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Die Aufregung, die Urica durch die Erlebnisse des erwähnten Tages erfahren, schien wunderbarer Weise einen glimmenden Lebensfunken in ihr angefacht zu haben; denn sie hatte an Kräften anscheinend zugenommen, ihre Theilnahme hatte wieder die Feinheit und Schärfe der Beobachtung gewonnen, welche ihren Umgang für Alle, die ihn genießen durften, so belohnend, so nützlich und wohlthuend machte.
Nach der Abreise des Königs nach Scheveningen, welcher Lord Montrose noch beigewohnt, und nachdem ihm die Briefe desselben von ihm selbst eingehändigt worden waren – eilte er nach dem kleinen Jagdhause zu seiner geliebten Pflegemutter zurück.
Er fand sie zwar auf ihrem alten Platz, aber nicht mehr allein, denn zu ihren Füßen saß Floripes wie eine geknickte weiße Rose, und beide Frauen weinten über den Tod der edlen Frau von Marseeven.
Als Lord Harry zu ihnen trat, blickten sich die jungen Leute wie alte Bekannte an, und Floris reichte ihm die Hand und lächelte ihn durch ihre Thränen an.
So blaß, wie Floripes heute war, und so belebt, wie Urica erschien, waren Beide sich näher gerückt, und trotz der Veränderungen, denen Urica's Schönheit unterworfen gewesen, war die Aehnlichkeit so auffallend, daß Lord Harry sich auf's Neue darin vertiefte.
Urica forderte Floris auf, dem jungen Lord von dem Besuch des Königs bei Marseeven zu erzählen. Der König hatte nämlich auf dem Balle die Nachricht von dem Tode der edlen Frau erhalten, und plötzlich war er unter der trauernden Gruppe der Kinder, die weinend vor ihrem Vater auf den Knieen lagen, erschienen und hatte eine so wahre und rührende Teilnahme gezeigt, daß ihm Aller Herzen ergeben wurden. Er war dann zu dem Sterbebette getreten, neben dem Alle versammelt waren, hatte die schöne Leiche lange betrachtet und dann von dem betäubten, trostlosen Gatten den Segen eines Vaters gefordert und sich von ihm getrennt wie ein Sohn.
Es war in dieser weichen, schwermüthigen Stimmung der armen Floripes so viel Ansprechendes für Lord Harry, dessen eigne Neigung immer dieser Richtung folgte, daß kein Zustand der Dinge vermocht hatte, die beiden jungen Leute in ihrer Sympathie für einander mehr zu befestigen. Dazu kam, daß Nees von Floripes Schmerz über den Tod der guten Frau von Marseeven so erschreckt worden war, daß er leichter, wie gewöhnlich, in Hoofts Vorschlag willigte, das arme Mädchen aus ihrer Haft zu entlassen, und da Herr von Marseeven mit dem düstersten Egoismus des Schmerzes seine beiden verlobten Töchter, die einzigen unversorgten Kinder, die ihm noch geblieben, unerbittlich von sich entfernt und zu ihren verheiratheten Geschwistern verwiesen hatte, um an dem Sarge seiner Gattin, für Jeden unzugänglich, die Todtenwache selbst zu halten, mußte auch die arme Floripes mit ihren Thränen an dieser Schwelle umwenden. Sie kannte dann freilich keine tröstlichere Stelle, als das kleine Jagdhaus, worin sie mehr fand, als sie erwartete – neben William den Sohn Montrose's.
Mit großer Gemüthsbewegung hörte sie hier von der Abreise Beider, welche ihnen nur wenige Tage des Beisammenseins gönnen sollte, und es lag vielleicht in der drängenden Nähe dieser Trennung, daß die Annäherung sich leichter machte, Lord Harry, von dem neuen Zustand seines Innern belebt, Muth dazu faßte, Floripes durch das geschwisterliche Verhältniß zu William immer zu Lord Harry mit hingezogen wurde.
Obwohl Urica durch einen Brief an die Königin von England, den Harry ihr geben sollte, am ersten Tage des ruhigen Beisammenseins Aller zuweilen von ihren Lieben abgezogen wurde, behielt sie doch ein durch Liebe geschärftes und beobachtendes Auge für Lord Harry, dessen Charakter so viel als möglich zu ergründen, ihr eine Pflicht schien, um den bösen Einfluß, unter welchem dieser junge, biegsame Baum sich schon gebeugt hatte, so weit es sich thun ließ, noch von ihm zu nehmen.
Sie wurde fast bezaubert von den schönen Eigenschaften des Geistes, die sich ihr unübersehbar entgegen drängten, und fühlte sich doch entsetzt von der Befürchtung, die ihr sein Charakter einflößte – dieser Charakter, in welchem neben den edelsten, liebenswerthesten Eigenschaften die gefährlichsten Elemente der Schwäche, des Mißtrauens gegen sich und Andere, einer selten hervortretenden, aber dennoch vorhandenen grausamen Heftigkeit und einer träumerischen, zur Einsamkeit und zum Menschenhasse führenden Indolenz lagen.
Sie mußte sich sagen, daß all' diese Eigenschaften ihn in Gefahr brachten, ein Spielwerk zu werden in der Hand derer, welche diesen Fehler erkannten und Scharfsinn genug anwendeten, dieselben sich untereinander beherrschen zu lassen.
Seine Kenntnisse waren ungewöhnlich und sein Geschmack durch Kunstbildung verfeinert und veredelt. Wenn er seine vorherrschende Schweigsamkeit überwand, war seine Unterhaltung gewählt, voll Geist und Urtheil; aber es war leicht zu fühlen, wie er sich diesen Anforderungen lieber entzog und in ein träumerisches und müßiges Zuhören versank. Kam er aber dahin, sein Herz vor Urica allein auszuschütten, so war es ihr, als müsse sie bittere Thränen weinen über die unwiderruflich begrabene Jugend dieses Herzens, das keine Kraft hatte und keine erwecken wollte, um dem Leben eine andere als trübe Seite abzugewinnen.
Der zweite Tag und der letzte vor der Abreise beider jungen Leute sollte ihr aber eine noch viel nachhaltigere Sorge geben, denn sie sah plötzlich Harry und Floripes völlig verändert, und während Harry das Feuer, das Leben und die Heiterkeit bekommen hatte, die auf dem Boden seiner Gemüthsanlagen nicht entsprossen sein konnten, war Floripes aus ihrer gleichmäßigen Haltung, ihrer natürlichen Unbefangenheit völlig verdrängt und zu einer träumerischen schüchternen Jungfrau geworden, die unter den Strahlen von Harry's Blicken nur noch ein gesenktes Auge und ein pochendes Herz behalten hatte.
Nun liebte Urica diese Nichte wie ihre Tochter, und Lord Harry's Liebe, wenn sie sich bis zu dem Wunsche einer Verbindung mit Floripes steigerte, schien ihr kein Schutz gegen die Gefahren, von denen, wie sie überzeugt war, jede Gattin des jungen Mannes betroffen sein würde. Wenn sie sich dabei die Schuldlosigkeit in einem fremden Lande dachte, den Einfluß der Lady Jane, die, gewiß über eine solche Verbindung erzürnt, sie anzugreifen trachten werde, und vor Allem die Gefahr, daß Floripes mit einer ganz festen und bewußten Ueberzeugung Protestantin war, so lag der Angriffspunkt für Lady Jane bequem zurecht, da Urica sich bald hatte überzeugen können, daß ihr Sohn sich mit einer ängstlichen Gewissenhaftigkeit seinem Religionsbekenntnisse angeschlossen hatte, und seinen Verstand wie sein Urtheil von jeder Prüfung abhielt, als von einer Versuchung, die diese ihm so gesichert scheinende Ueberlieferung nicht erlaube.
Die Ueberzeugung von dieser Gefahr hatte sich ihr erst ganz dargestellt, als Floripes den Bitten Harry's nachgegeben und in Williams Begleitung dem jungen Lord in dem Hause ihres Vaters einen Besuch zu machen gestattet hatte. Harry hatte dies Zugeständniß mit einem so auffallenden Ausbruch von Freude aufgenommen, daß die rückwirkende Gemüthsbewegung bei Floris nicht zu übersehen war, und als man die Gondel, in welcher der Weg gemacht werden sollte, gemeldet hatte und die jungen Leute von Urica Abschied nahmen, kniete, Harry mit einem strahlenden Gesicht vor ihr nieder und rief: »Mutter, Mutter! ich werde dir die Wiedergeburt meines ganzen Lebens zu danken haben!«
Sie fühlte im selben Moment, was er damit sagen wollte, und ihr drängten sich die Betrachtungen auf, die wir erwähnt und die sich mit der festen Ueberzeugung abschlossen: es sei ihre Pflicht, dies Verhältniß nicht zuzulassen – oder doch aufzuhalten und der reiflichsten Ueberlegung durch Zeitgewinnung Raum zu geben. Diese anfänglich ihren Antheil wenig weckende Fahrt nach dem Hause ihrer Floris schien ihr nun nicht mehr unwichtig, oder nur eine neckende Laune des jungen Mannes, welche Floris bei der bekannten Persönlichkeit ihres Vaters ein wenig verlegen machen sollte, sondern es schien ihr ein wichtiger Wendepunkt; denn es konnte sich daraus für ihre Absichten eine Hilfe entwickeln, wenn sie an den Eindruck dachte, den Nees unbezweifelt auf den feinfühlenden, vornehm gewöhnten jungen Mann hervorbringen mußte.
Aber Urica vergaß, daß die frisch erwachte Liebe im Herzen eines Mannes, wenn er des Gegenstandes seiner Gefühle noch nicht gewiß ist, auf kein äußeres Hinderniß stoßen kann, welches er nicht in irgend einer Weise als einen Grund mehr ansehen würde, in der Richtung, zu der ihn sein Herz treibt, vorzudringen – und so mußte auch gerade der volle Eindruck von Nees, den ihm dieser nicht ersparte, seiner Liebe zu Floripes noch die Ueberzeugung ihrer trostlosen unwürdigen Lage zugeben, und was konnte er erleben, was seinem männlichen Gefühl wohlthuender und erhebender werden konnte, als sich zugleich als ihren Retter zu denken, da er ihr glänzende Verhältnisse statt dieser ihm schmachvoll erscheinenden anzubieten hatte.
Nees war halb böse, halb ängstlich, daß ein Montrose, den er sich arm und zurückgekommen dachte, es auf seine Kasse würde abgesehen haben – halb und zuletzt ausschließlich war er kriechend.
Wer diesen Ideengang nicht kannte – konnte gar nicht den Sinn seiner zu Anfang groben Reden errathen – und das Erstaunen, ja das Erschrecken des jungen Lords, als er Nees vor sich sah, der Streit in seiner Ueberzeugung, daß dies der Vater dieser schönen Floripes sein sollte, machte ihn auch überhören, was dieser widrige, gemein aussehende Mensch vor ihm sprach. Es entsetzte ihn aber, als er sehen mußte, daß Floripes sich kindlich liebevoll um ihn beschäftigte und durch ihre holde Freundlichkeit bemüht war, ihn aus seiner bösen argwöhnischen Stimmung heraus zu locken. Wenn sie von ihm zurücktrat, schien es ihm, sie könne nicht mehr dieselbe sein, ihr müsse etwas von dieser eklen Berührung haften geblieben sein, und wenn sie sich zu ihm wendete, fühlte er zu Anfang eine Art von Erkältung, eine Verlegenheit, als würde er von ihr geneckt und in einen unfeinen Scherz werde sich die Täuschung auflösen, daß dieser Mann bis dahin für ihren Vater gegolten habe.
Davon hatte aber Nees natürlich keine Ahnung und es war nicht leicht, ihn auf das wahre Verhältniß zu dem jungen Lord hinzulenken, da Floripes ihre sonstige unbefangene Beherrschung des Vaters beinah aufgegeben hatte, von ihrer Befangenheit blöde gemacht, und mehr wie je, ja vielleicht zuerst von seiner Persönlichkeit sich beschämt fühlend.
Es kam auch nicht dazu, daß die jungen Leute ihre Verstimmung überwunden hatten; denn obwohl Nees durch ein paar ruhige Antworten des jungen Lords überzeugt wurde, dieser sei in den Besitz seiner Güter zurückgekehrt, und danach seine üble Laune gegen ihn in empörende Höflichkeiten umänderte, war dies fast noch widerwärtiger und unter dem Vorwand, den Lusthof zu sehen, enteilten die jungen Leute dieser störenden Gemeinschaft.
Urica konnte die zurückgebliebeneVerstimmung nach der Rückkehr von diesem gewagten Besuch Allen anfühlen, und es war ihr nicht unlieb, wenn die beiden jungen Leute, welche sich in ihre Annäherung versenkt hatten, dadurch eine äußere Störung erfuhren, die ihnen vielleicht ein Hinderniß werden konnte. Auch unterließ Harry nicht, seiner Mutter ein maaßloses Erstaunen über den Vater solcher Tochter auszusprechen, und Urica fühlte mit heimlichen Lächeln, wie der junge Mann sich von dieser nahen Verwandschaft so ungern überzeugte, daß er lieber auf Geheimnisse über Floripes stoßen, und ihr ein Vertrauen über vermeintliche andere Umstände ihrer Geburt abnöthigen wollte, die aber Urica als unpassende Aeußerungen gar nicht zu beantworten vorzog.
Urica benutzte die letzten Stunden des Abends, um ihre beiden Söhne für ihre wichtige Reise nach Verhältniß, wie Beide durch Alter und Erfahrung verschieden waren, vorzubereiten; aber indem der junge William einer ganz neuen Lebensepoche entgegen ging, lauschten doch die Beiden ihm zur Seite bleibenden auf jedes weise, liebevolle Wort aus Uricas Munde, was ihm zur Leitung dienen sollte, und indem sie es nur ihm sagen konnte, war es ihr doch nicht unlieb, es in Harrys Gegenwart thun zu können, weil Vieles auch für ihn passend und doch ihm nicht zu sagen war!
Lord Harry, der wohl die Wichtigkeit einer Sendung fühlte, welche ihn zuerst sich selbst überlassen, auf einen fremden Boden stellte, konnte trotz des Interesses, welches seine Gedanken mit Floripes immer mehr erfüllte, die geheime Bangigkeit nicht unterdrücken, wie seine ungeprüften Kräfte sich bewahren würden, und suchte durch Fragen an Urica sich auf dem Boden dieses weltberühmten Versailler Hofes schon aus der Ferne so bekannt als möglich zu machen.
Hierzu war Urica ganz befähigt, da sie nur ihre Erinnerungen aufrufen, und die Briefe der Königin für die späteren Zeiten erwägen durfte, um ein Bild dieser Zustände entwerfen zu können, welches für den jungen Gesandten von äußerst wichtiger Belehrung sein mußte. Sie gab sich dieser Anstrengung aber mit um so mehr Willigkeit hin, da es ihr wichtig schien, die Zeit mit ernsten Gesprächen auszufüllen, welche die Gefühlsaufregung Harrys von Floripes abhalten konnte, da sie nichts so wünschte, als eine Erklärung von dem erweichten Herzen des jungen Mädchens abzuhalten.
Aber wenn ihr auch dies gelingen sollte, war sie nicht so glücklich, von sich selbst diese Erklärung abhalten zu können. Harry folgte ihr in ihr Kabinet, als sie den Brief an die Königin siegelte, kniete vor ihr nieder und rief:
»Meine Mutter! in den wenigen Tagen, die ich jetzt bei dir bin, hast du mein ganzes Leben umgestaltet, und wenn ich dereinst noch des Namens Montrose würdig werde, hast du es begründet, indem du mich aus meiner selbstischen Ruhe geweckt, und mir gezeigt, welche Thätigkeit einem Manne obliegt, wenn er einen solchen Namen hat! Deine Sorgfalt, und was du für mich in diesen Tagen angeregt, wird für meine geistige Wirksamkeit unverloren sein – aber – gehe noch weiter – mache mich auch glücklich – erlaube mir, daß ich mich um Floripes bewerben darf, und sichere mir bei meiner Rückkehr ihren Besitz!«
Nun geschah es, daß Urica – als sie aussprechen hörte, was sie aus so vielen Gründen fürchtete – das Ganze noch viel lebhafter und störender empfand, und von ihrer alten heftigen Weise überrascht, ihre beiden Hände mit einem jähen Ausruf vor ihr Gesicht drückte, dann seinen Kopf zu sich aufzog, und indem sie ihn mit festen Blicken anschaute, lebhaft ausrief:
»Nie – nie, Harry! Gieb das auf – versprich mir, daß du es vergessen willst; denn es soll, denke ich, nie geschehen! Nein, Harry! sieh nicht so traurig – nie! nie! – ich bitte dich, denke nicht mehr daran!«
Urica fühlte, daß sie bei diesem Widerspruch in keiner leichten Verlegenheit war; daß es eine Härte sein würde, die seinen kaum erweckten Muth zurückgedrängt hätte, wenn sie ihm aufrichtig den Grund ihrer Weigerung, der allein in seinem Charakter lag, aufgedeckt hätte, und daß doch ihr Widerspruch ohne Gründe etwas räthselhaftes haben müsse, von dem sie wenigstens nicht hoffen könne, daß er die lebhaft erregten Wünsche des liebenden Mannes entmuthigen würde.
Ein Blick auf Harry überzeugte sie auch hiervon. Aber es schien nicht allein Traurigkeit, es war der Anflug von Heftigkeit, deren Dasein sie schon oft in Harry geahnt hatte; es war als ob sich etwas gegen sie in ihm aufrichtete, seine Augen drückten, während er sich ihren Händen entzog, einen Tumult von heftigen Gefühlen aus. Er wußte ihnen zu Anfang keine Worte zu geben; aber er hob und senkte sein Auge vor Urica, und wie aus einem tief aufgewühlten Brunnen, floß es immer mehr über von der bittersten Aufregung, ja ein Zug von Stolz und Verachtung bildete sich endlich um seinen Mund, vor dem Urica wahrhaft erschrak.
»Ha, Milady!« riefer, indem er lebhaft aufsprang – »und ihr wollt mir für diese tödtlich beleidigende Zurückweisung keine Gründe angeben? Wer ist dies Mädchen, muß ich dann fragen? Denn ist sie das, wofür ihr wollt, daß ich sie halten soll, was für Hindernisse findet ihr dann, wenn ich sie nicht gefunden habe, nachdem ich den jammervollen Aufenthalt, wo man sie erzog, und den gemeinen Mann habe kennen lernen, den man ihren Vater nennt?«
Urica sah, daß der junge Mann zitterte, daß in dem Maaße, als sein Gesicht erblaßte, seine Augen flammten und in seinem ganzen Wesen eine vollkommene Rücksichtslosigkeit ausgedrückt lag, die ihr den Grad seiner Heftigkeit verrieth. Ach! dachte sie, wie viel Grund mehr, indem du so zornig forschest, giebst du mir grade in diesem Augenblick. – Sie blieb in ihre traurigen Gedanken vertieft und erwog, wie viel von der Wahrheit sie ihm sagen dürfe, ohne damit die kaum aufgesproßten Lebenskeime zu bedrohen.
Aber ihr sinnendes Schweigen, der tief betrübte Ausdruck ihres Gesichts besänftigte den heftig angeregten Zustand des jungen Mannes nicht, und je länger dies unabsichtliche Schweigen dauerte, je heftiger schien es Harry zu erregen; eine Verzweiflung, die ihn isolirte, ergriff ihn; er rang die Hände und stieß einzelne Worte aus, die endlich Urica's Aufmerksamkeit erweckten und ihren muthlosen Zustand überwanden.
»Also doch, doch, – also doch wahr!« rief Lord Harry – »o, mein Gott, wie soll ich nun jemals wieder Vertrauen fassen – das ganze Leben erschüttert – mein letztes Bauen auf Menschenwerth, auf Treu und Glauben zerstört – o, das ist entsetzlich – entsetzlich!«
»Was geht in dir vor, mein Sohn?« fragte jetzt Urica sich aufrichtend – »und welcher maaßlosen Heftigkeit überläßt du dich ohne alle Haltung und Würde mir – deiner Mutter gegenüber?«
Harry hielt ein – es lag ein Ernst, ein Vorwurf in Urica's Ton, der ihn verstummen ließ und ihm eine Art von Besinnung zurückgab. Als er seine leidenschaftlichen Augen auf diese edle, hingewelkte Gestalt richtete, brach seine Heftigkeit – fast mit einem Schrei stürzte er ihr zu Füßen, verbarg sein Gesicht in ihren Schooß und Urica hörte ihn krampfhaft schluchzen.
»O, meine Mutter!« rief er außer sich – »rette mich vor mir selbst – ich bin maaßlos unglücklich in diesem Augenblick!«
»Das fühle ich,« sagte Urica traurig – »und dies Gefühl soll allein dir zur Entschuldigung gereichen – aber es berechtigt mich auch mehr als früher, meine Weigerung für deine Wünsche festzuhalten. Harry,« sagte sie plötzlich streng – »welche Sicherheit kannst du mit deiner jetzigen Charakterrichtung einem Mädchen für das Glück ihres Lebens geben?«
Harry richtete einen fragenden Blick auf Urica – es lag darin eine Entscheidung über Leben und Tod, und er preßte ihre Hände in den seinigen und rief mit einem Tone, der die Qual seines Herzens verrieth: »Sprich – sprich um Gotteswillen – sprich die Wahrheit! War es das? War das der Grund deiner Weigerung? Flößt dir mein Charakter so großes Mißtrauen ein?«
»Harry,« sagte Urica mild, aber fest – »werde erst selbst und durch dich selbst glücklich, ehe du einem andern Wesen, was du in dein Schicksal verflechten willst, Glück verheißest. Frage dich, ob die Aufwallungen über dich selbst, die dir, wie es mir schien, zuerst einen klaren Ueberblick über deinen innern Zustand verschafften, dir nicht entdeckt haben, daß du jetzt erst zum Leben in ein Verhältniß trittst, was dich belehren wird, wie weit du dir vertrauen darfst, wo die Mangel deiner Entwickelung eintreten, und was dir obliegt, in dir zu besiegen und was aufzubauen. Du würdest mir Unrecht thun, wenn du mir sagtest: ich hatte also kein Vertrauen zu dir. Ich habe es, mein Sohn – ich habe das Vertrauen der Erfahrung, was jungen Leuten bei ihren älteren Freunden so oft zum Segen wird. Ich habe das Vertrauen, das nicht dem Augenblick gehört, nicht deinem Charakter, deinen Fähigkeiten, wie sie jetzt sind – ich habe das Vertrauen, das in die Zukunft dringt, das zu den Fehlern hinblickt, wie zu dem mißgestalteten Leib der Raupe und sagt: er wird aber abfallen mit der Zeit und dann werden sich Flügel zeigen. – Aber dies Vertrauen der Erfahrung wird uns auch hindernd einschreiten lassen, wo es uns gestattet ist; wenn in dem Augenblicke der Krisis, wo wir alle Thatkraft bei dem Ringenden verbunden wünschen, um eine Ausscheidung des Alten, eine Begründung des Neuen gesund ins Leben zu fördern, wir diese Kräfte bedroht und gestört sehen durch ein zu frühzeitiges Ergreifen von Lebensverhältnissen, die bindend, trennend und entkräftend vorzeitig die erst zu erwartende Entwickelung überholen. Laß das Leben, wie es jetzt mit deinen Anforderungen vor dir liegt, erst zu deinem Bewußtsein werden und zu dem Bewußtsein, was dich zu seinem freien Gebrauch über dasselbe stellt. Nur dann hast du den Grund männlicher Festigkeit erreicht, durch den du ein würdiger Begründer häuslichen Glückes werden kannst – nur dann werden die, die dich lieben, und die, welche das Mädchen deiner Wahl lieben, deinen Wünschen nicht mehr hindernd in den Weg treten dürfen.«
»Ha!« rief Harry gespannt – »und wirst du mir dann Floripes geben – wird dann jedes Hinderniß verschwunden sein, was dich jetzt so entschieden macht?«
»Das weiß ich nicht,« sagte Urica sinnend – »aber ich glaube es nicht!«
»Mutter!« rief der unglückliche Jüngling fast drohend – »Mutter! welch' ein Hinderniß waltet ob, daß du mir Floripes verweigerst? Sag' mir, um der Gnade Gottes willen die Wahrheit!«
»Du bist Katholik – und deine Kirche wird eine beherrschende Macht in deinem Leben bleiben,« sagte Urica ruhig – »deine künftige Gemahlin darf dich nicht in den Zwiespalt der Wahl bringen zwischen beiden Konfessionen – du bist solchen Kämpfen nimmer gewachsen, und das Wesen, welches hinein geräth, wird schuhlos unterliegen!«
»Nein, nein, Mutter! – das wird nicht sein,« stammelte Harry – »und es ist nicht der Grund deiner Weigerung.«
»Denke dabei,« fuhr Urica fort – »daß man Floripes ihre Abkunft von diesem gemeinen Manne, diesem Jakob van der Nees, zum Vorwurf machen kann.«
»Nein, nein!« sagte Harry – »das nicht! Wenn ihre Geburt keinen andern Vorwurf trägt, als diesen – den werde ich von ihr abzuhalten wissen!«
»Genug!« sagte Urica, indem sie mit einiger Erregung aufstand – »Gründe habe ich dir genug gesagt, um deinen Sinn zu beugen – mein Wille aber bleibt, daß keine Art der Erklärung deine oder Floripes Freiheit bindet! Du sollst als freier Mann das große bewegte Leben, dem du entgegen gehst, auffassen können und allen sich dir zeigenden Anerbietungen eine durch keine Rücksicht gebundene Stellung entgegen bringen. Jetzt über den einen Punkt, der deine Beurtheilung bindet und deine Leidenschaften fesselt, mehr mit dir sprechen zu wollen, scheint mir vergeblich und für dich erfolglos; aber meine Entschiedenheit wirst du später segnen und mir danken.«
Auch Lord Harry war aufgestanden. Er hatte einen schwereren Kampf zu bestehen, als Urica ahnte, denn die Dämonen des früh erweckten Mißtrauens rangen mit der Liebe und dem siegenden Vertrauen zu Urica. Wenn das letztere siegte, siegte damit auch die Hoffnung auf den dereinstigen Besitz der Geliebten – und er hatte für seine erste Liebe die Hoffnung so nöthig, daß das Vertrauen hinzutrat, nicht als Ueberzeugung, nicht als ein kräftiger Entschluß, sondern als ein Nachgeben gegen das Verlangen, den Kampf zu beendigen.
»Du sollst nicht sagen dürfen, daß ich dir den ersten thätigen Beweis meines Gehorsams schuldig bleibe,« sagte er, Urica in seinen Armen stützend – »und wie sehr ich dich liebe und ehre, das möge dir meine Nachgiebigkeit – bei der schwersten Versuchung, dir ungehorsam zu werden – beweisen.«
Floripes hatte mit dem erhöhten Ahnungsvermogen der erwachten Liebe gefühlt, daß sie der Gegenstand dieser langen Unterredung gewesen, und vergeblich sich bemüht, ihre Zerstreuung und das Beben ihres ganzen Körpers zu verbergen. Orla und William saßen vor ihr, und das Geschwätz Beider, worin so viel lag, was sie noch nicht verstanden, traf nur in einzelnen Worten ihr Ohr; es schien ihr, als ob Kinderstimmen dasselbe ernste Lied von Abschied und Trennung sangen, was mit seiner feierlichen Melodie durch ihr Inneres tönte und den Athem ihrer Brust versetzte und ihre Besinnung betäubte.
William kramte viele kleine Geschenke vor Orla aus – Gegenstände, die er bis jetzt ausschließlich besessen, und zu denen sie mit der Begierde, sie zu besitzen, aufgeblickt hatte. Bei jedem neuen Gegenstande fiel ihm Orla um den Hals und küßte ihn und dankte ihm, um jedes Mal hinterher in einen Strom von Thränen auszubrechen und zu sagen: »Ich wollte Alles, Alles nicht haben, wenn du nur bei mir bliebest!« Dann hielt William sie stumm an seine Brust gedrückt und strich ihre Locken und küßte ihr Händchen, und zog es vor, lieber gar nicht zu sprechen, da seine männliche Festigkeit, von der er gern diese Probe abgelegt hätte, bedeutend erschüttert war durch den Gedanken, diesen Liebling seines Herzens verlassen zu sollen.
Zu dieser bewegten Gruppe vor der Thür traten nun Urica und Harry, und Beide wünschten ihre Stimmung, die noch aufgeregt und leidend war, zu verbergen; aber Beiden war dies nicht vergönnt, und als Floripes Urica anblickte, rief sie bekümmert: »Urica – meine Tante, du leidest!«
Diese aber drückte sie mit Lebhaftigkeit an ihre Brust, küßte die schöne reine Stirn des geliebten Mädchens und sagte sanft: »Ich hoffe, es ist vorüber!«
Die Dazwischenkunft des Herrn Cornelius Hooft war Allen eine Erleichterung, obwohl seine Mittheilungen nicht erheiternd sein konnten, denn er kam von dem Leichenbegängniß der edlen Frau von Marseeven. Der junge Lord Montrose übergab dem Herrn Cornelius Hooft die Briefe nach England, welche dieser übernommen zu besorgen. Sie waren an Lady Jane gerichtet, enthielten die Anzeige seiner Reise nach Frankreich, und waren der erste, nicht leicht über sich selbst errungene Vortheil seiner Unabhängigkeit. Auf Lady Jane's Vermählung hinzielend, welche ihr bald, wie er anzudeuten wagte, neue Pflichten geben würde, sagte er ihr, daß er dem Sir Crafton, welcher noch immer an der Spitze der Verwaltung stand, ausreichende Vollmachten gesandt habe – und diese waren in einem anderen Briefpaket enthalten, das ebenfalls Hooft zur Besorgung übergeben wurde.
Je mehr nun das Nöthige Eins nach dem Andern beseitigt ward, je entschiedener stellte sich heraus, daß ihnen Allen nichts Anderes mehr übrig bleibe – als Abschied von einander zu nehmen. Aber wie verschieden auch der Grund des gegenseitigen Interesses sein mochte, bei diesem Punkte vereinigten sich Alle in dem einen Gefühle, dies hinauszuschieben so lange als möglich.
Floripes hatte augenblicklich in Lord Harry die Veränderung erkannt, die nothwendig zwischen seinem früheren Betragen – wo er dem Ziel nah' zu sein hoffte, und nur Uricas ihm gewiß scheinende Genehmigung erwartete, um sein ganzes Herz der Geliebten zu Füßen zu legen – und seinem jetzigen Zustande liegen mußte; und die Spannung und Bekümmerniß des jungen Mannes, schien ihr Kälte, und die arme Floripes, die heute zuerst mit großer Beschämung die niedrige Natur ihres Vaters erkannt hatte, suchte die so bald darauf sich zeigende Veränderung in der erlebten Erfahrung des jungen Mannes über ihre niedrige Geburt.
Ihr Herz zog sich in einem Schmerz zusammen, dessen Herbigkeit kein sie bis jetzt betroffenes Leid ihr zu geben vermochte, und sie beschloß mit dem, zu schnellen Entscheidungen stets bereiten jungfräulichem Stolz, ihm ihre Hoffnungen und Gefühle für immerdar zu verbergen.
Mit diesem Entschluß blieb sie vor dem Sitze Uricas unbeweglich – und ihr gesenktes Auge begegnete nicht mehr den Augen Harrys – die, je näher die Stunde der Trennung heran nahte, je mehr die Selbstbeherrschung verloren, und ihr tröstlicheres gesagt haben würden, als sie jetzt noch möglich halten wollte.
Endlich empfingen Harry und William den letzten Seegen Uricas, und während Orla ganz außer sich den jetzt weinenden William umklammert hielt, und ihn nicht von sich lassen wollte, kniete Lord Harry noch einen Augenblick vor die zitternde Floripes hin, und als er ohne Worte, aber seufzend und in der heftigsten Aufregung, ihre Hand geküßt, hüllte er einen Augenblick sein Gesicht in ihren Schleier und – wie oft betrachtete Floripes später diesen Schleier, an dessen Zipfel blaue Bandrosen hafteten, wovon eine doch jetzt unwiederbringlich fehlte und sich nirgends wiederfand.
Als die jungen Leute den Hügel hinab geeilt waren – der Laubgang sie verhüllte – und die Wärterin mit Orla, bemüht sie zu trösten, nach einer kleinen Mauererhöhung lief, von wo sie das Boot konnte abfahren sehen – fühlte Urica, wie Floripes, welche unbeweglich dicht vor ihr und zu ihren Füßen saß, sich schwerer werdend gegen ihre Kniee senkte. Theilnehmend weckte sie sich aus ihrem eignen Schmerz – sie bog sich vor und suchte das Antlitz ihres Lieblings – es war erblaßt – das verglasete Auge suchte die Ferne zu durchdringen – aber es sank gebrochen zurück – Floripes erlag dem großen Weh ihres Herzens.
Urica verstand Alles. Sie selbst rieb den duftenden Inhalt ihres hülfreichen Flacon's in die kalten Schläfen des armen Kindes, und als Floripes erschrocken die Augen öffnete und das geliebte Antlitz der Tante über sich sah, erleichterte ein tiefer Seufzer und ein Strom von Thranen das kranke Herz.
»Weine! weine, mein Kind!« sagte Urica – »Ich verstehe dich ganz, und später sollst du meine Achtung dadurch erfahren, daß ich dir nicht verbergen will, was zwischen mir und Harry so eben geschehen ist.«
Floripes hoffte nichts Tröstliches mehr zu erfahren, und als Urica ihr den Inhalt der eben gehabten Unterredung, mit der weisen Vorsicht mittheilte, welche, ohne die Wahrheit zu verletzen, doch überging, was das Gefühl aufregen konnte – hörte Floripes nichts: als daß Lord Harry sie dennoch liebe, und nur der Wille der Tante ihr das Geständniß geraubt, nach welchem ihr unschuldiges Herz sich unbewußt gesehnt hatte.
Dies konnte aber keinen Vorwurf gegen die geliebte Beschützerin in ihr aufkommen lassen. Ja – sie bat sie sogar nach einiger Zeit ihr die Gründe zu wiederholen, welche sie zu dieser Entscheidung bestimmt, und fühlte nicht das naive Geständniß, was sie damit ablegte – was sie zu Anfang nur aus diesen Mittheilungen heraus gehört habe. Urica unterzog sich dieser Forderung, in der sie das arme Wesen wohl verstand, mit aufopfernder Gewissenhaftigkeit, da in Floripes Klarheit und Kraft zurückgekehrt war, und auf ihre Knie gestützt, hörte sie jetzt zuerst, daß es nicht genug war, sich gegenseitig zu lieben, um sich auch vermählen zu können.
»Ach!« rief sie auf jeden Grund gespannt aufhorchend – »auch Montrose war mit seiner ersten Gemahlin ungleicher Religion – und dies hat doch ihr Lebensglück nicht gestört, wie du mir oft gesagt.«
»Aber es hat ihm seine Kinder geraubt!« sagte Urica – »Diese Kinder, die vor ihrem eignen Vater, wie vor dem Feind ihres ewigen Heils bewahrt wurden, die mit Mißtrauen und Widerstand gegen Alles erfüllt wurden, was sie die Rechte des Vaters hatte können würdigen lehren. Montroses Herz hat unter diesem Zwiespalt, den er nicht zu besiegen vermochte, weil endlose Intriguen ihm jeden Versuch der Ausgleichung vereitelten, unsäglich gelitten, und ich, die Vertraute seiner Schmerzen, muß daher jedes ähnliche Verhältniß fürchten.«
»Und dennoch liebt Harry diesen Vater so schwärmerisch, wie wir Alle!« rief Floripes –
»Man hat es nicht hindern können. Die vortreffliche Natur Harrys, der Einfluß Weston's und Crafton's besiegte die Versuche, die man in entgegengesetzter Absicht machte – und als er todt war, überließ man ihm den unschädlichen Schmerz, der sogar eine Waffe mehr ward, da er den armen Jüngling an Geist und Leib zu einem willenlosen gebrochenen Wesen zu machen versprach.«
»Ach! aber jetzt – jetzt ist dein Harry nicht mehr schwach – nicht mehr unfähig, die zu schützen, die er liebt!«
»Floris,« sagte Urica – »die Macht der Jugendeindrücke übersteigt alle Autoritäten unserer späteren Erkenntniß. Wir lieben und hassen am längsten, gegen jeden Einwand siegend, den die Erkenntniß mit der Zeit uns aufnöthigt, was wir in der Jugend geliebt und gehaßt haben; wir vertheidigen Beides am längsten in unserm Herzen, ja wir können sogar durch die Schlüsse unserer Vernunft, Zeitenweis beide Empfindungen schwächen oder aufgeben – aber wir werden für sie doch stets eine Schwäche behalten, eine Milde des Urtheils gegen das, was wir liebten, eine Schonung, die vielleicht mit keiner Eigenschaft unseres Charakters sonst zusammenhängt, und nichts wird einer kleineren Veranlassung in uns bedürfen, als diese Gefühle, wie lange auch entfernt und unterdrückt, wieder in uns zu erwecken und sie ihre alte Gewalt über uns ausüben zu lassen. Lady Jane wird ihre herrschsüchtigen, vielleicht habsüchtigen Pläne nie aufgeben. Sie wird jede Frau hassen, die seine Liebe besitzt und in seinem Herzen den ersten Platz erhält, und Harry wird nicht Kraft und Ausdauer haben, ihrem Einfluß zu widerstehen, und die früh ihm angewöhnte Trägheit im Selbstprüfen und Denken wird mit ihr zurückkehren. Er wird das Uebel über sich herein schleichen lassen, bis es ihn übermannt hat, und er wird leiden, aber er wird auch Alle leiden lassen, die auf seine Thatkraft angewiesen sind, ohne diese mehr zu ihrem Schutz hervortreten zu lassen.«
In der Wahrheit liegt an sich eine Macht, selbst wenn das, was sie vor uns aufstellt, noch unsere Erkenntniß überbietet. Wir werden überwältigt und müssen daran glauben, wie oft auch die geheime Sehnsucht unseres Herzens uns davon abzuziehen strebt. Dies erfahren wenigstens unverdorbene Menschen.
Floripes fühlte sich um so entschiedener besiegt, als sie die Mutlosigkeit neben dem Glücke empfand, was ihr zu Anfang die Gewißheit gab, von Harry geliebt zu sein.
Beide Frauen saßen lange in einander gebeugt, in ernstes Schweigen versenkt. Floris erlebte einen neuen Lebensabschnitt. – –
Als Caas sein gutmüthig freundliches Gesicht um den Laubgang herum steckte, erwachten Beide. Sie sahen, wie der Mond über dem Duft des Meeres stand, und die kleine Halle erleuchtete – Floripes erhob sich ernst und ruhig – als sie vor der Tante nieder kniete, schien der Mond grade auf ihr Gesicht – sie war sehr blaß, und blickte die Tante lange mit einem tiefen forschenden Blick an, als wollte sie fragen: »ist dies das Leben?« Aber es war in diesem edlen Antlitz kein Vorwurf, keine Bitterkeit, kein Mißtrauen gegen die ernste Verkünderin dieser neuen Lebensfrage – es war eine ruhige, feste, freudlose Ergebung, die sich bewußt ist, unter einer schweren Erfahrung zu stehen.
Beide wußten, daß sie sich auf mehrere Tage trennten, denn Nees konnte sich in der letzten Zeit nicht ohne Grund vernachlässigt halten, und versäumte dies nie geltend zu machen, um Floripes dadurch um so rechtmäßiger an das Haus fesseln zu können – und so war ihr Abschied zärtlich, wenn auch wortkarg, denn das unter ihnen Angeregte war zu wichtig, um gleichgültigen Mittheilungen Raum zu geben.
»Orla soll dich besuchen,« sagte Urica –
Floripes lächelte und nickte – sie küßten sich noch einmal und Floripes glitt dann langsam den Hügel hinab in den dunklen Blättergang hinein. Schüchtern machte sie dort noch einmal die kleine Hand auf, worin sie das eine Ende ihres Schleiers gedrückt hielt – sie betrachtete es mit der größten Aufmerksamkeit – es blieb gewiß, die blaue Rose war abgerissen – es fehlte sogar der Zipfel des blauen Florschleiers, der einer heimlichen Gewaltthat nachgegeben hatte. Wer hätte ohne Rührung das liebliche Mädchen betrachten können, auf dessen Gesicht ein kleiner Sonnenblick des Glücks fiel, und das nach einem jungfräulichen Kampfe, der das blasse Gesicht wieder färbte, rasch den kleinen zerrissenen Zipfel des Schleiers an die Lippen drückte und plötzlich erschreckt von der kühnen Handlung die leichten Füße in Bewegung setzte und so schnell den Gang hinab rannte, daß Caas etwas verwundert gleichfalls einen kleinen Trab machen mußte.
Der schöne Abend war auf der See noch schöner, als auf dem Lande – der Kanal war breit, und die Nebel deckten seine Grenze. Der Mond säumte jeden Ruderschlag der tiefdunklen Flut mit einem schäumenden Glanze, dessen weiße Lichter zu funkeln schienen. Die Ufer, an denen der Nachen hinglitt, lagen mit ihren romantischen Fischerhütten in träumerischer Ruhe – die Kinder waren zu Bett – die Alten saßen still vor der Hütte, oder ein leichtes Geschäft fesselte noch eine oder die andere einsame Gestalt auf einem Kahne oder an den Fischkasten, über denen die großen Netze zwischen den Weiden, deren Wurzeln die Wellen bespülten, aufgehangen waren. Ein tiefer Friede athmete aus jedem Lufthauch, und Floripes saß einsam in demselben Boote, in welchem noch wenige Stunden früher eine theure Gestalt unter dem Scheine einer jetzt entschwundenen Hoffnung ihr nahe gewesen war.
Wie schwer wäre es zu entscheiden gewesen, ob diese Hoffnungen ganz entschwunden waren; aber sie waren nicht mehr stark genug, um Floris zu beglücken – vielleicht nur noch so stark, sie nicht ganz unglücklich werden zu lassen. Mit einem langen, weißen Blüthenzweige in der Hand trennte sie träumerisch spielend das Gekräusel des perlenden Wassers, welches mit sanften Gemurmel sich unter dem Kiele des Bootes theilte. Ihr alter Freund, der Mond, zog wie ihr Begleiter auf dem Spiegel des Wassers neben ihr hin, und zuweilen ließ sie den langen Blüthenzweig zu ihm hinschwimmen und verhüllte sein Angesicht damit – da fuhr ein Blitz durch den Mondscheinnebel, und ein mächtiger Kanonendonner glitt über dem Wasser herüber.
»Großer Gott!« rief Floripes – der Zweig schwamm losgelassen mit dem Strom – beide Hände verhüllten ihr Gesicht.
»Das sind die Signalschüse,« sagte Caas – »der englische Gesandte verläßt eben den Hafen – er geht noch heute Abend mit einem Boote nach dem französischen Schiffe, welches morgen in See geht.«
Da weinte Floripes, und die beiden folgenden Schüsse schienen ihr Herz zu treffen. Der englische Gesandte, Lord Montrose, der eben dem Schiffe zusteuerte, was ihn als den Bevollmächtigten des englischen Königs dem stolzen Frankreich zuführte – wie war er so ganz ein Anderer, als Harry zu den Füßen Urica's. Ein unaussprechlich tiefes Weh der Trennung ergriff ihr Herz – als der letzte Kanonenschlag durch die Luft zitterte, legte der kleine Nachen an dem Packbot des alten Purmurandschen Hauses an.
Den Schleier über ihr weinendes Gesicht gezogen, ging sie hinter Caas her, der die kleine Thür zum Lusthof aufschloß und sogleich bescheiden verschwand.
Floris ging der Linde zu, welche ihre duftenden, weit ausgestreckten Zweige über den Sitz breitete, auf dem jetzt die dritte Tochter aus dem Hause der Casambort ihre Thränen fließen ließ. Der Mond blickte wieder über die Mauer des Hofes und beschien die Marmorfliesen, auf denen einst die kleine, glückliche Floris ihre kosenden Tänze mit dem Monde aufgeführt hatte – behütet von den Augen der Liebe, die sich seitdem auf ewig geschlossen hatten.
Floripes weinte sich müde, als wäre ihr die Vergleichung jener Zustände mit ihrem gegenwärtigen möglich gewesen – und fern auf dem Wasser, in dem angebundenen Boote spielte Caas, der jetzt zu den besten Geigern gehörte, eine rührende, schmermüthige Weise. Durch zwei Mauern von dem Abgotte seines Herzens getrennt, wollte er ihr mit diesen Tönen sagen, daß er sie verstanden habe und ihre Schmerzen theilte und ihr den einzigen Trost in der einzigen verständlichen Sprache, die er zu reden verstand, zusenden wollte. Ach, Floris verstand ihren alten, treuen Kameraden wohl – ihre Dankbarkeit milderte ihren Schmerz – und als sie daran dachte, wie sie ihm morgen danken wollte, zerstreute das leise ihren Kummer, und ihr Engel wiegte sie auf ihrem Lager ein.
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