Edward Phillips Oppenheim
Schatten der Vergangenheit
Edward Phillips Oppenheim

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Kapitel 22.
Ein sonderbarer Vertrag.

Ich hatte an dem Tag genug von Olive Berdenstein gesehen und hoffte, daß sie mir nicht so schnell wieder begegnen würde. Aber als ich am Nachmittag im Wohnzimmer saß und zu lesen versuchte, ertönte plötzlich die Hausglocke, und zu meinem größten Erstaunen wurde Miß Berdenstein gemeldet. Sie trat nervös und unsicher ein. Gewiß wäre sie nicht erstaunt gewesen, wenn ich sie sofort wieder hinausgewiesen hätte. Wahrscheinlich hätte ich das auch getan, wenn ich meiner ersten Regung gefolgt wäre. Aber es erschien mir klüger, sie zu empfangen. Ich reichte ihr zwar nicht die Hand, aber ich unterdrückte meine Überraschung und bot ihr einen Stuhl an.

Sie war viel bescheidener und unauffälliger gekleidet und trug ein einfaches, braunes Kostüm, das ihr vorzüglich stand. Aber ihr Hut war viel zu kostbar, und ihr kleiner Seidenschal war mit einer Brillantnadel zusammengehalten.

Sie saß ruhig dort, aber ich konnte erkennen, daß sie sehr aufgeregt war. Sie vermied meinen Blick soviel als möglich.

»Sie sind sicher erstaunt, mich nach dem heutigen Vorfall hier zu sehen, Miß Ffolliot«, begann sie.

»Ja.«

»Ich habe mich auch erst vor einer Stunde entschlossen, hierherzukommen. Es war ein plötzlicher Impuls, und ich habe mich sofort aufgemacht, ehe ich meine Absicht wieder ändern konnte. Ich möchte Ihnen ein Angebot machen. Es mag Ihnen seltsam vorkommen, aber Sie müssen nicht böse sein. Sie müssen alles anhören, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich habe alles bedacht – es ist sehr vernünftig.«

»Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Ich werde Sie anhören, wenn Sie höflich zu mir sprechen. Und ich bin bereit, den Auftritt von heute morgen zu vergessen, wenn Sie mich nicht mehr daran erinnern.«

Sie sah mich durchdringend an.

»Miß Ffolliot, haben Sie jemals schon einen Mann geliebt?«

Ich fuhr unwillkürlich in die Höhe, so unerwartet kam diese Frage. Sie beobachtete mich genau.

»Ich glaube nicht – jedenfalls nicht in der Art, die Sie meinen.«

»Ich will es Ihnen erklären. Ich liebe einen Mann; ich dachte nicht, daß Sie lieben können. Sie sind so kalt, und Sie sehen so stolz aus. Aber ich liebe jemand verzweifelt, mit allen Fasern meines Herzens. Haben Sie etwas dagegen, daß ich Ihnen davon erzähle?«

»Nein«, erwiderte ich freundlich.

Die Änderung, die mit ihr vorging, war erstaunlich und wundervoll. Ihr Blick war sammetweich, und ein zartes Rot lag auf ihren Wangen. Wenn man von den vorstehenden Zähnen und den scharfen Linien ihrer Züge absah, konnte man sie fast schön nennen.

»Sie besinnen sich noch darauf, daß Mr. Deville uns in der Schweiz so heldenmütig rettete? Oh, es war wundervoll!«

Ich neigte langsam den Kopf. Ich verstand.

»Seit diesem Augenblick habe ich ihn geliebt«, sagte sie schlicht. »Ich konnte ihn nicht mehr vergessen. Ach, es war so groß und erhebend, zu sehen, wie er mit diesen wilden Pferden rang, wie er sie kühl und ruhig Schritt für Schritt seinem Willen unterwarf. Aber das haben Sie ja schon alles gehört, ich will Ihnen die Geschichte nicht ein zweites Mal erzählen. Seit jenem Tage hat mich sein Bild verfolgt. Es sind mir schon viele Anträge gemacht worden, denn ich bin reich, aber ich habe nur darüber gelacht. Der Gedanke, einen anderen Mann zu heiraten, solange Mr. Deville lebte, erschien mir wie Sünde. Seinetwegen reiste ich nicht nach Südamerika zurück. Ich wußte, daß er ein Engländer war, und kam immer wieder hierher. Auch im Ausland habe ich an allen Plätzen gesucht, wo Engländer zu verkehren pflegen. Regelmäßig fuhr ich zur Saison nach London, obwohl ich diese Stadt nicht liebe. Aber ich hoffte immer, ihn zu finden. Es sind inzwischen drei Jahre vergangen, aber ich bin nicht verzweifelt. Immer wieder habe ich mir gesagt, daß ich ihn am Ende doch noch treffen werde. Und sehen Sie, ich habe ihn gefunden, obwohl er hier in dieser weltvergessenen Gegend lebt. Es ist etwas geheimnisvoll Wunderbares daran – glauben Sie das nicht auch?«

Ich nickte. Ihre leidenschaftliche Frage forderte eine bejahende Antwort.

Sie seufzte befriedigt auf.

»Das Schicksal hat uns wieder zusammengeführt, und es kann nicht so grausam sein, uns wieder zu trennen. Und ich liebe ihn so unendlich!« Sie machte eine kurze Pause und sah mich fast mitleidig an. »Sie werden niemals wissen, was Liebe ist, wie ich sie empfinde«, fuhr sie nachdenklich fort. »Sie werden niemals dieses Leid fühlen – und niemals dieses Glück!«

Ich lächelte schwach. Armes Mädchen! dachte ich. Ihr Geständnis erschütterte mich, und ich fühlte Mitleid mit ihr.

»Und Mr. Deville?« fragte ich leise.

Ein Schatten fiel auf ihre Züge, und die Begeisterung, mit der sie eben gesprochen hatte, schwand. Sie sah von mir fort und blickte in die Flammen des Kamins.

»Er ist sehr liebenswürdig zu mir, und ich glaube, daß er mich gern hat – wenigstens ein wenig. Er liebt mich natürlich nicht, wie ich ihn liebe«, fügte sie traurig hinzu. »Und warum sollte er mich auch lieben? Ich habe nichts für ihn getan, und er hat schon soviel für mich getan. Das Verdienst liegt auf seiner Seite. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich ihm dankbar zu erweisen. Aber ich könnte ihm in gewisser Weise helfen. Ich bin reich, viel reicher, als Sie ahnen, und ich habe gehört, daß er trotz seines herrlichen Besitzes arm ist und viele Schulden hat. Ich könnte sie ablösen«, sagte sie fast triumphierend. »Mein Vermögen beträgt fast eine Million Pfund Sterling, und ich wäre glücklich, wenn ich ihm alles geben dürfte. Dann könnte er seine Schulden bezahlen und alle Hypotheken und Lasten auf seinen Gütern tilgen. Glauben Sie nicht auch?« fragte sie ängstlich.

»Ja«, antwortete ich ernst. »Das könnte wohl so sein.«

»Ich liebe ihn so sehr!« sagte sie hingebend. »Es würde mich unendlich glücklich machen, etwas für ihn zu tun. Vielleicht liebt er mich jetzt noch nicht so sehr, aber wenn ich ihn ganz für mich allein habe, wird das nach und nach kommen. Ich weiß, daß ich es erreichen könnte. Jede Frau kann es, wenn ihr der Mann allein gehört. Das glaube ich ganz sicher.«

Ihre Augen strahlten sanft. Ich vergaß ihre scharfen Züge und ihre gelbliche Gesichtsfarbe. Armes Mädchen! Plötzlich erhob sie sich und trat an meine Seite.

»Sie wundern sich sicher, daß ich zu Ihnen gekommen bin und Ihnen mein Geheimnis erzählt habe. Aber ich will Ihnen den Grund sagen. Ich fürchte Sie. Sie sind so schön – und ich bin es nicht. O ja – ich weiß es. Aber trotzdem liebe ich ihn so heiß. Aber er ahnt es nicht, denn er bewundert Sie. Ich sehe, mit welchen Blicken er Sie betrachtet, und obwohl er freundlich zu mir ist, hat er mich doch niemals so angesehen. Und Sie – Sie lieben ihn ja nicht. Sie sehnen sich nicht nach ihm wie ich. Ich habe Sie beobachtet, und ich weiß es. Er bedeutet Ihnen doch nichts?«

»Ich habe kein Verlangen nach ihm«, antwortete ich, ohne sie anzusehen.

»Ich wußte es doch. Nun möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen. Ich bin davon überzeugt, daß sich Philip Maltabar in dieser Gegend aufhält, und ich glaube – nein, ich weiß es bestimmt – daß Sie sich irgendwie für ihn interessieren. Ihr Vater ist davon unterrichtet, und deshalb verbergen Sie ihn vor mir. Aber das will ich alles vergessen, wenn Sie mir nur ein wenig helfen wollen. Gott mag richten – ich will meinen Wunsch nach Rache tief in meinem Herzen vergraben. Das schwöre ich Ihnen – wenn Sie mir ein wenig helfen wollen.«

»Aber wie?« fragte ich erstaunt. »Was könnte ich für Sie tun?«

»Sie können mir dadurch helfen, daß Sie sich von Mr. Deville fernhalten«, erwiderte sie schnell. Als sie nun von dem eigentlichen Grund ihres Besuches sprach, erschien sie mir plötzlich plump und aufdringlich. »Wenn er Sie nicht sehen kann, wird er mit mir zufrieden sein, und dann kann ich mit ihm sprechen und es ihm verständlich machen, Schritt für Schritt. Sie halten mich wahrscheinlich für sehr unweiblich – und das ist es auch. Ich würde jede andere Frau verachten, die das täte. Aber da ich ihn so sehr liebe, ist mir alles gleichgültig. Ich liebe ihn mehr als mein Leben«, rief sie leidenschaftlich, »und ich werde sterben, wenn er mich nicht liebt. Natürlich kann er mich nicht lieben, wie ich ihn, aber er muß mich ein wenig gern haben!«

Ich neigte mich vor und legte meine Hand auf ihren Arm. Ich weiß nicht, warum ich ihr das Versprechen gab. Wahrscheinlich geschah es aus Mitleid. Es lag etwas Ergreifendes in ihrem Geständnis.

»Ich will alles tun, was Sie wünschen«, sagte ich freundlich, »aber –«

»Aber? Stellen Sie Bedingungen?«

»Nein. Ich wollte Ihnen nur noch eins sagen. Halten Sie es für klug, sich Ihrer Liebe zu einem Mann so sehr hinzugeben, der vielleicht nicht einmal nach Ihnen fragt? Sie handeln wie ein Spieler, der sein ganzes Vermögen auf eine Karte setzt. Es ist ein furchtbares Risiko.«

Sie lächelte schwach und schüttelte den Kopf.

»Ach, ich sehe, Sie haben noch niemals geliebt. Sie wissen nicht, was Liebe ist, sonst würden Sie nicht so sprechen können. Ebenso könnten Sie sagen, daß ein Todgeweihter, der in den letzten Zügen liegt, nicht zu sterben brauchte. Die Liebe ist ebenso unerbittlich wie der Tod. Man hat keine Wahl.« Sie erhob sich. »Leben Sie wohl. Ich werde Sie nicht wieder belästigen. Ich will vergessen, daß Philip Maltabar jemals lebte.«

Ich begleitete sie bis zur Haustür. Sie sah nachdenklich den Weg entlang.

»Vielleicht treffe ich ihn heute nachmittag. Hat er versprochen, zu Ihnen zu kommen?«

»Nein, er macht hier keine Besuche.«

»Oh, er wird mich besuchen«, sagte sie schnell. »Vielleicht ist es nicht recht – nicht schicklich – aber das ist mir ganz gleich. Ich möchte Sie einladen, einmal zu mir zu kommen, aber – er könnte bei mir sein«, fügte sie zögernd hinzu. »Leben Sie wohl.«

Ich berührte ihre Hand leicht, und sie entfernte sich mit elastischen Schritten. Ihre Wangen waren vor Freude leicht gerötet. Als sie am Gartentor angekommen war, sah sie die Straße auf und ab und schlug den Fußweg quer durch den Park nach dem Herrenhaus von Deville Court ein. Ich wandte mich um und ging wieder zu meinem Zimmer.

Trieb mir das Mitleid mit ihr die Tränen in die Augen? Ach, auch ich war nur eine Frau.

 


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