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XV. Tempera. Verschiedene Möglichkeiten; Beispiele dafür. Emulsions- oder Öltempera. Malgründe in Tempera. Die beste Technik: das Problem ist nicht eindeutig

Lieber Freund!

Von den verschiedenartigen Techniken bleibt uns wesentlich noch eine zu besprechen übrig, die Tempera. Allerdings handelt es sich hier nicht um einen so scharf begrenzten Begriff, wie bei den bisher erörterten Verfahren, denn Tempera bedeutet ursprünglich jedes Bindemittel für Farbe, und noch heute werden sehr verschiedenartige Gemenge damit bezeichnet. Hier ist es insbesondere, wo die moderne Farbenalchemie und das Geheimmittelwesen seine üppigsten Blüten treibt und seine schlimmsten Früchte trägt.

Unter Tempera versteht man gegenwärtig solche Bindemittel, welche sich zwar im frischen Zustande beliebig mit Wasser verdünnen lassen, sich aber gegen Wasser unlöslich erweisen, nachdem sie einmal trocken geworden sind, bezw. längere Zeit an der Luft gestanden haben. Die technische Erleichterung, die derartige Mittel gewähren, liegt in der Möglichkeit, über vorhandene Farben malen zu können, ohne sie zu stören. Die Chemie gewährt eine ganze Reihe von Hilfsmitteln, um diese Aufgabe zu lösen. Man kann das Prinzip der Ölmalerei benutzen, nämlich einen Stoff anwenden, der durch Oxydation unlöslich wird. Oder man kann das Festwerden darauf begründen, dass ein die Löslichkeit verursachender Stoff verdampft. Oder man kann die Wirkung des Lichtes, gewisse Kombinationen unlöslich zu machen, anwenden. Oder man kann auf die Malerei einen Stoff aufbringen, der das Bindemittel unlöslich macht. Damit ist meine chemische Phantasie zunächst erschöpft; ich glaube aber, dass ich bei einiger Anstrengung noch einiges aus ihr herauspressen könnte.

Um Ihnen aber zu zeigen, wie man diese allgemeinen Vorschriften in bestimmte Rezepte verwandelt, will ich für jeden Fall ein Beispiel geben. Wenn Sie Leim mit Eisenvitriol mischen, so erhalten Sie den ersten Fall. An der Luft geht das Eisensalz in eine höhere Oxydationsstufe über und dabei entsteht eine Verbindung, welche den Leim unlöslich macht. Leider wird diese Tempera dabei ziemlich braun, so dass sie sich nicht für alle Farben eignet. Den zweiten Fall erhalten Sie, wenn Sie Caseïn mittels Ammoniak oder noch besser Ammonkarbonat in Wasser auflösen. Das Ammoniak, bezw. das Ammonkarbonat verflüchtigt sich beim Trocknen und hinterlässt das Caseïn im unlöslichen Zustande. Dies ist eine sehr gute Tempera. Drittens können Sie mit Leim malen, dem eine sehr geringe Menge eines chromsauren Salzes zugesetzt ist. Im Lichte wird das Salz so verändert, dass es mit dem Leim eine unlösliche Verbindung bildet. Auch hier ist die gelbe Farbe der Chromverbindung etwas störend, doch verschwindet sie bei der Belichtung und macht einer mehr neutralen Platz. Viertens können Sie mit Leim malen und jeden Auftrag nach dem Trocknen mit einer Lösung von Formalin anstauben. Dieses vereinigt sich mit dem Leim zu einer unlöslichen Verbindung und der Zweck ist gut erreicht, da das übrige Formalin verdampft, ohne das Bild zu beeinflussen.

Ich habe Ihnen für jeden Fall nur ein Beispiel gegeben, könnte aber deren Anzahl sehr erheblich vermehren, wenn ich nicht bereits befürchten müsste, den »chemischen Schrecken« bei Ihnen erregt zu haben. So will ich es hierbei bewenden lassen und nur noch auf eine wichtige, weil viel angewendete und unendlicher Variationen fähige Erweiterung der vorhandenen Mittel hinweisen. Es ist dies die Anwendung der Emulsionen.

Eine Emulsion ist ein Gemenge einer wässerigen Flüssigkeit mit Kügelchen einer nicht in Wasser löslichen Flüssigkeit, wie Öl, Fett oder dergleichen. Milch ist eine solche Emulsion; in ihr schwimmt das Butterfett in Gestalt sehr kleiner Kügelchen, die sich nur schwierig zu grösseren Massen vereinigen. Dies geschieht beim Buttern, und Sie wissen, dass dies für den Unerfahrenen keine leichte Sache ist. Ebenso ist Eigelb eine derartige Emulsion; es besteht aus einem gelben Öl, dem Eieröl, das wieder in Gestalt kleinster Tröpfchen in Eiweiss aufgeschlämmt ist.

Welchen Wert derartige Emulsionen für die Temperamalerei haben können, ergibt sich, wenn man sich die Wirkungsweise einer passend zusammengestellten, z. B. Caseïn mit Leinölfirnis, vergegenwärtigt. Wird eine Farbe damit angerieben, so kann man sie beliebig mit Wasser verdünnen, kann sie also wie Aquarell oder Guasche anwenden. Beim Trocknen wird zunächst das Caseïn in Wasser unlöslich. Gleichzeitig beginnt aber auch der Oxydationsvorgang am Leinöl, und dieses wird gleichfalls fest. Das Farbkorn ist also auf doppelte Weise gebunden, und zwar durch ein Bindemittel, das vermöge seiner eigentümlichen wabigen Struktur eine besondere Zähigkeit besitzt.

Wegen dieser Vorzuge wird als Tempera gegenwärtig meist irgend eine Emulsionstempera benützt. Um eine solche herzustellen, bedarf man zunächst eines in Wasser löslichen, einigermassen schleimigen Stoffes. Hierzu kann arabisches Gummi, Leim, Eiweiss, Caseïn usw. benützt werden. Ferner bedarf man eines Öles oder flüssigen Harzes mit den erforderlichen Eigenschaften; hier bieten sich einerseits die trocknenden Öle, wie Lein-, Mohn- und Nussöl an, andererseits die flüssigen Harze und Firnisse, wie Terpentin, Copaïva, Canadabalsam , auch öliger Bernstein- oder Kopallack. Rührt man einen der zuerst genannten, in Wasser zu einem Schleim von Ölkonsistenz gelösten Stoffe mit etwa einem Fünftel bis einem Zehntel aus der zweiten Reihe zusammen, so vereinigen sich beide alsbald zu sahneähnlichen, undurchsichtigen Gemengen, die nach etwa viertelstündiger Bearbeitung die richtige Beschaffenheit haben und durchsichtig auftrocknen.

Meist wird Eigelb als wässeriger Bestandteil benutzt, doch ist dies nicht sehr zweckmässig. Denn im Eigelb ist bereits ein Öl enthalten, das aber nicht trocknet und ausserdem die stark gelbe Färbung hat. Besser ist Eiweiss, noch besser Caseïn, in Ammonkarbonat gelöst. Böcklin hat in der letzten Periode seines Schaffens eine Lösung von Kirschgummi benutzt, in welcher je ein Neuntel Petroleum, Copaïvabalsam und Terpentin emulsioniert war. Hiergegen wäre höchstens einzuwenden, dass das Petroleum überflüssig erscheint; doch kann es immerhin Wirkungen haben, die sich nicht alsbald voraussehen lassen.

Die technische Bedeutung der Tempera liegt nun darin, dass hier die im vorigen Briefe erwähnte Trennung der mechanischen und optischen Wirkung des Einbettungsmittels systematisch durchgeführt werden kann. Man malt mit Temperafarbe, holt sie nach dem Trocknen mit einem Firnis heraus und kann hierauf wieder ohne Schwierigkeit mit neuer Temperafarbe weiter arbeiten und von neuem firnissen. Ebenso kann man auf einer Untermalung von Tempera Ölfarbe auftragen, namentlich mit solcher Farbe lasieren. Es ist nach E. Berger sehr wahrscheinlich, dass die Schönheit der Farbe in den altvlämischen Bildern auf solche Weise – Öllasur über Tempera – erreicht worden ist. Da ein gutes Temperabindemittel vermöge seiner zusammengesetzten Beschaffenheit durch die ganze Masse austrocknen und fest werden kann, so fällt die Ursache des Reissens, die im vorigen Briefe bezüglich der Ölfarbe dargelegt worden war, hier fort; auch die Anwendung der lasierenden Ölfarbe bringt sie nicht mit, denn eine Lasur ist naturgemäss ein sehr dünner Auftrag. Allerdings ist hierbei vorausgesetzt, dass nicht bereits durch den Malgrund das Reissen bedingt wird. Um dies zu vermeiden, ist auch der Malgrund in Tempera auszuführen, und zwar möglichst dünn. Gemahlener Schwerspat mit einem solchen (verdünnten) Tempera-Bindemittel dünn aufgetragen, gibt einen vorzüglichen Malgrund, auch für Pastell.

So sind wir, lieber Freund, endlich am Ende unserer gemeinsamen Wanderung angelangt. Freilich müssen Sie zunächst wie Moses sich damit begnügen, das gelobte Land der zuverlässigsten Technik vor sich zu sehen; das Betreten in Gestalt eines erprobten Rezeptes kann ich Ihnen noch nicht ermöglichen, weil meine Arbeiten noch nicht weit genug dazu gediehen sind. Aber ich glaube durch die Festlegung der wissenschaftlichen Grundlagen doch den experimentierenden Kunstgenossen die Aufgaben und die Mittel zu ihrer Lösung hinreichend klar gemacht zu haben, um ihren Bemühungen eine bestimmte Richtung zu geben und das bisher so verbreitete planlose und auf einen glücklichen Zufall berechnete Herumprobieren entbehrlich zu machen. Es ist ja offenbar, dass die Lösung der Aufgabe keine eindeutige ist; man wird eine ganze Anzahl von Kombinationen zusammenstellen können, die alle nahezu gleich grosse Vorzüge haben. Um so besser, dann ist auch für die persönliche Eigenart des Künstlers noch reichlich Raum vorhanden. Aber ich hoffe wenigstens das erreicht zu haben, dass künftig der Künstler nicht blindlings sich Zusammensetzungen mit Phantasienamen, die als Tempera ohne Angabe der Bestandteile angeboten werden, anvertraut, sondern vor allen Dingen zu wissen verlangt, woraus das Bindemittel besteht.


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