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Am Abend des ersten Tages kam die gnädige Frau zu ihr in die Küche. Am Abend jenes ersten Tages, an dem Anna mit einer Pappschachtel, in der sich ihre Ausstattung befand, auf dem Bahnhof der Hauptstadt eingetroffen war und sich mühsam – wie ein verlaufener junger Hund durch die lärmvollen, unbekannten Straßen irrend – zum Wenzelsplatz und zum Haus Nummer 33 durchgefragt hatte. Die »Gnädige« kam zu ihr, nachdem sie Anna fünf Stunden mit den sieben Zimmern und zwei Ausgängen der Wohnung bekannt gemacht hatte; fünf Stunden, nachdem Anna belehrt worden war, wie man einen Gasofen anheizen, wie man auf dem Abort das Wasser herunterlassen und wie man die Kette an der Wohnungstür vorlegen müsse.
Die gnädige Frau hatte ein Bündel Zeitungsausschnitte in der Hand. Sie pflanzte sich in der vollbusigen Würde ihrer fünfzig Jahre vor dem kleinen rotblonden Dienstmädchen auf und sagte:
»Anna, Sie sind ein unerfahrenes Mädchen vom Lande und wissen nicht, was eine Stadt wie Prag ist. Ich stelle aus Prinzip keine Prager Dienstmädchen an, weil sie alle verdorben sind. Es erwarten Sie hier große Gefahren, auf die ich Sie in Vertretung Ihrer Mutter aufmerksam machen will. Wenn ich sie Ihnen alle schildern wollte, würden Sie mir vielleicht gar nicht glauben, – aber lesen Sie sich mal dies hier durch!« Die gnädige Frau legte das Bündel Zeitungsausschnitte auf den Küchentisch. »Lesen Sie es gut durch!« sagte sie beinahe drohend, und fuhr fort: »Jetzt wird Ihnen das Fräulein beibringen, wie man die Betten macht, dann werden Sie das Geschirr vom Abendbrot abwaschen und dann können Sie schlafen gehen. Die Türkette wird heute nicht vorgelegt, der gnädige Herr hat eine Konferenz und kommt spät heim. Kommen Sie!«
Fräulein Dadla, eine siebzehnjährige schwarze Schöne, lehrte Anna im Schlafzimmer die Betten machen.
»Schauen Sie her, Mädchen vom Lande! So … und so … und so … und das Kissen, bums, hierher! Das Nachthemd wird so, bis zur Hälfte, umgekrempelt und mit der Brust aufs Oberbett gelegt, damit man hübsch in die Ärmel schlüpfen kann. So! Mama müssen Sie jeden Abend ein Glas Wasser auf den Nachttisch stellen, hier dieses, sehen Sie … warten Sie, jetzt nicht, das Füllen hat später Zeit! – Und wenn Sie vielleicht im Glas etwas sehen sollten, das ausschaut wie Zähne, so erschrecken Sie nicht davor, – es werden wirklich Zähne sein. Da werden Sie in Prag noch ganz andere Wunder zu Gesicht bekommen.«
Hierauf gingen sie in das Zimmer von Fräulein Dadla. Das war ganz rosa. Es war rosa ausgemalt, die Möbel waren rosa, die Schleifen auf den Decken, Polstern, Kissen und auf der Wäsche waren rosa, und der große Bär aus braunem Plüsch, der in der Ecke auf einem rosa Lehnstuhl saß, hatte ein rosa Band um den Hals. Das ganze Zimmer duftete nach Parfüm.
»In der ganzen übrigen Wohnung regiert Mama. Aber das hier ist mein Zimmerchen, hier kommandiere ich und das ist viel schlimmer. Augen in die Hand! Die Federbetten müssen so aufgeschüttelt werden! So, hübsch! Das Nachthemd gehört hierher, das Häubchen daneben, auf dem Nachttisch hat immer der Spiegel und die Maniküre zu stehen. Das ist dies hier! Dies hier, Mädchen vom Lande, ist der Toilettentisch und das dort der Waschtisch. Merken Sie sich sehr gut, wie die Fläschchen und Tiegel dort stehen. Morgen studieren Sie es mal, heute sind Sie zu sehr aus dem Häuschen, – und wenn dann nicht alles in Ordnung ist, setzt es einen Heidenkrach. Jetzt können Sie in Gottes Namen gehen … Anna heißen Sie, nicht wahr?«
»Ja, bitte!«
»Hat Ihnen Mama die Prachtlektüre von Kis und Landru gegeben?«
Anna verstand nicht. Das Fräulein benahm sich so, daß Anna nicht wußte, ob sie etwas Ernstes sage, oder sie zum Narren halte. Es wurde ihr ganz ängstlich zumute.
»Na, natürlich hat Sie Ihnen das Zeug zum Lesen gegeben«, sagte Fräulein Dadla, »Sie haben es dort in der Küche auf dem Tisch liegen; das bekommt bei uns jede. Lesen Sie sich das durch, Mädel, das ist was Feines; nachher tut jede wenigstens vierzehn Tage gut. Wenn Sie davon vielleicht Bauchweh bekommen sollten, so kommen Sie nur morgen früh, – ich gebe Ihnen dann eine Tafel Schokolade.«
In den schwarzen Augen des Fräuleins tanzten lustige Fünkchen und in den Mundwinkeln saß das Lachen. Es bereitete ihr offenbar viel Vergnügen, das ratlose, rotbezopfte Landmädchen in dem Barchentkleidchen mit emporgekrempelten Ärmeln anzuschauen, das arme Dienstmädchen mit den verängstigten Augen, das so wenig von dem verstand, was mit ihm geschah.
Fräulein Dadla lachte auf. Lustig und nett. Fast so nett, wie Anna mit ihren Mitschülerinnen in der Schule gelacht hatte.
»Willst du?« sagte sie und wieder klang es, als ob das eine Kameradin aus der Dorfschule sagte. Sie öffnete die Schublade des Nachttisches und zog eine Tafel Schokolade hervor. Sie brach ein Stück ab und gab es Anna: »Da hast du, laß es dir königlich schmecken!«
»Vergelt's Gott! Küß die Hand!« stotterte die überraschte Anna dankbar hervor.
»Na, Sie können gehen, Anna!« Aber das war nicht mehr die Kameradin aus der anderen Klasse, sondern das gnädige Fräulein, das gewohnt ist, zu befehlen.
Anna wusch in der Küche das Geschirr, stellte es auf den Bord, – und Frau Baumeistersgattin Rubesch kam noch dreimal, um sich sie anzusehen. Dann ging Anna schlafen. In die Kammer neben dem Badezimmer, deren langes, schmales Fenster mit dem Gitterwerk auf den Gang hinausging. Die Kammer war klein, viereinhalb Schritt im Geviert, aber sie war frisch geweißt und hatte oben an der Decke eine elektrische Lampe. Wenn Anna nicht durch die Eindrücke des Tages so erschöpft gewesen wäre, hätte es ihr sicherlich hier gefallen. Aber ihre Leiden waren noch nicht zu Ende.
Sie setzte sich auf den Bettrand und begann gehorsam die Zeitungsausschnitte zu lesen, die ihr Frau Rubesch gebracht hatte. Diese Zeitungsausschnitte waren voller Schrecken, Gespenster und Blut. Und in allen wurden Dienstmädchen betrogen, beraubt, ermordet, – Graus über Graus!
In Paris lebte Landru, oh, ein leibhaftiger Teufel mit dem Gesicht eines hübschen Mannes. Der lockte Mädchen in seine Villa, um sie dort zu ermorden und ihre zerschnittenen Leichen im Ofen zu verbrennen. Anna sah diese nackten Leichen, sie sah die Blutlachen in den Rinnen zwischen den Dielen bis unter die Tür laufen, und sie sah Landru, wie er mit blutunterlaufenen Augen und gebleckten Zähnen ein Messer schliff. Das Messer kreischte und quietschte auf dem trockenen Schleifstein, daß einem der Rücken juckte! Sie sah den furchtbaren Mörder vor dem Ofen knien, wie er – die Ärmel hochgekrempelt, von der Glut rot beleuchtet – Füße und Hände und Brüste und Köpfe in den Ofen steckte. Die Frauenköpfe hatten brennende Haare und schmorende Wangen, und sie bleckten die Zähne auf den, den sie lieben wollten.
In Ungarn lebte ein Mann namens Kis. Er war Klempner im Orte Czinkot und gefiel den Frauen wegen seiner Bildung und seiner angenehmen Umgangsformen. Aber wehe der, die sich dadurch bezaubern ließ und die Schwelle seiner Wohnung überschritt. Denn dort verwandelte sich der Klempner in einen höllischen Schlächter, der das Mädchen zwischen die Knie nahm wie einen Ziegenbock und ihr den Hals durchschnitt. Die Leichen der Mädchen, deren blaue Augen noch im Tode vorwurfsvoll dreinblickten, preßte er in blecherne Fässer, die er verlötete und in den Keller hinunterschaffte, der sich in einen grauenvollen Friedhof verwandelte.
Auch in der Hauptstadt gab es solche Landrus und Kis'. Sie lauerten den Mädchen auf den Bahnhöfen, auf dem Wenzelsplatz und in allen Straßen auf. Sie näherten sich ihnen freundlich, mit lächelnden Gesichtern, machten den Mädchen Liebeserklärungen und versprachen ihnen die Ehe, – alles nur, um die armen Geschöpfe besser ausplündern, ihre Postsparkassenbücher stehlen und die unschuldigen Dinger fürs ganze Leben unglücklich machen zu können.
Anna saß auf dem Rande ihres Bettes, in die Ausschnitte des »Generalanzeigers« vertieft, und ihre blauen Augen blickten ebenso entsetzt wie die der Opfer des Klempners Kis. Die Glühbirne hoch oben an der Zimmerdecke warf ihr Licht auf die kleine, weiß gemalte Stube und verlieh ihr ein kühles, blutleeres Aussehen, wie es die Opfer des Landru besessen hatten.
An diesem Tage begriff Anna das volle Grauen ihres Schicksals. Zwar hatten die erregten Nerven, die Atembeklemmungen ihr schon am Nachmittag eine Vorahnung dessen gegeben, was sie erwartete. Als sie in der Hauptstadt ankam, und der schwarze Strom der eilenden Menschen sie aufnahm und mitriß, als sie, mit der Pappschachtel unter dem Arm, sich durch den Lärm der Straßen durchwand, fraß die Angst vor der Zukunft an ihr. Aber die ganze Öde und Trostlosigkeit ihres Schicksals erfaßte sie erst jetzt. Und plötzlich sehnt sie sich nach ihrer Hütte, ihrer warmen Hütte mit dem eingebogenen Dach, das sie stets mit Kisten und Reklameschildern von Zichoriefabriken und Feuerversicherungen ausgebessert hatten. Ihr bangte nach der fröhlichen Wiese, wo sie Mutters Ziege und die Kühe des Bauern geweidet hatte, ihr bangte nach dem Pappelwäldchen, nach den Mitternachtsfeuern, an denen sie mit den Hirten und Gänsehüterinnen gesessen hatte. Ihr bangte nach der Mutter und dem betrunkenen Vater, nach den fünf kleinen Schwestern. Der Schmerz der Bangigkeit nahm von ihr Besitz. Sie schnürte ihre Schuhe auf und weinte. Sie kleidete sich aus und jedes einzelne Stück ihrer ländlichen Kleidung war von Tränen benetzt. Sie rollte sich im Bett zusammen, zog die Decke über den Kopf und schluchzte und schluchzte. Sie fürchtete sich entsetzlich und ihr war schrecklich bange. Sie schlief bis zum Morgen nicht ein.
»Na, Anna, haben Sie die Zeitungen gelesen?« fragte sie die gnädige Frau am nächsten Morgen.
»Jawohl«, flüsterte die bleiche Anna.
Die Frau Baumeistersgattin machte ihren Rundgang durch die Küche. Ihr großer Busen bewegte sich unter dem weiten Schlafrock. Sie streifte mit dem Zeigefinger das gestern von Anna gewaschene Geschirr und sah, ob sich nicht Fett- oder Staubflecken absetzten; sie hob und senkte die Topfdeckel; sie prüfte die Gashähne und Gasflammen.
»Sauberkeit ist die Hauptsache, Anna! Und immer alles fest verschließen, wir sind nicht auf dem Lande, hier gibt es viel Staub und Ruß. In wenigen Minuten müssen Sie dem Herrn das Frühstück bringen, ich will Ihnen zeigen, wie er es wünscht. Um neun Uhr fragen, wann das Fräulein frühstücken will. Wenn sie noch schläft, wecken Sie sie nicht und seien Sie leise!«
Dann kam die gnädige Frau zur Hauptsache.
»Sie haben von diesen Verführern unerfahrener Mädchen gelesen?!« Die Augen der Frau Rubesch bekamen einen mütterlichen, besorgten Ausdruck.
»Geben Sie acht, liebes Annchen, seien Sie vorsichtig! Sie sind jung und ich bin es Ihrer Mutter schuldig, Sie zu warnen. Gerade nebenan im Hause ist etwas Ähnliches passiert. Das Mädchen hat sich in seiner Verzweiflung ertränkt. Ihn haben sie auf zwei Jahre eingesperrt. Es war sein achtes Verbrechen. – Mit den Mädchen im Hause gibt es keine Kameradschaft! Das ist immer der Anfang alles Bösen. Überhaupt mit niemandem! Wenn Sie sonntags nachmittags zur Kirche wollen, können Sie gerne gehen. Wir haben sehr viele Bücher, falls Sie lesen wollen. Halten Sie sich immer an uns. Dann kann Ihnen nichts geschehen! Es wird nur zu Ihrem Vorteil sein, bei mir können Sie viel lernen. Nicht nur im Haushalt, das ist selbstverständlich, aber ich will auch sonst für Sie sorgen. Sie sollen lernen, wie man sich benimmt. Eine solche Stelle wie bei uns können Sie lange suchen. Der gnädige Herr ist ein berühmter Baumeister und ich bin aus einer hohen Beamtenfamilie. Mein seliger Vater war Regierungspräsident. Ich sage es nicht, weil ich stolz darauf bin; Sie sollen bloß wissen, bei wem Sie sind. Sie werden mich bald kennen. Ich bin Vizepräsidentin des Vereins ›Weißes Herz‹. Ich kenne keine größere Freude, als Leuten Wohltaten zu erweisen. Ich liebe die Menschen, und ich bin stolz darauf, daß die Menschen auch mich lieben. Auch Sie werde ich gerne haben, wenn Sie brav sind. Sie sind für mich ein Familienmitglied und Sie sollen es gut bei uns haben. Ich wechsle die Mädchen nicht gerne und wenn Sie gehorsam und fleißig sind, haben Sie eine Versorgung für immer bei uns.«
Auf die ängstliche, unausgeschlafene Anna wirkten die Worte wie kühlender Balsam. Schon einmal in ihrem Leben hatte sie dieses Gefühl von Kühlung und Linderung gehabt. Daheim, bei der Predigt in der Dorfkirche, als der Herr Pfarrer den Vorhang über den Schrecken der Hölle schloß und die Schleier des Himmels öffnete, hinter denen der Jubel und Gesang der Erzengel erklang. So erfuhr Anna auch jetzt, daß es nicht bloß eine Hölle der Dienstmädchen gibt, in deren Blechfässern und rostigen Öfen die neugierigen und ungehorsamen Dienstmädchen schmorten, sondern auch das ewige Paradies, das alle erwartet, die fleißig sind und gehorchen.
»Sie haben mich doch verstanden, liebe Anna?« sagte die gnädige Frau freundlich. Und sie setzte streng hinzu: »Gehorsam sein und keine Kameradschaft! Mit der Portiersfrau keine Tratschereien!«
»Nein, gnädige Frau, gewiß nicht!« versicherte Anna dankbar und aufrichtig.
»Na also! Es ist sieben Uhr, der gnädige Herr wird aufstehen. Holen Sie Brötchen. Nebenan im Hause! Und sagen Sie nur, daß Sie von uns kommen. Der Bäcker weiß Bescheid.«
Die Warnung der Frau Bauunternehmersgattin Rubesch war sehr berechtigt. Anna hatte im Laufe der nächsten Tage Gelegenheit, sich davon zu überzeugen. Die Hauptstadt ist eine Mühle, irgendeine Teufelsmühle, in der alles brodelt und sich mischt, alles dröhnt und brüllt. Niemand kennt sich aus und alle Lockungen sind nur dazu da, um einem nachher Unannehmlichkeiten zu bereiten. Da siehst du dir auf dem Wenzelsplatz einen Umzug von Reklameflaschen an, denen unten die Beine und ein Stück Hosen hervorschauen. Kaum lachst du, weil das so lustig aussieht, schon stößt dich jemand an, daß du taumelst.
Du träumst vor einem Auslagefenster, in dem eine wunderbare Dame steht, beinahe lebendig, mit einem herrlichen Mieder, das bis zu den Knien reicht. Da stößt dir jemand die Einkaufstasche mit den Kartoffeln aus der Hand und du mußt sie dir auf dem Gehsteig zwischen den Beinen der Passanten erst wieder mühselig erjagen. Und auf der Straße, wenn du vor der Straßenbahn zur Seite springst, hupt sicherlich hinter dir ein Auto und erschreckt dich so, daß du nur durch ein Wunder nicht in den Handwagen hineinrennst, den einer auf dich zusteuert. Wenn dich einer anschreit: »Hast du keine Augen, blöde Gans?« kannst du noch froh sein, daß dir nichts Schlimmeres passiert ist. Nein, die gnädige Frau hat recht: Es war besser, sich ans Haus zu halten.
Warum auch weggehen, wenn's zu Hause Sicherheit, Wohlergehen und eine gute Herrschaft gab. Sie aß bis zur Sattheit und bekam beinahe dasselbe Essen wie die Herrschaft. Arbeit, schwere Arbeit, war Anna vom Elternhaus, vom Bauern her gewohnt. Die gnädige Frau war streng, aber gutherzig. Sie war Mitglied eines Wohltätigkeitsvereins und kein Bettler klingelte an der Türe, der nicht eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot oder gar Reste vom Mittagessen bekam. Der Anblick der Armen rührte Frau Rubesch. Er rührte sie wirklich tief.
»Es gibt soviel Elend auf dieser Welt«, sagte sie aufseufzend. »Soviel bitteres Elend, liebe Anna. Und es ist schön, wenn wir es auch nur ein wenig lindern und wohltätig sein können. Ich bin glücklich, daß es mir unsere Verhältnisse gestatten. Das ist meine einzige Freude. Sie sehen doch selbst, wie wenig ich sonst vom Leben habe. Wenn ich nur könnte, ich würde gerne mehr geben. Jetzt wird ja wohl alles besser werden, sobald nur die furchtbaren Wunden des Krieges verheilt sind.«
Anna hörte gesenkten Auges zu. Eine Welle von Dankbarkeit durchströmte sie. Sie dankte dem Schicksal, das sie zu einer so guten Herrin geführt hatte.
Mit dem Herrn gab's überhaupt keine Schwierigkeit. Viermal täglich passierte er die Diele. Sein grauer Schädel war kahl geschoren, sein Spitzbart kurzgeschnitten. Er trug ein Vereinsabzeichen im Knopfloch. Er gab Anna keine direkten Befehle, er ließ ihr alles durch seine Frau bestellen. Frühmorgens verließ er das Haus und kehrte erst spät abends zurück. Er hielt sich nur ein Stündchen nach dem Mittagessen auf, las die Zeitungen und liebkoste Dadla ein wenig. Man merkte deutlich, wie sehr er sie liebte. Aber auch diese Zärtlichkeiten waren nur wie von ungefähr, als ob er sich bewußt wäre, daß er dazu wenig Zeit habe und daß Wichtigeres zu bedenken sei. Er faßte sie um die Hüfte, blickte ihr in die Augen und klopfte ihr auf die Schulter. Genau so, wie man Pferde streichelt.
»Na, kleines Füllen, wie geht's denn?«
Er brachte ihr Parfüms, Spitzen, Strümpfe und Seide. Doch vergaß er die Sachen oft in der Tasche und Anna fand sie morgens im Pelz. Manchmal erinnerte er sich beim Mittagessen, blickte das Fräulein lächelnd an und sagte leichthin: »Heute hat Vater ein paar Groschen verdient. Was soll er dir denn kaufen?«
Oder, während er ihr den Rücken streichelte:
»Du bist doch mein Mädel, nicht? Sei man ganz stille, ich besorge dir einen Prinzen. Einen richtigen Prinzen. Aber du mußt noch zwei Jahre warten!«
Mit dem Fräulein war nicht so leicht auszukommen wie mit dem Herrn. Sie quengelte wegen der Wäsche. Sie liebte ihre Sachen, liebkoste sie. Wenn sie von ihrer Wäsche sprach, sagte sie stets Höschen, Hemdchen, Leibchen, Spitzchen. Sie drapierte sich vor dem Spiegel ihre Wäschestücke um die Schulter, schmiegte sie zärtlich an die Brust, legte sie an die Wange, als ob sie lebendig wären. Sie erlaubte nie, daß jemand ihre Sachen schlecht oder nicht genug ehrerbietig behandelte. Aber auch das Fräulein war gutmütig. Eine Stunde, nachdem sie Anna ein schlecht gebügeltes Hemd nachgeworfen hatte, kam sie, alles vergessend, mit Schokolade oder Pralinen an.
»Willst du?« Sie sah dabei aus wie eine Schulkameradin. »Aber du darfst Mama nichts erzählen! … Nein, sagen Sie Mama nichts, Anna, sie glaubt, ich verderbe Sie!«
Im übrigen hatte das Fräulein allen Grund, Anna zu schonen. Manchmal, des Abends, wenn Frau Rubesch zur Vereinsversammlung ging, kam das Fräulein in die Küche. Sie trug dann ihr bestes Kleid, Lackschuhe und ihren schönsten Hut.
»Ich gehe auf einen Sprung zu meiner Freundin. Erzählen Sie Mama nichts davon, Annchen«, sagte sie so nebenbei. Aber wenn sie eine halbe Stunde vor Mamas Rückkehr nach Hause kam, leuchteten ihre Augen. »Kein Wort, Anna! Vater würde mich erschlagen!« Und an der Tür ihres Zimmerchens: »Ich schenke Ihnen einen wunderschönen Schlüpfer.«
Fräulein Dadla war nicht das einzige Kind der Baumeistersfamilie. Ein Zimmer der Wohnung, vor kurzem noch bewohnt, stand nun unbenutzt. Als Anna ihren Dienst antrat, roch es noch nach Zigaretten, Haarpomade und dem Körper eines jungen Mannes. Auf dem Nachttisch lagen noch Spuren von Asche, die Zeitschrift »Sport und Spiel« und eine aufgeschnittene Nummer von »La vie parisienne«. Dieses Zimmer übte auf Anna durch den Schleier des Geheimnisvollen, der über ihm lag, eine besondere Anziehungskraft aus.
»Wessen Zimmer ist das neben dem Salon?« fragte Anna die gnädige Frau, als sie beide das Mittagessen kochten.
Die gnädige Frau betrachtete Anna forschend.
»Ein wohlerzogener Mensch fragt nicht, Anna, merken Sie sich das! Er wartet, bis wir ihm selbst sagen, was uns notwendig scheint … Doch warum soll ich's Ihnen nicht sagen: Es ist das Zimmer unseres Sohnes Ehrenfried. Er ist verreist … nach Paris.«
Frau Rubesch spickte einen Hasen auf dem Küchentisch. Nach einer Weile ließ sie die Arbeit liegen und ging in der Küche auf und ab. Sie nahm sichtlich ohne Grund bald dies, bald das in die Hand, und wandte Anna ständig den Rücken zu. Sie blieb am Küchenfenster stehen und blickte in den Hof. Sie nahm ihr Taschentuch und schneuzte sich. Dann kehrte sie zu ihrem Hasen zurück.
Als Anna ihre Augen vom Kloßteig erhob, sah sie, daß die gnädige Frau weinte. Die Tränen liefen ihr die Wangen hinab.
Anna erschrak heftig. Frau Rubesch bemerkte, daß das Mädchen sie beobachtete.
»Ich hatte zwei Söhne, Anna«, erzählte sie. »Der Ältere ist im Kriege umgekommen. Mein Mann hatte ihn mit großer Mühe im Ministerium untergebracht und ich dankte Gott, daß er nicht an die Front mußte. Ich dachte, Gott weiß, welches Glück erlebt zu haben. – Er starb dort an Lungenentzündung … Jetzt wäre er schon Architekt.« Dicke Tränen rollten über die Wangen der Frau Baumeistersgattin. Sie fielen auf den Hasenrücken und ihre Hand legte die Spicknadel weg, um nochmals nach dem Taschentuch zu greifen.
»Das Leben ist grausam und Sie haben es gut, Anna … Mein Mann kennt nur seine Arbeit und Dadla will ich nicht ihr junges Leben verbittern. Ich kann mich mit niemandem aussprechen. Das ist von allem das Schwerste.«
Anna dauerte die gnädige Frau. Sie war selbst nahe am Weinen. Sie konnte freilich nicht wissen, daß ihre Herrin nicht allein um den verstorbenen Sohn, daß sie auch Ehrenfrieds wegen weinte. Niemand hatte Anna erzählt, daß der junge Herr in einem Vierteljahr mit einer russischen Emigrantin, der Fürstin Kovalevska, ein Vermögen durchgebracht hatte, das genügt hätte, um Annas Vater und der siebenköpfigen Familie für immer ein gutes Leben zu bereiten. Daß Ehrenfried auf des Vaters Namen für 25 000 Mark Wechsel gefälscht hatte und nun mit Warvara Nikolajewa nach Frankreich durchgebrannt war, wo ihn der Vater von Privatdetektiven suchen ließ. Anna wußte nicht, daß die Tränen der Frau nicht nur ihren beiden Söhnen galten, sondern auch ihrer ältesten Tochter. Dieses Kind aus gutbürgerlichem Hause hatte sich auf einem Ball in einen lungenkranken Studenten verliebt, und als der Baumeister sein unwiderrufliches »Nein« ausgesprochen hatte, stellte sie diesem »Nein« ihr gleich hartes »Ja« entgegen. Sie nahm seine Schläge ohne eine Träne hin. Am nächsten Morgen fuhr sie mit ihren Juwelen und ihren Sparkassenbüchern zu ihrem Geliebten in das Häuschen seiner Eltern, die als Bäcker auf dem Lande lebten. – Sie war großjährig. Die einflußreichen Bekannten in den Ämtern, an die sich der Baumeister wandte, bedauerten, ihm nicht behilflich sein zu können. Mit Gewalt sei da nichts zu machen. Als er bei der Postsparkasse die Auszahlungen an seine Tochter sperren und beweisen wollte, daß das Geld ihm zustehe, da stellten die klugen Bäckersleute die reiche Erbin unter den Schutz des sozialdemokratischen Kreisblattes und des Vertrauensmannes dieser Partei. Die hauptstädtischen Zeitungen taten ein übriges. Der Baumeister raste. Jetzt siechte der Schwiegersohn im schweizerischen Kurort Davos dahin und seine Frau war bei ihm. Dies alles erfuhr Anna erst viel später. Sie konnte nicht ahnen, daß die gnädige Frau des Morgens beim Aufstehen sich zuerst zum Nachttisch ihres Mannes hintappte, wo die Brieftasche lag. Sie nahm ihm 10, manchmal auch nur 5 Mark weg, die sie aufsparte, um sie nach Davos dem Schwiegersohn zu schicken, den sie nur einmal gesehen hatte: auf jenem Ball.
Annas Herrin war nicht glücklich, und ihre einzige Freude, ihr gutes Herz, funktionierte auch nicht reibungslos. Anna erinnerte sich eines Auftritts, der sie zutiefst erschütterte.
Sie kochte damals gerade das Mittagessen und die gnädige Frau arbeitete irgend etwas im Salon.
Es klingelte und Anna ging öffnen.
Vor der Türe stand eine arme Frau mit einem Paket.
»Ist Frau Rubesch zu Hause?« fragte sie und ihre Stimme zitterte leise.
»Jawohl, soll ich etwas bestellen?«
Die fremde Frau stemmte sich gegen die Türe, öffnete sie und ging an Anna vorbei zur Diele. Sie schloß hastig eine Tür nach der andern auf und blickte in jedes Zimmer. Anna eilte hinter ihr her.
»Das dürfen Sie nicht machen, liebe Frau! Das dürfen Sie nicht tun«, flüsterte sie und zupfte sie am Ärmel.
Doch die Fremde stand schon im Salon vor der gnädigen Frau.
»Was wünschen Sie, was suchen Sie hier?« fragte die gnädige Frau streng und herrisch.
»Ich werde Ihnen gleich erzählen, was ich wünsche und was ich hier suche.« Die Stimme der Frau, die sich vergeblich zur Ruhe und Gleichgültigkeit zwang, ließ große Erregung merken.
»Sie schickten mir da aus dem Verein ›Weißes Herz‹ diese Hosen und diese beiden Kohlköpfe und ich bringe sie zurück!« Die Frau legte ein Paket auf den Tisch und öffnete es. Eine alte Hose des gnädigen Herrn und zwei Kohlköpfe kamen zum Vorschein. Sie schob diese Sachen näher an die Frau Baumeistersgattin heran: »Ich will Ihnen noch folgendes sagen: ›Ich pfeife auf Ihre Wohltätigkeit!‹« Die Stimme der Frau bebte leidenschaftlich. Die gnädige Frau wurde weiß wie eine Wand. Sie wich den glühenden Augen aus, der vorgestreckten Stirn, die jederzeit bereit war, vorzustoßen. »Wir wollen keine Wohltätigkeit, wir wollen unser Recht!« schrie die Frau. »Wissen Sie, wer mein Mann ist? Er war fünfunddreißig Jahre lang Maurer bei Ihrem Mann und bei Ihrem Schwiegervater, und jetzt hat ihn Ihr Mann auf die Straße geworfen, weil er alt ist, abgeplagt, rheumatisch und lahm. Weil man ihn jetzt nicht mehr ausbeuten kann! Die Unfallversicherung hat seine Ansprüche abgelehnt, und als er vorige Woche hinter Ihrem Mann auf den Bau kletterte, ließ er ihn vom Schutzmann abführen. Da schauen Sie mal her, Sie Wohltäterin!« Die Frau öffnete ihr verwaschenes Kleid, zog es über die Schultern herunter, zeigte das nackte Gerippe, ohne Muskeln: »Das hat auch alles euer Bau auf dem Gewissen. Jetzt zahlen Sie mir dafür vier Mark monatlich Rente. Was kann ich denn noch verdienen? Wir krepieren vor Hunger und Sie denken sich, daß Sie das mit ein paar alten Hosen und mit zwei Kohlköpfen wieder gutmachen können? Ihr habt euch das gut verteilt, Sie und Ihr Mann. Er schindet uns die Haut vom Leibe und Sie schicken uns alte Hosen, damit man unsere Nacktheit nicht sieht! Wir husten auf eure Wohltätigkeit.«
»Was wollen Sie von mir?« stotterte die gnädige Frau. »Ich kenne Sie ja überhaupt nicht. Nicht ich habe Ihnen das geschickt, sondern das ›Weiße Herz‹. Warum erzählen Sie mir das alles. Ich weiß, daß das furchtbar ist, aber ich bin doch nicht schuld daran.« Die Frau Baumeistersgattin kämpfte mit Tränen.
»Sie sind nicht schuld daran?« Die Frau schrie diese Worte heraus. Auf ihren eingefallenen Wangen malten sich rote Flecken. »Wer hat denn für diese herrlichen Salons hier geschuftet? Für diese Parfüms, nach denen Ihre ganze Wohnung stinkt. Von wem haben Ihre Jungens das Geld, das sie mit Huren verprassen? Ja, Sie sind unschuldig!« Die Frau lachte wütend auf. »Selbstverständlich, Sie sind ganz unschuldig. Warum schindet uns denn Ihr Mann? Um seinetwillen? Wir kennen ihn schon fünfunddreißig Jahre, liebe Frau, und wir wissen, wie er lebt, wie er sich kleidet, was er ißt und trinkt. Die Mädels haben ihn auch nicht viel Geld gekostet. Er führt sie ja direkt vom Bau, von der Maurerarbeit aufs Büro und zahlt ihnen dann fünf Pfennige mehr für die Stunde. Nein, nur Ihretwegen schindet er uns!« Die Frau ließ ihre Augen im Salon umherwandern und sie verwandelten sich in zwei Flammenwerfer, die alles verbrannten, was sie berührten. »Und alles nur wegen dem Dreck da«, schrie sie und wies mit dem Zeigefinger auf die Lehnstühle, Fauteuils, Bilder, Skulpturen und Vitrinen. »Für diesen Dreck. Und für Sie, für Sie!« Sie schritt auf die Frau des Architekten zu. Frau Rubesch, bleich und verängstigt, wich Schritt um Schritt zurück, in die Ecke, in der auf einem Ebenholzsockel die Alabasterbüste eines Maurers stand. »Wer hat das alles für euch geschafft? Ich und mein Mann. Das ist unser Geld. Das ist das Blut meines Mannes. Das ist meine Milch!« Die Frau, deren Kleid noch offenstand, schlug sich gegen die nackte Brust. »Diese Brust, diese Milch, die ich meinen Kindern gestohlen habe, damit ihr dick und fett werden könnt!«
»Aber liebe Frau, ich bitte Sie«, flüsterte Frau Rubesch. »Ich bin wirklich nicht schuld daran. Ich kenne Sie ja gar nicht.«
Ein Hustenanfall schüttelte die Frau des Maurers.
Anna, entsetzt und halb betäubt, zog sie sanft am Ärmel: »Liebe Frau, ich bitte Sie …«
»Es ärgert mich selbst, daß ich so dick bin«, entschuldigte sich Frau Rubesch. »Ich tue dagegen, was ich kann. Ich esse sehr wenig. Das wird Ihnen Anna hier bestätigen.«
Die Stimme der Frau überschlug sich in ein krampfhaftes Lachen. Aber das Lachen verwandelte sich wieder in Husten, in einen reißenden und tödlichen Husten.
Anna zupfte sie unentwegt am Ärmel.
»Du hast recht, Mädchen«, sagte die fremde Frau müde. »Sie ist doch dumm, sie versteht kein Wort von dem, was ich ihr sage. Sie glaubt selbst, daß sie unschuldig ist. Sie heilt ihr Fett in Karlsbad … Sie hat ein gutes Herz … Fein haben sie sich das eingeteilt, sie und ihr Mann.«
Sie ging zum Tisch und zog das Tuch weg, auf dem die Hosen und der Kohl lagen. Die Hosen blieben auf dem Tisch liegen, aber die Kohlköpfe rollten auf den Teppich und gruben sich in seine dicke Wolle ein.
Sie ging. An der Türe wandte sie sich nochmals um. Sie hob die magere Faust gegen die Frau des Baumeisters und ihre Stimme gewann an Festigkeit.
»Ich habe einen fünfzehnjährigen Sohn zu Hause. Der wird uns rächen!«
Anna sagte unermüdlich: »Liebe, liebe Frau, ich bitte Sie …«
Die erschöpfte Maurersfrau verließ die Wohnung. Anna schloß die Tür hinter ihr, dann kehrte sie in den Salon zurück, um Hosen und Kohl wegzuräumen. In der Mitte des Zimmers stand Frau Rubesch, weiß wie die Büste des Maurers. Ihre Augen waren gesenkt. Leid war in ihnen, Erniedrigung, Scham und gerechter Zorn.
Anna ging in die Küche. Auch Anna war bleich, zitterte. Sie war dem Weinen nahe. »Welche Ungerechtigkeit«, sagte sie sich, »welches Unrecht an der gnädigen Frau.« Anna schämte sich für die fremde Frau, aber als sie ihr noch ein hartes Wort nachwerfen wollte, gelang ihr dies nicht, wußte sie denn nicht, wie es bei einem Maurer aussieht, wenn es keine Arbeit gibt und der Kaufmann auch nicht einmal mehr ein viertel Pfund Bruchreis pumpen will? Aber was konnte denn ihre gnädige Frau dafür, daß es auf der Welt Elend gab, verkrüppelte Maurer und verzweifelte Frauen? Wie schwer ist alles, wie furchtbar schwer in diesem Babylon, das man Prag nennt, und wie ist daheim in der Hütte alles leichter und einfacher.
Im Vorzimmer ging das Schloß, die Tür öffnete und schloß sich und Fräulein Dadla blickte im Vorbeigehen in die Küche. Sie kam vom englischen Unterricht zurück.
»Wo ist Mama?«
»Im Salon, Fräulein«, sagte Anna.
Das Herz blieb ihr stehen.
Das Fräulein ging in den Salon, aber als sie von der Mutter kein Wort erfahren konnte, zog sie wieder in die Küche.
»Was ist denn wieder bei uns passiert?« brach sie aus.
»Um Gottes willen, Fräulein …« Anna faßte sich, fand erst jetzt Worte, dem Fräulein alles zu erzählen. Das Fräulein lief aus der Küche in den Salon.
»Pfeif doch endlich auf diese blöde Humanität«, schrie sie die Mutter an, »hundertmal hab ich dir das schon gesagt. Was hast du davon, nur Ärger und Undank. Warum habt ihr sie nicht hinausgeworfen, warum hast du die Polizei nicht holen lassen? Ich werde dem Vater telephonieren, daß er sie sofort verhaften läßt. Vater wird schon wissen, wer es war. Hundertmal habe ich dir gesagt, daß du dir eine Zofe nehmen sollst. Was konntest du denn anderes erwarten von diesem Dorfmädchen? Wir leben wie die Krämer, unsere Wohnung ist wie eine Passage und in unseren Salon kommt jede Maurersfrau. Da hast du deine beschissene Humanität, da hast du deine blöde Sparsamkeit.«
Fräulein Dadla warf die Salontüre zu, daß die Wände krachten. Sie ging ins Arbeitszimmer des Herrn, telephonierte mit dem Vater und zog sich dann auf ihr rosa Zimmerchen zurück; auch da schlug sie die Tür ins Schloß.
Aus Annas Augen sprach Verwunderung.
»Sie haben doch gesehen, Anna«, sagte am nächsten Tag die gnädige Frau in der Küche, »welchen Undank ich für meinen guten Willen ernte, und der Herr dafür, daß er sie ernährt.«
Sie sagte das bitter, man merkte, daß es ihr weh tat. »Und was das Frauenzimmer erzählte, war überhaupt nicht wahr. Wenn wir etwas besitzen, kommt das nicht von ihrer Arbeit, bei der setzen wir nur zu. Wir verdienen bloß an den Lieferungen, die der Herr eben zugeteilt erhält.«
Anna schwieg.
»Sprechen Sie öfter mit Frau Dworak?«
»Nein, gnädige Frau.«
»Und mit der Marie vom dritten Stock auch nicht?«
»Auch nicht, gnädige Frau.«
Frau Dworak war die Portiersfrau. Marie war beim Oberinspektor bedienstet. Anna kannte sie vom Sehen, sie begegnete ihr im Hause und einige Male traf sie mit ihr beim Bäcker zusammen. Diese Marie war ein lustiges und ausgelassenes Mädel. Beim Bäcker band sie den Mädchen die Schürzen zusammen, kitzelte sie mit dem Kuchenheber am Halse und steckte zum Schluß mit ihrem Lachen den ganzen Laden an. Anna hörte sie eigentlich früher als sie sie sah. Wenn sie des Morgens sauber machte und das Fenster offenstand, da war auch Marie zwei Treppen über ihr beim Aufräumen und öffnete die Fenster. Marie sang bei der Arbeit, und ihr »Ich küsse Ihre Hand, Madame«, »Ausgerechnet Bananen« und »Aus weiter Ferne den Ring zurück« klang hell durch den Hof. Sie sang ihre Lieder für das ganze Haus und man merkte, daß sie am liebsten über die Dächer der Zinshäuser für den ganzen Wenzelsplatz und über den Häuserblock hinweg der ganzen Stadt gesungen hätte. Anna blieb am Fenster stehen, versteckte sich hinter der Gardine und lauschte. Es war ihr fröhlich zumute und sie lächelte. »Aus weiter Ferne den Ring zurück« konnte sie schon ein wenig mitsummen. Marie nahm beim Hinuntergehen immer drei Stufen auf einmal, und wenn sie mit jemandem ging, klang das ganze Treppenhaus von ihrem Lachen.
»Das ist schon wieder dieser Narr aus dem dritten Stock. Die scheint mir die Richtige«, pflegte die gnädige Frau zu sagen, wenn Marie wie ein Gewitter an der Tür der Wohnung vorbeischoß.
Und Frau Dworak, die Portiersfrau, vom Lärm erzürnt, lief aus der Loge heraus:
»Was ist denn schon wieder für ein Krach hier?« Aber wenn sie Marie sah, schwand der Zorn und sie schimpfte nur noch der Form wegen.
»Du unordentliches Luder, du elendes, ich muß dir doch eins mit dem Besen langen.«
Sie holte schnell den Besen und versetzte Marie einen Schlag auf den Rücken. Marie kreischte auf, hielt sich am Geländer fest und zog dann mit Gekicher aus dem Hause auf den Wenzelsplatz.
Eines Morgens, als Anna einkaufen ging, und eben die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, stieß sie mit Marie zusammen. Die lachte.
»Na, du hübsche Blondine, warum versitzt du deine ganze Zeit bei deiner Alten? Komm, wir lachen uns ein paar Jungens an und gehen irgendwohin.«
Anna errötete und senkte die Augen.
Marie lächelte.
»Euern Ehrenfried habt ihr nicht gefunden, na, Mädel, das ist ein richtiger Freier.«
Anna wußte vor Verlegenheit nicht, wohin sie schauen sollte.
»Na, was hat denn deine Alte gesagt, als ihr da unlängst Frau Nechleba so fein aufgespielt hat? Na weißt du denn nicht, wer die alte Nechleba ist, das ist doch die mit den Kohlköpfen und den Hosen vom Herrn. Da siehst du, meine Liebe, die Portiersfrau und ich, wir wissen alles!«
Anna stand wie auf glühenden Kohlen, und je mehr die andere lachte, um so mehr errötete sie. Marie lief, die Antwort nicht mehr abwartend, die Treppe hinunter. Auf dem Podest hielt sie und lachte Anna, die wie festgewachsen stand, ins Gesicht.
»Du scheinst mir noch richtig grün zu sein.«
Sie kicherte und verschwand.
Nein, Anna sprach mit niemandem und traf sich mit niemandem. In der Kneipe, wo sie vor dem Abendbrot zwei Dunkle holte, sagten sie ihr »Gott, haben Sie schönes Haar, Fräulein«. Sie senkte errötend die Augen und schwieg verbissen auf alle Fragen. Der Kellermeister im weißen Rock lachte sie an, wenn er ihr die Gläser abnahm, um einzuschenken. »Na ja, die ist stolz.« Und als sie in der Durchfahrt ein junger Mann mit einem hoffnungsfrohen »Wohin denn, Fräulein«, ansprach, vergrub sie den Kopf tief in die Schultern und rannte, bis ihr der Schaum vom Bier auf die Schürze flog. Sie ging nur aus, um einzukaufen. Es lohnte auch gar nicht; denn wenn man von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends oder gar, wenn man sich nicht beeilt hatte, bis 10 Uhr arbeitete, war man froh, bis zum Morgen schlafen zu können, wo die gnädige Frau ihr lautes »Anna« in die Kammer rief. Frau Rubesch hatte sich schon lange abgewöhnt, vergeblich an die Tür zu klopfen, und manchmal half auch »Anna« gar nichts und es war notwendig, die Schlafende an der Schulter zu ziehen. »He, Anna, hören Sie denn nicht? Aufstehen!«
Sonntag nachmittags lieh ihr die gnädige Frau ein Buch zum Lesen. Von den Ereignissen in den Hussitenkriegen, von Sherlock Holmes, von Leon Clifton, von Nick Carter und Wallace. Danach konnte sie dann niemals einschlafen und sie stand noch oftmals aus dem Bette auf, um sich zu überzeugen, ob die Kette vorgemacht war. In der Bibliothek des Herrn war noch ein wunderbares Buch. Gedichte vom Frühling, vom Mond über dem Teich und von süßen und schmerzlichen Gefühlen in der Brust. Die erweckten in Anna Erinnerungen an die Jugend, an die Hütte mit dem durchlöcherten Dach und an die fünf Schwestern. Im Zigarrengeschäft, wo sie die Zigarren für den Herrn holte, kaufte sie Ansichtskarten mit Hainen, Sonnenuntergängen – die Sonne war von echtem Gold – und schrieb Gedichte aus den Büchern darauf und sandte sie ihren Schwestern und Freundinnen auf dem Lande. Ein wenig als Erinnerungszeichen und ein wenig, um groß zu tun.
Fräulein Dadla hatte auch Bücher. Sie verbarg sie im Schrank unter der Wäsche.
»Lesen Sie doch nicht diesen Unsinn für kleine Kinder«, sagte sie eines Sonntags zu Anna, »ich borge Ihnen etwas Besseres, aber vor Mama keinen Ton und nur lesen, wenn sie nicht zu Hause ist.«
Die Bücher des Fräuleins waren ganz anders. Man fand darin viele Bilder eleganter Herren und halbnackter oder nackter Damen, und als Anna sie zum erstenmal sah, errötete sie. Aber als sie zu lesen begann, merkte sie, daß sie viel interessanter waren als die Schilderungen der Hussitenkriege und die Heldentaten berühmter Detektive. Manchmal waren sie so, daß sich einem der Kopf drehte und man mußte mit der Hand die erhitzte Wange streicheln, ein bißchen in der Küche auf und ab gehen, das Fenster öffnen und die kühle Luft tief einatmen. In einem Buch war ein herrliches Bild. Ein elegant gekleideter Herr hielt eine Dame in den Armen. Das war der Sohn des Stahlkönigs und sie war die Gattin eines verlebten Herzogs. Die Frau hatte nur eine Spitzenkombination an, von der linken Schulter war das Band heruntergerutscht, so daß die Brust zu sehen war. Das Bild hatte die Unterschrift: »Ich liebe dich, ich liebe dich, stöhnte Joe und drückte sie an seine männliche Brust«. Anna schaute sich dieses Bild oft und lange an und in ihre Augen trat ein ungewöhnlich weicher Ausdruck. Wird auch sie, Anna, jemand an die männliche Brust drücken und stöhnen: »Ich liebe dich, ich liebe dich«?
Sie saß auf einem niedrigen Schemel zwischen Abwaschtisch und Küchenschrank unter der Lampe, die an einer Schnur hängend bis zu ihrer Stirn herabreichte, und ihre Augen schweiften in die Weite. Dieses Bild duftete wie das Zimmer des jungen Herrn, es duftete nach Haarpomade, nach Zigarettentabak und nach Geheimnis. Kommt der junge Herr, kommt Joe? Sie liebte ihn.
Er kam wirklich. Es war also kein Traum und er klingelte in Wirklichkeit an ihrer Tür.
Anna stockte der Atem. Sie erkannte ihn sofort. Er stand vor ihr auf der Matte vor der Wohnungstür. Er trug einen grauen Mantel, weichen Hut, amerikanische Handschuhe und moderne Schuhe. Er war jung, interessant, bleich. Unter den wunderbaren, tiefen Augen zogen sich blaue Schatten. Hinter ihm standen zwei ältere Herren in ehrerbietiger Haltung.
»Ist Mama zu Hause? Ich bin Ehrenfried Rubesch. Sie sind das neue Dienstmädchen?«
Seine Stimme war fest und hell.
»Es ist niemand zu Hause, der Herr und das Fräulein sind in die Stadt gegangen«, stotterte Anna.
»S'il vous plait?« sagte er zu den beiden Herren und schritt selbstbewußt durch das Vorzimmer, durch die Diele direkt in sein Zimmer. Die beiden Herren hinter ihm.
»Wenn Mama zurückkommt«, sagte er zu Anna, ohne sie anzusehen, »sagen Sie ihr, daß ich gekommen bin.«
Er verschwand in seinem Zimmer. Anna stand auf der Diele. Es war wie ein Wunder. Wie eine plötzliche Feuersbrunst. Anna blickte auf den roten Läufer, auf dem er ging, und es schien ihr, als zöge sich hier ein silberleuchtender Faden, der im Türschloß seines Zimmers mündete.
In der Küche wartete der Abwaschtrog mit warmem, fettem Wasser und Geschirr. Sie mußte an die Arbeit gehen. Aber diese halbe oder dreiviertel Stunde, die sie noch allein zu Hause war, war zerrissen, und einige Male ging sie nach der Diele, um nachzusehen, ob sich nicht die Türe zum Zimmer des jungen Herrn öffnen und er ihr irgend etwas befehlen würde. Und ihr Herz schlug immer stärker. Dann ging das Schloß und Fräulein Dadla kam mit einigen Paketen beladen. Anna ging ihr entgegen.
»Fräulein, der junge Herr ist gekommen«, flüsterte sie.
»Welcher junge Herr?«
»Herr Ehrenfried.«
Das Fräulein blinzelte mit den Augen und schaute zur Seite. Sie sagte nichts und ging ins rosa Zimmer.
Einige Minuten später kam die gnädige Frau.
»Gnädige Frau, Herr Ehrenfried ist gekommen«, meldete Anna und ihre Stimme zitterte in leisem Lachen.
»Wo, wo?« fragte die gnädige Frau erregt. Ihre Augen weiteten sich und ihr welkes Gesicht verjüngte und verschönte sich von der Röte, die ihr in die Wangen schoß.
»In seinem Zimmer, gnädige Frau, er ist dort mit irgendwelchen Herren«, antwortete Anna.
Frau Rubesch warf Anna ihre Pakete zu und eilte nach dem Zimmer ihres Sohnes. Sie drückte die Klinke. Es war zugeschlossen. Sie klopfte.
»Ehrenfried, mach auf, ich bin es, Mama.«
Ihre Stimme klang jung wie die einer Liebenden. Die Tür öffnete sich und die gnädige Frau fiel auf der Schwelle dem Sohn in die Arme.
»Friedel«, jubelte sie.
Nach kurzer Zeit ging das Fräulein durch die Küche. Sie hatte sich inzwischen umgezogen und frisiert. Auch sie klopfte beim jungen Herrn.
»He, Alter, öffne doch mal die Tür«, rief sie mit einer Heiterkeit, der man anmerkte, daß sie gemacht war. Sie hielt sich beim Bruder nicht länger auf als notwendig war, ihn zu begrüßen. Sie ging dann wieder in das Arbeitszimmer des Herrn und telephonierte mit dem Vater. Die gnädige Frau kam aufgeregt in die Küche. Sie lief, sie, deren jede einzelne Bewegung sonst langsam und vornehm war, lief wie ein junges Mädchen und war voll Lebensfreude und Kraft. Ihre Augen strahlten jung.
»Anna, er hat doch noch gar nichts gegessen«, sagte sie halblaut und war sichtlich erbost darüber, daß so etwas geschehen konnte. »Er ist seit morgens unterwegs, aber jetzt nur schnell, ganz schnell. Er kann nicht bis zum Abendbrot warten. Kaufen Sie beim Schlächter drei Beefsteaks, hübsch aus der Mitte und hoch, und im Delikatessengeschäft eine Dose Hummern, der junge Herr ißt sie so gern, und Mayonnaise. Nehmen Sie einen Topf mit dafür. Dann eine Flasche Wein, der junge Herr trinkt kein Bier. Im Delikatessengeschäft wissen sie schon, was der Herr trinkt. Aber bitte sehr schnell, so schnell wie Sie nur können.«
Anna flog. Als sie abgehetzt vom Einkauf heimkam, ließ die gnädige Frau Butter aus, machte Bratkartoffeln und schnitt Zwiebeln.
»Also, Anna, jetzt gehen Sie in das Zimmer des jungen Herrn den Tisch decken. Drei Gedecke und dann springen Sie, schnell für die fremden Herren Bier holen.«
Anna trat die Röte in die Wangen.
»Gern, gnädige Frau.«
Sie ging klopfenden Herzens, und als sie die Klinke berührte, zitterten ihre Knie. Im Zimmer stand blauer Rauch und helles Licht. Der junge Herr lag auf der Ottomane; er blickte zur Decke empor und rauchte eine Zigarette. Der chinesische Aschbecher war voll von Zigarettenresten. Er trug einen Rock aus leichter schwarzer Seide mit Verschnürungen und hatte Pantoffeln an den Füßen. Er nahm Annas Anwesenheit nicht zur Kenntnis. Am Tisch saß ein fremder Herr und blätterte in irgendeinem Buch. Der andere lehnte an einem Schrank und besah sich Anna.
Sie deckte den Tisch und schaute dabei den jungen Herrn an.
Gott war der schön, was der für ein bleiches trauriges Gesicht hatte. Anna wünschte sich sehr, daß er sie anblickte. Nur für ein kleines Augenblickchen. Sie wünschte sich das so sehr, daß sie von dem Wunsch erbebte. Aber der junge Herr blickte unentwegt zur Decke. Seine Augen waren schwarz und schwer und man merkte, daß er in die Ferne sah und an irgend etwas Schönes und Trauriges dachte.
Anna stellte die Teller, das Silbergedeck und die Servietten auf den Tisch und dachte sich: Ob er mich wohl ansieht? Ach, wollte er mich doch nur einmal ansehen. Aber der junge Herr blickte sie nicht an. Nur der fremde Herr am Schrank schaute sie an und Anna bemerkte, daß er ein finsteres und gewöhnliches Gesicht hatte.
Dann kam die gnädige Frau ins Zimmer.
Der Herr Baumeister kam erst am Abend zurück, etwas früher als sonst, aber er ließ lange auf sich warten. Er ging direkt in sein Arbeitszimmer. Er hielt sich dort eine Minute auf und klingelte dann.
»Wo ist das Fräulein?«
»Auf ihrem Zimmer, Herr Baumeister.«
Herr Rubesch war ernst und gesetzt wie immer.
Fräulein Dadla kam zum Vater. Sie sprachen beide eine Zeitlang miteinander. Dann klopfte das Fräulein an Ehrenfrieds Zimmer, rief einen der Franzosen und führte ihn in das Arbeitszimmer des Vaters. Sie kehrte dann in ihr rosa Zimmerchen zurück, setzte den Teddybär auf den Tisch und band ihm ein rosa Bändchen um den Hals. Sie widmete dieser Arbeit mehr Sorgfalt, als sie verdiente. Der Baumeister konferierte lange mit dem Fremden. Als sie zu Ende waren, rief der Franzose seinen Gefährten in die Diele. Sie berieten dort. Dann ging einer weg, der andere kehrte ins Zimmer des jungen Herrn zurück. Das Abendessen war bewölkt und auffallend still. Man aß im Speisezimmer, nur der Baumeister, die gnädige Frau und das Fräulein. Die gnädige Frau war noch rosig, vielleicht röter als vorher, aber der freudige Glanz war aus ihren Augen verschwunden. In Anwesenheit des Herrn gab es keinen freudigen Glanz in den Augen.
Nach dem Abendbrot machte Anna im Zimmer des jungen Herrn das Bett. Auf dem Sofa richtete sie ein zweites Lager. Zu dieser Zeit war die gnädige Frau auch anwesend. Sie saß am Tisch. Ihre Hände lagen auf den schönen weichen Händen ihres Sohnes, und sie blickte ihm liebevoll in die Augen. Sie unterbrachen das Gespräch, das sie vor Anna nicht weiterführen konnten. Sie schwiegen. Neben ihnen saß der Franzose über das Buch gebeugt. Er verstand das Gespräch nicht und beachtete nichts. Auch ihn beachtete niemand. Er war Anna zuwider, und sie konnte nicht begreifen, warum er hierblieb, wo er doch sah, daß er störte.
Dann wusch Anna das Geschirr und ging schlafen. Sie konnte nicht einschlafen. Dem jungen Herrn drohte irgendeine Gefahr. In diesem Hause geschah etwas Böses, Geheimnisvolles, das sie nicht verstand. Der junge Herr braucht Hilfe. Und sie lag im Dunkeln in ihrer Kammer und blickte zur Decke, ohne ihn zu sehen. So oft es etwas zu tun gab, war sie stets dabei. Zu Hause und hier und jetzt rief niemand nach ihr. Was ging hier vor? Und warum war Licht im Schlafzimmer? Ja, es war Licht im Schlafzimmer. Anna stand des Nachts einige Male auf und öffnete leise die Türe der Kammer. Immer wieder überzeugte sie sich davon. Und dieses Licht, das durch das Schlüsselloch drang und einen gelben Fleck auf die gegenüberliegende Wand der Diele warf, und dieser Fleck, lebendig und doch unbeweglich und still wie das ganze Haus, waren böse und schlecht. Der junge Herr brauchte Hilfe. Er brauchte Hilfe wie irgendeine ihrer kranken Schwestern, wenn in ihrer Hütte nachts die Petroleumlampe leuchtete, und Anna kalte Umschläge auf die erhitzte Kinderstirn legte. Heute lehnten sie ihre Hilfe ab. Warum denn? Die Augen des jungen Herrn sahen traurig und ängstlich nach ihr. Auch ihr war traurig und ängstlich zumute, denn sie liebte ihn. Am Morgen hörte sie das erste Knarren der Tür und stand auf. Wie sah die gnädige Frau bloß heute aus. Sie war bleich und verwelkt und ihre ausgelöschten Augen waren rot. Sie wich Annas Blick aus.
»Holen Sie in der Wassergasse bei Berger Mandelhörnchen«, sagte sie und sah das Mädchen dabei nicht an. Anna tat die gnädige Frau leid. Warum blickte sie sie nicht an? Auch die gnädige Frau litt um den jungen Herrn.
Anna ging. Unten am Durchgang vor der Portiersloge standen Frau Dworak und Marie mit der Einholetasche. Als Marie Anna erblickte, schloß sie sich ihr sogleich an. Sie hatte offenbar auf sie gewartet.
»Euer Ehrenfried ist gekommen, nicht?« fiel sie mit der Tür ins Schloß.
»Ja«, wunderte sich Anna.
»Und die zwei, das sind Pariser Detektive.«
Anna zuckte erschreckt die Achseln. Sie erinnerte sich an Leon Clifton, Nick Carter und Sherlock Holmes.
»Selbstverständlich«, sagte Marie, »das sind zwei Pariser Detektive, die sehen aus wie Hundehetzer.«
»Detektive?« flüsterte Anna.
»Na ja, weißt du denn nicht, daß sie den Jungen schon vier Monate suchen, nein? Weißt du denn nicht, daß Ehrenfried seinen Vater um fünfundzwanzigtausend Mark geblitzt hat, nein?«
»Pfuit!« pfiff sie, »du weißt ja überhaupt nichts, du armes Hascherl. Wie war es denn gestern bei euch?«
Anna erzählte das Wenige, das sie wußte und Marie unterbrach sie mit zehnerlei Fragen. Das wollte sie noch wissen und dieses und jenes. »Na ja«, sagte Marie, »das ist mal so«, und dann verwunderte sie sich: »Weißt du denn gar nichts von diesen Rubesch-Jungens? Die kennt doch die ganze Stadt. Die Zeitungen haben davon geschrieben und sie weiß nichts. Das waren zwei Lausejungs, der Ehrenfried und der Ferdinand. Die konnten die Stadt auf den Kopf stellen. Der Ehrenfried hatte schon mit sechzehn Jahren mit einer ein Kind. Die Jungs wogen nicht soviel wie das Geld, das sie kosteten. Aber der Ehrenfried ist ein fescher Kerl. Von mir hat er mal eine auf der Treppe gefangen.«
Marie lachte. »Komm, ich begleite dich ein Stückchen.« Anna ging wie im Halbschlaf mit, und Marie begeisterte sich an der sensationellen Neuigkeit.
»Unser Haus gehört deiner Alten. Solange sie konnte, hat sie sich Geld darauf geliehen. Aber dann hat ihr's der Baumeister vermasselt. Hat einen Riesenkrach gemacht und für den Ehrenfried war's vorbei. Der Ferdinand hat von dem Haus wenigstens noch etwas gehabt, der hat sich in Wien mit den Offizieren ganz schön ausgebummelt. Euer Ehrenfried hat Schulden gemacht; damals hat er gerade eine russische Fürstin geliebt, du weißt doch, Mensch, das kennen wir doch, das ist ja hier jede. Ach, war das eine angemalte Schachtel. Ich habe sie mir mal angesehen, als sie vor dem Seidenhaus aus dem Auto stiegen. Kannst dir denken, was die Geld gekostet hat. Na, und als die Mutter nichts mehr hatte, da hat er die Unterschrift vom Vater gefälscht und ist geflitzt. Euer Alter hat das Detektivbüro Argus auf ihn gehetzt und als sie feststellten, daß er mit der Fürstin nach Frankreich gefahren ist, ließ er in Paris nachforschen.«
Marie und Anna kamen zur Bäckerei in der Wassergasse.
An der Schwelle blieben sie noch stehen.
»Haben sie ihn verhaftet?« fragte Anna entsetzt.
»Woher denn, ein Privatdetektiv kann niemand verhaften, das darf doch nur die Staatspolizei.«
»Na warum ist er denn mit ihnen gegangen?«
»Was redest du bloß für Unsinn? Warum er mitgegangen ist? Weiß ich denn, was da los war? Wahrscheinlich sind sie eines Morgens, als er mit seiner Fürstin noch im Bett lag, zu ihm gekommen und haben ihm gesagt: Junger Mann, wollen Sie mal mit uns nach der Heimat fliegen? Wir haben sonst Auftrag, die Polizei zu verständigen, daß Sie den Vater um Fünfundzwanzigtausend geblitzt haben. Was konnte er tun? Na und die Fürstin, mein Gott, hast du Sorgen, wahrscheinlich hat sie furchtbar geweint, daß das Geld alle ist und daß sie wieder als Animiermädel gehen muß.«
»Was wird jetzt sein, Mariechen?«
»Was jetzt sein wird?«
Marie zog die Buchstaben. »Das ist eine sehr schwierige Sache. Kannst dir wohl denken, daß sie ihn nicht einlochen lassen. Aber vielleicht ist das richtig, was ich mir denke.«
Marie senkte die Stimme geheimnisvoll und zog die Hüfte hoch. »Den Ehrenfried schicken sie nach Amerika. Das machen die Schieber immer mit ihren Söhnen, wenn sie nicht gut tun. Wenn die beiden Spitzel noch heute bei euch bleiben, kannst du Gift drauf nehmen, daß er nach Amerika fährt. Sie bringen ihn nach Hamburg, kaufen ihm eine Karte, führen ihn bis zum Schiff und adio lieber Sohn. Grüß alle und ernähr dich selbst. Ganz bestimmt werden sie das so machen.«
Anna stand auf dem Gehsteig und hielt die Augen gesenkt. Passanten stießen sie an, aber sie fühlte es nicht. Da sagte Marie: »Du holst jetzt für den Ehrenfried Süßes, nicht, na geh, Kleine, sonst gibt's Umschlag, ich muß auch schon weg. Servus. Morgen warte ich auf dich.«
Anna kaufte Mandelhörnchen und lief nach Hause, was der Atem hielt. Der Baumeister war noch zu Hause, und sie servierte ihm im Speisezimmer das Frühstück. Dann trug sie zwei Tassen Kaffee und Mandelhörnchen in das Zimmer des jungen Herrn. Der lag noch im Bett. Der Detektiv saß auf einem Stuhl. Nicht der Lesende, der hier geschlafen hatte, der war auf die Diele hinausgegangen, um zu rauchen, aber jener zweite, der gestern Anna so unangenehm angesehen hatte. Der junge Herr rauchte im Bett Zigaretten. Er war mit einem seidenen Pyjama gekleidet. Er sah gut aus und blickte wieder traurig zur Decke. Anna stellte ihm das Frühstück auf den Nachttisch. Sie blickte ihn an. »Er denkt sicher wieder an seine russische Fürstin«, dachte sie, und er tat ihr leid. Und sie überlegte: Warum verbieten sie ihm das? Warum geben sie ihm nichts, wenn sie soviel Geld haben? Wie war das alles leicht und einfach. Armer, junger Herr. Da blickte sie der junge Herr an. Der Blick seiner großen Augen ruhte eine Sekunde auf ihren rötlichen Haaren, von da glitt er zum Busen ab. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, ein kaum sichtbares Lächeln, einem Winken der Hand, einem Seufzer gleich.
Annas Herz begann zu schlagen. Das Blut stieg ihr zu Kopf. Sie fühlte, wie der Herr ihre Haare und Brüste streichelte. Sie fühlte das so klar, so körperlich, daß ihr zarte Wellen über den Rücken liefen. Der junge Herr lächelte, ja er lächelte, und Anna war es, als müßte sie zu seinem Bett springen, seine Hände in die ihren nehmen und sagen: »Ach, junger Herr, was kann ich tun, damit sie lustig werden, sprechen Sie doch, und ich will alles machen, was Sie sich wünschen.«
Aber der junge Herr blickte schon wieder zur Decke, und Annas Herz beruhigte sich. Als sie dem Detektiv den Kaffee reichte, sagte sie sich: »Du ekelhafter Kerl, du«, und sie dachte, ob das etwas helfen könnte, wenn sie jetzt in die Küche ginge, ein schwarzes Messer holte und es ihm in den Hals stieße.
Sie ging ungern aus dem Zimmer, und noch als sie die Tür schloß, schielte sie nach dem jungen Herrn. Doch der sah sie nicht mehr an. Seine weiße Hand mit den langen Fingern klopfte die Zigarettenasche in den chinesischen Aschbecher. Anna machte die Wohnung sauber. Das Bild des jungen Herrn war mit ihr. Sie öffnete die Fenster, und der leise Wind bewegte die Gardinen. Sie hörte, wie Marie im dritten Stock über ihr »Aus weiter Ferne …« blökte.
Anna war allein. Der Baumeister war fortgegangen, aber, und das war sonderbar, auch die gnädige Frau war nicht zu Hause, und Anna überlegte vergeblich, wohin sie so früh am Morgen gegangen sein könnte. Als sie den Salon aufräumte, fuhr sie zusammen. Es schien ihr, als ob aus dem Fremdenzimmer im entlegensten Teil der Wohnung merkwürdige Laute kämen. Sie öffnete die Tür und erschrak heftig. Die gnädige Frau lag an der Erde, mit dem Gesicht zu Boden. Der Kopf wackelte, so daß sie stets mit der Stirn den Teppich berührte. Sie stieß krampfhafte Laute aus, die aus einem Grab zu kommen schienen: »Hu, Hu – – –«
Die erschreckte Anna kniete neben ihr nieder.
»Um Gottes willen, gnädige Frau, was ist denn los?«
Frau Rubesch wandte die aufgerissenen Augen zu ihr, und ihr bleiches Gesicht war entstellt und häßlich wie das einer Leiche. Ihr ergrautes Haar, zerrauft und glanzlos, glich dem Abfall im Mülleimer.
»Wie ein Stein, wie ein Stein …«, kam es schwer aus ihr.
»Uh, uh«, und sie starrte Anna an.
»Um Gottes willen, gnädige Frau, besinnen Sie sich doch nur ein Weilchen, bevor ich das Fräulein hole.«
Da schien es, als ob die gnädige Frau verstanden hätte. Sie hob schwerfällig ihren dicken Leib und richtete sich langsam auf.
»Nein, Dadla nicht.«
Sie wankte zur Chaiselongue und fiel mit ihrem ganzen Gewicht so schwer darauf, daß die Federn knirschten.
»Wie ein Stein, er ist ja wie ein Stein, Anna.«
Anna verstand, daß vom Herrn die Rede war. Ihr war ängstlich zumute. Sie stand über die gnädige Frau gebeugt und wußte keinen Rat.
»Gehen Sie an Ihre Arbeit«, murmelte Frau Rubesch erschöpft. »Kümmern Sie sich um mich nicht, Sie sind ein freundliches Mädchen.«
Anna ging.
An diesem Vormittag war ungewöhnlicher Betrieb in der Wohnung, aber ein so schwerer und düsterer Betrieb, wie vor dem Wegtragen einer Leiche. Marie hatte wahrscheinlich recht. Zwei Reisekoffer wurden gebracht, und die Detektive gingen und kamen abwechselnd. Die gnädige Frau wanderte wie ein Gespenst zwischen dem Zimmer des jungen Herrn und der übrigen Wohnung hin und her. Zeitweise hielt sie sich in der Küche auf, um irgend etwas anzuordnen und hob wie tot die Topfdeckel an.
»Ein bißchen mehr Majoran, Anna«, sagte sie. Die Worte kamen wie aus der Ferne, und man sah, daß sie weder mit Majoran noch mit dem Hammelfleisch etwas zu tun hatten. Vielleicht mit etwas anderem. Als ob sie auf etwas wartete, auf etwas, das kommen mußte, um sie zu erdrücken. Vielleicht konnte sie dagegen ankämpfen, aber es fiel ihr nicht ein, daß sie das konnte. Vielleicht konnte sie weglaufen. Aber sie versuchte es nicht. Sie wartete nur mit entsetzten Augen auf das, was Schritt um Schritt sich näherte. Ihr Sohn fuhr ab, ihr Leben, und niemand war da, der ihr helfen konnte. Und ihre Bewegungen im Zimmer des Sohnes und ihre Hilfeleistungen beim Packen der Koffer, das waren die Vorbereitungen für das Begräbnis und der Abschied vor dem Zuschlagen des Sargdeckels.
Das Mittagessen war traurig. Der Baumeister aß mit der Tochter im Speisezimmer. Die gnädige Frau blieb beim jungen Herrn und bediente ihn selbst. Die Detektive aßen irgendwo außer dem Haus. Nach dem Essen kleideten sich die gnädige Frau und das Fräulein an, und Frau Rubesch weinte dabei ruhige Tränen, die ihr in dichten Strömen über die bleichen Wangen liefen. Der Baumeister saß im Speisezimmer vor dem noch nicht abgeräumten Tisch. Er rauchte eine Zigarre und tat, als ob er Zeitung las. Dann kam ein Chauffeur mit dem Detektiv die Koffer holen, und die gnädige Frau trat mit dem Sohn und der Tochter aus dem Zimmer des jungen Herrn. Anna stand in der Diele, um ihn zum letzten Male zu sehen. Er ging mit der Mutter über den roten Läufer der Diele. An der Tür des Speisezimmers machte Frau Rubesch halt.
»Geh, Ehrenfried, verabschiede dich vom Vater, geh, mein Kind.«
Der junge Herr zögerte.
»Geh, Liebling, es würde dir einmal sehr leid tun, daß du der Mutter nicht die letzte Bitte erfüllt hast.«
Da öffnete der junge Herr die Türe und sagte von der Schwelle aus höflich und konventionell: »Adio, Herr Baumeister.«
Aus dem Speisezimmer kam keine Antwort. Die drei gingen fort. Die Tür hinter ihnen fiel ins Schloß und dieser Ton, kurz und stumpf, traf Anna ins Herz. Sie stand in der dunklen Diele. Lange verweilte sie so, und es schien ihr, als sei die ganze Welt leer und öde und außer ihr nichts mehr da. Dann ging sie in ihre Kammer. Sie kniete beim Bett nieder, barg den Kopf in das Laken und weinte. Denn sie liebte den jungen Herrn.
Sie hörte die Schritte des Baumeisters, der wegging, und sie hörte die Rückkehr der gnädigen Frau und des Fräuleins. Da stand sie schnell auf, trocknete die Tränen, strich den Staub von den Knien und eilte an ihre Arbeit. An diesem und an den folgenden Tagen schien ihr das Haus wie nach einem Begräbnis zu sein, leer, öde und still. Niemand sprach, die Blicke wichen einander aus, und man ging auf Fußspitzen, damit kein lauter Ton den störte, dessen Geist noch hier weilte.
Die gnädige Frau lag meistenteils hinten im Fremdenzimmer auf der Ottomane, und das Fräulein kam aus ihrem Zimmerchen nicht heraus. Mittags wurde streng darauf geachtet, daß alles auf seinem Platz und ordentlich sei, das Salzfaß, die Servietten und die Bestecke. Die gnädige Frau und das Fräulein überzeugten sich selbst davon, daß die Suppe entsprechend heiß auf den Tisch kam; denn das fühlten sie alle, nur der Baumeister konnte die Stille unterbrechen, und sie wußten, wenn eine Explosion käme, würde sie furchtbar sein.
Und dann kam am dritten Tag dieses schreckliche Telegramm. Als die gnädige Frau es in der Küche öffnete und las, schwankte sie zweimal vor- und rückwärts, dann hielt sie sich am Küchenschrank fest, um nicht umzufallen. Anna und das Fräulein führten sie in das Schlafzimmer und Dadla telephonierte nach dem Arzt und dem Vater.
Der junge Herr hatte sich erschossen.
Nach zwei Tagen kam ein Brief für die Mutter. Ein Brief, von jener Hand geschrieben, die nicht mehr lebte, und der Frau Rubesch nicht übergeben werden konnte, weil sie schwer erkrankt war. Der junge Herr hatte sich in Hamburg in einem Zimmerchen eines drittrangigen Hotels erschossen; des Nachts im Bett durch einen Schuß in die Augenhöhlen, in Gegenwart der beiden Detektive, die ihn bewachten. Er starb, den Namen seiner russischen Fürstin und den seiner Mutter auf den Lippen.
Das Fräulein trug Trauerkleidung und auch der Baumeister trug an Ärmel und Hut eine schwarze Binde. Nur von Annas Schmerz durfte niemand etwas erfahren.
Als sie der gnädigen Frau Brom reichte und die Jalousien im Zimmer herunterließ, damit das Licht die Kranke nicht störe, da war es Anna, als müßte sie der bleichen Frau in die Arme sinken, an ihrer Brust weinen und rufen: »Gnädige Frau, teure gnädige Frau, ein furchtbares Unglück hat uns getroffen.«
Frau Rubesch lag mit starr gesenkten Augen von allem abgewendet und nahm Anna überhaupt nicht wahr.
Eines Morgens kam der Geist des jungen Herrn zu Anna. Anna räumte auf. Alle Fenster der Wohnung standen offen, und in die Zimmer strömte frische Luft. Als Anna in den Salon trat und die Tür öffnete, da bewegten sich die Glaskugeln der Lampe sanft und begannen leise, ganz leise zu klingen.
So kam der junge Herr zu Anna, zu ihr allein. Sie fühlte gleich, daß er da war und war glücklich.
Dann kamen und gingen die Tage, deren einer dem anderen glich. Als sich die gnädige Frau ein wenig erholt hatte, ließ sie ihr Bett und ihren Toilettentisch ins Fremdenzimmer tragen, in der festen Absicht, nie mehr in das Schlafzimmer ihres Mannes zurückzukehren.