geschehene und es freute ihn, den Hahn auf Heinzens Arm zu sehen. »Das ist brav, mein Junge, daß Dir Dein Unrecht leid thut,« sagte er sanft, indem er Heinzens Kopf streichelte, und sah ihn recht mitleidig an. Heinz sah auch wirklich so zerknirscht aus, daß man sich seiner erbarmen konnte. Seine Augenlider waren geschwollen vom vielen Weinen, er bebte am ganzen Körper und wagte es nicht, die Augen aufzuschlagen.

»Nun komm zu Lelia und bitte sie um Verzeihung!« sagte der Notar, indem er mit Weinthal einen lächelnden Blick austauschte, Heinz an die Hand nahm und ihn in den Garten führte.

Als Lelia damals vor Heinz geflohen, war sie in der Hausflur stehen geblieben und hatte einen Augenblick mit sich gekämpft. Sie hatte sich dann ihrer Furcht geschämt und zu Heinz zurückkehren wollen, allein sie hatte ihn nicht mehr vorgefunden, und als sie sich nach ihm umgesehen, war ihr Blick auf den getödteten Hahn gefallen. Ihr stand das Herz still vor Entsetzen und Kummer! Also das hatte Heinz gethan! So schlecht war er gewesen! Ja schlecht! Zum ersten Male wurde sie sich des Schlechten bewußt, fühlte sie, daß es etwas Schlechtes gab in der Welt. In dem Schmerze, der ihr kleines Herz zerriß, flüchtete sie sich an die Brust des Großvaters. »Ach, Großvater,« rief sie schluchzend, »Heinz hat mein kleines Hähnchen getödtet, weil ich unfreundlich war gegen ihn.«

Der Großvater wollte es nicht glauben; sie gingen auf den Hof und fanden das todte Thierchen.

»Das hätte ich von Heinz nicht geglaubt!« sagte der Großvater traurig und schüttelte den Kopf.

»Großvater, ob das Hähnchen nicht wieder lebendig werden wird?« fragte Lelia weinend.

»Nein, mein Kind,« erwiderte der Alte und wandte sich ab. Sie gingen nun Beide wieder in's Zimmer und setzten sich still aufs Sopha. Der Vater kam herein, das Vorgefallene wurde ihm erzählt und er suchte Heinz zu entschuldigen. »Das arme Kind ist so heftig, wie sein Vater!« sagte er und verließ das Zimmer.

Die Beiden saßen eine Zeitlang bei einander. Der Großvater war sehr traurig darüber, daß es so stürmische, leidenschaftliche Menschen gab, und Lelia weinte darüber, daß ihr liebes, kleines Hähnchen todt war.

»Komm, wir wollen das Thierchen begraben,« sagte der Großvater, und stand auf.

Lelia küßte ihm dankbar die Hand und holte eine Schaufel herbei. Mit der grub der Großvater im Garten unter dem großen Birnbaum ein kleines Loch und fütterte es mit Blättern. Auf dieses weiche Lager bettete Lelia nun den Hahn, den sie bis dahin traurig gestreichelt hatte und strich ihm noch einmal die Federn glatt. Dann warf der Großvater das Loch wieder zu und glättete die Stelle. »Hier kannst Du nun ein paar Blümchen pflanzen!« sagte er. Lelia wurde nun ruhiger. Es that ihr so wohl, daß ihr kleines Hähnchen ein anständiges Begräbniß bekommen hatte, und sie dachte nun darüber nach, was für Blümchen sie auf sein Grab pflanzen solle.

Da kam der Vater mit Heinz. Als Lelia letzteren sah, war ihr erstes Gefühl das der – Furcht, tödtlicher Furcht, und sie klammerte sich voll Angst an den Rock des Großvaters! Heinz bemerkte das; er sah in diesem Augenblick in die Zukunft; es schien ihm, als ob sich diese Furcht Lelia's nie wieder ganz geben würde.

Der Vater redete nun Lelia zu, Heinz zu verzeihen, und auch der Großvater that es, da er Heinzens Zerknirschung bemerkte. Sie blieb auch nicht unversöhnlich, gab ihm die Hand und sagte ihm, daß sie ihm verzeihe und nicht mehr böse auf ihn sei, ja, sie nahm sogar den Sühnehahn an, dankte Heinz für ihn und lobte seine Schönheit; aber sie nannte Heinz nicht mehr Heinzchen, und er fühlte deutlicher als sie, daß sie das Geschehene nicht würde vergessen können.

Heinz blieb noch eine kleine Weile da, aber da ihm der Hals wie zugeschnürt war und er kein Wort hervorbringen konnte, so ging er bald mit Weinthal fort. Der Großvater sah ihm mitleidig nach: »Armer Junge!« seufzte er. Weinthal fragte Heinz, ob nun wieder Alles in Ordnung sei, aber dieser konnte vor Kummer nicht reden, und nur, um sich vor ferneren Fragen zu schützen, nickte er mit dem Kopfe. Zu Hause ging er geradeswegs zur Mutter, kniete an ihrer Couchette nieder und erzählte ihr Alles. Frau Agnes, die in seinem Herzen las, wie in ihrem eigenen, suchte ihn auf jede Weise zu trösten. Sie sagte ihm, daß, wenn er sein Unrecht einsehe und recht bereue, man wohl hoffen könne, nicht nur Gott, der ja bei aufrichtiger Reue stets verzeihe, sondern auch die Menschen zu versöhnen. Lelia sei viel zu gut, um ihm seine That nachtragen zu können, und zu jung, um sie nicht früher oder später zu vergessen. Sie sagte ihm das zum Troste, obgleich sie es selbst nicht recht glaubte. Sie sagte ihm ferner, daß gewiß auch der Großvater verzeihen werde, wenn er künftig seinen unsinnigen Jähzorn besser beherrschen lerne. Sie sagte ihm endlich, er solle an sie denken, wenn der Zorn wieder einmal in ihm mächtig werde, nicht nur so lange sie lebe, sondern auch nach ihrem Tode, und als sie das sagte, zitterte ihre Stimme ein wenig. Das erschütterte Heinz nur noch mehr, und er zerstoß in Thränen. Er weinte so lange, bis er in Schlaf versank und nicht merkte, wie Weinthal ihn in's Schlafzimmer brachte, entkleidete und zu Bett legte.

Frau Agnes aber, die an diesem Abend allein war, weil der Doctor einer Commissionssitzung wegen abwesend sein mußte, saß noch lange am Bette ihres Kindes und murmelte leise, indem sie mit der Hand über sein weiches Haar fuhr: »Mein armes, leidenschaftliches, gutes, böses Kind! Wie viele solcher Stunden wirst Du noch erleben müssen!«


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