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II.
Brief und Geheimbericht des Fürsten Orloff an Kaiser Alexander II.

Vgl. den Brief Bismarcks an Fürst Orloff vom 19. August 1879.

St. Petersburg, 15. August 1879 Alten Stils, nach dem neuen Stil am 27. August 1879.

Sire,

Schweinitz Der deutsche Botschafter in Petersburg. hat mir soeben den beiliegenden Brief von Bismarck zugestellt. Ich bitte Euer Majestät, davon mit niemandem zu sprechen und mich zur Annahme der Einladung zu ermächtigen. Mitte September neuen Stils werde ich die Reisen nach Kopenhagen und nach Jugenheim An der Bergstraße, wo das russische Kaiserpaar oft im Schlosse Heiligenberg zur Sommerfrische weilte. gerade beendet haben und noch auf Urlaub sein. Geben Sie mir freie Hand, mit ihm über Politik zu sprechen, oder soll ich auf dem Gebiet privater Angelegenheiten bleiben? Diese Frage erhebt sich im Augenblick, wo Sie mir erlauben, ihn aufzusuchen. Es scheint mir schwierig, seine Einladung auszuschlagen. Wollen Sie die Güte haben, mir Ihre Befehle nach Strelna, wo ich bei der Großfürstin Alexandra Josephowna, Gemahlin des Großfürsten Konstantin, deren Palais sich in Strelna (bei St. Petersburg) befand; Fürst Orloff hatte dort ebenfalls eine Besitzung. diniere und einige Tage bleiben werde, zukommen zu lassen. Handschriftliche Antwort Alexanders II., mit Bleistift auf denselben Brief geschrieben:

Sie können ihn sehen und über Politik mit ihm sprechen, um mir darüber zu berichten. Meine Politik hat sich nicht verändert, und ich halte die Überzeugung aufrecht, daß unsere beiden Länder dazu geschaffen sind, in gutem Einvernehmen zu leben, aber dann darf man uns nicht schikanieren, indem man in jeder Weise Österreich unterstützt in Fragen, die Deutschland gar nicht interessieren, für uns aber sehr ernst sind, wie bezüglich der Türkei.
Nochmals, Sire, Dank, aus Herzensgrund Dank!

Ihr treuer Untertan

Orloff

Frankfurt, 19. Sept. / 1. Okt. 1879

Sire,

durch diesen Bericht vervollständige ich das kurze, aber sehr genaue Résumé, das mein lieber Kollege und Freund in Berlin Botschafter Saburoff. schon an Herrn von Giers Karl von Giers, Sekretär des Kanzlers Fürst Gortschakoff im Ministerium des Äußeren. gesandt hat.

Ich fand Bismarck beträchtlich gealtert und sehr ermüdet von seiner Kur in Gastein, während der er beständig mit ernsten Arbeiten beschäftigt war. Jedoch ist sein Geist so lebhaft und seine Sprache so klar und kraftvoll wie früher.

Er betrat sofort das Gebiet der Politik. Im folgenden die wichtigsten Punkte unseres Gesprächs, die mir im Gedächtnis blieben:

1. Der Streit der beiden Kanzler ist beendet. Bismarck hat mir aufgetragen, dem Fürsten Gortschakoff freundliche Grüße auszurichten mit der Zusicherung, daß seine Achtung und seine Zuneigung unserm Kanzler gegenüber niemals durch die Polemik der Presse, der völlig ferngeblieben zu sein der deutsche Kanzler versichert, erschüttert worden ist.

2. Bismarck gesteht, unter einemcauchemar des coalitions‹ zu stehen. Mit seinen Worten: »Die Großstaaten unserer Epoche sind wie Reisende, die, miteinander unbekannt, der Zufall in einem Wagen vereinigt: sie beobachten sich gegenseitig, und wenn der eine die Hand zur Tasche führt, macht der andere schon seinen Revolver zurecht, um für den ersten Schuß bereit zu sein.« Ich konnte nicht umhin zu bemerken, daß der Nachbar vielleicht nur ganz einfach sein Taschentuch aus der Tasche hätte ziehen wollen, und daß Verdacht ebensogut wie Unbesonnenheit zum Irrtum führen könnte.

3. Bei dieser Neigung zum Mißtrauen erblickt Bismarck eine wenig wohlwollende Absicht in der Anhäufung unserer Kavallerie-Cantonnements in Polen. Der preußische Generalstab sieht darin ein Damokles-Schwert über den Provinzen, die Deutschland mit dem größten Teil seiner Remontepferde versorgen. Man hatte dem Kaiser Wilhelm und seinem Kanzler vorgeschlagen, nach Ost- und Westpreußen zwanzig Kavallerieregimenter aus dem Innern Deutschlands zu verlegen; aber Bismarck erklärt, diesen Plan vorläufig hinausgeschoben zu haben, weil das bedeutet hätte, »eine Drohung einem Mangel an Verbindlichkeit gegenüberzustellen«! Ich fragte ihn, warum ihn unsere Truppenverlagerungen beunruhigten, da unsere Kavallerie doch nur die Quartiere wieder bezöge, die sie vor dem Kriege innegehabt hätte. Er gab zu, daß die heftigen Artikel unserer Presse dem deutschen Generalstab Befürchtungen eingegeben hätten, welche früher kindisch erschienen wären.

4. Bismarck hat mir versichert, daß im August Herr Waddington Französischer Ministerpräsident und Außenminister. ihm die Nachricht habe zukommen lassen, daß autorisierte, aber nicht offizielle Persönlichkeiten die Stellung der französischen Regierung bezüglich des Abschlusses eines französisch-russischen Bündnisses sondiert hätten. Ich habe erwähnt, daß mir die Sache eine Fabel zu sein scheine, daß ich sie aber bei meiner Rückkehr nach Paris völlig klarstellen würde. Auf jeden Fall beweist das Vorgehen von Herrn Waddington, daß er nicht nur nach Herkunft und in seinen Geschmacksrichtungen englisch, sondern auch in seinen Befürchtungen preußisch ist. Bismarck hat mit mir auch über unseren angeblichen Einfluß auf die französische Presse gesprochen. Seine Agenten haben ihm versichert, › L'Estafette‹ und › La France‹ stünden in meinem Solde. Das letztere Blatt veröffentlicht zuweilen Petersburger Briefe aus weiblicher Feder, deren Ursprung Bismarck ebensogut kennt wie ich und die ihn kaum aufregen. › L'Estafette‹ aber ist eine Zeitung, die vom Prinzen Napoleon ausgehalten wird. Ich habe Bismarck empfohlen, vor seinen Geheimagenten auf der Hut zu sein, die, ebenso wie die unsrigen, größtenteils Polen sind und Informationen anzuhäufen lieben, die fast stets ungenau sind.

5. Der deutsche Kanzler gestand mir ein, gegen den Besuch seines Souveräns in Alexandrowo gewesen zu sein, doch scheint er im Grunde von dem Ergebnis befriedigt. Ich fragte ihn lachend, ob er nach Wien gegangen sei, um dort ein Offensiv- und Defensivbündnis gegen uns abzuschließen; Bismarck antwortete, daß er sich im Gegenteil dorthin begeben habe, um Österreich von jedem feindlichen Vorsatz uns gegenüber abzubringen, daß er aber den Kaiser Franz Joseph in freundlicher Disposition hinsichtlich Rußlands vorgefunden habe. Der Herrscher habe allen Gerüchten über seine sogenannte Allianz mit den Westmächten nachdrücklich widersprochen. Darauf ist ein geheimes Protokoll zwischen Bismarck und Andrassy unterzeichnet worden. Es enthält die gegenseitige Verpflichtung der beiden Mächte, an keiner komminatorischen Maßnahme gegen uns teilzunehmen, falls sich eine Unstimmigkeit zwischen uns und den Mächten, die den Vertrag von Berlin unterzeichnet haben, ergäbe. Auf diese Weise wäre es allein Sache der Diplomatie, die Schwierigkeiten zu beheben, welche beständig aus der Ausführung dieses Vertrages erwachsen.

6. Am Ende unserer Unterredung fragte ich, was aus der Allianz der drei Kaiser geworden sei. Er antwortete mir, daß sie trotz allem zwischen Eurer Majestät und dem Kaiser Wilhelm fortbestehe, und daß Kaiser Franz Joseph nichts mehr wünsche als die Herstellung des völligen Einvernehmens zwischen den drei Höfen.

Schließlich gab mir Bismarck zu verstehen, daß der König oft hart (zuweilen grob) mit ihm verfahre, und daß er selbst in Anbetracht seines zerrütteten Gesundheitszustandes wohl bald die Geschäfte niederlegen müßte. Den Ausdruck ›Demission‹ gebrauchte er indessen nicht; aber er sprach von einer langen Ruhepause. Als er hörte, daß ich ermächtigt sei, im nächsten Februar nach St. Petersburg zu kommen, lud mich Bismarck ein, ihn auf seinen Gütern zu besuchen, wo er den ganzen Winter zuzubringen gedenkt.

Er wiederholte nochmals, wie sehr er Eurer Majestät ergeben sei, obwohl er fürchte, bei Ihr durch seine Feinde schlecht angeschrieben zu sein. Meiner persönlichen Ansicht nach war seine Haltung vortrefflich. Er empfing mich als alten Freund und, wohl wissend, daß ich an Eure Majestät berichten würde, hat er mir doch keine weitere Mitteilung aufgetragen. Aus diesem Grunde, Sire, lege ich die dringende Bitte zu Ihren Füßen, diesen Brief nicht in die staatlichen Archive weiterzuleiten, sondern zu geruhen, ihn geheim zu halten.

Ich verbleibe, Sire, Eurer Majestät

[Signatur.]


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