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Wilde Waldgegend.
Der Sultan. Sandib.
Selim. Hinunter ist die Sonne
Gegangen schon; die schönste Abendwonne
Genieß' ich hier im dunkelgrünen Walde.
Dort oben steht ein Schloß, da sind wir balde.
Bei diesen Felsenritzen,
Unwegbar, kann man nicht zu Pferde sitzen;
Doch drunten mag, im Thale
Im Zelt, beim guten Mahle,
Nur mein Gefolge weilen;
Mit dir, o Fischer! will ich weiter eilen,
Das Abenteu'r bestehen
Und, ohne Schaudern, immer vorwärts gehen.
Zwar auf dem Zaubergrunde!
Denn leicht, in einer Stunde
Bin ich, von längstbekannten
Ganz nahen Gegenden, nach ungenannten,
Noch nie gesehnen – in den eignen Staaten –
Wie träumend hingerathen.
Sandib. Ein wahrer König muß als Held sich fühlen,
Ihn kann die Furcht nicht kühlen;
Ein Fischer lernt auch wol Gefahren trotzen
Im Sturm, auf Felsenklotzen.
Selim. Was du von deinem Kinde
Erzählt mir hast, treibt mich, daß ich geschwinde
Mit dir das Schicksal theile.
Und kommen in der Eile
Wir nach dem Schloß – das von den Abendflammen
Noch steht beleuchtet – denk' ich:
Dir schnelle Hülfe schenk' ich.
Mit deinem Schicksal hängt der Spuk zusammen!
Sandib. Amine! theures Mädchen!
Ist es mir doch, als hätte mir ein Fädchen
Im Labyrinth gegeben
Der Geist, um dich zu finden, süßes Leben!
Selim Noch hab' ich selbst nicht Kinder,
Doch fühl' ich drum nicht minder,
Was das ein Glück sein muß, vor allen Gaben,
Ein Töchterlein zu haben.
Sandib. Nie schenken die Gewalten
Des Himmels dir, was sie dir nicht erhalten!
Ein Kind, noch nicht geboren,
Kannst du nicht lieben, hast du nicht verloren;
Doch – haben – und dann missen –
Da fühlt das Herz sich blutend und zerrissen!
Selim. Nur kurz wir zwei uns kennen,
Doch möcht' ich dich wol meinen Freund schon nennen.
Im Schwarm des prächt'gen Lebens
Ich suchte nur vergebens;
Vielleicht dies Abenteuer,
Die Wand'rung nach dem guten Ungeheuer,
Schenkt mir, in schnellen Stunden,
Was ich am Hof zeitlebens nicht gefunden.
Sandib. Kann derbe Biederkeit, die zwar verwegen,
Doch ohne Eigennutz dir tritt entgegen,
Kann schlichte Armuth büßen
Auf üpp'gen Reichthum, auf die gar zu süßen
Hofworte, Schmeicheleien –
Besuche mich im Freien
Mitunter, wenn dich keine Sorgen stören;
Und – eines Menschen Stimme sollst du hören!
Selim. Bewundern muß ich, Weiser! dich nicht wenig:
Du könntest sein ein König,
Von China's Küsten bis zum rothen Meere;
Doch deine Männerehre
Liebst mehr du als den Schimmer;
Und was du gut nicht kannst, das willst du nimmer!
Sandib. Nun – Eigensinn darf man zu viel nicht preisen.
Mir ging es wie dem Weisen
In Griechenland – selbander!
Diogenes ist doch kein Alexander.
Selim. Hier öffnen sich die Bäume;
Es laden uns mit Blumen grüne Räume
Hinein in einen Garten,
Den, ohne Zweifel, luft'ge Feen warten.
Sandib. Licht seh' ich in den Hallen
Des Schlosses droben, hör' die Nachtigallen
So herrlich trillern hinter grünen Gittern;
Hier kann nur eine Brust vor Freude zittern.
Selim. Ich will es dir gestehen,
Ich sah entzückt die Königin der Feen
Gestern den Fisch verbrennen –
Nicht weiß ich mein Gefühl dir recht zu nennen,
Denn – ist es auch nicht Liebe,
Fühl' ich doch zarte Triebe,
Das holde Wesen bald ganz zu besitzen,
Das mir erschien durch schwarze Mauerritzen.
Sandib. So bring' uns Allah's Segen
Die Schöne dir, die Tochter mir entgegen.
(Beide ab.)
Der Garten.
Amgiad, der Geist, bringt Lolo durch die Luft und setzt ihn in den Garten; den ehernen Zauberschrein hat er auch mitgebracht.
Amgiad. Hast du mich, kleiner Knabe, wohl verstanden,
Und fürchtest dich nicht vor dem großen Riesen?
Lolo. Wie sollt' ich dich, Wohlthäter, fürchten, der
Das Leben mir gerettet hat, und der
Auch meinen Vater glücklich macht?
Amgiad. Noch ist
Er's nicht. Der Arme trau'rt um deine Schwester.
Lolo. Versprochen hast du mir, ich solle sie
In diesem Schlosse finden.
Amgiad. Doch verrückt,
Wahnsinnig.
Lolo. Ach, du lieber Mohammed,
Dann kennt sie wol nicht ihren Lolo wieder?
Amgiad. Sie wird dich kennen, auch den Vater kennen.
Und diese Liebe, die noch tief im Herzen
Ihr wurzelt, hoff' ich, wird den Wahnsinn dämpfen,
Sie daran hindern, daß sie nicht Gebrauch
Gleich von der Zaubermacht in Tollheit mache.
Und ist sie erst geheilt – dann hat es weiter
Gar keine Noth. Doch müssen wir ihr gleich
Den schlimmen Talisman vom Busen reißen,
Womit sie Unheil stiften kann. Wie leicht
Nicht könnte sie den alten Vater, mit
Ehrwürd'gem Bart, in einen Ziegenbock,
In einen Vogel, Lolo, dich verwandeln!
Und ist's geschehn, dann steht es nicht zu ändern.
Eu'r Schicksal hängt dann nur von jenem falschen
Boshaften Wesen ab, das, armer Lolo,
Dich in das Meer gelockt.
Lolo. Ach, kann die Schwester
So schöne Künste machen, lieber Geist?
Ein Ziegenbock der Vater? Nein, bewahre!
Doch ich ein Vogel – Ach, du lieber Riese,
Laß meine Schwester mich zum Vogel machen!
Ich möchte gar zu gern ein Vogel sein.
Amgiad. Du bist ja schon ein kleiner, loser Vogel!
Lolo. Doch fliegen kann ich nicht. Ich möchte gern
Wie du und wie der Vogel Flügel tragen.
Amgiad. Das geht nicht. Höre jetzt, was ich befehle!
Gleich mußt du nach dem Schlosse laufen, Lolo;
Versteckt in einem Winkel warten, bis
Die Schwester kommt. Dann lauf' ihr rasch entgegen;
Und wenn sie dich an ihren Busen drückt,
Dann reiß' ihr von der Brust den köstlichen
Rubinenschmuck. Triffst du den jungen Sultan,
Der deinem Vater folgt – gib ihm dies Bild
Und bitt' ihn dir zu folgen! Er wird's thun,
Wenn dann du Floristane, meine Gattin,
Hier in dem Garten siehst, befehle gleich
Der Zauberin in diesen Schrein zu kriechen,
Den aus dem Meer ich wieder hergeholt.
Sie muß es thun, hast du den Talisman;
Auf hundert Schritte muß sie dir gehorchen.
Drum lasse sie ja weiter nicht entschlüpfen.
Will sie es nicht, dann rufe: Salomon!
Und ist sie in dem Kasten, schließe gleich
Den Deckel zu und rufe mich! Ich komme;
Und bald – bald ist das Schauspiel ausgespielt.
Lolo. Das wär' ein prächt'ger Spaß! Ich kann die Fee,
Die boshaft mir das Leben rauben wollte,
In einem Kasten fangen? Zweifle nicht!
Ich werd' es thun, ich bring' es wohl zu Stande.
Amgiad. Doch laß dich ja von deiner Liebe zu
Der Schwester nicht verführen, in dem Schloß
Zu weilen! Nimm den Talisman und fliehe,
Wenn du dem Sultan erst das Bild gegeben.
Dann folgt er dir und schützt dich auf dem Weg;
Denn trifft euch auch zu früh das böse Weib,
Wird ihre Leidenschaft für jenen Jüngling
Dich sichern, bis ich dir zu Hülfe komme.
Lolo. Ach, allerliebst! Ich werd' es gut besorgen. (Ab.)
Öde Königshalle, von vier Candelabern erhellt.
Agib (allein, auf einem Thron sitzend; ein Purpurmantel bedeckt ihm, nachlässig übergeworfen, den nackten Leib).
Bei der Halle Trauerkerzen
Sitz' ich auf dem Thron allein;
Halb ein kalter Marmorstein,
Halb ein Mensch mit wundem Herzen,
Um zu fühlen meine Schmerzen
Tiefer noch in öder Nacht,
Wenn die Sorge mit mir wacht.
Fragt ihr, Nachtigall und Eule:
»Warum hast zur Marmorsäule
Du den Feind nur halb gemacht?«
Wär' ich doch ein ganzer Stein
Wie die alten Heidengötter,
Die ich oft im schönen Wetter
Stehen sah im grünen Hain!
Zeigte nur die Miene Pein,
Eine edle, stille Trauer!
Das erregte Furcht und Schauer,
Zauberin! in deiner Brust,
Wenn du mich mit grauser Lust
Suchst, in dem Gefängnißbauer.
Ach – aufrichtig ist doch nicht
Dieser Wunsch! – den Arm bewegen
Kann ich – halbe Hoffnung hegen
In dem träumenden Gedicht;
Und wenn aus in Thränen bricht
Auch mein Aug', kann es doch sehen
Draußen schöne Berge stehen.
Mond und Sterne scheinen klar,
Und mitleid'ger Vögel Schar
Theilet, scheint es, meine Wehen.
Schämen freilich sollt' ich mich
Vor mir selbst im öden Zimmer;
Theuer ist sie mir noch immer.
Hassen, Liebe! sollt' ich dich;
Denn verrucht und freventlich
Mehr entstellst du meinen Geist
Als den Leichnam. Das beweist
Diese Schwachheit – daß ich weine.
Körper! werde ganz zum Steine!
Seele! werde wieder dreist!
Wünsch' ich nicht herbei die Stunde,
Daß sie mit der Geißel, bleich
Komme, wie vom Feenreich,
Zu erneuen meine Wunde?
Steht mit Geistern sie im Bunde?
Ach, du arme, süße Braut!
Wahnsinn aus den Augen schaut.
Scheint der Mond auf Gräber, Dächer,
Irrt sie her, durch die Gemächer,
Wenn der frische Abend thaut.
Fragt: »Willst du dich immer noch
Aus für den Geliebten geben?
Sag' ich dann: »Ja, süßes Leben,
Denn dein Agib bin ich doch,
Selbst im ärgsten Sklavenjoch!«
Reißt mit gräßlichem Entzücken
Sie den Purpur mir vom Rücken,
Geißelt mich zum Blute roth,
Gibt mir Früchte, Wasser, Brot,
Und geht fort mit Zornesblicken.
Nun, so trag' in Allah's Namen
Ich geduldig diese Qual;
Findet sie mich todt einmal,
Sproßt vielleicht des Mitleids Samen.
Reue! deine Thränen kamen
Freilich dann zu spät. (Faßt sich.) Doch nein!
Noch bin ich ein halber Stein –
Will mich härten, nicht betrüben.
Männer können Weiber lieben,
Doch das Unglück macht nicht klein!
Selim und Sandib (noch in der Galerie, die zum Thronsaale führt).
Selim. Ich kann mich kaum ob der Verwund'rung fassen.
Als Kind bin, mit dem Vater, ich einmal
Beim Nachbarkönig zum Besuch gewesen,
Ein schlimmer Wüthrich war es, Machmud hieß er
Sein Sohn dagegen, fast von meinem Alter,
Agib bei Namen, war ein edler Knabe.
Ich kenn' es Alles wieder, seh' es wieder!
Die Pavillons des Schlosses, Minareten,
Die Marmorstufen und die herrlichen
Gemächer! Die Tapeten kenn' ich auch,
Wo Joseph von den Brüdern in der Wüste
Verkauft den Beduinen wird. – Das machte
Auf meine jugendliche Phantasie
Damals sehr großen Eindruck. Doch da waren
Die Hallen vollgepfropft von Sklaven, Kriegern:
Jetzt stehn sie leer, wie Gräber; nichts Lebend'ges
Im ganzen großen Schloß; nur Vögel bau'n
Sich Nester in den Fenstern, und die Spinne
Webt ungestraft ihr luftiges Geweb
Schräg durch den Saal und fängt neugier'ge Fliegen.
Springbrunnen hört man nur mit leisem Rieseln
Im öden Raum. Schaulustig sprudelt hoch
Der Stral hinauf, die Königspracht zu sehn,
Und kehrt verdrießlich in sich selbst zurück,
Geht murrend fort, betrogen in der Hoffnung.
(Sie treten in den Saal hinein.)
Was seh' ich aber! Gott! da sitzt ein König!
Der junge Sultan Agib, auf dem Thron,
Im Purpurmantel, doch mit bleichen Wangen!
Agib. Wer naht sich? Wagen Sterbliche sich noch
Hierher, wo Zauber nur und Unglück wohnen?
Selim. Mein edler junger Freund! kennst du mich noch?
Den Nachbar Selim? Oft schon, freilich, dacht' ich
Dich wieder zu besuchen; doch gesteh' ich,
Heut war es eben meine Absicht nicht.
Wie in dein fernes Reich nach ein'ger Stunden
Umirren dort im Wald ich hergerathen,
Begreif' ich nicht; doch sprichst du selbst vom Zauber,
Und dein Palast, so menschenleer und wüst',
Läßt mich nichts Gutes hoffen. Bist nur du
Von der verschwundnen Herrlichkeit zurück?
Agib. Ja, Selim, ja! Das Königreich ist hin,
Die eitle Macht! Und nur zum Spotte sitzt
Der König auf dem Thron – dem Himmelbett!
Es mangeln Räder nur – dem Leichenwagen!
Selim. Erkläre mir das Räthsel.
Agib. Wie soll ich
Ein Räthsel wol dir lösen, edler Freund,
Das selbst mir unbegreiflich ist und bleibt!
Verzeih', daß ich nicht, wie's dem Wirthe ziemt,
Dem königlichen Gast entgegeneile!
Ach, käme der Prophet von Mekka selbst,
Ich könnte mich vor ihm in Staub nicht werfen.
Sieh' nur! Zur Hälfte bin ich Marmorstein,
Und blut'ge Striemen decken mir entehrend
Den Rücken und den ganzen obern Leib.
(Er entblößt sich.)
Selim. O schauderhaft! höchst schauderhaft! Doch bin ich
Des Zaubers schon gewohnt. Der Fischer da
Hat einen Riesengeist herausgezogen,
Der ihm gar wunderbare Fische schenkte.
Der gute Sandib hat vor einem Jahre
Die Tochter, ein holdsel'ges Kind, verkauft.
Ein Sklavenhändler hat ihn schlau mit Wein
Berauscht und dann zu einer That verführt,
Die nüchtern täglich er zu spät bereute.
Die sucht er, glaubt, daß seiner Tochter Schicksal
Mit dieser Zauberei zusammenhänge.
Agib. Amine! Heißt nicht deine Tochter so?
Sandib. Allah il Allah!
Agib. Wohnst am rothen Meer?
Sandib. Gott, Gott! Wo ist sie?
Agib. Unglücksel'ger Vater!
Sandib. Ach, ist sie todt?
Agib. Weit ärger noch als todt!
Sandib. Lebt sie in Armuth, Elend?
Agib. Ärger, ärger!
Sandib. Bedeckt mit Lumpen? Eine Bettlerin?
Agib. Weit ärger, Mann! Sie schwelgt im Überfluß.
Sandib. Als Sultanin, wie mir's der Sklavenhändler
Versprochen?
Agib. Mehr! Als Hexe, Zauberin.
Sandib. Unmöglich!
Agib. Bleibe hier! – Es naht sich schon
Die Unglücksel'ge. – Tretet in die Ecke!
Verbergt euch Beide hinter die Gardine!
Ihr werdet bald ein blut'ges Schauspiel sehn.
Selim. Bei meinem Schwert, sie soll dich nicht beleid'gen.
Agib. Geh'! geh', mein Freund! Dein Schwert ist gar zu stumpf!
Gebrechlich gegen einen Zauberstab.
Willst du dich selber nicht in Unglück stürzen –
Verberge dich!
Sandib (tiefbewegt). Ich will mich nicht verbergen!
Ich bin ihr Vater – will mich nicht verbergen.
Kann sie die ganze Welt in Nichts verwandeln,
Ihr Herz kann sich doch nicht verwandeln! Das
Ist edel – denn ich kenn' es.
Agib. Ach, was richtet
Ein schwaches Herz wol gegen Wahnsinn aus?
Amine (kommt langsam durch die Galerie; fast als Schlafwandlerin, in langen weißen Kleidern, mit niederhängendem Haare, eine Leuchte in der einen, eine Geißel in der
andern Hand. Sie weilt drinnen).
Agib. Ha, Fischer! Kennst du wieder die Gestalt?
Sandib. Mein armes Kind! wie blaß! Ach, sie ist krank
Gewesen.
Agib. Ist es noch. Die ärgste Krankheit! –
Unheilbar seelenkrank!
Amine (drinnen). Hier ist's so schwül
Im großen Schloß, und keine Dienerschaft.
Dicht alles zugemacht. (Macht ein Fenster auf.)
Ach, frische Kühle,
Mit Blumenduft gemischt, erquickt mich wieder!
(Sie setzt sich auf ein Sopha.)
Sandib. Sie spricht sehr leise mit sich selbst.
Agib. Das thut
Sie immer; innerlich sehr stark bewegt.
Sandib. Und eine Leuchte trägt sie.
Agib. Ob der Mond
Scheint oder nicht. Sie merkt nicht recht, was vorgeht;
Halbträumend scheint sie, in der letzten Zeit,
Zu handeln.
Amine (sieht auf ihre Füße).
Meine Sohlen sind ganz naß
Geworden. Nie geb' ich mir Zeit genug,
Zu gehn auf dem gebahnten Weg', durch Gänge.
Im hohen nassen Abendgrase wat' ich,
Da freut es mich, die Blumen zu zertreten;
Denn ich bin selbst nur ein zertretnes Blümchen.
Sandib. Sie sieht uns nicht.
Amine (drinnen). Erst wenn der Todtenkopf
Des Himmels über der Cypresse steht,
Dann ist es rechte Zeit, dann muß ich Arme
Die mir verhaßte, blut'ge Arbeit thun.
Agib. Sie meint den Mond und meine Geißelung.
Sandib. Ach, meine arme Tochter! Welcher Wahnsinn!
Sie handelt ja nicht frei; wie eine Puppe,
Von unsichtbaren Drähten nur bewegt,
Irrt sie umher, kalt, leblos – aber doch
Nicht ohne Mitleid, ohne Zartgefühl.
Das konnte selbst der ärgste Zaub'rer ihr
Im Busen nicht ersticken. – Gutes Kind!
Ich hoffe noch; denn deine Rettung – – freilich
Auf Meeresgründen lag sie tief verborgen,
Ich aber habe sie an's Licht gefischt.
Agib. Ach! redetest du Wahrheit, guter Vater!
Amine (geht in den Saal hinein).
Nun muß ich ihn bestrafen.
Agib (zum Fischer). Trete seitwärts.
Sandib verbirgt sich.)
Amine (nähert sich dem Könige bewegt).
Unglücklicher! Lehrt dich nicht Schmerz, nicht Schmach,
Nicht Einsamkeit, nicht Ernst noch Biederkeit?
Aus deinen Sälen ist der Schmeichelgeist
Entflohn. Die Eule fliegt zu dir hinein,
Die, blind am Tag', scharfsichtig in der Nacht,
Verhüllte Missethaten leicht entdeckt.
Mit glüh'nden Kerzen in dem dicken Kopf'
Schielt sie zum halben Leichnam auf dem Thron,
Heult und entfernt sich wieder. Heilig schaut
Der Stern, mit ewiglichten Wahrheitsaugen,
Dich Lügner auf dem königlichen Pranger,
Und die Halsstarrigkeit, die Strafe fodert,
Macht selbst den festen Stern am Himmel zittern.
Ein armes, weiches Herz – ein schwaches Weib
Zwingst du dazu, Scharfrichterin zu sein,
Weil du mit eines edeln Mannes Larve
Den Neidhardt deckst, und einen schönen Jüngling
In einen garst'gen Mohren umgewandelt,
Nicht um die Liebe, doch um's Leben brachtest.
(Aufgebracht.)
Verräther! gleich gestehe dein Verbrechen!
Wo nicht, so geißl' ich wieder dich auf's Blut.
Agib. Amin'! ich bin dein Agib! bin dein Agib!
Für diese süße Wahrheit will ich sterben.
(Amine entblößt ihm die Schultern und will ihn geißeln.)
Sandib (tritt rasch hervor).
Halt', meine Tochter!
Amine (läßt verwundert die Geißel sinken).
Wer ist dieser Mann?
Sandib (streckt seine Arme gegen sie aus).
Dein Vater! Kennst du nicht den Vater wieder?
Amine. Du bist's! (umarmt ihn.)
Sandib. Ich bin's; obschon ich väterlich
Nicht gegen dich gehandelt. Ärger hab' ich
Gewüthet, als die Brüder auf dem Bilde,
Die Joseph haßten und für Geld verkauften;
Ich liebte dich – und – Gott – ich war dein Vater!
Amine. Aus Liebe, Vater, hast du es gethan;
Zu meinem Glücke wolltest du mich bringen.
Ich wär' auch glücklich wie 'ne sel'ge Huris
In Mahom's Paradies geworden; hätte
Nicht schnöde Bosheit dieses Glück zerstört.
Doch – Bosheit straft Gerechtigkeit mit Strenge
Entferne dich, mein Vater! Geh' hinein
Ins Nebenzimmer, daß du Zeuge nicht
Von einem schauerlichen Auftritt werdest.
Sandib. Du fragst, Amine, nicht nach den Geschwistern?
Amine (hurtig).
Ach, was macht Lolo?
Lolo (kommt und läuft ihr hurtig entgegen).
Da ist Lolo! Küss' mich!
(Sie küßt ihn zärtlich. er reißt ihr den Talisman von der Brust und ruft:)
Jetzt wieder fort! (Zum Sultan.) Da, Sultan, ist ein Bild!
Folg' mir, wenn du die Schöne sehen willst,
Hinunter in den Garten.
Selim (betrachtet entzückt Floristanens Bild).
Ist es möglich?
Die dunkle Ahnung geht schon in Erfüllung?
(Er folgt dem Knaben.)
Amine (athmet frei).
Ach Gott! ich fühle mich wie neu geboren.
'S ist mir, als sei ein Stein mir von der Brust
Gefallen. – Ich hab' einen schlimmen,
Sehr schlimmen Traum gehabt. Wo ist mein Agib?
Sandib. Da sitzt er! Eine Leich' auf seinem Thron.
Amine. Ein Leichnam? – Ha – nie blühten seine Wangen
Wol schöner, als zwei junge Pfirsiche.
(Sie streckt ihm die Arme entgegen.)
Agib. Gott! warum bin ich noch ein halber Stein
Und kann nicht hin an ihren Busen fliegen?
Der Fuß bewegt sich! – Himmel! – Warmes Blut
Kehrt wieder in die kalterstarrten Glieder?
Aufstehen kann ich – gehen – O Amine!
(Er eilt in ihre Arme.)
Amine (küßt ihn zärtlich).
Ich habe einen garst'gen Traum gehabt,
Mein Herzgeliebter! Ach, vergib mir solchen!
Mir träumte, daß ein niedriger Betrüger
In einen Mohren dich verwandelt hätte.
Und dieser falsche Agib, der dir leider
Sehr ähnlich sah, saß auf dem Throne dort;
Und täglich fühlt' ich mich dazu verpflichtet,
Ihn wund zu geißeln. Zeig' mir deinen Rücken
Und überzeug' mich, daß ich mich geirrt!
Agib (beiseit.)
Gott! könnt' ich diese blut'gen Striemen ewig
Vor ihrem Blick verbergen.
Amine (entblößt seine Schulter und sagt froh).
Eitler Traum!
Sie ist so glatt und weiß, wie Elfenbein.
Agib (erstaunt).
Bei Gott! ich fange selbst zu glauben an,
Daß Alles nur ein nicht'ger Traum gewesen.
Amine. So laßt uns wachend unsers Glücks genießen!
Mein lieber Lolo lief hinunter in
Den Garten wieder; zu den andern Kindern
Vermuthlich. – Warum hat er seine Schwester
So schnell verlassen? Liebt er mich nicht mehr?
Komm', treuer, alter Vater! Komm', Gemahl!
Erst wenn ich unter Gottes freiem Himmel
Euch Alle glücklich an den Busen drücke,
Fühlt sich die Brust von aller Last befreit.
(Alle ab.)