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II. Warum Bleistiftzeichnungen glänzen und Kohlezeichnungen nicht. Oberflächenlicht und Tiefenlicht. Farbige Stifte; Lenbach-Technik. Pastell; seine verschiedenen Anwendungen. Malgründe. Dauerhaftigkeit der Pastellbilder. Das Farbmaterial und seine Grundlage

Lieber Freund!

Sie schreiben mir: »Ich habe mit grossem Vergnügen die Verhältnisse wieder allgemein zusammengefasst gesehen, die wir vorher nach verschiedenen Seiten einzeln besprochen hatten. Dabei ist mir aber eine Frage eingefallen, die ich Ihnen, glaube ich, bereits einmal gestellt hatte, deren Beantwortung ich mich aber nicht mehr erinnern kann. Warum sind die Bleistiftlinien glänzend, während Zeichnungen mit Kreide oder Kohle es nicht sind?«

Ich beantworte Ihnen diese Frage um so lieber, als sie einen Punkt berührt, den wir später immer wieder in Betracht zu ziehen haben werden. Er betrifft die Unterscheidung der beiden Arten Licht, welche wir von der Bildfläche bei der Betrachtung empfangen. Um genau zu sehen, um was es sich handelt, bitte ich Sie, ein Stück farbigen Glases zur Hand zu nehmen und das anschaulich zu beobachten, was ich Ihnen beschreiben werde.

Wenn Sie sich zum Fenster wenden und die Glasscheibe horizontal unterhalb Augenhöhe etwas vor sich halten, so haben Sie eine Art Spiegel; Sie sehen ein umgekehrtes Bild des Fensters und der daran befindlichen Gegenstände in den natürlichen Farben und von der Farbe des Glases ist nichts zu sehen. Hier wirkt also die ebene Oberfläche des Glases nur spiegelnd, indem sie das Licht zurückwirft, welches die Oberfläche trifft; von der eigenen Farbe des Glases kommt nichts zur Wirkung.

Nun erheben Sie die Hand mit dem Glase und halten die Scheibe senkrecht zwischen das Auge und das Fenster: Sie sehen nunmehr das ganze Licht, das vom Fenster kommt, in der Farbe des Glases, und je nachdem die äusseren Gegenstände heller und dunkler, dem Glase ähnlich oder weniger ähnlich gefärbt sind, beobachten Sie Verschiedenheiten der Lichtstärke. Ist Ihr Glas sehr tief und rein gefärbt, so sind andere Unterschiede nicht sichtbar; ist es schwach gefärbt, so bleibt noch ein entsprechender Rest von der eigenen Farbe der Gegenstände sichtbar.

Diese einfachen und wohlbekannten Erscheinungen sind zwar kein »Urphänomen« im Goetheschen Sinne, aber für unsere künftigen Betrachtungen sind sie doch von grundlegender Bedeutung. Sie lehren uns den Unterschied zwischen dem Oberflächenlicht und dem Tiefenlicht kennen. Von allen Flächen, also auch von denen des Bildes, erhalten wir stets beide Arten Licht, und die Wirkung unserer Bilder beruht auf der Abmessung dieser beiden Lichtarten. Hierbei besteht der Umstand, dass das Oberflächenlicht farblos ist, d. h. die Farbe des allgemeinen Lichtes im Raume hat. Farbiges Licht können wir nur als Tiefenlicht herstellen, und das vom Bilde ins Auge gelangende Licht ist um so tiefer und reiner gefärbt, je mehr das Tiefenlicht das Oberflächenlicht überwiegt. Als Sie die farbige Glasscheibe zwischen das Auge und das Fenster hielten, konnte gar kein Oberflächenlicht in Ihr Auge gelangen, weil ja die vom Fensterlicht getroffene Oberfläche vom Auge abgewendet war. Daher haben Sie so die tiefste und reinste Färbung erzielt, welche Ihre Glasplatte herzugeben vermag. Man kann auch Mischungen von Oberflächenlicht und Tiefenlicht herstellen, doch darauf wollen wir erst etwas später eingehen, wenn wir diese Tatsachen zum Verständnis anderer maltechnischer Erscheinungen brauchen.

Zunächst wenden wir unsere Betrachtungen auf das Bleistiftproblem an. Der Graphit desselben erweist sich bei mikroskopischer Betrachtung als aus lauter dünnen Blättchen mit ebener und somit spiegelnder Oberfläche bestehend. Beim Zeichnen legen sich die abgeriebenen Teile alle parallel der Oberfläche des Papiers, etwa wie die Schuppen eines Fisches, und bilden so insgesamt eine spiegelnde Fläche, welche bei entsprechender Lage eine Menge Oberflächenlicht zurückwirft und daher glänzt. Die Körnchen der schwarzen Kreide und der Zeichenkohle sind dagegen unregelmässig gestaltete Bruchstücke, die keinerlei ebene Oberfläche bilden können und daher nicht glänzen.

Auch bemerkten Sie in Ihrem Briefe, dass Bleistiftzeichnungen nach dem Fixieren viel weniger glänzen. Dies ergibt sich daraus, dass beim Fixieren das Papier aufquillt; die einzelnen Fasern heben sich, nehmen eine andere Stellung ein und bringen somit auch die Graphitblättchen aus ihrer parallelen Lage; die Folge ist eine entsprechende Verminderung des Oberflächenlichtes. Deshalb verändert das Fixieren auch nicht das Aussehen der Kreide- und Kohlezeichnungen, denn hier ist von vornherein keine parallele Stellung vorhanden, die gestört werden könnte.

Nun können wir auch mit besserer Rüstung unsere Betrachtung auf die Arten der Maltechnik ausdehnen, die sich an die einfarbige Zeichnung unmittelbar anschliessen: die farbige Stiftzeichnung und das Pastell.

Die Zeichnung mit farbigen Stiften kann in vielfältiger Gestalt angewendet werden. Unmittelbar an das eben geschilderte Verfahren schliesst sich eines, das nach seinem berühmtesten Vertreter die Lenbach-Technik heissen mag. Es kommt darauf hinaus, dass die mit dunklem Stift hergestellte Zeichnung durch Einsetzung einzelner Farben belebt wird. Man kann diese Farben mittels farbiger Stifte (Pastellstifte) auftragen, doch ist es auch möglich, die Farbe einfach als feines Pulver mit einem Pinsel oder Wischer aufzunehmen und auf das Papier zu übertragen, in dessen Unebenheiten sie mit dem Finger oder anderen Hilfsmitteln eingerieben wird. Das letzte Verfahren ist besser geeignet, grosse Flächen ohne scharfe Ränder zu behandeln, ersteres ermöglicht schärfere Zeichnung.

Über das Technische dieses Verfahrens braucht weiteres nicht gesagt zu werden, da es auf ganz denselben Grundlagen beruht, wie die einfache Zeichnung. Auch von der Dauerhaftigkeit gilt das gleiche: ist das Bild gegen mechanische Unbilden (Reiben, Kratzen, Wischen) geschützt, so hängt seine Lebensdauer nur von der Dauerhaftigkeit des angewendeten Farbstoffes und der Unterlage ab. Bei Graphit, Rötel, Kreide, Kohle ist diese keinem Zweifel unterworfen; über die Dauerhaftigkeit anderer Farbstoffe wird später Auskunft gegeben werden.

Das Pastell im engeren Sinne unterscheidet sich von der Zeichnung dadurch, dass die farbige Gestaltung des Bildes sich nicht nur zwischen der Farbe des Bildgrundes und der des Zeichenstiftes bewegt, sondern allseitige Freiheit hat. Dies bedingt, dass der Bildgrund mehr oder weniger vollständig mit Farbe bedeckt wird. Man findet hier wie überall Übergänge. Einerseits wird noch die Farbe des Grundes mit benutzt und nur die wichtigsten Teile des Bildes werden vollständig farbig ausgestaltet: eine Technik, die namentlich beim Bildnis vielfältig angewendet wird. Andrerseits wird die ganze Bildfläche farbig gedeckt und man stellt sich wie beim Ölgemälde die Aufgabe, die optische Erscheinung des Dargestellten möglichst vollständig wiederzugeben. Dann kommt die Farbe des Bildgrundes nur sekundär zur Wirkung und darf als solche nirgends erscheinen. Wohl aber kann man sie zweckgemäss hier und da durchschimmern lassen, um besondere Wirkungen zu erzielen. Das Material für die Herstellung der farbigen Pastellstifte ist Kreide, die mit den verschiedenen Farbstoffen vermischt und unter Benützung eines wässerigen Bindemittels (Tragantgummi) in Stäbchen oder Stifte geformt wird. Das Bindemittel dient nur dazu, dem Farbpulver Zusammenhang und die gewünschte Härte für die Handhabung zu geben, und hat mit der Bindung der Farbe auf der Bildfläche nichts zu tun. Diese erfolgt zunächst ausschliesslich mechanisch in der oben geschilderten Weise, dass durch die feilende Wirkung des rauhen Bildgrundes der Stift die Farbe in Gestalt von Pulver abgibt, welches an den Unebenheiten des Papiers hängen bleibt.

Mit der Aufgabe vollständiger Deckung des Untergrundes tritt nun beim Pastell eine Schwierigkeit auf, die bei der Zeichnung kaum vorhanden ist. Damit die Deckung ausreicht, muss die Schicht des Farbpulvers eine merkliche Dicke haben; es müssen nicht nur die Vertiefungen in den Unebenheiten des Untergrundes ausgefüllt werden, sondern auch dessen Erhöhungen müssen noch eine Schicht des Farbpulvers tragen. Ferner ist es oft notwendig, dass eine bereits vorhandene Farbe durch eine darübergetragene gedeckt wird.

Man erreicht diese Zwecke zunächst durch die Anwendung sehr weicher Farbstifte, indem man dem Farbteig bei der Herstellung nicht mehr Bindemittel zusetzt, als für die Handhabung und die Vermeidung des Zerbröckelns notwendig ist. Ferner aber muss eine Unterlage gewählt werden, welche einen möglichst reichlichen Farbauftrag ermöglicht und ihn auch festhält. Hierzu dienen einerseits filzigweiche Flächen, welche viel Farbe aufnehmen, andrerseits rauhharte Flächen, die eine besonders starke Schleifwirkung auf den Stift ausüben. Die Wahl und Herstellung geeigneter Pastellgründe ist von diesen beiden Eigenschaften abhängig; je nachdem die eine oder andere in den Vordergrund tritt, ergeben sich auch merkliche Verschiedenheiten der Technik. Ein mit solchen Stiften hergestelltes Bild ist zwar sehr empfindlich gegen mechanische Verletzungen – schon der Spaziergang einer Fliege kann den Farbauftrag in Unordnung bringen –, es kann aber, wenn solche Störungen durch sorgfaltiges Einrahmen unter Glas ausgeschlossen sind, eine sehr grosse Lebensdauer erreichen. Es wird dies u. a. durch die Pastelle der Dresdener Gemäldegalerie belegt, welche mehrere Jahrhunderte alt sind. Insbesondere fehlt auch den ältesten Pastellen ganz und gar der braune »Galerieton«, der sich an fast allen Ölbildern entwickelt, und ihre Farbenfrische scheint gänzlich unberührt von der Zeit zu sein.

Dies rührt daher, dass derartige Bilder aus reinem Farbstoff ohne Bindemittel bestehen. Die Beständigkeit, welche den Farbstoffen für sich oder in gegenseitigem Gemisch eigen ist, kommt auch dem Pastellbilde zu, und die vielfachen Veränderungen, welche die Bindemittel der Tempera- und insbesondere der Ölbilder im Laufe der Zeit erfahren, und in denen die Ursache des langsamen Unterganges solcher Werke liegt, sind hier ganz ausgeschlossen. Ebenso sind chemische Wechselwirkungen zwischen Farbstoff und Bindemittel, sowie mechanische Störungen durch Schollenbildung, Reissen, Abblättern nicht möglich.

Da ferner der Farbauftrag im Pastell eine gewisse Dicke hat, so beruht jede einzelne Farbwirkung an den verschiedenen Bildstellen auf der Anwesenheit einer verhältnismässig grossen Menge Farbstoff. Selbst wenn dieser einer langsamen Zerstörung, etwa durch den Sauerstoff der Luft, unterliegt, so wird es beim Pastell sehr viel länger dauern, bis das Verschwinden des Farbstoffes merklich wird, als beispielsweise bei einem Aquarellbilde, dessen Farbwirkung auf der überaus dünnen Farbschicht beruht, welche als durchsichtiger Hauch über den weissen Untergrund gelegt ist.

Dagegen ist allerdings von der anderen Seite hervorzuheben, dass der Farbstoff des Pastells vermöge seiner pulverigen Beschaffenheit dem Angriffe des Luftsauerstoffs von allen Seiten ausgesetzt ist; ist er daher durch diesen angreifbar, so erfolgt der Angriff auch verhältnismässig schnell. Dies zeigt sich sehr deutlich an den mit lichtempfindlichen Farbstoffen, wie Karmin und viele künstliche »Anilinfarben«, hergestellten Pastellstiften, welche leider im Handel nicht selten vorkommen. Da es eine genügende Auswahl von Farbstoffen gibt, welche jede Gewähr der Beständigkeit bieten, so muss man derartige Stifte von der Anwendung (ausser zu Eintagszwecken) völlig ausschliessen und im Zweifelsfalle sie einer strengen Prüfung unterwerfen. Hierüber findet sich weiter unten eine Anleitung.

Der Grundstoff, welcher den Pastellstiften zur Erzeugung der helleren Töne in steigender Menge zugesetzt wird, die Schlemmkreide, bietet vom chemischen Standpunkte aus keine Bedenken. Als natürlich vorkommender Stoff steht er in Bezug auf seine Beständigkeit ausser Zweifel, und seine Zusammensetzung (Calciumcarbonat) lässt besondere chemische Einwirkungen auf die Farbstoffe kaum befürchten. Insbesondere ist Kreide ganz unwirksam gegenüber den anorganischen Farbstoffen, den Oxyden des Eisens, Mangans, Kupfers usw., dem Ultramarin, dem Kobalt, den Chromaten usw. Am ehesten ist noch eine Einwirkung der Kreide auf Preussischblau, das Ferrocyaneisen, zu befürchten, da dieses durch basische Stoffe unter Gelbfärbung (Abscheidung von Eisenoxyd unter Bildung eines anderen Ferrocyansalzes) zersetzt wird und der kohlensaure Kalk leicht unter Verlust von Kohlensäure basisch wird. Indessen scheinen die zur Reaktion erforderlichen Bedingungen weder bei der Herstellung der Farbstifte, noch bei der Aufbewahrung der Bilder einzutreten, so dass Preussischblau auch für Pastell als ein beständiger Farbstoff angesehen werden kann.

Zieht man alle diese Umstände in Betracht, so gelangt man zu dem etwas überraschend erscheinenden Resultate, dass in Pastell hergestellte Bilder, wenn sie gegen grobe mechanische Verletzungen durch Glas geschützt sind, so ziemlich die dauerhaftesten Produkte der malerischen Technik sind.


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