Adam Oehlenschläger
Die Fischerstochter
Adam Oehlenschläger

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Die Fischerstochter.

Zweite Abtheilung.


Personen.

Floristane, die Fee.
Agib, der junge Sultan.
Duban, der Arzt.
Der Abdallah.
Sandib, der Fischer.
Amine, seine Tochter.
Lolo, sein kleiner Sohn.
Die Meerfeie.
Abubekr, ein Fischer.
Ein reisender Europäer.
Sein Secretair.
Sein Wegweiser.
Amgiad, ein Geist.
Selim, der Nachbarkönig.
Sein Oberküchenmeister.
Seine Köche.
Acht verzauberte Fische.
Chor der Fischer.

Erster Aufzug.

Gemach im Palaste.

Floristane (als Agib's Amme)
Es ist nicht ganz gegangen, wie ich dachte.
Erst mußt' ich diesen bösen Sultan strafen,
Der mich zum Lohne, für die Warnung, frech
Hinunter in den Abgrund stürzen wollte.
So ging denn Duban auch mit Sieg von dannen!
Doch ein Tag früher oder später, thut
Zur Sache nichts; und unterhaltend wird
Ein Spiel durch überwundne Schwierigkeiten.
Nun steh' ich wieder hier als Agib's Amme,
Die er noch liebt, oft in dem Wald besucht,
Auf deren Wort er baut. Als solche hab'
Ich freien Zutritt. Er ist Sultan jetzt; –
Die Freude soll er ruhig nicht genießen!
Ich will ihm Wermuth in den Honig mischen;
Es ist schon halb geschehn. Jetzt freut mich Haß
Statt der einfält'gen Lieb', und derbe Rache
Kühlt nur und heilt die Wunde, die mir schnöde
Verachtung schlug.

Agib (kommt langsam, niedergeschlagen, mit verschränkten Armen, sich allein glaubend).
                                  Jetzt bin ich Sultan! – Viele
Beneiden mich und wissen nicht, wie arm
Der Sultan ist!

Floristane.           Heil dir, mein edler Sohn!

Agib. Ach, liebe Mutter, bist du da? Kommst du
Auch, um dem neuen Herrscher Glück zu wünschen?

Floristane. Ach, könnt' ich das, wie gern, gern thät' ich es!
Doch Glück, auf Trug gebaut, ist schlechtes Glück.
Ich kenne schon dein Leiden, guter Agib!
Und deine Krankheit muß ich sehr bedauern;
Das Weib, auf welches du die Zärtlichkeit
Verschwendest, hat es nicht um dich verdient.
Vergiß sie! Laß sie in der Tollheit rasen!
Und alle deine Freuden kehren wieder.

Agib. Nie werd' ich sie vergessen, immer werd' ich
Sie lieben, wenn auch Wahnsinn sie zerstört.

Floristane. Nichts kann dich von der großen Schwachheit heilen?
Auch nicht Verbrechen, Frechheit, schnöde Lust?

Agib. Weib, rede deutlich, sprich in Räthseln nicht!

Floristane. Ich wohne bei der Quelle, wie du weißt,
Unweit des häßlichen Abdallah Haus.
Du kennst mich, Agib, schon von Kindesbein,
Weißt, daß ich Lügen hasse, bieder bin,
Daß deine Ehre mir am Herzen liegt:
Der Lotterbube stellt sich fromm und toll,
Wie schon so viele schlaue Fakirs thaten,
Blos nur, um schöne Weiber zu verführen.
Auch deine Frau ist längst verführt; ich weiß es.
Und wenn du glaubst, sie bete fromm zu Gott,
Schwelgt sie nur üppig in des Mohren Arm.
Mit eignen Augen sah ich oft das Paar
Im Walde gehn, sich herzen, küssen, seufzen,
Und selig girren, wie die Turteltauben.

Agib (rasend).
So fließe Blut!

Floristane.           Gott! Du erschreckst mich Arme! (Entflieht.)


Der Wald.

Amine (allein, sie hat sich einen Stab geschnitten und schält die Rinde ab).
Ich darf nicht länger unbewaffnet sein,
Denn das Gewitter zieht mir immer näher;
Leicht könnte mich ein unverhoffter Blitz
Zu Boden schlagen, trüg' ich nicht den Leiter
In meiner Hand. – Hätt' aber früher ich
Den Zweig geholt, vielleicht schon wäre dann
Viel Böses auch geschehn. Ich thu' es ungern!
Der falsche Agib sieht dem theuern Freund
So ähnlich, daß mir oft der Busen schmilzt,
Wenn er so freundlich milde mich betrachtet;
Und die Vernunft muß immer erst mir sagen:
Nimm dich in Acht! Der Mensch ist ein Betrüger.
        (Sie betrachtet den Zauberstab.)
Ob dieser Stab nun auch bezaubern kann?
Er sieht so schlicht und so natürlich aus;
Bin wirklich jetzt ich eine mächt'ge Fee?
Und war das schöne Weib, das mir's versprach,
Nicht ein Gebild der eignen Phantasie?
Es gilt die Probe! Ha – wer kommt schon da?
Bei Gott, der Arzt, der Duban, eben der,
Der all' mein Unglück mir bereitet hat.
Du kommst mir eben recht! Hier will ich stehn,
Verborgen hinter diesem Myrtenreis;
Und wenn er es am wenigsten erwartet,
Tret' ich hervor, als die Vergelterin. (Sie verbirgt sich.)

Duban (kommt mit einem Ranzen auf dem Rücken, den Wanderstab in der Hand).
Nun muß ich wieder in die weite Welt!
'S ist ein einförmig Ding um's Menschenleben;
Ich wollte, daß der Geist mich von der Gabe
Der Auferstehung bald befreien wollte:
Ich sterbe doch zuletzt vor Langeweile.
Ein Dutzend Freunde stirbt mir nach dem Andern;
Das alte Gaukelspiel hab' ich so oft
Gesehn, daß mir die Wiederholung ekelt.
Der Hals, der sich nicht beugen will, muß brechen,
Das hab' ich in der langen Zeit gelernt;
Doch wo das Kraut wächst vor dem bittern Tod',
Weiß nicht der Arzt und wird es nimmer wissen.
Die Gabe, die man mir gegeben hat,
Kann ich mit meinen Leidenden nicht theilen.
Ich will es besser nicht als Andre haben,
So mach mich sterblich, du Unsterblicher!
        (Er setzt sich einen Augenblick auf einen Baumstumpf, steht aber gleich wieder auf.)
Zwar fühl' ich mich nach solchem Aderlaß
Wie neugeboren; nur ein wenig matt,
Erschöpft, fast wie ein neugebornes Kind.
Die Spannung wirkt auch etwas. Ganz kann man
Sich nicht der dummen Todesfurcht enthalten;
Und haut der Büttel grad nicht ins Gelenk,
Kann ich mich leicht verbluten, wenigstens
Muß ich doch gehn mit einem schiefen Hals,
Bis wieder ein Tyrann mich köpfen läßt.
Wo kehr' ich hin jetzt? Nach Europa, glaub' ich,
Da sehen sich doch die Jahrhunderte
Nicht ganz so ähnlich, wie in Asien;
Da wechselt schnell die Tollheit mit der Mode,
Und der Hanswurst des Augenblicks macht sich
Von alten Lappen einen neuen Rock

Amine (tritt hervor).
Verräther, bist du da? Nimm deine Strafe!
        (Sie schlägt ihn mit dem Stabe, er wird in einen Dornbusch verwandelt.)
Jetzt kannst du reißen mit dem scharfen Dorn,
Bis du verwelket bist.

(Der Dornbusch wird plötzlich von weißen Blüten bedeckt.)

Amine.                               Er wird mit Blumen
Geschmückt. Willst deine Unschuld du mir damit
Beweisen? Ha, zu spät! Ich kann den Zauber
Nicht wieder lösen. – Und wenn auch – du lügst!
Denn, Bube! hast du meinen edeln Agib
In einen garst'gen Mohren nicht verwandelt?

(Eine Nachtigall fliegt in den Dornbusch und trillert ein Klagelied.)

Amine. Ha, was ist das? will die Natur mir ganz
Den Kopf verrücken? Sollen Blumen, Vögel
Jetzt für mich denken – fühlen? Fort! Hinein,
Ein Sprüchlein aus des Weisen Mund zu hören;
In heil'ger Halle wird die Zornentbrannte
Besonnenheit und Ruhe wieder lernen. (Ab.)


Die Kapelle.

Der Mohr (wie vormals). Amine (als andächtige Zuhörerin).

Mohr.
        »Der ist eu'r Freund, der im Geheg
        Der Irre zeigt den rechten Weg.«

Amine. O Lieber! zeige mir den rechten Weg!
Bin dessen eben heute sehr bedürftig.

Mohr. Das will sagen: die Wege gehen kreuz und quer und am Ende ist der eine ebenso gut wie der andere.

Amine. Du sä'st nur guten Samen, armer Agib,
Um ihn mit wildem Fuß gleich zu zertreten!

Mohr.
        »Lernst in der Noth den Helfer kennen,
        Ihn kannst du deinen Bruder nennen.«

Amine. So sei mein Bruder! Hilf mir in der Noth!

Mohr. Das will sagen: die Brüder hassen sich oft mehr als wildfremde Leute.

Amine. Es kränkt ihn wol, daß ich ihn jetzt als Bruder
Nur lieben will.
        (Geht hin und streichelt ihm die Wange.)
                          Ach, Agib, mein Geliebter,
Ich liebe dich mehr als mein eignes Leben!
Kennst du mich gar nicht wieder, süßer Freund?

Agib (stürzt herein, mit Gefolge).
Sie koset ihn, herzt ihn! Es ist gewiß!
Verräther, stirb! (Er durchbohrt den Mohren.)

Amine (schlägt Agib mit dem Stabe).
                            Verwandle dich in Stein
Zur Hälfte, von den Zehen bis zum Nabel,
Und sitz' auf einem kalten Marmorblock!

(Die Verwandlung geschieht.)

Amine. Ihr, sein Gefolge, werdet Frösche, Kröten!

(Es geschieht )

Amine. Und hast du, Stab, noch diese Eigenschaft,
So bring' ihn sitzend so nach dem Palast,
Wo in der Einsamkeit, in ödem Saal'
Er die verlorne Königsmacht beweine.

(Agib verschwindet.)

Amine (zum sterbenden Mohren).
O mein Geliebter! Warum kann der Stab,
Der Bosheit straft, nicht Tugend neu beleben?
Doch – bist du hin – dann ist mir Alles gleich!
Die Losung zur Verwüstung ist gegeben.
Natur! du hast ein schönes Werk vernichtet,
Und dreist vernicht' ich schleunig wieder dich!
Du stehst so trocken da, du hoher Baum,
Gefurcht die Stirn und schüttelst ernst das Haupt,
Als wäre meine That dir sehr zuwider?
Und du – du grünes, falsches Hoffnungsgras!
Wo nur die Schlange lauert; und ihr Blumen,
Wo Gift sich in den Kelchen birgt. – Weg, weg!
Zum See verwandl' ich diese ganze Landschaft,
So still und traurig, wie das todte Meer.
Und ihr, ihr eigennütz'gen kalten Seelen
Der Hauptstadt! die ihr meine Noth belachet,
Ihr habt ja doch nur eine Fischnatur,
Und kaltes Blut fließt in den engen Adern –
So werdet Fisch' in diesem großen See,
Mit Schuppen um die liebelose Brust!
Erst rett' ich mich und den geliebten Leichnam,
Und dann, dann mag die Sündflut immer schwellen. (Ab.)


Sandib's Hütte am rothen Meere.

Sandib (sitzt grübelnd mit Tafel und Rohrfeder in der Hand).
Wenn ein gewaltig, inniges Gefühl,
Das Tag und Nacht das Herz mit Wehmuth füllt,
Zum Dichter einen armen, schlichten Fischer
Umschaffen kann – dann bin ich ein Poet!

(Liest, was er geschrieben hat.)

        »Weit – weit von der Hütte
        Das Kameel sie bringt;
        Ängstlich unter Fremden
        Sie die Hände ringt;
        Sich die schönen Haare
        Von dem Haupte rauft:
        »Warum hast du, Vater!
        Grausam mich verkauft?«

        »Du, der so mich liebte,
        Froh entgegenkam,
        Wenn ich dir die Bürde
        Von dem Haupte nahm!
        An die Brust mich drückte,
        Herzte, küßte mich –
        Vater! was verwandelt
        Hat zum Tiger dich?«

        »Hast ein Thier beleidigt! –
        Ich bin nicht so gut:
        Tigerin vertheidigt
        Kräftig ihre Brut;
        Tiger ist nicht minder
        Seinen Jungen hold;
        Der verkauft nicht Kinder
        Für ein schnödes Gold!«

(Er versinkt in wehmüthige Gedanken.)


Der Strand außer der Hütte.

Floristane. Es thut mir leid, daß ich den kleinen Knaben
Auch noch verderben muß; doch fodert es
Die Noth. – In mag'schen Kreisen hab' ich neulich
Entdeckt, daß Lolo, wenn er von der Schwester
Den Talisman einmal bekommen sollte,
Den ich ihr gab, – Herr meines Schicksals wird
Und thun gleich muß ich, was der Knabe will;
Das wäre doch ein wenig gar zu hart,
Daß eine mächt'ge Fee von einem Kind'
Abhängen sollte. – Lolo, du mußt sterben!
Doch leicht und ohne Bangen sei dein Tod.
Bald kommt er, um das Goldstück hier zu holen,
Das die barmherz'ge Meerfei oft ihm schenkt.
Sie hat es mir gestehen müssen; denn
Nur klein ist ihre Macht; sie muß den Geistern
Der Oberwelt gehorchen. Still! da kommt
Der Knabe schon! Jetzt fängt das Schauspiel an.

        Ich will wie die Fee erscheinen,
        Die den Knaben liebt so sehr. –
        Nein – das wag' ich nimmermehr;
        So erschreck' ich nur den Kleinen,
        Der gleich weinen
        Würde, wenn mit solcher Miene
        Ich erschiene,
        Die dem Menschen schrecklich ist;
        Nein – dann glaubt er nicht die List:
        Daß ich ihm aufrichtig diene.

        Hat's mir doch die Fei gestanden,
        Selbst wenn Lolo riefe: Hilf!
        Wage, mit dem Haupt voll Schilf,
        Kaum sie in der Näh' zu landen.
        Mit den Banden
        Düst'rer Häßlichkeit sie ringt;
        Lieder singt,
        Unter grüner Pflanzen Gitter;
        Und zu ihrer leisen Zither
        Leise nur die Stimme klingt.

        Meine Stimm' ist nicht so schön,
        Darum will ich auch nicht singen;
        Aber – ja, vor allen Dingen
        Muß mich dieser Knabe sehn.
        Busenhöh'n
        Sollen, wie die schäum'gen Wellen,
        Lieblich schwellen:
        Und mit Lotus, wunderbar,
        Wird dein langes Flechtenhaar,
        Blonder Nacken, sich gesellen!

        Zwar ist er ein Knabe noch,
        Doch der Schönheit Wundergaben
        Wittern schon ganz junge Knaben,
        Gehen früh in unserm Joch.
        Schuppig doch
        Muß im Morgenpurpurglanze,
        Schön im Tanze,
        Halb, vom Nabel, ich ein Fisch,
        Wie die Schlange, leicht und frisch
        Wedeln mit dem Silberschwanze.

Lolo (kommt aus der Hütte heraus).
        Warum kommt Amine nicht?
        Vater hat es doch versprochen,
        Sie soll uns das Essen kochen.
        Vater schweigt, macht ein Gedicht!
        Und er bricht
        Aus in Thränen, wenn wir fragen;
        Will nichts sagen!
        Ach, die Schwester kommt nicht mehr!
        Und ich gräme mich so sehr,
        Und ich darf mich nicht beklagen.

        Lieb bist du mir Schwesterlein!
        Aber zauderst du noch lange,
        Wird's dem kleinen Lolo bange,
        Daß er werd' vergessen dein.
        'S war nicht fein,
        'S war nicht hübsch von dir, zu gehen.
        Ach, wir sehen
        Uns vergeblich nach dir um.
        Ruf' ich dich, dann bleibst du stumm,
        Wo die grünen Weiden stehen.

        Jetzt will ich mein Goldstück nehmen.
        Sieh', da liegt es schon! Doch nein,
        Das war nur ein gelber Stein.
        Wenn nur nicht die Wellen kämen;
        Muß mich schämen,
        Daß ich es noch nicht gefunden.
        Zwischen runden
        Muscheln liegt's – ich seh's genau!
                (Entdeckt Floristane.)
        Allah! welche schöne Frau!
        Blätter in dem Haar gebunden.

(Er klettert einen Baum hinauf.)

Floristane.
        Holdes Kind! welch' thöricht Bangen
        Treibt dich wol zu solcher Flucht?
        Hängst da, wie 'ne reife Frucht
        Mit den vollen Apfelwangen..
        Ach, Verlangen
        Fühl' ich, deinen Mund zu küssen.
        Kennen müssen
        Wir uns näher, Knabe hold!
        Gab ich dir nicht lichtes Gold,
        Und Melonen auch, die süßen?

Lolo.
        Ach bist du die Wasserfee,
        Die uns zeiget solche Güte?

Floristane.
        In der frischen Knabenblüte
        Bist mir theuer mehr wie je.
        In die See
        Wag' hinunter keck zu springen.
        'S wird gelingen;
        Dann soll der Delphin, mein Roß,
        Dich nach dem kristallnen Schloß
        Durch die Purpurwogen bringen.

Lolo.
        Liebe Fee, das geht nicht an.
        Sieh', mein Goldstück such' ich eben;
        Das muß ich dem Vater geben,
        Den ich nicht verlassen kann.
        Ach, und dann
        Würden auch die andern Kleinen
        Herzlich weinen,
        Wenn auch ich verschwunden wär',
        O wie sehr!
        Wir erwarten alle Tage,
        Hoffend bald, und bald mit Klage,
        Unsrer Schwester Wiederkehr.

Floristane.
        Willst du deine Schwester schau'n?

Lolo.
        Wie? Amine?

Aminens Trugbild im Wasser.
                                Immer munter,
        Lieber Bruder! spring herunter,
        Folg' nach den Kristallenau'n.
        Drunten, traun,
        Liegen Perlen, schön verborgen.
        Alle Sorgen
        Schwinden dann in kurzer Frist,
        Wenn mein Lolo bei mir ist.
        Wir besuchen Vater morgen.

(Lolo springt ins Wasser hinunter. Das Meer schließt sich über ihm zu. Eine tiefe Stille herrscht. Nach einigen Augenblicken steigt die wirkliche Meerfei herauf, mit dem kleinen Ertrunkenen in den Armen.)

Meerfei.
        Schnell die böse Fee verschwand,
        Als das liebe Kind ertrunken.
        Es ist tief hinabgesunken
        In das unbekannte Land.
        Doch, wenn Tand
        Meine Kunst nicht, meine Lieder,
        Sing' ich wieder
        Leben in die treue Brust.
        Schon bewegst du deine Lungen,
        Herrlichster der Fischerjungen,
        Annoch deiner unbewußt.

        Doch – wenn Sie einmal zurück
        Nach der Hütte kehren sollte? –
        Mir sie dann zeitlebens grollte,
        Und zerstört das stille Glück.
        Meisterstück
        Der Natur! Du süßer Knabe!
        Meine Gabe
        Soll sie dir nicht rauben gleich.
        Spielt sie mir noch solchen Streich –
        Stets ich dich verloren habe.

        Nein – du sollst noch nicht erwachen;
        Schlafen magst du, wunderbar,
        So vielleicht ein ganzes Jahr;
        Doch dein Kirschenmund soll lachen,
        Das wird machen,
        Daß Geduld der Vater übt,
        Tief betrübt;
        Und dich beisetzt in die Höhle,
        Weil er hoffe, daß die Seele
        Wiederkehre, die er liebt.

(Sie baut ein Bett von Sand und Seegras, legt den Knaben darein, und taucht hinunter ins Wasser.)


Derselbe Ort, den Abend nachher.

Sandib und mehrere Fischer bei der Leiche des kleinen Lolo.

Sandib. Wenn ich einmal noch den Verstand verliere,
So haltet mir's zu Gute, lieben Brüder!
Ein grausam Schicksal freut sich d'ran, mich Armen
Ganz zu vernichten! Mein bescheidnes Glück
Erregte seine grimm'ge Eifersucht;
Selbst meine Armuth hat's mir nicht gegönnt,
Und in mein Brunnenwasser mischt' es Wermuth.
Nur eine Rose mit drei Knospen trug
Mein Schmerzensdorn, der mich verwundete;
Jetzt – Ros' und Knospen – sie sind hin, sind hin!
Und nur mit scharfen Nadeln steht der Dorn.
O scharrt mir auch ein Grab im nassen Sand',
Und lasset mich bei meinem Lolo schlafen!

(Er wirft sich verzweifelnd zur Erde.)

Abubekr. Sandib! verzweifle nicht! Der Knabe schläft nur,
Er ist nicht todt.

Sandib.                     Todt, todt, mein Lolo, bist du! –
Den ganzen Tag hab' ich bei ihm gesessen,
Mit Luft hab' ich die Lungen ihm gefüllt,
Mit meinen Küssen wollt' ich ihn erwärmen –
Doch Alles half zu nichts! Schlaff sinkt sein Arm,
Und nimmer öffnen sich die Augen wieder.

Abubekr. So können wir ihn nicht zur Erde statten,
Denn blühend liegt er da, mit Rosenwangen,
Wenn steif und kalt auch, wie ein wächsern Bild.
Mit Trauerliedern wollen wir ihn tragen
Nach jener schönen, trocknen Felsenhöhle,
Unweit der Hütte. Auf der Bahre kann
Er liegen dann, mit Blumen um das Haupt.
Den Eingang wollen wir mit großen Steinen
Verwahren gegen wilder Thiere Hunger.
Da kann der Vater täglich ihn besuchen
Und täglich hoffen. Und erwacht der Knabe,
So lohnt die Freude doppelt Sandib's Schmerz,
Wenn den verlornen Schatz er wiederfindet.

(Während die Fischer mit dem Leichenzuge beschäftigt sind, kommt)

Der Europäer (von schwarzen Sklaven im Palankine getragen mit) Secretair und Wegweiser.

Europäer (begeistert).
Hier ist es also!

Wegweiser.             Ein'ge Schritte noch
Zur Linken, gnäd'ger Herr!

Europäer.                                   Kann ich nun auch
Dessen versichert sein? Hier war es eben,
Wo Moses in den Tagen grauer Vorzeit
Von Pharao verfolget worden. Ist
Nun dieses in der That das rothe Meer?

Wegweiser. Ganz ohne Zweifel, zuverlässig, Herr!

Europäer. Die Röthe will mir doch nicht recht einleuchten.
Ich hätt' es mir weit röther vorgestellt,
Wie etwa Kirschensuppe, rothe Dinte.

Wegweiser. Der Sand nur gibt ihm einen rothen Schein.
Man darf es zwar in der Geographie
Mit solchen Namen zu genau nicht nehmen:
Das schwarze Meer ist auch nicht rabenschwarz,
Das Marmormeer von Marmor nicht gebaut,
Das grüne Vorgebirg' nicht immer grün,
Und mancher arme Schiffer ist gestrandet
Mit Mann und Maus am Cap der guten Hoffnung.

Europäer. Da habt ihr recht! Die Reiseschreiber lügen,
Daß schwarz sie werden möchten. Darum ist's
Vonnöthen, Lieber! daß man selbst mitunter
Mit eignen Augen untersucht. – Herr Gott!
Hier war es also, wo der große Mann
Das unertränkbar auserles'ne Volk
Auf's Trockne brachte? Ja, bei Gott! da sieht
Man noch die Narbe da, die große Furche.
Zwar sehr undeutlich, von dem Zahn' der Zeit
Beinah' verzehrt, doch noch nicht ganz vertilgt.

Wegweiser. Eu'r Gnaden drücken sich poetisch aus!
Sie meinen, daß der Zugwind, daß der Windstoß,
Der einst so wunderbare Wirkung that,
Nicht gänzlich aufgehört und immer noch
Die Meeresfläche fegt, die einst er trennte.
Ich finde die gelehrte Hypothese
Recht sinnreich, sie verdient gedruckt zu sein,
Und rathe sehr dazu, daß sie sogleich
Ins Tagebuch hineingetragen werde.

Europäer. Hei, Secretair! Schreib' er ins Tagebuch:
»An diesem Orte flüchteten die Juden,
Vom König Pharao durch's Meer verfolgt,
Wie's an den Furchen noch zu sehen ist.«

Secretair. Gleich, gnäd'ger Herr! Ich werd' es gleich notiren.
        (Schreibt.)
»An diesem Orte flüchteten die Juden,
Vom König Pharao durch's Meer verfolgt,
Wie's an den Furchen noch zu sehen ist.«
        (Er steckt das Buch in die Tasche.)

Europäer. Wie herrlich ist's doch, in die graue Vorzeit
Hinein sich zu versetzen und die Spuren
Der letzten Trümmer sinnig aufzustöbern. –
Doch was hat dieser Auflauf zu bedeuten?
Da sitzt ein Mann und weint fast wie ein Kind;
Was fehlt denn ihm?

Ein Fischer.                   Er weint, mein gnäd'ger Herr,
Fast wie ein Kind, weil er sein Kind verloren:
Der kleine Knab' ist leider ihm ertrunken.

Europäer. Gerechter Gott! er macht ein Wesen draus,
Als wär' ein prächt'ger Onyx ihm ins Wasser
Gefallen, den dereinst Kleopatra
An eigner königlicher Hand getragen.
Hat schon der Kleinheitsgeist sich aus Europa
Nach Asien verbreitet? Lieber Gott,
Es ist ja doch ganz in der Ordnung, daß
Ein Fischerkind ertrinken muß mitunter. –
Hat aber Niemand etwas Seltenes
Mir zu verkaufen? Gern ersteh' ich solches,
Wenn's nicht zu theuer wird.

Wegweiser (nimmt einen Stein von der Erde, bläst darauf, säubert ihn mit seinem Gewande, reicht ihn dem Herrn und sagt).
                                                  Mit diesem Stein'
Schlug Pharao in seinem heil'gen Eifer
Den großen Moses in die Nackengrube,
Hier an der Ecke sitzt ein wenig Rothes;
Das ist versteinert Blut. Er ist nicht theuer,
Er kostet einen Baham.

Der Europäer (kauft den Stein).   Secretair!
Da! Steck' ihn in die Tasche!

Secretair.                                     Ich bin fast
Schon so beladen als ein Arbeitswagen,
Der Ziegelsteine fährt.

Europäer.                           So geht es nicht!
Ich muß mir bald noch einen Esel kaufen;
In diesem Lande sind mehr Seltenheiten,
Als ich vorher gedacht; zum bill'gen Preis!
Was ist ein Baham wol für solchen Stein,
Womit der große Pharao den noch
Weit größern Moses in den Nacken schlug?
Nun tragt mich wieder fort! Es wird schon dunkel.
        (Indem er den Fischern vorbeigetragen wird, zu Sandib.)
Ei, Lieber, wein' er nicht! Pfui, schäm' er sich!
Er wohnt hier unter lauter Seltenheiten,
Kann täglich jene Furch' im Meer betrachten,
Wo vormals Moses das Reißaus genommen;
Von Ziegelsteinen, womit Pharao
Die Juden auf der Flucht hat stein'gen wollen,
Wahrscheinlich ist sein ganzes Haus erbaut;
Und doch – doch grämt er sich, weil ihm ein Kind
Gestorben ist? – Ach Mensch, du bist nur Staub!
        (Zu den Trägern.)
Nun weiter, Kinder! Immer lustig fort!
Denn mich verlangt nach mehr Merkwürdigkeiten;
Im weiten Kreis erweitert sich der Sinn.
Ich sehne sehr mich nach den Pyramiden,
Die, Secretair, muß er in Lebensgröße
Mir zeichnen.

Secretair (stutzt).

Europäer.           Nun – versteh' er mich nicht unrecht:
Ich meine – perspectivisch in Verkürzung.

Wegweiser. Befehlen Euer Gnaden diesen Weg?

Europäer. Die Reise geht mir aber gar zu langsam.
Im Luftballon denk' ich sie fortzusetzen,
Denn dieses Kriechen halt' ich nicht mehr aus;
Es steht im Widerspruch zu meiner Schnelle.

Secretair (leise).
Da werden wir die Ziegelsteine, denk' ich,
Doch bei den Pyramiden liegen lassen.

(Alle ab.)


Offene Felsenhöhle.

Die Fischer tragen Lolo, mit Blumen geschmückt, auf Ruderstangen, mit Schilf zusammengeflochten. Der Vater folgt, mit dem kleinsten Kinde auf dem Arm und mit Sara an der Hand.

Gesang der Fischer.
Schlaf, holdes Kind, auf deiner Bahre,
Noch sinke nicht zum Tod' hinab!
Die Felsenhöhle sei dein Grab;
Entschliefest in dem Lenz der Jahre!
Der güt'ge Allah dich bewahre!
Der dich dem treuen Vater gab,
Zum zweiten Male kann er geben;
Kehr' wieder in das schöne Leben!

Noch hat der Tod dich nicht umfangen,
Du lächelst ja wie sonst gesund.
Der vollen Kirsche gleicht dein Mund,
Und Rosen gleichen deine Wangen.
Zu früh bist du hinweggegangen,
Wie eine Knospe, fest und rund.
Zwar – bersten muß der Kelch der Nelken,
Doch – duften erst, und gleich nicht welken.

Wenn, nach den himmlischen Geboten,
Ein Greis das Leben spät verliert,
Stehn wir an seinem Sarg gerührt,
Doch wir beweinen nicht den Todten.
Von Morgenwolken, purpurrothen,
Wird er ins Leben neu geführt.
Wir singen keine Trauerlieder –
In seinen Kindern lebt er wieder.

Doch – biegt sich auf dem zarten Stengel
Der Keim, eh' er gereift zur Lust;
Und welkt an seiner Mutter Brust
Der Unschuld kleiner Erdenengel – –
Ach – daß ein Engel werd' ein Engel,
Und kaum sich seiner noch bewußt –
Das tröstet nicht in bittern Schmerzen,
Dann weinen wir mit Vaterherzen.

O Gott! bewahr' der Kinder Leben,
Die, Herr, du uns gegeben hast;
Dann wird die Hütte zum Palast,
Und aus dem Meergras wachsen Reben.
Wer wollte seinen Lolo geben
Für aller Kön'ge Goldeslast?
In unsrer Kinder Lenzgewimmel
Genießen wir voraus den Himmel!

 


 


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