Georges Ohnet
Der rote Kurs. Erster Band
Georges Ohnet

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Viertes Kapitel.

Im Empfangsaal des Schlosses Badonviller war gegen neun Uhr eine große Gesellschaft versammelt. Herr und Frau von Berlier hatten mit ihrem Sohne Maxime und dessen beiden Schwestern bei Didelods gespeist. Der Unterpräfekt, der Staatsanwalt und Julius Reismann, der Direktor der Steingelschen Fabriken und Reichstagsabgeordneter, ferner der Gerichtspräsident und eine Frau Lepailleur standen gruppenweise beisammen, während sich die beiden Fräulein von Berlier mit Laurence Didelod, Moritz und Maxime in eine Ecke hinter dem Flügel geflüchtet hatten, um sich dort ungestört und fern von dem Kreise der gesetzten Leute für ein endlos langweiliges Diner zu entschädigen, bei dem finanzielle Fragen mit politischen Debatten abgewechselt hatten. Es war der Abend des Tages, wo die furchtbare Explosion einer Bombe der Arbeiterkundgebung die Krone aufgesetzt hatte. In der Ecke, wo sich die jungen Leute befanden, wurde lebhaft darüber gesprochen.

»Sie haben also wirklich keine Angst gehabt, Moritz?« fragte Fräulein von Berlier, ein hübsches, blondes, rosiges Backfischchen von fünfzehn Jahren mit braunen Augen, Namens Amélie.

»Es war gar keine Zeit zum Angsthaben,« antwortete der junge Didelod. »Denn in dem Augenblick, wo ich den Lärm hörte, sah ich auch, daß niemand verletzt war, da der alte Esel von Amtsdiener ja sofort in Papas Kanzlei hereinstürzte, zwar ohne Käppi, aber auch ohne Wunde. Es ist jedoch nicht minder richtig, daß der Anschlag ernsthaft gemeint war, und daß man einfach ein Verbrechen begehen wollte.«

»Trotzdem Herr Didelod das nicht zugeben will,« sagte Karoline, die Ältere der beiden Berliers.

»O, Papa, der gesteht niemals etwas ein, was seinen Ansichten widerspricht,« erklärte Laurence. »Es paßt ihm ganz und gar nicht, daß in seinem Wahlkreis, auf dem Rathaus von Lehrange und gegen ihn selbst ein anarchistisches Attentat verübt worden ist. Er wird von seiner Meinung auch nicht abzubringen sein, sondern dem Staatsanwalt, dem Unterpräfekten und jedermann versichern, es sei nichts andres als ein Dummerjungenstreich gewesen.«

»Ja, es ist unglaublich!« fügte Moritz hinzu. »Ich habe die Bombe gesehen und weiß, was davon zu halten ist. Eine große Konservenbüchse war es voll Sprengpulver, Dynamit und Schuhnägeln, mit Eisendraht sehr fest zusammengeschnürt. Die Wirkung war aber auch großartig. Die Tür zur Hausmeisterwohnung ist zersplittert, die ganze Einrichtung in tausend Stücke gerissen, die Decke des Hausflurs geborsten, und vom Treppengeländer sind mindestens zehn Meter losgerissen. Nicht eine Scheibe im ganzen Gebäude ist unversehrt geblieben. Und daß der Fußboden des ersten Stocks nicht ins Erdgeschoß heruntergestürzt ist, haben wir nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Die vom Hausflur in den Garten gehende Tür war nämlich offen, so daß der größte Teil der Explosivkraft durch diesen Ausgang entwichen ist. Hätte diese Tür nicht offengestanden, so wäre wahrscheinlich der erste Stock des Rathauses in die Luft geflogen und Herr Neumans, Papa, Gaudin und ich mit.«

»Entsetzlich!« riefen die entrüsteten jungen Leute im Chor.

Zugleich ließ sich während einer allgemeinen Stille die Stimme des Staatsanwalts, Herrn Teinturiers, vernehmen: »Es muß selbstverständlich eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet werden. Ohne Zweifel erwischt man die Schuldigen, und die Bestrafung dieser schändlichen Tat wird nicht ausbleiben.«

»Nein! Nein! Nein!« widersprach Didelod. »Ich will nicht, daß die Sache an die große Glocke gehängt wird. Dem Justizminister und dem Ministerpräsidenten habe ich bereits telephoniert. Es wäre ja ein abscheuliches Beispiel, wenn man erführe, daß ein solches Attentat gegen einen der hochstehendsten Vertreter des Proletariats hätte geplant sein können. Nein, mein lieber Herr Staatsanwalt, tun Sie gar nichts, bis der Minister seine Entscheidung getroffen hat. Für den materiellen Schaden komme ich auf. Menschenopfer hat es ja keine gekostet. Schweigen wir also im Interesse der öffentlichen Ordnung.«

»Herr Abgeordneter, Ihr Verhalten ist edel!« rief mit Nachdruck der Gerichtspräsident, der sehnsüchtig darauf wartete, daß Didelod ihm eine Versetzung nach Paris verschaffe.

»Das ist einfach Blödsinn!« erklärte Julius Reismann ruhig. »Du ermutigst nur dieses Gesindel, das dich bei der ersten Gelegenheit niederschlagen wird wie einen tollen Hund. Wenn bei mir solch eine Geschichte passierte, so würden die Militär- und Zivilbehörden binnen vierundzwanzig Stunden Ordnung schaffen; dann könntest du dich davon überzeugen, was es heißt, Unter einer Regierung zu stehen, die sich Autorität zu verschaffen weiß.«

»Rohe Gewalt,« entgegnete Didelod. »Wir haben in Frankreich mit einer andern Denkungsart zu rechnen als in Deutschland.«

»Du wirst eines Tages schon sehen, wie teuer dir solch alberne Rücksichten noch mal zu stehen kommen!«

»Nichts kann in einem Lande gedeihen,« mischte sich Herr von Berlier ein, »wo die öffentliche Ordnung nicht aufrecht erhalten wird, denn sie ist die Grundlage von allem. Ich weiß wohl, mein lieber Didelod, daß Sie sich über uns Männer der Ordnung lustig machen. Rückschrittler sind wir in euren Augen, denn die Bezeichnung konservativ genügt nicht mehr, um eure Verachtung für uns auszudrücken, deshalb mußte ein stärkerer Ausdruck gefunden werden. Nun, ich glaube, ehe ihr es euch recht verseht, werdet ihr selbst zum Rückschritt gezwungen, und dann werdet ihr schon selbst merken, was aus der menschlichen Gesellschaft wird, wenn keine Ordnung mehr herrscht. Jetzt zehren wir noch an dem, was sich im Volksgeist an Ordnungsliebe angehäuft hat. Aber dieser Vorrat wird allmählich verbraucht, und eines schönen Tages erwachen wir mitten in der Anarchie. Dann wird man wohl oder übel zur Gewalt greifen müssen, um die Aufwiegler zur Vernunft zu bringen. Und was unter Gewalt zu verstehen ist, das wissen Sie ja, nicht wahr? In sozialer Hinsicht wird sie durch das Gesetz vertreten, das über zweierlei Mittel verfügt, um sich Achtung zu verschaffen: über die Justiz und das Heer. Ihre Parteigenossen werden dann sowohl mit den Bajonetten als mit der Wage der Gerechtigkeit zu rechnen haben, mein lieber Abgeordneter, und dann werden Sie zugeben müssen, daß die vielgeschmähten Männer der Ordnung und der Gewalt, diese Auswürfe der Menschheit, doch ihr Gutes haben, wenn es gilt, das Schlimmste zu verhüten.«

»O, ich weiß wohl,« entgegnete Didelod voll Bitterkeit, »daß viele Leute in Frankreich ihre Hoffnung auf die Ausschreitungen der Demokratie setzen. Aber wir werden die Menge schon in den Schranken zu halten wissen, und die Ausschreitungen, auf die ihr hofft, und die die Aufstellung eines Diktators begünstigen sollen, werden ausbleiben – eine Evolution, aber keine Revolution wird stattfinden.«

»Und die Bomben! Sind das Werkzeuge der Evolution oder der Revolution?«

»Um der vereinzelten Handlung eines Wahnsinnigen willen darf man doch nicht eine ganze Partei verdammen.«

»Gut. Und wie ist es dann mit jenen Leuten, die vor kurzem ›Nieder mit Neumans!‹ geschrieen haben? Waren das auch nur Vereinzelte?«

»Neumans hat ihnen Grund zur Unzufriedenheit gegeben.«

»Und Didelod, ihren Freund, ihren Bruder, ihre Stütze, haben sie den nicht auch verhöhnt? Was hatte der ihnen denn getan?«

»Ach, Berlier, Sie nützen eine Unbesonnenheit dieser guten Leute aus, um sie gegen mich ins Feld zu führen. Wollen Sie am Ende auch noch behaupten, ich sei in unserm Bezirk nicht beliebt?«

»Wahrhaftig, mein lieber Freund, man wird ganz irr. Ich weiß ja wohl, daß Sie mit großer Majorität gewählt worden sind, aber ich muß doch auch in Betracht ziehen, daß man mit Steinen nach Ihnen geworfen hat. Die Volksgunst ist veränderlich wie das Spiel der Wellen. Jedenfalls haben Sie diesen Wählern goldene Berge versprochen und ihnen bis jetzt nur schöne Worte gegeben. Davon haben die Leute nichts. Schließlich werden sie schon merken, daß man sie zum Narren hat . . .«

»Zum Narren? Wie? Sie beschuldigen mich, das Volk zum Narren zu haben?«

»Sie! Du lieber Gott, nicht Sie allein. Sie und jene ganze hübsche Vereinigung, die man den Block nennt. Zuerst habt ihr dem Volke die Milliarde der verschiedenen Kongregationen versprochen, über die ihr übrigens gar nicht verfügen durftet. Aber das war ja nur um so bequemer! Wo ist nun diese Milliarde? Hierauf habt ihr dem Volk mit den Kirchengütern den Mund wässrig gemacht, um die Trennung der Kirche vom Staat durchzusetzen. Was ist aus diesen Gütern geworden? Ferner hattet ihr ihnen Altersrenten in Aussicht gestellt. Noch eine ganze Menge solcher Schwindeleien könnte ich anführen, womit ihr eure Wähler geködert habt. Aber wozu? Diese Beispiele genügen. Jetzt merkt das arme Volk, dem ihr so viel Butter versprochen habt und dem ihr nicht einmal Brot gebt, daß man es an der Nase herumführt. Es ärgert sich. Und das ist ganz berechtigt. Heute macht es den Versuch, das Rathaus in die Luft zu sprengen, morgen wird es das Schloß in Brand stecken . . .«

»Und Sie, Sie werden dann zusehen und sich ins Fäustchen lachen, was?« rief Didelod außer sich.

»Nein, mein lieber Freund, ich werde Ihnen helfen, das Feuer zu löschen, und zwar zusammen mit all den Männern der Ordnung, die ihr jetzt verächtlich über die Achsel anseht, die ihr gepeinigt, aus den Ämtern verjagt und dazu gezwungen habt, in ihrem eigenen Vaterlande wie Parias zu leben. Und das alles aus Rücksicht auf eure unausstehliche Wählerschaft, die euch heute zum wohlverdienten Lohn im Stich läßt.«

Eine Stille trat ein, bis endlich Frau Didelod, die über diese Wendung des Gesprächs sehr ärgerlich war, in ruhigem Tone zu ihrem Mann sagte: »Könntest du deine unerträgliche Politik denn nicht für die Zeit aufsparen, wo du mit deinen Parteigenossen zusammen bist? Wir sind doch jetzt hier in meinem Salon, in Gesellschaft unsrer Freunde, die gerne behaglich über allerlei interessante Dinge plaudern möchten, und nun brichst du da eine Kammersitzung vom Zaun.«

»Du hast recht, meine Liebe,« antwortete der Abgeordnete mit einem Lächeln. »Ich vergesse es immer wieder, daß in diesem Hause eigentlich niemand meine Ansichten teilt. Du bist Monarchistin, meine Tochter ist ein klein wenig liberal angehaucht, mein Sohn ist Nationalist, und was meine Freunde hier anbelangt, die sind ja bekanntlich alle reaktionär.« Und sich an den Unterpräfekten wendend, fügte er heiter hinzu: »Wir sind nicht in der Mehrheit, denn die Angehörigen des Richterstandes würden uns nur zu gerne verleugnen.«

»Aber Herr Abgeordneter,« protestierte der Präsident lebhaft, »wir Justizbeamte sind ausschließlich Diener des Gesetzes.«

»Selbstverständlich, mein lieber Präsident. Ihre Unantastbarkeit ist ja über jeden Zweifel erhaben. Deshalb kann man aber doch seine persönlichen Ansichten haben.«

Mit frostiger Miene warf Julius Reismann ein: »Was einem in eurem Frankreich ganz besonders auffallen muß, ist die Leichtfertigkeit, mit der ihr in der Kammer alle wichtigen Fragen erörtert. Man hat den Eindruck, als handle es sich dabei immer nur darum, als Redner zu glänzen. In Deutschland ist das ganz anders . . .«

Ein einmütiger Protest der hinter dem Flügel gruppierten Jugend schnitt dem Annektierten, der so stolz auf sein neues Vaterland war, das Wort ab. Sich der Ecke zuwendend, wo dieser Einwurf herkam, rief Reismann: »Was, Widerspruch wird da drüben erhoben?«

»Na, weißt du, lieber Onkel,« antwortete Moritz lebhaft, »da du den Protestler an den Nagel gehängt hast, so erlaubst du uns wohl, es nun statt deiner zu sein!«

»Bravo, Moritz!« rief der Abgeordnete von Lehrange. »In diesem Fall gefällt mir deine nationalistische Gesinnung.«

»Aber Papa, die bleibt sich immer gleich und sollte dir stets gefallen.«

»Bravo, Moritz!« rief nun auch seinerseits Reismann mit einem Lächeln. »Auch mir gefällt in diesem Augenblick deine nationalistische Gesinnung. Ich habe es gern, daß ein Franzose sein Frankreich liebt. Wenn alle jungen Leute in deinem Alter so dächten und redeten wie du, würde in Elsaß-Lothringen ein andrer Geist herrschen. Dann würde es den Offizieren der preußischen Armee nach ihren Liebesmählern in den Kasinos nicht einfallen auszurufen: ›Frankreich gehört uns!‹«

»Wir wollen ihnen schon zeigen, ob es ihnen gehört!« murmelte Maxime von Berlier. »Wir sind hier achthundert Dragoner und wünschen nichts sehnlicher, als uns mit den Ulanen von drüben zu messen.«

»Still, Maxime,« sagte Laurence, »Sie sind heute abend der einzige, der hierbei nicht mitreden darf, ohne Katastrophen herbeizuführen.«

»Und außerdem ist es ein Verbrechen, den Krieg herbeizuwünschen!« riefen die Fräulein von Berlier. »Maxime müßte fort und auch Moritz.«

Um dem Streit ein Ende zu machen, schlug Frau Didelod jetzt eine Partie Bridge vor. Und im Handumdrehen waren Berlier, Reismann, der Staatsanwalt und der Abgeordnete von Lehrange vollständig in die Geheimnisse des Spiels vertieft. Der Präsident hatte sich verabschiedet, die Jugend war in den Salon nebenan gegangen, so daß Frau Didelod allein mit ihrer Freundin, Frau von Berlier, zurückblieb. Die beiden waren in dem gleichen Pariser Pensionat erzogen worden und hatten infolge ihrer Herkunft, ihrer Erziehung und ihres gesellschaftlichen Verkehrs in allem ganz die gleichen Ansichten.

»Unser lieber Abgeordneter läßt sich eben leider nicht bekehren,« sagte die Marquise mit trauriger Miene.

»Nein, im Gegenteil. Er hält sich nun erst recht für verpflichtet, ins sozialistische Horn zu stoßen, und zwar mit großem Eifer. Es ist wirklich ein rechter Kummer für mich, mit ansehen zu müssen, wie dieser überaus kluge und unendlich gute Mann auf solche Abwege gerät.«

»Aus Ehrgeiz!«

»Nein. Er meint es wirklich aufrichtig, und das eben ist das Unbegreifliche. Was wird noch alles über ihn kommen müssen, bis ihm die Augen aufgehen?«

»Was aber wird mittlerweile aus unserm schönen Plan? Ich kann mir nicht recht denken, daß Herr Didelod sich entschließen wird, seine Tochter einem Grafen von Berlier zu geben. Und Laurence ist schon einundzwanzig Jahre alt. Es wird Zeit, sie unter die Haube zu bringen. Soll mein Mann mal mit Herrn Didelod sprechen?«

»O nein. Und doch ist es unbedingt notwendig, daß jetzt Klarheit in diese Sache kommt und mein Mann sich über seine Ansichten ausspricht. Wir können unsre Familienangelegenheiten doch unmöglich von einem Ministerwechsel abhängig machen. Wegen einer mehr oder weniger rotgefärbten Regierung soll meine Tochter keine alte Jungfer werden.«

»Hat er wohl irgendwelche Hintergedanken hinsichtlich Laurences Heirat?«

»Ich glaube nicht. Wenigstens hat er mir nichts davon gesagt. Jedenfalls aber will ich jetzt wissen, woran ich bin. Noch heute abend werde ich mit ihm reden.«

Nachdem die Gäste sich verabschiedet und die Kinder sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, blieb das Ehepaar Didelod noch allein beisammen. Der Abgeordnete von Lehrange ging in sein Arbeitszimmer, wo sein Sekretär ihm die Abendpost auf den Schreibtisch gelegt hatte, und schickte sich an, die eingelaufenen Briefe zu lesen. Allein Frau Didelod, die ihm nachgegangen war und sich in einen Lehnstuhl neben dem Kamin gesetzt hatte, ließ ihn nicht zum Arbeiten kommen.

»Ehe ich zu Bett gehe, möchte ich gerne noch ein paar Worte mit dir reden, denn morgen wirst du wieder ganz von deinen Geschäften und besonders von deiner Politik in Beschlag genommen sein. Die Marquise von Berlier hat nämlich heute abend eine lange Unterredung mit mir gehabt und ist dabei auch auf jenen schon früher von ihr und ihrem Mann gefaßten Plan einer Verbindung zwischen ihrem Sohn und unsrer Tochter zurückgekommen. Ich bin nun aber in nicht geringer Verlegenheit gewesen, weil mir scheint, als habest du deine Absichten in dieser Sache geändert. Auch wollte ich mich doch nicht auf Versprechungen einlassen, die ich vielleicht zurücknehmen müßte.«

Freundlich schaute Didelod seine Frau an.

»Du hast recht daran getan, und ich danke dir sehr für diese Vorsicht. Es ist wirklich eine recht heikle Sache. Berlier, der ein alter Freund von mir ist, möchte ich doch nicht kränken, anderseits aber haben sich die sozialen Verhältnisse so vollständig geändert, daß ich, wenn ich meine Tochter diesem Aristokraten gäbe, in den Verdacht kommen würde, meinen bisherigen Ansichten untreu geworden zu sein. Die Berliers sind ja sozusagen Emigranten im eigenen Lande, die in keiner Weise der modernen Strömung folgen. Beim Jahr 1874 sind sie stehen geblieben, wo man dem Grafen von Chambord den Thron angeboten und allen Ernstes über die Wiederaufpflanzung der weißen Fahne verhandelt hat. Es ist unglaublich. Diese Leute passen ja gar nicht mehr in unsre Zeit. Nichts als unfreundliche, verächtliche Reden bekommt man von ihnen zu hören, abgesehen davon, daß man sich durch den Verkehr mit ihnen kompromittiert.«

»Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was deine Tochter zu all dem sagen wird? Es gibt doch auch noch etwas andres auf der Welt, als die sozialen Verhältnisse, die Politik und deine Parteigänger. Auch Laurence und ihre Wünsche sind zu berücksichtigen.«

»Meine Tochter ist ein vernünftiges Mädchen, das mit seiner Zeit vorwärts schreitet. Ich habe eine großartige Partie für sie in Aussicht.«

»Was? Ohne mir etwas davon zu sagen? Ohne mir auch nur eine Andeutung einer solchen Sinnesänderung gemacht zu haben? Zähle ich denn jetzt gar nicht mehr mit in deinem Hause?«

»Wie hätte ich dir denn von einem Plane sprechen können, der noch gar keine feste Gestalt angenommen hat? Erst seit ganz kurzem scheint mir seine Verwirklichung überhaupt möglich. Übrigens hatte ich mir bereits vorgenommen, die Angelegenheit mit dir zu besprechen. Nun bist du mir zuvorgekommen. Aber wenn mir das auch leid ist, da mein Schweigen dich zu verdrießen scheint, so bin ich doch überzeugt, daß du meine Wahl billigen wirst, sobald du weißt, um wen es sich handelt.«

»So sprich doch. Ich brenne darauf, es zu erfahren.«

»Nun also. Du kennst doch Pierre Bouillaud?«

»Den sozialistischen Abgeordneten?«

»Ja. Voriges Jahr war er Handelsminister, und er hat alle Aussicht, es wieder zu werden. Ein ganz außergewöhnlicher Mensch, ein glänzender Redner und überhaupt ein sehr intelligenter junger Mann, der erst sechsunddreißig Jahre alt ist und dem eine große Zukunft bevorsteht.«

»Was denn für eine?«

»Wie kannst du fragen? Die Geschicke seines Vaterlandes wird er lenken und ein ruhmreiches Andenken in der Geschichte unsres Vaterlandes zurücklassen.«

»Dem Verderben, dem Verfall, vielleicht sogar der Knechtschaft wird er Frankreich zuführen. Ein Kollektivist und ein Antimilitarist ist er. In den Volksversammlungen hat er geradezu haarsträubende Aussprüche getan und die Bewohner eines und desselben Landes aufeinandergehetzt. Seine Popularität gründet sich nur darauf, daß er die Vernichtung der höheren Klassen in Aussicht stellt. Geradezu Entsetzen flößt dieser Mann mir ein.«

»Du bist von Sinnen. Du kennst ihn ja gar nicht. Einfach bezaubernd ist er. Dabei ein bildhübscher Mensch, der Laurence sicherlich gefallen wird. Und wenn du ihn erst einmal gehört hast mit seiner einschmeichelnden Stimme, dann kannst du ihm nicht mehr widerstehen.«

»Er lebt ja aber mit einer verheirateten Frau zusammen, die er entführt hat und die er dazu noch mit Theaterprinzessinnen dritten Ranges betrügt.«

»Das sind Zeitungsenten. Und ich verlange ja auch nicht von ihm, daß er das Leben eines Cato führt. Er ist Junggeselle und kann tun, was ihm beliebt. Das geht niemand etwas an. Und was die verheiratete Frau betrifft, so ist das eine alte Liaison, die von selbst aufhören wird, wenn es an der Zeit ist.«

»Und dann, ich habe nämlich ein gutes Gedächtnis, hast du voriges Jahr während der Arbeiterkundgebungen in Paris selbst zu mir gesagt: ›Dieser Schurke von Bouillaud würde uns ohne Bedenken erschießen lassen.‹«

»Ja, voriges Jahr! Aber seither hat er umgesattelt, und jetzt würde er nur zu gern die andern ans Messer liefern, denn er hat inzwischen das Gefühl der Macht kennen gelernt und ist dadurch zahm geworden. Er hat den Revolutionär abgestreift und ist bereit, sich der öffentlichen Ordnung zu fügen.«

»Mit andern Worten, die Tochter eines der reichsten Bourgeois von Frankreich zu heiraten. Für den Bourgeois jedenfalls eine große Ehre!«

Bei diesen Worten verzog sich Didelods Gesicht, denn ein Bourgeois genannt zu werden, berührte ihn stets höchst peinlich. Daß dies seine schwache Seite war, und daß seine politischen Gegner stets Erfolg hatten, wenn sie ihn da angriffen, wußte er wohl.

»Ich bin kein Bourgeois,« entgegnete er. »Das beweise ich täglich.«

»Leider Gottes! Ich begreife nicht, was für ein Vergnügen du daran finden kannst, die Rolle eines revolutionären ›Herrn Jourdain‹ zu spielen. Du wirst einfach von so und so vielen Leuten zum Narren gehalten, die dir schmeicheln, um Beisteuern herauszuschlagen. ›Sie sind die Säule des Sozialismus‹, sagen sie zu dir. ›Auf Ihnen ruht alles.‹ Das glaube ich ihnen gerne, denn du bist es, der ihre Kassen füllt. Ohne deine Freigebigkeit säßen sie schön in der Patsche. Du allein gibst ja für die Wahlen so viel Geld aus wie der ganze Propagandaausschuß miteinander. Eine Milchkuh bist du für deine Parteigenossen. Für das, was du ihnen bezahlst, dürfen sie dich wohl mit Lobeserhebungen überschütten. Mittlerweile werden sie alle Minister, dich aber schieben sie beiseite. Wenn du wirklich die Säule ihrer Partei bist, warum verhelfen sie dir dann nicht zur Macht? Bist du einer ihrer Führer, oder nur ein wohlwollender Geldspender, der dazu da ist, die Zukunft von so und so vielen Hansnarren sicherzustellen, die sich dann im Geheimen über dich lustig machen?«

Diesmal wurde Didelod ernstlich böse; hatte seine Frau doch unbarmherzig an seine empfindlichste Stelle gerührt. Denn es war ein wirklicher Kummer für ihn, zusehen zu müssen, wie seine sämtlichen Freunde nach und nach zu Ministerposten gelangten, während niemals ein Schritt getan wurde, ihm selbst zu einem solchen zu verhelfen. Bei jedem Ministerwechsel sagte der Präsident der Republik mit einem gewissen Spott, dessen Gutmütigkeit durch seinen südländischen Akzent noch einen besonderen Nachdruck erhielt, zu ihm: »Nun, mein lieber Didelod, werde ich denn noch immer nicht das Vergnügen haben, Frankreich mit Ihrer Hilfe zu regieren?« Daß seine Frau ihn gerade am heutigen Abend in seinen eigenen vier Wänden an alle diese bittern Enttäuschungen erinnerte, brachte ihn außer sich.

»Es scheint dir ja ein ganz besonderes Vergnügen zu machen, mich zu ärgern,« rief er nun wirklich gekränkt. »Du weißt recht wohl, daß ich nicht ehrgeizig bin. Und wenn ich darauf bestanden hätte . . . aber man will mich zuerst zum Kammerpräsidenten machen. Und Bouillaud wird nach den Ferien sein Möglichstes für mich tun . . .«

»Ah, nun kommt die Wahrheit an den Tag! Herr Bouillaud wird sich für dich ins Mittel legen, und als Gegenleistung gibst du ihm die Hand deiner Tochter. Na, besprich diese hübsche Sache nur selbst mit Laurence. Ich übernehme die Vermittlung nicht.«

»Gut,« antwortete Didelod mit höchst frostiger Miene. »Gleich morgen werde ich mit ihr reden.«

»Da wirst du schön ankommen, das sage ich dir im voraus.«

»Ich will nicht hoffen, daß meine Tochter es mir gegenüber an dem gewohnten Respekt fehlen lassen wird.«

»O nein, deine Tochter ist gut erzogen und wird sich keine Ungehörigkeit zu schulden kommen lassen. Aber sie hat einen hellen Kopf und wird dir zu verstehen geben, daß sie keineswegs gewillt ist, deine ehrgeizigen Bestrebungen mit ihrer Freiheit zu bezahlen. Und nun, gute Nacht. Es ist schon sehr spät. Da du durchaus gegen die Wünsche deiner ganzen Familie handeln willst, so sieh nur allein zu, wie du dich aus diesem Dilemma herauswindest.«

Und mit eisiger Ruhe überließ sie den Abgeordneten von Lehrange seinen Betrachtungen. Heiter waren diese freilich nicht. Der Gedanke an eine Auseinandersetzung mit seiner Tochter, deren Stolz und Freimut er kannte, war nichts weniger als verlockend für ihn. Solange als möglich hatte er die Verkündigung seines väterlichen Willens hinausgeschoben. Nun aber wurde er durch seine Frau zu einer Entscheidung gedrängt. Die grausamen Anspielungen, die diese auf seine politische Tätigkeit gemacht hatte, zwangen ihn zur Selbstprüfung. Und nichts war ihm verhaßter, als wenn sein gesunder Menschenverstand ihm ein Geständnis abnötigte, das ihn in seinen eigenen Augen herabsetzte. Wurde er wirklich zum Narren gehalten, wie Frau Didelod behauptete? Wollte sich sein Sohn Moritz mit dem spöttischen: »Papa, wenn du erst Präsident der Republik bist«, wirklich über ihn lustig machen? Und wenn er in seiner eigenen Familie nicht einmal ernst genommen wurde, was mußte dann das große Publikum denken?

Über diese widerwärtigen Dinge nachgrübelnd, ging Didelod in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Wie viel Geld hatte er ausgegeben, wie viel Mühe verschwendet! Ja, sogar sein Leben hatte er rücksichtslos aufs Spiel gesetzt; denn diese Bombe, die er für eine harmlose Spielerei erklärte, hätte recht gut den Fußboden seiner Kanzlei in die Luft sprengen und ihn in tausend Stücke reißen können. Und das alles nur, um schließlich in den Augen der Seinen lächerlich zu erscheinen! O nein, bei Gott, das wollte er denn doch nicht! Nur ein einziges Mittel, so schien es ihm, gab es, um wieder in ihrer Achtung zu steigen. Den kühnen, gefürchteten Bouillaud mußte er an sich fesseln, denn ihm würde es ein leichtes sein, dem Manne, der ihn zu seinem Schwiegersohne gemacht hatte, zu dem politischen Siege zu verhelfen, der ihm für so viele geleisteten Dienste schon längst zukam. Didelod hatte sich allmählich in eine förmliche Begeisterung für diese Idee hineingesteigert. Und mit dem Entschluß, Laurence wenn irgend möglich für diesen Plan zu gewinnen, legte er sich endlich zu Bett, um sich von den Anstrengungen dieses aufregenden Tages zu erholen.

Am nächsten Morgen fuhr er schon in aller Frühe nach der Fabrik, wo er gegen acht Uhr ankam. Die Werkstätten waren in voller Tätigkeit. Das Brummen der Transmissionen, das Pochen der Stempelhämmer, das Ächzen der Drehscheiben und Krane, die die weißglühenden Eisenmassen unter die verschiedenen Maschinen schafften, die ihnen mit erstaunlicher Leichtigkeit die erforderliche Gestalt gaben, das Kommen und Gehen der Angestellten, die Aufträge überbrachten – dies alles legte Zeugnis ab von einem gewaltigen, wohlorganisierten Betrieb. Didelod trat ins Verwaltungsgebäude und begab sich nach seinem Privatkontor, wo die Direktoren der einzelnen Abteilungen sich auf einen telephonischen Ruf zur täglichen Besprechung einfanden. Solche, die sich darin gefielen, den Abgeordneten Didelod als eine Strohpuppe zu behandeln, wären, wenn sie ihn im Kreise seiner Beamten und in seiner Tätigkeit als Fabrikherr gesehen hätten, rasch zu einer ganz andern Ansicht über ihn gekommen.

Sobald Didelod den geschäftlichen Boden betrat, fühlte er sich tatsächlich sofort wieder als ein Mann von hervorragender Fähigkeit und unbeugsamer Energie, Eigenschaften, die nur ausgeschaltet wurden, wenn die leidige Politik sein Urteil trübte. Durch klar erteilte Befehle gab er seinen Mitarbeitern ihr Tagespensum, indem er kurz erläuterte, was zu erledigen war. Hier konnte er sich seiner ungeschmälerten Machtvollkommenheit erfreuen. Hier fühlte er sich als unumschränkter Herr und Gebieter, und zwar nicht auf Grund einer eingebildeten sozialen Stellung, sondern vermöge der tatsächlichen Verhältnisse. Alles um ihn herum gehörte ihm: der Boden, die Gebäude, die Betriebsmittel, die ungeheuren Kohlen- und Eisenvorräte, die nur darauf warteten, sich durch die Macht seines Willens in Maschinen zu verwandeln um dann in alle Erdteile versandt zu werden und seinen Namen hinauszutragen. Didelod hielt Einkehr bei sich selbst. War der Traum, den er hegte, nicht eitel Trug im Vergleich zu der ihn umgebenden Wirklichkeit? War er nicht, wie seine Frau ihm vorgehalten hatte, ein Tor, der das Gewisse fürs Ungewisse hingab? Da er diesem peinlichen Gedanken jedoch nicht länger nachhängen wollte, versenkte er sich in seine Arbeit.

Es war zwölf Uhr, als er die Fabrik verließ und in seinen Wagen stieg, um zum Gabelfrühstück nach Badonviller zurückzufahren. Diese Mahlzeit wurde stets ziemlich eilig eingenommen. Didelod sprach dabei wenig und hörte nur mit halbem Ohr auf die Unterhaltung von Frau und Kindern. Erst abends pflegte er seine Geschäftssorgen abzustreifen. An diesem Tage schien er jedoch auffallend gut aufgelegt zu sein, denn er richtete an Moritz verschiedene Fragen über den Wildstand, schlug Jagdeinladungen vor und war ganz besonders liebevoll gegen seine Tochter. Als die Tafel aufgehoben wurde, nahm er Laurences Arm und ging mit ihr auf die Terrasse hinaus. Eine Zigarre anzündend, schlenderte er langsam längs der herrlichen Blumenparterres hin, die einen Glanzpunkt von Badonviller bilden.

»Wir haben schon recht lange nicht mehr behaglich miteinander geplaudert, mein liebes Kind,« begann er, Laurence liebevoll ansehend, »und ich mache mir eigentlich Vorwürfe darüber; aber ich bin nach allen Seiten hin so sehr in Anspruch genommen, daß ich meine Vaterpflichten etwas vernachlässigen muß. Nun aber will ich das Versäumte nachholen und mich mal gründlich mit dir aussprechen. Du bist ja ein kluges Mädchen, Laurence und wirst mich verstehen. Ich habe nämlich Heiratspläne mit dir, möchte aber nicht gerne, daß du eine alltägliche Verbindung eingehst.«

»Was verstehst du unter einer alltäglichen Verbindung?« warf das junge Mädchen ruhig ein.

»Nun, eine Heirat, wie alle deine Altersgenossinnen, deine Freundinnen, überhaupt alle jungen Mädchen deines Kreises sie zu machen pflegen – eine Heirat mit einem jungen Mann, der zwar hübsch, wohlerzogen, reich und aus guter Familie, aber ohne persönliches Verdienst ist, und der deshalb nur ein höchst uninteressanter Lebensgefährte für sie sein kann. Ich aber möchte, daß du bei den sich anbahnenden ernsten sozialen Unruhen einen starken Arm zur Stütze hättest, der dir deinen Platz hoch über den andern sichert.«

Laurence lächelte.

»Das sind aber keine sehr demokratischen Ansichten, lieber Papa.«

»Mein liebes Kind,« entgegnete Didelod lebhaft, »die Demokratie verwirft gewöhnliche Überlegenheit durchaus nicht. Weit entfernt davon; sie setzt sie im Gegenteil erst ins rechte Licht und sanktioniert sie.«

»Du hast dich also nach einem hervorragenden Manne für mich umgeschaut?« fragte das junge Mädchen. »Und ihn gefunden?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Ein Mann von hohem Verdienst, der trotz seiner Jugend schon berühmt ist . . . ein bedeutender Redner, ausgestattet mit der wunderbaren Gabe, die Massen zu lenken . . . Einer von denen, die Frankreich schon jetzt als ihre Gebieter anerkennt.«

»Mit andern Worten ein sozialistischer Abgeordneter,« entgegnete Fräulein Didelod kalt.

»Ja, es ist . . .«

»Nenne mir seinen Namen lieber nicht,« unterbrach ihn Laurence. »Es hat ja doch keinen Wert. Ich will seine Verdienste nicht einmal näher kennen lernen, denn niemals werde ich einen Politiker heiraten, der nicht Royalist und Katholik ist.«

Wenn der Blitz vor den Füßen des Abgeordneten von Lehrange eingeschlagen hätte, wäre er nicht entsetzter aufgefahren als bei dieser Erklärung seiner Tochter. Mit bestürzter Miene, als traue er seinen Ohren nicht, starrte er sie an. Dann wiederholte er: »Royalist und katholisch? Ist das dein Ernst? Liebes Kind, du bist wohl nicht recht bei Sinnen?«

»Merke wohl, lieber Vater,« sagte Laurence, »daß wir von einem Politiker sprechen, und was für Ansichten ein solcher haben müßte, um mir zu gefallen. Ja, wenn ich die Frau eines Politikers geworden wäre, dann hätte ich am liebsten den Namen eines Montalembert getragen, um mein Beispiel nicht unter den Lebenden zu wählen. Meiner Ansicht nach kann eine Frau nur dann rühmlichen Anteil am politischen Leben ihres Mannes nehmen, wenn sie ihn dazu anfeuert, die hohen Tugenden der Religion, sowie die unveränderlichen sozialen Grundsätze aufrecht zu erhalten; wenn sie ihn in seinem Kampfe um die Verteidigung der monarchischen Idee, der einzigen Bürgschaft für nationale Größe, unterstützt.«

»Aber liebes Kind,« stammelte Didelod, »du bist um fünfzig Jahre zurück . . . Mir ist, als hörte ich deine Großmutter reden . . . du bist ja zum Gottesgnadentum zurückgekehrt!«

»Nicht ganz,« entgegnete Laurence lächelnd. »Ich lasse zum Beispiel das allgemeine Wahlrecht gelten, wenn ich auch finde, daß es eingeschränkt werden sollte, denn die Art, wie es heute angewandt wird, erscheint mir abscheulich. Man sollte zum Listenwahlsystem zurückkehren und den Proporz einführen.«

Nun hatte Didelod sich wieder gefaßt, und Laurence erzürnt ansehend, unterbrach er sie nun seinerseits: »Laurence, du machst dich wohl über mich lustig?«

»Lieber Papa, das würde ich mir niemals erlauben. Aber du hast von einer politischen Heirat gesprochen, und deshalb lege ich dir jetzt mein politisches Glaubensbekenntnis ab. Wenn ein Diskutieren überhaupt statthaft ist, dann noch am ehesten über Politik.«

»Ich will gar nicht, daß du diskutierst, Laurence, sondern, daß du mich anhörst . . .«

»O,« rief das junge Mädchen heiter, »wo bleibt dann die Gewissensfreiheit? Die Freiheit der Forschung und alle andern Freiheiten? Willst du die in deiner Familie abschaffen?«

Sie fing an zu lachen und schaute ihren Vater mit einer solch drolligen Miene an, daß dieser keinen andern Ausweg fand, als ärgerlich zu erwidern: »Das ist wahrhaftig ein schlechter Lohn für meine Fürsorge! Ich bemühe mich, dir eine glänzende Zukunft zu sichern, indem ich einen Mann in unsre Familie aufnehmen will, dem nichts fehlt als ein großes Vermögen, um der Erste im Staate zu werden. Du aber weißt nichts Besseres zu tun, als meine Absichten ins Lächerliche zu ziehen und meine Vorschläge zurückzuweisen. Gut. Du weißt, daß ich dich zu nichts zwingen werde und du Herrin deiner Entschlüsse bist. Allein auch ich werde Herr meiner Einwilligung bleiben. Niemals aber wirst du sie für eine Verbindung mit einem Bewerber erhalten, der mir nicht die Garantieen bieten kann, die ich zu fordern das Recht habe.«

»Was für Garantieen sind denn das?«

»Ich habe es dir bereits gesagt. Nur ein Mann, der persönliche Verdienste aufzuweisen hat, wird als Schwiegersohn meine Billigung finden, dann aber auch, wenn er ohne Vermögen sein sollte.«

»Es kommt jetzt also nur darauf an, was du unter einem Mann mit persönlichen Verdiensten verstehst.«

»Nun denn, einen Mann, der sich aus eigener Kraft entweder einen glänzenden Ruf, eine hohe Stellung oder ein großes Vermögen errungen hat.«

»Ausgeschlossen sind also von vornherein die Offiziere der Armee und der Marine, die, wenn es keinen Krieg gibt, und ich wünsche ihn nicht herbei, höhere Grade nur mit den Jahren erreichen können? Es wäre besser gewesen, du hättest schlankweg zu mir gesagt: ›Ich will nicht, daß du den Leutnant Maxime von Berlier heiratest.‹«

»Das will ich allerdings auch nicht.«

Laurence machte ihrem Vater eine ehrerbietige kleine Verbeugung, drehte sich um, und entfernte sich, ohne ein einziges Wort zu erwidern.

»Wohin gehst du denn?« rief er ihr nach.

Sofort blieb sie stehen.

»In mein Zimmer hinauf. Nach dieser Erklärung haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen.«

»Wieso?«

»Du hast mir deinen Willen zu verstehen gegeben. Ich mache keine Einwendungen, sondern gehe einfach.«

»Das ist auch eine Art Auflehnung.«

»Ah, du kannst aber doch wahrhaftig nicht verlangen, daß ich in Jubelrufe ausbreche, denn mit deinem Entschluß bereitest du mir einen schweren Kummer. Deshalb schweige ich lieber und gehe. Das ist noch das Beste, was du von mir erwarten kannst.«

»Mit andern Worten, du willst mit mir trotzen.«

»Nein. Das ist nicht meine Art.«

»Aber nach wie vor wirst du an jenen Schmachtlappen denken, als wenn nichts geschehen wäre?«

»Er ist mein Kindheitsgespiele und hat ein Herz wie Gold. Auch er wird sehr darunter leiden.«

»Du brauchst ihm ja nichts davon zu sagen.«

»So falsch kann ich nicht sein.«

»Dann wird die ganze Familie Berlier über mich herfallen.«

»Du kannst aber doch nicht annehmen, daß diese rechtschaffenen Leute auf deine Erklärung hin von Dankbarkeit überfließen. Auch sind sie durch ihre makellose, hochgeachtete, gesellschaftliche Stellung und durch ihre vornehme Herkunft dir durchaus ebenbürtig. Es ist ein uraltes lothringisches Geschlecht, mit den Habsburg verwandt! Der größte Teil ihrer Besitzungen liegt in Elsaß-Lothringen, und die Deutschen bemühen sich um ihre Gunst, trotzdem sie Frankreich nicht untreu geworden sind wie jemand, den ich kenne, und der dir sehr nahe steht.«

Didelod erbebte. Daß Julius Reismann sich für die deutsche Nationalität entschieden hatte, empfand er als einen wunden Punkt. Sein Schwager und Geschäftsteilhaber hatte sich in die Arme des Feindes gestürzt! Und da der Betrieb auf gemeinschaftliche Rechnung ging, so lastete die Schuld dieser Abtrünnigkeit zum Teil auch auf Didelod, was dieser sich nicht verhehlen konnte. Alles was ihn also an diese schiefe Lage erinnerte, verdroß ihn aufs höchste, und seine Tochter mit gerunzelter Stirne von oben herab betrachtend, sagte er: »Das sind Vorurteile eines schwachen Geistes. Für die Menschheit gibt es keine Grenzen.«

»Warum hast du dich dann nicht auch annektieren lassen? Solche Ansichten hast du doch früher nicht gehabt. Man braucht in deiner politischen Laufbahn gar nicht weit zurückzugehen, um auf militärfreundliche Spuren zu stoßen.«

»Niemals, niemals!« rief er.

»Aber Papa, du hast doch bei General Boulanger diniert.«

Das war einer der dunklen Punkte in seiner politischen Laufbahn, und niemand erlaubte sich, Licht darauf zu werfen. Didelod erblaßte und schlug mit der Hand in die Luft, als wolle er etwas Kränkendes von sich abwehren. Aber er wagte es nicht, sich noch länger mit einer solch gefährlichen Gegnerin, wie seine Tochter, herumzustreiten.

»Brechen wir hier ab,« sagte er mit Würde. »Du kennst jetzt meine Ansichten, und ich erwarte von dir, daß du dich danach richtest.«

Laurence neigte schweigend den Kopf und entfernte sich, ohne diesmal von ihrem Vater aufgehalten zu werden.

Didelod kehrte ins Schloß zurück, holte die in seinem Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch bereitliegenden Papiere und fuhr dann in die Fabrik. Schwere Sorgen bedrückten ihn. Zum ersten Mal hatte er sich ernstlich mit seiner Tochter entzweit. Die Festigkeit, womit Laurence seine Vorschläge zurückgewiesen hatte, beunruhigte ihn. Bis jetzt war sie nicht nur respektvoll, sondern auch nachgiebig gegen ihn gewesen. Stets hatte sie es verstanden, den Abgeordneten von Lehrange in seinen schroffen und sehr übertriebenen politischen Ansichten wenigstens nicht zu verletzen. Sie spielte sogar häufig die Vermittlerin zwischen ihren Eltern und brachte es fertig, das manchmal etwas schwierige Verhältnis zwischen Moritz und seinem Vater zu ebnen. Diesmal aber war sie nicht um einen Finger breit gewichen, sondern hatte ihm entschiedenen Widerstand geleistet. Sollte ihr dieser Maxime wirklich so sehr am Herzen liegen? Wohl waren die beiden ja Kindheitsgespielen, allein von guter Kameradschaft zu einer so starken Neigung, daß Laurence ihrem Vater auf die Dauer Trotz bieten würde, war doch ein weiter Schritt. Immerhin aber hatte sie sich recht bestimmt ausgesprochen, und bei einem Wesen mit solch scharfem Verstand war das ein ganz bedenkliches Anzeichen. Wäre sie nicht bereits zu einem festen Entschluß gekommen, dann hätte sie sich weniger energisch gewehrt und ihm nicht kühn den Fehdehandschuh hingeworfen. Gehörte ihr Herz aber wirklich Maxime, dann mußte der angekündigte Entschluß ihres Vaters ihr tiefen Kummer bereiten. Bei dem Gedanken, seine Laurence könnte traurig oder gar unglücklich sein, flog ein Schatten über Didelods Stirne. Und doch, wie hätte er, der sozialistische Abgeordnete, seine Tochter wohl diesem klerikal und reaktionär gesinnten Dragonerleutnant geben können? Schon im voraus hörte er das höhnische Getuschel seiner Parteigenossen! Ach, und was für einen Spektakel die Zeitungen aufschlagen würden! Didelod, dieser in der Wolle gefärbte Republikaner, dieser Freigeist und Antimilitarist, der gab seine Tochter dem Grafen von Berlier! In der Kirche ließ er sie mit einem Säbelraßler trauen! Das war ja der reinste Verrat!

Niedergeschlagen schüttelte Didelod in seinem Wagen den Kopf. Ein Politiker, sagte er sich, sollte eben keine hemmenden Familienbande haben. Das einzig Richtige wäre, Junggeselle und ohne Anhang zu sein. Allein sofort besann er sich wieder eines Besseren. Also ganz allein stehen? Was für ein trostloses Dasein! Und das alles nur um der Politik willen? War das nicht eine große Täuschung? Was hatte seine politische Tätigkeit ihm denn bis jetzt eingebracht? Recht geringe Erfolge und sehr viele Enttäuschungen. Und wer konnte wissen, ob sich seine Hoffnungen, auf deren Verwirklichung er schon in nächster Zeit rechnete, überhaupt erfüllen würden? Er war im Begriff, seine Angehörigen zu quälen, Uneinigkeit in seiner Familie zu säen, ein Kind zu betrüben, das ihm bis jetzt nur Freude gemacht hatte. Und warum? Um einem Programm treu zu bleiben, dem seine sämtlichen Gesinnungsgenossen nur aus Ehrgeiz beipflichteten, und das er selbst . . . Er fuhr plötzlich zusammen. Nein, seine innerste Überzeugung erhob Einspruch gegen den aufsteigenden Selbstvorwurf. Er meinte es wirklich aufrichtig und war von der festen Überzeugung durchdrungen, daß das Glück der Menschheit nur durch eine soziale Umwandlung herbeigeführt werden könne. Er strebte eine größere Solidarität und Gleichheit zwischen den Bürgern an. Alle Tyrannei war ihm verhaßt, mochte sie nun durch den Machtspruch der Könige oder durch die Überredungskünste der Priester ausgeübt werden. Um der verliebten Laune eines jungen Mädchens willen konnte er doch unmöglich den Grundsätzen seines ganzen Lebens untreu werden. Laurences Verbindung mit Maxime würde ihn unrettbar kompromittieren. Es war somit seine Pflicht, sich ihr zu widersetzen.

Über den grenzenlosen Egoismus, der in seinem Entschlusse lag, wollte er nicht weiter nachdenken. Anderseits hielt er es aber auch wieder für vernünftig, seine Tochter vor Katastrophen zu schützen, die ihr in der Zukunft durch die Verbindung mit einem Reaktionär drohten. Er entschloß sich also, auf der Weigerung, die er Laurence gegenüber soeben ausgesprochen hatte, zu beharren. Der Wagen fuhr jetzt in den Hof der Verwaltungsgebäude ein. Didelod stieg aus, und seine Papiere dem Portier einhändigend, ging er seinem Privatkontor zu. Schon beim Betreten des Hauses fiel ihm etwas Ungewöhnliches auf. Der junge Mann, der sich sonst in der Vorhalle aufzuhalten hatte, saß nicht an seinem Tisch. Die Türe zum Expeditionssaal stand weit offen, und Didelod nahm wahr, daß Unruhe und Verwirrung in dem sonst so stillen Raume herrschte. Anstatt zu schreiben, standen die Beamten schwatzend umher. So erstaunt Didelod indes darüber auch war, wollte er doch nicht persönlich seine Verwunderung darüber aussprechen. Vielmehr ging er in sein Arbeitszimmer und drückte auf die elektrische Klingel des Telephons, das ihn mit dem Bureauvorstand verband, der denn auch gleich darauf vor seinem Chef erschien.

»Was ist denn los, Herr Garneret?« rief der Deputierte ärgerlich. »Ich komme da an, finde niemand in der Vorhalle, und die Expedienten schwatzen miteinander, statt ihre Korrespondenz zu erledigen. Wo man sonst nur das Geratter der Schreibmaschinen hörte, ist jetzt ein Stimmengewirr. Geht irgend etwas Ungewöhnliches hier vor?«

Garnerets Gesicht legte sich in sorgenvolle Falten.

»Ja, lieber Gott, Herr Didelod, etwas Bestimmtes kann ich nicht sagen, aber irgend etwas scheint offenbar vor sich zu gehen, und zwar nichts Gutes. Zwei von den Zementöfen sind ausgegangen.«

»Wie kommt das? Hat das Heizerpersonal denn die Arbeit eingestellt?«

»Nein, das nicht; aber es scheint, daß versäumt worden ist, die Öfen zur richtigen Zeit zu speisen.«

»Aus Böswilligkeit?«

»Jedenfalls, obwohl die Werkführer es bestreiten.«

»Was führen sie denn zur Entschuldigung an?«

»Das Brennmaterial sei schuld.«

»Faule Fische! Das Brennmaterial ist dasselbe wie immer. Sie haben wohl eine Untersuchung eingeleitet?«

»Sofort; und es hat sich herausgestellt, daß die Schürmeister der beiden Öfen letzte Woche mit Stylb verkehrt haben, während dieser in Lehrange war. Es würde mich nicht wundern, wenn wir vor einem Ausstandsversuch ständen.«

»Hier? Bei mir? Nachdem fünfzig Jahre lang das gute Einvernehmen zwischen den Didelods und ihren Arbeitern niemals gestört worden ist? Ein Streik in Lehrange? Ich bitte Sie, Herr Garneret, das ist ja gar nicht möglich!«

»Vor vierundzwanzig Stunden hätte ich das auch noch behauptet, Herr Didelod. Aber seit heute früh weiß ich nicht mehr, was ich denken soll.«

»Wie heißen die Schürmeister?«

»Marteau und Seigneurier.«

»Das sind doch beides ganz verständige Männer. Was tun sie denn jetzt?«

»Sie setzen die Öfen wieder in Stand.«

»Sie weigern sich also nicht, weiterzuarbeiten?«

»Durchaus nicht.«

»Worauf gründen Sie dann Ihre Besorgnisse?«

»Auf alles und nichts. Daß wegen einer an sich geringfügigen Sache wie das Ausgehen von zwei Öfen eine solche Aufregung in den Bureaus herrscht, wäre doch gar nicht zu erklären, wenn die Tatsache nicht eine Art von Kundgebung gegen den Chef bedeuten soll? Eine gewisse Böswilligkeit liegt entschieden in der Luft. Man spricht sich nicht aus, aber man wirft sich vielsagende Blicke zu. Niemand will die Initiative ergreifen, weil das eine Ungeheuerlichkeit wäre, aber man wartet auf ein Losungswort, einen Anstoß. Kurz, der Aufruhr steht vor der Tür. Man fühlt es.«

»Und aus welchem Grunde?«

»Wegen der Neumansschen Sache.«

»Die steht aber doch in gar keiner Verbindung mit unsrer Industrie.«

»Es handelt sich auch nicht um industrielle, sondern um soziale Dinge, um die Solidarität der Arbeiter.«

»Blödsinn!«

»Gewiß. Aber die Losung kommt von Paris, und wenn man aus irgend einem politischen Grunde eine Arbeiterbewegung in unsrer Gegend für notwendig hält, so wird diese Bewegung einfach befohlen, und findet dann auch statt.«

»So weit sind wir denn doch noch nicht. Ich habe Freunde bei der Parteileitung . . .«

»Da wünsche ich nur, die Freunde des Herrn Didelod möchten aufrichtig und zuverlässig sein.«

»Wenn sie mich verraten, so habe ich die Mittel in Händen, sie dafür zu strafen.«

»Aber das Unglück wäre dann schon geschehen.«

»Fürchten Sie nichts, Herr Garneret. Es ist nicht so leicht, mit Didelod fertig zu werden und Lehrange auf den Kopf zu stellen.«

»Ach, Herr Didelod,« rief der Bureauvorstand, »Ihr Optimismus ängstigt mich!«

»Beruhigen Sie sich nur. Inzwischen aber sorgen Sie dafür, daß in den Bureaus peinlichste Ruhe und Ordnung herrscht, und geben Sie dieselben Verhaltungsbefehle auch für die Werkstätten. Beim geringsten Zwischenfall benachrichtigen Sie mich. Ich werde den ganzen Tag auf dem Platze bleiben.«



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