Balder Olden
Madumas Vater
Balder Olden

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Drei Freunde ziehen durch die Steppe

Seit es Tag war, marschierte Rudi neben Muhmadi und Pastor Schukrin – es gab nichts mehr zu wachen und zu horchen. In der Heide droben in Norddeutschland wanderte man nicht besser noch sicherer.

Aber müd waren die Jungens, müd war der Pastor Schukrin. Wo sich das nächste Buschwerk fand, ein Baum, das Maultier anzubinden, und mürbes Holz, um Feuer zu machen, da wollten sie lagern. Das Lagern selbst brachte ja Arbeit in Menge! Kochen, die Zeltplane aufspannen, satteln – es konnte lang genug dauern, bis man endlich zur Ruhe kam.

»Wir schlafen drei Stunden, Muhmadi! Dann marschieren wir, bis ein guter Lagerplatz mit Wasser sich findet, und bleiben die Nacht. Wir 109 müssen einen Dornkraal bauen und abwechselnd wachen. Nur für Pastor Schukrin! Uns tut der Löwe ja nichts, aber ihm.«

Pastor Schukrin pflückte im Marsch dann und wann ein Maul voll Gras, weiße und blaue Blumen darin, aß bedächtig und verstand wohl, daß von ihm die Rede war. Das taufrische Gemüse war auch gut gegen brennenden Durst, an den er immer angstvoll dachte, viel mehr als an Simba, den Löwen. »Bevor wir abmarschieren, schreiben wir einen Sonnenbrief an Maduma?«

Darauf freuten sich die Jungens am meisten – haargenau würde Maduma berichten, was oben in Boloti geschah. Eine Nacht lang marschierten sie erst. Aber es war ihnen, als läge Boloti kuhleeeih, und als hätte diese erste Nacht schon andere Menschen aus ihnen geformt.

Links aus ihrer Richtung blaute es wie Buschwerk und Schatten. Rudi griff zum Zeißglas, dem »europäischen Auge«, schraubte und prüfte lang – da waren Sansivieren und Stachelakazien, ganz sicher Holz und Schatten, vielleicht sogar Wasser! Für die Jungens reichten zwei Wassersäcke die Pastor Schukrin rechts und links am Sattelknopf trug, mehr als einen Tag. Aber er selbst, der Älteste, Bedürftigste? 110

»Erst kommt er, dann denken wir an uns.«

»Pst, halt!« machte Muhmadi, nahm seine Schrotflinte waidgerecht in den Arm, und während Rudi die Trense griff, schlich er wie ein Jagdhund voraus.

Andere Augen als europäische hatte freilich der schwarze Junge! Jetzt, wo Muhmadi schon dicht bei ihnen war, sah auch Rudi, hörte sogar: wilde Hühner, ein Volk von sicher hundert Stück, wackelte und gackelte da, in die Erde pickend, ahnungslos, friedfertig durch's Gras. So nahe ließen sie das Fremde kommen, als gäbe es für sie keinen Feind!

Als Muhmadi in's Knie fiel, die Flinte hob, »Hsch!« machte, klapperten die Flügel zugleich wie eine einzige Dreschmaschine, stieg das Volk in dichter Wolke fast senkrecht in die Höhe, und in die dichte Masse hinein knallte der erste Schuß dieser Safari.

Er schien keine Wirkung zu tun, das Geräusch einer Dreschmaschine, Gackeln und Surren nahmen nicht ab. Kaum dreißig Meter weit fielen die Hühner zufrieden wieder ein, schimpften noch ein wenig über den Schrecken, erzählten sich, was jedes gedacht hatte, als plötzlich ein schwarzes Tier sie 111 angebrüllt, geknallt hatte, und suchten weiter nach Nahrung.

Ein Fehlschuß also. Ganz im geheimsten war es Rudi nicht leid darum. Wenn Muhmadi ein schlechter Schütze war – – – er selbst war ein guter! Das nächste Mal würde er sagen. »Gib mir die Schrotspritze, Muhmadi, wenn du Hühnerbrust essen willst.«

Aber – es mochte ja leicht genug sein, mit einer der hundert Schrotkugeln die garbenförmig zugleich aus dem Rohr sprangen, in diese Wolke hinein zu treffen – jedenfalls war Rudi nicht das einzige Wesen ringsum, das einen Braten schießen konnte! Als er mit Pastor Schukrin herankam, hatte Muhmadi schon Beute gesammelt. Zwei tote »Kanga«! Einem dritten, das flügellahm geschossen war, jagte er nach, griff mit sicheren Händen zu, tötete es kunstgerecht und schnell.

»Nicht schlecht, Raffiki!«

»Jawohl, Bwana. Ich schieße sehr gut, so gut wie du.«

»Zahme Hühner, die einem aus der Hand fressen würden. Versuch's mal mit einer Kongonigazelle!« Ein Kongoni hatte der schwarze Raffiki noch nicht geschossen. 112

Im Lager freilich war der kleine Freund mehr als unentbehrlich, da hatte Rudi noch alles zu lernen. Den Schweiß kaum von seiner Stirn gewischt, hatte Muhmadi Pastor Schukrin schon von seinem Tragsattel befreit, hatte die Gurten gelöst, und jetzt rutschte das schwere Möbel mit sachtem Plumps auf den Boden. Auch abgezäumt, angehalftert war der Maulbock im Handumdrehn, Muhmadi griff Hände voll Gras und rieb ihm den dampfenden Rücken trocken –. Da warf sich der Alte, Würdige auf den Rücken, wälzte sich mit Inbrunst und gab ein etwas greisenhaftes, aber doch noch kraftvolles Jauchzen zum Dank.

»Ich suche Wasser, Bwana.«

Rudi hätte es nicht gefunden – aber das schwarze Auge erspähte gleich, wo die Pflanzen grüner und saftiger wurden, seine Ohren vernahmen das ganz besondere Zirpen und Rascheln um irgend ein Wasserloch im Dickicht, das dem Tertianer unauffindbar schien.

Als Rudi drei Steine zum Herd gestellt, Reisig gebrochen, das Reisig zum Prasseln gebracht, den Aluminiumtopf darüber gestellt hatte, – weiter hatte die Zeit noch nicht gereicht – kam Muhmadi schon wieder zum Vorschein, über sein gutes, breites Gesicht ein stolzes Grinsen, in den kleinen Händen 113 Pastor Schukrins wohlgefüllten, glucksenden Trinkeimer aus grauem Leinen. Der Alte war inzwischen wieder auf alle Viere gekommen. »Guter Junge« dachte er und schnoberte erst ein wenig – am Verdursten war man schließlich noch nicht –, stieß mit dem dünnbärtigen Maul ein bißchen an Muhmadis Wollschädel, als wollte er zum »Prosit« anstoßen, und schnaufte dann bedächtig, aber dankbar, den Sackeimer leer.

Maiskörner gab es auch für ihn! Die klapperten lieblich, als sie aus dem großen Vorratsbeutel in seinen leer getrunkenen Sack rutschten.

»Es scheint doch keine Kriegspatrouille zu werden« dachte Pastor Schukrin und schnupperte kurzsichtig erst in Muhmadis Gesicht, dann zufrieden in den Sack, der ihm jetzt um den Hals gebunden wurde. Nüchtern war er nicht, eigentlich hatte er beim Marsch ununterbrochen gefrühstückt, Maul- um Maulvoll –. Alles zusammen war's schließlich doch eine Art Bauchvoll geworden. Aber dies nasse Zeug war auf die Dauer labbrig, Körnermehl im eignen Zahnwerk gemahlen, das war für's Herz!

»Jetzt bin ich wieder gern Maultier« dachte Pastor Schukrin, als die Jungens ihre eigenen, schlaff gehungerten Mägen mit der ersten Tasse starken Kaffee, dicker Kondensmilch und weißem 114 Bolotibrot labten, dazu Käse, dazu Honig, danach Wurst, dann wieder Honig, der nun einmal das Beste von allem war.

Die Zeltbahn, richtig über eine Stachelakazie geworfen, gab breiten Schatten, der ein paar Stunden ganz festen Schlafes verbürgte.

Nein, war man müd, nein, war das Leben schön!

 

Als die Sonne an der Zeltbahn vorbei gegangen, kam das Wachwerden von selbst.

»Ich hab geträumt –« wollte Rudi erzählen – da hatte er den schönen Traum vergessen!

Schrecklich, er suchte und wollte neu anknüpfen, ach, es war nichts, nichts in seinem Gedächtnis zu finden. Er wußte nur, daß er diese zwei Schlafstunden hindurch unbegreiflich, unfaßbar glücklich gewesen. Wo, wohin er sich geträumt, was ihn so glücklich gemacht hatte, wußte er nicht.

Schnell war das Stativ in die Erde gerammt, der Rasierspiegel festgeschraubt, die Richtung leicht gefunden, denn man war Boloti noch so nahe, daß die Waldecke, an der Maduma hinter ihrem Apparat stand, durch's Fernglas deutlich sichtbar war.

Maduma selbst freilich nicht – selbst ein Elefant wäre nicht sichtbar gewesen. 115

Sie rammten und bauten, es kostete Schweiß, bis im richtigen Abstand vor dem Spiegel das Deckelgerüst mit dem Fallbeil stand, an dem man »kurz-kurz, lang-lang« zog, um Zeichen zu geben.

»Maduma! Wir sind im Marsch, alle drei gesund und haben gut gegessen. Was sagen Eltern?«

Das war der Text, den Rudi geben wollte – er hatte Licht in Masse. An der Richtung konnte kein Zweifel sein – dort oben, wo der Urwald zackenförmig in's Kahle stieß, oberhalb der Boloti-Hütten, die man deutlich sah, dort kannte er jeden Schritt und grüßte jeden Baum.

Anruf, Anruf! Hundert Anrufe!

Der Urwald über Boloti blieb stumm.

Maduma war nicht da, war mit Gewalt verhindert, eingesperrt, gefesselt – oder tot. Dazwischen gab es nichts: mit zerbrochenen Gliedern hätte sie sich hinauf geschleppt, um zur vereinbarten Stunde Antwort zu geben.

Pflichtvergessen konnte Maduma so unmöglich sein wie ein Löwe dem Maultier seine Körner wegfrißt oder ein Zebra den Löwen zerreißt. Das wäre gegen das Naturgesetz. Freilich war sie nur ein Mädchen, nichts weiter. Aber es ging doch um Bwana Raffiki! . . . . .

Immer wieder deshalb: Anruf! Anruf! 116

Keine Antwort. Die Sonne brüllte sich in Rudis Spiegel heiser, wurde blasser und versagte endlich den Dienst.

»Morgen früh!« beschloß Rudi, der in Schmerz und Verzweiflung diese Stunden abgedient hatte. »Wir lagern hier für die Nacht.«

»Ja, Bwana.«

Bis ein kleiner Dornkraal gebaut war, gerade weit genug für Pastor Schukrin und seine Herren Kammerdiener, Feuer gemacht, Hühner ausgenommen, gerupft und gekocht, Holz für die lange Nacht zur Warnung der Löwen herbeigeschleppt, Futter für den Pastor geschnitten, bis die Hühnersuppe mit Brustfleisch und Brot gegessen, die Feuer rings entfacht, bis alles Notwendige geschehen war – und immer noch kein Sonnenblick, kein Lampenlicht aus Boloti glimmte, – bis dahin war's redlich Zeit zum Schlafen. Ein ganzer Tag freilich, an dem man nur gelagert hatte. 117

 


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