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Indessen fand sich bei Hoofts Vorschlägen in Nees der gewöhnliche Widerstand, der mehr denn eine rohe Scene veranlaßte, in denen sein argwöhnischer Sinn, seine Furcht vor Ausgaben, oder vor einem Aufsehn, was Ansprüche auf ihn lenken könnte, sich wahrhaft schlugen und zankten mit seiner Liebe für Floripes, seinem Stolz auf diese Auszeichnung, und dem lächerlichsten Jubel, sie so geputzt sehen zu können und sie nun wirklich damit als die schönste anerkannt zu wissen.
Endlich siegte Hooft, als die elenden Zuckungen des Geizigen nicht aufhören wollten, durch ein paar energische Drohungen, wie der Oberschulze diesen Widerspruch vermerken werde – und demnach ging Floripes in das Haus der Muhme Marseeven, um sich die vorgeschriebene Kleidung der Jungfrauen anmessen zu lassen.
Man konnte nichts Reizenderes sehen, als Floripes am Morgen des Festes, wie sie zu ihrem Vater in den alten düstern Saal der Purmurand trat und dieser wie von ihr erleuchtet wurde.
Wir haben schon erwähnt, wie gut die Wahl des Anzugs ausgefallen war; aber nicht Jeder stand er so geschickt, bei Keiner hatte er so viel Schönheit zu erhöhen.
Die dunklen Orangenzweige mit den weißen Blüthen, wie reizend ruhten sie in dem goldenen Nest der Flechten, die Ohr und Wange zart umschlossen: das Perlenmützchen umgab dabei so eng die reizende Form des Kopfes und bildete mit einer stärkeren Perlenschnur, die den äußeren Rand umschloß, einen kleinen Reifen über den Kopf; durch einen Ring war der feine weiße Flor gezogen, der über dem Rücken niederfloß.
Nees hatte von selbst die Perlen Angelas herausgeholt; er heulte nun vor Wonne, als er seinen Engel damit geschmückt sah; aber immer wieder mußte sie sich niederbücken, damit er die kostbaren Schlösser an dem Halsband und den Armbändern prüfen konnte. Er sagte: »er sei gewiß, sie werde sie nicht wieder mitbringen, und wenn sie drum käme, solle sie nicht sagen, daß sie ihr gehörten, sondern der Tante Urica.« – Er hatte so viel Angst deshalb, daß, als Floripes bei der Frau von Marseeven aus dem Wagen stieg, Caas auch schon ganz außer Athem dort eintraf, um ihr von Nees zu sagen – »sie möchte recht oft an die Schlösser der Perlen fassen; denn er dächte gewiß, er sähe sie nie wieder.«
An dem Weichbilde der Stadt sollten die jungen Mädchen aufgestellt werden, weil man in der Stadt den Andrang zu groß fürchtete, da die Neugier der Menge grade darauf gerichtet war, und seit dem Empfang der englischen Prinzessin und deren Mutter nichts Aehnliches vorgekommen war.
Nun war überhaupt die Stimmung aufgeregt. Das Volk errieth gern aus solchen öffentlichen Schritten seiner machthabenden Vertreter, was ihm von ihrer bevormundenden Weisheit entzogen wurde, und freute sich, wenn etwas Auffallendes geschah, woraus es mit der schlauen Beobachtung, die diesem handeltreibenden Volke so eigen war, Rückschlüsse machen konnte, welche die versteckten Absichten ihrer regierenden Herrn verriethen.
Nun war seit dem Tode des jungen blühenden Statthalters, Wilhelms des Zweiten von Oranien, eine große Lauigkeit gegen die Ansprüche des Hauses Oranien erkennbar gewesen – der republikanische Kitzel hatte den Versuch lockend gemacht, auch diesen Einfluß der Herrschaft von sich abzuhalten.
Wilhelm der Zweite hatte, obwohl ihn der Tod schon im fünfundzwanzigsten Jahre dahin raffte, dennoch ein Andenken zurückgelassen, was ein kühner, unternehmender Geist auf diesem Standpunkt, aus den beschränkten Rechten machen könnte, welche die Staaten ihrem Statthalter gelassen. Sie hatten zwar seinen Tod beklagt, denn sein großer kriegerischer Geist hatte sie dem Auslande gefürchteter gemacht; aber, da er durch den Tod von ihnen genommen war, rüttelten sie doch Alle wohlgefällig an dem Joche, was er ihnen auch ohne große Rücksichten aufzulegen gestrebt hatte, und was ihnen unlustige Erinnerungen an seinen Oheim Moritz gegeben, den er sich, wie sie fürchteten, zum Vorbilde genommen hatte.
Nun fehlte nach seinem Tode wirklich die Nachfolge, denn Maria, die Tochter Karl's des Ersten, sah ihrer Entbindung erst entgegen, und was war nicht Alles zu fürchten bei dem Schmerze der Mutter!
Obwohl nun bald darauf die Geburt eines starken und gesunden Knaben diese anscheinenden Befürchtungen beseitigen mußte, zeigte man bei dieser Gelegenheit doch keineswegs die Freude, welche ein ersehntes Ereigniß hervorruft, und die unglückliche Mutter, welche ihren Schmerzenssohn Wilhelm den Dritten nannte, wartete vergeblich auf die öffentliche Anerkennung seiner Nachfolge.
Die Staaten hatten indessen den Rathspensionär de Witt an die Spitze der öffentlichen Angelegenheiten berufen, welcher ohne Zweifel das größte Genie seiner Zeit war, und das Vertrauen rechtfertigte, da in seinem universellen Geiste, Hülfsmittel für das Interesse des Vaterlandes lagen, die seine idealen Pläne für ihre Entwickelung dem Ziele nahe brachten. Er konnte nicht geneigt sein, bei dem Bewußtsein, daß er allein diese großartige Uebersicht aller Verhältnisse an der rechten Stelle geltend machen könne, seine Gewalt so bald aus den Händen zu geben, und indem er das Ideal einer Republik darzustellen trachtete, wurde er unwillkürlich gegen jeden, ihm in diesen Weg tretenden Widerstand der unbesiegbarste Despot.
In wie fern sich nun de Witt zu der Zeit, die wir eben erwähnen, mit seinem sich vorgesetzten Ziel dem Ende nahte und seiner Erfolge gesichert, die Zügel in der eignen Hand loser zu halten begann, wagen wir in diesen oberflächlichen Andeutungen nicht zu bezeichnen; gewiß war es, daß nach Cromwell's Tode eine mildere Stimmung gegen den jungen Prinzen von Oranien einzutreten schien.
De Witt nahm die ihm von der Großmutter und der Mutter übertragene Vormundschaft für den jungen Prinzen an, und die Staaten erklärten plötzlich aus eigener Wahl, daß sie die Erziehung des Prinzen übernähmen, um ihn seinen großen Vorfahren würdig entwickelt zu sehen.
Dadurch schien der letzte Schritt vorbereitet, nämlich die Aufhebung der Ausschließungsakte, welche noch als größte Schmach für das Haus Oranien über dem jungen Haupte ihres rechtmäßigen Repräsentanten schwebte.
Einen neuen Beweis der Theilnahme für das Haus Oranien gaben die Staaten bei der Vermählung der Tochter Friedrich Heinrich's. Sie schienen in das alte Verhältniß dabei zurückkehren zu wollen, und die Feste, die man nach altem Herkommen gab, die Geschenke und Ehrenbezeigungen erinnerten durchaus an die Zeiten, wo das Haus Oranien in seiner vollen statthalterlichen Würde geehrt und anerkannt worden war.
Dessenungeachtet schwebte die Meinung der regierenden Oberhäupter der Staaten vor dem Volke noch in dem mystischen Bereich eines diplomatischen Geheimnisses, und man hatte sich in Amsterdam bemüht, diese Feierlichkeiten dadurch, daß man sie zu halben Theilen dem Könige Karl anbot, zu neutralisiren; doch ließen sich die Klügeren dadurch nicht täuschen, oder ihre Aufmerksamkeit abwenden, und es erregte deshalb grade ihre Beobachtungsgabe, ihre neckende Spionerie, ihre nicht selten boshaften Beurtheilungen dessen, was ihnen durch diese Andeutungen kund gegeben wurde.
So waren die für die Prinzessin von Oranien angeordneten Feste gewiß eine willkommene Veranlassung, den Scharfsinn der Zuschauer aufzuregen, um ihren politischen Hintergrund zu erspähen; denn sie zeigten, dem Geschmack der Zeit gemäß, in allegorischen Darstellungen, die nicht immer leicht zu enträthseln waren, doch alle auf die ruhmvollen Thaten der großen Vorfahren der Prinzessin hin, und das Volk, bündig und richtig in seinen Schlüssen, nahm sogleich an, daß man nicht geneigt sein könne, sich eines Geschlechts zu entledigen, dessen Mitgliedern man vom ersten Augenblick der Entstehung der Republik hiermit öffentlich den größten und dankenswerthesten Einfluß auf das Wohl des Staates zuerkannte.
Was man nun damit gegen die noch zurückgehaltene Meinung der hochmögenden Herren ausbeutete, erregte eine ungestüme Neugier, allen Festlichkeiten des Empfangs beizuwohnen, gesteigert durch die höchst günstige Stimmung für das alte Fürstenhaus, welches gerade unter den geringeren Klassen, denen die Uebersicht ihrer zu fürchtenden Fehler entging, und die ihren fürstlichen Glanz und den Stolz ihrer Aufzüge gleich schaulustigen Kindern gern hatten, große Liebe besaß.
So zeigte sich eine unverkennbare Absicht, ihre günstige Stimmung für das Haus Oranien mit in die Wagschaale zu legen und die Entscheidungen für dasselbe durch ihren Beifall, ja durch ihren Willen, zu Gunsten desselben zu beschleunigen.
Die Dirigenten der Stadt erkannten diese harmlose Verschwörung zu Gunsten dessen, was sie selbst wollten, nicht. Es war ihnen ganz Recht, daß sie auf diese Weise getrieben erschienen, und sie thaten keine Schritte, solche Ausbrüche zu hindern; aber die Folgen, die bei dieser milden Herrschaft zu erwarten standen, machten doch allerlei Vorsichtsmaaßregeln nöthig, wie sie die Politik einer guten Polizei einzuschieben weiß, ohne Mißfallen zu erregen.
So hatte man den Jungfrauen scheinbar einen Tempel in den Ringmauern der Stadt angewiesen, und nachdem auf diesem Punkte Zuschauergerüste erbaut worden und mit der Menge der Neugierigsten bedeckt waren, einen andern ganz unterhaltenden Mummenschanz hinein verlegt, und indessen diese Juwele der Stadt hinter den Ringmauern herum vor dem Thore nach einer Ehrenpforte von Laub und Blumen, welche ein Orangenwald zu sein schien, geführt, um hier die junge Prinzessin wie unter den Nymphen des Hains willkommen zu heißen.
Dies war in mehr als einer Beziehung eine höchst glückliche Idee; denn indem man beschlossen hatte, die hohen Herrschaften hier zum Aussteigen zu bewegen, sollten sie auf ihren Sitzen kleine Erfrischungen von den jungen Mädchen empfangen – und ihre kleinen Verse, ihre Geschenke, die lieblichen Verkettungen ihrer pantomimischen Tanzbewegungen in dem kühlen Schatten dieses improvisirten Boskets recht genießen können.
Der Erfolg war der klugen Einrichtung entsprechend. Als die Prinzessin zwischen ihrem jungen Gemahl und dem Könige in das Bosket eintrat, rief sie entzückt: »O mein Gott! welch' ein Zauber – sind das Engel oder Menschen?«
»Nein!« rief der König – »das sind die Wunder, die allein Holland hervorbringen kann, mit seinen ihm allein zugehörenden seltenen Schönheiten. Empfangt die Huldigungen eurer Landsmänninnen.«
»Nein, nein!« rief die Prinzessin – »das gilt nicht mir – das gilt unserm verehrten Gast, der die Huldigungen der Frauen so ganz verdient und sie so wohl zu schätzen weiß.«
»O seht!« rief der König ganz zerstreut durch den Anblick, der sich ihm darbot – »seht, seht, welche Schönheiten! O, ich bitte euch, tretet vor – folgt dem lieblichen Kinde, welches euch die Hand reicht – ich hoffe, ihr nehmt mich mit. Altengland für das Lächeln dieses Mundes!«
Die Prinzessin reichte dem Könige verbindlich die Hand und folgte dann dem Reigen der jungen Mädchen, welchen Floripes anführte, und der die Herrschaften umschlang, drängte, aufhielt und endlich ihre Sitze umgab, nachdem sie sich niedergesetzt hatten.
Der König war damals in seinem dreißigsten Jahre. Er war ziemlich stark, von mäßiger Größe, und sein Anstand, wie seine Manieren waren weniger königlich, als sie den Charakter eines galanten, heitern Cavaliers trugen.
Sein Gesicht war fein gebildet; aber wenn er sich nicht der Heiterkeit seines Gemüths im Gespräch überließ, hatten die erfahrenen Kränkungen und das harte Mißgeschick, was seine Jugend traf, einen äußerst bitteren Ausdruck darauf zurückgelassen; wie sein Geist, der einer erhabneren Richtung nicht fähig war, davon den Charakter der Spottsucht und der höhnischen Mißachtung behielt, der so viele seiner Handlungen bezeichnete.
Er hatte auffallend schöne schwarze Locken, und nach ihm wurde die Sitte, sie lang über die Schultern hängend zu tragen, als Vorrecht der Cavaliere bekannt. Heute trug er ein Wamms von scharlachrothem Sammt mit Goldstoff gepufft, einen Mantel von Goldbrokat mit Hermelin besetzt, einen Spitzenkragen mit einer Agraffe von Juwelen unter dem freien Halse, und den Stern des Georgen-Ordens mit der Kette. Seine schöne, hohe Stirn war von dem diamantenen Bande seines Hutes ohne Krempe umfaßt, und ein Reiherbusch wogte aus einer Agraffe von Smaragden.
Sein Gesicht hatte sich in dieser letzten Zeit unter dem Sonnenschein des Glücks geglättet und drückte das Gefühl aus, was man ihm nicht absprechen konnte, und was ihn erregbar für jede das Herz erfassende Beziehung machte. Diese so wenig Verlaß gebende Eigenschaft sicherte ihm doch immer den Sieg des Augenblicks, und ließ bei der ihm inne wohnenden Gabe der Rede oft an allem Nachtheiligen zweifeln, was der Ruf ihm nur mit zu viel Recht vorwarf.
Floripes ging es mit ihm, wie dem Kinde mit den wilden Thieren der Bilderbibel – sie hatte sich in ein so großes Grauen hinein geredet, ehe sie ihn sah, daß sie ihn jetzt nicht erkannte und ihn suchte, aber indessen dem schönen Mann an der Seite der jungen Fürstin ihren Beifall gab.
Sie fühlte mit Vergnügen den Eindruck, den auch sie auf ihn machte und nahte sich der Prinzessin viel zuversichtlicher mit ihrem Kranz, da dieser gütig schauende Mann statt des Königs an ihrer Seite war.
Wie schön aber dies Vertrauen ihr stand, dies Lächeln der Liebe, womit sie ihre Rede an die Prinzessin einleitete, wurde von Allen mit Enthusiasmus empfunden.
Als sie ihre einfachen und kurzen Worte gesprochen, kniete sie nieder und legte der Prinzessin den Kranz auf den Schooß; diese aber beugte sich zu ihr, küßte sie zärtlich und sagte dann: »Darf ich dein schönes Geschenk nicht dem geben, der es gewiß gern aus deinen Händen empfangen hätte?«
Floripes erröthete und wußte nicht, was ihr zu antworten geziemte; doch als der König sich dem Geschenk entgegen bog und mit dem gewinnendsten Lächeln Floripes in die schönen auf ihn gerichteten Augen sah, sagte sie schüchtern: »Ich habe keinen Zweiten!«
»Nun, um so mehr!« sagte die junge Prinzessin. – »Wollen Euer Majestät dann von mir diesen Einzigen annehmen?«
Eben wollte Karl die Hand danach ausstrecken, da ließ er erstaunt dieselbe wieder sinken, denn das Gesicht von Floripes verwandelte sich bei der Anrede der Prinzessin so auffallend, daß der König die veränderte Gesinnung kaum darin übersehen konnte.
»Der König?« rief sie, indem dunkle Glut die zart gefärbten Wangen überlief und dann der auffallendsten Blässe Patz machte. – »Ist das der König von England?«
»Ja, mein Mädchen!« sagte die Prinzessin ahnungslos. – »Kanntest du ihn nicht – willst du ihn lieber selbst bekränzen?«
Doch schnell legte Floris ihre Hand auf den Kranz, ihn auf dem Schooß der Prinzessin fest haltend und immer noch ihr strahlendes Auge auf den König gerichtet, sagte sie mit tief bewegter Stimme: »O nein! nein! behalten ihn Euer Hoheit – ich – ich kann dem Könige von England keinen Kranz geben!«
Mit Entsetzen hatte Cornelius Hooft, an der Seite des Herrn von Marseeven, hinter den hohen Gästen stehend, dieser Scene zugesehen und nachdem er dem Oberschulzen schnell einige Worte zugeflüstert, machte Herr von Marseeven eine aufmunternde Bewegung gegen seine Tochter und während er sich zum Könige niederbog, suchte er ihn von dem sonderbaren Vorfall abzuziehn, indem er ihm sagte: »Wir mußten das Glück, unsere hohen Gaste zu begrüßen, unter die Jungfrauen der Stadt vertheilen – eine allein mit dieser Ehre beauftragt, würde den Neid ihrer Gespielinnen erregt haben!«
Der König ließ sich die Ableitung von dieser ihm räthselhaft dünkenden Scene gefallen, ohne Floripes aus den Augen zu verlieren und eine kleine Zerstreuung bei der Rede der Fräulein von Marseeven ganz überwinden zu können; doch war er zu galant, zu vollständig Kavalier den Damen gegenüber, als daß er nicht am Ende derselben und bei Uebernahme seines Straußes, so viel Zuvorkommenheit in Wort und Miene hätte darzulegen gewußt, daß Niemand, der ihn nicht schärfer beobachtete, die Beimischung erkannt hätte, die halb Ungeduld, halb Erstaunen seine wahre Theilnahme in Beschlag nahm.
Aber was dem Könige gelang zu überwinden, erhielt doch bei allen Anwesenden eine auffallende Erregung. Die jungen Mädchen, die Gefährtinnen Floripes, die schon die Tochter des Jakob van der Nees mit Erstaunen und Neid zu so großer Ehre hatten gelangen sehen, tadelten jetzt beinah zu laut flüsternd ihr Betragen und sagten ziemlich vernehmlich: »das komme davon, daß man diese Ehre einem Mädchen zugewendet, welches nicht die Gewohnheit guter Sitten habe!« – Auch die Herrn der Stadt tadelten das junge Mädchen; die Prinzessin selbst fand ihre Art nicht fein und wendete sich lieber von ihr, weil sie fürchten mußte, der König sei beleidigt und nur der junge Fürst Georg von Anhalt heftete theilnehmende Blicke auf das zitternde, junge Mädchen, welches von Allen verlassen, wie bewußtlos über die eigne Lage nur wenige Schritte zurück getreten war und so ein Gegenstand der rücksichtslosesten Beobachtung wurde, worin vorzüglich die englischen Herrn aus dem Gefolge des Königs ihm zu weit zu gehen schienen; er gab deshalb einem alten ehrwürdigen Herrn seines Gefolges mit ein paar Worten einen Auftrag und dieser stellte plötzlich seine breite Person so entschieden vor die zarte Gestalt Floripes, daß der Schatten wie eine Erquickung ihre gesenkten Augenlieder traf und sie den Muth faßte, sie zu erheben.
Dieser Augenblick war nicht ermuthigend. Die, welche ihr wohl wollten, hatten mit den Pflichten der Höflichkeit gegen die hohen Personen ihrer Gäste zu thun, und konnten ihr keine Aufmerksamkeit schenken; die jungen Mädchen aber waren theils auf einem andern Platz gruppirt, wohin sie versäumt, sich zu begeben, theils im Gespräch mit den Herrn und Damen, die zum Gefolge gehörten, und wenig geneigt, sich um eine Gefährtin zu bekümmern, die, wie es schien, sich allgemeines Mißfallen zugezogen.
Floripes feines Ehrgefühl war auf's tiefste gekränkt durch diese ihr plötzlich zu Theil gewordene falsche Stellung, und sie dachte an Mittel, sich ihr zu entziehen; aber das einzige war, über den Weg zu gehen und an den Herrschaften, die sie beleidigt zu haben schien, vorüber, denn nur so konnte sie die Gruppe ihrer Gefährtinnen erreichen, und selbst sich unter diese zu mischen, schien zweifelhaft, da Fräulein von Marseeven, ihre einzige Freundin in diesem Kreise, von der Prinzessin gefesselt, an deren Seite geblieben war, und es Floripes klarwurde, daß auch sie dorthin gehört haben würde, wenn man ihr nicht zürnte, denn die Prinzessin hatte selbst ihren Kranz auf dem Sessel liegen lassen, von dem sie sich erhoben, und nur der König spielte sehr anmuthig mit dem Strauß der Fräulein von Marseeven und redete diese immer wieder verbindlich an.
Ihre Lage wurde aber unterträglich, als zwei Herrn von dem Gefolge des Königs sich hinter den Herrschaften herum schlichen und auf gut Glück begannen, sie anzureden, und zwar mit einer Vertraulichkeit und Nachlässigkeit, die Floripes trotz ihrer Unerfahrenheit, als eine neue Beleidigung ihrer unbeschützten Stellung empfand.
»Mein schönes Kind,« sagte der Eine – »ihr habt gut gethan, euch hier zurück zu ziehen; denn so lange ihr dort unter der Flucht Tauben standet, sah man nur euch, und diese armen Kinder kamen ganz um den Triumph, sich so schön geputzt zu haben.«
»Aber mein holdes Mädchen,« hob der Andere an – »dürfen wir nicht, als loyale Unterthanen Seiner englischen Majestät fragen, womit es unser allergnädigster Herr verdient hat, eure Abneigung veranlaßt zu haben?«
Noch immer schwieg Floripes; aber sie trat zum zweiten Male einen Schritt zurück, und als sie ihre Augen mit einem stolzen Ernst zu dem letzten Sprecher erhob, kam ihr der Eindruck, sie sähe ihn nicht zum ersten Male; aber es war wie eine unwillkommene Erinnerung – als liefe ein kleiner Schauer über ihre Glieder.
»O, Laneric!« rief der Erste – »siehst du nicht, daß du zu weit gehst? So wirst du das Vertrauen des schönen Kindes nicht gewinnen! Geh, geh! – Aber seht nur ein einziges Mal auf, holde Blume von Saron – ihr werdet gewiß zu mir Vertrauen fassen. Ich will mich zu eurem Ritter aufwerfen, wenn ihr mir versprecht, heute Abend beim Banket die erste Sarabande mit mir zu tanzen – da entsteht Vertrauen und dann werdet ihr gewiß so allerliebst plaudern können, als alle eure Gefahrtinnen.«
»Nun, das kann sie ja auch mit mir!« rief der Andere – »Bei meiner Ehre, wenn diese Schönheit nur beim Tanz zu gewinnen ist – ich mache den tollen Streich und tanze den ganzen Abend mit ihr.«
Der Erste lachte. »Seht ihn an, meine liebe Kleine! er ist wenigstens zehn Jahr älter als ich, und hat, glaube ich, nie getanzt – nun hoffe ich, werdet ihr mir den Preis zugestehen. Geht, Laneric! – Seht! seht – ich glaube, sie lächelt mir zu!«
Dies war zu viel für Floripes, und ihre tiefe Muthlosigkeit und Schüchternheit ging in dem gerechten Unwillen unter, der sie erfaßte. »Wenn ich lächeln könnte!« rief sie plötzlich, indem alle Farbe von ihrem Antlitz entschwand – »während ich das Ziel so roher Spöttereien bin, so verdiente ich euer beleidigendes Verfahren. So aber hoffe ich mit Nichts diese Behandlung verdient zu haben, und fordere, daß ihr mich verlaßt!«
»Da hast du's!« rief Laneric – »das gilt dir, Montague! Du warst der Anfänger! Nun wird sie sich gegen ganz England verschwören, und wir werden durch den schönsten Mund in Holland die schmähligste Nachrede bekommen. Doch nicht gegen mich seid ihr erzürnt, schönes Fräulein. Seht mich nur einmal an – ich flöße so viel Zutrauen ein – gebt mir den Arm!« fügte er zudringlich ihr nahend hinzu – »ich führe euch aus der Nähe dieses Cavaliers, den eure Reize zum Thoren gemacht haben.«
Als Floripes diesen widrigen Mann, der Laneric genannt wurde, sich vertraulich nähern sah, erfaßte sie eine Art Verzweiflung; sie drückte angstvoll die Hände in einander, und indem sie wie nach Rettung umher schaute, rief sie unwillkürlich laut: »O, mein Gott! mein Gott! will mich denn Niemand schützen gegen diese Beleidigungen?«
Bei diesen Worten traf ihr Auge auf einen Cavalier des Königs, der sich langsam zu nähern suchte, und seine Augen fest auf sie gerichtet hielt. Nie erlebte Floripes so schnell die Ueberzeugung von ausreichendem Vertrauen, als bei seinem Anblick. Es war eine hohe schlanke Gestalt mit ernster, edler Haltung. Der Kopf war von den vollsten braunen Locken umgeben, und die hohe Stirn mit den schwermüthigen, schwarzen Augenbrauen trug den rührenden Stempel eines erhabenen Kummers. Die regelmäßige Schönheit seiner Gesichtsformen wurde nicht beeinträchtigt durch eine vorherrschend blasse Gesichtsfarbe, und obwohl er noch nicht das dreißigste Jahr erreicht zu haben schien, war dennoch die Grenze der Jugend überschritten. – Als Floripes mit ihren Augen überrascht auf seinem Gesicht haften blieb, drang aus seinen schönen, weitgeschnittenen, rothbraunen Augen ein solcher Blitz von Theilnahme und Güte, daß Floripes ihren Retter nahen fühlte – sie öffnete die Lippen und ohne zu sprechen, übte ihr Auge auf ihn die Kraft der Worte aus, denn plötzlich stand er zwischen den beiden Cavalieren – und auf Laneric's Arm, den dieser zudringlich Floripes näher zu bringen suchte, die Hand legend sagte er:
»Verzeiht, Milord von Laneric – macht dem Fräulein nicht glauben, daß dies englische Sitten sind – wir sollten nicht bedacht sein, unsern schlechten Ruf überall zu bestätigen.«
Diese feste schöne Stimme traf den Angeredeten wie ein Wespenstich. Er fuhr auf, und jetzt bekam dies Gesicht den vollen Ausdruck, den Floripes schon vorher unter seinen glatten Mienen verdeckt gefühlt hatte. Bosheit und Stolz blähten ihn auf; sein höhnisches Auge überlief den jungen Mann und er rief mit der herausforderndsten Unverschämtheit:
»Es ist möglich, Milord, daß eure Sitten andere sind, als die unsrigen; denn während wir Noth und Tod mit unserm Könige in fremden Ländern getheilt haben, zoget ihr es vor, in der Heimath am Spinnrocken die Stunde zu erwarten, die euch dann nichts kostete, als über den Kanal zu fahren und den von uns beschützten König in Empfang zu nehmen.«
»Graf von Laneric,« sagte der Andere fest und ruhig – »ihr richtet euch selbst, und es wäre ein Leichtes, euch zu beweisen, daß die allein den König zurückzurufen vermochten, die mit Blut und Leben daheim seine Rechte vertraten; aber dazu ist hier nicht der Platz, und ich habe keine Neigung, darüber mit denen zu streiten, denen wir es erst jetzt möglich gemacht haben, an den eignen Heerd zurückzukehren. Erlaubt mir aber zu beweisen, daß die englischen Sitten, die ich deshalb weniger vergessen haben kann, als ihr, es gebieten, jede schuldlose Jungfrau gegen Beleidigung zu schützen.«
»Ha! mein Lord – das ist in Wahrheit die Sprache eines eitlen Pedanten« – rief Laneric – »und ich werde euch wie ein Cavalier darauf antworten.«
Diese Worte waren zu lebhaft gesprochen worden, um nicht die Aufmerksamkeit zu erregen. Der König hatte seit der kurzen Zeit, daß die Edelleute, die seine Verbannung getheilt, mit denen zusammen getroffen, die den König mit der Flotte des Lord Montague zurückzuholen gekommen waren – Streitigkeiten genug unter ihnen erlebt und war immer wieder auf's Neue Vermittler zwischen den Ansprüchen des Vorzugs gewesen, welche jede Partei vor der andern ziemlich deutlich für sich geltend zu machen trachtete.
Der König wendete den Kopf, obwohl die Unterhaltung lebhaft um ihn kreisete, und zwei ältere Lords, der Herzog von Hamilton und der Admiral Montague, die den auffordernden Blick des Königs verstanden und sich der Gruppe nahten, sahen zu ihrem Unwillen ihre beiden Söhne, den Grafen von Laneric und den jungen Marquis Montague in diesen Streit verwickelt.
»Ich dächte, meine Herrn,« sagte der Herzog streng – »daß die Nähe des Königs und die ehrenvollen Festlichkeiten, in deren Mitte wir uns befinden, jeden brutalen Ausbruch der Leidenschaften hindern sollten.«
»Gewiß, Milord« – sagte Laneric höhnisch – »und Eure Herrlichkeit sollten nicht solche Annahmen machen, wo Sie Ihren Sohn betheiligt finden.«
»Ich werde mich freuen,« sagte der Herzog gemäßigt – »wenn mein Sohn sich bemüht, mir diese Ueberzeugung zu verschaffen; der gegenwärtige Augenblick scheint dem aber nicht günstig, denn deine erhobene Stimme hat die Aufmerksamkeit des Königs erregt.«
Der König, der seinen Antheil dem Streite zugewendet gelassen hatte, schien zu glauben, daß er sich nicht so schnell beendigte, als es die Umstände nöthig machten. Auch mochte es ihn anziehen, daß das junge Mädchen, welches durch seine Schönheit wie durch die auffallende Aeußerung seine Neugier gereizt hatte, in diesen Streit verwickelt schien, genug, er benutzte einen eben günstigen Augenblick und näherte sich mit der gewinnenden Anmuth, die ihm so eigen war, und mit der harmlosen Heiterkeit, die jede Leidenschaftlichkeit zum Verstummen bringen konnte, der Gruppe, die bei seinem Anblick ehrerbietig zurückwich.
»Aha!« sagte der König lächelnd, indem er auf's Neue wie bezaubert die Schönheit der armen erschütterten Floripes anstaunte – »meine Lords! Ich wette, ihr bemühtet euch eben, diese meine schöne Feindin mir zu versöhnen. Aber, nicht wahr? sie ist unversöhnlich – und ich werde mich selbst ihr zum Trotz zu ihrem Cavalier bekennen müssen und will sehen, ob ihr Haß gegen den König oder gegen den armen Karl gerichtet ist. Sagt, schöne Maid – wollt ihr eurem Ritter nicht sagen, weshalb ihr dem König von England den Kranz aus eurer Hand nicht gönntet?«
Dies nun war das Einzige, was die arme Floripes in ihrer großen Verwirrung gegenwärtig behalten hatte, als die Frage danach sie überraschte, blickte sie lebhaft auf und ehe sie bedachte, ob die Antwort passend sei, sagte sie mit besonderem Ernst: »Ich glaubte nicht, daß die Nichte der Marquise von Montrose dem Könige einen Kranz geben könnte.«
Die Wirkung dieser Worte auf alle Anwesende war höchst auffallend; der König aber wich fast zurück, und lebhaft erröthend, rief er, beinah mit Empfindlichkeit um sich blickend: »Das ist seltsam! – Ist es eine Attrappe, die man mir hier aufgespart hat?«
Es war ein glücklicher Zufall vielleicht, daß in diesem Augenblick, wie es so häufig bei solchen Feierlichkeiten zu gehen pflegt, sich ein Moment der Verwirrung eingefunden, der alle Festordner zerstreut hatte und die hohen Gäste sich selbst überlassen waren. Der König hatte Zeit sich zu sammeln, das Uebereilte seiner Aeußerung einzusehen, und seine Gutmüthigkeit oder sein Leichtsinn halfen ihm schnell über unangenehme Eindrücke hinweg. Aber er ließ sein Auge auf Floripes haften und sagte spöttisch: »Willst du uns deinen Namen sagen, schöne Kranzträgerin!«
»Floripes van der Nees,« stammelte diese, und sie fürchtete nun wirklich sie sei, verlassen von aller Welt, in die hülfloseste Lage gekommen, und allerlei unbestimmte Gefahren schwebten ihr unter diesen Männern vor. –
»Nun,« sagte der König – »das klingt nicht sehr hoch hinaus! Aber ihr, mein junger Lord,« fuhr er fort, sich an den jungen Mann wendend, der Floripes so schnell Vertrauen eingeflößt hatte – »ihr seid ja dabei betheiligt – erkennt ihr dies junge Mädchen als eine Verwandte an – wißt ihr um ihre näheren Verhältnisse?«
»Beides müßte ich noch von der Zukunft erwarten,« entgegnete der junge Mann nicht ohne Verwirrung – »ich sah das Fräulein vor wenigen Augenblicken zuerst; doch werde ich es als besondere Ehre zu schätzen wissen, wenn sie dem Marquis von Montrose einige verwandtschaftliche Rechte zugestehen will.«
»Das glaube ich selbst,« sagte der König frivol lachend. Aber er ward unterbrochen mehr zu sagen, denn Floripes stieß in demselben Augenblick, als der junge Mann sich ihr mit einer verbindlichen Bewegung als Marquis von Montrose vorgestellt hatte, einen Freudenschrei aus – ein Blitz des Lebens machte ihr Auge glühen, ihre Wangen sich röthen – »Ihr – ihr seid Lord Harry! meiner Tante Urica Stiefsohn – ihr meines lieben Montrose Sohn?«
»Ja, ja!« rief der junge Mann – »und welche Rechte habe ich an euch? – O, sagt mir, wie nah steht ihr mir und den Meinigen?«
»Laßt das,« sagte Floripes – »ja, ich bin euch verwandt – nah verwandt – aber laßt das – das sagt euch ein Anderer – aber wißt ihr denn, daß die Witwe eures edlen Vaters hier lebt?«
»Ich hoffte sie hier zu finden,« erwiderte Lord Harry – aber er fühlte auch, der Augenblick war nicht der rechte, um sich seinen Empfindungen zu überlassen, denn er sah, wie seine Gefährten mit spöttischen Mienen und Lachen und geflüsterten Worten diese Scene begleiteten, und schon fühlte er, wie heilig ihm das Wesen geworden, das sich seine Verwandte nannte.
Der König hatte jetzt einen seiner würdigen Entschluß gefaßt. Mit Ernst und Achtung sagte er: »Ich freue mich, daß der Zufall mich in Kenntniß setzt, daß die Witwe meines edelsten und aufopferndsten Freundes hier lebt. Ich habe die heilige Pflicht der Dankbarkeit, die ich leider diesem wahren Märtyrer unserer königlichen Sache schuldig bleiben muß, gegen sie abzutragen, und sie wird mir es vielleicht erlauben, meine Thränen mit den ihrigen zu vermischen und ihr zu sagen, daß Karl den Boden seines Reiches nicht betreten wird, ohne seinem Andenken jede Gerechtigkeit zu gewähren.«
Das war die Sprache, mit der man das Herz des jungen Mädchens gewinnen konnte. Zu unerfahren, um zu wissen, wie wenig solche Worte dem leichtsinnigen Karl kosteten, glaubte sie, er fände blos jetzt erst Gelegenheit, seine wahre Gesinnung auszusprechen, und überzeugt, daß diese Gerechtigkeit gegen Montrose der Tante ein Balsam sein werde, drückte sich dies Gefühl der erlangten Befriedigung so schnell auf Floripes Gesicht aus, daß der König mit seinem gewöhnlichen spöttischen Lächeln fühlte, er habe den heroischen Unwillen dieses jungen Mädchens besiegt, und auf's Neue ganz bezaubert von ihrer Schönheit, ging er sogleich zu der frivolen Weise über, die ihm bequemer war und fragte, ob sie nun Frieden mit ihm schließen wolle.
»O jetzt,« sagte Floripes warm – »jetzt seid ihr ja erst der König, für den Montrose sein Leben hingab. Denkt doch selbst – und vergebt mir deshalb; wer euch wohl hätte lieben können, wenn ihr nicht seinem Andenken gerecht geworden wäret.«
Die Cavaliere des Königs verzogen spöttisch den Mund, denn sie wußten, wie wenig ihr Herr diese Huldigung verdiente, und der König, der ihre Gesichter vorher wußte, sagte, sie lächelnd anblickend: »Ha, meine Herren, ihr neidet mir den Sieg über meine schöne Feindin; aber das soll mein Vergnügen nicht stören. Ich hoffe,« setzte er verbindlich hinzu – »ich sehe euch heute Abend beim Banket und ihr werdet mir einen Tanz aufheben.«
Die Herren der Stadt hatten sich indessen wieder um den König gesammelt, um ihn zur Fortsetzung des Einzugs einzuladen und hörten die letzten Worte, welche die Ausgleichung des früheren Mißlautes verriethen, und ihre Blicke ermuthigten Floripes zu einer ehrerbietigen Annahme der Aufforderung. Als sie aber den König einluden, mit der Prinzessin den Wagen zu besteigen, reichte er Floripes die Hand, indem er ihr sagte, er müsse selbst ihren Frieden mit der Fürstin von Anhalt stiften und sie solle neben dem Fräulein von Marseeven in dem königlichen Wagen Platz nehmen.
Die Fürstin war sehr froh, als sie den König mit dem sonderbar trotzigen Mädchen daher kommen sah, denn sie fürchtete für ihre Landsleute jedes Mißglücken ihrer großartigen Festlichkeiten.
»Hoheit,« sagte der König – »ihr müßt dies schöne Kind nur noch höher in eure Gunst stellen, da sie bereit war, dem armen Karl eine so derbe Lektion zu geben. Wir haben uns nun wie alte Freunde gegen einander erklärt, und sie hat dem gerechten Sinne des Königs jetzt verziehen, was sie ihm zur Feindin machte. – Wir wollen uns bei gelegentlicher Muße vorbehalten, euch das Mißverständniß zu erklären und mit eurer Erlaubniß ihr den Platz in unserer Karosse neben Fräulein von Marseeven anweisen.«
»Ich bedarf keiner Erklärung, wo Euer Majestät entschieden haben,« sagte die Fürstin sichtlich erfreut – »und bin sehr erheitert durch den Gedanken, daß meine Landsmännin sich zu rechtfertigen gewußt hat; denn Euer Majestät darf in Holland kein Herz zurücklassen, was in weniger ehrfurchtsvoller Liebe schlägt, als die Eurer eigenen Unterthanen.«
»Aber,« sagte der König, sie gegen den Wagen führend – »wenn es sein kann, bei dem schönen Geschlecht etwas weniger Ehrfurcht – und etwas mehr Liebe.«
Als Floripes in dem Wagen neben Fräulein von Marseeven Platz genommen, streifte ihr Auge die Versammlung, welche bis zum Wagen gefolgt war, und da der Zug noch einen Augenblick hielt, damit die Herren ihre Pferde besteigen konnten und sich an den vorgeschriebenen Plätzen ordnen, sah sie Lord Harry im Hintergrunde unter den Cavalieren, wie es schien, mit Nichts als mit ihrem Anblick beschäftigt.
Im vollen Lichte des Sonnenscheins schien er Floripes noch schöner und noch viel blasser und schwermüthiger als früher; aber eine innere Stimme sagte ihr, daß die Träume, die sie aus ihrer Kindheit herüber gebracht, sie nicht täuschten, und daß dieser Jüngling, obwohl ihm das glühende Leben und die Frische seines Vaters fehlte, doch demselben auffallend gliche. Sie glaubte den trüben Blick zu verstehen, mit dem er zu ihr herüber sah – wie viel mußte er nicht eben bei dem gelitten haben, was zwischen ihr und dem Könige zur Sprache gekommen war. Sie wurde von einem unbeschreiblichen Gefühl der Theilnahme erfaßt; sie hätte sogleich den Wagen verlassen und zu ihm eilen mögen, sie konnte ihre Augen nicht von ihm wenden – sie füllten sich mit Thränen, und als der Wagen anzog, fühlte sie ihre Brust zum Springen beklemmt, und indem er sich tief vor ihr neigte, mußte sie die rinnenden Thränen trocknen, und wußte ihm nicht zu danken, als indem sie die Hand auf's Herz legte.
So sehr hatte sie sich zu dem Feste gefreut und nun war die eben erlebte Noth so ehrenvoll beseitigt; Fräulein von Marseeven drückte ihr so entzückt die Hand, sie war so froh, ihre geliebte Floris neben sich zu haben und machte ihr erst recht die Ehre klar, die Beide durch diesen Platz im Wagm erfuhren. Aber Floris fand sich plötzlich zu der ganzen Feierlichkeit verändert – ihr Gefühl war so aufgeregt, so überspannt, daß sie nur seufzen konnte. Sie hätte Ströme von Thränen weinen mögen und sie wußte nicht, ob sie namenlos glücklich oder bodenlos unglücklich sei. Sie sah nicht mehr die Dinge um ihrer selbst willen; das harmlose Zuschauen des kindlichen Geistes, worin Alles seine eigne Geltung behält, seine gesonderte Wichtigkeit, war wie mit einem Zauberschlage verschwunden. Träumerisch blickte sie auf das bunt wogende Festgepränge und es schien sich zu einer gestaltlosen farbigen Masse verändert zu haben; sie hatte kein Erkennungsvermögen mehr, keinen Antheil für den naiven Anspruch an die gute Laune der Zuschauer; nur als die englischen Herrn plötzlich neben dem Wagen sichtbar wurden, entfuhr ein Ausruf ihrem Mund, und eine dunkle Röthe, die ihr Gesicht färbte, verrieth ihre Ueberraschung, denn der violette Sammtmantel des Marquis von Montrose streifte fast den Wagenschlag und sein Gesicht war zu ihr gewendet, während er doch dem Könige etwas zu sagen hatte. Von da an ritt er in ihrem Augenpunkt und nun schien es ihr, sie müsse immer beobachten, ob ihn denn nichts erheitere und sie blickte erst nach der Veranlassung suchend umher, wenn dies ernste melancholische Gesicht sich zu einem Lächeln verzog.
Aber der junge Mann schien eine ähnliche Verpflichtung zu fühlen, denn er suchte auch immer das Angesicht von Floripes, und wenn sie übereinstimmend lächelten, hätten sie wohl schwerlich angeben können, ob der Grund in ihnen oder in den äußeren Veranlassungen lag – gewiß aber war es, daß Lord Harry das Ziel dieser endlosen Fahrt herbeisehnte und fest entschlossen war, seine Stiefmutter, sobald er sich nur losmachen könne, aufzusuchen, obwohl es noch nicht lange war, daß man das Versprechen des Gegentheils von ihm gefordert, und er fast seine Einwilligung dazu gegeben hatte.
Das erste Banket, welchem Floripes in ihrem Leben beiwohnte, verfehlte nicht einen zerstreuenden Einfluß auf sie auszuüben, besonders da ihre Schönheit so großes Aufsehen machte, wie die Höflichkeit des Königs, der mit den beiden Anführerinnen der Jungfrauen, welche die Stadt zur Begrüßung ihrer hohen Gäste ihnen entgegen geschickt, tanzte – und nach ihm der Fürst von Anhalt, der eine ernste anziehende Unterhaltung mit Floripes führte, worin sie sich besser zurecht finden konnte, als in dem ironisch neckenden Gespräch des Königs, der am liebsten an der Unschuld der Frauen, mit denen er verkehrte, zweifelte, um nicht in seiner frivolen Redeweise sich gehindert zu fühlen.
Doch immer sah sie, wie ihren Beschützer, den Marquis von Montrose in ihrer Nähe und da er nicht tanzte, konnte er jede Zwischenpause gut wahrnehmen und benutzte sie eifrig, um mit ihr zu sprechen.
Beide fühlten aber bald, daß ihre Unterhaltung stets Gegenstände betraf, welche sie in eine zu wehmüthige Gemüthsstimmung versetzten, um in Mitte eines Festes berührt werden zu können, welches lachende Gesichter und heitere Scherzreden forderte, und sie sagten sich das endlich Beide, nachdem Floripes ein paar Mal mit bethränten Augen einen Tanz hatte antreten müssen. Sie versuchten nun von andern Dingen zu sprechen und sie vertrauten sich mit nicht minder großer Gemüthsbewegung, wie bekannt sie sich mit einander fühlten, und Lord Harry sagte ihr, wie er sie schon lange mit großem Erstaunen und ganz unsagbaren Ahnungen betrachtet habe, und wie er erst jetzt anfange zu begreifen, daß es die Erinnerung an seine nie vergessene Stiefmutter sei, deren Bild er als das theuerste Andenken immer in seinem Herzen getragen habe, und der Floripes trotz ihrer zarten Jugend unbezweifelt außerordentlich ähnlich sehe.
»Ja,« rief Floripes mit einer wahrhaft naiven Freude die Hände zusammenschlagend – »da habt ihr Recht und nun macht es mir auf's Neue inniges Vergnügen. Die Aehnlichkeit muß groß sein und ich habe Zeit meines Lebens davon gehört; denn als ich zuerst auf dem Schooß eurer Stiefmutter saß und euer Vater mich so sah, war er davon so überrascht, daß er ihr sagte, er könne denken, ich sei ihre Tochter.«
»Dazu will ich euch eine zweite Geschichte geben,« sagte plötzlich eine andere Stimme, die Beide unangenehm störte ,»denn es war der Graf von Laneric, der in der gedrängten Menschenmasse, wclche überall bei einander stand, ihnen so nah gekommen war, daß er Floripes Antwort gehört hatte.
»Nun! nun!« sagte er fast lachend, als Lord Harry ihn etwas finster anblickte. »Ihr könnt mir nicht den Vorwurf des Horchens machen, wozu mir diese Stirnrunzel die Lust verräth, denn hier wird Jeder unfreiwillig zum Horcher, weil er nicht die Macht hat, sich in diesem Menschenknäule zu entfernen, wann er will.«
Darauf ließ sich nichts entgegnen, denn die Wahrheit lag am Tage. Lord Harry neigte daher mit kalter Miene den Kopf. – »Nur zweifle ich, Milord, daß euch meine Unterredung mit dem Fräulein zu einer Fortsetzung verhilft, denn ich denke, diese Beziehungen müssen euch fremd sein.«
»Nicht so sehr als ihr denkt, mein Lord!« sagte der Graf von Laneric. – »Ich war kurze Zeit in dem Armeecorps eures Vaters dienstthuender Officier, und habe mich einige Wochen in dem Hause des Marquis befunden, ehe er seine Einschiffung antrat. Nun ward ich damals eurer Stiefmutter vorgestellt, und wie das wohl Allen so ging, die sie zuerst sahen, ich war von ihrer Schönheit ganz versteinert, und spielte eine klägliche Rolle dieser vollkommenen Frau gegenüber. Da ging die Thür auf und es trat eine alte Dame herein, aus deren Händen sich ein wahres Götterkind losriß und sich mit dem Ausruf: Mama! Mama! in die Arme der Frau Marquise stürzte, die zwar etwas verlegen, aber doch sehr zärtlich mit dem holden Kinde war.«
»Nun hatte ich meinen unglücklichen Tag; denn in der Hoffnung, meine etwas dummen Manieren zu verbessern, sagte ich demüthig: Ich hatte nicht gewußt, daß die Frau Marquise eine so schöne kleine Tochter habe, die ihr so vollkommen ähnlich sehe!«
»Doch das nun vollends erregte, aus mir unbekannten Gründen, den Unwillen der schönen Dame und sie leugnete standhaft die Mutter zu sein, und zeigte mir die alte, finstere Dame, die wie ihre Großmutter aussah und nannte sie mir als die Mutter des Götterkindes – und nun werdet ihr wohl errathen, mein Fräulein, daß ihr das waret und daß ihr von Kindesbeinen an der Dame glichet, die ihr auch damals Mama nanntet.«
»Ja,« sagte Floripes unbefangen – »die es aber doch deshalb nicht war, sondern meine Tante, oder die Tante meiner Mutter vielmehr, denn Urica's Schwester war meine Großmutter.«
»So also ist unsere Verwandtschaft – ihr seid nicht meine Stiefschwester?« rief der junge Marquis sichtlich erfreut – »Ich wußte, meine Stiefmutter war schon einmal vermählt!« setzte er verlegen hinzu. –
»Nein! nein!« sagte Floripes unschuldig lachend – »wäret ihr mein Bruder, das hätte ich euch gleich gesagt!«
»Aber,« sagte Graf Laneric lauernd – »ich kann euch sagen, daß ich in der Stimme des Publikums meine Rechtfertigung bekam; denn alle Menschen hielten das schöne kleine Mädchen für die Tochter der Marquise – bis natürlich – jeder sich die Aufklärung gefallen ließ, es sei die Tochter dieser alten Muhme.«
»Ach, meine Mutter!« rief Floris, welche endlich fühlte, daß von dieser die Rede war – »ach, sie war so gut, daß sie mir die Aehnlichkeit mit der lieben Tante gönnte!«
»Ich glaube es,« sagte Laneric – und im selben Augenblick trennte sie eine neue Woge der lebhaften Gesellschaft.
Lord Harry sah einen Augenblick nachdenkend zur Erde und ein mißmüthiges Gefühl erkaltete seine schönen Züge. Floripes ahnte nicht, wieviel der junge Marquis von dieser Aehnlichkeit bereits gehört und wie sie ausgebeutet worden war, ihm ein entehrendes Mißtrauen, sowohl gegen seinen Vater, wie gegen die von ihm immer noch geliebte Stiefmutter einzuflößen. – Dies Gerücht, woran er zuweilen geglaubt, doch immer mit heimlichem Widerspruch, behielt noch weniger Kraft in Floripes Nähe. Unbefangen erzählte sie ihm nun, wie seines Vaters Züge, je länger sie ihn sehe, je deutlicher wieder in ihr auflebten, und wie sie ihn an etwas Unerklärlichem erkannt habe, was sie erst verstanden, als sie ihn bei Namen habe nennen hören.
Sie war in dieser Mittheilung unaussprechlich reizend – und der junge Marquis vergaß schnell seinen Unmuth und seine Zweifel, und hielt nur noch sicher und wahr, was aus ihrem Munde kam, und horchte, wie sie ihm von ihrer Erziehung erzählte, von ihrem Gefährten William Bedfort, von der kleinen Orla, seiner Schwester – aber von Urica konnte sie nicht sprechen, ohne ihre reizbare Wehmuth anzuregen, und der junge Marquis bat sie davon zu schweigen, da er den Schmerz auf diesem holden Antlitz nicht ertragen konnte.
Ehe Floripes das Wanket verließ, verabredete sie, sich bei der Tante wiederzusehen; denn Floripes lehnte es mit einiger sie selbst überraschenden Bestürzung ab, ihn bei ihrem Vater zu empfangen.
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