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Ich habe lange gezögert, bevor ich mich zur Veröffentlichung dieses Buches entschloß. Hatte ich wirklich das Recht, diese vertrauten Blätter bekanntzugeben, selbst da sie von einem so großen Manne wie Bismarck geschrieben worden sind? War es ferner nicht anmaßend von mir, über den Eisernen Kanzler zu schreiben, über den schon so viel veröffentlicht worden ist? Und gaben mir endlich einige noch unbekannte Briefe allein das Recht zu einer besonderen Publikation?
Bismarck ist sicherlich der Staatsmann der neueren Zeiten, dessen Leben am meisten erforscht und dargestellt worden ist. Man hat seine Biographie fast von Tag zu Tag geschrieben, hat alle seine Reden gesammelt, seine kleinsten Gespräche, die kleinsten Anekdoten über ihn oder die Erinnerungen derer, die ihm nahekamen. Er selbst hat uns ein riesiges Material hinterlassen: die Ausgabe seiner Gesammelten Werke füllt 19 Bände. Die Zahl der Bücher, die man über ihn geschrieben hat, ist Legion.
Auf den ersten Blick mag man also glauben, daß dieser langen Liste nichts Wichtiges mehr hinzuzufügen sei. Doch scheinen mir die Briefe Bismarcks an die Fürstin Katharina Orloff, meine Großmutter, so wenig zahlreich sie sind, unzweifelhaft von großer Bedeutung für die Lebensgeschichte des Kanzlers zu sein. Zunächst finden wir unter seiner ganzen bekannten Korrespondenz keine an Frauen gerichteten Briefe (außer natürlich an seine Gattin und seine Schwester), die so viel seelischen Gehalt oder einen solchen Grad von Vertrautheit zeigen. Und außerdem werfen diese Briefe ein ganz neues Licht auf eine der menschlich reizvollsten Episoden seines Lebens, auf seine Ferienzeiten in Biarritz.
In unseren Tagen haben sich mehrere deutsche Autoren mit den Beziehungen Bismarcks zur Fürstin Orloff beschäftigt. Aber der Schlüssel lag doch in den Briefen, die in meinem Besitze sind; ohne sie konnte man nur Vermutungen aufstellen oder der Phantasie freien Lauf lassen. Das große Herzenserlebnis Bismarcks, sein wichtigstes wohl nächst dem seiner ehelichen Liebe und sicher sein letztes, blieb wenig aufgeklärt. Und dennoch verdient es, ans Licht gezogen zu werden. Wer freilich sensationelle Enthüllungen erwartet, der mag enttäuscht werden. Wenn in den Beziehungen Bismarcks zur Fürstin Orloff etwas anderes verborgen läge als das, was ich in den folgenden Seiten aufzeige, würde ich die Briefe niemals veröffentlicht haben. Aber da sie nichts enthalten, was auf das Gedächtnis meiner Großmutter oder auf das Bismarcks den geringsten Schatten werfen könnte, so habe ich mich entschlossen, sie der Öffentlichkeit zu übergeben.
Die gigantische Gestalt des Eisernen Kanzlers gehört der Nachwelt an: sein Bild soll so hell wie möglich beleuchtet werden, damit wir es besser verstehen. Die Briefe an die Fürstin Orloff erhellen die allgemein am wenigsten bekannte Seite dieser Natur – sein Menschentum. Und von den brieflichen Zeugnissen dieses Herzensabenteuers, dessen Nachwirkung im Leben Bismarcks bisher unbekannt geblieben ist, geht ein solcher Zauber von Adel und Reinheit aus, daß der Charakter des großen Mannes in einem neuen Licht erscheint, das uns gefangen nimmt.
Der Leser möge entschuldigen, daß ich die Briefe durch einige einleitende Kapitel erläutert habe. Ich glaubte die Ergebnisse meiner Nachforschungen über alles, was mit den Beziehungen Bismarcks und der Fürstin Orloff zusammenhängt, hinzufügen zu sollen. Auch sei ausdrücklich bemerkt, daß ich alle Briefe Bismarcks an meine Großmutter, die sich in meinem Besitz befinden, unverändert veröffentlicht habe. Glücklicherweise befand sich ein Teil meiner Familienarchive schon lange Zeit vor dem großen Kriege in Frankreich, was sie vor der Zerstörung durch die russische Revolution bewahrt hat.
Die Briefe Bismarcks an die Fürstin Katharina Orloff befanden sich in einem versiegelten Umschlag, auf welchem in der Handschrift meines Großvaters geschrieben steht: »Briefe von Bismarck«. Ich fand den Umschlag erbrochen vor, wahrscheinlich von meinem Vater geöffnet, der die Briefe wohl lesen wollte, bevor er sie mir samt all unseren Archivalien einige Monate vor seinem Ableben übergab. Ich kann jedoch nicht dafür einstehen, daß nur mein Vater die Briefe berührt hat, seitdem mein Großvater sie versiegelt hatte. Denn als ich sie durchsah, stellte ich fest, daß eine unbekannte Hand sie mit Nummern von 1–13 versehen hat, und zwar in falscher Reihenfolge. Der Ordner hat sich offenbar bei der Entzifferung einiger Daten geirrt. Beunruhigend aber war, daß nach dieser Numerierung ein Brief fehlte; nämlich der, der die Nummer 7 hätte tragen müssen. Alle meine Nachforschungen blieben vergebens.
Als ich im Jahre 1930 die Ehre hatte, in Schönhausen die Fürstin Bismarck, die Witwe des Fürsten Herbert, und ihre Familie zu besuchen, hörte ich mit Interesse, daß ein Brief des Kanzlers an meine Großmutter soeben in Berlin durch Herrn P. v. Schwabach, den bedeutenden Finanzmann und eifrigen Sammler von Bismarckautogrammen, gekauft worden war. Ich setzte mich mit ihm in Verbindung und teilte ihm mit, daß mir ein Brief aus meinem Archive fehlte; ich schlug ihm vor, mir den Seinigen zu überlassen. Die Antwort des Herrn v. Schwabach ließ nicht auf sich warten und macht mich auf immer zu seinem Schuldner: denn er bat mich ganz einfach, das Original des Briefes anzunehmen, das er seinem Schreiben beilegte; ich solle es mit den andern vereinigen – »wo sein eigentlicher Platz sei«, wie er schrieb. Herr v. Schwabach möge hier den Ausdruck meiner tiefsten Dankbarkeit für seine Großherzigkeit und sein Feingefühl wiederfinden.
Ich habe Grund anzunehmen, daß dieser Brief in der Tat der in der Reihe fehlende war. Es ist also wahrscheinlich, daß ich alle noch vorhandenen Briefe Bismarcks an die Fürstin Katharina Orloff in der Hand halte. Ich sage mit Bedacht »alle vorhandenen«, denn es ist leider gewiß, daß mehrere verloren sind. Bei der Untersuchung des Briefwechsels der Fürstin Orloff, sowohl ihrer in meinem Besitz befindlichen Briefe als der an Bismarck gerichteten, die im Archiv des Fürsten Bismarck in Friedrichsruh aufbewahrt werden, konnte ich die annähernden Daten der fehlenden Briefe rekonstruieren. Sie müßten etwa folgende Daten tragen: 16. oder 17. September 1862, Ende Oktober oder Anfang November 1862, 29. November 1862, Anfang März 1863, Ende Juni 1863, Oktober 1863, November 1864, Mai 1865, September 1865, Schlußteil des Briefes vom 21. Oktober 1865; also im ganzen 10 Stück. Was aus diesen Briefen geworden ist, kann ich nicht sagen.
Von den an Bismarck gerichteten Briefen des Fürsten und der Fürstin Orloff habe ich vollständig solche veröffentlicht, die mir besonders interessant erschienen, bei den übrigen mich darauf beschränkt, die wichtigsten Stellen zu zitieren, um meinen Text nicht zu sehr zu belasten. Im Archive von Friedrichsruh liegen 55 Briefe und Telegramme der Fürstin Katharina und 16 von ihrem Gatten.
Ich möchte hier meine tiefe Dankbarkeit gegenüber der Frau Fürstin Herbert Bismarck und ihrem Sohne, dem Fürsten Otto von Bismarck, aussprechen. Sie haben mir großherzig erlaubt, die Briefe des Kanzlers, die sich in meinem Besitze befinden, zu veröffentlichen, und sie haben mir die Briefe meiner Großeltern an Bismarck im Original zur Benutzung überlassen. Ich spreche auch Herrn Professor Arnold Oskar Meyer meinen aufrichtigen Dank aus für die freundliche Hilfe, die er meiner Arbeit durch wertvolle Winke und Berichtigungen angedeihen ließ, sowie dafür, daß er mir seine reiche Bismarckbibliothek zur Verfügung gestellt hat.
München, Ende November 1935