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Zur Linde hatte, ganz abgesehen von den Consols, deren Werth er gar nicht kannte, noch niemals in seinem Leben, außer im Traume, über eine Summe von 100 Thalern auf einmal verfügen können. Der Besitz von so viel Geld verwirrte ihn förmlich. Als er den Hundertthalerschein gewechselt, zahlte er mindestens dem Schneider die Hälfte von dessen Rechnung, dann hatte er Freunde und Freundinnen zum Theater und Souper geladen, und da ging es hoch her. Der Maler und Dichter hatte zwanzig blanke Thaler in die Hosentasche gesteckt, mit denen er schon im Theater klimperte, und die nach der Vorstellung daraufgehen sollten; man aß und trank dazu französische, dann süße Ungarweine, zuletzt einige Flaschen Champagner.
Man war in dem Theater vor dem Halleschen Thore gewesen, das jetzt den Namen Callenbach'sches Vaudeville-Theater führt, und hatte auch da in einem besonders reservirten Zimmer soupirt. Als man aufbrach, ward Zur Linde, dem als Gastgeber von allen Seiten zugetrunken war, erst inne, daß er seiner Sinne wie seiner Gehwerkzeuge nicht mehr vollkommen mächtig sei; er schrie nach einer Droschke, allein es war so spät in der Nacht, oder richtiger so früh am Morgen, daß kein Wagen mehr in der Nähe des Theaters hielt. Man hoffte, auf dem Belle-Alliance-Platze noch einen solchen anzutreffen, und so nahmen denn zwei Freunde den Schwerfälligen an die Arme und zogen ihn in die Stadt. Aber die Hoffnung, eine Droschke zu finden, war vergeblich; den Trunkenen bis zu seiner Wohnung in die Neue Jakobsstraße zu schaffen, war unmöglich. Zum Glück wohnte einer der altern Herren der Gesellschaft in der Wilhelmsstraße, er nannte sich Intelligenzbuchhalter in der Expedition der Z. Z.'schen Zeitung, war eigentlich aber nur Annehmer und Ordner der Zeitungsannoncen und half bei der Expedition des Blattes.
Er wohnte parterre in dem Hofe und pflegte am Tage an einem großen Glasfenster zu sitzen, mit der Ueberschrift: »Annoncenbureau der Zeitung Z. Z.«
Neben dem Geschäftszimmer war sein Wohngemach mit einer kleinen ganz finstern Schlafkammer. In diese wurde Zur Linde mit Hülfe des handfesten Theils der Gesellschaft getragen und, nachdem man ihn des Pelzes und der Stiefel entledigt, ins Bett gebracht, wo er sofort in festen Schlaf fiel. Der Intelligenzbuchhalter streckte sich auf dem Sofa seiner Wohnstube aus und bedeckte sich mit dem Pelze des Malers.
Zur gewohnten Stunde weckte ihn der Hausknecht mit der Anzeige, daß das Bureau geordnet sei und der Briefkasten geleert. Schwerfällig erhob sich der Mann der Intelligenz, braute im Bureau seinen Kaffee und seufzte, als er die Menge der Briefe und Zettel auf dem großen langen Tische bemerkte: »Was hat man doch von so zwei Festtagen? doppelte und dreifache Arbeit hinterher – was wird das morgen erst für eine Plackerei geben, wenn der erste Festtag schon eine solche Menge von Ausverkäufen, von nicht verkauften Weihnachtsstoffen enthält! Der Teufel hat die Zeitungen und seine Großmutter die Zeitungsannoncen erfunden.«
Er zündete sich dann eine lange Pfeife an, setzte den Kaffeetopf in die Ofenröhre und nahm die vollgeschenkte Tasse zu seinem Arbeitstische. Es galt eine Vorarbeit, das Ordnen der Inserate nach Rubriken, das Eintragen derselben in die Kladde. Zu ersterm Zweck hatte sich die Zeitung nach dem Muster der » Times« ein Rubrikenschema gebildet, es war das zwar keine logische Kategorientafel, sondern ein Fachwerk, den täglich vorkommenden Bedürfnissen entnommen, und für jede Rubrik war ein Kasten vorhanden, mit einer Inschrift; da hieß es in dem ersten Kasten mit zwei Abtheilungen: Ammen: gesucht, zu finden; dann, Wohnungen: zu vermiethen, gesucht; Köchinnen, Dienstmädchen, Mädchen für alles, tugendhafte Mädchen, Ausverkäufe, Delicatessen, Verloren, Gefunden u. s. w., genug es standen mindestens zwei Dutzend Kästen auf der langen Tafel, und der Buchhalter mußte oft aufstehen, um nach dem einen oder andern auslangen zu können. Die am meisten gesuchten Kästen standen vor ihm, sodaß er sie ohne Mühe von seinem Sitze aus erreichen konnte.
Nun brummte dem Armen noch der Kopf von gestern und wenn er gar noch an das Stück Arbeit dachte, das ihm bevorstand, in jedem Kasten die Annoncen wieder alphabetisch zu ordnen, so steigerte sich das Brummen zu Haarweh.
Indeß wurde er durch ein Geräusch in dem dunkeln Schlafgemach in seiner Arbeit gestört, er ließ das eben eröffnete Schreiben, ohne einen Blick hineingethan zu haben, auf den Tisch fallen und ging in die Kammer.
Hier war der Maler von dem durch die Stubenthür fallenden Lichtschein erwacht, wußte nicht, wo er war, wälzte sich im Bette herum und fiel aus diesem heraus auf ein nützliches am Boden stehendes Geschirr. Er hatte sich an einem Porzellanscherben den Kopf verletzt und schrie mörderlich. Der Buchhalter zog ihn in die ungeheizte Wohnstube – (das Heizen geschah nur nach den Bureaustunden) und von dieser in das Bureau. »Da«, sagte er, »steht eine Tasse und in der Ofenröhre steht warmer Kaffee, der wird dir bekommen.«
Der Dichter rieb sich die Augen, um sich zu besinnen, konnte es aber nicht zusammenbringen, dann jammerte er mit kläglicher Stimme: »Ich will keinen Kaffee, ich muß Sodawasser haben, sehr viel Sodawasser, und einen sauern Hering.«
»Ich bin aber leer gebrannt«, entgegnete der Buchhalter, »wenn du jedoch noch einen Brummer übrig hast, so will ich das Nöthige zu schaffen suchen. Bedenke, es ist schon nach zehn Uhr, die Kirchen sind bereits angegangen, die Läden geschlossen. Aber drüben der Delicatessenhändler ist mein guter Freund und ich kenne den Eingang von hinten.«
Zur Linde suchte nach seinem Portemonnaie und zog einen Papierthaler aus demselben heraus, welchen er dem Buchhalter übergab. Dieser sagte: »Wenn du deine fünf Sinne wieder hast, so kannst du mir da helfen, die verruchten Annoncen in die Kästen zu ordnen, damit ich Zeit gewinne, mit dir zu frühstücken. Ich werde eine Flasche echten Boonekamp of Maagbitter mitbringen, der bringt uns am ersten wieder auf den Strumpf.«
Der Maler warf sich auf das Sofa, der Kopf schmerzte ihm schrecklich, er fühlte sich an allen Gliedern wie zerschlagen, die Zunge war ihm trocken und brannte wie Feuer, der Gaumen war ihm noch trockener. Der Buchhalter blieb lange aus, auch er hatte Durst und war zuerst ein paar Häuser weiter gegangen, um eine kühle Blonde zu trinken. Es hielt Zur Linde nicht mehr auf dem harten Sofa, er setzte sich an den Arbeitstisch, musterte das System der Rubrikenkästen und zog dann mechanisch die Annonce aus dem offenen Couvert, das der Buchhalter aus der Hand gelegt, als er das Geräusch in der Kammer hörte. Sein Blick fiel dabei auf das adeliche Wappen, womit das Couvert gesiegelt war, er kannte das Wappen wohl, er hatte in den letzten Monaten zahlreiche Billets bekommen, ebenso gesiegelt, ein schwarzer Fels, auf dem ein rother Hirsch steht, im goldenen Felde, die Baronenkrone darüber. Mit Spannung schlug er die Annonce auseinander und las von fester männlicher Hand mit lateinischen Buchstaben geschriebene
»Aufforderung und Warnung.
»Derjenige junge Mann – Name und Stand sei heute aus Discretion verschwiegen – welcher aus meinem Hause in Besitz der Nr. 70233 engl. Consols über 1000 Pfund Sterling vom Jahre 1796 gesetzt ist, wird, da dies aus Irrthum geschehen ist, aufgefordert, die fraglichen englischen Consols binnen vierundzwanzig Stunden nach meinem Comptoir in der Königsstraße oder in meine Privatwohnung unter den Linden zurückzuschicken, indem angenommen werden soll, daß bei dem Empfang der Papiere auch seinerseits ein Irrthum stattgefunden habe, wie in Betreff der Gesinnung und Absicht des Gebers ein Irrthum, der sich aufgeklärt hat, stattfand.
»Sollte dies nicht geschehen, so muß angenommen werden, daß die Absicht des Empfängers auf einen Schwindel berechnet war, und es wird der Polizei und dem Criminalgerichte Anzeige gemacht werden.
»Uebrigens diene dem Empfänger zur Nachricht, daß in London die nöthigen Schritte gethan sind, die Papiere amortisiren zu lassen.
»Jedermann wird übrigens hierdurch vor Ankauf der fraglichen Nr. 70233 engl. Consols über 1000 Pfund Sterling vom Jahre 1796 gewarnt.
Baron von Hirschstein.«
Der Maler starrte das Papier, das er schon dreimal überlesen hatte, ohne es recht zu verstehen, noch an, als der Buchführer, gefolgt von einem Jungen, der zwei Körbe trug, im Bureau erschien. Er schien außer der kühlen Blonden noch andere geistige Stärkungsmittel zu sich genommen zu haben, denn er war sehr lustig und sang im tiefsten Baß:
Es naht sich der Prophet
und sagte: »Nun, alter Junge, raffe dich auf, hier sind alle Remedia, die einen katzenjämmerlichen Menschen wieder auf die Beine bringen können, sechs Flaschen Soda, eine Flasche Magenbitter, eine Flasche reinen Nordhäuser, ich habe ihn selbst schon probirt, daher ist die Flasche nicht mehr ganz voll, hier sind einige einmarinirte Heringe, hier sind Sardellen und Anchovis und hier etwas Caviar; Butter und Brot kommt nach.«
Er öffnete eine Flasche Sodawasser, bespritzte Gesicht und Kopf des wie eine Leiche auf seinem Arbeitsstuhle sitzenden Malers und stellte ein Glas des perlenden Getränks vor ihn hin, um sich selbst einen Boonekamp einzugießen. Der Maler stürzte das Glas Wasser hinunter und schien erst jetzt wieder etwas zu Sinnen zu kommen, er trank eine zweite Flasche und sagte dann: »Bruderherz, du mußt mir schwören, das nicht zu verrathen, was ich dir jetzt vertrauen will, und mir Rath zu ertheilen.«
»Du hast doch das Geld, was wir gestern verkneipten, nicht gestohlen?« sagte der Buchhalter.
»Nein, Bruderherz, bei Gott nicht«, erwiderte der Maler und reichte ihm die Annonce des Barons, »da lies!« Der Buchhalter trank erst noch einmal, diesmal von dem alten Nordhäuser, um den infamen Arzneigeschmack des Boonekamp zu vertreiben, wie er sagte.
»Nun, bist du etwa der junge Mann, der die 1000 Pfund Consols empfangen hat?« fragte er dann, als er gelesen. Da inzwischen der Aufwartejunge Butter und Brot gebracht, fing er an zu frühstücken, nöthigte dem Maler ein Glas Nordhäuser als heilsam gegen die Kälte des Sodawassers auf und sagte: »Erzähle!«
»Ja, ich bin der glückliche oder unglückliche Besitzer der Consols, die Tochter des Barons selbst, die ich entführen sollte, hat sie mir zu Weihnachten geschenkt, mit diesem Taschenbuche.«
Er zog das gestickte Taschenbuch heraus, nahm den Brief Eva's und gab ihn dem Freunde zu lesen, während er sich selbst über das Weißbrot und den Caviar hermachte und nun auch den Boonekamp probiren wollte, da der Nordhäuser ihm gut bekommen sei.
»Das Geld«, sagte jener, nachdem er den Brief gelesen, »es sind etwa siebentausend Thaler, bedenke das, gehört dir, mein Junge, der Baron Hirschstein soll keinen Shilling, keinen Penny davon haben«, damit sprang er auf, nahm das Couvert und die Annonce und warf beides in den Ofen und hielt die Thür desselben so lange offen, bis er sich überzeugt hatte, die Papiere seien verkohlt.
»Höre meinen Plan. Ich bin des verdammten Bureaulebens hier müde, täglich zwölf Stunden Arbeit: Ordnen der Annoncen, Eintragen, Rechnungausziehen, morgens; nachmittags: Zeitungen expediren helfen, in Bänder einschlagen; abends: die während des Tags eingegangenen Inserate ordnen, und sofern sie unleserlich geschrieben, abschreiben, damit die Setzer leichteres Werk haben, die Inserate abmessen und den Preis buchen; und für das alles dieses kalte, feuchte, dunkle Loch als Wohnung, freie Feuerung nur für das Bureau und acht Thaler wöchentlich!
»Ich hatte mindestens auf einige Louisdor Weihnachtsgabe gerechnet, der Lump von Drucker hat keinen Pfennig für mich übriggehabt!
»Wir wollen nach Amerika, Bruderherz, du zahlst die Reisekosten für mich, und was ich dem Baron Hirschstein noch sonst abpresse, auf Grund des schlechten Versuchs, die Consols wieder einzulösen, soll mein sein. Nun sage mir vor allem, wie viel Geld hast du noch von dem Einhundertthalerscheine?«
Der Maler zählte. »Noch dreißig und einige Thaler«, sagte er, »der Schneider allein hat sechsunddreißig Thaler abschläglich bezahlt bekommen, drei Thaler Hauspump, Monatsmiete, und dann ein Abend wie gestern, das reißt ins Geld.«
»Sind die zu Neujahr fälligen Coupons noch an den Consols?«
»Das weiß ich nicht, danach habe ich nicht gesehen.«
»Wie viel Briefe hast du von dem Juden-Schickselchen erhalten, und hast du sie noch beisammen?«
»Es mögen zwei Dutzend sein, sie sind verwahrt wie ein Schatz.«
»Nun«, sagte der Buchhalter und nahm zur Abwechselung ein Glas Boonekamp, »wenn du fähig bist, gehe oder fahre nach Hause, hole mir die Briefe der Judenprinzessin und bring die Consols mit, damit ich sehe, ob die Coupons noch daran sind; wir brauchen Reisegeld. Komm sobald wie möglich wieder, aber halt, laß mir den Brief der Eva und die londoner Adresse hier.«
Als der Maler gegangen war, trank der Buchhalter eine Flasche Soda, klopfte die Pfeife aus, zündete eine neue an und calculirte: »Das Schickselchen hat dem Vater den Namen des Inhabers der Consols nicht genannt, wenn das geschehen wäre, würde er sofort zur Polizei und nicht zu einer Zeitungsannonce seine Zuflucht genommen haben. Heute erscheint in ganz Berlin keine Zeitung, die Coupons sind also in jedem Comptoir zu wechseln, welches nachmittags geöffnet ist. Der Judenbaron fürchtet die Oeffentlichkeit, man sieht es der ganzen Fassung der Annonce an, sie ist darauf angelegt, einen Gimpel in die Falle zu locken. Aber der Gimpel hat seinen Freund Jakob, und er ist mit allen Hunden gehetzt, der ist selbst Laufjunge auf dem Comptoir des Barons gewesen.
»Der Judenbaron soll die Frechheit, meinem Freunde das ihm als Bräutigam geschenkte Geld wieder abschwindeln zu wollen, büßen. Was soll er bezahlen?! Hundert, nein das nicht, zweihundert, nein dreihundert Pfund, nicht unter dreihundert Pfund! Dafür kann ich mir selbst in Amerika eine Presse kaufen und Buchdrucker werden, heidenmäßig viel Geld verdienen. Ans Werk, Jakob, aber vorher noch eine Herzstärkung!«
Dann setzte er sich, nahm Feder und Papier und schrieb:
Hamburg, 26. December 1848.
Herr Baron!
Gestern Morgen trat ich, um meinen Freunden die Anzeige zu machen, daß ich von ihnen schiede, in das Annoncenbureau der Z. Z-Zeitung. Dort sah ich zufällig eine Annonce von Ihnen, die sich offenbar auf mich bezog, und wußte mir dieselbe in Ihrem Interesse anzueignen.
Herr Baron, der Brief, mit welchem mir Baronesse Eva die Consols übermachte, lautet, wie Abschrift beiliegt. Sie sehen daraus, daß ich Eigenthümer der Papiere bin von Rechts wegen; Sie selbst sind nie Eigentümer oder Besitzer gewesen.
Ich werde mein Eigenthum morgen oder übermorgen in London zu verwerthen wissen und verachte Ihre Drohungen. Beweisen Sie Ihr Recht an den Papieren.
Dagegen habe ich Papiere, die ich Ihnen zum Verkauf anbiete, es sind vierundzwanzig Briefe von Fräulein Tochter, Liebesbriefe, die der verlobte Bräutigam derselben – »das militärische Ungeheuer« und mit welchen liebenswürdigen Titeln der Herr Major Graf von Bruckheim sonst benannt wird – gewiß viel theuerer bezahlen würde als Sie. Allein, da Sie die Güte hatten, mich für einen Gimpel zu halten, der so dumm sein würde, Ihnen die Consols ins Haus zurückzusenden – will ich großmüthig sein. Herr Baron, Sie sind Millionär und ein Mann von großem Einfluß – die Ehe mit Ihrer Fräulein Tochter ist mir mehr werth als 1000 Pfund Sterling Consols, und in allen vierundzwanzig Briefen hat Eva von Liebe und Treue bis zum Tode geredet, und mir auch die Ehe versprochen. Sie ist untreu geworden, ich darf Entschädigung für den Treubruch fordern. Sehen Sie, wie großmüthig ich bin, ich verkaufe Ihnen bis zum 31. December sämmtliche Briefe, den Weihnachtsbrief mitgerechnet, für die Summe von 300 Pfund Sterling, baar oder gegen Wechsel auf die Englische Bank, zu zahlen, London – Street Nr. 00.
Aber, Herr Baron, es geht mit den Briefen wie mit den Sibyllinischen Büchern, sie werden von Woche zu Woche theuerer. Ist das Geld am 31. December in meiner Wohnung, der von Fräulein Tochter zur Consummation der Ehe bestimmten, nicht gezahlt, so wird der erste Brief bis zum 8. Januar in der Z. Z.'schen oder einer andern berliner Zeitung veröffentlicht, der erste Brief ohne Namen. Die dreiundzwanzig übrigbleibenden Briefe steigen dann vom 1. bis 8. Januar zu einem Preise von 400 Pfund, in der Woche bis zum 15. auf 500 Pfund. Sie werden statt der eigenen meine Annonce morgen in der Z. Z. lesen.
Der unbekannte Consolbesitzer.
Dann entwarf er ein Inserat mit der Aufschrift: Zu verkaufen! zog ein Quadrat und schrieb hinein:
Vierundzwanzig Liebesbriefe einer vornehmen
Berlinerin bis zum 31. Decbr. in London – Street Nr. 00. zu 300 £. St. zu verkaufen, später theuerer, oder zu spät.
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wickelte den Papierthaler, den er von dem Maler empfangen hatte (das Frühstück hatte er auf Pump genommen) in das Inserat und schrieb mit Rothstift an den Rand: »So groß als für beiliegenden Thaler immer möglich!«
Dann schrieb er seinem Principal, dem Buchdruckereibesitzer: eine Erbangelegenheit rufe ihn nach Altona, er müsse den Dienst als Vorstand des Anzeigenbureau aufgeben; darauf vertilgte er den Rest des Caviars und der Sardellen, ließ sich durch den dienstbaren Geist des Hauses dazu auch einige Flaschen Märzbier holen und fing an, einen kleinen Koffer zu packen.
» Minima non curat Praetor«, sagte er zu sich selbst, indem er seine Wäsche musterte und die defecten Hemden zurückwarf, ein Beweis, daß er durch eine lateinische Schule gelaufen war, vielleicht sogar ein juristisches Colleg besucht hatte, und fuhr fort: »Man muß sich nicht mit zu viel Reisegepäck beschweren, sagte mein Vater, als er mich mit zwei Hemden und drei Paar Strümpfen auf das Gymnasium in Brandenburg schickte. Müßte nicht in Berlin geboren sein und später über zwanzig Jahre dort gelebt haben, wenn ich es nicht mit so einem Yankee aufnehmen wollte. Noth lehrt beten.«
Jetzt trat Zur Linde wieder ein. Er hatte zu Hause reine Wäsche angelegt, war in einer Restauration gewesen, um ein Beefsteak zu essen, der Schreck von heute morgen war überwunden und die Gegenmittel hatten ihm neue Kräfte gegeben wie neuen Muth. Er zog die Consols aus der Tasche, die Coupons waren noch daran; Jakob Trampelmeier, so hieß der Intelligenzbuchhalter, schnitt die Coupons ab. »Da hätten wir Reisegeld und Geld zu einem Pelz für mich, denn wir müssen in Hamburg und London nobel auftreten«, sagte er; »fehlt dir noch etwas an der Garderobe, so ist es heute Zeit. Ich dachte bei demselben Schneider oder Magazininhaber zu kaufen, der dich so stattlich zum Brautfischzuge ausgerüstet hat, dann kommt er seinem Schaden etwa nach, wenn du ihm die Hälfte des Anzuges schuldig bleiben wirst.
»Hast du nun noch irgendetwas zu Hause, was du in die Neue Welt mitnehmen willst, so schaff es hierher. Wie ist es mit dem Passe?«
»Den soll ich um fünf Uhr abholen.«
»Es ist jetzt halb vier Uhr, setze dich hierher und lies diesen Scheidebrief an den Baron von Hirschstein, du wirst meinen Plan begreifen und billigen; die Briefe von Eva liegen in dem Koffer da, die Consols kannst du zu dir stecken, besser aber, wir verschließen sie in den Koffer, nachdem wir ein Portefeuille dazu gekauft haben. Alles nobel, sagte mein Vater, als er die letzten Haare von meinem Confirmationsfrack bürstete, der dreimal gewendet war.
»Ich will indeß zum Bezirkscommissarius und mir meinen Paß auf Altona holen. Ich habe dort gleichfalls eine Erbschaft zu erheben. Uebrigens steht da noch Butter, Brot und in dem Wandschranke meiner Stube ist Kuhkäse, Nordhäuser und Boonekamp, auf dem Tische steht noch eine Flasche Märzen und zwei Schoppen Sodawasser, du kannst dir also bene thun, denn ich schließe dich ein bis zu meiner Wiederkunft.« Damit ging er, schloß das Bureau hinter sich, nachdem er das Empfangsfenster verhangen, ein Zeichen, daß Publikus sich von jetzt an des Briefkastens vor dem Fenster bedienen müsse, wenn er Annoncen abgeben wolle.
Zur Linde misfiel der Plan, den Baron Hirschstein die Briefe seines Töchterchens zurückkaufen zu lassen, nicht, er hatte nicht Eva, sondern nur ihr Geld geliebt, und Eva hatte ihn verrathen.
Abends fuhren die beiden Freunde nach Hamburg. Das erste, was sie dort thaten, war, den Brief an den Baron in den Bahnhofsbriefkasten zu werfen, damit er mit dem nach Berlin abfahrenden Zuge dahin zurückgehe. Trampelmeier veräußerte sodann die Consols, und Zur Linde schenkte ihm 300 Pfund, was diesen zu folgender Aeußerung rührte: »Du bist ein prächtiger Kerl, mein Junge, du weißt, daß ich nichts beanspruche als freie Ueberfahrt nach Amerika, und das, was ich dem Baron Hirschstein für die Briefe abpresse. Es freut mich aber doch, daß du mir das gethan hast, der Teufel der Versuchung hätte einmal über mich kommen und zu mir sagen können: siehe, diese arme Malerseele hat im Leben ebenso viel Glück wie – mit Erlaubniß zu sagen – Mangel an Grütze im Kopfe; wenn du ihm die Sovereigns abnimmst, so wird ihm aus einem andern Glückstopfe von neuem eine Goldgans entgegenfliegen, diesmal vielleicht eine Lordstochter in London oder eine reiche Holländerin in Neuyork. So hätte mich der Satan verführen können. Aber deine Großthat hat den Versucher auf immer verscheucht, ich werde treu zu dir stehen und dir deinen Schatz vor schwindelhaften Yankees zu bewahren wissen. Ein Berliner, pflegte mein Vater zu sagen, muß sich durch die ganze Welt hindurchschlagen können.« – –
Wir nehmen hier von der weiblichen Nachkommenschaft des Moses Hirsch Abschied, indem wir berichten, daß Baron Hirschstein die Briefe seiner Tochter von Trampelmeier zum ersten und wohlfeilsten Preise zurückkaufte, daß Eva als gehorsame Tochter den Grafen Bruckheim heirathete, Sidonie von Baron Franz zwar eine Liebeserklärung errang, aber kein Wort von einer Heirath aus ihm herauslockte, daß sie, nachdem sie die Taufe empfangen, einen Geschäftsfreund des Barons zum Manne nahm, daß Bettina sich mit dem Commerzienrath auseinandersetzte, um in Berlin bei der Tochter zu leben, die noch oft nach dem verscherzten Glück ihrer ersten Liebe seufzte.
Eine Ahnung sagt uns, daß wir einem Mitgliede der Familie unsers alten Freundes Moses Hirsch, das wir bisher nur im Bilde gesehen, dem Ulanen, im Jahre der That 1866 noch einmal begegnen werden.