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Der Orchideenfanatiker und die blaue Cattleya – Was Albert Forster aus der kolumbischen Wildnis berichtet – Auf der Spur der heiligen Wunderorchidee – Joshua Lovendaal setzt einen Preis von 50 000 Dollar für ihre Erlangung aus – Ein zudringlicher Lauscher – Die Erfolge des Hauses Sander & Fox – Von Orchideenjägern und ihrem Beruf
»Ich wiederhole, daß ich diese Orchidee, die blaue Cattleya, unbedingt haben muß, und zwar sofort!« schrie das hagere alte Männchen, dessen zwerghafter Körper in dem Klubsessel förmlich verschwand, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Gläser rings um die Wasserkaraffe klirrten.
»Und ich erlaube mir zu wiederholen, daß Sie diese Pflanze zu unserem größten Bedauern unmöglich bekommen können, Mr. Joshua Lovendaal,« erwiderte ruhig und höflich der Zweite am Tisch, der mit seiner behäbigen, wohlgerundeten Gestalt, seinem geröteten und vollen Antlitz den denkbar schroffsten Gegensatz zu dem aufgeregt-zappeligen Gnom im Ledersessel darstellte.
»Unmöglich?« krähte der Kleine. »›Unmöglich‹ sagen Sie, wenn ich richtig verstanden habe, mein lieber Sander? Das ist eigenartig, wirklich eigenartig. Ich hatte immer geglaubt, ein so lächerliches Wort wie ›unmöglich‹ käme im Wörterbuch eines Yankee nicht vor. Und in der Geschäftssprache der berühmten Blumenzüchter Sander & Fox in Philadelphia erst recht nicht. Warum aber, wenn Sie das freundlichst verraten wollen, können Sie mir die Orchidee nicht ablassen, he?«
»Weil wir diese blaue Cattleya, die erste blaue Cattleya, die uns zu züchten gelungen ist, schon vor langer Zeit fest dem Agenten des Maharadscha von Baroda versprochen haben, und weil wir beide, mein Sozius Fox und ich, gewöhnt sind, ein Versprechen zu halten.«
Mr. Joshua Lovendaal ließ ein höhnisches Meckern ertönen und stellte mit den kurzen Beinchen, die nicht bis zum Boden reichten, krampfhafte Schwimmübungen an.
»Der Maharadscha von Baroda!« wiederholte er voller Grimm. »Ich finde, daß Seine Hoheit sich in höchst unziemlicher Weise in die Angelegenheiten der Bürger unseres freien Landes einmischt. Hat er an seinen Schlössern, seinen Elefanten, seinen Juwelen nicht genug? Muß er uns Amerikanern auch noch die Orchideen abjagen? Dieser Halbwilde ist ja gar nicht imstande, den zauberhaften Reiz, die erlesene Schönheit und Kostbarkeit einer derartigen Götterpflanze zu würdigen. Das vermag nur einer wie ich, Joshua Lovendaal, der anerkannt gewiegteste Kenner auf dem Gebiete des erhabensten aller Sports, der Orchideenzucht. Also, meine Herren, um die Sache kurz zu machen ...« Der Sprecher zerrte mit zitternden, dürren Greisenfingern ein Scheckbuch aus der Brusttasche, zückte den Füllfederhalter und fuhr fort: »Ich weiß zwar nicht, ob ich mit Seiner Hoheit dem Maharadscha von Baroda konkurrieren kann, aber versuchen will ich es doch. Wieviel also, bitte? Zweitausend Dollar? Dreitausend? Viertausend? ... Diktieren Sie mir einfach den Preis der blauen Cattleya, ich bin vollkommen in Ihrer Gewalt.«
Jetzt mischte sich der Dritte am runden Tisch, Mr. Fox, ein hochgewachsener Mann mit energisch gestrafften Zügen, der bisher schweigend und lächelnd zugehört hatte, ins Gespräch. Er legte die Hand begütigend auf den Arm des Kleinen und redete ihm freundlich zu wie einem Kind:
»Lassen Sie's gut sein, mein bester Herr Lovendaal, es geht nun einmal nicht. Selbst wenn Sie uns zehntausend Dollar und mehr für die Orchidee böten, müßten wir ablehnen. Denn es verhält sich mit der Cattleya genau so, wie mein Sozius Sander es schon festgestellt hat: die Pflanze ist gar nicht mehr unser Eigentum, sie gehört bereits dem indischen Fürsten, für den sie von vornherein bestimmt war. Aber deshalb brauchen Sie nicht den Kopf hängen zu lassen. Wir können Ihnen die besten Aussichten auf ein anderes, mindestens ebenso schönes Exemplar eröffnen, das sich in glänzender Entwicklung befindet. Es soll dann Ihnen gehören, Ihnen allein. Eigentlich ist es unsere Absicht gewesen, Sie damit eines Tages zu überraschen, aber in Anbetracht Ihres Kummers sei es Ihnen schon jetzt gesagt.«
Mit einem Seufzer steckte der Gnom Scheckbuch und Füllfederhalter wieder ein, hoppste vom Klubsessel herab und lief mit seltsam trippelnden Schritten im Kontor auf und ab, während er sich die Hände rieb, daß die dürren Finger in den Gelenken knackten.
»Ist es nicht unerhört,« sagte er, einigermaßen beruhigt, aber immer noch tief verstimmt, »daß sich andere anmaßen, Orchideen zu sammeln, wie ich? Solche rücksichtslosen Menschen, die mir überall die Wege durchkreuzen.«
Sander, dem dieser Text und diese Melodie seines kuriosen Kunden längst vertraut waren, ließ ein gutmütiges Lachen hören. Fox klopfte dem kleinen Männchen freundschaftlich auf die Schulter und sprach:
»Wir wissen Ihre Kundschaft selbstverständlich vollkommen nach Gebühr zu schätzen, verehrter Herr Joshua Lovendaal. Aber trotzdem, um es offen zu sagen, könnte die Firma Sander & Fox von Ihren Käufen allein nicht bestehen, und wir sind deshalb gar nicht böse darüber, daß es noch ein paar Dutzend andere Lovendaal gibt, ich meine noch andere so begeisterte Orchideenliebhaber wie Sie, teurer Freund. Immerhin werden Sie als gerechter Mann zugeben müssen, daß wir Sie, unseren ausgezeichneten Berater, bevorzugen, wenn es nur irgendwie angängig ist. Und ich verspreche es Ihnen: aus der nächsten Sendung, die wir von Forster erwarten, sollen Sie wieder das Schönste haben.«
»Ah ... Forster,« sagte Joshua Lovendaal und machte den schwachen Versuch, sein faltiges Gesicht zu einer freundlichen Grimasse zu verziehen. »Wo steckt denn Ihr Reisender zur Zeit? Ich habe ja lange nichts von ihm gehört.«
»Wir sind nicht ohne Sorge,« entgegnete Sander. »Seine letzten Nachrichten kamen aus Puerto Colombo. Forster telegraphierte uns, daß er eine Expedition in die kolumbischen Anden vorhätte, aber fieberkrank wäre und sich Schonung auferlegen müßte. Seitdem warten wir mit Ungeduld auf weitere Mitteilungen.«
In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und der Prokurist des Hauses erschien mit einem Brief in der Hand.
»Ein Lebenszeichen von Forster,« sagte der alte, graubärtige Herr und überreichte den Chefs den Brief, der mit kolumbischen Marken frankiert war.
»Von Forster, Gott sei Dank!« riefen die Geschäftsinhaber wie aus einem Munde. Und Joshua Lovendaal fügte hinzu: »Welch seltsames Zusammentreffen, gerade jetzt, wo wir von ihm sprechen.«
Die Herren Sander und Fox und der Prokurist steckten, über den Schreibtisch gebeugt, die Köpfe zusammen und vertieften sich in großer Spannung gemeinschaftlich in die Lektüre des Briefes, wobei sie hin und wieder ein Murmeln, eine halblaute Zwischenbemerkung vernehmen ließen. Als sie mit dem Lesen zu Ende waren, rief Fox:
»Das sind ja vielversprechende Nachrichten! Forster ist kein Mann der großen Worte und leeren Redensarten; was er sagt und tut, hat Hand und Fuß. Er wird, daran zweifle ich nicht, auch dieses Unternehmen erfolgreich durchführen wie schon so manches frühere. Hören Sie, Mr. Lovendaal, auf daß Sie doppelt getröstet von dannen ziehen. Spannen Sie Ihre Erwartungen hoch und vernehmen Sie, was unser Kollektor schreibt. Aber lesen Sie lieber vor, Sander, Sie haben entschieden ein schöneres Organ als ich.«
Der Sozius ergriff die Briefbogen und las mit seiner laut tönenden Stimme:
»Bei Fonseca (Kolumbien),
Weihnachtsabend 1913.
Meine werten Herren!
Ich schreibe diese Zeilen in einem Gebirgsdörfchen an der venezolanisch-kolumbischen Grenze, ungefähr halbwegs zwischen Maracaibo und der Mündung des Magdalenenstromes. Ob das Dörfchen, wenn man die ärmlichen paar Hütten überhaupt so titulieren darf, zu Venezuela oder zu Kolumbien gehört, das weiß ich nicht, und es ist den biederen braven Hüttenbewohnern ebenfalls nicht bekannt, aber auch ziemlich gleichgültig, da sie der Frage ihrer politischen Zuständigkeit nicht das geringste Interesse entgegenbringen. Sie haben weder Bücher noch Zeitungen, um sich darüber zu unterrichten, wüßten auch nichts damit anzufangen, denn sie können – beinahe hätte ich gesagt: Gott sei Dank – weder lesen noch schreiben und haben vom Wert der berühmten Bildung schwerlich einen auch nur annähernd zutreffenden Begriff. Ob sie sich nun Venezolaner oder Kolumbier nennen dürfen, das werden sie erst erfahren, wenn es eines Tages der zuständigen Obrigkeit einfallen sollte, einen Steuererheber in diese bisher noch gänzlich übersehene und nicht registrierte Siedelung zu entsenden. Dann werden sie ja eine Ahnung davon bekommen, was Kultur ist und was man unter einer Behörde zu verstehen hat. Aber wie ich die guten Leutchen hier kenne, ist zu befürchten, daß der Steuererheber, wenn er kein sehr energischer Mann ist und ohne hinlängliche Bedeckung erscheint, auf einen zum mindesten sehr kühlen Empfang rechnen muß. Denn diese Wilden dürften so ihre eigenen Ansichten über den Wert oder Unwert von Behörden, Beamten und Stempelpapieren haben.«
Mr. Joshua Lovendaal ließ sein meckerndes Lachen ertönen und die Finger knacken und sagte, den Vorleser unterbrechend:
»Ganz der echte alte Forster, der Spötter und der Verächter unserer hochgepriesenen Zivilisation! Aber bitte, lesen Sie weiter, lieber Herr Sander.«
Mr. Sander fuhr im Vorlesen des Briefes fort:
»Verzeihen Sie meine Geschwätzigkeit, meine Herren, aber wenn man, wie ich, viele Wochen lang nicht in der Lage war, mit seinesgleichen zu sprechen, so benützt man gern die Gelegenheit zu einer kleinen, wenn auch einseitigen Unterhaltung. Ich will jedoch Ihre kostbare Zeit nicht ungebührlich in Anspruch nehmen und komme deshalb ohne weitere Umschweife jetzt zu meinem Bericht.
Das Telegramm aus Puerto Colombo, mit dem ich Ihnen meine Ankunft in diesem Lande meldete, ist wohl in Ihre Hände gelangt. Ich habe mich hierher gewendet, weil ich die Überzeugung hege, daß mir nirgends so gute Erfolge sicher sind wie hier im klassischen Lande der Orchideen mit seinen vielen noch völlig unerforschten und unausgebeuteten Wald- und Sumpfgebieten. Leider hat der lange, nicht sehr erfreuliche Aufenthalt im südlichen Mexiko, in Yukatan, meiner sonst so zähen Gesundheit ein paar heftige Stöße versetzt. Ich kam in Puerto Colombo mit starkem Malariafieber an und mußte ungewöhnlich große Mengen Chinin schlucken, um das gestörte Gleichgewicht meines äußeren Menschen einigermaßen wiederherzustellen. Aber seitdem ich mich hier in der reinen, frischen Höhenluft der Sierra befinde, weitab vom Dunstkreis der Städte mit ihrem Gelichter, ihren gewerbsmäßigen Gaunern und Betrügern, fühle ich wieder neue Lebenslust durch die Adern rinnen.
Die Ausbeute meiner Yukatan-Expedition habe ich, in sechs Kisten verpackt, unserem bewährten Geschäftsfreunde Carrasca in Barranquilla zur Beförderung an Sie übergeben. Glänzend ist das Resultat gerade nicht, immerhin werden Sie in den Kisten, die Ihnen wohl bald nach Empfang dieses Briefes zugehen, einige nicht uninteressante neue Orchideen finden, außerdem eine Anzahl wertvoller Naturalien sowie ein paar Funde ethnographischer Art. Das genaue Verzeichnis nebst Beschreibung liegt meiner Sendung bei.
Nun aber zur Hauptsache, zu den neuen Plänen, die ich im Gebiet der Sierra de Perija und in dem südlicheren Teil der Kordilleren verfolge. Da kann ich Ihnen eine Mitteilung machen, die sicherlich Ihr lebhaftes Interesse erregen wird. Ich glaube, um es kurz zu sagen und das Wichtigste gleich vorwegzunehmen, jener legendenhaften Orchidee auf der Spur zu sein, die an Form, Farbe und Größe der Blüte nicht ihresgleichen haben soll und in den Erzählungen der Blumenjäger eine bekannte Rolle spielt, jene Wunderorchidee, die bisher anscheinend nur einmal, vor sehr langer Zeit, außerhalb ihrer Heimat vorübergehend bekanntgeworden ist.«
Hier unterbrach der quecksilberhaft bewegliche Herr Joshua Lovendaal den Vorleser aufs neue. Er schnellte wie ein Gummiball aus seinem Klubsessel in die Höhe und rief:
»Wie? Forster will doch nicht etwa sagen, daß er jene phänomenale Sobralia wiederzufinden hofft, von der im Jahre 1871 ein einziges Exemplar nach London gelangt ist, das dann aber auf einer Ausstellung auf rätselhafte Art gestohlen wurde und von dem man nie wieder etwas gehört hat?«
Der Sonderling wußte in der Geschichte der Orchideenzucht und überhaupt in allem, was seine Leidenschaft betraf, so genau Bescheid wie ein Mann der Kirche im Katechismus. Keine einzige Tatsache, kein einziges Datum, nicht die geringste Kleinigkeit war ihm verborgen.
»Es scheint sich beinahe so zu verhalten,« bestätigte Sander. »Aber hören Sie weiter, was Forster schreibt.« Und er nahm die Vorlesung wieder auf:
»Umstände ganz besonderer und ziemlich romantischer Art, die ich Ihnen später bei größerer Muße ausführlich darlegen werde, haben mich zur Überzeugung gebracht, daß einem der wilden Stämme der Chibchaindianer, wahrscheinlich den Motilons, eine Orchidee bekannt ist, der sie wegen ihrer ungewöhnlichen Pracht und Größe übernatürliche, göttliche Fähigkeiten zuschreiben und die von ihnen in aller Heimlichkeit als heiliges Idol verehrt wird. Ob diese Sobralia – denn um eine Abart dieser Gattung scheint es sich nach allem, was ich darüber bisher in Erfahrung bringen konnte, zu handeln – mit der nach Europa gelangten Sobralia von 1871 übereinstimmt, das läßt sich jetzt natürlich noch nicht sagen; immerhin mag jene Londoner Sobralia, die damals, wie Sie wissen, ungeheures Aufsehen erregte und auf so geheimnisvolle Weise wieder verschwand, der von mir gesuchten heiligen Orchidee ziemlich nahe gestanden haben. Diese Sobralia mystica, wie ich sie einstweilen nennen will, soll von einem zauberhaften, zart gelblich angehauchten Weiß der ganz seltsam, fast wie ein Kreuz geformten Blütenblätter sein, aber über das Weiß sind winzige rote Pünktchen gesprengt, so daß es aussieht, als hätte ein feiner Sprühregen von Blut die Blüten benetzt. Es läßt sich denken, welchen starken Eindruck eine so auffallende Blume auf die abergläubisch erregte Phantasie der Eingeborenen machen mag.
Ich erwähnte vorhin die Motilons. Die entlegeneren und schwer zugänglichen Teile der Sierra de Perija an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela werden von dem noch heute unabhängigen Stamm der Motilonindianer bewohnt. Diese kräftig gebauten, gut begabten Leute verhalten sich völlig ablehnend gegen jeden Versuchs sie der modernen Zivilisation zugänglich zu machen, und leben in tödlicher Feindschaft mit den halbblütigen Ansiedlern am Fuß der Sierra. Solange man sie in Ruhe läßt, verhalten sie sich in der tiefen Verborgenheit ihrer Wälder still, tritt man ihnen aber in irgendeiner Weise zu nahe, etwa durch – wenn auch nur versehentliches – Eindringen in ihre Bezirke und Jagdreviere, so ist ihnen bei ihrer außerordentlichen Empfindlichkeit und Rachsucht jedes, auch das heimtückischste Mittel recht, um ihren wirklichen oder vermeintlichen Verfolgern einen Streich zu spielen. Bei solchen Gelegenheiten gibt es dann, wie erst kürzlich wieder, wenige Tage vor meiner Ankunft in diesem Land, zwischen Ansiedlern und Indianern blutige Zusammenstöße, wobei auf beiden Seiten mit rücksichtslosester Grausamkeit gekämpft wird, auf seiten der Ansiedler mit Pulver und Blei, auf seiten der Eingeborenen mit vergifteten Pfeilen und Speeren. Die Regierungen von Venezuela und Kolumbien sind viel zu gleichgültig und auch zu schwach, als daß sie sich um diese Vorgänge im Grenzgebiet sonderlich bekümmerten; sie lassen den Dingen ihren Laust
Meiner Vermutung nach sind es also die Motilonindianer, die die heilige Orchidee zum Gegenstand religiöser Verehrung machen, aber die Blume vor den Augen jedes Weißen und jedes Halbblütigen so zu verbergen wissen, daß noch niemand sie zu Gesicht bekommen hat, geschweige denn die Stellen der Wälder kennt, an denen sie wächst. Bei den Motilons liegt alle Macht bei den Priestern, diese beherrschen den ganzen Stamm, jeder Verstoß gegen ihre Befehle wird mit dem Tode bestraft. Es heißt nun weiter – ich kann vorläufig nur Überliefertes, nicht Selbsterfahrenes berichten –, daß die Priester es verstehen, sogar ihr eigenes Volk von jener Orchidee, der Sobralia mystica, dadurch in respektvoller Entfernung zu halten, daß sie sich dank ihrer geistigen Überlegenheit gewisse natürliche Zusammenhänge zunutze machen. Soweit ich mir aus den reichlich verworrenen Angaben, die hierüber im Umlauf sind, eine richtige Vorstellung bilden kann, geht das ungefähr folgendermaßen zu. Die Blüten der Sobralia mystica werden von einer bestimmten Insektenart umschwärmt und besucht, deren Stiche außerordentlich bösartig sind und Blutvergiftung zur Folge haben. Das Volk hält sich deshalb den Stellen, wo die heilige Orchidee wächst, ängstlich fern – mit Ausnahme der Priester, die durch eine auf die Haut gestrichene Salbe, deren Zusammensetzung ihr Geheimnis ist, gegen die bösen Folgen der Insektenstiche geschützt sind und sich deshalb den Wunderblumen unbesorgt nähern können. Das klingt vielleicht etwas phantastisch, liegt aber durchaus im Bereich der Möglichkeit. Wir wissen ja, in welchem engen Verhältnis die meisten Orchideen zu gewissen Insekten stehen, wie sie die Insekten mit ihrem Blütennektar locken und füttern und wie die Tiere ihrerseits dafür sorgen, daß der Orchideensamen, der an ihrem Körper haften bleibt, seiner Bestimmung zugeführt wird. Ohne Mitwirkung der Insekten wäre die Befruchtung und Vermehrung der Pflanzen kaum möglich. Es ist nun keineswegs unwahrscheinlich, daß die Schutzinsekten der Sobralia mystica bösartiger Natur sind, und daß es sich mit allem andern wirklich ungefähr so verhält, wie das Gerücht es darzustellen weiß.
Um aber nun zum Ende zu kommen: es ist also mein fester Entschluß, die Motilonindianer aufzusuchen und das Geheimnis der heiligen Wunderorchidee zu ergründen – mich wenigstens aufs ernsteste darum zu bemühen. Die Schwierigkeiten des Unternehmens verhehle ich mir nicht, und möglicherweise gehe ich dabei drauf. Das kann mich jedoch von meinem Vorhaben nicht abhalten. Wann ich die Expedition antrete, weiß ich noch nicht. Jedenfalls nicht vor drei Wochen, denn ich muß mich zunächst gesundheitlich vollkommen auf die alte Höhe bringen, habe auch hier in der näheren Umgebung, die an interessanten Pflanzen, Schmetterlingen und Käfern reich ist, noch mancherlei zu holen. Sollten Sie mir vor Antritt meiner Reise noch etwas mitzuteilen haben, so telegraphieren Sie an Carrasea in Barranquilla. Ich frage dort kurz vor dem Aufbruch ins Gebirge nach.
Übrigens noch eins. Als ich neulich in Puerto Colombo ankam, war es mir, als ob ich dort im Straßengewühl den Reisenden unserer Konkurrenten Strongfield & Smith, meinen alten »Freund« John Harland, auftauchen sah. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß ich mich geirrt habe, obwohl ich mir bisher keine Gewißheit über die Tatsache seines Aufenthalts hierzulande verschaffen konnte. Es wäre mir nicht eben am genehm, wenn Harland in dieser Gegend weilte und etwa ähnliche Absichten verfolgte wie ich. Zeder ehrliche, anständige Berufsgenosse ist mir im Wettbewerb willkommen, die weite Welt hat Raum für viele – aber Sie wissen, mit welchen niedrigen Mitteln, Umtrieben und Ränken der neid- und haßerfüllte Harland vorzugehen pflegt und wie er schon einmal, damals in Guatemala, meine Wege zu durchkreuzen versucht hat. Ich traue ihm und dem Hause, das er vertritt, so ziemlich alles zu, wenn es darauf ankommt, andere um den Erfolg ihrer Arbeit zu bringen.
Dieser Brief geht noch heute nach Barranquilla an Carrasca ab, der hoffentlich für seine prompte Weiterbeförderung sorgt.
Mit besten Grüßen Ihr ergebener
Albert Forster.«
Nur mit äußerster Selbstbeherrschung war es dem ehrenwerten Herrn Joshua Lovendaal geglückt, weitere Unterbrechungen des Vorlesers zu vermeiden. Und das will etwas bedeuten, denn der Inhalt des Schreibens hatte ihn in wachsende Erregung versetzt, eine Erregung, die besonders bei jener Stelle, wo von der religiösen Bestimmung der Sobralia mystica und ihrer Behütung durch die Priester die Rede war, knapp vor dem stürmischen Ausbruch stand. Aber der wunderliche Gnom hatte sich, wie gesagt, beherrscht, und nur das Muskelspiel seines pergamenthäutigen Gesichts, das Knacken der Finger und die krampfhaften Schwimmbewegungen der baumelnden Beinchen zeigten den Kampf der Leidenschaften in seinem Innern an. Als der Chef nun jedoch die Vorlesung des Briefes beendigt hatte, war es auch mit Herrn Lovendaals Zurückhaltung aus. Er hoppste vom Klubsessel herunter, trippelte um den Tisch hemm und rief ein- über das anderemal:
»Das sind ganz außerordentliche Nachrichten, meine Herren! Das Erstaunlichste, das ich jemals vernahm. Die Sobralia mystica, die heilige Orchidee! Ach, wenn ich das noch erleben und ein Exemplar dieser Gattung im Sanktuarium meiner Gewächshäuser blühen sehen könnte! Verhelfen Sie mir dazu, mein lieber Sander, mein lieber Fox, und ich zahle Ihnen jeden Preis, den Sie verlangen.«
»Ich glaube, wir können uns ganz auf Forster verlassen,« erwiderte Fox. »Jedenfalls wird er alles tun, um der geheimnisvollen Pflanze auf die Spur zu kommen, und; glückt es ihm dennoch nicht, so existiert die Wunderblume eben nicht oder das Schicksal sträubt sich gegen ihre Entdeckung. Wir wollen nur hoffen, daß Forster sich in seinem Übereifer nicht in zu ernste Gefahr begibt«
Der Orchideenfanatiker, der für nichts anderes als seine Leidenschaft Interesse hatte, hörte nur mit halbem Ohre hin, das persönliche Wohl und Wehe des Blumenjägers schien ihn nicht sonderlich zu berühren. Er zog jetzt wieder sein Scheckbuch hervor, setzte sich zum Schreiben hin und sprach:
»Hiermit setze ich eine Prämie von 50 000 Dollar für jeden aus, dem es gelingt, eine Sobralia mystica erbeuten und nach Philadelphia zu schaffen. Dieser Scheck wird bei meinem Notar Dr. Findlay hinterlegt und dem Überbringer der Orchidee ausgezahlt.«
»Das ist ein großzügiges Angebot, Mr. Lovendaal, ganz und gar würdig eines Liebhabers und Mäzens von Ihrem Schlage,« ertönte eine fremde Stimme, die von der Tür her aus dem dunklen Hintergrund des Zimmers kam.
Aufs höchste erstaunt wandten sich die Chefs, der Prokurist und Joshua Lovendaal nach dem Sprecher um, von dessen Anwesenheit niemand eine Ahnung gehabt hatte und dessen Eintritt bei der lauten Unterhaltung völlig unbemerkt geblieben war.
Ein junger Mann von sehniger Jockeigestalt trat aus dem Dunkel hervor in den Lichtkreis der Lampe und begrüßte die Herren mit einem verschmitzten Lächeln.
»Wie tauchen Sie so plötzlich hier auf?« fragte Fox und sah den ungebetenen Gast befremdet an. »Ich muß sagen, lieber Herr Snapper, ich finde es doch etwas eigentümlich –«
»Daß ich unangemeldet vor Ihnen stehe? Well, ich wollte Ihnen ein paar Neuigkeiten erzählen, man wies mich nach Ihrem Privatkontor, mein Klopfen wurde überhört, die Tür war nur angelehnt – da habe ich mir erlaubt, näherzutreten; entschuldigen Sie freundlichst,« erwiderte Snapper und lachte unbekümmert, als ob er einen ausgezeichneten Witz zum besten gegeben hätte.
Die Kompagnons wechselten einen vielsagenden Blick. Die dreiste Art des jungen Mannes war ihnen ja schon sattsam bekannt, aber man durfte es mit Snapper, dem Berichterstatter der großen und einflußreichen »Pennsylvania-Post«, nicht verderben. Immerhin empfanden die Anwesenden es als sehr unangenehm, daß der Journalist durch sein taktloses Eindringen vielleicht zum Mitwisser vom Inhalt des Forsterschen Briefes geworden war.
»Beehren Sie uns schon seit längerer Zeit in diesem Raum als unsichtbarer Gast mit Ihrem Besuch?« fragte Sander in ironischem Ton, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen.
»Ich bin soeben erst, vor einem Weilchen, in Ihre anscheinend sehr angeregte Unterhaltung hineingeplatzt und bitte nochmals um Entschuldigung,« log Snapper mit eiserner Stirn. Und um weitere peinliche Erörterungen seiner Taktlosigkeit abzuschneiden, begann er mit sprudelnder Lebhaftigkeit eine lustige Klatschgeschichte zu erzählen, bis Herr Joshua Lovendaal, den alles, was nicht seine Liebhaberei betraf, erheblich langweilte, sich mit einem Gähnen empfahl und die Chefs den geschwätzigen Zeitungsmann hinauskomplimentierten.
Der Orchideenfanatiker kehrte zu seiner Vorortvilla zurück, um, den Kopf ganz voll von Forsters Mitteilungen und Plänen, im Allerheiligsten des Gewächshauses noch ein Stündchen mit seinen Lieblingen zu verbringen. Der Journalist aber stürzte in überhitztem Tempo davon. Auch ihm ging etwas im Kopfe herum. Welchen glänzenden Stoff hatte ihm da der Zufall beschert! Nun galt es, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war ...
»Broad Street, Pennsylvania-Post,« rief er dem Chauffeur zu. Und das Auto raste davon.
*
Albert Forster, dessen Brief aus Kolumbien so starke Bewegung hervorrief, war der »Kollektor« und »Orchideenjäger« des Hauses Sander & Fox. Er war ein Deutscher, und die Firma hatte seiner seit Jahren auf großen Reisen in heißen Ländern bewährten Umsicht, seinem nicht Mühe und Gefahren schonenden rastlosen Eifer schon so manchen höchst wertvollen neuen Fund zu verdanken gehabt.
Wahrlich, nicht viele Geschäftshäuser auf dem Erdenrund dürfen sich einer so erlesenen, wählerischen und anspruchsvollen Kundschaft rühmen wie die weltbekannte Gewächs- und Blumenzüchterei von Sander & Fox in Philadelphia. Zwei Spezialitäten besonders sind es, die den Ruhm der Firma begründet und ihren Besitzern dazu verhalfen haben, sich aus bescheidensten Anfängen zu führenden Persönlichkeiten in ihrem Fach und zu beträchtlichem Wohlstand aufzuschwingen: japanische Zwergbäumchen und Orchideen. Was erstere betrifft, so war es bisher ein sorgfältig behütetes Geheimnis japanischer Gärtner, die Schößlinge gewisser Bäume, wie Buchen, Tannen, Ahorn usw., durch eine besondere Form der Ernährung und andere Kunstgriffe derartig im Wachstum zu behindern, daß solche Gewächse selbst im hohen Alter winzige, höchstens ein paar Fuß hohe Zwerge blieben, dabei aber in allen Teilen ganz ebenmäßige, im richtigen Verhältnis zur Gesamtgröße stehende Formen zeigten, also an Stamm, Ästen und Blättern gar nichts Verkrüppeltes hatten, sondern völlig normale, nur märchenhaft kleine Miniaturbäumchen genannt werden durften. Die Firma Sander & Fox führte diese Kuriositäten, eine reizende botanische Spielerei, in Amerika ein und erzielte damit bei ihrer Kundschaft durchschlagenden Erfolg. Denn es kam den reichen Gartenliebhabern nicht darauf an, die merkwürdigen Miniaturbäumchen – die mitunter, obwohl sie in Blumentöpfen wuchsen, schon auf ein Alter von mehr als hundert Jahren zurückblicken konnten – mit ungewöhnlich hohen Preisen zu bezahlen.
Noch weit größere Erfolge jedoch waren der Firma Sander & Fox mit der anderen berühmten Spezialität ihres Hauses beschieden, den Orchideen. Diese seltsamsten aller exotischen Blütengewächse sind, wie wohl allgemein bekannt, in den letzten Jahrzehnten überall auf der Welt die geschätztesten Modeblumen jener vom Glück bevorzugten Kreise geworden, die mit den Mitteln nicht zu kargen brauchen und denen eine gutgespickte Börse den Luxus solcher Liebhabereien gestattet. Denn ein kostspieliger Luxus ist es in der Tat, da sich zu den hohen Anschaffungskosten – seltene Orchideen werden oft mit Tausenden von Mark bezahlt und die seltensten erzielen geradezu fabelhafte Preise – noch die ebenfalls sehr erheblichen Anlage- und Unterhaltungskosten der künstlich erwärmten Treibhäuser gesellen, auf welche die meisten dieser empfindlichen Tropengewächse nicht verzichten können. Für seinen Aufwand und seine Mühe wird aber der Orchideenfreund durch eine Mannigfaltigkeit und Pracht der phantastischen Formen und Farben belohnt, wie keine andere Blumengattung der Welt sie zu bieten vermag. Sind das überhaupt noch pflanzliche Gebilde, sind es nicht verzauberte Wesen, Schmetterlinge, auf Stiele gebannt, leuchtende, glühende Edelsteine, in Blüten verwandelte Tropeninsekten, traum- und spukhafte Dinge, wie sie ein Fiebernder in seinen Delirien erblickt, abenteuerlich und verworren – und wäre man wirklich sehr erstaunt, wenn plötzlich winzig kleine, geflügelte Elfen oder unheimliche Kobolde aus den Kelchen schwirrten und die Wunderblumen umgaukelten? Wahrlich, es läßt sich wohl begreifen, daß es nicht nur begeisterte Buchideenfreunde, sondern auch Orchideenfanatiker gibt, bei denen, wie bei Mr. Lovendaal, die Liebhaberei zur verzehrenden Leidenschaft wird, und die weder Mühe noch Kosten scheuen, um immer wieder neue, noch nicht dagewesene Arten der Zaubergewächse zu erlangen. Die Natur kommt diesen Wünschen ebenso entgegen wie die gewerbsmäßige Orchideenzüchterei. Denn die Familie der Orchideen gehört zu den formenreichsten der ganzen Pflanzenwelt, sie weist viele Hunderte von Gattungen mit Tausenden von Abarten auf, und da sich die einzelnen Gruppen auf künstliche Weise miteinander kreuzen lassen, gelingt es den Züchtern, ihre Abnehmer mit immer wieder neuen Spielarten der Wunderblume zu überraschen.
Da bisher immer nur von exotischen Orchideen die Rede war, sei darauf hingewiesen, daß es auch bodenständige deutsche Orchideen gibt, und daß die weitverzweigte Familie in unserem Vaterland mit einigen Dutzend Arten vertreten ist, die sich im Hinblick auf Formen- und Farbenreichtum allerdings nicht im geringsten mit ihren prächtigen tropischen Vettern vergleichen können. Immerhin sind auch einige unserer deutschen Orchideen recht hübsch und zum Teil von ziemlich absonderlicher Gestalt, wie z. B. die Riemenzunge, deren Blüte – sie verbreitet leider, wie aber auch viele tropische Orchideen, einen unangenehmen Geruch – seltsame Anhängsel besitzt. Eine unserer häufigsten Orchideen ist das Knabenkraut, auch Kuckucksblume genannt, das im April und Mai mit purpurvioletten Blütenkerzen auf mageren Wiesen in so großen Mengen vorkommt, daß der Landwirt gar nicht davon entzückt ist. Im Volksaberglauben spielt die doppelte Wurzelknolle des Knabenkrauts, von denen die eine schwarz und welk, die andere hell und saftstrotzend ist, eine große Rolle. In Wirklichkeit verhält es sich so, daß diese Orchidee der größeren, welken Knolle die darin angehäuften Nährsäfte –entnimmt, während die kleinere Knolle als Saftreservoir für den Trieb des nächsten Jahres verbleibt.
Die vorhin erwähnten Kreuzungsversuche beanspruchen freilich das höchste Sachverständnis und vor allem eine fast übermenschliche Geduld, denn sie nehmen außerordentlich viel Zeit in Anspruch, und es vergehen oft zehn Jahre und ganze Jahrzehnte, bis das gewünschte Resultat erreicht wird. So ist es kürzlich, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, zwei bekannten englischen Züchtern, Armstrong und Brown, nach nicht weniger als dreißigjähriger Arbeit endlich geglückt, eine wundervolle neue Orchidee mit goldgelber Zeichnung hervorzubringen, die einem weißleuchtenden Sterne ähnelt, in dessen Mitte sich ein goldenes Herz befindet. Bisher gelang es noch nicht, die neue Orchidee durch Samen fortzupflanzen, so daß sie also das einzige Exemplar ihrer Gattung bleibt. Diese wundervolle Pflanze wurde mit 500 englischen Guineen gleich 10 500 Goldmark bezahlt.
Die Kundschaft des Hauses Sander & Fox ist, um es zu wiederholen, ebenso erlesen wie anspruchsvoll, denn für derartige botanische Raritäten, wie japanische Zwergbäumchen und Orchideen es sind, kommen, wie schon gesagt, nur reiche oder zum mindesten doch sehr wohlhabende Kreise in Betracht. Die Kundschaft ist international und erstreckt sich über die ganze Welt. Nicht nur in Philadelphia selbst, in Washington, Baltimore, Neuyork und in den anderen Städten der Vereinigten Staaten mit ihren vielen Reichen und Überreichen sind die ständigen Abnehmer der berühmten Pflanzenzüchter zu finden, auch im übrigen Amerika, in Europa, Asien, kurz überall, wo kleine und große Nabobs sich luxuriöse Liebhabereien gestatten können, hat der Name der Firma Sander & Fox einen guten Klang, sieht man ihren Katalogen und Angeboten stets mit Spannung entgegen. In Kästen eigener Bauart, aufs sorgfältigste verpackt, wandern die Pflanzen, Knollen und Schößlinge der Wundergewächse täglich in die weite Welt hinaus. Oft genug kommt es auch vor, daß man Exemplare von ganz besonderem Seltenheitswert nicht den Gefahren des Alleintransports aussetzen will; dann werden Angestellte hinausgeschickt, die die kostbare Ware unter persönlicher Obhut halten und häufig wochenlang damit unterwegs sind, ehe sie das Ziel ihrer Reise erreichen. Bei dem hohen Preis solcher Pflanzen fallen die Kosten dieser Beförderungsart, so bedeutend sie auch sind, nicht allzu sehr ins Gewicht.
Aber ein Welthaus wie Sander & Fox kann sich nicht mit dem schon bekannten und vorhandenen Pflanzenmaterial begnügen, wenn es auch noch so großen Umfanges ist. In dem Bestreben, immer wieder eine bisher noch unbekannte und nicht durch künstliche Kreuzung erzeugte Art auf den Markt zu bringen, hält die Firma einige »Kollektors« oder Sammler in ihrem Dienst, deren Aufgabe es ist, in den verschiedenen heißen Ländern der Erde, überall dort, wo die tropischen Orchideen hauptsächlich wachsen und sich zur größten Schönheit entfalten – also besonders in den Urwäldern Mittel- und Südamerikas, an den Abhängen des Himalaya und in den Dschungeln der Sundainseln –, neue Gattungen der Pflanze, neue Farben und Formen aufzuspüren, sich davon Knollen, Samen, Schößlinge zu verschaffen und sie, oft auf den umständlichsten, schwierigsten Wegen, nach Hause an das Geschäftshaus zu schicken. Es versteht sich von selbst, daß der Beruf der Blumen- oder Orchideenjäger, wie man die Kollektors auch häufig nennt, bei seinen Angehörigen außerordentliche Eigenschaften voraussetzt. Abgesehen von der nötigen wissenschaftlichen Bildung, zu welcher außer botanischen und anderen naturwissenschaftlichen Kenntnissen auch die Beherrschung mehrerer Hauptsprachen und die genaue Vertrautheit mit Land und Volk der zu bereisenden Gegenden gehören, verlangt der Beruf des Kollektors robuste Gesundheit, hohen Wagemut, Unerschrockenheit und Geistesgegenwart in so umfangreichem Ausmaß, daß der Kreis der Personen, die für dieses rauhe Gewerbe in Betracht kommen, nicht eben groß ist. Der Blumenjäger dringt, von seinem eigentümlichen Spürsinn geleitet, in unerforschte Gebiete vor, wo sich ihm tausend Hindernisse entgegenstellen. Das tückische Klima der tropischen Wälder und Sümpfe mit ihren Fiebermiasmen stellt seine Widerstandskraft auf die stärksten Proben, unbarmherziger Sonnenbrand versengt seine Haut, unermeßliche Regenfluten durchnässen ihn, giftige Schlangen bäumen sich unvermutet vor ihm auf, zahllose Insekten von bösartiger Angriffslust peinigen ihn Tag und Nacht, gefährliche reißende Tiere streichen lauernd um ihn herum, und nicht selten bedeutet das Zusammentreffen mit wilden Eingeborenen, die von Feindseligkeit und abergläubischer Scheu erfüllt sind, den sicheren Tod, der noch gnädig ist, wenn ihm nicht Martern vorangehen. Es stellt dem deutschen Mut, der deutschen Unternehmungslust ein gutes Zeugnis aus, daß sich unter den Blumen- und anderen Naturaliensammlern so viele Deutsche befinden, und daß sie zu den geschätztesten Vertretern ihres Berufes gehören. Von bekannten deutschen Kollektors haben im Lauf der letzten Jahrzehnte folgende, zum Teil auf qualvolle Weise, ihr Leben eingebüßt: Falkenberg starb in Panama, Klaboch in Mexiko, Endres in Kolumbien, Braun in Madagaskar, Schroeder in Sierra Leone und Arnold am Orinoko. Vor einigen Jahren trafen sich acht Blumenjäger in Tamatave auf Madagaskar, und nachdem sie einige Tag; zusammengewesen waren, zerstreuten sie sich nach den verschiedensten Richtungen auf der Insel. Ein Jahr später lebte nur noch einer von ihnen. Sieben andere waren tot; einer von ihnen war von den Zauberern der Eingeborenen mit Öl begossen und dann angezündet worden und hatte so ein entsetzliches Ende gefunden.
Obwohl die Expeditionen der Blumenjäger namhafte Kosten verursachen, machen sie sich im allgemeinen doch gut bezahlt, denn das Auffinden jeder neuen Gattung bedeutet für die Firma, die der Kollektor vertritt, einen erheblichen Gewinn. Manche Blumenjäger befassen sich nebenbei auch mit dem Sammeln anderer wertvoller Naturalien, wie Edel- und Halbedelsteine, Schmetterlinge, Käfer u. dgl. Übrigens schicken nicht nur Geschäftshäuser, sondern auch Museen für Naturwissenschaften und Länder- und Völkerkunde Reisende zum Aufspüren und Sammeln von Naturalien sowie ethnographischen Gegenständen in ferne Länder hinaus.
Einer der bewährtesten Vertreter dieses höchst eigenartigen und gefahrvollen Berufs, ein Orchideenjäger und Naturaliensammler von bester Art, war der Reisende von Sander & Fox, Albert Forster.