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Im Paternoster über dem Küchenherd

»Dieter! Dieter!«

Traute sah ihren Freund über die Straße gehen und rannte auf ihn zu: »Dieter, ich habe eine kleine Überraschung für dich.« »Na, dann mal los, Traute. Ich bin schon gespannt wie ein Flitzbogen.«

»Aber du darfst mich nicht auslachen, Dieter.«

»Wer wird dich auslachen, Traute? Wir haben schon so viel Abenteuer gemeinsam bestanden, daß wir unbedingt zusammengehören. Ich werde dich doch nicht auslachen. Also zeige mal, was du hast!«

»Aber du darfst mich bestimmt nicht auslachen!« schmollte Traute.

»Nein, nein! Rede schon, du machst mich ja ganz verrückt vor Neugierde.«

»Dieter, bitte nicht lachen, ich habe – gedichtet.«

»Au fein, Traute! Vorlesen!«

»Dieter, sagst du es mir auch, wenn es Quatsch ist? Mir kribbelt es oft so sehr im Schreibefinger, daß ich nicht anders kann, dann muß ich dichten. Also, ich werde mich nicht länger zieren. Hör hübsch zu:

Die Wanderratten

Wo liegt Europa, das große Land?
Man sagt, wir seien dort unbekannt,
Wir großen wandernden Rattenherden,
Aber das soll jetzt bestimmt anders werden.
Wir haben ganz Asien kahl gefressen
Und dabei das Wandern und Reisen vergessen.
In einer Nacht, in dem großen Schatten,
Begann die Völkerwanderung der Ratten.
Europa, du mußt es endlich wissen.
Du bist nur ein fetter Rattenbissen.
Nach uns die Sintflut, das ist uns egal,
Europa, wir fressen dich ratzekahl.
Wir fressen Gänse mit Haut und Feder;
Wir fressen vom Schuhzeug das beste Leder;
Wir fressen Speck und Mehl und Stärke;
Wir fressen Journale und Schillers Werke.
Wir knabbern an fetten Schweineohren,
Selbst Karnickel bleiben nicht ungeschoren.
Das Zerstören und Fressen ist uns ein Fest,
Und obendrein kommt von uns – die Pest.
Wir treiben Seefahrt nach fernen Ländern,
Europa zu klein? das muß sich ändern.
Wir fressen Amerika lahm und krumm,
Kolumbus dreht sich im Grabe herum.

             Traute, die Tierfreundin,
             aber Ratten kann sie nicht leiden.«

Dieter war entzückt: »Bravo! Traute, bravo, wo hast du das nur her? Ich muß wirklich staunen. Ich habe es auch einmal mit dem Dichten versucht, aber bei mir kommt nichts Gescheites heraus. Schon das Reimefinden ist für mich eine Qual, dabei verliert man jede Stimmung. Zum Beispiel: Rosen! Bitte, was reimt sich auf Rosen? Hosen? Nun mach mal einen Vers mit Rosen und Hosen?

Wunderbar duften die Rosen,
Ich kauf mir neue Hosen.

Das hat doch keinen Sinn. Ja, du, du kannst dichten, Traute, aber bei mir wird das alles Unsinn.«

Traute überlegte kurz, dann antwortete sie: »Dieter, du kannst auch daraus einen Vers machen ... warte mal ... gleich habe ich es ...

Jedem das Seine, verlang' nicht von Hosen,
Daß sie so duften wie rote Rosen.«

Dieter staunte anerkennend. Nein, diese Traute, sie kann wirklich dichten! Was in dem kleinen Mädchen alles drinsteckt! Unglaublich!

Sie gingen plaudernd durch die Straßen, erzählten, neckten sich und hatten sich beide kindlich gern. Wohin sie beide gingen? Nun, wohin sollen sie schon gehen? Dieter und Traute gingen zu ihrem Freund Doktor Kleinermacher, wenn sie Zeit hatten. Und Doktor Kleinermacher war zu jeder Zeit freudig bereit, sich mit den beiden Kindern zu beschäftigen. Er hatte stets neue Abenteuer auf Lager. Und Dieter und Traute hatten in seiner Gegenwart längst alle Furcht abgelegt. Was heißt bei Doktor Kleinermacher in ein Spinnennetz fallen und dabei das Leben riskieren? Ist Dieter nicht auch dabei, der helfen kann wie ein Mann? Und wenn Dieter versagen sollte, dann ist noch immer der Doktor da, und der hat Riesenkräfte. In Dieters Traum hatte sich zwar Doktor Kleinermacher beim Empfang vor dem König der Tiere nicht gerade rühmlich benommen. Aber soll man den Doktor etwa dafür verantwortlich machen, wenn Dieter falsch träumt. Das ist allein Dieters Sache.

Freundlich empfing der Doktor die beiden, als sie bei ihm eintraten. Na, Doktor, hast du wieder eine Überraschung für uns? Du lächelst so verschmitzt, da steckt doch sicher etwas dahinter!

Und es steckte etwas dahinter!

Der Doktor führte seine beiden Freunde in die Küche und zeigte ihnen seinen Küchenherd.

»Nun, seht ihr etwas Besonderes?« Enttäuscht blickten sich die Kinder an. Was war schon ein Küchenherd. Plötzlich wurden ihre Augen immer größer. »Oh, Doktor Kleinermacher, du hast doch immer etwas Neues.« Vom Erdboden führte dicht an der Wand bis zur Küchendecke ein richtiges kleines Paternosterwerk, wie es die Kinder einmal im Rathaus in der großen Stadt gesehen hatten. Durch ein kräftiges Uhrwerk wurde es angetrieben. Zwar hängen die einzelnen Fahrkammern nicht so dicht hintereinander, wie bei den Aufzügen für Menschen, das war aber auch gar nicht nötig. Soviel Personen sollten ja das Paternosterwerk nicht benutzen, es sollte ja nur für drei Zwerge reichen. Die kleinen Fahrkammern fuhren senkrecht vom Erdboden bis an den Küchenherd, von da am Sims des Küchenherdes vorbei, bis oben zur Decke. Dort schoben sie sich langsam zur Seite, und dann ging es wieder abwärts bis zum Erdboden. Am Herd konnte man bequem aussteigen, auch am Sims, und selbst dicht unter der Decke war ein geeignetes Brett zum Aussteigen angebracht. Das schmale Brettchen führte immer unter der Küchendecke entlang bis zur Ecke über dem Herd. Von unten konnten die Kinder sehen, daß der schmale Laufgang von einem zierlichen Geländer eingefaßt war. Wenn das Uhrwerk aufgezogen war, lief das Paternostergetriebe unaufhörlich. Die Bewegungen wollten kein Ende nehmen. Aber der Doktor hatte auch eine Vorrichtung angebracht, den Aufzug auf Wunsch zum Halten zu bringen. Ein feiner Zwirnsfaden führte griffbereit an allen Fahrkammern vorbei. Zog man an dem Zwirnsfaden, dann blieb das Paternosterwerk stehen. Zog man ein zweites Mal, so setzte sich das Werk wieder in Bewegung. Es war zu putzig. Begeistert klatschten die Kinder in die Hände.

Entzückt bestaunten die beiden das Puppenspielzeug und fanden kaum Worte genug, um dem Doktor ihre Anerkennung auszusprechen.

Stillvergnügt erfreute sich der Doktor an dem Staunen der Kinder, dann erst erklärte er:

»Heute möchte ich euch meinen kleinen Zoo am Küchenherd zeigen. Damit ihr – wenn ihr winzigste kleine Zwerglein seid – gut auf den Küchenherd hinaufkommt, und den Sims des Herdes erklettern könnt, ja auf eurer Reise bis dicht unter die Küchendecke kommt, habe ich diesen Aufzug gebaut. Paternoster sagt man, wie ihr wißt, zu solcher Einrichtung. Die Geschichte mit der Strickleiter im Keller war mir doch im Zwergenstadium zu umständlich.«

»Was sind denn hier für Tiere am Küchenherd?« fragte Traute schüchtern. »Später, Traute, wir haben jetzt keine Zeit zu langen Unterhaltungen«, antwortete der Doktor. »Es will dunkel werden. Obwohl sich alle diese Tiere erst im Dunkeln zeigen, da es sämtlich Nachttiere sind, möchte ich doch schnell aufbrechen, damit wir uns ein Tier noch im Hellen ansehen können. Drum schnell. Hier sind die drei Liliputlampen, hier sind die drei Däumchengewehre, man kann nie wissen, sicher ist sicher. Und hier ist die Wunderflasche. Nun schnell getrunken.«

Wie immer, tranken die Kinder und auch der Doktor einen genau abgemessenen Schluck aus der Zauberflasche. Im Handumdrehen schrumpften die drei zusammen, bis sie so groß wie Fliegen waren. Dann ergriff jeder sein Gewehr und seine Laterne. Der Doktor eilte zuerst zum Paternoster, doch ehe er einstieg, sagte er zu den Kindern: »Ich will zuerst einsteigen, weil ich da oben Bescheid weiß. Wir fahren direkt bis unter die Zimmerdecke. Verstanden? Hinter mir in die nächste Fahrkammer steigt Trautchen ein. Du bist ihr dabei behilflich. Oben werde ich der Traute beim Aussteigen behilflich sein. Zum Schluß steigt Dieter ein. Also bis oben zur Zimmerdecke, nicht wahr, nicht vorher aussteigen. Wenn ihr den Ausstieg oben versäumen solltet, dann braucht ihr keine Angst zu haben, daß ihr kopfstehen müßtet. Nein, ihr könnt dann die ganze Rundfahrt getrost – wie bei einem großen Paternoster – noch einmal machen. Das ist völlig ungefährlich. Also nur keine Aufregung. Und wenn wirklich irgend etwas nicht in Ordnung sein sollte, hier am Seil ziehen, dann steht der ganze Laden still.« Der Doktor setzte das Uhrwerk in Gang, dann sprang er sicher in die erste Fahrkammer. Die nächste war für Trautchen bestimmt. Dieter half beim Einsteigen, es klappte alles vorzüglich. Nun stand Dieter allein auf dem Fußboden. Er sah, wie der Doktor und Traute langsam nach oben schwebten. Aber er hatte keine Zeit, die beiden weiter zu beobachten. Er durfte seine Fahrkammer nicht versäumen. Es waren zwar noch sehr viele da, aber der Doktor hätte sich um ihn geängstigt, wenn er nicht mit der nächsten erschienen wäre. Jetzt kam seine Fahrkammer an. Sicher und elegant sprang er hinein. In der einen Hand hielt er seine Laterne, sein Gewehr hatte er sich um die Schulter gehängt, und mit der anderen Hand griff er zu.

Jetzt schwebte auch er langsam empor. Zuerst ging es an den weißen Kacheln des Küchenherdes entlang. Sind die Kacheln groß. Jetzt endlich war die Höhe des Herdes erreicht. Dort standen die Kochtöpfe wie große Gasbehälter, aber es ging weiter, hoch über alle Kochtöpfe hinweg und immer höher. Dort war auch das Ende des Herdsimses. Staub lag da oben, nicht zu glauben. Der Doktor hätte hier oben auch mal Staub wischen sollen. Bald lag der gesamte Herd tief unter ihm, und es ging immer höher, immer noch höher an der weißen Wand empor. Dort war schon das Brett zum Aussteigen zu sehen. Achtung, Endstation! Direkt unter der Decke. Der Doktor und Traute standen schon bereit auf der Holzgalerie. Ein Sprung, ein Schritt, nun war auch Dieter wohlbehalten oben.

Traute wagte kaum, hinunterzuschauen, so tief lag unter allen der Abgrund der Küche. Aber der Doktor sagte: »Kinder, wir müssen uns beeilen, es wird bald dunkel, und ich will meine Hausspinne noch im Hellen sehen.«

Dieter zog eine Schippe. »Ach, schon wieder eine Spinne? Spinnen haben wir doch schon so oft gesehen.« Der Doktor wurde ärgerlich: »Ihr denkt wohl, Spinne ist Spinne! Da habt ihr euch aber gewaltig geirrt. Schon wie die verschiedenen Spinnen ihr Netz bauen, ist sehr interessant zu verfolgen. Die Kreuzspinne baut ein Radnetz, die Kellerspinne baut Röhren, und hier, die Hausspinne, seht ihr, die baut eine richtige Hängebrücke.«

Die drei waren auf ihrer Holzgalerie bis zur Ecke gekommen. Und nun sahen sie, daß sich hier eine Spinne mit ihren Fäden eine gewaltige Hängebrücke gebaut hatte. An einem Ende war eine trichterförmige Vertiefung angebracht, und da drinnen wohnt die Hausspinne, auf Beute lauernd. Die Spinne war gewaltiger als die Zwerge in ihrer Fliegengröße. Der gelbe Körper hatte braune Streifen. Die Beine waren schwarz und gelb geringelt. An ihrer Stirn hatte sie acht Punktaugen und nicht sechs, wie die Kellerspinne; die Punktaugen waren auch nicht in einer Reihe angeordnet.

Als sie noch so beim Betrachten waren und das Bauwerk bewunderten, kam eine Fliege angebraust. Der Doktor fuchtelte wild mit seinem Gewehr herum, um die Fliege zu verscheuchen. Aber die Fliege war kühn und ließ nicht locker. Dieter dachte, die Stubenfliegen sind doch sonst nicht so tapfer. Frech, ja, das sind sie, aber tapfer? Der Doktor fuchtelte immer mehr mit seinem Gewehr herum, Dieter wollte schon anlegen, da kam die Fliege dem Spinnennetz zu nahe, und nun zappelte sie im Spinnennetz. Traute wollte die arme Fliege befreien, aber der Doktor hinderte sie daran: »Das ist nämlich keine Stubenfliege, das ist ein Wadenstecher ...« Weiter kam der Doktor nicht. Denn in diesem Augenblick stürzte die Spinne aus ihrem Trichter heraus und machte sich über die Fliege her. »So, jetzt ist es aus mit dem Saugen und Stechen, du böser Wadenstecher«, murmelte der Doktor. Während die Kinder dem Spinnenmahl zusahen, hatte der Doktor wieder etwas zu erklären: »Schaut genau hin, Kinder, die gewöhnlichen Stubenfliegen haben einen Rüssel, den sie nach unten neigen. Der Wadenstecher da hat aber einen spitzen Stechrüssel, den er immer waagerecht zum Kopfe hält. Auch trägt er seinen Kopf höher als die Stubenfliege, die ihren Kopf immer nach unten hängen läßt. Wenn die russischen Bauern schlafengehen, sollen sie im Bett immer die Fliegen totschlagen, die ihren Kopf nach oben halten. Die andern lassen sie leben, die stechen nicht.«

Traute sagte: »Ich dachte, es gibt unter den Stubenfliegen etliche, die stechen, und andere, die nicht stechen. Die bösen Stecher sind also gar keine Stubenfliegen.« Und sinnend fuhr sie fort: »Es schadet dem bösen Wadenstecher gar nicht, daß er jetzt im Netze hängt.«

Der Doktor erzählte weiter: »Die Wadenstecher legen ihre Eier meist in Pferdemist, Kuhmist haben sie nicht so gern. Im Mist entwickeln sich die Eier des Wadenstechers genau so, wie die Eier der Stubenfliege. Nur dauert die Entwicklung etwas länger. Dafür gibt es auch weniger Wadenstecher.«

»Gott sei Dank«, warf Dieter dazwischen. Langsam wurde es dunkler, und der Doktor drängte: »Wir müssen jetzt hinunter. Es ist besser, wir benutzen das Paternosterwerk noch solange es hell ist.

Also auf zum Fahrstuhl!«

Die drei setzten sich in Bewegung, stiegen ein, und stiegen am Sims des Küchenherdes wieder aus, so wie es der Doktor gesagt hatte. Der Sims lag voller Staub. Bis zu den Waden reichte der trockne Schmutz, und die drei mußten mühsam hindurchwaten. Hätte der Doktor doch nur Staub gewischt. Er dachte doch sonst immer an alles. Man kam ja kaum vorwärts. Aber halt, mitten im Staub gab es ja freie Straßen, die man besser begehen konnte. Hier hatte der Doktor beim Arbeiten an seinem Paternoster zufällig mit seinen Fingern entlanggewischt, und so entstanden die staubfreien Straßen, die die drei jetzt benutzten. Ein wahres Glück, denn in dem knietiefen Staub wäre man nicht so leicht vorwärtsgekommen.

Es war ein langer Weg, und der Doktor erzählte unterwegs noch etwas von seinen Spinnen: »Da gab es einmal einen berühmten Astronomen, der hieß Mädler. Als Kind sagte er schon zu seinem Vater, daß er später Naturforscher werden wolle. Aber der Vater war mit dem Plan nicht einverstanden. Künstler und Naturforscher sind Hungerleider, meinte er abweisend. Beide Berufe bringen kein Geld ein, es sind brotlose Künste. Um den Jungen von seinem Plan abzubringen, sagte er, daß Naturforscher keinen Ekel kennen dürften, z.B. müßte ein zünftiger Naturforscher tapfer Spinnen essen können, so wehrte der Vater mit einer Notlüge ab. Aber er hatte nicht mit dem festen Willen seines Sohnes gerechnet. Bald darauf trat der kleine Mädler mit einer Butterschnitte vor seinen Vater, auf der dicht nebeneinander als Belag Spinnen und Spinnen lagen. Tapfer biß der Junge in das Brot, verzog keine Miene und sagte, daß er doch Naturforscher werden wolle. Gegen solche tapfere Gesinnung konnte der Vater nicht mehr ankämpfen. So wurde aus dem zielbewußten Mädler später ein berühmter Astronom.«

Traute schüttelte sich vor Ekel, aber der Doktor fuhr fort: »Kinder, dieser Spinnenfraß steht gar nicht so vereinzelt da. Man glaubte früher, daß ein Spinnengericht ein gutes Mittel gegen Wechselfieber sei. Damals haben sich auch Kranke tote Spinnen aufs Butterbrot gelegt. Das war eine Kur, nein, dann schon lieber Lebertran. Einmal beobachtete ich einen Kutscher, der auf die Wunden seines Pferdes gesammelte Spinnenweben legte. Er schwor Stein und Bein, daß Spinnenweben ein blutstillendes Mittel seien. Es gibt schon komische Käuze. Kennt ihr übrigens das Märchen von der Entstehung der Spinnen? Da lebte im Altertum eine begnadete Spinnerin, eine griechische Jungfrau. Sie konnte so kunstvoll spinnen, daß die Götter neidisch wurden. Die Künstlerin hieß Arachne. Auf sie wurde die Göttin Athene, gleichfalls eine gute Spinnerin, zornig. Die Göttin forderte das Menschenkind zum Wettbewerb heraus. Arachne schreckte nicht davor zurück, mit der hohen Göttin Athene um die Wette zu spinnen. Und sie spann so kunstvoll, so überzeugend, daß alle sagen mußten, die Gewebe der Arachne seien, bei allem schuldigen Respekt vor Göttern, doch schöner als die Gewebe der Athene. Das konnte die Göttin nicht ertragen. Maßlos vor Neid und Zorn schlug sie die anmaßende Arachne und verwandelte sie in eine häßliche Spinne. So kam nach der Sage die Spinne auf die Welt. Die Griechen benannten die Tiere nach dem Namen der unglücklichen Arachne, und heute noch nennt die Wissenschaft die Spinnen Arachnoiden.«

Der Doktor erzählte und erzählte, die drei gingen auf dem Sims vorwärts, und das Tageslicht nahm immer mehr ab. Aber noch konnte man sehen. Plötzlich unterbrach Doktor Kleinermacher seine Wanderung und hielt an. Er hatte am Tage ein paar Eier eines Ohrwurms gefunden, säuberlich gesammelt und auf den Sims niedergelegt. Dann fand er auch Mutter Ohrwurm und setzte sie in die Nähe der Eier aus. Kaum hatte Frau Ohrwurm ihre Eier erblickt, als sie sie auch schon zu einem Häufchen sammelte und sich über die Eier legte, als ob sie diese ausbrüten wollte. Oft sagt man tatsächlich, daß die Ohrwürmer ihre Eier ausbrüten. Es ist wohl aber mehr ein Schutz der Mutter, wenn sie sich darüber legt. Ihre Eier sollen von niemandem beschädigt und geraubt werden, drum legt sich Frau Ohrwurm wie eine Henne über ihre zukünftigen Kinder. Denn selbst der Vater, der ja die Eier nicht kennt, würde sie als Nahrungsmittel schätzen und sie fressen, wenn er sie fände. Darum drängt auch das Weibchen, wenn es Eier legen will, das Männchen aus der gemeinsamen Wohnhöhle. Seine »brütende« Ohrwurmmutter wollte Doktor Kleinermacher den Kindern zeigen.

Die Kinder wußten schon längst, daß Ohrwürmer keine Würmer sind, sondern Insekten, Verwandte der Schaben, Heimchen und Termiten, sogenannte Geradflügler. Denn auch die Ohrwürmer haben Flügel, die sie mit ihren beiden Zangen vor dem Fluge öffnen. Aber die Ohrwürmer fliegen selten, die meisten haben das ganz verlernt. Daß die Ohrwürmer in die Ohren krabbeln, dort das Trommelfell mit ihren Zangen aufbeißen und sich bis ins Gehirn durchfressen, das glaubten die Kinder schon lange nicht mehr. Die Gespräche mit dem Doktor Kleinermacher hatten sie längst aufgeklärt. Erstens fühlen sich die Ohrwürmer im Ohr nicht wohl, das Ohrenschmalz ist ihnen recht peinlich, und dann sind die Zangen viel zu schwach, um das Trommelfell durchzukneifen. Die Ohrwürmer benagen vorwiegend Obst und Gemüse, sie wagen sich aber auch an Dahlien-, Nelken- und Veilchenblüten, zum Ärger der Gärtner. Sie fressen allerdings auch Blatt- und Blutläuse, Raupen und Obstmaden. Was nützt es jedoch, wenn sie hin und wieder ein paar Blattläuse töten; damit gleichen sie den Schaden, den sie den Pflanzen und damit Gärtnern zufügen, nicht aus.

Jetzt standen die drei vor der »brütenden« Ohrwurmmutter. Aber was ist denn das? Aus den Eiern krabbelten ja schon die Larven lustig heraus? Ob sich die Mutter über ihre vielen kleinen Kinder freute? Der Doktor wurde traurig, als er an das weitere Schicksal der Mutter dachte. Denn sie würde – so will es das Geschehen – ihr Mutterglück nicht lange erleben. Im ersten oder zweiten Larvenstadium der Kleinen pflegt die Mutter zu sterben, um dann als bequem liegender Nahrungsballen von den eigenen Kindern gefressen zu werden. Sie finden dann dankbar, daß das Mutterfleisch herrlich schmeckt, und daß für den ersten Hunger im neuen Leben gut gesorgt ist.

Auch den Vater Ohrwurm hatte der Doktor vorher eingefangen, damit die Kinder das männliche Tier genau beobachten konnten. Aber damit der herzlose Vater die brütende Mutter nicht störe, hatte der Doktor den Herrn Ohrwurm fern von der Mutter in einer Streichholzschachtel abgesetzt. Beim Betrachten der Larven hörten die drei plötzlich ein Geräusch. Sie blickten auf und sahen ... es war schrecklich ... den Papa Ohrwurm, der sich befreit hatte in unmittelbarer Nähe, so daß der Doktor um das Leben der Kinder fürchtete. Er fuchtelte wild mit seinem Gewehr herum, um den Ohrwurm abzuschrecken. Damit erreichte er aber nur, daß sich der Ohrwurm auf hinterlistige Weise verteidigte. Er drückte eine Dunstwolke hervor, die einen häßlichen Gestank verbreitete. Es roch plötzlich wie in einem Krankenhaus nach Karbolsäure. Der Doktor erklärte nachher, daß auch etwas Kreosol dabei gewesen wäre. Aber die Kinder hatten zu chemischen Betrachtungen keine Zeit und rannten zurück. Auch der Doktor mußte weichen, er konnte den Gestank nicht aushalten. Jedoch auch der Ohrwurm hatte genug. Denn von Geburt sind die Tiere nicht tapfer. Er wollte schnellstens zurück. Dabei kam er unglücklicherweise dem Rand des Simses zu nahe, so daß das Tier in die bodenlose Tiefe abstürzte und knallend unten auf die Herdplatte prallte. Die Kinder dachten, jetzt sei der Vater Ohrwurm tot. Aber der Doktor wußte mehr von dem zähen Leben dieses Tieres. Auf der Herdplatte krabbelte der Ohrwurm weiter als sei nichts geschehen.

Lange sahen die Kinder der Marschroute auf dem Herd zu, sich etwas über den Rand des Herdsimses beugend. Aber dann brach die Dunkelheit herein, so daß sie kaum noch etwas erkennen konnten. Nun ließen sie ihre winzigen Laternen leuchten, um nicht gleich dem Ohrwurm in die Tiefe zu sausen. Mitten im Beobachten hörten sie einen freundlichen Ton. Zirp! zirp! zirp! so tönte es immerzu. Traute jubelte auf: »Das ist ja ein Heimchen, ein Heimchen am Herd. Au fein, das muß ich sehen. Führe uns hin, Doktor, bitte, bitte.«

Das Heimchen saß auch auf dem Sims. Die drei hatten wieder zu wandern, sie liefen immer dem Zirpen nach. Der Doktor ging auf der Staubstraße voraus, leuchtete, und erzählte dabei. »Ja, Kinder, ein Heimchen am Herd, das ist so etwas für Dichter. Übrigens, der große englische Dichter Charles Dickens hat das Wort vom ›Heimchen am Herd‹ erfunden. Die Hausgrillen oder Heimchen lieben wirklich die Wärme, darum sind sie so oft am Küchenherd zu finden. Es sind nahe Verwandte der Schaben, der schrecklichen Schaben. Aber fürchtet euch nicht, so zahlreich wie die Schaben treten die Heimchen nicht auf. Sie sehen auch den Heuschrecken ähnlicher als den Küchenschaben. Nur können sie nicht springen, sie müssen laufen, das aber können sie sehr gut. Ich habe oft versucht, ein Heimchen mit den Händen zu fangen, immer wieder sind mir die kleinen Dinger entwischt.«

»Mit den Flügeln machen sie ihre Geräusche, so ungefähr wie die Heuschrecken. Die Spanier lieben die Heimchen so sehr, daß sie die Tiere in Käfigen halten, um den zirpenden Gesang immer um sich zu haben. Aber zwei Heimchennebenbuhler können auch gut miteinander kämpfen. Das beobachten die Spanier besonders gern und veranstalten sogar Heimchenkämpfe mit Wetten.«

»Zu der Familie der Grillen gehört auch die Maulwurfsgrille, die wir seinerzeit im Bau des Maulwurfs angetroffen haben. Etwas Merkwürdiges von den Heimchen muß ich euch noch erzählen. Nur die Männer zirpen. Und die Weibchen hören den Gesang, der für sie bestimmt ist, mit ihren Ohren, die im Vorderbein untergebracht sind. Ist das nicht merkwürdig?«

Der Doktor ging erzählend weiter. Oftmals unterbrach er sich, um den Weg besser finden zu können. Immer näher kamen sie plaudernd dem Zirpen, bis sie im schwachen Schein ihrer Laternen das Heimchen erkannten.

Da saß der lederbraune Geselle und geigte sein Liebeslied durch die große Küche. »Zirp! zirp! zirp!« Das sollte heißen: »Ist hier irgendein Weibchen? Komm: zu mir geliebtes Fräulein Heimchen. Ich habe große Sehnsucht nach dir!« Aber es kam kein Weibchen. Dafür antwortete von irgendwoher ein anderes Zirpen. Das Zirpen wurde herausfordernder und kühner. Es meldete sich ein Nebenbuhler, der auch ein Weibchen haben wollte! Unerhört! Ob wirklich ein Heimchen zuviel in der Küche war, das sein Leben lassen mußte? Jetzt kam der Konkurrent angelaufen, die beiden Heimchenmänner krachten zusammen und verbissen sich ineinander. Der Kampf war kein Sport, der Kampf war Ernst, blutiger Ernst. Die beiden Körper wälzten sich im Staub, prasselten zusammen und verwundeten sich gegenseitig. Es war ein Kampf auf Leben und Tod um eine nicht einmal anwesende Heimchenfrau. Endlich hatte ein Gegner genug. Arg verstümmelt, etlicher Glieder beraubt, humpelte der Besiegte ab. Aber der Sieger sah auch nicht viel besser aus. Voller Stolz jedoch zirpte er weiter sein Liebeslied durch die große Küche: »Zirp! zirp! zirp!«

Vorsichtig, mit schußbereiten Gewehren, zogen die drei an dem Heimchen vorüber. Aber der verliebte Galan beachtete die Menschenkindlein gar nicht. »Zirp! zirp! zirp!« »Wo bist du, unbekannte Geliebte? Komm her, ich warte auf dich.«

Die drei eilten die Staubstraße auf dem Herdsims entlang, dem Paternoster zu. Der Doktor wollte auch der eigentlichen Herdplatte noch einen Besuch abstatten. Er vermutete dort eine große Versammlung von Tieren. Also rasch zum Paternoster.

Im Dunkeln, Licht nur von ihren Laternen erhaltend, mußten die drei weit vorsichtiger den Aufzug betreten. Schaurig war die Fahrt durch das Dunkel abwärts, der Ausstieg auf der Herdstation erforderte größte Aufmerksamkeit. Aber es klappte alles gut, so daß die drei bald auf der Herdplatte standen und große braune und schwarze Steilwände beleuchteten, die im gewöhnlichen Leben zu Kochtöpfen gehörten.

Vorsichtig gingen sie zwischen den Kochtopfwänden vorwärts. Die Laternen beleuchteten ihnen den Weg. Als Traute an einer Rinne stolperte, wäre beinahe ihre Laterne entzweigegangen. Aber Dieter fing die Stolpernde noch im letzten Moment geschickt auf. Zwischen zwei Herdringen – wie sich bei eingehender Besichtigung herausstellte. Weiter vorwärts! Der Doktor hatte keine Zeit und drängte zur Eile.

Endlich sahen sie, was der Doktor sehen wollte. Mit affenartiger Geschwindigkeit huschten Schaben über die Herdplatte, Schaben in allen Größen. Die Schaben wachsen nämlich unaufhörlich, sie bleiben ausgewachsen nicht zeitlebens gleich groß, wie etwa Fliegen und Käfer. Das Weibchen setzt nicht einzelne Eier in die Welt, sondern immer ganze Eierpakete. Jedes Paket enthält 6 bis 48, am häufigsten so um 16 Eier. Lange baumeln die Eipakete oft aus dem Hinterleib heraus, manchmal eine Woche, manchmal auch zwei Wochen, bis sie abgeladen werden. Und das ereignet sich mehrmals im Jahr! Die Schaben kennen kein Puppenstadium wie Fliegen, Schmetterlinge, Käfer und die anderen Insekten. Die Schaben wachsen fortwährend und häuten sich oft, wenn ihnen ihre alte Haut zu eng geworden ist. Darum gibt es, wie die Kinder jetzt sahen, Schaben in allen Größen.

Der Doktor war den Schaben offenbar noch nicht nahe genug und ging vorsichtig und langsam den Tieren immer näher. Zögernd folgten ihm die Kinder. Jetzt sahen sie eine große, runde Dose, innen mit Schwarzem gefüllt. Wie verrückt drängten die Schaben nach jener Dose. Das schwarze Zeug mußte ihnen schmecken, denn ihr Eifer, zur Dose zu gelangen, war wirklich groß.

Plötzlich ging dem Dieter ein Licht auf. Bei den ungewohnten Größenverhältnissen hatte er die Dose nicht sofort erkannt. Aber jetzt war ihm alles klar. Die große Dose mit dem schwarzen Fett war eine Dose mit – Stiefelwichse! Daß er das nicht gleich gesehen hatte. Laut mußte er lachen. Stiefelwichse als Delikatesse für Schaben! Das war ja auch wirklich ... Der Doktor hatte das Zeug absichtlich hingestellt, um die Schaben anzulocken.

Aber war da seitlich nicht ein noch größeres Gewimmel? Was hatte denn der Doktor da hingestellt? Das mußte man aus der Nähe besehen. Hin! Auf einem flachen Becken war irgendeine Flüssigkeit ausgegossen. Die Schaben drängten sich wie toll nach jener Flüssigkeit und tranken und tranken, und wer genug hatte, zog schwerfällig und müde ab. Die Schaben sind im allgemeinen schnelle Läufer, Rekordrenner. Aber hier zogen sie so plump und torkelnd ab, daß Dieter die Vermutung aussprach, der Doktor habe irgendein Gift hingestellt. Das roch ja auch so eigenartig, so nach ... war das nicht Bier? Richtig, der Doktor hatte etwas Bierneige auf jene flache Schüssel gegossen, die im gewöhnlichen Leben eine Untertasse war. Und die Schaben tranken die Bierneige wie versessen. Wenn sie genug hatten, dann aber waren sie ... beschwipst. Dieter meinte burschikos, das seien besoffene Schaben. Traute aber erwiderte vorwurfsvoll, so spreche man nicht. Die Schaben hätten einen Schwips, das höre sich besser an. Bei dem Worte Schwips stieß sie leicht mit der Zunge an, und das hörte sich so etwa wie Swips an. Reizend konnte Traute manchmal sprechen.

Das Lachen verging den Kindern aber bald. Denn die Schaben fühlten sich durch die drei winzigen Menschenkinder irgendwie beobachtet und kamen ihnen immer näher. Die großen unheimlichen Wesen drangen immer dichter auf sie zu. Aus dem Maul tropfte ihnen ein dunkler Saft, der einen ekelhaften Gestank verbreitete. Jetzt war es Zeit, sich zu wehren. Schnell entschloß sich der Doktor, von den Jagdgewehren Gebrauch zu machen.

Da kam aber Bewegung in das Gewimmel der Schaben! Wie die Blitze rannten die Tiere davon, schneller kann keine Eisenbahn fahren. Die Menschenkinder fanden nicht einmal Zeit, zum zweiten Male zu schießen. Obgleich jeder schwor, daß er ein Tier getroffen habe, blieb nicht eine Leiche auf dem Schauplatz liegen. Schaben haben ein zähes Leben. Sie können die schwersten Verwundungen ertragen und rennen doch noch fort, wie ein geölter Blitz.

Da standen nun die drei allein auf der Platte des Herdes, mitten zwischen den Kochtopfgebirgen, und kein Tier ließ sich sehen. Nur von weitem hörten sie noch das Geschrei des Heimchens: »Zirp! zirp! zirp! Ich suche ein Weibchen, Geliebte, hörst du mich, ich warte dein!«

Der Doktor unterbrach die dunkle Stille der Küche: »Kinder, ich glaube, es wird Zeit. Wenn wir größer geworden sind, dann können wir unseren Aufzug nicht mehr benutzen. Also fertigmachen zur Abfahrt!«

Bald erreichten sie den Aufzug, stiegen nacheinander ein und schwebten langsam in die unheimliche dunkle Tiefe an den weißen Kacheln des Herdes vorbei, bis sie unten am Erdboden ausstiegen. Hier stellten sie ihre Laternen ab, behielten aber die Gewehre in den Händen, setzten sich auf ein abgebranntes Streichholz am Boden und warteten auf ihr Wachstum.

Der Doktor verkürzte die Zeit mit Erzählen: »Das sind alles nahe Verwandte, die Schaben, die Heimchen und Ohrwürmer. Die berühmten Termiten gehören auch dazu. Man nennt sie in der Wissenschaft Geradflügler, denn auch die Schaben haben Reste von Flügeln. Früher gab es in Deutschland nur die kleine braune Hausschabe. Wie die Forscher sagen: Blatta germanica. Ihr kennt sie unter den Namen Russen oder Franzosen. Die Deutschen nannten sie Russen, weil sie meinten, von dorther seien die Tiere gekommen. Die Russen dagegen behaupteten, nach dem Siebenjährigen Kriege hätten die russischen Soldaten sie aus Preußen mitgebracht ...

Fest steht jedenfalls, daß nach den Kreuzzügen eine größere schwarze Sorte aus dem Orient kam. Die Kreuzritter sollen sie eingeschleppt haben. Periplaneta orientalis nennen die Wissenschaftler jene noch größer werdenden Schaben. Wie die Wanderratten die kleineren Hausratten verdrängten, so verdrängten die Türken oder Kakerlaken die kleineren deutschen Schaben. Die deutschen Schaben verließen allmählich die Häuser und hielten sich bald zum Teil nur noch in der freien Natur auf. Wie die Wanderratten machten die Türken sich sogar auf den Schiffen breit und segelten in alle Welt.

Dann aber kamen aus Amerika und Südasien noch größere Schaben. Diese Tiere nennen die Wissenschaftler Periplaneta americana und Periplaneta australasiae. In Hafenorten sind sie bereits sehr zahlreich, sogar im Inlande, besonders in Bäckereien und Brauereien, sind sie auch schon zu finden.

Die Schaben fressen alles, was sie anknabbern können. Es sind gleichsam die Ratten unter den Insekten. Sie fressen Schuhzeug, Weißbrot, Bierneigen, Stiefelwichse, besonders gern auch Papierkleister. In heißen Ländern sind sie eine wahre Pest. Die Fußböden der Küchen scheinen zu laufen, in solchen Mengen laufen sie dort oft herum. Hat man beim Abendbrot etwa einen Fleck auf den Rock gemacht, so kann es einem passieren, daß die Kakerlaken nachts diesen Fleck ›sauber‹ aus dem Rock herausfressen. Ja, schlafenden Menschen sollen sie sogar schon Blasen an den Füßen aufgebissen haben. Die Länge ihres Daseins richtet sich nach der Wärme des Ortes, an dem sie leben. In heißen Ländern sind sie in einem Jahre, bei uns in etwa drei bis vier Jahren erwachsen und feiern Hochzeit. Aber sie haben auch Feinde, die Tiere. Sie werden von bestimmten Schlupfwespen gepeinigt, selbst von winzigen Bewohnern ihres eigenen Darmes.

Etwas muß ich euch noch erzählen.

Der große Dichter Chamisso, ihr wißt, der den Peter Schlehmihl geschrieben hat, war einst auf einer großen Seereise. Mitten in der Südsee wollten die Köche ihre Lebensmittelpakete aufmachen, in denen Reis und Getreide sein sollte. Als sie die Bündel öffneten, war aber weder Reis noch Getreide zu finden, sondern nur Schaben, nichts als Schaben, die die Vorräte aufgefressen hatten.«

Traute schüttelte sich, und auch dem Dieter war nicht ganz wohl bei der Vorstellung, statt Reis etwa einmal Schaben vorzufinden. »Wie groß sind denn eigentlich die Kakerlaken?« »Bis ungefähr 4 cm lang«, sagte der Doktor, »aber die sogenannten Riesenschaben aus Amerika und Südasien werden 5 cm lang und noch länger ...«

Der Doktor wollte weitererzählen. Aber die drei hatten ganz vergessen, daß sie auf etwas warteten, nämlich auf das Größerwerden, und jetzt meldete sich das Prickeln. Laternen und Gewehre schrumpften immer mehr zusammen. Wie Glühwürmchen sahen jetzt die Laternen aus. Bald hatten die drei die Größe des Küchenherdes erreicht, und dann wuchsen sie sogar über den Küchenherd hinaus. Aus der dunklen, unheimlich großen Höhle wurde wieder die kleine unscheinbare Küche.

Der Doktor machte Licht und begleitete die beiden Kinder nach Haus. »Es wird ja immer später bei unseren Ausflügen, eure Eltern werden böse sein. Jetzt aber schleunigst ins Bett. Und in ein paar Tagen sehen wir uns wieder. Vielleicht gibt's dann noch etwas Nettes in meinem Haus-Zoo zu entdecken. Wer weiß ...« Pfiffig lächelnd verabschiedete sich der gute Doktor Kleinermacher, so daß die Kinder erwartungsvoll einschliefen.


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