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VII. Aquarell. Lasur- und Deckfarben. Bindemittel. Stumpfwerden beim Trocknen und die Wirkung der Firnisse. Grosse Dünne der Farbschichten und daher rührende Schwierigkeiten und Vorteile, Zusammenfassung

Lieber Freund!

Sie haben nach der Anweisung meines vorigen Briefes mit dem farbigen Glase experimentiert und fragen mich, warum dessen Farbe so viel kräftiger und gesättigter aussieht, wenn man es auf ein weisses Papier legt, als wenn man bloss das weisse Papier dadurch ansieht. Zunächst nehmen Sie meine Anerkennung für die Richtigkeit Ihrer Beobachtung; dass es Ihnen aufgefallen ist, bedeutet bereits einen gut entwickelten Sinn für das Bemerken von Erscheinungen, auf die man nicht vorbereitet war. Diese Fähigkeit ist seltener als man glauben sollte, denn die meisten Menschen sehen nur das, was sie zu sehen erwartet hatten.

Die Ursache liegt darin, dass beim Betrachten des weissen Papiers durch das farbige Glas das weisse Licht des Papiers nur einmal durch das Glas gegangen ist. Legen Sie aber das Glas auf das Papier, so muss das Tageslicht, um zum Papier zu gelangen, bereits einmal durch das Glas gehen und wird dann vom Papier nochmals durch das Glas bis zu Ihrem Auge zurückgeworfen. Es entsteht also in diesem Falle eine Wirkung, als wäre das Tageslicht durch die doppelte Dicke des Glases gegangen, und demgemäss ist die Färbung entsprechend stärker.

Hiermit sind wir nun auch gleichzeitig in die Theorie der Technik eingetreten, zu der ich mich im systematischen Gange nun zu wenden habe, zu dem Aquarell im engeren Sinne. Ursprünglich bedeutet ja der Name ersichtlicherweise nur eine Maltechnik, die auf der Anwendung des Wassers zum Verdünnen und Auftragen der Farbstoffe beruht. Nun wissen Sie aber, dass Wasserfarben in zwei verschiedenen Weisen angewendet werden, als Aquarell und als Guasche. Während früher alle Welt und jetzt noch, wie ich glaube, die Engländer mit einer Art religiöser Scheu vermeiden, die beiden Arten nebeneinander in demselben Bilde zu gebrauchen, ist heute im internationalen Kreise der Künstler dieser Zopf gefallen und es herrscht hier wie sonst das Motto: erlaubt ist, was gefällt.

Wie bei allen derartigen Regeln handelt es sich um gewisse tatsächliche Verhältnisse, welche zu dem Dogma geführt haben. Nur der Umstand, dass man sich über die Ursache der beobachteten Erscheinungen nicht klar ist, bewirkt dann ein solches summarisches Verbot, wobei denn immer das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, d. h. neben den unschönen Verbindungen auch die schönen und brauchbaren verboten werden.

Es handelt sich hier nämlich um einen sehr wichtigen Unterschied, der bereits den ältesten Schriftstellern über Malerei geläufig ist, den der durchsichtigen und der undurchsichtigen Farben, oder wie wir heute sagen, der Lasur- und Deckfarben. Beim Aquarell im engern Sinne werden möglichst nur Lasurfarben verwendet, während die Guasche umgekehrt fast ausschliesslich Deckfarben gebraucht. Worauf das Decken beruht, haben wir bereits im dritten Briefe erörtert: eine Deckfarbe gibt nur solches Licht aus, welches durch Absorption und Reflexion, durch Verschlucken und Zurückwerfen in den Körnchen des Farbstoffes selbst seinen Charakter erhalten hat. Eine Lasurfarbe wirkt dagegen wie ein auf Papier gelegtes farbiges Glas: sie lässt die Farbe des Untergrundes durchwirken und entzieht diesem Lichte nur noch diejenigen Strahlen, die sie selbst verschluckt. Beim Aquarell dient nun als Untergrund im allgemeinen weisses oder nur sehr wenig gefärbtes Papier. Die Wirkung des Aquarells auf das Auge entsteht also durch das Zusammenwirken des weissen Papieres mit den aufliegenden durchsichtigen Farbstoffschichten.

Demgemäss setzt sich die Palette des Aquarellisten vorwiegend aus solchen Farbstoffen zusammen, welche nichtdeckenden oder durchsichtigen Charakter haben. Erinnern Sie sich der Theorie des Deckens aus den früheren Briefen, so werden Sie alsbald die Eigenschaften erkennen, welche bei derartigen Farbstoffen vorhanden sein müssen: da die Deckung um so stärker ist, je grösser die Lichtbrechung des Farbkörpers ist, so werden solche Farbstoffe am durchsichtigsten sein, deren Lichtbrechung am geringsten ist. Dies findet sich allgemein bestätigt: die Bleifarben, welche allgemein die grösste Lichtbrechung haben, sind keine Lasurfarben, wohl aber die »Lacke« aller Art, deren Träger die Tonerde, ein Stoff mit kleiner Brechung, ist.

Ferner aber wird das einzelne Farbkörnchen um so durchsichtiger sein, je kleiner es ist. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, für das Aquarell möglichst feingeriebene Farbstoffe zu verwenden. In der Tat beruhen die Unterschiede in der Güte der verschiedenen Arten von käuflichen Aquarellfarben so gut wie ausschliesslich auf dem durch das Reiben erzielten Feinheitsgrade des Farbstoffes. Denn mit gesteigerter Feinheit nimmt nicht nur die Durchsichtigkeit des einzelnen Kornes zu, sondern auch sein Festhaften nach erfolgtem Auftrage. Es ist ja ohne weiteres ersichtlich, dass ein Körnchen durch späteres Darüberführen des Pinsels um so weniger von seinem Platze bewegt werden wird, je kleiner es ist, je enger also die Schlupfwinkel sind, in denen es Unterkunft und Schutz gegen spätere Belästigung durch die Pinselhaare finden kann. Hieraus rührt die Eigenschaft sehr fein geriebener Aquarellfarbe, nach einmal erfolgtem Trocknen mehr oder weniger unverwaschbar zu sein.

Die Frage nach dem Bindemittel der Aquarellfarbe, die Ihnen vermutlich längst auf der Zunge geschwebt hat, beantwortet sich sehr einfach: es wird meist arabisches Gummi dazu genommen. Dieses ist, wie Sie wissen, in Wasser löslich, und darauf beruht die Eigenschaft der Farbstofftäfelchen, beim Reiben mit Wasser zu zergehen. Ferner beruht hierauf die andere Eigenschaft, dass stark aufgetragene Aquarellfarbe dem nassen Pinsel nicht standhält. Während nämlich bei dünnem Auftrag die Farbstoffkörnchen in den Unebenheiten des Papieres genügend Platz finden können, werden die meisten von ihnen bei starkem Auftrag nur durch das Gummi festgehalten, und müssen diesen Halt verlieren, wenn das Bindemittel aufgelöst wird. Daher kann man bei geschwinder und geschickter Arbeit allerdings auch über starke Farbe einen neuen Auftrag machen: wenn man nämlich fertig ist, bevor sich das Gummi gelöst hat. Sowie man aber zum zweitenmal mit dem Pinsel auf die nasse Stelle kommt, wird die ihres Haltes beraubte Untermalung mitgenommen.

Aus dieser Unbequemlichkeit ergibt sich die Frage, ob man nicht Bindemittel verwenden kann, die nach dem Trocknen gegenüber einem weiteren Auftrage fest bleiben. Solche Bindemittel gibt es allerdings; wir werden sie später bei der Tempera kennen lernen. Sie haben neben dem erwähnten Vorzug offenbar den Nachteil, dass man auch die Farben beim Aufbewahren nicht trocken werden lassen darf, da alsdann auch die Unlöslichkeit eintreten müsste. Doch sollen diese Erörterungen der späteren Abhandlung über die Tempera vorbehalten bleiben: beim Aquarell rechnet man eben mit der Löslichkeit des Bindemittels und handelt danach.

Während die mit sehr dünner Farbe behandelten Stellen eines Aquarellbildes nach dem Trocknen ebenso aussehen wie in nassem Zustande, werden die stark gedeckten Stellen deutlich »stumpfer« beim Trocknen. Dieser Ausdruck besagt nichts, als dass nach dem Trocknen mehr zerstreutes Oberflächenlicht von den betreffenden Stellen zurückgeworfen wird. Die hier obwaltenden optischen Verhältnisse lassen sich auf Grund unserer früheren Betrachtungen leicht verstehen.

Sie erinnern sich, dass die Zurückwerfung des Lichtes um so geringer ist, je geringer der Unterschied zwischen der Lichtbrechung der Körnchen und der ihrer Umgebung ist. Im nassen Bilde besteht die Umgebung aus Wasser, im trockenen teils aus Gummi, teils aus Luft. Ersteres hat ungefähr die gleiche Brechung wie die Farbstoffe; ein Gemenge von beiden wirkt also fast wie ein gefärbtes Glas; die Luft hat dagegen eine sehr viel kleinere Brechung und die von Luft umgebenen Körnchen wirken also vorwiegend als Deckfarbe. Bei sehr dünnem Auftrage reicht das Gummi aus, um jedem Körnchen die zur Lasurwirkung erforderliche Umgebung zu gewähren, bei dickem Auftrage dagegen nicht, wenn man nicht noch besonders Gummi oder ähnliche Stoffe hinzunimmt. Während also im nassen Bilde die eben beschriebene Rolle des Gummis vom Wasser überall übernommen wird, gelangt beim trockenen an die Stelle des Wassers um so mehr Luft, je stärker der Farbauftrag ist.

Ebenso einfach wie die Erklärung des Stumpfwerdens beim Trocknen ist die der Wirkung von Firnissen u. dgl. auf das stumpf gewordene Bild, das sie wieder »herausholen«. Der Firnis bewirkt, dass jedes Farbkörnchen dauernd in eine optisch ähnliche Umgebung wie beim nassen Bilde kommt und dass ihm somit ermöglicht wird, wie ein durchsichtiges farbiges Glas zu wirken. Als Firnis kann daher jede Lösung dienen, die einen glasähnlichen Rückstand lässt, also z. B. wieder arabisches Gummi. Um aber nicht Gefahr zu laufen, den Farbauftrag durch Lösen des Bindemittels zu zerstören, nimmt man meist alkoholische Firnisse, denn Alkohol löst das Gummi nicht auf. Eine Lösung von gebleichtem Schellack ist brauchbar; noch besser scheint mir der unter dem Namen Zaponlack jetzt in den Handel gebrachte Firnis, der vollkommen farblos ist und auch keine Gefahr des Vergilbens mit sich bringt. Er besteht aus einer Lösung von Celluloid in Amylacetat und hat den besonderen Vorzug, dass er keine Neigung hat, in das Papier einzudringen, wie es die alkoholischen Lacke tun.

Für die erzielten Farbwirkungen spielt der Bildgrund, das Papier, eine wesentliche Rolle, denn ihm fällt die Aufgabe zu, das Licht zu reflektieren. Der dünne Farbüberzug wirkt als durchsichtiges Mittel, und zwar zweifach, indem das auffallende Licht zuerst beim Durchgehen bis zum Papier wie durch ein farbiges Glas gefärbt wird, sodann aber zum zweitenmal beim Zurückgehen den gleichen Einfluss erfahrt. Damit diese Wirkung zu stande kommt, müssen namentlich für hellere Farben ganz ausserordentlich dünne Farbstoffschichten aufgetragen werden. Ist dieser Farbstoff dann nicht vollständig unveränderlich und erfährt er eine langsame chemische Umwandlung, so genügt ein quantitativ verschwindend kleiner Umsatz, um eine für das Auge sichtbare Wirkung hervorzurufen. Somit zeigen Aquarelle in ganz besonders hohem Masse die Eigenschaft des Verbleichens im Lichte, falls sie nicht mit unveränderlichen Farben hergestellt sind.

Die beschriebene Art der Lichtwirkung bedingt auch die bekannte Schwierigkeit des Aquarells bei der Herstellung grösserer Flächen von gleichförmiger oder regelmässig abgetönter Färbung. Denn da die ganze Wirkung auf der Dicke oder Dichte der aufliegenden durchsichtigen Farbschicht beruht, so muss diese Dicke ganz gleichförmig sein oder regelmässig abnehmen, wenn die angedeuteten Wirkungen erzielt werden sollen. Beim Pastell ist eine solche Schwierigkeit ebenso wenig vorhanden wie bei der Guaschetechnik. Denn da hier die Farbschicht so dick aufgetragen wird, bis die Wirkung des Untergrundes aufgehoben ist, so ist es gleichgültig, ob an einzelnen Stellen der Auftrag noch etwas dicker ist, da sie durch die Wirkung nicht weiter geändert wird.

Andrerseits bewirkt die beschriebene Lichtbewegung eine sehr reine und klare Färbung des zurückgeworfenen Lichtes. Dies beruht darauf, dass hier das gesamte Licht die färbende, durchsichtige Schicht zweimal durchdringen muss, während bei der Reflexion von deckenden Farben ein Gemenge von farbigem Tiefenlicht und von weissem Oberflächenlicht an das Auge gelangt, dem der Charakter der Durchsichtigkeit fehlt.

Soll ich daher mein Urteil über die Eigentümlichkeiten der Aquarelltechnik zusammenfassen, so kann ich ihr keine sehr grossen Vorzüge zuschreiben, Ihre wichtigste Tugend besteht in dem mittels der durchsichtigen Farben erzielten optischen Charakter; ferner bedingen die geringen Mengen des Bindemittels keine Gefahr für die Dauer des Bildes infolge ihrer Veränderung. Da auch der Unterlage, dem Papier, ein sehr grosses Mass von Dauerhaftigkeit zugesprochen werden kann, so liegen nach dieser Richtung keine Ursachen schnellen Verderbens vor. Dagegen ist ein sehr erheblicher Nachteil der Umstand, dass die gesamte Wirkung des Bildes auf der Stärke und Beschaffenheit einer ausserordentlich dünnen Farbstoffschichte beruht, woraus sich einerseits die Schwierigkeiten in der Herstellung der Bilder, andrerseits ihre grosse Empfindlichkeit gegen chemische Veränderungen der Farbstoffe ergeben. Diese Umstände schränken die Freiheit des Künstlers nicht unerheblich ein, und so sehen wir, dass gegenwärtig die Künstler, die Wasserfarben zur Herstellung grosser Gemälde verwenden, die reine Aquarelltechnik gegen eine gemischte vertauschen, die von jenem Hauptfehler weniger betroffen ist. Die grosse Verbreitung des Aquarells in Liebhaberkreisen hat ihren Grund wohl ausschliesslich in der Leichtigkeit und Einfachheit des erforderlichen Apparates; infolge ihrer technischen Schwierigkeiten ist sie sonst für den Anfänger die ungeeignetste von allen.


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